breschnew-Ära

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12 Die Welt und Deutschland von den 1960er- bis zu den 1980er- Jahren Rückschritte statt Fortschritte Außenpolitisch führte Breschnew die begonnene Entspannungspolitik weiter. Er nutzte sie aber nicht für die Senkung der Rüstungsausgaben und eine Verbesserung des Lebensstandards der Bevölkerung. Stattdessen wurden Kritiker wieder – wenn auch nicht so häufig wie zu Zeiten Stalins – mit gesellschaftlicher Ausgrenzung, Gefängnis, Verbannung, Einweisung in psychiatrische Klini- ken oder auch durch Ausweisungen und Ausbür- gerungen zum Schweigen gebracht. Beispiele für diese Politik sind der Literaturnobelpreisträger Alexander I. Solschenizyn und der Atomphysiker und Friedensnobelpreisträger Andrei D. Sacha- row: Solschenizyn wurde 1974 ausgebürgert und Sacharow 1980 aus Moskau in die Provinz ver- bannt. Einmarsch in Afghanistan Trotz Entspannungspolitik bemühte sich die Sowjetunion, ihre Einflusszonen auszubauen – vor allem in Afrika, im Fernen und im Mittleren Osten. Das nach dem Sturz der Monarchie (1973) von bürgerkriegsähnlichen Konflikten heimgesuchte Afghanistan wurde Ziel der sowjetischen Politik. Ende Dezember 1979 marschierten, unter Beru- fung auf einen 1978 abgeschlossenen sowje- tisch-afghanischen Vertrag über gegenseitige Hilfeleistung und Freundschaft, sowjetische Truppen in Afghanistan ein. Moskau wollte damit die Macht einer im Lande umstrittenen prosow- jetischen Führungsgruppe sicherstellen. Die Rote Armee verstrickte sich – wie die Ameri- kaner zuvor in Vietnam – in einen militärisch nicht zu lösenden Konflikt. Afghanische Soldaten liefen zu den Widerstandsgruppen über. Diese erhielten in ihrem Kampf gegen die sowjetischen Truppen von den USA und Pakistan Waffenhilfe. Der Einmarsch in Afghanistan führte sowohl zu einer neuen Phase der Ost-West-Konfrontation* als auch zu einer Verschärfung der bereits beste- henden inneren Probleme.** Auch nach Breschnews Tod (1982) änderte sich in der sowjetischen Politik kaum etwas. Seine Nachfolger brachten nicht die Kraft auf, den Krieg in Afghanistan zu beenden und wirkungsvolle Maßnahmen gegen den sozialen, wirtschaftli- chen und ökologischen Verfall im eigenen Land einzuleiten. * Lies dazu Seite 48. ** Siehe Seite 50. Die Ära Breschnew in der UdSSR Moskau und der „Prager Frühling” In der Sowjetunion nahm die Zahl der Gegner Chruschtschows nach der Kuba-Krise zu. Im Ok- tober 1964 wurde er gestürzt. An seine Stelle trat für die folgenden 18 Jahre Leonid I. Breschnew. Er kehrte teilweise zu stalinistischen Methoden zu- rück. Ausdruck dafür wurde die Niederschlagung des Prager Frühlings. Im Januar 1968 war in Prag die reformfeindliche Regierung gestürzt und AlexanderDubcˇek in geheimer Wahl zum neuen KP-Chef gewählt wor- den. Er versuchte, in der CSSR einen „Sozialis- mus mit menschlichem Antlitz“ einzuführen, be- fürwortete eine Trennung von Partei und Regie- rung, verzichtete auf die festgelegte Führungs- rolle der Partei im Staat, lockerte die Zensur und verkündete ein Recht auf Auslandsreisen. Paral- lel zur Diskussion über eine weitere Demokra- tisierung des Landes wurde ein behutsames Ab- rücken von der Planwirtschaft eingeleitet und eine Öffnung nach Westen ausgelotet. Panzer stoppen Reformen Die Sowjetunion und die anderen Ostblockstaa- ten, darunter die DDR, lehnten Dubcˇeks Reform- kurs ab. Am 21. August 1968 besetzten sowjeti- sche und polnische Truppen des Warschauer Paktes (650 000 Mann) die CSSR. Auf den Ein- satz der Nationalen Volksarmee der DDR hatte Moskau verzichtet, obwohl die Truppen bereits mobilisiert worden waren. Als Grund für den Einmarsch wurde ein „Hilferuf“ anonymer „Persönlichkeiten der Partei und des Staates“ genannt. In Wirklichkeit stand dahinter die Breschnew-Doktrin. Die von dem Generalse- kretär der KPdSU verkündete Lehre verbot jedem Mitglied der kommunistischen Staatengemein- schaft, „vom Weg des Sozialismus“ abzuwei- chen. Die Truppen stießen bis auf wenige Ausnahmen auf einen gewaltlosen Widerstand. Die Sowjet- union war gezwungen, mit den verhafteten, ver- schleppten und misshandelten Prager Reform- politikern zu verhandeln. Schließlich konnten die Sowjets Gustáv Husák zum neuen KP-Chef machen. Er war in der stali- nistischen Ära selbst eingekerkert gewesen und besaß in der Bevölkerung Vertrauen. Unter ihm wurden aber alle Reformpolitiker aus der Partei ausgeschlossen. Die Opposition konnte nur noch aus dem Untergrund weiterarbeiten. Viele Tsche- chen verließen ihre Heimat und gingen ins Exil. 1 Anschlag aus Prag von 1968. Bestimme die Aussage der beiden Bilder.

