buchbesprechung

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Astron. Nachr. 312 (1991) 4, 238 Buchbesprechung G. W. COLLINS 11: The Fundamentals of Stellar Astrophysics. W. H. Freeman and Co., New York, 1989,494 Seiten, 47 Illustratio- nen, Preis: E 37.95 ISBN 0-7167-1993-2 G. W. COLLINS ist bekannt fur seine Arbeiten auf dem Gebiet der theoretischen Astrophysik, insbesondere auf dem Gebiet der Theorie des Strahlungstransportes und der Entstehung der Spektral- linien. Das vorliegende Lehrbuch ist eine Einfuhrung in die theo- retische Astrophysik der spharisch symmetrischen Sterne fur Stu- denten der hoheren Semester mit anspruchsvolleren erganzenden Kapiteln. Es besteht aus zwei Teilen, die dem Inneren bzw. der Atmosphare der Sterne gewidmet sind. Der erste Teil beginnt rnit den ,,Stationaren Eigenschaften der Materie". Ausgehend von der Struktur des Phasenraumes und den Wahrscheinlichkeiten fur Mikro- und Makrozustande werden Aus- drucke fur das statistische Gleichgewicht verschiedenartiger Teil- chen abgeleitet. So weit das moglich ist, werden auf diese Weise die axiomatischen Grundlagen fur Transportphanomene und Zu- standsgleichungen in Sternen abgeleitet. Als nachstes werden In- tegraltheoreme, homologe Transformationen und polytrope Gas- kugeln diskutiert. Quellen und Senken der stellaren Energie werden knapp dargelegt, dann das Stromen der Energie durch das Innere der Sterne. Eine gewisse Einschrankung der Thematik macht sich bemerkbar: Die vielen interessanten physikalischen Phanomene, die vor allem mit den Endphasen der Sternentwicklung zusammen- hangen (z. B. Neutrinoemission), werden nicht behandelt. Nach einer (durchaus gerechtfertigten) kurzen Beschreibung der wesentli- chen Verfahren fur die Berechnung von Sternmodellen und ihrer Entwicklung werden die wichtigsten Ergebnisse fur die Entwick- lungsphasen vor und nach der Hauptreihe formuliert. Das Problem der Supernovae wird nur angedeutet. Es folgt ein Kapitel uber ,,Relativistische Stellare Strukturen": Ausgehend von den Feld- gleichungen der allgemeinen Relativitatstheorie werden auf eine einfache aber verstandliche Weise relativistische Sternmodelle abge- leitet. Zwei Kapitel fuhren uber die spharischen Sterne hinaus. Im ersten werden die Grundlagen fur eine Theorie rotationssymmetrischer Sterne abgeleitet, und zwar fur rotierende Sterne, fur Sterne mit Magnetfeldern oder rnit Gezeiteneinwirkung. Mit Hilfe eines Ver- fahrens der kleinen Storungen wird nachgewiesen, daB in diesem Falle die Sterne nicht mehr statisch sind und daD die Zirkulation eine entscheidende Rolle zu spielen beginnt. In einem weiteren Kapitel werden stellare Schwingungen und Pulsationen zunachst in der adiabatischen Naherung, dann nichtadiabatisch als radiale, transversale und schlieDlich nicht-radiale Bewegungen behandelt. Die groDe Bedeutung und schnelle Entwicklung der solaren und stellaren experimentellen Seismologie berechtigt die Aufnahme dieses Themas in ein Lehrbuch. Der zweite, umfangreichere Teil ist den Sternatmospharen ge- widmet. Zuerst werden die zugrunde liegenden Voraussetzungen formuliert (z. B. lokales thermodynamisches Gleichgewicht, LTE) und die Gleichung des Strahlungstransportes fur eine quasi ebene Atmosphare abgeleitet. Diese Differentialgleichung wird rnit Hilfe verschiedener Verfahren integriert und damit die Losung fur die graue und nicht-graue Atmosphare erhalten. Die entsprechende Gleichung in spharischen Koordinaten wird fur Sterne rnit ausge- dehnten Atmospharen behandelt. Sobald eine Methode fur die Integration der Transportgleichung vorhanden ist, ist es moglich, in sich konsistente Modelle der Sternatmosphare, die auch Fein- heiten der Opazitat berucksichtigen, zu erhalten, indem man ab- wechselnd die Veranderlichen und das Strahlungsfeld verbessert. In zwei Kapiteln werden die Entstehung der Spektrallinien und die physikalischen Faktoren, welche die Linienprofile bestimmen, un- tersucht. Zum SchluD