carlo ventre + barbara röder @incantina

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75 9+10. 2010 orpheus Journal Carlo Ventre Ich liebe die dunklen, seelentiefen Charaktere... Barbara Röder traf den sympathischen Tenor in der von Künstlern beliebten italienischen Weinbar „Incantina“ in der Nähe des Frankfurter Opernhauses Wann spürten Sie, dass Sie das Talent, die Begabung zum Singen besitzen? Ich entdeckte schon sehr früh meine Liebe zur Musik. Als Kind sang ich begeistert in meiner Heimatstadt Montevideo in der Kirche, und nach meinem Stimmbruch (ich hatte ihn mit 12 Jahren) war ich dann mit einer Tenorstimme ausgestattet. Per Zufall hörte mich eine Dame, die am Teatro del Sobre (dem Staatsthe- ater von Montevideo) arbeitete. Sie hat praktisch mein Talent entdeckt. Sie empfahl mir, nein, sagte mir, ich solle mit solch einer Stimme unbedingt studieren. Also habe ich sehr früh, schon mit 14 Jahren, meine Stimme aus- bilden lassen. Gut in Erinnerung ist mir noch die Carmina burana. Mit 20 Es war soweit: Der lebensfrohe italienische Tenor Carlo Ventre (geboren wurde er übrigens in Uruguay) sang wieder in der Oper Frankfurt. In diesem Jahr gab er Verdis Don Carlo. Nach seiner ful- minanten Interpretation des San-Lui in Franco Leonis L’Oracolo und dem Roberto in Puccinis Erstlingswerk Le Villi, zwei selten aufgeführte Einakter, die im November 2009 Premiere hatten, versprach Carlo Ventre für die Leser des orpheus für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Jahren gewann ich dann beim berühmten Gesangswettbewerb„Concurso Francisco Viñas“ in Barcelona den Gino Bechi Preis. Mit welchen Arien? „Amarilli, mia bella...“ von Giulio Caccini, glaube ich. Das ist eine sehr schöne alte italienische Canzonietta und natürlich „La Donna e mobile“. Mit dem Rigoletto-Duca hatte ich ein wenig später (1994) dann auch mein Rollen- debüt an der Mailänder Scala, Ricardo Muti dirigierte. Der gefeierte Bariton Gino Bechi saß übrigens in der Jury des Concurso in Barcelona. Bei ihm, das war ein Glücksfall, habe ich in Florenz studieren können. In Mailand war ich bei der Opernlegende Magda Olivero. Danach wagte ich den Sprung über den Großen Teich. Meine Studien konnte ich dann bei Armand Boyajian in New York fortsetzen. New York faszinierte mich. Es ist eine gigantische Kulturmetropole, ein fantastischer Melting pot, der mit der Met eine enorme Operngeschichte beheimatet und repräsentiert. Nach diesem Preis in Barcelona war für mich klar, dass ich aus Uruguay eines Tages weg muss, das sagte ich auch meinem Vater. In Uruguay gab es für mich keinerlei Entwicklungschancen, keine Opern, nichts. Das war eine sehr schwierige Zeit. Innerhalb eines Monats habe ich mir mein Flugticket verdient und bin dann nach Florenz gegangen. Au- als Riccardo in Oberto conte di S. Bonifacio in Bilbao; oben als Andrea Chénier am Liceu in Barcelona (Fotos CV) daneben beim Interview in der italienischen Weinbar (Foto Röder)

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Barbara Röder traf den sympathischen Tenor in der von Künstlern beliebten italienischen Vinothek Incantina in der Nähe des Frankfurter Opernhauses

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Page 1: Carlo Ventre + Barbara Röder @Incantina

759+10. 2010 orpheus Journal

Carlo VentreIch liebe die dunklen,

seelentiefen Charaktere...