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Page 1: Breschnew-Ära

12 Die Welt und Deutschland von den 1960er- bis zu den 1980er- Jahren

Rückschritte statt FortschritteAußenpolitisch führte Breschnew die begonneneEntspannungspolitik weiter. Er nutzte sie abernicht für die Senkung der Rüstungsausgabenund eine Verbesserung des Lebensstandards derBevölkerung. Stattdessen wurden Kritiker wieder– wenn auch nicht so häufig wie zu Zeiten Stalins– mit gesellschaftlicher Ausgrenzung, Gefängnis,Verbannung, Einweisung in psychiatrische Klini-ken oder auch durch Ausweisungen und Ausbür-gerungen zum Schweigen gebracht. Beispiele fürdiese Politik sind der LiteraturnobelpreisträgerAlexander I. Solschenizyn und der Atomphysikerund Friedensnobelpreisträger Andrei D. Sacha-row:Solschenizyn wurde 1974 ausgebürgert undSacharow 1980 aus Moskau in die Provinz ver-bannt.

Einmarsch in AfghanistanTrotz Entspannungspolitik bemühte sich dieSowjetunion, ihre Einflusszonen auszubauen –vor allem in Afrika, im Fernen und im MittlerenOsten. Das nach dem Sturz der Monarchie (1973) vonbürgerkriegsähnlichen Konflikten heimgesuchteAfghanistan wurde Ziel der sowjetischen Politik.Ende De zember 1979 marschierten, unter Be ru -fung auf einen 1978 abgeschlossenen sowje -tisch-afghanischen Vertrag über gegenseitigeHilfeleistung und Freundschaft, sowjetischeTruppen in Af gha nis tan ein. Moskau wollte damitdie Macht einer im Lande umstrittenen pro sow -jetischen Führungsgruppe si cher stellen.Die Rote Armee verstrickte sich – wie die Ameri-kaner zuvor in Vietnam – in einen militärischnicht zu lösenden Konflikt. Afghanische Soldatenliefen zu den Widerstandsgruppen über. Dieseerhielten in ihrem Kampf gegen die sowjetischenTruppen von den USA und Pakistan Waffenhilfe.Der Einmarsch in Afghanistan führte sowohl zueiner neuen Phase der Ost-West-Konfrontation*als auch zu einer Verschärfung der bereits beste-henden inneren Probleme.**Auch nach Breschnews Tod (1982) änderte sichin der sowjetischen Politik kaum etwas. SeineNachfolger brachten nicht die Kraft auf, den Kriegin Afghanistan zu beenden und wirkungsvolleMaßnahmen gegen den sozialen, wirtschaftli-chen und ökologischen Verfall im eigenen Landeinzuleiten.

* Lies dazu Seite 48.** Siehe Seite 50.

Die Ära Breschnew in der UdSSRMoskau und der „Prager Frühling”In der Sowjetunion nahm die Zahl der GegnerChruschtschows nach der Kuba-Krise zu. Im Ok-tober 1964 wurde er gestürzt. An seine Stelle tratfür die folgenden 18 Jahre Leonid I. Breschnew. Erkehrte teilweise zu stalinistischen Methoden zu-rück. Ausdruck dafür wurde die Niederschlagungdes Prager Frühlings. Im Januar 1968 war in Prag die reformfeindlicheRegierung gestürzt und Alexander Dubcek ingeheimer Wahl zum neuen KP-Chef gewählt wor-den. Er versuchte, in der CSSR einen „Sozialis-mus mit menschlichem Antlitz“ einzuführen, be-fürwortete eine Trennung von Partei und Regie-rung, verzichtete auf die festgelegte Füh rungs -rolle der Partei im Staat, lockerte die Zensur undverkündete ein Recht auf Auslandsreisen. Paral-lel zur Diskussion über eine weitere Demokra -tisierung des Landes wurde ein behutsames Ab-rücken von der Planwirtschaft eingeleitet undeine Öffnung nach Wes ten ausgelotet.

Panzer stoppen ReformenDie Sowjetunion und die anderen Ostblockstaa-ten, darunter die DDR, lehnten Dubceks Reform-kurs ab. Am 21. August 1968 besetzten sowjeti-sche und polnische Truppen des WarschauerPaktes (650 000 Mann) die CSSR. Auf den Ein-satz der Nationalen Volksarmee der DDR hatteMoskau verzichtet, obwohl die Truppen bereitsmobilisiert worden waren. Als Grund für den Einmarsch wurde ein „Hilferuf“anonymer „Persönlichkeiten der Partei und desStaates“ genannt. In Wirklichkeit stand dahinterdie Breschnew-Doktrin. Die von dem Generalse-kretär der KPdSU verkündete Lehre verbot jedemMitglied der kommunistischen Staatengemein-schaft, „vom Weg des Sozialismus“ abzuwei-chen.Die Truppen stießen bis auf wenige Ausnahmenauf einen gewaltlosen Widerstand. Die Sowjet-union war gezwungen, mit den verhafteten, ver-schleppten und misshandelten Prager Reform-politikern zu verhandeln.Schließlich konnten die Sowjets Gustáv Husákzum neuen KP-Chef machen. Er war in der stali-nistischen Ära selbst eingekerkert gewesen undbesaß in der Bevölkerung Vertrauen. Unter ihmwur den aber alle Reformpolitiker aus der Parteiausgeschlossen. Die Opposition konnte nur nochaus dem Untergrund weiterarbeiten. Viele Tsche-chen verließen ihre Heimat und gingen ins Exil.

1 Anschlag aus Prag von1968.Bestimme die Aussageder beiden Bilder.

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