werden ausgewahlte Probleme behandelt. In den vorausgehenden Abschnitten wurde LTE vorausgesetzt, d. h. das Strahlungsfeld befindet sich zwar nicht im thermodynamischen Gleichgewicht mit der Materie, wohl aber die verschiedenen Teil- chen untereinander. Mit der Annaherung an die ZuOersten Schichten der Sternatmosphare wird diese Voraussetzung immer weniger gultig und folglich muD die Abweichung vom LTE (fur die Teilchen) beriicksichtigt werden (NLTE). Diese Abweichung hangt in hohem Grade von den spezifischen Eigenschaften der vorhandenen Ionen ab und muD deswegen fur die verschiedenen Elemente und ihre Ionen getrennt behandelt werden, oft sogar fur einzelne Spektral- linien oder Kombinationen von Spektrallinien. Die Integration wird dadurch auDerordentlich komplex und kann in den meisten Fallen nur noch numerisch rnit groBen Rechnern erfolgen. Viele spek- troskopische Besonderheiten von Sternen lassen sich nur durch NLTE erklaren. Das letzte Kapitel ,,Jenseits der normalen Sternatmosphare" ist drei interessanten Problemen gewidmet und gibt einen Einblick in die aktuelle Forschung: Die Theorie der stellaren Atmospharen bei Einstromen der Energie von auDen (z. B. in engen Doppelsternen), der Transport polarisierten Lichtes (eine relativ neue Forschungs- richtung) und die Besonderheiten sehr ausgedehnter Atmospharen (u. a. die Rolle der Strahlung bei der Entstehung des Sternwindes). Selbstverstandlich konnten nur die Grundlagen aufgenommen werden, d. h. die Ableitung der Gleichungen, die das Problem beschreiben, und Hinweise, wie sie gelost werden konnen. Der notwendigerweise komplizierte mathematische Apparat konnte nur umrissen werden. Man merkt die groDe Erfahrung des Autors in Forschung und Lehre. Der Aufbau des Textes ist ausgesprochen padagogisch. Die klassischen Lehrbiicher zwingen den Studenten, sich mit einer gro5en Zahl physikalischer und astrophysikalischer Details zu befaBen, bevor er zu konkreten Ergebnissen kommt. In diesem Lehrbuch erreicht man die ersten Ergebnisse relativ friih (Entwick- lung der Sterne), wodurch das Interesse des Studenten angeregt wird. Jedes Kapitel endet rnit Hinweisen auf wissenschaftlichen Quellen und weiterfuhrende Literatur und Aufgaben zunehmender Kompliziertheit. Die letzteren helfen dem Studenten, ein Gefuhl fur die physikalischen Probleme und den mathematischen Apparat zu entwickeln. Die Losungen werden aber nicht angegeben. Der grol3e Vorteil des Buches ist die sorgfaltige Erklarung der physikalischen Probleme. Der Autor bemiiht sich um eine tiefere Einsicht in die Probleme, die logisch zu mathematischen Formulie- rungen fuhrt. Das ist besonders wichtig in unserer Epoche des leichten numerischen ,,Kochens". Es gibt wenig zu kritisieren, wobei man naturlich an manche Phanomene unterschiedlich herangehen kann. Die mittlere freie Weglange eines Photons wird mehrfach bei der Diskussion physi- kalischer Phanomene herangezogen, aber nicht benutzt, um den Begriff der optischen Dicke zu erlautern. In dem Kapitel uber Quellen und Senken der stellaren Energie ist die Beschreibung der Senken etwas mager (nur die Abstrahlung von der Oberflache wird berucksichtigt). Die Behandlung der Randbedingungen fur Stern- modelle ist zum Teil nicht ganz exakt. Die Supernovae wurden nicht in das Buch aufgenommen, obwohl sie astrophysikalisch sehr wichtig und ein Beispiel fur schnelle hydrodynamische Veranderun- gen sind. Auffallig ist die groDe Zahl von Druckfehlern. Meist sind es einfache Schreibfehler in den Formeln, und zwar besonders haufig im ersten Teil des Buches. Der Student wird einen Teil der Fehler bemerken, sobald er die Ableitung der Formeln nachvollzieht, das ist aber nicht immer moglich. Trotz dieser kleinen Mangel ist das Buch eine sehr gute, klare, interessante und umfassende Einfuhrung in die Probleme der stellaren Astrophysik, die den Studenten an die aktuelle Forschung heranfuhrt. Es kann als Lehrbuch nur empfohlen werden. Gerhard Ruben, Potsdam