Barbara Röder traf den sympathischen Tenor in der von Künstlern beliebten italienischen Weinbar

„Incantina“ in der Nähe des Frankfurter Opernhauses

Wann spürten Sie, dass Sie das Talent, die Begabung zum Singen besitzen?Ich entdeckte schon sehr früh meine Liebe zur Musik. Als Kind sang ich begeistert in meiner Heimatstadt Montevideo in der Kirche, und nach meinem Stimmbruch (ich hatte ihn mit 12 Jahren) war ich dann mit einer Tenorstimme ausgestattet.Per Zufall hörte mich eine Dame, die am Teatro del Sobre (dem Staatsthe-ater von Montevideo) arbeitete. Sie hat praktisch mein Talent entdeckt. Sie empfahl mir, nein, sagte mir, ich solle mit solch einer Stimme unbedingt studieren. Also habe ich sehr früh, schon mit 14 Jahren, meine Stimme aus-bilden lassen. Gut in Erinnerung ist mir noch die Carmina burana. Mit 20

Es war soweit: Der lebensfrohe italienische Tenor Carlo Ventre (geboren wurde er übrigens in Uruguay) sang wieder in der Oper Frankfurt. In diesem Jahr gab er Verdis Don Carlo. Nach seiner ful-minanten Interpretation des San-Lui in Franco Leonis L’Oracolo und dem Roberto in Puccinis Erstlingswerk Le Villi, zwei selten aufgeführte Einakter, die im November 2009 Premiere hatten, versprach Carlo Ventre für die Leser des orpheus für ein Interview zur Verfügung zu stehen.

Jahren gewann ich dann beim berühmten Gesangswettbewerb „Concurso Francisco Viñas“ in Barcelona den Gino Bechi Preis.

Mit welchen Arien? „Amarilli, mia bella...“ von Giulio Caccini, glaube ich. Das ist eine sehr schöne alte italienische Canzonietta und natürlich „La Donna e mobile“. Mit dem Rigoletto-Duca hatte ich ein wenig später (1994) dann auch mein Rollen-debüt an der Mailänder Scala, Ricardo Muti dirigierte. Der gefeierte Bariton Gino Bechi saß übrigens in der Jury des Concurso in Barcelona. Bei ihm, das war ein Glücksfall, habe ich in Florenz studieren können. In Mailand war ich bei der Opernlegende Magda Olivero. Danach wagte ich den Sprung über den Großen Teich. Meine Studien konnte ich dann bei Armand Boyajian in New York fortsetzen. New York faszinierte mich. Es ist eine gigantische Kulturmetropole, ein fantastischer Melting pot, der mit der Met eine enorme Operngeschichte beheimatet und repräsentiert.Nach diesem Preis in Barcelona war für mich klar, dass ich aus Uruguay eines Tages weg muss, das sagte ich auch meinem Vater.In Uruguay gab es für mich keinerlei Entwicklungschancen, keine Opern, nichts. Das war eine sehr schwierige Zeit. Innerhalb eines Monats habe ich mir mein Flugticket verdient und bin dann nach Florenz gegangen. Au-

als Riccardo in Oberto conte di S. Bonifacio in Bilbao;oben als Andrea Chénier am Liceu in Barcelona (Fotos CV) daneben beim Interview in der italienischen Weinbar (Foto Röder)

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76 orpheus Journal 9+10. 2010

genblicklich lebe ich in Verona und bin auch für die Festspiele dort. Zu Ehren von Franco Zeffirelli werden in diesem Jahr in der Arena alle seine Inszenierungen wieder aufgenommen. Ich singe den Pinkerton, den Don José und den Radames. Auch in den Caracalla Thermen in Rom wird es eine Aida mit mir als Ra-dames geben.

Sie lieben Traditionen, Alte Welten? Sicher, aber auch die Moderne, wenn der Inhalt und die Idee des Kunstwerks für mich stimmig sind. Die Musik einer Barockoper entspricht nicht so sehr meinem Charakter, kommt meiner Stimme nicht so entgegen, wie etwa die Musik von Verdi oder Puccini. Manche Tenöre wollen alles singen, das halte ich aber für sehr unklug.

Ihre Lieblingskomponisten sind Verdi und Puccini?Ja, aber Bizets Carmen oder Die Perlenfischer liebe ich auch sehr.

