cicero ein mittler griechischer geisteskultur

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Cicero: Ein Mittler Griechischer Geisteskultur Author(s): Ulrich Knoche Reviewed work(s): Source: Hermes, 87. Bd., H. 1 (Jul., 1959), pp. 57-74 Published by: Franz Steiner Verlag Stable URL: http://www.jstor.org/stable/4475052 . Accessed: 08/04/2012 16:29 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of the Terms & Conditions of Use, available at . http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. Franz Steiner Verlag is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Hermes. http://www.jstor.org

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Page 1: Cicero Ein Mittler Griechischer Geisteskultur

Cicero: Ein Mittler Griechischer GeisteskulturAuthor(s): Ulrich KnocheReviewed work(s):Source: Hermes, 87. Bd., H. 1 (Jul., 1959), pp. 57-74Published by: Franz Steiner VerlagStable URL: http://www.jstor.org/stable/4475052 .Accessed: 08/04/2012 16:29

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Page 2: Cicero Ein Mittler Griechischer Geisteskultur

CICERO: EIN MITTLER GRIECHISCHER GEISTESKULTUR1

Ciceros Personlichkeit, sein literarisches Werk und seine gesamte Wirkungs- geschichte, kurz, seine Gestalt in einem h6chst umfassenden Sinne wird durch die Freude des groBen R6mers und Humanisten an der Vermittlung der grie- chischen Geisteskultur in einer sehr charakteristischen Weise bestimmt. Es ist das eine lebendige Triebkraft seines Lebens gewesen, und es verlohnte sich gewiB, sie in ihrer ganzen Machtigkeit bis in die Wurzeln hinein zu erforschen. Das kann hier nicht geschehen. Es wird vielmehr, fast zaghaft, bloB ein Essay vorgelegt, der Versuch, in gehoriger Beschrankung, nur einige wenige Orien- tierungspunkte zu befestigen, die vielleicht fur das genauere Verstandnis von Ciceros sog. philosophischen Schriften im engsten Sinne nutzlich sind. Dabei wird die Betrachtung des Stofflichen volkommen zurucktreten, also die Be- handlung der griechischen Lehrmeinungen, die Cicero ja in einer verschwende- rischen Fiile der romischen Welt und damit dem Occident vermittelt hat. Es werden hier also nicht die Wege der Quellenanalytiker beschritten, die, gleich- sam subtrahierend, Ciceros philosophische Schriften an den griechischen Vor- bildern messen; statt dessen werden den Ausgangspunkt ein paar ausgewahlte Selbstzeugnisse Ciceros bilden, um von da aus einen Weg zu finden zu der Er- kenntnis oder doch der Ahnung, was er selber mit seinen philosophischen Schriften im Grunde gewollt und aus welch einem Geiste heraus er sein Vor- haben tatsachlich ins Werk gesetzt hat. Auf die Ergebnisse kommt es dabei gar nicht so sehr an, mehr auf die Betrachtungsweise; sie moge zu einigen ein- fachen Fragestellungen fuihren, die dann allerdings die Gestalt Ciceros durchaus betreffen.

An einem Wendepunkt seines Lebens gibt Cicero eine Ruickschau uiber seine bildenden Schriften, im Vorwort zu seinem zweiten Buch iiber die Mantik (De Div. 2,I). Er hat das in einem Zeitpunkt geschrieben, da er, nach langer politischer MuBe, jetzt, nach Caesars Ermordung, wieder selber in den Mittel- punkt des politischen Lebens der Hauptstadt schritt. Man erwartete von ihm damals nichts Geringeres als die Wiederherstellung des rnmischen Rechtsstaates unter der Leitung des Senats. In einer auBerordentlichen Kraftentfaltung war er bereit, diesen Auftrag zu erifullen. Da ninmumt er nun gleichsam Abschied von seinen bildenden Schriften aus friiheren Jahren, insbesondere von seiner

1 Nach einem Hamburger Vortrag vom 22. II. I957.

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Darstellung der griechischen Philosophie in lateinischer Kunstrede, und er schreibt: Ach habe mich gefragt und viel und lange dariuber nachgedacht, durch welch ein Werk ich wohl moglichst vielen niitzen konnte; denn meine Fuirsorge fiur das Staatswesen sollte keinerlei Unterbrechung erfahren. Da sah ich mich der aller- groBten Aufgabe gegenulber, namlich der, meinen Mitbtirgern die Wege der besten Kiinste zu vermitteln; und ich glaube, das habe ich jetzt nachgerade in verschiedenen Btichern getan.(( Danach mustert er seine sog. philosophischen und die sog. rhetorischen Hauptwerke, die ja organisch zusammengehoren. Er schreibt also: nulla maior res occurrebat, quam si optimarum artium vias traderem meis civibus. - Tradere, sagt er: Er will demnach mit diesen Schriften ein Mittler sein, weiter nichts; und was er vermitteln will, das bezeichnet er hier als optimae artes. Das wird wohl so etwas sein wie die Kiinste, die dem Leben die richtige Norm und Ordnung geben. Auch sein Ziel spricht er aus: prodesse quam plurimis, consulere rei publicae, artium vias tradere meis civibus. Es schwebt ihm also ein echter Nutzen fur einen wesentlichen Teil der romischen Buirgerschaft vor, nicht allgemeine Menschheitsbeglickung. All das spricht er aus als der an- erkannte Meister der lateinischen Kunstsprache, der sich seines groBen burger- lichen und geistigen Ansehens voilkommen bewuBt ist und der auf bedeutende literarische Leistungen hinweisen kann; denn wenn er schreibt: quod complu- ribus iam libris me arbitror consecutum, so schlieBt das Wort arbitror jeglichen Zweifel an dem Gewicht seines Wortes aus. Es spricht hier ein Mann, der es gewohnt ist, daB die Urteilsfahigen in Rom, die boni, ernstlich auf ihn h6ren.

Ahnlich wie hier bezeichnet Cicero auch sonst seine Tatigkeit auf diesem Gebiet als eine interpretatio Graecoruml, als eine schopferische Vermittlung, etwa so, wie die alten lateinischen Dichter die Traditionen des griechischen Dramas ganz selbstandig als interpretes verpflanzt und gepflegt haben 2: wie man das griechische Original, etwa den Menander, liest und dessen ungeachtet den Romer Terenz, so soilte man auch den Platon lesen, und auBerdem mit Gewinn und Vergnflgen Ciceros eigene Bildungsschriften; so etwa wunscht es sich der Autor.

Cicero stellt sich damit vor als ein Mittler der griechischen Geisteskultur, die er fur die romische Wirklichkeit aktualisieren will, und er ist ein Mittler ganz eigener Art, ein Mann, der diese seine Tatigkeit philosophari nennt. Von hier aus konnte man nun zunachst versuchen, seine besondere Auffassung des philo- sophus zu begreifen. Was will denn dieser philosophus vermitteln, wem, warum, wie, wozu, und aus welcher eigenen Mitte heraus? In welchem Verstande kann man diesen philosophus als einen schopferischen Mittler bestimmen? Ist das denn uberhaupt zulassig?

1 Einiges ist dariiber schon im Gymn. 65, I958, 32I f. gesagt. Da ist auch der allgemei- nere Umkreis angedeutet, der die Fragen einer Vermittlung griechischer Geisteskultur fur Rom schlechthin in sich begreift.

