bodo november 2012
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Die November-Ausgabe des Straßenmagazins.TRANSCRIPT
1
04 | Verliebt in Amerika | Anna Engelke und Jörg Thadeusz
14 | »Schritt-Weise« ankommen | Hilfe für Neuzuwanderer
32 | »Die geprügelte Generation« | Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen
21 | 18 Verlosungen | z.B. Urbanatix – CloseUp! in der Jahrhunderthalle Bochum
1.80 EuroNovember 2012 | 90 Cent für den Verkäufer bodo
Das Straßenmagazin
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EDITORIAL
BODO E.V. – SO ERREICHEN SIE UNS
Herausgeber | Verleger | Redaktion
bodo e.V.
Schwanenwall 36 – 38 | 44135 Dortmund
0231 – 950 978 0 | Fax 950 978 20
Redaktionsleitung und V.i.S.d.P.:
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0231 – 106 38 31 | [email protected]
Veranstaltungskalender:
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Anzeigenleitung:
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Vertriebsleitung:
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Autoren dieser Ausgabe:
René Boyke (rb), Sandro Giuri, Wolfgang
Kienast (wk), Maike, Birgit Müller, Bastian Püt-
ter (bp), Benedikt von Randow (bvr), Dr. Birgit
Rumpel (biru), Sebastian Sellhorst (sese)
Fotos: Marcos Borges (39), Bianka Boyke (12),
Mauricio Bustamente (3, 17, 18), Ludolf Dah-
men (34), Rosa Frank (9), Peter Hirth (30), Ivo
Hovste (10), Marc Jacquemin (28), Andre Noll
(3, 4, 5, 6, 32), Daniel Sadrowski (38), Schritt-
Weise (14), Sebastian Sellhorst (3, 7, 11),
Claudia Siekarski (6, 7, 18), Thomas Werner (3,
10), Frank Willhoeft (8), Mena Urbitsch (7)
Titelbild: Andre Noll
Zeichnungen + Cartoons: Volker Dornemann
Druck: Gebr. Lensing GmbH & Co. KG.
Auflage | Erscheinungsweise:
16.000 Exemplare (BO, DO und Umgebung)
Redaktions- und Anzeigenschluss:
für die Dezember-Ausgabe 08.11.2012
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Stühmeyerstraße 33 | 44787 Bochum
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BLZ 370 205 00 | Kto. 722 39 00
IMPRESSUM
02
Liebe Leserinnen und Leser,
vielen Dank, dass Sie sich für das Straßenmagazin
entschieden haben. Mit dem Kauf unterstützen Sie
direkt Ihre Verkäuferin oder Ihren Verkäufer: Lesen
ist helfen. Vielleicht sind Sie Stammkundin oder
Stammkunde oder vielleicht war das Heft ein Zu-
fallskauf? Erzählen Sie uns oder schreiben Sie uns
davon, wo und wann Sie bodo kaufen. Wir würden
uns freuen, Ihre Geschichten zu hören.
Wenn Sie besonders zufrieden oder unzufrieden mit
unseren VerkäuferInnen sind oder wenn Sie Fragen
zu unserer Arbeit oder unseren MitarbeiterInnen
haben, sind wir natürlich auch für Sie da.
„Was sind denn das so für Leute?“ Immer wieder
werden wir gefragt, wer eigentlich unser Straßen-
magazin verkauft und meist antworten wir dann:
Zurzeit mehr als 100, insgesamt seit Gründung
knapp 1.000 einzigartige Menschen mit einzigarti-
gen Schicksalen.
Unser jüngster Verkäufer ist 19, unser ältester bald
80, viele sind alleinstehend, andere haben große
Familien, die einen kennen seit Jahren nur ihren
Schlafsack, andere fürchten täglich, ihre Wohnung
zu verlieren. Einige Verkäufer sind fast seit Beginn
an, seit Mitte der 1990er Jahre, bei uns und brau-
chen bodo als Anker, andere kommen alle paar Jah-
re wieder vorbei, wenn es gerade schlechter läuft.
Manche sind nur Wochen oder wenige Monate bei
uns und verabschieden sich dann von der Straße in
ein anderes, geordneteres Leben.
Das Straßenmagazin verkaufen Menschen, die ihre
Heimatstädte Bochum oder Dortmund praktisch
nie verlassen haben – gleichzeitig mit Verkäufern,
die ganz Europa oder sogar die ganze Welt gese-
hen haben. Unsere Verkäufer haben in Österreich,
Frankreich, Holland, Italien, Spanien, England
oder Dänemark gelebt. Sie kommen aus allen Ecken
Deutschlands, aus Rumänien, aus der Türkei, Polen,
Tschechien, aus Bayern, Sachsen-Anhalt oder Gel-
senkirchen.
So unterschiedlich, so einzigartig alle von ihnen
sind, so sehr eint sie der Entschluss, durch eigene
Anstrengung die jeweilige Situation verbessern zu
wollen. Damit sind noch nicht alle Konflikte zwi-
schen „Eingeborenen“ und „Fremden“ und zwischen
Menschen mit grundverschiedenen Problemlagen
gelöst, die Erfahrung aber, in einem Boot zu sitzen
und sich aufeinander verlassen zu müssen, ist eine
gute Voraussetzung zur Verständigung.
Auch in diesem Heft erzählen wir von unseren Ver-
käuferInnen, viele „gute Geschichten von der Stra-
ße“ warten aber im Dezemberheft, das wir Ihnen
hier schon ans Herz legen: Acht zusätzliche Seiten
und Starautor Paulo Coelho exklusiv im Interview.
Doch auch diese bodo lohnt sich: Ein – so glauben
wir – bodo-typischer Mix von lokalen und sozialen
Geschichten und dem, was wir spannend finden aus
dem Bereich Kultur.
Ungewöhnlich: Auch wenn es um uns und um die
Region geht, kommen wir weit herum dieses Mal. Ein
Besuch bei der Frankfurter Buchmesse, ein Haus-
besuch bei Straßenzeitungsverkäufern in Rumäni-
en, die Wohnungslosen-WM in Mexiko, ein Kölner
Interview zur „geprügelten Generation“, ein Berliner
Obdachlosen-Netztipp und ein Doppelporträt eines
Dortmunder Paares mit viele tausend Kilometern
entfernten Wohnsitzen. Gute Unterhaltung!
Viele Grüße von bodo,
Bastian Pütter – [email protected]
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INHALT 03
02 Editorial | Impressum
04 Menschen Anna Engelke und Jörg Thadeusz von Dr. Birgit Rumpel
Jörg Thadeusz mag den meisten eher bekannt sein, da er als TV-Moderator
und Grimmepreisträger auch optisch in der Öffentlichkeit steht. Doch
Ohrenmenschen, also WDR-Radiohörer, kennen auch Anna Engelke, die seit
fünf Jahren regelmäßig als Korrespondentin aus Washington berichtet.
Seit 2011 sind die beiden amtlich ein Paar.
06 Neues von bodo | Maikes Verkäufertagebuch
08 Theater Freies Theater – urbaner Raum von Wolfgang Kienast
Das Theaterfestival „Favoriten”, vor 27 Jahren in Dortmund unter dem
Namen „Theaterzwang” gegründet, ist ein bedeutender und gleichzeitig
der höchstdotierte Wettbewerb der deutschen Off-Szene.
11 Verkäufergeschichten Otto protokolliert von Sebastian Sellhorst Seit über zehn Jahren lebt Otto ohne eigene Wohnung. Nach langem Auf-
enthalt in Hamburg ist er seit einigen Monaten in Bochum und verkauft am
Hauptbahnhof das Straßenmagazin. Warum er seine Wohnung vor vielen Jah-
ren aufgegeben hat und wie er durch kalte Winter kommt, hat er uns erzählt.
12 Recht Der richtige Umgang mit Mahnungen von René Boyke
Rechtsanwalt René Boyke erklärt, was es zu beachten gibt, wenn man ein-
mal in die Mühlen eines gerichtlichen Mahnverfahrens geraten ist.
12 Kultur Do It Yourself von Wolfgang Kienast
Thema einer neuen Sonderausstellung in der DASA ist das Selbermachen.
Es geht dabei um nicht weniger als eine revolutionäre Bewegung, die
gerade einmal hundert Jahre benötigte, nahezu jeden Bereich des Alltags
zu erfassen und unser Leben grundlegend zu verändern.
13 Wilde Kräuter Sanddorn von Wolfgang Kienast
Wer sich die Mühe macht, die empfindlichen Sanddorn-Beeren zu sammeln,
wird diesen Monat mit einem Schokoladenpudding-Rezept belohnt.
14 Interview „Schritt-Weise“ zum Bildungserfolg von Bastian Pütter Seit einem Jahr beraten, begleiten und betreuen Monika Kasler und Johan-
na Smith Familien mit schulpflichtigen Kindern, die aus den EU-Ländern
Rumänien und Bulgarien nach Dortmund kommen – in den jeweiligen
Muttersprachen der Neuzuwanderer. Das Projekt „Schritt-Weise“ des Diako-
nischen Werks Dortmund ist damit allein auf weiter Flur.
16 Reportage Wo Europa zu Ende ist von Birgit Müller
Bacioiu, ein Romadorf im Nordosten Rumäniens. Birgit Müller und Mau-
ricio Bustamente vom Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt besuchen
die Familie ihrer Straßenzeitungs-Verkäufer Valentina und Florian. Deren
Nachbar Geki ist ein „Dortmunder“, andere Nachbarn arbeiten in Spanien,
Frankreich oder Italien. Eine Geschichte aus dem Teil der EU, wo Weggehen
heißt, dem Hunger zu entgehen.
19 News | Skotts Seitenhieb
19 Kommentar Alles Gute zum Zwanzigsten von Bastian Pütter
1992 rüstete sich Deutschland gegen „Scheinasylanten“. Zum Jubiläum
sind es „Asylbetrüger“.
20 Netzwelt ohnewohnung-wasnun.de von Sebastian Sellhorst
Unkomplizierte Hilfe für Menschen in sozialen Notlagen. Dieses Ziel ver-
folgt Helmut Richard Brox, selbst obdachlos, mit seiner Webseite. Über 850
relevante Adressen hat er dort bisher gesammelt.
20 Kinotipp More than Honey im endstation.kino
21 Veranstaltungskalender | Verlosungen | CD-Tipps von Benedikt von Randow
28 Reportage bodo auf der Frankfurter Buchmesse von Bastian Pütter
Auf Betriebsausflug, Bildungsurlaub, Spendenfahrt: Wir waren auf der
Buchmesse in Frankfurt. Verleger, Lektoren, Buchhändler, Autoren, Hun-
derte Prominente, eine sechsstellige Zahl Besucher – und wir: Die Auszu-
bildenden Sandra, Julia und Steffi, Buch-Chefin Suzanne und Bastian und
Sandro aus der Redaktion.
32 Gesellschaft Die geprügelte Generation von Dr. Birgit Rumpel
Auf dem Buchtitel ein zerschlissener Teppichklopfer. Wer in den 50er und
60er Jahren aufgewachsen ist, weiß auch um dessen Einsatz als Prügelin-
strument durch Eltern und Großeltern. Die Autorin Ingrid Müller-Münch hat
Schicksale und Geschichten der „geprügelten Generation“ aufgeschrieben
und ein Thema aus der Tabuzone geholt.
34 Interview mit Ingrid Müller-Münch von Dr. Birgit Rumpel
37 Rätsel | von Volker Dornemann
38 bodo geht aus Café im ZIB von Wolfgang Kienast
Über zwanzig verschiedene Sorten Kakao bekommt man neben ebenso
vielen Tee- oder Kaffeespezialitäten im Café im ZIB, dem Zentrum für
Information und Bildung der Stadt Unna.
39 Leserseite | Cartoon
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04 | Verliebt in Amerika | Anna Engelke und Jörg Thadeusz
14 | »Schritt-Weise« ankommen | Hilfe für Neuzuwanderer
32 | »Die geprügelte Generation« | Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen
21 | 18 Verlosungen | z.B. Urbanatix – CloseUp! in der Jahrhunderthalle Bochum
1.80 EuroNovember 2012 | 90 Cent für den Verkäufer bodo
Das Straßenmagazin
Unser Titelbild der November-Ausgabe:
Anna Engelke und Jörg Thadeusz (S. 4)
Foto: Andre Noll
04163208 11
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Anna Engelke und Jörg ThadeuszVerliebt in Amerika
MENSCHEN | von Dr. Birgit Rumpel | Fotos: Andre Noll04
Die Rundfunkkorrespondentin Anna Engelke und der TV- und Radiomoderator Jörg Thade-usz haben ihre Begeisterung für die U.S.A. in Worte gefasst. In ihrem ersten gemeinsamen Buch „Die vereinigten Zutaten von Amerika“ porträtieren sie 16 gar nicht „typische“ Ame-rikaner. Während ihrer Lesereise trafen wir sie in Dortmund.
Unterwegs auf PR-Tour für ihr erstes gemein-
sames Buch machen sie auch Station in der al-
ten Heimat Dortmund. Glück für uns, denn so
ergattern wir einen Termin mit den beiden viel
beschäftigten Journalisten, noch bevor sie bei
Lanz, Böttinger & Co. Platz nehmen. Eine Stun-
de vor ihrer Lesung in der Auslandsgesellschaft
an der Steinstraße treffen wir uns im Bespre-
chungszimmer des Präsidenten – nicht ganz das
Oval Office, aber immerhin.
Beide sind in Dortmund aufgewachsen und ken-
nen sich schon ewig. Am Bertolt-Brecht-Gymna-
sium lernten sie sich bei der Schülerzeitung ken-
nen. Doch damit war der Berufsweg Journalismus
noch längst nicht fest eingeplant. Beide haben
den einen oder anderen Umweg genommen, be-
vor sie ihre berufliche Erfüllung fanden.
Jörg Thadeusz mag den meisten eher bekannt
sein, da er als TV-Moderator und Grimmepreis-
träger auch optisch in der Öffentlichkeit steht.
Doch Ohrenmenschen, also WDR-Radiohörer,
kennen auch Anna Engelke, die seit fünf Jahren
regelmäßig als Korrespondentin aus Washington
berichtet. Seit 2011 sind sie auch amtlich ein
Paar, nachdem sie fast 20 Jahre zusammenle-
ben, wenn auch zeitweise auf verschiedenen
Kontinenten.
Amerika hat es ihnen angetan. Anna Engelke
verbrachte als Schülerin ein Jahr in New Jersey,
allerdings nicht aus eigenem Antrieb. Ihre Mut-
ter hatte sie damals angeschubst, ins Ausland
zu gehen. „Kind, mach doch“, drängelte sie. „Sie
kann manchmal richtig nerven“, schmunzelt En-
gelke, doch dafür ist sie ihr heute dankbar. ,,Da
hat sich das Nerven sehr gelohnt.“
Seit fünf Jahren lebt sie in der US-Hauptstadt,
während Jörg Thadeusz in der Bundeshauptstadt
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05
wohnt und arbeitet. Eine Fernbeziehung mit re-
gelmäßigen Flügen nach Washington – ungefähr
vierzigmal hat er sie dort besucht. Die gemein-
same Zeit vor Ort nutzten beide für Reisen durch
das riesige Land. „Über das Essen kommt man
immer leicht ins Gespräch“, verrät Thadeusz, so
entstand irgendwann die Idee, die gesammel-
ten Geschichten über interessante Personen in
einem Buch zusammenzufassen. Tatsächlich war
erst der Titel da – ein nettes Wortspiel, das da-
nach schrie, mit Geschichten gefüllt zu werden.
„Es ist kein Kochbuch“, betont Thadeusz aus-
drücklich, „eher ein positives Anti-Antibuch.“
Im Vorwort werden alle Besserwisser, die mei-
nen, durch vorweihnachtliche Einkaufstripps
nach New York oder sonstige flüchtige Eindrücke
eine fundierte Meinung über die U.S.A. bilden
zu müssen, heftig abgewatscht. Die Autoren
schmeicheln einem Teil der Leserschaft nicht ge-
rade, doch Jörg Thadeusz steht dazu: „Das dum-
me Gequatsche unter Medienleuten ist immens.
Alle meinen, Amerika zu kennen und beschweren
sich über fehlende Deutschlandkenntnisse der
Amis, wissen aber selbst nicht Bescheid.“ Offen-
bar hatte er, der Hiergebliebene, häufiger unter
derartigen Beiträgen zu leiden als seine Frau.
„Ich war ja die meiste Zeit drüben, und bekam
derartige Kommentare von Deutschen nicht so
häufig zu hören. Jörgs Nervschwelle ist da schon
eher erreicht“, erklärt sie.