Sie singen hier an der Oper Frankfurt den Don Carlo. Wie ist sein Charakter, wie fühlt er, wie agiert er?Don Carlo ist für mich eine kranke Seele. Er eine schwächliche Person, psy-chisch angegriffen. Don Carlo ist umgeben von großen Persönlichkeiten, starken Charakteren – seinem Vater, Posa und Elisabeth. Vielleicht fühlt er sich von ihnen eingeengt. Es scheint mir, dass Don Carlo zwischen ihnen zerrieben wird.Ein einziges Mal nimmt er allen Mut zusammen, begehrt auf und erhebt seine Stimme: während des großen Autodafé! Er will gegen den Willen des

Vaters nach Flandern ziehen, für die Freiheit kämpfen. Fünfzehn Sekun-den Mut! Danach wird er wieder schweigsam. Don Carlo ist musikalisch gesehen eine diffizile Rolle. Er singt zwar einen schwierigen Part, aber nie eine Romanze. Dadurch verliert er. Ähnlich gelagert ist der Alfredo in der Traviata, die Aufmerksamkeit des Publikums aber richtet sich immer auf Germont oder Violetta.

Und wie ist es mit Renato in Le Villi oder San-Lui in L’oracolo?San-Lui ist ein junger Mann, ein Knabe der furchtbar verliebt ist. Am Ende wird er vom Bariton umgebracht. Das ist sehr einfach darzustellen, denn es handelt sich bei San-Lui um einen gradlinigen Charakter. In Le Villi ist es ganz anders. Roberto ist verliebt und verlässt seine Heimat, um sein Erbe anzutreten. Ihn zieht eine ungewisse Sehnsucht fort. Ins-tinktiv spürt er, dass außerhalb des Schwarzwaldes (in diesem spielt der Einakter) eine andere, bessere Welt auf ihn wartet. Er fühlt sich schuldig, da er gegen Konventionen verstößt. Roberto lebt egoistisch sein Leben und wird dann von den Villis wie ein böser Schatten verfolgt. In dieser Produktion umarmt er die Bühnenwände, seine alte gewohnte Welt und singt eine der schönsten Arien der Opernliteratur „Torna ai felici di“ („Zurück zu den glücklichen Tagen“). Sein Erbe ist verprasst und die Villis/seine Erinnerungen treiben ihn in den Wahnsinn. Generell möchte ich nie nur eine Story, mit der ich mich anfreunden, die ich verstehen muss, singen. Ich peile immer das Innere einer Figur an. In dieser Produktion, die in einem TV Studio spielt, habe ich versucht die verschiedenen emotionalen, psychischen Ebenen von Roberto aufzuzeigen. Eine Regiekonzeption sollte natürlich auch in den Charakter einer Figur einfließen. Ich kenne immer alle Rollen eines Stücks. Das muss sein. Ich möchte mit meinem Part reagieren und agieren können.

Die Musik Verdis und Puccinis – wie unterscheiden sie sich sänge-risch, interpretatorisch voneinander?Die Musik Verdis stellt sich für mich wie eine Radiographie/Röntgenauf-nahme dar. Die Sänger formen die Melodie, die Linie. Sie kreieren die Ge-schmeidigkeit einer Phrase und färben die Stimmung des Gesungenen ein. Bei Puccini ist alles ineinander verwobener, das Orchester richtet sich nach dem Sänger, es verdoppelt ihn quasi. Puccini können Viele singen. Verdi erfordert ein großes technisches, gestalterisches Können.

Welchen Charakter hat Ihre Paraderolle, der Duca di Montova?Einen schrecklichen! Er ist ein wirklicher, pardon, „Mistkerl“ (lächelt verschmitzt)!

Aber die Damen mögen das, sie lieben ihn, beten ihn an für seinen miesen Charakter!Ja, für mich ist er aber ein armseliger Wicht, der die schönsten Arien singt!

oben als Pinkerton in Madama Butterfly und links als Radames, beides in San Diego (Fotos Ken Howard)

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779+10. 2010 orpheus Journal

Unterscheidet er sich in seiner Skrupellosigkeit vom Jago im Otello?Jago ist für mich die Inkarnation des Bösen. Duca ist wie ein Fisch. Schwer zu fangen. Der Duca nimmt sich, was er kriegen kann. Er liebt die Zerstreuung, denkt nur an sein Amüsement. Ein schwierig darzustellender, indifferenter Charakter. Er ist ein kalter Mensch mit oberflächlicher Gesinnung. „An Ice-Man“ würden die Amerikaner sagen. Ich liebe die dunklen, seelentiefen Charaktere!