2 Besonders sei auf De Fin. I, 4 verwiesen.

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Da erhebt sich wohl von vorherein ziemlich spontan die Frage nach Ciceros eigenem Erlebnis des Hellenismus. Man hat da eine Zwiespaltigkeit erkennen wollen; denn auf der einen Seite stehen die bekannten Zeugnisse, daB Cicero von frtiher Jugend auf in Rom als ein groBer Bewunderer der Griechen gegolten hat; und andererseits liest man so manche Aul3erungen von ihm uiber die >leichten Griechlein: sie mogen wohl klug und gebildet sein, aber schlieBlich sind es doch MiuBigganger und geschwatzige Gesellen1; man muisse ihnen viele Zugestandnisse machen, die fur einen R6mer unschicklich seien 2; ja, dem eige- nen Bruder empfiehlt der grol3e Philhellene um die Wende der Jahre 6o/59 3, er solle vorsichtig sein mit den Griechen in seiner Provinz Kleinasien: sie seien falsch und ohne Gewissen - lallaces et leves -, durch lange Knechtschaft zur Charakterlosigkeit erzogen; er solle sie gewiB groBzuigig behandeln, sie aber nicht eigentlich in sein Vertrauen ziehen. -Von demselben Mann, von M. Cicero, liegen also sehr giinstige Urteile tiber die Griechen ebensowohl vor wie auch sehr ungiinstige, und das hat man als unbehaglich empfunden.

Sieht man genauer hin, so lost sich die Sache ohne jede Schwierigkeit. Cicero schreibt ja a. 0. an den Bruder uber die Griechen, mit denen der es zu tun habe: perpauci Graeci vetere Graecia digni. Da macht er also einen Unter- schied zwischen dem Geist der tatsachlichen Lebensgegenwart der hellenisti- schen Welt und der vetus Graecia - ich mochte fast sagen: zwischen Hellas als Wirklichkeit und Hellas als Idee; denn das ist doch eigentlich mit dem Aus- druck vetus Graecia gemeint. Und nur in diesem Verstande, dem idealischen, nicht dem historischen, hat er das Alte Griechenland als Mutter jeglicher Geisteskultur bezeichnet. Aufs Ganze gesehen, laBt er Ideal und Wirklichkeit auseinandertreten.

Nun ist aber Cicero in seinem Leben so manchem Mann der griechischen Welt begegnet, den er hoch verehrt hat. Es waren Manner, in denen er der vetus Graecia mit ihrer groBen Kultur leibhaftig zu begegnen vermeinte: sie hatten eben Teil am Quell allen geistigen Lebens und taten durch ihr Beispiel dar, daB die vetus Graecia als Idee keineswegs verblichen oder gar tot war. Ja, sogar ihre Wirkung in die Breite scheint manifest, sogar bei ganzen Volker- schaften, etwa in Sizilien4, in den Kerngebieten Kleinasiens5, in Lampsacus 6,

und das Kennzeichen ist Bildung, Sanftmut, Humanitat und ein gepflegter Lebensstil. Sehr viel weniger wirksam erscheint die Kultur der vetus Graecia bei anderen, die sich zwar auch der griechischen Sprache bedienen, wie bei den schlimmen Mysern7 oder den Lydern8 oder den Phrygern9, die erst allzu spat gescheit werden; und Vdlkerschaften, die tiberhaupt nicht von der griechischen Geisteskultur beriihrt sind, zahlt Cicero in Bausch und Bogen zu den barbari,

1So, im Munde des Crassus, De Orat. I,102. 2 De Fin. 2, 68. 3Ad Quint. fr. i, i, i6. 4 Etwa Verr. II 2, 7. 5 Ad Quint. fr. i, 1, 27. 6 Verr. II i, 63. 7 Pro Flacco 65 u. O. 8 Ebd., dazu ? IOO. 9 Ep. Fam. 7, i6 u. O.

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wie die Afrikaner, Spanier, Galfier': sie sind, nach seinem Urteil, immanes, kulturlos schlechthin.

GewiB nicht zum ersten Mal, doch besonders stark, scheint Cicero diese geheimnisvolle Kraft der vetus Graecia selber bei seinem Aufenthalt in Athen anno 79 erlebt zu haben. Er spricht davon in dem sch6nen Vorwort zum fiinften Buche De Finibus. Da wird z. B. (? 6) der Tourist erwahnt, den an bedeutenden Statten nur die Neugier plagt; und es wird ihm der Humanist gegenuibergestellt, dem so ein Besuch an den Wirkungsstatten ehrwuirdiger Geister den Willen erweckt oder befestigt, es jenen Alten selber gleichzutun; der genius loci gibt ihm gleichsam eine schopferische Kraft von eigentiimlicher Art.

In dieser vetus Graecia hat nun Cicero die Quelle aller humanitas gesehen, fur andere, fur sich selber und auch fur Rom. Das spricht er z. B. seinem Bruder gegenuber mit Nachdruck aus 2: cUm ... ei generi hominum praesimus, non modo in quo ipsa sit sed etiam a quo ad alios pervenisse putetur humanitas, certe iis eam potissimum tribuere debemus a quibus accepimus. - Das ist ein deutliches Selbst- bekenntnis; es ist zugleich eine Erkenntnis und eine Forderung, die Cicero ernst genommen hat, fur sich und fur Rom.

Das starke Erlebnis der vetus Graecia ist bei Cicero offensichtlich. Er hat es, und zwar schon fruh, gewiB aus den Buichern gewonnen, nicht minder aber auch aus dem Umgang mit bedeutenden Personlichkeiten der griechischen Welt. Ebenfalls schon in der Jugend hatte er es auBerdem selber erlebt, daB die griechische Geisteskultur auch Manner der romischen Nobilitat bestimmend gepragt hatte, ob sie das nun zugaben oder nicht. Die Namen dieser Manner sind bekannt, und diese wieder beriefen sich mit ihren Wertsetzungen auf einen Scipio oder Laelius: damit war die Empfehlung einer Aufnahme dergriechischen Geisteskultur in die Lebensform, die fur die r6mische Nobilitat galt, bereits vor Cicero fur die Hauptstadt - in welchen Abschattierungen auch immer legitimiert; insofern steht Cicero nicht an einem Anfang, und insofern ist seine fruhe, so fruchtbare und so folgenreiche Begegnung mit der griechischen Geisteskultur zugleich ein Bildungserlebnis und ein menschliches Urerlebnis gewesen. Cicero hat da die Geisteskultur der vetus Graecia als eine Kraft er- fahren, die vielleicht schlieBlich in einer ganz neuen Umwelt die Vollendung er- reichen konne und solle, womoglich in der Welt der Romer. Die Welt war darauf vorbereitet. Und gerade die Diskrepanz zwischen dem ewigen Hellas und der historischen Wirklichkeit der hellenistischen und seiner r6mischen Welt hat bei Cicero zu einer h6chst fruchtbaren Spannung gefuhrt.

Nun war aber die griechische Geisteskultur selber ein Gewachs mit tausend fruchtbaren Trieben. Wie hat Cicero ihre vielfaltigen Krafte in ihrer verschie- denen Bedeutung fur Rom und das Reich im einzelnen beurteilt? - Zum guten Teil mag die Tradition, in der er stand, die Ursache dafur gewesen sein, daB er

1 Ad Quint. fr. I, I, 27. 2 Ad Quint. fr. I, I, 27.

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sich den mannigfachen Anreizen in einer ganz unterschiedlichen Weise ge- 6ffnet hat. Sein Verhaltnis zur griechischen Plastik der klassischen Zeit war z. B. distanziert, obwohl er selber ein groBer Sammler gewesen ist. Die helle- nistische Dichtkunst ist ihm im Grunde nur ein GenuB in der Entspannung ge- wesen 1, mag er auch selber in dieser Weise als Dilettant gedichtet haben. Aus seinen spateren Lebensjahren ist der Ausspruch bezeugt2, er wuirde sich nicht die Zeit nehmen, die klassischen Lyriker zu lesen, auch wenn ihm die doppelte Spanne des Lebens beschieden ware. GroBe Partien aus dem Sophokles hat er selber iibersetzt, und es bleiben das doch alles nur bloBe Omamente seiner, der Ciceronischen Rede. Den Gedanken einer aesthetischen Erziehung des Menschengeschlechtes, sei es durch die bildende Kunst, die Dichtkunst, oder durch beides, hat er offenbar nicht gefaBt, als Kind eines anderen, festgefuigten Lebensbereiches, des r6mischen. Auch in der Musik hat er nicht, wie die Grie- chen, eine echte Bildungsmacht gesehen, auch nicht in den anderen freien Kuinsten, die er als artes minores bezeichnet; und doch waren das ja auch alles Kinder der vetus Graecia. Cicero gibt also den einzelnen artes einen ganz ver- schiedenen Wert; und es ist zu fragen, warum Cicero immer wieder Platon zum eigentlichen Meister, ja zum Gott 3 tiber dies ganze Reich des Geistes erklart.