Überhaupt scheint Jörg Thadeusz von der Medi-
enbranche etwas genervt zu sein. Während seine
Frau froh ist, in fester Anstellung einen interes-
santen Job zu machen („Ich bin überhaupt kei-
ne Unternehmerpersönlichkeit.“), kann er sich
nicht vorstellen, in „einem dieser großen Appa-
rate“ zu arbeiten. „Es gibt gute Gründe, an den
Medien zu zweifeln. Es gibt hervorragende Jour-
nalisten, aber es gibt eine noch größere Zahl von
Journalisten, die niederträchtig sind oder ihre
Niederträchtigkeit zum Beruf gemacht haben.“
Seine regelmäßigen Ausflüge in die Verlagswelt
(„Dort laufen nicht so viele Kretins herum.“)
genießt er umso mehr, vier Romane hat er seit
2003 veröffentlicht. „Auf den Lesungen lernt
man das nettest mögliche Deutschland kennen“,
schwärmt Thadeusz. „Die Leute rappeln sich vom
Sofa hoch und kommen, um einem zuzuhören,
das ist doch toll!“ So ist es dann auch später
im voll besetzten Saal der Auslandsgesellschaft.
Wer welche Geschichten geschrieben hat, lässt
sich kaum ausmachen. „Auch unsere Lektorin
konnte nicht erkennen, von wem welcher Text
stammt“, bestätigt Anna Engelke. Ob dieses ers-
te gemeinsame Buch eine Bewährungsprobe war?
Das verneinen beide. Die Zusammenarbeit habe
prima geklappt, das Schreiben und gegenseiti-
ge Lesen der Texte konnten beide gut aushal-
ten, Streit darüber gab es nicht. „Da war schon
eher das Dauerpendeln eine Bewährungsprobe“,
ergänzt Thadeusz.
Die haben sie glänzend bestanden, und Erleich-
terung ist in Sicht, denn Anna Engelkes Zeit in
Washington nähert sich dem Ende. Im kommen-
den Jahr wird sie als Pressesprecherin der ARD
nach Hamburg wechseln. Dann hat das Pendeln
zwar kein Ende, aber es ist sehr viel einfacher.
„Nur zwei Stunden mit dem Zug und keine Zeit-
verschiebung, das ist fast wie S-Bahn-Fahren“,
freut sich Anna Engelke und tröstet sich damit
selbst über den bevorstehenden Abschied aus
Washington hinweg. (biru)
6
06 NEUES VON BODO | www.bodoev.de | www.facebook.com/bodoev
bodo ist für Sie da
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Redaktion und
Öffentlichkeitsarbeit
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Vertrieb
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bodos Bücher
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Sachspenden
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montags bis freitags von 9 bis 16 Uhr
unter dieser zentralen Rufnummer:
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Mail: [email protected] | Fax: 0231 – 950 978 20
Oder Sie besuchen uns:
Schwanenwall 36 – 38 | 44135 Dortmund
Mo. bis Fr. 10 – 18 Uhr | Sa. 10 – 14 Uhr
Stühmeyerstraße 33 | 44787 Bochum
Mo., Mi. u. Fr. 14 – 17 Uhr
Di. u. Do. 10 – 13 Uhr
Im Oktober begann Vanessa (links) als vierte Auszubildende in unserem Buchladen ihre Aus-bildung zur Verkäuferin.
Zusammen mit Julia (rechts), die nach einer Ein-
stiegsqualifikation direkt ins zweite Lehrjahr ein-
steigen konnte, ist Vanessa bereits die zweite junge
Mutter, die bei bodo die Möglichkeit bekommt, eine
Teilzeitausbildung zu machen: „Nach der Schule habe
ich gejobbt und diverse Maßnahmen vom Arbeitsamt
durchlaufen. Jetzt bin ich froh, endlich eine Ausbil-
dungsstelle gefunden zu haben. Noch dazu in einem
Bereich, der mich schon immer interessiert hat.“
Dass es manchmal stressig werden kann, hat sie in ih-
rem ersten Monat bei bodo auch schon erfahren. Zwi-
schen Verkäufern, die auf ihre Zeitungen warten, aus-
gehenden Buchsendungen in die ganze Welt und einem
Buchbestand von über 10.000 Büchern ist Teamwork
gefragt, um nicht den Überblick zu verlieren.
Gemeinsam mit Sandra, die zurzeit im zweiten Lehr-
jahr ist, und Steffi, die nach erfolgreicher Abschluss-
prüfung um ein drittes Lehrjahr verlängert hat, um die
Zusatzqualifikation Einzelhandelskauffrau zu erhalten,
bilden die beiden ein super Team. Auch Suzanne Prä-
kelt, Leiterin des Projekts Buch, freut sich über die
Verstärkung: „Vanessa passt super zu uns!“
Ausbildung bei bodo Neue bodo-Taschen
Endlich keine verknickten oder regennassen Zeitungen mehr! Dank einer großzügigen Fir-menspende bekommen unsere VerkäuferInnen Verkäufertaschen, die die harte Beanspruchung auf der Straße auch wirklich aushalten werden.
Eigentlich als Unterstützung für unsere Bochumer
gedacht, haben wir aufgestockt und lassen nun Ta-
schen für das gesamte bodo-Gebiet herstellen. Wir
sind froh und stolz, dass wir Jens Christof Micheel
von der Dortmunder Firma Ruhrgepäck als Partner
gewinnen konnten. Ruhrgepäck fertigt für uns ex-
klusive Taschen an und unterstützt uns in außeror-
dentlichem Maße – vielen Dank!
Unsere Verkäufer erhalten somit hochwertige LKW-
Planen-Taschen mit eigenem bodo-Motiv, entworfen
von unserem Grafiker Andre Noll. Für die Taschen
hinterlegen unsere Verkäufer eine überschaubare
Summe Pfand, die auch in Raten zahlbar ist.
Weil uns selbst die Taschen so gut gefallen, vermu-
ten wir, dass vielleicht der eine oder andere Leser
selbst gern eine solche Tasche hätte. Wir haben also
eine streng limitierte Auflage von zwei Taschenfor-
maten in Auftrag gegeben – mit leicht abgewandel-
ten Motiven. Ab Dezember zu kaufen bei bodo und an
unseren Info-, Buch- und Weihnachtsmarktständen.
ANZEIGEN
7
Es ist eine Menge los bei bodo in acht Wochen bis Weihnachten. Wir beginnen mit unserer Woody-Guthrie-Gedenkveranstaltung mit Musik, Lesung und Filmausschnitten am 2. November bei uns im Buchladen.
Am 18.11. sind wir bei der Verleihung des Dortmunder
Lesart-Preises in der Sparkasse Dortmund. Zwischen
Preisverleihung und Vortrag des Physikers und Autors
Metin Tolan dürfen wir Bilder aus unserer Arbeit zei-
gen. Am 23.11. sind wir bei einer Veranstaltung zur
Geschichte und Kultur der Roma und Sinti im Dortmun-
der Wichernhaus, am 24.11. findet der Flohmarkt von
DoDog e.V. statt, des Hilfsprojekts für Tiere Wohnungs-
loser: Hannöversche Str. 18 d – e, 10 – 18 Uhr.
Im Dezember starten wir mit einer Lesung von Kai
Schäder, Teilnehmer der Mongol-Rallye, der am 7.12. über seine Fahrt von Dortmund nach Ulan Bator
berichtet. Am 10.12. veranstaltet der Euromayday
Ruhr eine Diskussionsveranstaltung zum Thema Ar-
beitsmigration aus Rumänien und Bulgarien bei uns.
Am 13.12. ist bodo-Mitgliederversammlung und am
14.12. unser großes Weihnachtsessen für alle bodo-
Verkäufer und Mitarbeiter.
Am 4. und 5.12. haben wir einen Stand auf dem
Weihnachtsmarkt in Bochum, am 19. und 20.12. auf
dem Weihnachtsmarkt in Herne.
Termine, Termine…Kinderwerkstatt bei bodo
Die Bühnenkünstlerin Fräulein Nina ist Langzeit-bodo-Autorin, ehemaliges Vorstandsmitglied und uns trotz Erstwohnsitz in Hamburg weiterhin eng verbunden. Murat Kayi ist Musiker und Kabaret-tist aus Dortmund und steht unter anderem ge-meinsam mit Nina auf der Bühne – z.B. mit ihrem gemeinsamen Programm Migrantenpop.
Präsentiert vom Kulturrucksack NRW und vom Dort-
munder Kulturbüro, veranstalten die beiden nun
eine Migrantenpop-Kinder- und Jugendwerkstatt
jeweils am zweiten und am dritten Adventswochen-
ende – in Kooperation mit bodo.
Je einen Samstag und einen Sonntag von 12 bis 17
Uhr können Kinder von 10 bis 12 Jahren bei uns ler-
nen, wie man eine Zeitung macht, im Kulturzentrum
Langer August, wie man Theater spielt und beatboxt
und eine Menge mehr.
Wer mitmachen kann? „Diese Werkstatt ist für alle
Kinder da“, sagen Nina und Murat, „für große, klei-
ne, Jungs und Mädchen, dicke, dünne, dunkle, hel-
le.“ Die Veranstaltungen sind kostenlos.
Informationen und Anmeldung – für Eltern und Kin-
der – gibt es bei Murat Kayi: 0231 – 86 43 67 22.
www.migrantenpop.de
07
Maikes Rückblick auf den September
Hallo liebe bodo-LeserInnen, da bin ich
wieder, mit allen Höhen und Tiefen.
1. September Bin heute mit einem ehe-
maligen Klassenkameraden in der Nach-
barstadt verabredet. Wollen uns einen
fröhlichen, gemütlichen Tag mit Flach-
sen, Erinnerungschwelgen sowie Ge-
schäftebummel machen. Da ich ca. eine
Stunde früher da war, habe ich versucht,
ein bisschen Zeitung zu verkaufen, was
beim Versuch blieb. Und am Spätnach-
mittag war ich noch zum Geburtstag
eingeladen.
4. September Heute bin ich nach mei-
nem Arbeitstag zum Essen eingeladen
worden. Und nebenan ist ein An- und
Verkaufsladen für Elektrogeräte, wo ich
preisgünstig einen Kühlschrank gekauft
habe, denn mein Kühlschrank, der ca. 20
Jahre alt war, ist kaputtgegangen.
6. September Da der An- und Verkaufsla-
den wohl jeden Donnerstag Auslieferung
hat, habe ich den Kühlschrank heute be-
kommen und der alte Kühlschrank wurde
zur Entsorgung mitgenommen.
14. September Heute kommt wohl alles
zusammen: Migräneanfall mit Übelkeit
sowie hohem Blutdruck. Und da wollte
ich eigentlich heute zum Friedhof, um am
Grab meines Mannes und meiner Groß-
eltern ein stilles Gebet zu tätigen, da
meine Oma ihren Geburtstag heute hätte
und der 18te Hochzeitstag von meinem
verstorbenen Mann und mir wäre.
18.September Ja, heute ist der 14jähri-
ge Gedenktag meines verstorbenen Man-
nes. Da kommen immer wieder schöne
Erinnerungen hoch.
28.September Bin schon auf die Verkäu-
ferversammlung gespannt. Was da wohl al-
les Schöne und Schlechte zu Tage kommt?
Nun ja, man lässt sich überraschen.
Jetzt aber Schluss mit den Erinnerungen,
denn verstorbene Verwandte kommen eh
nie wieder, man behält sie im Herzen.
Eure Bodoline Maike
MAIKES VERKÄUFERTAGEBUCH
Die Fußballweltmeisterschaft der Wohnungslosen ist entschieden. 200.000 (!) Zuschauer sahen beim 10. Homeless World Cup in Mexiko City die amerikanischen Fußballnationen dominieren.
Der Gastgeber gewann den Titel bei den Frauen vor
Brasilien und wurde hinter Chile zweiter bei den
Männern. Nie zuvor hatte die Obdachlosen-WM mehr
Öffentlichkeit. Professionelle Werbespots liefen in
den mexikanischen Fernsehsendern, Werbeplakate
hingen in den Hallen der großen Flughäfen, und in vielen Zeitungen erscheinen Beiträge zu den Spielen.
Allein am Eröffnungswochenende feuerten rund 50.000 Zuschauer die Spieler an.
„Es gibt wohl kaum einen besseren Weg als den Sport, um den unterschiedlichen Hintergrund der Menschen
vergessen zu lassen, ob es sich dabei nun um Obdachlosigkeit, Armut, Drogenmissbrauch oder Kriminalität
handelt“, sagte Danielle Batist vom Internationalen Netzwerk der Straßenzeitungen.
Der Homeless World Cup wirkt: Über 90 Prozent der Spieler geben an, neue Motivation für ihr Leben zu haben,
mehr als zwei Drittel haben ihr Leben durch Fußball signifikant verbessert. Mehr auf www.bodoev.de.
Homeless World Cup
8Hajusom
08 THEATER | von Wolfgang Kienast | Fotos: Frank Willhoeft · Rosa Frank · Thomas Werner · Ivo Hofste
Favoriten 2012:
Das Theaterfestival „Favoriten”, vor 27 Jahren in Dortmund unter dem Namen „Theaterzwang” gegründet, ist ein bedeutender und gleichzeitig der höchstdotierte Wettbewerb der deutschen Off-Szene. Zwölf ausgewählte Produktionen konkurrieren während der letzten Novemberwo-che um die begehrten Auszeichnungen.
Ein umfangreiches Begleitprogramm stellt an
Hand der Themenreihe „Stay with me for a little
while” die Stadt Dortmund selbst in den Mittel-
punkt des Interesses. In die gleiche Richtung
zielen auch mehrere Projekte für Kinder, Jugend-
liche und Studierende. Mit dem Schwerpunkt,
politische, soziale und künstlerische Prozesse
vor einem konkreten urbanen Hintergrund
zusammenzudenken, bezieht sich das diesjährige
Festival bewusst auf seine Anfänge.
Damals, Mitte der 80er Jahre, war im Ruhrge-
biet die Krise der Schwerindustrie längst in den
Köpfen der Menschen angekommen. Werkstill-
legungen, Massenentlassungen, (Jugend-)
Arbeitslosigkeit. Die Frage, die sich stellte,
war kaum noch, wie dieser Wandel aufzuhalten,
sondern, wie mit ihm umzugehen wäre. Alles
hinnehmen oder selbst aktiv werden? Und wenn
aktiv werden, in welcher Form? Diskutiert und
politisiert wurde nicht nur im hauptsächlich
betroffenen Arbeitermilieu, sondern in nahezu
allen Kreisen der Gesellschaft, einschließlich der
kulturschaffenden.
Zu der Zeit konnten in Dortmund die Protago-
nisten einer Verknüpfung von Werktätigkeit und
Textproduktion auf eine bereits langjährige
Tradition verweisen. Die Gruppe 61 sei genannt,
oder, der Name ist Programm, der 1970 aus der
Taufe gehobene, in seiner Ausrichtung radika-
lere „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt”. Dem
Werkkreis hatte sich in den frühen 70er Jahren
die „Initiative Theater Dortmund / Dortmunder
Lehrlingstheater” angeschlossen. Das von Kurt
Eichler, später Mitbegründer des Festivals und
heute Geschäftsführer der städtischen Kulturbe-
triebe, geleitete Lehrlingstheater gilt als erste
freie Theatergruppe im Ruhrgebiet.
Aus Unzufriedenheit über die marginale gesell-
schaftliche Bedeutung der etablierten Spielstätten,
auf deren Bühnen revolutionäre Ideen zwar thema-
tisiert wurden, ohne dass diese jedoch jemals die
Theaterräume verlassen sollten, wollte das Lehr-
lingstheater politische Inhalte in den öffentlichen
Raum tragen. Inhaltlich waren die Produktionen,
sie trugen Namen wie „Alle Räder stehen still” oder
„Da bleibt dem Chef die Spucke weg”, eng an reale
Verhältnisse in Dortmund angelehnt; Widerpart
in den Stücken war des öfteren eine so genannte
„Huch AG”, wobei jeder wusste, wer damit gemeint
war. Aufführungsorte waren Jugendzentren, Volks-
hochschulen und Partei- oder Gewerkschaftshäuser,
bald auch weit über die regionalen Grenzen hinaus.
Freies Theater – urbaner Raum
9Raimund Hoghe
09
Seinen letzten Auftritt hatte das Lehrlingsthe-
ater im Sommer 1984 beim „Festival der freien
Dortmunder Theatergruppen”. Hintergrund des auf-
geführten Stücks waren die seinerzeitigen, großen
Demonstrationen für den Erhalt der Stahlproduk-
tion in Dortmund. Im selben Jahr wurde die „Ko-
operative Freier Theater NRW” gegründet, ab 2006
als „Verband freie darstellende Künste NRW e.V.”
firmierend und seit 1985 Ausrichter des Festivals
„Theaterzwang”, dem Vorläufer von „Favoriten”.
Qualitativ haben Off-Produktionen in der Spanne
von mehr als vierzig Jahren eine enorme Entwick-
lung genommen, sozial und politisch relevante
Themen werden in der Regel noch verhandelt, was
allerdings aus dem Blickpunkt zu geraten droht,
ist eine Rückkopplung mit den Bewohnern der
jeweiligen Städte. Damit konnte Kritik an einem
der Punkte angesetzt werden, welche 1970 zur
Gründung auch des Dortmunder Lehrlingstheaters
führten. L art pour l art.