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Astron. Nachr. 312 (1991) 4, 238

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G. W. COLLINS 11: The Fundamentals of Stellar Astrophysics. W. H. Freeman and Co., New York, 1989,494 Seiten, 47 Illustratio- nen, Preis: E 37.95 ISBN 0-7167-1993-2

G. W. COLLINS ist bekannt fur seine Arbeiten auf dem Gebiet der theoretischen Astrophysik, insbesondere auf dem Gebiet der Theorie des Strahlungstransportes und der Entstehung der Spektral- linien. Das vorliegende Lehrbuch ist eine Einfuhrung in die theo- retische Astrophysik der spharisch symmetrischen Sterne fur Stu- denten der hoheren Semester mit anspruchsvolleren erganzenden Kapiteln. Es besteht aus zwei Teilen, die dem Inneren bzw. der Atmosphare der Sterne gewidmet sind.

Der erste Teil beginnt rnit den ,,Stationaren Eigenschaften der Materie". Ausgehend von der Struktur des Phasenraumes und den Wahrscheinlichkeiten fur Mikro- und Makrozustande werden Aus- drucke fur das statistische Gleichgewicht verschiedenartiger Teil- chen abgeleitet. So weit das moglich ist, werden auf diese Weise die axiomatischen Grundlagen fur Transportphanomene und Zu- standsgleichungen in Sternen abgeleitet. Als nachstes werden In- tegraltheoreme, homologe Transformationen und polytrope Gas- kugeln diskutiert. Quellen und Senken der stellaren Energie werden knapp dargelegt, dann das Stromen der Energie durch das Innere der Sterne. Eine gewisse Einschrankung der Thematik macht sich bemerkbar: Die vielen interessanten physikalischen Phanomene, die vor allem mit den Endphasen der Sternentwicklung zusammen- hangen (z. B. Neutrinoemission), werden nicht behandelt. Nach einer (durchaus gerechtfertigten) kurzen Beschreibung der wesentli- chen Verfahren fur die Berechnung von Sternmodellen und ihrer Entwicklung werden die wichtigsten Ergebnisse fur die Entwick- lungsphasen vor und nach der Hauptreihe formuliert. Das Problem der Supernovae wird nur angedeutet. Es folgt ein Kapitel uber ,,Relativistische Stellare Strukturen": Ausgehend von den Feld- gleichungen der allgemeinen Relativitatstheorie werden auf eine einfache aber verstandliche Weise relativistische Sternmodelle abge- leitet.

Zwei Kapitel fuhren uber die spharischen Sterne hinaus. Im ersten werden die Grundlagen fur eine Theorie rotationssymmetrischer Sterne abgeleitet, und zwar fur rotierende Sterne, fur Sterne mit Magnetfeldern oder rnit Gezeiteneinwirkung. Mit Hilfe eines Ver- fahrens der kleinen Storungen wird nachgewiesen, daB in diesem Falle die Sterne nicht mehr statisch sind und daD die Zirkulation eine entscheidende Rolle zu spielen beginnt. In einem weiteren Kapitel werden stellare Schwingungen und Pulsationen zunachst in der adiabatischen Naherung, dann nichtadiabatisch als radiale, transversale und schlieDlich nicht-radiale Bewegungen behandelt. Die groDe Bedeutung und schnelle Entwicklung der solaren und stellaren experimentellen Seismologie berechtigt die Aufnahme dieses Themas in ein Lehrbuch.

Der zweite, umfangreichere Teil ist den Sternatmospharen ge- widmet. Zuerst werden die zugrunde liegenden Voraussetzungen formuliert (z. B. lokales thermodynamisches Gleichgewicht, LTE) und die Gleichung des Strahlungstransportes fur eine quasi ebene Atmosphare abgeleitet. Diese Differentialgleichung wird rnit Hilfe verschiedener Verfahren integriert und damit die Losung fur die graue und nicht-graue Atmosphare erhalten. Die entsprechende Gleichung in spharischen Koordinaten wird fur Sterne rnit ausge- dehnten Atmospharen behandelt. Sobald eine Methode fur die Integration der Transportgleichung vorhanden ist, ist es moglich, in sich konsistente Modelle der Sternatmosphare, die auch Fein- heiten der Opazitat berucksichtigen, zu erhalten, indem man ab- wechselnd die Veranderlichen und das Strahlungsfeld verbessert. In zwei Kapiteln werden die Entstehung der Spektrallinien und die physikalischen Faktoren, welche die Linienprofile bestimmen, un- tersucht.