Seit seiner friihen Jugend hatte Cicero einen festen Lebensplan gefaBt: er wollte, dem romischen Lebensbild entsprechend, den cursus honorum beschrei- ten, und zwar, als homo novus aus ritterlichem Stande, durch seine Rede aus- gewiesen. Dies Ziel stellte ihn von vorneherein vor die Aufgabe, sich in die griechische Literatur zu vertiefen, so besonders in die griechischen Leitfaden der Wohlredenheit und in die Klassiker der griechischen Prosa. In der Jugend ist ihm nun aber auch die griechische Philosophie zum Erlebnis geworden, und da hat er sich, was in Rom zur Zeit eines Marius oder Sulla durchaus nicht ge- wohnlich war, zu solchen griechischen Bildungsguitern offen bekannt, ohne seine r6mische Gesinnung dadurch im geringsten aufzugeben. Spater4 bekennt er: ))Damals - nach der Sullanischen Restitution - trat ich auch zum ersten Mal in privaten und offentlichen Prozessen auf, nicht, um auf dem Forum zu lernen, wie es allgemein uiblich war, sondern in der Zuversicht, daB ich voll ausgebildet mich aufs Forum begab, soweit es in meiner Macht stand - als ein vir doctus. # Cicero distanziert sich also von den reinen Praktikern; daB er statt dessen als ein bestimmendes Element dieser, seiner besonderen Ausbildung die griechische Philosophie betrachtet hat, das hat er oft gesagt, und man darf es ihm glauben. Dafuir nur ein sehr wichtiges Zeugnis 5: )Jch bin mir dessen bewuBt<(, so heiBt es da, ))daB man das, was ich sage, oft fur etwas ganz Neues halt, wahrend es in Wirklichkeit etwas Uraltes ist, den meisten freilich unvernommen; und ich bekenne, mein Rednertum, wenn es das ist, und seine besondere Farbung

1 So z. B. Pro Archia poeta I2. 2 Sen. Epist. 49, 5, wohl aus dem Hortensius. 3 Ad Att. 4, i6, 3: Deus ille noster. 4 Brut. 3II. 5 Orator I2.

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stammt nicht aus den Werkstatten der Rhetoren, sondern aus den Wandel- gangen der Akademie. Denn das sind die Laufbahnen vielfaltiger und viel- seitiger Gesprache, in denen zuerst die Spuren Platons abgedriuckt sind; von dessen Dialogen aber und denen anderer Philosophen hat von jeher der Redner die allergroBte Anregung und Hilfe erfahren. Jede Fulle und gleichsam die Materie der Rede stammt namlich von dort her. Nur ist sie fur die forensische Auswertung noch nicht in geeigneter Weise hergerichtet; den forensischen Betrieb iuberlieBen die akademischen Meister, nach ihren eigenen Worten, den bauerischen Musen.( - Cicero sagt das zurtickschauend; aber es gibt sichere Beweisgriinde daftir, daB er in der Tat die griechische Philosophie in der aka- demischen Auspragung schon in jungen Jahren in seinen Lebensplan aufge- nommen hat als eine, fur ihn selber jedenfalls, unentbehrliche Lebensmacht. Ja, er bekennt sogar im Brutus (? 306), zur Zeit der Marianischen Wirren sei er, wesentlich unter dem EinfluB des Philon von Larissa, also i. J. 88, geradezu an seinem ursprlnglichen Lebensplan irre geworden und habe sich mit beson- derer Inbrunst der Philosophie hingegeben. Da hat er also geschwankt, ob er sein weiteres Leben, wie geplant, nach der Art der R6mer oder nach den Empfehlungen der griechischen Philosophen einrichten solle. Nun, er hat sich dann doch fur die vita activa entschieden; aber zugleich war er seit seiner Jugend in der Stadt als Platoniker allgemein bekannt, und noch sein Bruder Quintus auBert anno 64 Beftirchtungen', daB seinem Bruder Marcus aus diesem Ruf bei seiner Bewerbung um das hochste Staatsamt Roms ein ziemlicher Schade er- wachsen konne.

Wie soll man sich ein so entschiedenes Bekenntnis zu Platon und der griechischen Philosophie, die an Platon anknupft, aus einer so anderen Lebens- ordnung heraus erklaren, wie es die der Romer damals war, und die auch Cicero durchaus bejahte? - Nach seinen eigenen Worten ist es nicht allein die dialek- tische Methode gewesen, nicht allein die Schulung in der genauen, stichhaltigen Analyse der Tatbestande, oder der Zwang zur Elastizitat des Denkens und des Argumentierens, die er der Philosophie, bes. der akademischen Philosophie verdankt hat, sondern noch mehr, wie er sagt: ))gewissermaBen die Materie der Rede<(. Damit will er ohne Zweifel zum Ausdruck bringen, er verdanke der Philosophie eine ganz besondere Substanz, die er sich von dorther angeeignet habe, und die er sich nur von dorther habe aneignen konnen; denn nur sie biete die wesentlichen Dinge dar, statt bloBer Kunst des Wortes: res, non verba - und man denkt an seine Lehre von der Thesis. Als Cicero demnach im Alter von fulnfundzwanzig Jahren, also verhaltnismaBig spat, zum ersten Mal offentlich als Anwalt auftrat, war er sich bewuBt, daB seine Rede von vorneherein eine andere Qualitat haben sollte als die Rede der bloBen Empiriker. Er fuhrt das zurulck auf sein Erlebnis Platons, aber er fugt hinzu: )>und anderer Philosophen#.

1 Comm. 46.

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Er meint damit wohl besonders den Aristoteles der exoterischen Schriften und spatere Gewahrsmanner. Platons Name aber ist in Ciceros Munde geradezu das Symbol fur die vetus Graecia, und man erfahrt, daB er die vetus Graecia gerade unter diesem Zeichen frilh erlebt hat als Entelechie, als ein Gewachs, das aus eigener Kraft der Vollendung entgegengewachsen sei, das Telos aber noch nicht erreicht habe. Damit ware der eigentliche Gegenstand erkannt, den Cicero vermitteln will: die griechische Geisteskultur, d. h. die vetus Graecia, zusammenfassend bezeichnet durch Platons Namen, in ihrer Eigenschaft als einer stets gegenwartigen, von Raum und Zeit unabhangigen, wesentlich- gestaltenden Macht der menschlichen Gesittung.