Wohl bedenkend, dass sich die heutige Gesamt-
situation deutlich von der damaligen unterschei-
det, reagierte vor zwei Jahren, beim Fünfund-
zwanzigsten, die Festivalleitung in mehrfacher
Hinsicht auf diese Problematik. Nicht nur, dass
im Nebenprogramm ein Abend unter dem Motto
„Das war’s” zu besuchen war, ein Rückblick auf
„eine Zeit, in der sich die Kraft des freien Thea-
ters vor allem aus Überzeugungen und Aktions-
willen, Unterhaltung und Bierkonsum speiste.
Theater sollte wie Fußball sein.” Bezug nehmend
auf das Vorhaben, Elfenbeintürme zu räumen,
verspricht Aenne Quiñones, 2010 wie 2012 die
Künstlerische Leiterin von „Favoriten”, im Vor-
wort zum aktuellen Programmheft: „Anknüpfend
an 2010 wird sich das Theaterfestival Favoriten
in der diesjährigen Ausgabe weiter in die Stadt
hinein vernetzen: als eine Veranstaltungsreihe
für die Zuschauer und mit ihnen.”
In diesem Zusammenhang bekennt sie sich
ausdrücklich zum Dietrich-Keuning-Haus in der
Nordstadt als Ort des Festivalzentrums und nennt
diese Wahl ein inhaltliches Statement. Theater ge-
höre dorthin, wo die Menschen sind. Vier der fünf
„Stay with me for a little while”-Projekte finden
im DKH statt, bei freiem Eintritt allen zugänglich.
Auftreten wird hier die Dortmunder Streetdance-
Formation The Marios, Pioniere der lokalen Jerk-
Bewegung. An den Wänden hängen Fotografien
von Nevin Aladag, der in der Stadt Freundespaare
und -gruppen porträtiert hat.
„The Gegenschein“, ein audiovisuell arbeitendes
Künstlerquartett, lotet bei einer Performance
die Wechselwirkung akustischer und optischer
Apparaturen aus. Außergewöhnlich, als begehbare
Installation zwischen Wunderkammer und Labora-
torium, wird das Festivalzentrum selbst gestaltet
sein. Hier kann man täglich Organisatoren, Schau-
spieler, Neugierige und Nachbarn treffen.
Wie ernst es die Festivalleitung mit der An-
sage meint, traditionelle Spielorte hinter sich
und neue Räume erkunden lassen zu wollen,
beweisen Projekte, die sich an Studierende
bzw. Kinder und Jugendliche richten. Mit der
Situation ausgewählter Stadtteile befasst sich
der Hochschul-Workshop „Urbane Szenerien –
Realitäten einer Stadt”. Die Teilnehmer lernen
dabei, ihren Blick für die vielfältigen Kontraste
an diesen Orten zu schärfen, die Befunde mit
Hilfe künstlerischer Mittel zu überarbeiten
und in ein präsentables Format zu bringen. An
Kinder und Jugendliche richtet sich einerseits
das Angebot, Stücke im Festivalprogramm
näher und angeleitet kennenzulernen, und an-
dererseits, selbst kleine Szenen zu entwickeln,
um diese anschließend in der Öffentlichkeit
aufzuführen.
10
10
Für den Wettbewerb schließlich, dem eigentli-
chen Herz bei „Favoriten”, wurden 125 Bewer-
bungen gesichtet und haben Scouts Auffüh-
rungen von 200 Produktionen besucht. Bei den
auserkorenen zwölf Beiträgen stehen Bühnen-
formate, welche sich aus einer zeitgenössischen
Urbanität entwickelt haben neben Theater- und
Tanzprojekten, bei denen gesellschaftliche Fra-
gestellungen thematisiert werden. Ein weiteres
Kriterium bei der Auswahl war das Potenzial
der Stücke, die internationalen Vernetzung der
Akteure aus Nordrhein-Westfalen aufzuzeigen -
als grundlegende Bedingung für Freie Theater-
arbeit auf hohem Niveau wie auch als Spiegel
der Zuwanderungsgeschichte weiter Teile der
Bevölkerung des Bundeslandes.
Ohne einzelne Beiträge im Vorfeld gesehen
zu haben, kann bodo natürlich weder einen
persönlichen Favoriten nennen noch eine Emp-
fehlung aussprechen, schließt sich aber, ganz
neutral, einem Tipp von Kurt Eichler an. Eichler
rät, auf keinen Fall die Festivaleröffnung von
Richard Siegal zu verpassen. Am Samstag, dem
24. November, verwandelt der amerikanische
Choreograf das Dietrich-Keuning-Haus in eine
philosophische Party, bei der Wände zwischen
Bühne und Publikum eingerissen werden sollen.
Bis schließlich alle tanzen.
Ausverkauftes Haus wünscht bodo sämtlichen
Aufführungen in den über Dortmund verteilt
liegenden Spielstätten des Festivals. Veranstal-
tungsorte beim Wettbewerb sind das Kinder- und
Jugendtheater, das Theater im Depot, das Studio
im Schauspielhaus und das Kino sweetSixteen.
Wer, außer sowieso dem Publikum, sich letztlich
als Gewinner fühlen darf (drei Geldpreise im Wert
zwischen 1.500 und 5.000 Euro sind ausgelobt
sowie Zuschüsse zu einem Auftrittsnetzwerk,
das sich an potenzielle Veranstalter richtet),
entscheidet eine Fachjury aus Kuratoren, Drama-
turgen, Regisseuren und Journalisten bzw. eine
besondere Jugendjury.
Die Verleihung der Förderpreise findet am
Samstag, den 1. Dezember um 19 Uhr im Thea-
ter im Depot statt. Raimund Hoghe, er gilt als
einer der wesentlichen Protagonisten der euro-
päischen Tanzszene, gibt im Anschluss an die
Verleihung und im Rahmen einer speziell auf
Ort und Anlass zugeschnittenen Performance
einen Einblick in die zwei Jahrzehnte seiner
choreografischen Arbeit. Aenne Quiñones freut
sich sehr, Hoghe für diesen Abend gewonnen
zu haben: „Er ist der Prototyp eines Künstlers,
der in dem nicht immer leicht zu überlebenden
Raum eine eigene, international beachtete
Sprache gefunden hat.” (wk)
INFO www.favoriten2012.de
Grind
Aenne Quiñones
11
19
Seit 17 Jahren gehören das Straßenmagazin und seine
Verkäufer zum Straßenbild in Bochum, Dortmund und
Umgebung. Viele haben feste Verkaufsplätze und einen
eigenen Kundenstamm. Manche sind schon seit Jahren
bei uns, andere nur auf der Durchreise. Für alle jedoch
ist der Verkauf des Straßenmagazins eine Arbeit, die
Halt gibt und Selbstbewusstsein schafft. bodo stellt
regelmäßig einen Verkäufer vor.
bodo-VerkäuferInnen
VERKÄUFERGESCHICHTEN | protokolliert von Sebastian Sellhorst | Foto: Sebastian Sellhorst 11
»Alles eine Frage der Organisation.«Otto aus Bochum:
Seit über zehn Jahren lebt Otto ohne eigene Woh-nung. Nach langem Aufenthalt in Hamburg ist er seit einigen Monaten wieder im Ruhrgebiet und verkauft in Bochum am Hauptbahnhof das Stra-ßenmagazin. Warum er seine Wohnung vor vielen Jahren aufgegeben hat und wie er durch kalte Winter kommt, hat er uns erzählt.
„Geboren bin ich 1971 in Paderborn, aber bereits
als Kleinkind bin ich mit meinen Eltern nach Duis-
burg gezogen. Nach meinem Hauptschulabschluss
habe ich eine Lehre als Metzger begonnen. Das
war damals eigentlich mein Traumberuf, aber nach
relativ kurzer Zeit merkte ich, dass das wohl doch
nicht das Richtige für mich ist. Sobald ich eine
andere Lehrstelle als Steinmetz gefunden hatte,
habe ich die Metzger-Lehre hingeschmissen. Die
Arbeit als Steinmetz machte mir dann zum Glück
eine Menge Spaß.
In meinem Ausbildungsbetrieb habe ich noch gut
zehn Jahre nach Abschluss meiner Lehre gearbei-
tet. Als mein Chef in Rente ging und den Laden
dichtmachte, wurde ich arbeitslos. Danach war es
für mich sehr schwer, was Neues zu finden. Es gab
zwar immer mal wieder Möglichkeiten, aber zu der
Zeit wurde in dem Bereich sehr viel Lohndumping
betrieben. Da konnte es dir passieren, dass du einen
Job hattest, du aber trotzdem noch zum Arbeitsamt
musstest, weil das Geld nicht reichte.
Irgendwann war ich so genervt von der Arbeitslo-
sigkeit, den Ämtern und den Behörden, dass ich den
Entschluss fasste, mich woanders nach Arbeit umzu-
sehen. In der Hoffnung, in Norddeutschland Fuß zu
fassen, kündigte ich meine Wohnung und fuhr nach
Hamburg. Die Zeit, bis ich eine neue Wohnung ge-
funden hatte, wollte ich damals mit meinem Zelt auf
einem Campingplatz überbrücken. Das ist jetzt zwölf
Jahre her. Eine Wohnung hatte ich seitdem nicht
mehr. Auch mit dem Job lief es nicht so, wie ich es
mir vorgestellt hatte, und so landete ich irgendwann
beim Hamburger Straßenmagazin Hinz & Kunzt.
Nach einer Weile habe ich dann auch mein Zelt ab-
geschafft, weil der Campingplatz auch eine Menge
Geld kostete, das ich nicht hatte. Stück für Stück
lernte ich, mich auf der Straße zurechtzufinden,
probierte Suppenküchen und Übernachtungsein-
richtungen aus, merkte aber schnell, dass ich auch
gerne alleine bin. Mit vielen Leuten auf einem Zim-
mer, wovon einige vielleicht betrunken sind oder
unter Drogen stehen, das war nichts für mich. So
habe ich es eigentlich immer vorgezogen, im Freien
zu schlafen.
Vieles ist nur eine Frage der Organisation, wenn man
draußen lebt. In den ersten Wintern habe ich noch
gefroren. Heute weiß ich, wie ich mich vor der Kälte
schützen kann. Mit zwei oder drei Iso-Matten und
einem zweiten Schlafsack kommt man auch durch
den kältesten Winter. Ab 15 Grad minus nehme ich
noch einen Taschen-Wärmer dazu. Wenn man es
schafft, sich vernünftig auszurüsten, hat man es
leichter. Wenn man das, aus was für Gründen auch
immer, nicht hinkriegt, hat man ein Problem.
Vor einigen Monaten kam mir dann die Idee, zurück
ins Ruhrgebiet zu gehen und bodo zu verkaufen. Ob
ich noch mal zurück kann in ein Leben mit Wohnung
und fester Arbeit, weiß ich allerdings nicht. Mitt-
lerweile begreife ich die Straßenzeitung als meinen
Job, habe auch ohne Wohnung einen geregelten Ta-
gesablauf: Stehe morgens um sechs Uhr auf, gehe
duschen, danach in einen Waschsalon, meine Kla-
motten waschen, die ich danach in ein Versteck oder
ein Schließfach packe. Danach trinke ich bei bodo
einen Kaffee mit meinen Kollegen und hole mir die
Zeitungen für den Tag, und dann warten auch schon
meine Kunden auf mich.“ (sese)
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12
KULTUR | von Wolfgang Kienast
Thema einer neuen Sonderausstellung in der DASA, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund, ist das Selberma-chen. Es geht dabei um nicht weniger als eine revolutionäre Bewegung, die gerade einmal hundert Jahre benötigte, nahezu jeden Bereich des Alltags zu erfassen und die unser Leben grundlegend verändert hat. Ob es die Lust an Marke Eigenbau ist oder die Not, die erfinderisch macht, das selbstverständliche SB-Tanken, das subversive Stadtgärtnern, der Blog, der Bau-markt, der Bankautomat: Die Ausstellung zeigt, das sind Aspekte ein und desselben Phänomens. Uns ist in diesem Zusammenhang das meiste
derart vertraut, dass wir es kaum noch hinterfra-
gen. „Do It Yourself” zeigt dem Besucher, von wie
vielen Warten aus das Thema untersucht werden
kann, ohne dass der konzeptionelle Ansatz bemüht
wirken würde. Da reicht es, die Perspektive leicht
zu verschieben, beispielsweise das Strickzeug
nicht in der Hand zu halten, sondern in einem
Schaukasten liegen zu sehen, um sich beim Nach-
gehen vorher nicht gestellter Fragen zu erwischen.
Seit wann wird eigentlich gestrickt? Und was war-
um von wem? Könnte ich nicht auch mal (wieder)?
Und vielleicht keinen Schal, sondern einen bunten
Wimpel an dem tristen Bauzaun da drüben?
„Manchmal war es gar nicht so einfach, eine scharfe
Trennlinie zu ziehen zwischen dem wissenschaft-
lichen Anspruch, den wir verfolgt haben, und der
schwer zu unterdrückenden Lust, uns den Sachen
einfach hinzugeben”, sagt Tine Nowak, eine der
drei Kuratorinnen. Ihre Zwickmühle wird nachvoll-
ziehbar, bewegt man sich entlang der sorgfältig
ausgestatteten und dennoch kunterbunt wirkenden
Vitrinen und Regale. Da dürfte jeder den Drang
Do It YourselfWir alle machen mit, wir können gar nicht anders
12 RECHT | von Rechtsanwalt René Boyke
Der richtige Umgang mit Mahnungen
Wer chronisch knapp bei Kasse ist, geriet mög-
licherweise bereits in die Mühlen des gericht-
lichen Mahnverfahrens. Dabei ist es wichtig,
über den Ablauf informiert zu sein: Das Mahn-
verfahren ist bereits ein Gerichtsverfahren.
Rein private Zahlungsaufforderungen von
Gläubigern sind nicht Teil dieses Verfahrens.
Der Gläubiger bittet im Mahnverfahren das
Gericht, den Schuldner zur Zahlung aufzu-
fordern. Eine Begründung des Gläubigers ist
dazu nicht notwendig. Das Gericht kommt
dieser Bitte nach und stellt dem Schuldner
per Postzustellungsurkunde die Zahlungs-
aufforderung zu.
Dem Schuldner bleiben dann im Wesentli-
chen zwei Reaktionsmöglichkeiten: Zahlen
oder Widerspruch einlegen. Beide Reaktio-
nen beenden das Mahnverfahren. Legt der
Schuldner Widerspruch ein, dann wird die
Sache regelmäßig vor einem normalen Ge-
richt ausgetragen. Erfolgt allerdings keine
Reaktion, dann kann der Gläubiger nach Ab-
lauf von zwei Wochen nach Zustellung des
Mahnbescheids das Gericht bitten, einen
Vollstreckungsbescheid zu erlassen und die-
sen dem Schuldner zuzustellen.
Erst nach der Zustellung hat der Gläubiger die
Möglichkeit, gegen den Schuldner zu vollstre-
cken. Dies ist möglich, ohne dass der Gläu-
biger dem Gericht den Anspruch begründen
muss. Ist ein Vollstreckungsbescheid erlassen,
kann der Schuldner innerhalb von zwei Wochen
nach dessen Zustellung Einspruch einlegen.
Die Sache wird dann normalerweise vor einem
normalen Gericht ausgetragen. Nun muss der
Gläubiger seinen Anspruch auch begründen.
Bleibt der Schuldner aber untätig, dann wird
der Vollstreckungsbescheid rechtskräftig.
Dem Schuldner bleiben dann nur noch we-
nige Möglichkeiten, sich gegen die Vollstre-
ckung zu wehren. Weder der wahre noch der
vermeintliche Schuldner sollte einen Mahn-
oder Vollstreckungsbescheid ignorieren. Für
den Schuldner ist das Mahnverfahren sehr
viel günstiger als ein Gerichtsverfahren. Wer
zahlt, kommt noch mit einem blauen Auge
davon. Allerdings läuft er – wenn er nicht re-
agiert – auch Gefahr, dass zwangsvollstreckt
wird, obwohl keine Forderung besteht. (rb)
www.kanzlei-boyke.de
13
wird (wie es mir ergangen ist) zu Hause
frustriert die Tasche auskochen wollen,
um an den Saft zu kommen. Nehmen Sie
besser eine Dose.
Die Plackerei jedoch lohnt. Selbstgemach-
ter Sanddornsaft schmeckt um ein Vielfa-
ches frischer als gekaufter. Weiterver-
arbeiten lässt er sich zu Gelee, zu Likör,
kalten Suppen oder Saucen: ausnahmslos
lecker. Da es aber in bald zwei Jahren
bodo-Wildkräuterkolumne noch nie ein
Dessert-Rezept gegeben hat, möchte ich
Ihnen in unserer November-Ausgabe einen
Schokoladenpudding ans Herz legen. Nach
dem Sammeln geht alles ganz einfach.