Eine ebenso starke Figur, mit der Sie bald debütieren und die Sie bei Ihrer Rückkehr nach Frankfurt darstellen, ist der Otello.Ja, der Otello ist auch eine getriebene, kranke Person. In ihm lauern viele Abgründe. Er beherbergt kontrastreiche Emotionen, vor allem unzählig unkontrollierte. Im Grunde (ver)traut er nicht einmal sich selbst. Er ist schwarz, lebt in Venedig als Ausländer. Otello füllt eine besondere Macht-position aus, er liebt eine weiße, schöne Frau. Und, natürlich hat er Feinde. Ich möchte Otellos Licht- und Schattenseiten darstellen, ihn in all seinen Facetten aufzeigen. Spannend ist zu sehen, von wem er beeinflusst, mani-puliert wird. Jeder drängt ihn, Entscheidungen zu treffen, schubst ihn mal da, mal dort hin. Dann kommt es zur Katastrophe. Seine wahre Tragik ist sein mangelndes Selbstvertrauen.

Mögen Sie lieber die Liebe oder die Verbrechen in der Oper?Lieber die Verbrechen (lacht), die düsteren, tiefen Abgründe, die in der Seele der Menschen rumoren geben/gaben immer einen herrlichen Opernstoff her. Il Tabarro oder auch Madama Butterfly sind für mich schaurig-dunkle Opern. Im Bajazzo z.B. (leider habe ich ihn noch nicht gesungen) wird der Titelheld von seiner Ehefrau schändlich betrogen und wird aus dem Affekt zum Kri-minellen. Man versteht ihn...

...und Cavaradossi?Der ist vor allem ein Patriot mit ungebändigtem Kampfgeist und sehr ver-liebt in Floria Tosca. Er stirbt für sie und aus Liebe zum Vaterland. Cavaradossi

verkörpert den italienischen Freiheitsgedanken. Er ist ein reifer Mann, der die Liebe und zugleich die Kampfeslust in den Adern spürt.

Welche Opern würden Sie gerne singen und welche singen Sie gerne?Otello natürlich. Den Grieux in der Manon Lescaut, die Rolle singe ich sehr bald in Hamburg. Der Don Giovanni wäre fantastisch, für den hege ich eine große Liebe, auch wenn ich ihn nicht singe. Mozart ist ein Genie. Ich habe noch nie Mozart gesungen.

In welcher Zeit würden sie gerne leben?In der Zukunft. Ich stehe mit den Füßen im Jetzt, mit meinen kulturellen Wurzeln in der Vergangenheit.

Haben Sie ein Lebensmotto?Carpe Diem.

Fühlen Sie, was Ihnen gut tut?Sicher, dafür habe ich ein gutes Gespür. Ich denke positiv, auch wenn es banal klingt. Wenn ich singe, fließt unglaublich viel Energie zu mir zurück. Ich möchte viel, viel singen, ohne mich zu verbrauchen. Plácido Domingo singt schon sehr lange und seine Karriere ist von einer ungeheuer langen Dauer. Er ist ein gutes Beispiel, wie ein Sänger mit seiner Stimme umgehen sollte. Außerdem möchte ich Gutes bewirken. Das liegt mir sehr am Herzen. Den Kindern in in Uruguay helfen, denn viele Menschen in Südamerika haben keine Möglichkeiten besser zu leben, existieren unterhalb des täglichen Lebensminimums.

Was wünschen Sie sich für ihre musikalische Zukunft?Vielleicht leite ich mal ein Opernhaus – in Deutschland natürlich. Wer weiß? Ich bin ein Vernunft-Mensch, ich kenne mich mit Stimmen und Rollen gut aus. Dieser Wunsch aber liegt in weiter Ferne, ist jedoch ein schöner Gedanke, oder?

(Übersetzung: Elfriede Preisner)

Carlo Ventre privat und als Don José mit Nora Sourouzian als Carmen in Lausanne (Fotos CV)

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