Dieser Gegenstand soll jetzt noch ein wenig genauer bestimmt werden.- Schon aus Ciceros Jugendschrift De Inventione laBt es sich ablesen, wie der R6mer M. Cicero sein Urteil fiber den besonderen Wert der philosophia ver- standen wissen will. Im Gegensatz zu den Lehren der griechischen Rhetoren und der Latini rhetores sucht er das Idealbild des Mannes zu sichern, der sowohl fiber eloquentia als auch fiber sapientia verfuigt, also das Leitbild des doctus, des sapiens orator. GewiB, so sagt er, sei Beherrschung der Redekunst und anderer Kuinste zu fordern, als Voraussetzung; aber das rechte Wort muisse aus der Mitte eines sittlich begrundeten und verfestigten Willens kommen. Der red- nerische Erfolg, den die Rhetorik anstrebe, habe seinen Wert nicht schlechthin, sondern lediglich als Erfolg eines vir bonus - und der alte schlichte Satz vom vir bonus dicendi peritus erfahrt schon hier in diesem Jugendwerk eine neue Erfuillung: Wohlredenheit sei gewiB die menschenwuirdigste aller Tatigkeiten, denn sie schaffe und trage die menschliche Kultur; aber nur, wenn sie im Dienste eines groBeren, absoluten Wertregulativs stehe: si moderatrix omnium rerum praesto est sapiential; denn nur die sapientia gebe dem Menschen als absolute Richtschnur die honestas2, und die allein habe zu bestimmen. Wer als geehrter Mann mit seinem Wort an die Offentlichkeit trete, der muisse der Ehre auch schlech+hin wuirdig sein. So ist schon in dieser Schrift Ciceros die Philosophie der Lehre vom Wort zu- und eingewachsen.

Diese Forderung der Einheit von eloquentia und sapientia war weder in der hellenistischen Rhetorik noch in der r6mischen Welt der achtziger Jahre v. Chr. eine Selbstverstandlichkeit, sondern sie hat ohne Zweifel viel Widerspruch und viel Spott erfahren. Cicero hat an ihr Zeit seines Lebens festgehalten und ihr etwa zwei bis drei Jahrzehnte spater, nach einer langen, erfiullten 6ffentlichen Tatigkeit in seinem Werk De Oratore das Leitbild des sapiens orator mit einer neuen Leuchtkraft geschaffen. Kein anderer als Petrarca hat bekannt, gerade dies Bild habe seine groBe Liebe zu Cicero recht eigentlich entfacht. Wieder beruft sich Cicero bei diesem Wertbild auf die vetus Graecia; denn, so hei3t es etwa De Orat. 3, 57: )>Einst waren die Lehrer der Lebenskunst und der

'De Inv. I, 4, 5. 2 De Inv. 2, 51, I56.

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Wohlredenheit eines. # Nach Ciceros Urteil nehmen demnach eloquentia und

sapientia im Kreis der freien Kiinste eine Sonderstellung ein. - Wie wird das nun begriindet?

Zu Ciceros Lebzeiten war der Kreis der freien Kiinste wahrscheinlich noch nicht so kanonisch festgelegt, wie das spater Varro in den Buichern seiner Disciplinae vorgenommen hat. Aber gewiB, so sollte man denken, bedurfte die Redekunst in Rom, wie das Leben dort zugeschnitten war, kaum einer eigenen Empfehlung. Durch den Mund des Antonius laBt uns Cicero nun wissen', was man in seiner Jugend, und ohne Zweifel auch spater, vom Redner in Rom wohl ziemlich ailgemein verlangte: er solle sich auf Worte verstehn, die beim Publi- kum Eingang finden, und auf Gedanken von zwingender tYberzeugungskraft in forensischen und allgemeinen Rechtssachen; hinzukommen solle noch Stimme, Auftreten und eine gewisse geistvolle Note. Und liest man den Abschnitt genauer, so erscheint hier der Redner in der ailgemeinen Auffassung, wie Anto- nius sie formuliert, schlieBlich als der Techniker, genauso, wie das die Meister der geringen Kiinste auch waren. Da nimmt nun Cicero eine entschlossene Um- wertung vor und tritt fur den Gedanken ein, eloquentia und sapientia unter- schieden sich qualitativ von den iibrigen freien Kiinsten: diesen, den geringeren artes komme nur propaedeutischer, jenen bildender Wert zu; denn die Rede- kunst, in ihrer erforderlichen Verbindung mit der Philosophie, bewirke eine Verwandlung des ganzen Menschen aus seiner Mitte heraus. Dies sei die hohe Schule der Lebenskunst und der Lebensbeherrschung. Die Philosophie gebe die bestimmenden Normen, und als die zentrale Tugend wird dabei die diligentia erkannt 2, in vollstandiger Umpragung der qite'steta der griechischen Theo- retiker: die diligentia bezieht sich auf die Anerkennung des geistigen Prinzips in seiner umfassenden Macht. Die Redekunst ihrerseits soll daftir sorgen, daB eben jenes geistige Prinzip immer wieder wirksam werden kann; sonst ware das ja ein Leerlauf.

Dies Ideal des sapiens orator tritt nun aber nicht allein dem griechischen System der freien Kiinste gegeniiber h6chst selbstbewuBt auf; es gebardet sich auch gegentiber den traditionellen Wertordnungen Roms sehr selbstandig, und dorthinein will es j a wirken; denn es verweist sehr anerkannte romische Lebens- formen, den iurisconsultus, den Anwalt u. a. m. entschieden in den zweiten Rang, sogar den Heerfiuhrer. Diese Wertsetzungen ergeben sich nicht aus Praemissen der griechischen Geistigkeit und nicht aus den Conventionen der romischen Adelsgesellschaft: hier urteilt ganz allein Marcus Tuilius Cicero.

Cicero setzt und begriindet diese Wertordnung in den Buchern De Oratore. Er tut es, wie er betont, als Platoniker, d. h. als ein Mittler zwischen der idealen vetus Graecia und dem Rom seiner Zeit. Nun kann man gewiB das geistige Gut einer fremden Welt vermitteln, indem man einfach tibersetzt - Cicero selber

1 De Orat. I, 2I3. 2 Bes. De Orat. 2, I47.

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hat das z. B. schon als Knabe durch seine Qbertragung des Xenophontischen Oeconomicus versucht; in dem Werk De Oratore geschieht die Vermittlung in einer vollkommen souveranen, der vetus Graecia seltsam kongenialen Weise. Denn hier wird ja z. B. kaum etwas Stoffliches aus Platon vermittelt; die Buicher De Oratore handeln von ganz anderen Dingen als etwa der Platonische Phaidros. Der Mittler ist vielmehr ein selbstandiger, schopferischer Geist, und es geht ihm selber, wie Platon ja auch, um eine Grundfrage, namlich die richtige Ordnung des menschlichen Lebens, nicht um eine technische Frage, etwa darum, wie man einen ProzeB gewinnen konne. Da wird denn den principes des romischen Staates von einem der Ihren mit ernsten Beweisgruinden und mit glanzender Redekraft etwas vor Augen gestellt, was sie noch nicht wuBten oder nicht zu- geben wollten, daB namlich das Leben nicht allein durch die praktische Er- fahrung zu meistern sei, sondern daB in der Tat die Durchdringung und, um- gekehrt, die Sinnbestimmung der Erfahrung durch den Geist eine unabdingbare Notwendigkeit ist, auch fur sie. Der Geist umfaBt dabei sowohl die praktische als auch die theoretische Vernunft.