300g Sanddornfrüchte waschen, in ei-
nem Sieb etwa zehn Minuten über heißem
Wasser dämpfen und dann durch das Sieb
streichen. Fünf Eigelb und 100g Rohrzucker
schaumig schlagen. Den Sanddornsaft und
250ml süße Sahne zugeben, weiter schla-
gen. 250ml Milch erhitzen und 100g Block-
schokolade darin auflösen. Die Sanddorn-
sahne zur Schokomilch geben, peu à peu
75g Weichweizengrieß einstreuen und ein
paar Minuten quellen lassen. Drei Eiweiß zu
einem steifen Schnee schlagen, behutsam
unter die Masse ziehen und noch einmal
sanft erhitzen. Mit gemahlenen Haselnüs-
sen bestreuen und auskühlen lassen. Der
Pudding hat die Konsistenz einer cremigen
Mousse au chocolat und einen feinsäuer-
lich fruchtigen Geschmack.
Sanddorn wird zwischen Mitte September
und Mitte November geerntet. Je nach
Witterung und Lage kann man ihn bis
in den Dezember hinein sammeln, doch
schmecken überreife Früchte ranzig. Das
liegt an den ölhaltigen Samen. Ansons-
ten sind die Scheinbeeren wahre Vitamin-
bomben. Mit bis zu 9g Vitamin C pro Kilo
schlagen sie Zitronen um Längen. Bana-
nen sowieso. (wk)
wildkraeuter.bodo/23_sanddorn/Bananen, mal abgesehen davon, dass
ich sie nicht sooo gern mag, halte ich
ansonsten für eine ziemlich überzeu-
gende Angelegenheit. Hätte sich ein
Mensch die Frucht ausgedacht, die in ih-
rer eigenen Verpackung wächst, er hätte
mindestens einen Red Dot für perfektes
Design gewonnen.
Dem Anschein nach aber war ein Zuliefe-
rer der österreichischen Supermarktkette
Billa jetzt der Auffassung, dass es nichts
auf der Welt gäbe, was nicht irgendwie zu
verbessern wäre. Jedenfalls lagen Ende
September ausgezogene Bananen unter
Klarsichtfolie auf Styropor im Lebensmit-
telregal des Discounters. Chapeau! Im Netz
hat der hanebüchene Unfug derart viel
Aufsehen erregt, dass Verschwörungstheo-
retiker bereits vermuten, es hätte sich bei
der Aktion auch um einen besonders hin-
terfotzigen Werbecoup handeln können.
Wie auch immer, wer auf Trash wie foli-
enverschweißte Bananen abfährt, sollte
mit Wildkräutern gar nicht erst anfan-
gen. Meist ist die Natur nicht so entge-
genkommend wie im Fall der gekrümmten
Südfrucht. Im Gegenteil. Beim Sanddorn
zum Beispiel, dem es, flächendeckend an
Ost- und Nordseeküste beheimatet, mitt-
lerweile an den Halden im Revier glei-
chermaßen gut gefällt.
Die Sträucher sind mit bis zu sechs Zen-
timeter langen Dornen bewehrt. Meist
direkt unter diesen sitzen sehr fest an
ausgesprochen kurzen Stielen die kleinen,
orangeroten Scheinbeeren; sie sind saftig
prall und haben eine so dünne Haut, dass
sie bei geringem Druck schon platzen.
Bei der Ernte, die entsprechend mühsam
ist, hilft eine Schere mit schmaler Klin-
ge. Wer dann (wie ich beim ersten Mal)
meint, ein Stoffbeutel
wäre zum Transport
geeignet,
13WILDE KRÄUTER | von Wolfgang Kienast
verspüren, einzelne Exponate anzufassen, um sie
an Ort und Stelle auszuprobieren. Meist heißt es
jedoch: Berühren verboten. Leider. Bestaunen aber ist
erlaubt, den zu einem Schlitten umgebastelten IKEA-
Schaukelstuhl oder eine mit Staubsaugern angetriebe-
ne Rohrpostanlage aus einem Postamt der DDR.
„Als wir 2008 im Museum für Kommunikation in
Frankfurt damit begonnen haben, das Konzept zur
Ausstellung zu entwickeln, konnten wir gar nicht
ermessen, welche gesellschaftliche Bedeutung sie
im Lauf der folgenden Jahre bekommen sollte. Das
ist in engem Zusammenhang mit der wirtschaftli-
chen Krise zu sehen. Einerseits, weil Selbermachen
oft Geld spart, auf anderer Ebene aber auch, weil in
den momentan sich überall entwickelnden subkul-
turellen Strömungen viele und ganz unterschied-
liche Formen von ,aktiv sein‘ im Trend liegen”,
vermutet die Kuratorin.
Hilfe bei der inhaltlichen Gliederung von „Do It
Yourself” bieten die Schlagworte Hobby, Arbeit,
Gegenkultur, Wissen und Medien. Die Grenzen sind
fließend. Historischen Aspekten, etwa der Erklä-
rung der ursprünglichen Bedeutung von Begriffen
wie Laie, Dilettant und Amateur, wird gleicher-
maßen Rechnung getragen wie den absehbaren
Möglichkeiten für Einzelne und Gruppen, die sich
aus der Philosophie des Web 2.0 ergeben.
Ein roter Faden ist die feministische Fragestellung.
Die handarbeitende Gottesmutter auf einem mittel-
alterlichen Altarbild irritiert dabei weniger als die
neuzeitliche, mit Swarowskisteinchen besetzte Hand-
bohrmaschine. Die tüftelnde Hausfrau Melitta Bentz,
1908 hat sie den Kaffeefilter erfunden, fehlt ebenso
wenig wie punkige Riot-Girls. „Schwierig war es, bei
den unzähligen Experimentierkästen für Kinder und
Jugendliche, die seit den 1920er Jahren mit großem
Erfolg im Handel sind, einen mit einem Mädchen auf
dem Kartondeckel zu finden”, sagt Frau Nowak.
Experimentiert und gebastelt werden kann im Rah-
men der Ausstellung natürlich auch, im angeschlos-
senen Tüftlerlab, wo Besucher unter freundlicher
Anleitung das Stricken lernen können, Saatbomben
zu bauen oder Blumentöpfe aus PET-Flaschen mit
integrierter Bewässerung. Ein umfangreiches Rah-
menprogramm rundet die Ausstellung ab. (wk)
INFO
DASA | Do It Yourself – Die Mitmach-Revolution
29. September 2012 bis 28. April 2013
www.dasa-dortmund.de | www.diy-ausstellung.de
14
Der Realität der Zuwanderung begegnen„Schritt-Weise“ zum Bildungserfolg
INTERVIEW | von Bastian Pütter | Foto: Schritt-Weise
Seit einem Jahr beraten, begleiten und betreu-en Monika Kasler (Foto rechts) und Johanna Smith Familien mit schulpflichtigen Kindern, die aus den EU-Ländern Rumänien und Bulgari-en nach Dortmund kommen – in den jeweiligen Muttersprachen der Neuzuwanderer. Das Pro-jekt „Schritt-Weise“ des Diakonischen Werks Dortmund ist damit allein auf weiter Flur. bodo sprach mit den Projektmitarbeiterinnen über bürokratische Hürden und den Mangel an Hilfsangeboten, über die Not der Zuwanderer und deren großen Einsatz, ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen.
bodo Seit einem Jahr gibt es „Schritt-Weise“. Wie
sind Sie mit den Familien in Kontakt gekommen?
Smith Wir haben in den Schulen erste Kontakte
zu den Familien geknüpft, aber auch andere
Orte gesucht, an denen wir in Kontakt kommen
konnten. In vier kooperierenden Schulen bieten
wir feste Sprechzeiten an.
Ganz wichtig für uns ist das Gesundheitsamt.
Hier sind wir zweimal in der Woche im Rahmen
der Sprechstunde für nicht krankenversicherte
Kinder und haben auch vor Ort einen getrennten
Beratungsraum für Bildungsberatungen. Wir tref-
fen häufig die Familien, die wir aus den Schulen
kennen, dort. Sie sehen, die Tür ist immer offen,
und die Leute kommen einfach rein und fragen
auch nach gesonderten Terminen. In den Schulen
helfen wir, Regeln zu vermitteln, übersetzen bei
den Elterngesprächen und erklären kulturelle
Differenzen. Und wir sind begeistert, wie viele
engagierte Lehrer und soziale Fachkräfte es gibt.
Kasler Was uns am Anfang positiv aufgefallen ist,
ist das Bemühen der Eltern, einen guten Schulstart
zu ermöglichen. Das heißt, dass trotz existenzieller
Not die Kinder Frühstück dabei hatten und etwas
zu trinken und alle sauber und schön angezogen
waren. Von Vernachlässigung konnte und kann
keine Rede sein, die Eltern geben sich große Mühe,
auch wenn es am Nötigsten fehlt.
Vielen Eltern ist es sehr wichtig, dass die Kinder
eine gute Ausbildung erhalten. Das deutsche
Schulsystem ist ihnen nicht geläufig. Hier
versuchen wir, konkrete Aufklärungsarbeit zu
leisten und schaffen mit unserem Beratungsan-
gebot einen Beitrag zum Bildungserfolg und der
Bildungsplanung der Kinder.
bodo Wer kommt in Ihre Beratungen?
Kasler Wir betreuen zur Zeit 70 Familien, 40 rumä-
nische, 30 aus Bulgarien. Das ist sehr viel, denn
der Betreuungsaufwand ist immens. Wir müssen
uns auf Familien mit schulpflichtigen Kindern
beschränken. Die Not dieser Familien ist so groß
und es gibt überhaupt keine Anlaufstelle für diese
Leute, so dass jeder Strohhalm genutzt wird. Dass
wir auf bulgarisch und rumänisch beraten können,
schafft sofort Vertrauen. Der Schlüssel ist die
Muttersprachlichkeit.
Smith Die Familien, die zu uns kommen, sind fest
entschlossen, sich hier etwas aufzubauen. Ich
betreue eine Mutter, die sagt, dass sie sich für
ihre Tochter wünscht, dass sie nicht mit 15 oder
16 heiratet wie sie selbst, sondern ihre Schul-
ausbildung schafft und eine Ausbildung macht.
Das ist sehr typisch. Übrigens: Das Mädchen
spricht inzwischen perfekt Deutsch. Von Anfang
an kamen viele Fragen der Familien, z.B. auch zur
Wohnkultur: Dürfen zwei Geschwister in einem
Bett schlafen oder darf wie in Bulgarien eine
Schlafcouch in der Küche stehen. Die Eltern sind
sehr unsicher, wir versuchen sie aufzuklären.
bodo Die Ausgangssituation der Familien ist
denkbar schlecht. Sie sind zwar EU-Bürger und
dürfen sich hier aufhalten, Sozialleistungen
stehen ihnen aber meist nicht zu und eine
Arbeitserlaubnis wird selten erteilt. Die büro-
kratischen und rechtlichen Hürden scheinen
unüberwindbar...
Smith Ja, die Lage ist für die meisten Familien
sehr schwierig. Viele Familien sind mit den büro-
kratischen Hürden überfordert.
14
Kasler Bei der Familienkasse z.B. müssen sie nach-
weisen, dass sie richtig angemeldet sind, dass sie
krankenversichert sind, dass sie ein ausreichendes
Einkommen haben. Ein Missverständnis und damit
eine falsche Angabe bei der Anmeldung allein kann
zu Kosten von mehreren hundert Euro für Doku-
mente und Übersetzungen führen. Wir gehen dann
mit der Familie zur Krankenkasse. 330 Euro kostet
15
die Kasse für Selbstständige. All das, auch eine
Gewerbeanmeldung, muss ohne Einkommen
bewerkstelligt werden.
Die Selbstständigkeit ist nötig, weil in aller Regel
keine Arbeitserlaubnis erteilt wird, und die wäre
wieder Voraussetzung für Leistungen vom Jobcen-
ter. Auch da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Die Leute sind so verzweifelt, sie wollen sich in-
tegrieren, sie wollen weiterkommen, aber alleine
schaffen sie es nicht.
Smith Der Bedarf ist riesig und es gibt praktisch
keine Angebote, selbst Beratungsstellen rufen uns
an und fragen, ob wir übersetzen oder begleiten
können. Leider gibt es deshalb „Beratungsleistun-
gen“ aus den Communities selbst, wo Menschen
für Hilfe, Übersetzungen usw. Geld nehmen und
so die Ärmsten dann noch weiter ausbeuten.
bodo Wie belastet diese Lebenssituation die Kinder?
Smith Die basalen Dinge sind die Voraussetzung
dafür, dass ein Bildungserfolg überhaupt möglich
wird. Manchmal kommen Kinder nicht, weil sie für
15
16
16
die Eltern übersetzen müssen, denn in der Schule
lernen sie sehr schnell Deutsch. Und manchmal
werden Kinder von der Schule abgemeldet, weil
die Eltern das Geld für die Schulmaterialien nicht
zahlen können oder der Weg zu weit ist und für ein
Schokoticket ein Konto nötig ist. Die Eröffnung von
Konten ist zunehmend ein Problem. Essensgeld und
Ganztag stellen die Eltern ebenfalls zunehmend vor
Probleme, obwohl die Schulen sich sehr engagieren.
Kasler Es gibt aber auch Erfolge. Sobald ein
Elternteil Arbeit hat, ändert sich die Situation
vollständig. Wir betreuen Familien, die zur Zeit
des Projektstarts in der gleichen, scheinbar
ausweglosen Situation waren. Inzwischen sind
die Eltern angestellt, die Familie ist krankenver-
sichert, und die Kinder besuchen Regelklassen
und gehen mit Spaß zur Schule.
bodo Hilfen für Menschen aus Bulgarien und Ru-
mänien sind seit Jahren kaum durchsetzbar. Die
Kommunen fürchten, damit ihre Attraktivität für
die ungewünschten Zuwanderer noch zu erhöhen.
Kasler Beratung heißt ja nicht Anwerbung. Eine
Familie aus Frankfurt rief zum Beispiel an und
fragte nach der Situation in Dortmund. Die
haben geglaubt, ihre Verwandten wollten sie
fernhalten. Am Ende des Gesprächs sagten sie:
„Frau Kasler, vielen Dank, wenn wir das nicht
gewusst hätten, wären wir gekommen. Es wäre
uns schlechter gegangen.“
Smith In den Herkunftsländern haben die Men-
schen keine Vorstellung davon, was hier auf sie
wartet. Sie sind hochmotiviert und malen sich
Deutschland als Paradies aus. Auch da mangelt es
an Information. Wir bekommen auch Anfragen von
Familien, die zurück wollen und nicht wissen wie,
weil selbst das Geld für die Busreise zurück fehlt.
Wenn man die Leute schon vor der Reise darüber
informiert, was hier nötig ist, können sie besser
vorbereitet kommen oder eben zu Hause bleiben.
Dazu gehören auch Informationen über Hilfen
und Perspektiven in den Herkunftsländern. Wir
brauchen eine Stelle, die das übernimmt.
INFO
Projekt „Schritt-Weise“
Diakonisches Werk Dortmund und Lünen
Rolandstraße 10 | 44145 Dortmund
www.diakonie-dortmund.de
Das Projekt „Schritt-Weise“ ist Bestandteil des In-
tegrierten Handlungsprogramms „Soziale Stadt NRW
– Dortmund Nordstadt“ und wird durch die EU, den
Bund, das Land und die Stadt Dortmund gefördert.
Unsere kleine Karawane zieht durchs Dorf:
die Besucher aus Deutschland im Schlepptau
von Valentina und Florian. Wir folgen ihnen
über die staubigen Lehmwege in ihrem Dorf
und bekommen eine Führung der besonderen
Art durch Bacioiu. Dass die 1.830 Menschen
hier arm sind, sieht man. Nur eine Straße ist
asphaltiert. Es gibt nur einen kleinen Laden.
„Die Auswahl der Lebensmittel ist knapp und
das Haltbarkeitsdatum oft abgelaufen“, sagt
Valentina. Fließend Wasser gibt es nicht, in
den Höfen stehen Brunnen.
Aber es gibt auch richtig schöne kleine
Häuser: in leuchtenden Farben gestrichen,
manchmal steht sogar ein Auto vor dem
Haus. „Die Bewohner dieses Hauses arbeiten
in Spanien“, sagt Valentina gerade. „Und die
Bewohner des Hauses da drüben in Italien.“
Zwei orangefarbene Häuser stechen beispiels-
weise ins Auge, davor sind gleich mehrere
Autos mit Dortmunder Kennzeichen geparkt.
Jetzt, Ende August, sind viele Dorfbewoh-
ner auf Urlaub in Bacioiu. Vor den Häusern
der „Dortmunder“ klönt Geki (19) mit seinen
Freunden. Er wächst förmlich um mehrere
Zentimeter, als er uns – auf Deutsch – er-
zählt, dass er und seine Familie jetzt in Dort-
mund wohnen. Und alle haben Arbeit. „Ich
arbeite auf dem Bau – und habe Papiere! Und
ich habe ein Konto! Jeden Monat bekomme
ich da 1.200 Euro drauf!“ Von solchen Lebens-
umständen können die meisten nur träumen.