Zum SchluD werden ausgewahlte Probleme behandelt. In den vorausgehenden Abschnitten wurde LTE vorausgesetzt, d. h. das Strahlungsfeld befindet sich zwar nicht im thermodynamischen Gleichgewicht mit der Materie, wohl aber die verschiedenen Teil- chen untereinander. Mit der Annaherung an die ZuOersten Schichten der Sternatmosphare wird diese Voraussetzung immer weniger gultig und folglich muD die Abweichung vom LTE (fur die Teilchen) beriicksichtigt werden (NLTE). Diese Abweichung hangt in hohem Grade von den spezifischen Eigenschaften der vorhandenen Ionen ab und muD deswegen fur die verschiedenen Elemente und ihre Ionen getrennt behandelt werden, oft sogar fur einzelne Spektral- linien oder Kombinationen von Spektrallinien. Die Integration wird dadurch auDerordentlich komplex und kann in den meisten Fallen nur noch numerisch rnit groBen Rechnern erfolgen. Viele spek- troskopische Besonderheiten von Sternen lassen sich nur durch NLTE erklaren.

Das letzte Kapitel ,,Jenseits der normalen Sternatmosphare" ist drei interessanten Problemen gewidmet und gibt einen Einblick in die aktuelle Forschung: Die Theorie der stellaren Atmospharen bei Einstromen der Energie von auDen (z. B. in engen Doppelsternen), der Transport polarisierten Lichtes (eine relativ neue Forschungs- richtung) und die Besonderheiten sehr ausgedehnter Atmospharen (u. a. die Rolle der Strahlung bei der Entstehung des Sternwindes). Selbstverstandlich konnten nur die Grundlagen aufgenommen werden, d. h. die Ableitung der Gleichungen, die das Problem beschreiben, und Hinweise, wie sie gelost werden konnen. Der notwendigerweise komplizierte mathematische Apparat konnte nur umrissen werden.

Man merkt die groDe Erfahrung des Autors in Forschung und Lehre. Der Aufbau des Textes ist ausgesprochen padagogisch. Die klassischen Lehrbiicher zwingen den Studenten, sich mit einer gro5en Zahl physikalischer und astrophysikalischer Details zu befaBen, bevor er zu konkreten Ergebnissen kommt. In diesem Lehrbuch erreicht man die ersten Ergebnisse relativ friih (Entwick- lung der Sterne), wodurch das Interesse des Studenten angeregt wird. Jedes Kapitel endet rnit Hinweisen auf wissenschaftlichen Quellen und weiterfuhrende Literatur und Aufgaben zunehmender Kompliziertheit. Die letzteren helfen dem Studenten, ein Gefuhl fur die physikalischen Probleme und den mathematischen Apparat zu entwickeln. Die Losungen werden aber nicht angegeben.

Der grol3e Vorteil des Buches ist die sorgfaltige Erklarung der physikalischen Probleme. Der Autor bemiiht sich um eine tiefere Einsicht in die Probleme, die logisch zu mathematischen Formulie- rungen fuhrt. Das ist besonders wichtig in unserer Epoche des leichten numerischen ,,Kochens".

Es gibt wenig zu kritisieren, wobei man naturlich an manche Phanomene unterschiedlich herangehen kann. Die mittlere freie Weglange eines Photons wird mehrfach bei der Diskussion physi- kalischer Phanomene herangezogen, aber nicht benutzt, um den Begriff der optischen Dicke zu erlautern. In dem Kapitel uber Quellen und Senken der stellaren Energie ist die Beschreibung der Senken etwas mager (nur die Abstrahlung von der Oberflache wird berucksichtigt). Die Behandlung der Randbedingungen fur Stern- modelle ist zum Teil nicht ganz exakt. Die Supernovae wurden nicht in das Buch aufgenommen, obwohl sie astrophysikalisch sehr wichtig und ein Beispiel fur schnelle hydrodynamische Veranderun- gen sind. Auffallig ist die groDe Zahl von Druckfehlern. Meist sind es einfache Schreibfehler in den Formeln, und zwar besonders haufig im ersten Teil des Buches. Der Student wird einen Teil der Fehler bemerken, sobald er die Ableitung der Formeln nachvollzieht, das ist aber nicht immer moglich.

Trotz dieser kleinen Mangel ist das Buch eine sehr gute, klare, interessante und umfassende Einfuhrung in die Probleme der stellaren Astrophysik, die den Studenten an die aktuelle Forschung heranfuhrt. Es kann als Lehrbuch nur empfohlen werden.

Gerhard Ruben, Potsdam