Und was tut nun der Geist? Er schafft die Lebensordnung durch die Richt- schnur des Absoluten. Der sapiens orator wird folgerichtig bestimmt als der peryectus orator, dessen Gestalt es zu erkennen gilt, gleichgultig, ob es ihn in der Wirklichkeit irgendwo gibt. So gewinnt hier ein weiterer Gedanke Ausdruck und Gestalt, der den Romern der Zeit ziemlich neu sein muBte: gewiB solle das Streben auf Ruhm und Ehre gerichtet sein, dies Streben mulsse aber durch den Willen beherrscht werden, solcher Auszeichnungen auch wurdig zu sein in einem absolut gesetzten Sinne. So ware denn die h6chste Entfaltung der Person- lichkeit bedingt durch den normativen Wert des Absoluten, und, so verstanden, ware hier Cicero wiederum Platoniker, indem er vim, non verba Platonis ver- mittelt: hier wie dort ist der Geist als die konigliche Norm erfahren und erlebt. Der Ciceronische philosophus ist demnach hier nicht der Mann der freischweben- den Forschung, sondern der Bildhauer der menschlichen Personlichkeit, unter dem Gesetz der idealen Werte; fur Cicero selber als philosophus ist demnach die griechische Geisteskultur nicht allein ein Element und Ferment der Bildung gewesen - der Auffassung waren zu seiner Zeit in Rom auch viele andere Menschen -, sondern sie ist ihm auch ein notwendiges Element und Ferment der Bildung der mores gewesen, und das betrifft die zentrale Struktur der Per- s6nlichkeit. Ich denke, das geht sehr weit hinaus uber eine bloBe Gesinnungs- ethik, als deren illustren Vertreter man Cicero noch heute in weiten, sehr ernst zu nehmenden Kreisen der gebildeten Welt auffaBt.

Nicht anders stellt sich Ciceros Position dar in den Buchern De Re Publica, in dem Werk, das er am Vorabend des Burgerkrieges, kurz nach seiner Abreise nach Cilicien veroffentlicht hat, gewissermaBen als sein ideelles politisches Ver- machtnis, was er, der Exponent der romischen boni, uber die beste Staatsform denke, und uber den besten Staatsburger und Staatslenker. Die Richtschnur ist

Hermes 87,1 5

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auch hier das Absolute, und zwar wiederum nicht als Konstruktion des schwe- benden Gedankens, sondern dargestellt in konkret empfundenen Wirklich- keiten, die man in Rom begreifen konnte. Auch hier bekennt sich Cicero zur selbstandigen, schopferischen Imitatio Platonis.

Die beiden Werke sind keine Bekenntnisse zur vita contemplativa der Grie- chen; Cicero genieBt ja in seiner MuBezeit nicht nur die griechische Geistes- kultur, sondern er schreibt auch: und das ist doch gewiB ein Tun. - Aber fur wen schreibt er denn? Natuirlich fur alle, die den Wunsch haben, diese Schriften zu lesen, vornehmlich aber fur die heranwachsende Generation der r6mischen iuventus. Das bringt er oft zum Ausdruck; und wenn er einige seiner Bildungs- schriften auch hochverdienten Emeriti gewidmet hat, so meint er damit doch auch wieder die Jugend: die alteren Herren sollen ihrerseits auf die Jugend im Geiste der Ciceronianischen philosophia einwirken. Recht genau wird der Leserkreis, auf den Cicero einwirken will, etwa De Div. 2, 4 durch die folgenden Satze bestimmt: )>Welch eine gr6Bere oder bessere Tat k6nnte ich fur unser Staatswesen vollbringen als Lehre und Bildung der Jugend? Besonders beim gegenwartigen Zustand der Gesittung und der Zeitlaufte, da die Republik der- maBen zu Boden gefallen ist, daB ein jeder sie nach seinen Kraften zuigeln und zur Ordnung bringen muB ! Allerdings, davon bin ich uiberzeugt, ein Erfolg von der Art, daB die gesamte Jugend sich einem solchen Bildungswerk hingebe, der laBt sich nicht erreichen, ja, noch nicht einmal verlangen: wenn es nur wenige sind - utinam pauci! - doch solche, deren Wirken kuinftig im Staate breit in Erscheinung treten kann.<< Cicero spricht also vorzugsweise zu einer Elite der heranwachsenden Generation, die er sich wuinscht, zu jungen Menschen, die nicht allein eruditi sind, sondern die obendrein fiber einen animus excellens ver- ftigen, der sich weiter durch die Philosophie #erheben4 sollel. - Es sind dies also junge Menschen besonderer Art, welche die Lebenswerte der Philosophie, die selbstverstandlich zuerst theoretisch besprochen und begriffen sein muissen, f uir sich in Lebensmachte verwandeln, und die dann, selber dadurch verwandelt, weiterschreiten zum eigenen Tun, im hochsten Falle zum Tun als principes civitatis.

Hier zeigt sich wieder die besondere Weise, wie Griechisches in R6misches eingeschmolzen werden soll. Cicero wuinscht sich die kuinftige Generation, die Roms Geschicke lenken moge, so: an der griechischen Kultur soll sie sich ge- bildet haben, nicht genieBerisch oder dilettantisch, sondern sehr ernstlich. Vor allem: ihre Personlichkeit soll durch die echte Aneignung der griechischen Geisteskultur gefestigt sein, die mores durch das Absolute. Ciceros Meinung ist es ja, das Kennzeichen der gegenwartigen Generation sei Direktionslosigkeit, ein Mangel an ordnenden Lebensnormen, wie die Welt der romischen Voreltern

I Auf diese Stufung fuhrt z. B. Hort. Frg. 62 (M.): nihil tamen esse, in quo se animus excellens tollere [possit], wahrscheinlich aus einer Kritik an einer der artes durch einen der Mitunterredner, im Gegensatz zur philosophia.

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sie gehabt habe. Da solle nun durch die nachste Generation die virtus, durch die Rom einst groB geworden ist, ihre neue Erfiullung erfahren durch die Aneignung der vetus Graecia, und Cicero bietet seine Hilfe als Mittler.

Deutlich entsprechen sich hier zwei Wertwelten: hier die vetus Graecia, dort der mos maiorum. Beide Termini sind nicht historisch, sondern idealisch zu ver- stehn, und es ist evident, was Cicero als den Kern seiner selbstgewahlten Auf- gabe als Mittler angesehen hat: er will so den Romergeist als Idee (mos maiorum) durch die Vermittlung von Hellas als Idee (vetus Graecia) mitsamt den guten, unerh6rt reichen Frtichten, die dies Gewachs im Laufe der Jahrhunderte hervor- gebracht hat, fuir die Zukunft Roms und seines Reiches neu beleben. Den Mos Maiorum hat er genauso als eine Entelechie empfunden wie die Vetus Graecia.

Ist dies erkannt, dann erscheint auch der Zeitpunkt, an dem sich Cicero der bildenden Schriftstellerei zugewandt hat, in einer eigenen Bedeutsamkeit. Im wesentlichen handelt es sich ja um zwei Epochen, um die Jahre zwischen 56 und 5I, und um die wenigen, so reich erfiilten Monate von 46 ab. - Noch am Ende seines Consulatsjahres, im Dezember 63, hatte Cicero in der Rede fur L. Murena zum Ausdruck gebracht, daB er die pers6nlichkeitsbildende Kraft der Philo- sophie, und zwar in der akademischen Auspragung, an sich selber zwar erlebt habe, daB er aber die tatsachliche Orientierung des Lebens eines r6mischen Staatsmannes etwa nach den Lehren der Stoischen Philosophie nicht billigen konne, und er neckt den M. Cato deswegen in einer entwaffnenden Weise, wie das eben nur ein Cicero kann 1. Die Beschaftigung mit der griechischen Geistes- kultur erklart er in diesem Zusammenhang, etwas zugespitzt, im Grunde fur eine libera delectatio, der sich ein romischer Politiker allerdings in seinem Otium hingeben moge und solle. Die allgemeine Forderung aber, daB durch die Philo- sophie die ganze Pers6nlichkeit eines solchen Mannes verwandelt werden musse, die hat er damals, im Jahre 63, noch nicht ausgesprochen.