Auch Valentina und Florian sind noch lange
nicht so weit, aber sie wollen es schaffen.
Denn im Dorf haben sie keine Perspektive.
„Unter Ceaucescu hatten wir alle Arbeit“,
sagt Florians Bruder, der sich zu uns gesellt
hat. „Da konnte keiner sagen, wir sind faul.“
Arbeit als Erntehelfer gibt es hier im Um-
kreis nur noch phasenweise. „Aber von ei-
nem Tagesverdienst von sechs Euro kannst
du keine Familie ernähren“, sagt Florian.
Valentina und Florian sind erst 2008 im Zuge
der Wirtschaftskrise mit ihren Kindern Rich-
tung Deutschland aufgebrochen. Erste Sta-
tion war Berlin. Man kenne die Treffpunkte,
sagt Florian vage. Dort stelle man sich hin
und warte auf eine Art Arbeitsvermittler,
der Türke, Serbe oder auch Rumäne ist. Auf
vielen Baustellen habe er gearbeitet, „aber
oft haben wir nicht den Lohn bekommen,
der uns versprochen worden war. Oder wir
haben den Lohn gar nicht bekommen“, sagt
er. Valentina hatte bei einem türkischen Pri-
vatmann geputzt, der sie wochenlang hat
arbeiten lassen, ohne ihr einen Pfennig zu
bezahlen. „Was die Arbeit anbelangt, wur-
den wir nur ausgetrickst“, sagt sie.
Zu sechst schlafen sie in einem Raum, müs-
sen morgens raus, dürfen erst abends wieder
rein, duschen einmal in der Woche. Krank
werden? Geht nicht, weil man sich tagsüber
nicht hinlegen darf. Und das Schlimmste:
„Der Eigentümer hat versucht, sich an Bian-
ca heranzumachen.“
Sie und ihr Mann fällten eine schwere Ent-
scheidung: „Wir beschlossen, die Kinder
nach Hause zu bringen.“ Seitdem ist das Le-
ben der Familie nicht nur hart, sondern auch
schmerzhaft.
Wir sitzen inzwischen wieder im Wohnzimmer
des kleinen Häuschens, das Valentina und
Florian von einer Familie gemietet haben, die
in Spanien ist. Von innen ist es richtig schön,
der Fußboden ist gefliest und Valentina und
Florian haben gerade frisch gestrichen. Aber
die „Spanier“ wollen das Haus verkaufen.
Gerne an Valentina und Florian. Das heißt:
Bis Dezember müssen sie 5.000 Euro auftrei-
ben, die Restsumme von 5.000 Euro dürfen
sie dann abstottern. Wenn das nicht klappt,
sitzen sie bald auf der Straße – und das sogar
in ihrem Heimatort. Man spürt: Die beiden
haben Angst, dass ihr Finanzplan nicht auf-
geht. Obwohl sie schon viel geschafft haben:
Schließlich haben sie derzeit genug Geld für
die wöchentlichen Pakete, die Kleidung, die
Schulsachen und die täglichen Telefonate.
Laura, die Zehnjährige, hat ja schon eine
Herzoperation hinter sich. Das Geld dafür ha-
Wo Europa zu Ende ist
REPORTAGE | von Birgit Müller · Hinz&Kunzt · www.street-papers.org | Fotos: Mauricio Bustamente
Bacioiu, ein Romadorf im Nordosten Rumäniens. Birgit Müller und Mauricio Bustamen-te vom Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt besuchen die Familie ihrer Straßen-zeitungs-Verkäufer Valentina und Florian. Deren Nachbar Geki ist ein „Dortmunder“, andere Nachbarn arbeiten in Spanien, Frankreich oder Italien. Eine Geschichte aus dem Teil der EU, wo Weggehen heißt, dem Hunger zu entgehen.
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Am liebsten wären Valentina und Florian das ganze Jahr über mit ihren Kindern Bianca (13), Laura (10) und Dennis (4 1/2) zusammen. Aber der Alltag sieht
anders aus. Drei Monate sind die Eltern in Hamburg: Valentina verkauft Hinz&Kunzt vor Edeka am Kalckreuthweg, Florian hat seinen Platz vor Edeka an der
Saarlandstraße in Pinneberg. Alle drei Monate fahren die beiden nach Bacioiu und verbringen einen Monat mit ihren Kindern.
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ben die Eltern auch in Hamburg verdient, genauso
wie das Geld für die Tabletten, die sie gegen die
epileptischen Anfälle nehmen muss.
Bianca, inzwischen 13 Jahre alt, ist quasi in den
drei Monaten, in denen die Eltern in Hamburg
sind, die Mutter. Sie passt auf Laura (10) und Den-
nis (4) auf. Das macht sie ganz toll, aber natürlich
ist sie auch ein junges Mädchen, fast noch ein
Kind – und sie hat ihre eigenen Pläne. Sie ist gut
in der Schule und würde auch gerne das Abitur
machen. „Ich möchte später mal Rechtsanwältin
werden“, sagt sie wie aus der Pistole geschossen,
als wir sie fragen, ob sie schon wüsste, was sie
mal werden will.
Die Roma-Organisation Impreuna („Gemeinsam“)
hätte seine wahre Freude an Bianca. Impreuna
versucht, Roma darin zu bestärken, die Schule zu
besuchen und womöglich später mal zur Uni zu
gehen. An der Bukarester Uni gibt es sogar Extra-
Studienplätze, die für Roma freigehalten werden.
Aber nur wenige schaffen den Sprung.
Valentina müsste dann in Bacioiu bei ihren Kindern
bleiben. Eine weitere Trennung. „Das geht nicht“,
sagt Florian, und es schwingt Panik mit in seiner
Stimme. „Alleine würde ich auch nicht genügend
Geld verdienen, das würde ja nicht mal für die
Lebensmittel reichen.“ Die Kinder wiederum hal-
ten die Trennung von den Eltern kaum noch aus:
Jetzt weigert Laura sich, die Anweisungen ihrer
älteren Schwester zu befolgen. Bianca sei ja nicht
ihre Mutter, sagt sie dann patzig – und nimmt bei-
spielsweise die Tabletten nicht regelmäßig.
Dennis hat oft Aggressionen, nachts wacht er
manchmal schreiend auf: „Wo ist meine Mama?“
Und seit neuestem hat er sich eine Alternative
überlegt. Ganz ernst hat er neulich zu Valentina
gesagt: „Mama, du brauchst nicht mehr wegzuge-
hen, ich kann ja weggehen.“ Man spürt Valentina
und Florian an, dass sie am Rande ihrer Kräfte
sind. Aber sie wollen stark sein, um das zu schaf-
fen, was sie schaffen müssen. Ohne Deutschland
geht es einfach nicht, sagt Valentina. „Wenn du in
Deutschland Hunger hast, sammelst du Flaschen
und kannst dir vom Pfand ein Brötchen kaufen.
Hier gibt es nichts, was du zu Geld machen kannst.“
Wir treffen den „Dortmunder“ Geki wieder. Seine
Schwester lässt heute ihr Baby taufen. Und wir
lernen eine Familie aus einem Nachbarort kennen:
Eine Mittfünfzigerin mit ihrem Mann, ihrem Sohn
und Tochter. Sie leben seit den 90er Jahren in
Spanien – und es geht ihnen gut dort. Alle vier
hatten immer Arbeit. Die Frauen im Haushalt, die
Männer auf dem Bau. In den Ferien sind sie immer
wieder in ihr Dorf gekommen – und haben auch
ihr Haus behalten und renoviert. „Zum Glück,
denn jetzt in der Wirtschaftskrise wollen sie uns
wieder loswerden“, sagt die Mutter „Aber wir blei-
ben so lange, wie es irgend geht. Was sollten wir
hier auch machen? Alle sind arbeitslos.“
Die „spanische“ Familie möchte gar nicht daran
denken, was passieren würde, wenn sie wirklich
zurückkehren müsste. So wie es durch die Wirt-
schaftskrise schon viele tun müssen. Die sitzen
dann in ihren renovierten Häusern, haben nach
ein paar Monaten das Ersparte aufgebraucht,
verkaufen irgendwann das Auto, auf das sie so
lange gespart haben und das ihr ganzer Stolz
war – und stehen über kurz oder lang wieder so
da wie ihre dauerarbeitslosen Nachbarn.
(Birgit Müller)
INFO
Eine Langfassung des Textes finden Sie auf
www.bodoev.de. Vielen Dank an Birgit Müller
und Hinz&Kunzt.
Bacioiu liegt im Nordosten von Rumänien, an der Grenze zu Moldawien. Dass das Dorf arm ist, sieht man. In der Umgebung gibt es weit und breit nur Saison-
arbeit. Hunderte der 1.830 Bewohner sind deshalb in ganz Europa unterwegs, um zu arbeiten. Viele lassen ihre Kinder bei Großeltern oder Nachbarn zurück:
EU-weit soll es 500.000 zurückgelassene Kinder geben. 350.000 davon in Rumänien.
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Alles Gute zum Zwanzigsten
Geschichte kommt von schichten. Und
manchmal ist es seltsam, was sich da alles
überlagert. Man denke nur an den 9. No-
vember mit seinen Revolutionen und Po-
gromen. Es gibt aber auch Schichtungen,
die sehen fast wie Absicht aus, wie eine
schräge Form, Jubiläen zu begehen. Hegel
sagt, geschichtliche Ereignisse geschehen
zweimal, Marx ergänzt: das eine Mal als
Tragödie, das andere Mal als Farce.
Vor 20 Jahren brannten in Deutschland
Flüchtlingsunterkünfte, Wohnhäuser von
MigrantInnen, Menschen. Ende August
1992 hatten die Behörden die Zentrale
Aufnahmestelle in Rostock-Lichtenhagen
„überlaufen“ lassen. Hunderte Roma muss-
ten unter menschenunwürdigen Bedin-
gungen im Freien vegetieren. Das Bild für
die „Asylantenflut“ war der Zünder für die
Rostocker Pogrome, geschürt durch völki-
sche Untergangsvisionen von „Spiegel“ bis
„Bild“ und durch die Wut der bürgerlichen
Mitte auf „Scheinasylanten“.
Politisch bedeutete der Notstand damals
das Ende des Asylrechts, wie es das Grund-
gesetz vorgesehen hatte (6. 12. 1992,
noch ein Jubiläum). Gesellschaftlich war
diese Erfahrung das Initiationsritual für
eine Generation neuer Nazis. Sie wähnte
sich, während sie MigrantInnen durch die
Städte jagte, im Auftrag einer gar nicht so
schweigsamen Mehrheit.
Einhundert von ihnen bildeten später das
Netzwerk rund um den „NSU“, der jahre-
lang unentdeckt zu gezielten Tötungen
von Migranten durch die Republik reiste.
Insgesamt starben seit dem Mauerfall 182
Menschen durch Rechtsextremisten, 149
Flüchtlinge brachten sich aus Angst vor
Abschiebung um.
In dieser Zeit der schrecklichen Jubiläen
(am 23. 11. Mölln) müssen wieder Flücht-
lingsheime „überlaufen“. Der Innenminister,
dessen Apparat die rechten Mörder nicht
entdeckte, aber durch V-Leute finanzierte,
hetzt gegen „Asylbetrüger“ vom Balkan.
Die Zeitungen hier und anderswo sprechen
von Fluten, wo nur Rinnsale Verzweifelter
kommen. Statt Erinnerung an die Tragödien
von 1992 also eine Wiederholung als Farce.
Alles Gute zum Zwanzigsten. (bp)
NEWS | von Sandro Giuri · Bastian Pütter 19DER KOMMENTAR | von Bastian Pütter
SKOTTS SEITENHIEB
Flüchtlinge, keine Flutwellen
In Dortmund war es im Oktober durch
mangelnde Koordination zu einer
Überbelegung der Aufnahmeeinrich-
tungen für Flüchtlinge gekommen,
die lokalen Medien berichteten von
„Flutwellen“. Gleichzeitig positi-
onierten sich Innenpolitiker bun-
desweit gegen „Asylmissbrauch“.
Die Menschenrechtsorganisation
Pro Asyl kritisiert die Debatte um
Asylbewerber vom Balkan als „hys-
terisch“ und wertet die Aussagen
u.a. von Innenminister Friedrich als
Stimmungsmache auf dem Rücken
der Betroffenen.
Pro Asyl fordert die Rückkehr zu
einer sachlichen Debatte: „Es wird
der Eindruck vermittelt, es gehe um
eine riesige Bedrohung, die auf uns
zukommt. Das ist absurd“, sagte der
Geschäftsführer der Organisation,
Günter Burkhardt, der Nachrichten-
agentur dpa.
Laut Bundesinnenministerium stell-
ten im September insgesamt 6.691
Menschen Asylanträge beim Bun-
desamt für Migration und Flücht-
linge. Würden diese Flüchtlinge
auf alle deutschen Städte verteilt,
müsste nur jede zweite Kommune
einen Flüchtling aufnehmen.
„Die im Schatten sieht man nicht“
Im Oktober erschien der erste
Schattenbericht der Nationalen Ar-
mutskonferenz (nak) als Sonderaus-
gabe des Berliner Straßenmagazins
„straßenfeger“. In dem 24seitigen
Pendant zum 4. Armuts- und Reich-
tumsbericht der Bundesregierung
werden unter Überschriften wie
„Arm trotz Arbeit“, „Wohnungsnot
und Wohnungslosigkeit“ oder „Ar-
mut macht krank“ Missstände be-
nannt und konkrete Forderungen an
die Bundesregierung gestellt.
Der Schattenbericht wurde von Be-
troffenen mitverfasst. Jedes Kapitel
beinhaltet Erfahrungsberichte im
Wortlaut und die jeweiligen Forde-
rungen der Nationalen Armutskonfe-
renz. „Wir verabreichen die beklem-
mende Realität nicht häppchenweise,
unsere Einschätzung steht fest: Die
Reichen werden immer reicher, die
Armen immer ärmer und die Poli-
tik schaut weitgehend tatenlos zu“,
fasst Thomas Beyer, Sprecher der
„nak“, zusammen. Die „nak“ ist ein
Zusammenschluss von Verbänden der
Freien Wohlfahrtspflege, der Kirchen,
des DGB, bundesweit organisierter
Initiativen. Den Schattenbericht fin-
den Sie auf www.bodoev.de
Ein Jahr „Pfand gehört daneben“
Die soziale Kampagne „Pfand ge-
hört daneben“ feiert am 21.11.2012
ihr einjähriges Bestehen. Ziel des
Projektes ist es, dazu anzuregen,
Pfandflaschen, die normalerweise
im Mülleimer landen, neben diesen
zu stellen. Damit soll Flaschen-
sammlern das Sammeln erleichtert
werden. Ins Leben gerufen wur-
de das Projekt von dem Berliner
Matthias Gomille. In vielen Groß-
städten wie München, Hamburg
und Berlin wurden Pfandkästen an
Laternenpfähle und Ampelmasten
befestigt, in denen das Pfandgut
einfach für die Sammler abgelegt
werden kann. Im Interview gibt
es mittlerweile Bauanleitungen
für eigene Pfandkästen. Ebenfalls
befindet sich auf der Homepage
ein Link zur Seite pfandgeben.de,
welche die Möglichkeit anbietet,
die Pfandflaschen durch Flaschen-
sammler abholen zu lassen, indem
dort Telefonkontakte in Städten
aufgelistet werden. Unterstützung
erhält die sozialen Kampagne auch
durch Prominente, u. a. den Bands
Beatsteaks und Jennifer Rostock.
Weitere Infos unter www.pfand-
gehoert-daneben.de.
20
Eines der wichtigsten Naturwunder unserer
Erde schwebt in höchster Gefahr: die Honig-
biene. Das fleißigste aller Tiere, das verlässlich
von Blüte zu Blüte fliegt, verschwindet lang-
sam. Ein mysteriöses Sterben, das weltweit mit
Sorge beobachtet wird. Zwischen Pestiziden,
Antibiotika und Monokulturen scheinen die
Königinnen und ihre Arbeiterinnen ihre Kräfte
zu verlieren. Der Dokumentarfilm „More Than
Honey“ entführt die Zuschauer in das faszinie-
rende Universum der Biene. Regisseur Markus
Imhoof verfolgt ihr Schicksal von der eigenen
Familienimkerei bis hin zu industrialisierten
Honigfarmen und Bienenzüchtern. Mit spekta-
kulären Aufnahmen öffnet er dabei den Blick
auf eine Welt jenseits von Blüte und Honig.
Imhoof macht das Leben der Biene sichtbar
und porträtiert diejenigen, die am meisten
davon profitieren: die Menschen. Während ein
Schweizer Bergimker das Bienensterben mit
Traditionstreue abzuwehren versucht, ist die
Apokalypse in China schon längst Realität.
Die Bestandsaufnahme des Bienenlebens ver-
dichtet sich zu einer traurigen Diagnose un-
serer Zeit, in der Naturprodukte massenhaft
verfügbar sein müssen. Die Biene steht im
Zentrum dieses Widerspruchs, denn keinem
anderen Tier wird heute so rigoros beides ab-
verlangt: Quantität und Qualität.
Do. 8.11. u. Mo. 12.11. bis Di. 23.10. um 19 Uhr
Fr. 9.11. um 21.15 Uhr | Sa. 10.11. um 16.15 Uhr
Do. 15.11. bis Di. 20.11. um 17.30 Uhr
Mo. 26. bis Mi. 28.11. um 17.30 Uhr
Am Mittwoch, den 14.11. findet im An-schluss an die 19-Uhr-Vorstellung ein Ge-spräch mit Mitgliedern von „2010 Königin-nen für das Ruhrgebiet“ statt.
Endstation Kino im Bahnhof Langendreer
Wallbaumweg 108, 44894 Bochum
Telefon 0234 – 68 71 620
www.endstation-kino.de
endstation.kino & bodo präsentieren:More than Honey
20 KINOTIPP | von endstation.kino
NETZWELT | von Sebastian Sellhorst
Unkomplizierte Hilfe für Menschen in sozialen Notlagen. Dieses Ziel verfolgt Helmut
Richard Brox, selbst obdachlos, mit seiner Webseite www.ohnewohnung-wasnun.de.
Über 850 Adressen von Einrichtungen der Wohnungslosen- und Suchthilfe hat er dort
bisher gesammelt und stellt sie, zusammen mit einer kurzen Zusammenfassung der
angebotenen Hilfen, Menschen in Notlagen zur Verfügung. In diesem Jahr wurde er
mit seiner Arbeit für den Deutschen Engagement Preis nominiert.
Neben der umfangreichen Adresssammlung klärt die Internetseite viele Fragen
zum Thema Obdachlosigkeit. Aus seiner jahrelangen Erfahrung innerhalb der Sze-
ne heraus schildert Helmut Brox in kurzen Texten, warum nicht alle Obdachlosen
drogenabhängig sind, warum man manchen Leuten ihre Obdachlosigkeit ansieht
und wieder anderen nicht und welche Rituale es auf der Straße gibt. So kommt
auch der Leser, der nicht akut auf der Suche nach einer Hilfseinrichtung ist, auf
seine Kosten.
Ins Leben gerufen hat Helmut Brox die Webseite 2007. Seit 25 Jahren ist er
selbst ohne festen Wohnsitz. „Einen Großteil der Einrichtungen kenne ich
deshalb selbst und bin dort aktenkundig“, erzählt er. Das erste Mal in Kontakt
mit dem Internet kommt er 1999, als er sich in ein Berliner Internetcafé setzt,
um sich dort aufzuwärmen. Dort lernt er Mitglieder des „Chaos Computer Club“
kennen, die ihm den Umgang mit Browser und Email beibringen.
Als er einige Jahre später selbst auf der Suche nach Hilfen im Internet ist, ist er
unzufrieden mit den Informationen, die er findet. „Was ich fand, waren Inter-
netseiten mit Fachdeutsch, Wortakrobatik für Rechtsverdreher, Schön-Wetter-Re-
den von Möchte-Gern-Profis und viele Internet-Seiten mit diversen Spendenauf-
rufen von Einrichtungen, die ich bis heute noch suche“,
schreibt er. Frustriert beginnt er, 2007 selbst Adressen
zu sammeln. „Es geht mir darum, dass jeder Mensch
die Chance bekommt, zurück ins Leben zu finden. Das
Wissen, das ich habe, will ich denen geben, die es nicht
haben.“ Mittlerweile besuchen 150 Personen täglich
seine Webseite, und er bekommt Emails von Leuten, die
sich für seine Arbeit bedanken. (sese)
www.ohnewohnung-wasnun.de
Soziales, Kultur, Politik – Jeden Monat stellt bodo ein
Online-Projekt vor, das die Welt ein bisschen besser macht:
Helmut Richard Brox
21
21
Auch diesmal gibt es wieder Karten für tolle Veranstaltungen und Bücher zu gewinnen.Senden Sie uns eine Email mit dem Betreff „bodo-Verlosung“ und der Angabe Ihres Wunschgewinns an:
[email protected] schicken Sie uns eine frankierte Postkarte mit Ihrem Wunsch, Absender und Telefonnummer an:
bodo e.V., Schwanenwall 36 – 38, 44135 Dortmund
Unter allen Emails und eingesandten Postkarten entscheidet das Losverfahren. Alle Gewinner
werden rechtzeitig telefonisch oder per Email benachrichtigt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.
Einsendeschluss für Veranstaltungen ist jeweils zwei Werktage vor dem Termin.
Einsendeschluss für terminunabhängige Verlosungen ist der 25.11.2012
12.11. | Urbanatix – CloseUp! | Jahrhunderthalle Bochum | 3 x 2 Karten
22.11. | Kampf des Negers und der Hunde | Theater im Depot, Dortmund | 3 x 2 Karten
23.11. | Chima | FZW, Dortmund | 3 x 2 Karten
23.11. | Rupa & The April Fishes | Bahnhof Langendreer, Bochum | 3 x 2 Karten
08.11. – 28.11. | More than Honey | endstation.kino, Bochum | 1 x 2 Karten
Die geprügelte Generation – Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen | Ingrid Müller-Münch | 3 Exemplare
Café im ZIB | Lindenplatz 1 | 59423 Unna | 1 Kaffee-und-Kuchen-Gutschein für zwei Personen im Wert von 15 Euro
1 coole Borussia Dortmund Umhängetasche von Ruhrgepäck | Motiv: Signal Iduna Park bei Nacht |
LKW Plane, Umhängegurt aus KFZ-Sicherheitsgurt, L 30 cm x H 23 cm
Viel Glück, wünscht Ihr bodo-Team!
Urbanatix – CloseUp!
9. bis 19. November um 19 Uhr(Sa. und So. um 17 und 20 Uhr)
in der Jahrhunderthalle Bochum
bodo verlost 3 x 2 Karten für Montag, den 12.11.
VERANSTALTUNGEN NOVEMBER 2012 | VERLOSUNGEN | CD-TIPPS zusammengestellt von Benedikt von Randow
22
Texten, die sich nicht hinter Riffs zu verstecken brau-
chen – im Gegenteil: „Musikalisch ist es die logische
Konsequenz aus unserem letzten Album. Wir wollten un-
seren Hörern diesmal noch mehr zutrauen.“
Zeche, Bochum, 20 Uhr
Musik | Kalakuta Sessions
Die „Kalakuta Sessions“ rufen die beiden Bochumer
Schlagzeuger Tom Hellenthal (26) und Jan Schimmel-
pfennig (29) aus; eine offene Bühne für Musiker jegli-
cher Genres, ab dem 7. November jeden ersten Mittwoch
von 20.30 Uhr bis 24 Uhr im Haus Lotz. Für die „Kalakuta
Sessions“ stehen Schlagzeug, Keyboard, Gesangsmi-
krofone, Verstärker und PA bereit, Saiten- und Blasins-
trumente sollten mitgebracht werden. Als Einstimmung
auf die Session wird jeden Monat eine Opener-Band den
Abend eröffnen. Rund um die selbst gemachte Musik auf
der offenen Bühne freuen sich Schimmelpfennig und
Hellenthal auf bekannte wie unbekannte Musiker, Inspi-
rationen und „eine coole Party“, wie beide sagen.
Haus Lotz, Annastraße 25, Bochum, 20.30 Uhr
DO 08 | 11 – SO 11 | 11 | 12
Festival | Pottporus
Im Herbst lädt Pottporus zum Urban Street Art Festival
ein. Hier kommen internationale Street Art Künstler aus
den Bereichen Wort, Bild, Tanz und Klang zusammen,
um ihr Können zu zeigen. Dabei geht es Pottporus da-
rum, Kunst an außergewöhnlichen Orten zu etablieren.
Feste Bestandteile des Festivals ist die Street Art Gal-
lerie In_Fusion, das Ruhrpottbattle, das Tanzlabor und
Workshops. Da Pottporus in Herne beheimatet ist, ist die
Stadt auch der Mittelpunkt des Festivalprogramms. Aber
auch im ganzen Ruhrgebiet finden Programmpunkte des
Festivals statt. Das Ruhrgebiet ist der perfekte Ort für
eine urbane Kultur, so wie sie Pottporus versteht und
wie sie auf dem Festival präsentiert wird. Das ausführli-
che Programm gibt es unter: www.pottporus.com.
verschieden Orte, Ruhrgebiet
DO 08 | 11 | 12
Musik | Mick Hart
Sieben von der Fachpresse gefeierte CDs sowie fünf
EPs hat Mick Hart seit 1997 veröffentlicht. Ein ganz
unverwechselbarer und eigener Stil hebt den lange im
französischen Lille und seit Sommer 2008 wieder im
heimischen Sydney lebenden Australier aus der großen
Zunft der Singer/Songwriter hervor. Nach fast zweijäh-
riger Europapause kommt er jetzt wieder zurück auf den
alten Kontinent. Im Gepäck hat er sein neues Album
„Side By Side“, das intim, psychedelisch und voller
instrumenteller Vielfalt zugleich ist. Er bewegt sich
seit Jahren zwischen süßen Balladen und brachialer
Kompromisslosigkeit, von dylanesken Anlehnungen zu
wechselhaften Gleichstrom-Genen.
subrosa, Dortmund, 19.30 Uhr
Musik | Jazzkantine
HipHop + Jazz = Jazzkantine. Dazu viel Funk und sehr viel
Soul. Sowie Texte, die intelligenter sind als vieles, was
andere sich zusammenreimen. Das ist das Erfolgsrezept,
mit ihm spielt sich die „Boygroup aus Braunschweig“
immer wieder in die Charts hinein. Seit fast 20 Jahren.
Immer hellwach für alles, was um sie herum passiert. Sie
haben gemeinsame Projekte gemacht mit Götz Alsmann,
Till Brönner, Bill Evans, Joo Kraus und Xavier Naidoo.
Haben mehr als ein Dutzend Alben rausgebracht, mehr
als tausend Konzerte gegeben, schrankweise Preise und
Auszeichnungen erhalten – und nun, nachdem sie den
Kontinent kreuz und quer aufgewirbelt haben, brechen
01 | 11 | 12 Manu Katché & Band
22 VERANSTALTUNGEN NOVEMBER 2012
07 | 11 | 12 Haudegen
DO 01 | 11 | 12
Musik | Manu Katché & Band
Der französische Ausnahme-Drummer gehört seit
gut zwanzig Jahren zu den renommiertesten und
erfolgreichsten zeitgenössischen Schlagzeugern.
Katché hat mit Musikgrößen wie Sting, Peter Ga-
briel, Nigel Kennedy, Pink Floyd, Tracy Chapman,
Tori Amos und Youssou N'Dour zusammengearbeitet und
stellt jetzt seine geradezu universelle Vielfältigkeit als
Drummer mit eigener Band unter Beweis. Fernsehzu-
schauer kennen ihn auch als Gastgeber der hörenswerten
Live-Jam-Session „One Shot Not“ (arte). Mit den ein-
zigartigen Qualitäten seines Schlagzeugspiels inspiriert
Katché sein Ensemble dazu, die gewohnten Bahnen zu
verlassen. Er spielt instinktiv, in liebevollem Dialog
mit seiner Umgebung und flirtet dabei mit seiner Snare
Drum, mit dem Song und mit den anderen Instrumenten.
domicil, Dortmund, 20 Uhr
MI 07 | 11 | 12
Improtheater | Loose Moose Summer School
Im November bieten Anja Balzer und Phil Regener Im-
profreunden ein ganz besonderes Highlight, indem sie
Dennis Cahill und Shawn Kinley vom Loose Moose The-
atre in Calgary nach Bochum holen. Im Rahmen der
deutschen Ausgabe der Loose Moose Summer School
präsentieren sie, teilweise gemeinsam mit den beiden
Schülern des großen Keith Johnstone und Spielern
aus ganz Europa, dem Bochumer Publikum Impro-
Shows der besonderen Art. Eine clowneske Improshow
mit hochkarätigen Überraschungsgästen.
Thealozzi, Bochum, 20 Uhr
Musik | Haudegen
Die Liedermacher mit den tätowierten Herzen sind zu-
rück mit einem neuen Album: „En Garde“. Vor etwas mehr
als einem Jahr ist ihr Debütalbum „Schlicht & Ergrei-
fend“ auf Anhieb von 0 auf 9 in die deutschen Charts
eingestiegen. Haudegen bringen das Feuilleton zum
Schnurren, freuen sich über einen YouTube-Channel mit
knapp 6 Millionen Aufrufen, sitzen bei Markus Lanz, ko-
chen zum Muttertag beim Promi-Dinner und spielen zur
Verleihung des Bürgerpreises gegen rechte Gewalt. „En
Garde“ ist ein kraftvolles, selbstsicheres Rockalbum mit
MESHELL NDEGEOCELLO | Pour une ame souveraine – A dedication to Nina Simone (Naive / Indigo)
Die große Nina Simone wird immer und immer wieder gecovert. Braucht die Welt nun also auch diese neuen Inter-
pretationen? Nun, ich denke schon. Denn die in Berlin geborene afroamerikanische Musikerin Meshell Ndegeocello
bringt ihre ganz eigene Seele in die Songs von Frau Simone. „We really wanted to do something we felt was true
to Nina Simone. By that realizing it meant we had to do what felt true to us.“ Das spürt man. Hier wird auf auf-
geblasenen Schnickschnack komplett verzichtet. Recht minimalistisch instrumentiert schafft die Bass-Spielerin
und Sängerin eine sehr spezielle Interpretation der Klassiker wie z.B. „Feeling good“, „See Line Woman“, „Please
don‘t let me be misunderstood“. Dabei wird sie von einigen Gastsängern und Musikern unterstützt, von denen
Gitarrist Jack Bruce und die ebenfalls außergewöhnliche Sinead O‘Connor wohl die bekanntesten sind. Alles sehr
entschleunigt, ungeschminkt, tief und eher von einer großen Melancholie und Traurigkeit erfüllt. Eine sehr herbst-
liche Platte. Aber vielleicht ja gerade genau das Richtige, wo man am Fenster die Laubblätter rieseln sieht und das
Gemüt noch etwas bedrückt ist vom endgültigen Sommerabschied. (BvR)
CD-TIPP
23
sie zu ihrer neusten Reise auf: eine Forschungsreise in die
eigene deutsche Heimat mit ihrer aktuellen Platte „Volks-
lieder“ (bodo-CD-Tipp im Mai 2012). Nie war der „Bi-Ba-
Butzemann“ funkiger und „Kein schöner Land“ cooler.
Christuskirche, Bochum, 20 Uhr
FR 09 | 11 – MO 19 | 11 | 12
BODO VERLOSUNG | Urbanatix – CloseUp!
Die gefeierte Cast der jungen und ambitionierten Street-
Artisten aus dem vorherigen Jahr wird – neben einigen
Neuzugängen in der Urbana-
tix-Familie – auch in 2012
auf der großen Showbühne
in diesem wundervollen und
actionreichen Erfolgsprojekt
stehen. 45 Parcourläufer,
Tricker, Biker, Freerunner, Breakdancer, Tänzer und Beat-
boxer im Alter zwischen 17 und 24 Jahren freuen sich
auf spannende Auftritte mit elf renommierten, interna-
tionalen Akrobaten: Heloise Bourgeois und William Un-
derwood (Chinese Pole- und Hand-auf-Hand-Akrobatik),
Hugo Noel (Cyr Wheel und Catwall-Trampolin), Lisa Rin-
ne (Strickleiter-Akrobatik und Trapez-Artistik), das Duo
Iroshnikov (Partnerakrobatik), das Duo Tr‘espace (Tanz
mit dem Diabolo) sowie Les Philebulistes (Artistik am
Doppellaufrad). Zudem mit von der Partie: Lea Hinz,
just als „Deutschlands Superhirn“ gekürt, präsentiert
ihre atemberaubende Artistik am Luftring. Insgesamt
23 verschiedene Show-Szenen holen das Publikum bei
„CloseUp!“ hautnah ans Geschehen heran. Eine moderne
Video-Mapping-Technologie lässt für den Zuschauer das
Erlebnis entstehen, mittendrin zu sein.
Jahrhunderthalle, Bochum, 19 Uhr (Sa & So 17 & 20 Uhr)
bodo verlost 3 x 2 Karten für den 12.11.
Teilnahmebedingungen auf Seite 21.
FR 09 | 11 | 12
Musik-Kabarett | Matthias Reuter
„Wir machen uns heute einfach mal ‘nen schönen Abend
– nur da, wo bei Ihnen sonst der Fernseher steht, steh’
heute eben ich...“ Matthias Reuter spürt den Schrecken
des Alltags nach und dringt dabei in unerforschte Tiefen
und Abgründe vor. Albern wird es nur nach Vorwarnung.