Acht Jahre spater schickt Cicero die Biucher De Oratore in die Offentlichkeit, in denen er das Idealbild des doctus, sapiens, per/ectus orator entwirft; und er sagt in dem pers6nlichen Vorwort sehr eindringlich zu seinem Bruderl: )>Wir wollen unsere Kinder und alle ubrigen Menschen, deren Ruhm und Ehre uns am Herzen liegt, dazu anhalten, daB sie die GroBe des Gegenstandes voll mit ihrem Geiste begreifen und in sich aufnehmen.a Dies Urteil kommt aus einer anderen Tiefenschicht. Hier ist philosophia begriffen, nicht mehr und nicht nur, als eine bildende Kraft, sondern vielmehr als eine personlichkeitsformende Kraft, j'a, als die schlechthin entscheidende pers6nlichkeitspragende Macht.

Was ist in dieser Zeitspanne zwischen 63 und 55 vorgefallen? Im Jahre 63 hatten, durch Cicero, die boni schlieBlich triumphiert. Dann hatte es Cicero erlebt, daB er, der den romischen Staat allein durch sein Wort und durch sein Pflichtgeftihl als romischer Konsul gerettet hatte, daB er, der pater patriae, der

1 Mur. 6o f. 2 De Orat. I, I9.

5*

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Anftihrer aller boni, die Hauptstadt und das Land Italien schimpflich hatte ver- lassen miissen; daB die boni nicht stark genug gewesen waren, ihren optimus civis zu schuitzen; daB viele noch nicht einmal den Willen dazu bewiesen hatten. Da hat er erfahren, daB mit dem traditionellen Begriff der boni etwas nicht stimmen k6nne, daB also der Gedanke der boni eine neue Bestimmung erfahren miusse. Da er sich selber als den optimus civis ansah, wird er an eine Neuerftillung durch die Werte gedacht haben, denen seine eigene Pers6nlichkeit ihr eigent- liches Ethos verdankte, das j a sehr wesentlich zwar, aber durchaus nicht allein, durch die Tradition des Mos Maiorum gepragt war. Er hat, als Idealist, an Ge- stalten der gesiinderen Welt der romischen Vorzeit gedacht; und er hat gesehen, daB die tatsachliche Gegenwart in der Hauptstadt der Welt sich damals solchem idealen Bild der r6mischen maiores offenbar nicht mehr fuigen wollte. Da hat er sich gefragt: Was tut der res publica populi Romani not? Was tut ihr jetzt not? Und, wie so oft bei Cicero, folgt aus dem aktuellen AnlaB das uiberzeitliche Ergebnis und Ereignis.

Ciceros Versuch einer Neuerfiullung des Begriffs der boni in der Sestiana vom Jahre 56, also ein Jahr vor der Publikation der Buicher De Oratore, ist bekannt 1; es ist auch bekannt, daB Cicero diese Rede nicht zuletzt als einen Appell zur Neuerweckung der romischen Staatsgesinnung an die Jugend publiziert hat 2.

Offenbar zeichnet sich hier ein wichtiger Abschnitt von Ciceros innerer Bio- graphie ab, und man sollte die programmatischen Absatze der Sestiana mit den Bildungsschriften der ersten Epoche, der Jahre bis 5I, zusammensehen.

Und wie ist die Lage, als Cicero, zehn Jahre nachderSestiana, schlieBlich den Plan einer Gesamtdarstellung der griechischen Philosophie in lateinischer Kunstprosa faBt? Wieder waren ja die boni iuberwunden, und ein einziger Mann beherrschte den romischen Staat, der schon darum in Ciceros Augen damals kein Rechtsstaat mehr war. Ciceros Urteile uiber Caesars Alleinherrschaft sind bekannt; er verzweifelte an der Gegenwart, aber das schlieBt seinen Glauben an die Roma A eterna in gar keiner Weise aus, namlich die GewiBheit, auch diese schmahliche Epoche der Unfreiheit werde und musse vorubergehn. So wollte denn Cicero gerade damals der Zukunft die Lebensnormen vermitteln, die er fur die besten hielt, auf Grund seiner eigenen Erfahrungen und Erlebnisse: Ver- nunft solle sich gegeniuber der prava consuetudo durchsetzen. Dies laut zu fordern, hielt er fur seine eigenste Pflicht als romischer Burger und erst recht als Consular, fur etwas, das er seiner pers6nlichen Ehre im hochsten MaBe schuldig war, ernsthafteste Lebenserfilllung fur ihn selber, durchaus kein Ausweichen; und da wird er nicht mUde, immer wieder einzupragen, wie ganz unerlaBlich gerade fur den romischen princeps civitatis der Zukunft die Aneignung der Philosophie sei, die Orientierung des Handelns am Absolut-Rechten. - Fur die besondere Beschaffenheit der Pers6nlichkeit, wie Cicero sie sich da wiunscht, ist

I Bes. ?? 96ff. 2 Bes. ? I36.

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nun die tYberzeugung bedeutungsvoll, die Eroberungszeit des romischen Reiches sei, eigentlich seit den Tagen des jtingeren Scipio, erst recht jetzt, durchaus voriuber, und ernsthafte Gefahr von auBen bestehe nicht mehr. Drum komme es unter diesen Umstanden allein darauf an, das Weltreich richtig zu regieren, auf daB in der Oekumene otium cum dignitate herrsche, Friede und gesittete Kultur. Die Regierung des Reiches mtisse indes als eine sittliche Aufgabe begriffen wer- den, die gerade von den Regierenden selber die groBte Zucht verlange; als solche miisse sie bejaht und durch das Tun bewiesen werden. Das k6nne abernur aus der Mitte der absolut gefestigten Personlichkeit heraus geschehen. Es ktindigt sich hier sogar schon die Entdeckung des Gewissens an, als eines Ordnungsprinzips des menschlichen Handelns. Denn wie sollte man sonst das Reich, bei uneingeschrankter Machtfille, gerecht verwalten?

Sehr eindringlich wirbt nun Cicero in seiner letzten Schaffensperiode, unter Caesars Alleinherrschaft, in seinen Schriften, aber auch durchs gesprochene Wort darum, vor allem die philosophia, so verstanden, als die am starksten formende Kraft der Personlichkeit ernst zu nehmen, als ars virtutis. Dabei ist virtus keineswegs eine Lehniibersetzung der griechischen Jdemr, sondern es ist die romische virtus, der Btirgergeist, mit neuem Leben freilich erfillt durch das Elixier der adeEr, wie die Griechen diese bestimmt hatten; und das war viel mehr als der bequeme mos maiorum: die virtus der ilteren romischen Pragung war ein verlierbares Gut - man denke nur an Sallusts Bild des Metellus oder des Sulla; Cicero will die virtus zu einem unverlierbaren Gut umpragen.

Wie war nun im Kreis der romischen Nobilitat der Boden fur die Aufnahme solcher Lehren vorbereitet? - Es fehlte da nicht an Mannern, die unter Caesars Regiment litten, weil es in ihren Augen einer Versklavung des romischen Frei- staates gleichkam. Es fehlte auch nicht an gebildeten Leuten, denen die grie- chische Geisteskultur wirklich etwas bedeutete. Manch einem war sie eine Ab- lenkung vom Ungliuck der Gegenwart, ein Trost; aber als tatsachliche Gesetz- geberin des Lebens nahmen sie die Philosophie im Grunde nicht ernst, und darum erhoben sie Einwendungen gegen Ciceros philosophische Schriftstellerei in lateinischer Sprache. Cicero spricht von diesen Mannern mit groBer Hoch- achtung, ja, er wirbt um sie.