„Er ist kein Riese in Person, doch auf der Bühne wächst
er über sich hinaus. Dabei besticht er mit musikalischer
Virtuosität. Mit souveräner Gelassenheit greift er The-
men von der Straße auf und steht damit in bester Tra-
dition eines Jürgen von Manger.“ (Laudatio Jurypreis
Tegtmeiers Erben 2011)
Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr
SA 10 | 11 – SA 24 | 11 | 12
Festival | U-TOPIA
U-TOPIA ist ein neues Festival für Musik, Kunst und Tech-
nologie, welches vom 10. bis zum 24. November erst-
malig im und um das Dortmunder U stattfindet. Über
30 zum Teil international bekannte Acts bilden dabei in
drei multimedialen Nächten und zwei Konzertabenden
die gesamte Bandbreite elektronischer Musik von ex-
perimentellen Sounds bis hin zu aktuellen Strömungen
der Club-Kultur ab. Höhepunkt des Programms ist der
Auftritt der Kult-Elektroniker Mouse on Mars (24.11.),
die in Drei-Mann-Besetzung mit Schlagzeuger und Visu-
als ein exklusives Club-Konzert im FZW spielen. Weitere
Live-Acts sind Oval (Thrill Jockey), Frank Brettschneider
(Raster Noton) und Thomas Köner. Für die Partynäch-
te versprechen Andhim, Efdemin (Dial), Carsten Jost
(Dial) und Ümit Han (Traumschallplatten) anspruchsvol-
le Clubsounds abseits der üblichen Tanzgewohnheiten.
Spannende Workshops für Musiker und Produzenten zu
08 | 11 | 12 Jazzkantine 10 – 24 | 11 | 12 U-TOPIA09 | 11 | 12 Matthias Reuter
Themen wie Selbstvermarktung, digitale Musikproduk-
tion oder Mastering sowie zwei kostenlose DJ-Lounge-
Abende runden das Programm ab. Alle Programminfos
gibt es unter: www.u-topia.de.
Dortmunder U, Dortmund
SA 10 | 11 | 12
Kleinkunst | Migrantenpop – die Parallelwelt tagt!
Ein evangelischer Türke und eine impulsive Viertelitalie-
nerin gehen bis an die Grenzen des Lachbaren, indem sie
ihre natürlich-komischen Geschichten erzählen. „Migran-
tenpop – die Parallelwelt tagt!“ ist das erste gemeinsame,
komische Programm von Murat Kayi und Fräulein Nina.
Zwei im Rampenlicht, die von ihren Migrationshintergrün-
den singen und erzählen, 1.000 und eine Frage stellen und
keine einzige beantworten. Der Drahtseilakt zwischen den
Kulturen verleiht den Texten der beiden überassimilierten
Autoren eine einzigartige Perspektive.
Fletch Bizzel, Dortmund, 20 Uhr
Alle Infos kostenfrei
unter 0800.544 00 44
oder www.dew21.de
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24
Mischmasch | Moment: New York!
Was bedeutet es, sich mit der grausamen Schönheit
namens New York einzulassen? Petrina Engelke zog
vor einigen Jahren aus dem Ruhrgebiet nach New
York. Wegen New York. Und trotz New York. Die
Journalistin, Schriftstellerin und Bloggerin nimmt
sich täglich einen Moment vor, über den sie unter
www.moment-newyork.de schreibt – ganz egal, ob sie
auf Kunst geklettert ist, mit Aktivisten gesprochen oder
im Vorbeigehen Eis im Hundenapf entdeckt hat. Glitter,
Dreck und Wolkenkratzer halten einen eben auf Trab. Mit
ihren Geschichten und Bildern aus New York kommt Pe-
trina Engelke im November auf Deutschlandtour. Einige
Geschichten stammen direkt aus dem Blog, andere sind
Spoken Word Poetry, die auf Bilderreihen zugeschnitten
ist. Obendrein liest Engelke aus ihren Kurzgeschichten
(u.a. erschienen im Literaturmagazin „Macondo“).
Goldkante, BO, 20 Uhr (auch 13.11. Sissikingkong, DO)
SO 11 | 11 | 12
Musik | David Orlowsky Trio
Von der New Yorker Carnegie Hall in den urban urtyp
Kubus: Orlowsky, an der Folkwang-Schule in Essen und
dann an der Manhattan School of Music in New York aus-
gebildet, spielt sich quer durch die Welt, die Bühnen und
die Genres. Klezmer-Musik war immer antiautoritär, Klez-
mer scherte ständig aus. Dem geht das nagelneue Pro-
gramm des Orlowsky Trios nach: „Klezmer Riots“ widmet
sich der Klezmerszene im New York der 20er Jahre, den
Legenden wie Naftule Brandwein, Dave Tarras und natür-
lich den Epstein Brothers. Alles jüdische Musiker, die vor
vielen Jahrzehnten bereits deutlich gemacht haben, was
Klezmermusik eigentlich ist: weder Klassik noch Jazz
noch Pop, sondern Indie, also: unabhängige Musik.
Christuskirche, Bochum, 19 Uhr
Musik | Stereolove
Mit den vier Ausnahmemusikern der Erfolgsband Re-
amonn Uwe Bossert, Gomezz, Sebastian Padotzke und
Philipp Rauenbusch und ihrem neuen Banden-Mitglied
a.k.a. Sänger Thom Hanreich (Band Vivid, solo: Thom)
haben sich fünf Menschen bei Stereolove gefunden, die
weit mehr sind als ein weiterer Clan der Musiker-Mafia.
Alle haben klangvolle Kapitel zur Enzyklopädie der Mu-
sikgeschichte beigetragen. Alle wissen, wie Rock‘n‘Roll
schmeckt und wie Ruhm riecht. Genau deswegen steht
ihnen der Sinn nur nach einem: Musik, die mit größter
Ernsthaftigkeit entsteht, sich aber alles andere als ernst
nimmt. Ganz im Ernst? Die machen Spaß.
FZW, Dortmund, 20 Uhr
MI 14 | 11 | 12
Musik | Bonaparte
Im Zeitalter der Immer-und-überall-Erreichbarkeit zwi-
schen Haustür und Biergarten, zwischen Cloud und
Livebühne rückt das diktatorische Musikkollektiv Bo-
naparte um seinen an ADHS erkrankten Kaiser, Tobias
Jundt, zurück auf den hiesigen Terminplan. Die Show,
die die Combo bietet, ist und bleibt schräg, erfrischend
und cool. Im Publikum tragen Männer und Frauen frei-
willig plüschige Hasenohren und tanzen sich in Eks-
tase: „Anti! Anti!!!“, brüllt die Meute aus einer Kehle
zum Blut-und-Wasser-schwitzenden Garagenrock einer
vierköpfigen Band, die von Deltablues über Stones und
Led Zepplin-Riffs bis hin zum Berliner Electro-Synth-
Oktavenbass alles verwurstet, was nicht bei fünf auf
den Bäumen ist. Angeführt werden Bonaparte vom ei-
nem Sänger und Gitarristen im Napoleon-Look, der sich
schlicht und einfach „Der Kaiser“ nennt.
FZW, Dortmund, 20 Uhr
Vortrag | Zeus, die Milliarden und die Verführung Europas
Die Bevölkerung Griechenlands ist am Limit ihrer Ge-
duld angekommen. In den letzten Jahren dominierten
im Zentrum von Athen Straßenkämpfe, Demonstrationen
und Gewalt, die nicht nur friedliche Bürger Griechen-
lands schockierten, sondern darüber hinaus die ganze
Welt. Viele Fragen stellen sich: Ist das das Europa, das
wir alle wollen und aufbauen möchten? Wollen wir ein
24 VERANSTALTUNGEN NOVEMBER 2012
10 | 11 | 12 Migrantenpop 11 | 11 | 12 David Orlowsky Trio
Europa der Bürger, wie wir europäischen Föderalisten in
der Europa-Union seit unserer Gründung verlangen oder
ein Europa der Konzerne und der Banken? Griechenland
ist zum Synonym für das Wort Pleitestaat geworden, es
gibt sogar Zeitungen, die von Griechenland als „dem ge-
scheiterten Staat“ sprechen (Der Spiegel). Dabei stellen
Berichte dieser Art in der deutschen Presse leider nur
eine Seite der Medaille dar. Die andere wird offensicht-
lich nicht behandelt. Es stellt sich die wichtige Frage, ob
nur der Stier (Zeus) schuldig ist an dem entstandenen
Schlamassel oder ob auch Europa gesündigt hat? Ein Vor-
trag mit Diskussion von Dr. Pantaleon Giakoumis.
Auslandsgesellschaft NRW e.V., Dortmund, 19 Uhr
Lesung | Klaus Märkert
Klaus Märkert, lebt in Bochum, ist Autor und DJ, Schöp-
fer des Begriffs Nachthumor, Mitgestalter der Lesebühne
Schementhemen sowie Mitbegründer der im September
2012 startenden Bochumer Lesebühne „Alte Drogerie“.
Klaus Märkert war Mitbegründer und First-DJ der Szene-
Disko Zwischenfall, Musikredakteur beim Ruhrgebiets-
magazin Marabo, Mitgestalter von Kreativen Schreibkur-
sen, Diplom-Sozialarbeiter und Taxifahrer. Im Biercafé
liest Klaus Märkert einen Mix aus „Hab Sonne“ und „Re-
quiem für Pac-Man“, und zwar die Szenen, die mit Musik,
Disko und der Szene Bochum zu tun haben. Zwischen den
Textbeiträgen gibt es akustische Live-Musik von Bolle
und Dieter Exter und spannende CD-, DVD- und Filmre-
zensionen von Dirk Oltersdorf. Der Eintritt ist frei.
Biercafé, Bochum, 20.15 Uhr
Theater | Die Agonie und die Ekstase des Steve Jobs
Sie ist voller Wunder – die Apple-Welt der ultradünnen,
sanft leuchtenden Laptops, die Welt, in der Menschen
ein so inniges Verhältnis zu ihrem Mobiltelefon auf-
bauen, dass man von Freundschaft sprechen kann. Dem
MOUSSE T. | Sexy Funky Disco (wavemusic / California Sunset Records)
„wavemusic“, das steht für hochqualitative Lounge-Musik in edler Verpackung. Kaum ein Modegeschäft oder Möbelhaus
wo nicht irgendein „wavemusic“-Sampler läuft. Und das soll jetzt nicht despektierlich wirken, hier wird wirklich keine
Massen-Lounge-Ware produziert, sondern es werden ausgewählte Songs zusammengebracht, bei denen immer wieder das
eine oder andere Schätzchen zu finden ist. Denken wir nur an die geniale Serie „Smile Style“, für die der „Gärtner der
Lüste“ verantwortlich zeichnet. Nun also Mousse T, der international geschätzte DJ & Produzent aus Hannover, der u.a.
mit „Horny“ und „Sexbomb“ (feat. Tom Jones) Tanzflächen-Klassiker serviert hat. Was nun auf zwei CDs herausgekommen
ist, ist absolut typisch Mousse T. Und das genau ist auch mein Problem mit dieser Veröffentlichung. Hier wird entspannter
Soul-Pop, leichter Disco-Sound mit einem Hauch Funkyness zusammengemischt, der vor allem auf CD 2 in einem perma-
nenten Four-on-the-Floor-Rhythmus mit circa 120 BPM daherkommt. Mir persönlich wird das schnell etwas langweilig.
Das ist so ein Sound, der überhaupt keine Kanten hat und schon gar nicht wehtut, aber auch nicht für Aha-Momente sorgt.
Aber dafür steht Mousse T. eben, und seine Fans werden diese CD bestimmt lieben. Und eins kann man dem guten Mann
ganz bestimmt nicht vorwerfen: Etikettenschwindel. Denn „Sexy Funky Disco“ ist ein perfekter Titel. (BvR)
CD-TIPP
25
11 | 11 | 12 Stereolove 14 | 11 | 12 Ozan & Tunc14 | 11 | 12 Bonaparte
langjährigen Apple-Fan und New Yorker Künstler Mike
Daisey begegnete die dunkle Seite seines besten Freun-
des 2010 nördlich von Hongkong. „iCity“ wird die gigan-
tische Fabrikwelt des Elektronikproduzenten Foxconn
genannt, der nach Mitarbeiter-Selbstmorden Fangnetze
zwischen die Hochhäuser spannen ließ. 2010 hatte Mike
Daisey in Shenzhen heimlich recherchiert. In seinem
Theaterabend „The Agony and the Ecstasy of Steve Jobs“
erzählt er aber nicht nur von Minderjährigen, deren Hän-
de durch das Reinigungsmittel für iPhone-Displays nerv-
lich geschädigt wurden. Es ist auch die Geschichte eines
glühenden Apple-Verehrers, dem die Unschuld abhan-
den kommt. Und die seines großen Helden Steve Jobs.
Deutschsprachige Erstaufführung mit Andreas Beck.
Schauspielhaus, Dortmund, 19 Uhr
Comedy | Ozan & Tunç
Ozan & Tunç sind Vertreter der „Hybrid Comedy“ mit
einer Bandbreite von politischer Comedy bis Slapstick.
Gesprochen, gesungen, getanzt – komisch, ernst und
manchmal total bescheuert. Sie zeigen die Welt aus
ihrer Sicht. Momentaufnahmen, verrückte Typen und
unglaubliche Geschichten aus dem wahren Leben. Ozan
Akhan von der Kölner „Stunk Sitzung“ und Tunç Deni-
zer vom Bonner „Pink Punk Pantheon“ beweisen auch
Mut, wenn sie mit einem verdächtig blinkenden Koffer
als Taliban verkleidet auf der Bühne ein vermeintliches
Bekennervideo aufnehmen. Als Bodyguards von Guido
Westerwelle und Angela Merkel stehen sie im ständigen
Funkkontakt mit ihren Chefs. „Ja, Herr Westerwelle, sie
sind immer noch Außenminister. – Warum? Das weiß kei-
ner so genau.“ Anschließend demonstrieren die beiden
in Zeitlupe, wie sie im Ernstfall reagieren würden, wenn
ein „linksextremer, islamistischer Ex-Stasi-Anti-Anti-
Umwelt-Aktivist“ die Politiker angreifen würde.
Zauberkasten, Bochum, 20.30 Uhr
DO 15 | 11 | 12
Comedy | Carolin Kebekus
In über neunzig Minuten spielt, schreit und singt sich die
rheinländische Ausnahmekünstlerin durch die Höhen und
Tiefen des Lebens einer jungen Frau, die ihre Wurzeln zur
Kölner Bronx nicht verheimlicht. Warum auch? Gosse kann
auch sexy sein. Die Stand-Up-Comedienne und Schauspie-
lerin mit den Rehaugen und dem ungezügelten Mundwerk
hat die Begabung, den ganz normalen Wahnsinn unserer
Gesellschaft bis ins Detail zu beobachten, zu parodieren
und aufzudecken. Mit starker Mimik und Stimme geseg-
net, lässt sie ihren Mädchencharme spielen, um dann
hemmungslos zu pöbeln und Tabus zu brechen.
Dietrich-Keuning-Haus, Dortmund, 20 Uhr
Filmfest | Kinofest Lünen
Seit seiner Gründung 1990 versteht sich das Kinofest
Lünen als „Fest für deutsche Filme“. Immer im Novem-
ber werden an vier Tagen in der Lippestadt am östlichen
Rand des Ruhrgebietes neue deutsche Filme gezeigt.
Das Kinofest Lünen ist ein Publikumsfestival und gleich-
zeitig ein kleiner, intimer, in der deutschen Filmszene
sehr geschätzter Treffpunkt der Branche. Während der
vier Kinofesttage werden rund 50 kurze und lange, doku-
mentarische und fiktionale Filme gezeigt. In den letzten
Jahren konnte das Kinofest durchschnittlich sechs- bis
siebentausend Besucher aus Lünen und dem Umland
begrüßen. Das Kinofest Lünen ist auch ein Publikums-
festival. Das Publikum entscheidet mit seiner Stimme
welcher Film die „Lüdia“, die „Rakete“ und die Kurzfilm-
preise „Erste Hilfe“ und „Erster Gang“ bekommt.
Cineworld, Lünen (auch 16., 17. & 18.11.)