Ein wichtiges Zeugnis daftir ist das Vorwort zum ersten Buch De Finibus, das Cicero nach der Werbeschrift des Hortensius und nach den erkenntnis- theoretischen akademischen Biichern im Sommer 45, also noch zu Caesars Lebzeiten, der Offentlichkeit iubergeben hat. Da rechtfertigt er sein Tun, die sch6pferische Vermittlung der griechischen Philosophie in lateinischer Kunst- sprache, gegen vier Einwande; und alles ist zugeschnitten auf die Kreise der r6mischen Nobilitat, an die Cicero sich wendet, die er ernst nimmt und von denen sein eigenes Werk ernst genonunen zu werden wuinscht.

Die ersten sagen: man solle sich uiberhaupt nicht um die Philosophie kiim- mern, totum hoc displicet philosophari. Es sind das keineswegs Banausen, es sind

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veritable Herren, und Cicero nennt sie: non admodum indocti. Das konnten Manner sein, die der Auffassung sind, philosophari als Lebensinhalt, das sei Sache der muil3igen Griechlein, es zieme sich nicht fur einen romischen Consular. Wolle ein solcher schreiben, dann solle er Gegenstande behandeln, die in un- mittelbarer Beziehung zu Rom stuinden. Es konnten auch Leute wie Hortensius sein, die allein dem praktischen Leben dienten und nur dortihreErfolgesuchten, sich sonst aber dem gepflegten GenuB widmeten, auch dem GenuB der griechi- schen Kultur, ohne das weiter fur sich zu aktivieren.

Die zweite Gruppe der Kritiker lehnt die Beschaftigung mit der griechischen Philosophie nicht schlechthin ab; aber sie sagen, das solle man doch nur neben- bei treiben. Sie nehmen also die Philosophie auch nicht recht ernst, und das war in Ciceros Tagen wohl eine ziemlich groBe Gruppe in Rom.

Der dritte Kreis teilt die Vberzeugungen, wie sie etwa der Polyhistor Varro damals vertreten hat. Es sind das gelehrte Herren, die in der griechischen Lite- ratur, auch in der philosophischen Literatur, grtindlich belesen sind, die aber die Vermittlung in lateinischer Sprache miBachten. Nach ihrem Wunsch sollte die griechische Geisteskultur ihre bildende Kraft nur bei den wenigen Menschen beweisen, die solche schwierigen Bticher auch im Urtext lasen; und sie ver- kennen, daB Ciceros Wille erheblich weiter ging. Ihm schwebte ja die Bildung der juingeren Generation in einer viel groBeren Breite vor.

SchlieBlich die vierte Gruppe: dies sind Manner, die grundsatzlich Ciceros Unternehmen nicht gerade miBbilligen, die aber Bedenken hegen gegen das AugenmaB. Ein Mann vom Zuschnitt und von den Verdiensten eines Cicero, so sagen sie, sei seiner Vergangenheit, also seiner dignitas, sehr viel GroBeres schuldig als gerade solche philosophischen Schriften. Sie werden gesagt haben, wie Atticus im Vorwort zu De Legibus, er m6ge doch lieber ein historisches Werk schreiben oder ein Werk ubers Zivilrecht, fiber Rechtstheorie u. a. m., und man erfahrt, daB auch diese Herren in Ciceros allernachster Umgebung zu finden sind.

Cicero ist um seine Rechtfertigung nicht verlegen, und sie ist ja allbekannt und wohl verstandlich. Sein Gegenstand, so betont er immer wieder, sei von hdchstem Adel, ein pulcherrimum, etwas Ideales. Es gehe um die sapientia, die virtus, die vita beata, also um Grundwerte des Menschen und seiner Gesittung; anders ausgedrtickt: um die Ordnung des Lebens durchs geistige Prinzip. Darum muisse man die philosophia absolut ernst nehmen; und schon die cultura animi erweise, daB man die Philosophie gar nicht uiberfordern k6nne'. Der Einwand gegen die Darstellung in lateinischer Sprache in solcher Vollkommenheit, daB sie dem Gegenstand entsprache, der sei bloB ein Zeugnis von Gleichgiiltigkeit oder Snobismus - aut inertissimae segnitiae est aut fastidii delicatissimi: sonst duirfe man auch die altlateinischen Dramen nicht gelten lassen. Offenbar ist

I Bes. TusC. 2, 13.

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dieser Satz im besonderen gegen Varro gerichtet, und, ich denke, er ist gut gezielt.

Den Einwand, man soile wohl philosophieren, aber ein romischer Grand- seigneur soile das nur mit MaBen tun, bespricht Cicero an einer anderen Stelle genau 1. Da sagt er, fur den, welcher die griechische Philosophie literarisch ver- mitteln wolle, sei moglichst ihre Gesamtbeherrschung notig; anders ist ja auch ein kritisches Gesamtreferat mit der gehorigen Substanz gar nicht moglich. Fur den Leser dagegen genuige eine weniger universale Beschaftigung mit der Philosophie; er konne sich an die Buicher seines Mittlers halten, auf dessen Autoritat er vertraue. Das reiche; denn ein Mensch, der in die Sonne geht, der wird schon braun, ob es nun seine Absicht ist, sich zu braunen, oder ob er das nicht vorhat2. Und damit steht man vor der Frage, wie man Ciceros philo- sophische Schriften als ein Tun begreifen soll, das er selber als eine ernste Pflicht empfunden hat, als die eigenste Pflicht gerade eines Cicero, die ihm kein anderer Mensch der Zeit hatte abnehmen k6nnen, all seiner Leidenschaft zum Trotz, die ihn immer wieder in den romischen Staat getrieben hat.

In dem zuruickschauenden Vorwort zu De Div. 2 sagt er u. a. von seinen bildenden Schriften: in libris ... sententiam dicebamus, contionabamur. - Sententiam dicere: das ist die Tatigkeit des Richters und des r6mischen Sena- tors, ein Grundbegriff, auf dem die Wuirde des hochgesteilten r6mischen Burgers beruht. Cicero sagt damit, daB er in seinen philosophischen Schriften sich und anderen einen unangreifbaren Bereich der Freiheit geschaffen hat, in dem das Recht des freien Urteilens, der libertas, lebendig bleibt und immer bleiben wird, ungeachtet der Unterdruickung durch die Politiker des Tages. Sententiam dicere: das ist in diesem Zusammenhang die Tatigkeit, im Kreise von Sachverstandigen das eigene begrundete Urteil frei vorzutragen.

AuB3erdem sagt er: contionabamur. Contionari: das ist die Tatigkeit des Mannes, der einer groM3eren Horerschaft einen Tatbestand klar und einleuch- tend vortragen und empfehlen will, mit Grunden, mit packenden Worten und mit seiner eigenen Autoritat. Dies ist also dazu angetan, auch einem groBeren Kreise von minder Sachverstandigen das richtige Urteil zu ermdglichen, und auch hier ist die Freiheit gewahrt. Bei diesem Wirken ist nun Cicero, der Mann der r6mischen Wirklichkeit, ganz eines mit Cicero, dem Anhanger der skepti- schen Akademie der Griechen; denn gerade in den philosophischen Btichern werden Materialien und Urteile vorgetragen, die der Autor selber in gar keiner Weise billigt, die der Mensch aber kennen muB, wenn er sich ein eigenes Urteil bilden will, und darauf kommt es Cicero vor allem an. Allerdings wird der Mann, der sich als Sprecher in einer solchen contio betrachtet, auf alles verzichten, was er, nach genauer Vberlegung und Wahl, fur uberflussig halt. Aber das Urteil soll sich der Leser selber bilden, in der aufrechten Auseinandersetzung mit den

1 Tusc. 2 pr. 2 De Orat. 2, 66.

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Griinden und dem geistigen Gewicht eines bedeutenden Mannes: Cicero will, daB sein Leser sich selber anstrengt.

Nach dieser sei auf Ciceros SelbstauBerung Tusc. i,6 verwiesen: sed tuemur ea quae dicta sunt ab eis quos probamus. Auch dieser Satz ist dem r6mischen Ohre verstandlich. Tueri: das geht, wie Cicero eigens betont, uiber das bloBe inter- pretari hinaus. Tueri: das ist ja die Tatigkeit des Vormundes, des Rechts- beistandes, des patronus; und zu seinem Werk gehort weit mehr als die reine Argumentation. Der Tutor muB vielmehr fur seinen Schuitzling eintreten mit allen rechten Mitteln, nicht allein mit Beweisgruinden, sondern auch mit seiner Redekunst, mit seiner auctoritas, mit seiner ganzen Person; denn er fiuhlt sich durch pietas und of/icium gebunden. Diese innere Verpflichtung, die in ihrer besonderen Auspragung ganz und gar zum Leben der romischen Notablen gehorte, hat Cicero also gegeniuber der griechischen Philosophie empfunden; und uiber dies besondere Ethos kann wohl kaum ein doctor umbraticus verfiugen, der sich einzig aus griechischen Biichern belehrt, im h6chsten MaBe dagegen ein verdienter r6mischer Consular. Und schlieBlich sei noch ein viertes Moment erwahnt, das Ciceros innere Haltung bei seinem Vermittlungswerk bestimmt: er ftihlt sich auch als ein Censor auf dem Gebiete des Geistes.

All das gibt der besonderen Art von Ciceros Philosophieren ihre eigentulm- liche Farbe. Man k6nnte sich nun dem besonderen Stil dieses Vermittlungs- werkes zuwenden. Dabei sollte man die Kraft der Gedankenfulhrung und das Ethos des Vortrages zusammensehen mit der Macht des Wortes. Man konnte dariuber handeln, wie Cicero darum wirbt, daB die Wiirde der Philosophie in Rom anerkannt werde, daB Rom die Philosophie nicht allein ergreifen, sondern auch festhalten und weiterpflegen solle; man k6nnte dartun, wie Cicero sich bemiiht, das SelbstbewuBtsein seiner Landsleute auch auf dem Gebiete des Geistes nachdriicklich zu starken, indem er z. B., in den Spuren Platons, betont, daB sie das alles ja auch wirklich konnten, wenn sie nur wollten, wahrscheinlich besser als die griechischen Lehrmeister, bei denen sich nachgerade eine Er- schlaffung zeige1; daB die r6mische Tradition dem philosophischen Wert- denken durchaus nicht feindlich sei, die Beschaftigung damit, das philosophari, also auch gerade dem princeps civitatis angemessen sei - und so k6nnten die Gedanken weitergehn.

Um weiter vom Stofflichen zu schweigen, das in so groBer Fuille und doch in wohlbedachter Beschrankung vermittelt wird, von der Zucht der Gedanken- fuihrung, von der Redlichkeit in der Abgrenzung der spezifisch-philosophischen Erkenntnism6glichkeiten - etwa gegen den Glauben: so tretendieDarstellungs- mittel des groBen Sprachktinstlers hinzu, durch welche sein Vermittlungswerk erst eigentlich zur lebendigen Aktion kommt. Es ware vom ciceronischen Dialog

1 Das ist m. E. z. B. die innerste Absicht der adhortativen Vorreden zum ersten und zweiten Buch der Tusculanen.

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zu sprechen, einer literarischen Form, die selber ja durch Cicero in hochst souveraner Weise vermnittelt wird; fiber den senatorischen Rahmen der Dialoge und ihren geistigen Adel; fiber die Wahl und Funktion der Dialogteilnehmer im einzelnen Fall und fiber ihre besondere Charakteristik, fiber ihre besondere auctoritas, sei es im politischen oder im geistigen Leben Roms; fiber die Anmut und den sehr verschiedenen Ductus der Gesprache und fiber die Vielfalt der T6ne: da wird argumentiert, es werden werbende Beispiele, witzige Anekdoten, Dichterzitate beigebracht; Spott, Ironie, Sarkasmus werden ffir und wider die Sache ins Spiel gesetzt, ohne daB sich die Menschen deswegen bei sachlichen Differenzen entfremden. Prachtvolle Aufrufe begegnen, hinreiBende perora- tiones, gedankenreiche Prooemien, alles freie Schopfungen Ciceros. Von seinen Bekenntnissen ware zu sprechen, von Selbstidentifikationen des leidenschaft- lichen Mannes mit groBen Personlichkeiten der Vorzeit, von seinem lebhaften, scharfaugigen kritischen Sinn und, nicht zuletzt, von seinem bestuirzenden Realismus. Man sollte, bei diesem Mittler, auch nicht die Verdienste um die Sch6pfung einer lateinischen philosophischen Fachsprache vergessen, eine ganz ungemeine Leistung; und endlich ist die Muihelosigkeit der grol3ten Bewunde- rung wuirdig, mit der Cicero sich dieser neuen Fachsprache bedient, als ob das alles ganz leicht ware.

Nicht zuletzt durch die Art und Weise, wie Cicero seine Vermittlung vor- nimmt, glaubt er, eine Verpflanzung der vetus Graecia in die romische Welt be- wirkt zu haben: hier moge die Entelechie ihr Telos erreichen. Er stellt das z. B. Tusc. 2, 5 als eine m6gliche Leistung der R6mer hin; aber in Wirklichkeit ist die wirkungsvolle Vermittlung Ciceros eigene, ganz pers6nliche Leistung gewesen, zu der damals in Rom kein anderer Mensch fahig war. Es scheint, als ob er selber im Grunde davon uiberzeugt gewesen ist; denn er schreibt einmal an Atticus (I3, 13, i), in seiner Darstellung der Erkenntnistheorie hoffe er, die griechischen Fachschriftsteller uibertroffen zu haben. Und weiter spricht er die Hoffnung aus, daB3 dieser Baum der Philosophie in der Geisteswelt Roms weiterwachse, in stetig eigener Wert- und Wahrheitsentscheidung, in einer selectio perpetua. Da hat also Cicero an die Zukunft einer lateinischen Philo- sophie gedacht, und der Mittler wird zum Wegbereiter.

Unter diesem Gesichtspunkt sei schlieBlich noch an eine Tatsache erinnert: sehr oft entlaBt Cicero den Leser seiner philosophischen Schriften mit einem Non liquet, nicht mit einer dogmatischen Entscheidung; und er sagt es immer wieder, daB weiterer Widerspruch ihm nur willkommen sei, auf daB eine eigene philosophische Literatur in kunstreicher lateinischer Sprache erwachse, wie es ja auch geschehen ist. Die Ehrfurcht vor dem lebendigen Denken ist also all- uiberall bei Cicero groBer gewesen als die Freude am gewonnenen Resultat. Und dieser Anstand, diese selbstsichere Toleranz, dieser Abscheu vor jeglicher dogmatisch-gebundenen Rechthaberei, diese Bereitschaft, andere anzuhoren, die etwas zu sagen haben und die selber etwas sind: dies ist vielleicht das

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Sch6nste, das nach der Lektuire von Ciceros philosophischen Bulchern bleibt.

Durchs Gesprach wird das Geistige gegenwartig, manifest; es wird als das Ernstlichste und Notwendigste zum BewuBtsein gebracht, in einigen Teilen sogar enthiuit. Die Bemiihung darum ist schwer; aber die gemeinsame Be- miihung darum schafft unter denen, die es ernst nehmen, eine Verbundenheit: der Wettstreit der Geister erzeugt und befestigt ein Humanum. Die Wett- kampfer selber werden durch die gemeinsame Teilhabe an solch hohem Gut eine Runde, und sie gehn, durch das Gesprach der Sache gewiB, gewissermaBen verwandelt, an die Arbeit des Tages. - Ist Cicero, der Mittler, nicht auch, wenn man es so betrachtet, ein echter homo Platonicus?

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