SA 17 | 11 | 12
Mischmasch | 30 Jahre Baustelle – Das Thealozzi feiert
Zu seinem Jubiläum lässt sich das Thealozzi-Theater
nicht lumpen und präsentiert einen Abend der beson-
deren Art mit internationalen und internen Highlights
aus den Bereichen Impro, Musik, Theater und Tanz – die
Welt also quasi zu Gast im Thealozzi-Land. Es soll ein
Abend voller sinnlicher Eindrücke und inspirierender Mu-
sik werden. Am Ende der einzelnen Konzerte gibt es ein
fulminantes Abschlussstück mit allen Mitwirkenden. Mit
dabei bei dieser Fete: Balzer & Regener (Impro-Show),
Sherifah Chandra (Tanztheater), Hanif Khan aus Indien
(Tablas), Uwe Kellerhoff (Drum Solo), Thomas Kahle &
Sambakowski (Samba/African Music) feat. Famaous
Awuku Doe aus Ghana, ClapClub (komponierte Musik für
Schlagwerk), Rosemary & Daniel Appiah Group aus Ghana
(westafrikanisches Drum-Musik & Dance), Just Fun (in-
tern. integratives Musikensemble). Der Eintritt ist frei!
Thealozzi, Bochum, 18 Uhr
SO 18 | 11 | 12
Kindertheater | Wibbel und die Wunderbücher
Wibbel steckt seine Nase überall hinein – aber nicht in
Bücher. Die sind doch nur für Stubenhocker und Brillen-
schlangen. Doch dann findet er das magische Wunder-
buch und geht zusammen mit dem kleinen Elefanten
Ottfried auf eine zauberhafte Entdeckungsreise quer
durch Afrika. Sie treffen Tante Strauß, Onkel Giraffe,
Tante Nilpferd und sogar Mampf-Fred, das Krokodil.
Sofort möchte der kleine Ottfried wissen, was es beim
Krokodil zum Mittagessen gibt. Doch Wibbel ahnt – jetzt
wird’s gefährlich. Wie Wibbels Wunderbücher sich auf
offener Bühne 'verwandeln' und welche überraschenden
Wendungen die Geschichte der beiden Abenteurer nimmt
– das ist ein Phantasie anregendes Vergnügen zum Stau-
nen und Lachen und beweist: Bücher machen Spaß und
Lesen öffnet neue Horizonte.
Fletch Bizzel, Dortmund, 11 Uhr (auch 21. und 28.11,
10 Uhr und 25.11., 11 Uhr)
22. Nov – 23. Dez25. Nov gesch lossen
mo – do 10 – 21 Uhrfr u. sa 10 – 22 Uhr
so 12 – 21 UhrVerkaufsoffener Sonntagin der City: 2. Dezember
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26
DI 20 | 11 | 12
Musik | Niels Frevert
Der Typ, der nie übt und für das Verfassen seiner Tex-
te mindestens so lange braucht wie Eichhörnchen für
eine Erdumrundung. Er hat sich diesmal selbst über-
troffen. Man könnte fast von einem Schaffensrausch
reden. Denn „nur“ drei Jahre sind für das vierte Stu-
dioalbum „Zettel auf dem Boden“ ins Land gestrichen.
Und mit dieser gebündelten, verwobenen Essenz aus
Chanson, Pop und Singer-Songwriter-Musik zieht es das
Nordlicht auf die fernen Bühnen der Republik. Nein, hier
will niemand irgendwem irgendetwas beweisen. Hier ist
alles Musik, Herzlichkeit und Poesie, ganz ohne Pose.
„Während die tätowierten Ischen zu Gefühlsterroristen
wie Tim Bendzko, Johannes Oerding oder Philipp Poisel
ihre Reizwäsche bügeln, hören wir lieber immer wieder
,Zettel auf dem Boden‘.“ (Spiegel online)
Werkstadt, Witten, 20 Uhr
MI 21 | 11 | 12
Musik | The Red Paintings
Ihre Wurzeln haben The Red Paintings in Australien und
Los Angeles/USA. Mit gerade fünf Bandmitgliedern (Gi-
tarre, Bass, Schlagzeug, Cello und Violine) auf der Büh-
ne schaffen es die Red Paintings, den klanggewaltigen
Sound eines kompletten Orchesters auf ihr Publikum
loszulassen. Oft verglichen mit Bands wie Radiohead,
Muse oder auch The Arcade Fire, verbinden The Red Pain-
tings barocken Pop mit Metal- und Indie-Elementen. Im
Vordergrund steht bei ihren Live-Auftritten dabei im-
mer eine Performance, die das Publikum mitnimmt auf
eine surreale Reise, angefüllt mit visuellen Effekten und
verstärkt durch Kostüme. Sie kreieren ein lebendiges
Gemälde, das die Sinne und den Geist der Zuschauer sti-
muliert. Theater trifft Pop, trifft Alice im Wunderland.
FZW, Dortmund, 20 Uhr
DO 22 | 11 | 12
Musik-Comedy | Annamateur & Außensaiter
Die „Frontal-Diseuse“ Anna Maria Scholz, alias Annama-
teur, zweimalige Dresdnerin des Jahres, hat neben dem
Mindener Stichling auch schon den Deutschen Klein-
kunstpreis gewonnen. Antidiva, Alphaweibchen, natur-
stoned – mit ihrem Mordsorgan, entwaffnender Persön-
lichkeit und enormer Wandlungsfähigkeit zieht sie ihre
Zuhörer im Nu in ihren Bann. Ihre Abende sind theamu-
sikalisch, ihre Lieder musitralisch. Sie zersingt Bandbrei-
ten, passt in keine Schublade – optisch nicht, und schon
gar nicht musikalisch. Sie improvisiert und interagiert
mit dem Publikum. Immer spontan, immer anders.
Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr
BODO VERLOSUNG | Kampf des Negers und der Hunde
Auf einer französischen Baustelle – irgendwo in West-
afrika – verschwindet die Leiche eines schwarzen Ar-
beiters. Alboury, ein Ver-
wandter des Toten, fordert
von den weißen Chefs die
Herausgabe des Leichnams.
Der Bauleiter Horn will den
Mord vertuschen und bietet
Alboury Geld. Der aber lässt sich nicht abweisen. Léo-
ne, Horns aus Paris angereiste Verlobte, sucht den Reiz
der fremden Kultur und wird zum Streitobjekt zwischen
den Männern. Der vielschichtige Konflikt zwischen den
Figuren ist das Psychogramm von Ausgestoßenen und
entfesselt einen erbitterten Kampf jeder gegen jeden.
Die Inszenierung interessiert an dem Drama insbeson-
dere die aktuelle politische Relevanz. Alle vier Figuren
liefern ein scharfes, prototypisches Abbild von ge-
scheiterten Individuen, die sich in einer zivilisatori-
schen Ordnung bewegen, die längst keine Orientierung
mehr bietet. Die konkurrierenden Lebensentwürfe ver-
zerren das Ich und verhindern ein Kollektiv.
Theater im Depot, Dortmund, 20 Uhr (auch 21.11.)
bodo verlost 3 x 2 Karten für den 22.11.
Teilnahmebedingungen auf Seite 21.
Kabarett | Jochen Busse
Es gibt den Moment im Leben, ab dem Happy und Birth-
day getrennte Wege gehen. Aber gibt es etwas Schöneres
als einen runden Geburtstag, bei dem alle Menschen zu-
sammenkommen, mit denen man im Leben zu tun hatte?
Ja, gibt’s: Ein Abend alleine. Ein Abend, an dem man mal
überlegt, was im Leben alles passiert ist und noch passie-
ren kann. Komische Höhepunkte, noch komischere Tief-
punkte und seltsame Erkenntnisse. Im Hinterraum seiner
eigenen Geburtstagsparty zieht Jochen Busse Bilanz. Er
springt von der großen Politik ins kleine Privatleben, vom
„Faust“ zum Fernsehen, von Prosecco zu Pommes. Alles
nach dem Motto: „Wie komm ich jetzt da drauf?“
Flottmann-Hallen, Herne, 20 Uhr
FR 23| 11 | 12
BODO VERLOSUNG | Rupa & The April Fishes
Rupa Marya und ihre Band öffnen den Vorhang zu einem
unvergleichlichen Musiktheater: Gypsy Swing, Texmex,
Balkaneskes, Chanson, Latin Moods
und American Folk finden sich darin,
das Flair des kleinen Zirkus, des Mou-
lin Rouge und der großen weiten Welt.
In San Francisco lebt die Sängerin und
Songwriterin, die im Süden Frankreichs
aufgewachsen ist. Diese Herkunft hört
man nicht nur ihren französischen Tex-
ten an, sondern auch dem begeisternden Mix aus Gypsy-
Swing, Musette, Latin Cumbias und Tango. „Ihre Musik
lebt von der Vision einer offenen Klangwelt ohne künst-
liche Grenzen.“ (Madame)
Bahnhof Langendreer, Bochum, 20 Uhr
bodo verlost 3 x 2 Karten.
Teilnahmebedingungen auf Seite 21.
26 VERANSTALTUNGEN NOVEMBER 2012
20 | 11 | 12 Niels Frevert 21 | 11 | 12 The Red Paintings
SIMINA GRIGORIU | Exit City (Susumu Records / RTD)
Die in Rumänien geborene Wahl-Berlinerin Simina Grigoriu dürfte einigen bekannt sein durch Paul Kalkbrenner.
Nicht nur, dass die DJane als Opening-Act auf Paules großer Welttournee überzeugen konnte, nein, sie ist auch noch
seine Lebenspartnerin und Schwester im Geiste. Und ihre Vision von elektronischer Musik ist dementsprechend sehr
verwandt mit dem, was der zu Recht schwer gehypte Kalkbrenner so macht. Ihre minimalistischen Elektro-Beats
sind ebenfalls voller Seele. Insgesamt allerdings ein bisschen rougher und kantiger als Kalkbrenners Oeuvre. Nun
gibt es also endlich auch ein ganzes Album von Frau Grigoriu. Auf „Exit City“ werden die Techno-Beats treibend
wie relaxed auch mal von einer Gitarre unterstützt. Dann wird es mal dubby, um dann wieder eher dunkel und deep
nach vorne zu gehen. Manchmal klickt und blimpt es auch ein wenig mehr, aber der klare straighte Beat ist und
bleibt die tragende Säule. Simina Grigoriu bleibt, obwohl sie mit verschiedenen Elementen für ein gesundes Maß an
Abwechslung sorgt, trotzdem immer ganz klar ihrem präferierten Elektro-Style ergeben. Der eine oder andere wird
die geschmeidige Glätte der Kalkbrenner-Tracks vielleicht vermissen, aber andere werden genau das für besonders
und vielleicht sogar besser finden. Für Freunde dieses Genres auf jeden Fall ein gelungenes Debüt. (BvR)
CD-TIPP
27
22 | 11 | 12 Jochen Busse22 | 11 | 12 Annamateur & Außensaiter
BODO VERLOSUNG | Chima
Bereits mit seiner ersten Single „Morgen“ landete Chi-
ma in diesem Sommer einen Radiohit. Chima ist frisch,
typisch deutsch und macht großarti-
ge Popmusik mit starken Texten. Wie
erfrischend Chima auf seinem Album
„Stille“ in humorvollen Bildern und
in beinah sorgenfrei klingenden Tö-
nen erzählt, das macht Spaß. Er weiß,
wovon er redet: ein Mann, längst
erwachsen, dem gleichen Traum
folgend wie jüngere, blauäugigere Kerle – doch viel
länger, und durch ganz andere Widerstände hindurch.
Einer, dem das Leben auch schon mal gesagt hat: Lass
es lieber. Mit „Morgen“ spricht er dem Publikum in
seiner einzigartigen, unbeschwerten Art aus der See-
le. Ein Sänger, dessen Lachen laut und voller Herz ist,
auch weil es schwierige Zeiten überdauert hat.
FZW, Dortmund, 20 Uhr
bodo verlost 3 x 2 Karten.
Teilnahmebedingungen auf Seite 21.
Filmfestival | blicke 20
Das Filmfestival des Ruhrgebiets wird 20 und feiert mit
vielen Filmen & Partys. Und es gibt einiges zu schau-
en: 33 Filme im Programm, ca. 40 Clips aus dem Son-
derwettbewerb „20. blicke, 20 Sekunden meine Stadt“
(online), 13 Emscherskizzen (von Christoph Hübner und
Gabriele Voss) und Installationen. Es gibt eine Menge
zu diskutieren: Über die Filme im Programm, die Clips
des Sonderwettbewerbs und die Frage „Wohin geht der
Film?“, wozu Gäste aufs Podium geladen sind: Senta
Siewert, Lars Henrik Gass, Sonja Weber und Fosco Dubi-
ni. Außerdem kann getanzt werden: am Freitag auf der
Funkloch-Party mit DJ Mike Huchaby und am Samstag
mit Super8 auf 3D. Mehr unter www.blicke.org.
Endstation Kino, Bochum (auch 24. & 25.11.)
SA 24 | 11 | 12
Theater | Hömma – Der Ruhrgebietschor
Wenn die 40 Frauen und Männer vom Hömma-Chor auf
einer Bühne stehen, gibt es etwas auf die Ohren. Auch
wenn sich das Liedgut von Hömma fast ausschließlich
mit dem Ruhrgebiet und seinen Menschen befasst, das
Steigerlied wird nicht zu hören sein. Stattdessen bringt
der Chor Lieder von den Beatles, Mozart, den Stones
und wie sie alle heißen. Egal, ob Hömma mathematische
Logik präsentiert oder Eheberatung für Ruhris anbie-
tet, es ist immer viel Augenzwinkern dabei. Auch die
Multikulti-Szene kommt nicht zu kurz. Dafür sorgt eine
Abordnung aus dem sauerländischen Schnöttentrop, die
eigens für dieses Konzert die Trecker putzt.
Theater im Depot, DO, 20 Uhr (auch 25.11., 17 Uhr)
Comedy | Dittmar Bachmann
Das neue Programm des Hannoveraners „Zu alt für die-
sen Scheiß“ ist genau genommen ein populäres Zitat aus
dem Hollywood-Blockbuster „Lethal Weapon“. Hier stellt
sich Dittmar Bachmann seinem tatsächlichen Alter und
den damit verbundenen Vorurteilen, wobei ihn das ge-
fühlte Alter genau das machen lässt, was die Zuschauer
von ihm erwarten. Auf der einen Seite: die Bravo beim
Arztbesuch, das Fett an den falschen Körperstellen, die
Weight-Watchers, Gigs auf Kreuzfahrtschiffen, Dildo-
Partys und Yoga mit der Frau. Auf der anderen Seite: Der
Traum des Popstars ist noch längst nicht ausgeträumt...
Zauberkasten, Bochum, 20.30 Uhr
Theater | Improvisationstheater
Was ist Improvisationstheater? Das Improtheater auf der
Studiobühne im Musischen Zentrum der Ruhr Uni erlaubt
Zuschauern und Spielern, gemeinsam den Abend im The-
ater zu gestalten. Die Ideen des Publikums werden zum
Arbeitsauftrag für die Spieler, und diese lassen spontan
Szenen und Geschichten entstehen. Nicht genug, dass
die Spieler sich auf der Bühne blitzschnell alles ausden-
ken müssen: Erschwert und gewürzt werden die Szenen
durch unmögliche Spielregeln – gerade dadurch wird der
Abend zu einem einmaligen Erlebnis. Der Eintritt ist frei.
Ruhr Uni, Bochum, 19.30 Uhr (auch 25.11.)
Lesung | Dond & Daniel lesen Daniil Charms
Daniil Charms hieß eigentlich Daniil Iwanowitsch Juwat-
schow und lebte von 1905 bis 1942 im heutigen St. Pe-
tersburg. Dort gehörte er zur künstlerischen Avantgarde,
wurde aber zu Lebzeiten kaum veröffentlicht, da er an-
geblich sowjet-kritische Gedanken hatte. Dies führte zu
mehreren Verhaftungen und letztlich zu einer Zwangsin-
ternierung in einer Nervenheilanstalt, wo er dann unter
ungeklärten Umständen starb. Der Großteil seiner Texte,
Kurzprosa und Lyrik, wurde von befreundeten Künstlern
und Wissenschaftlern verwahrt und konnte viel später, im
Zuge der Perestrojka, veröffentlicht werden. Seine Kurz-
prosa zeichnet sich formell durch eine extreme Kürze aus
und inhaltlich durch Absurdität. Dond & Daniel lesen Tex-
te aus „Trinken Sie Essig, meine Herren“. Eintritt ist frei.
Sissikingkong, Dortmund, 20 Uhr
24 | 11 | 12 Dittmar Bachmann
Adressen | Bochum (0234)Bahnhof Langendreer, Wallbaumweg 108, 687 16 10
Christuskirche, An der Christuskirche 1, 338 74 62
Endstation Kino, Wallbaumweg 108, 687 16 20
Eve Bar, Königsallee 15, 333 354 45
Freilichtbühne Wattenscheid, Parkstraße, 61 03-0
HalloDu-Theater, Lothringer Str. 36c, 87 65 6
Jahrhunderthalle, Gahlensche Str. 15, 369 31 00
Kulturhaus Oskar, Oskar-Hoffmann-Straße 25
Kulturrat Bochum, Lothringer Straße 36, 862 012
Museum Bochum, Kortumstraße 147, 910 42 30
Mus. Zentrum der RUB, Universitätsstr. 150, 322 28 36
Prinz-Regent-Theater, Prinz-Regent-Str. 50 – 60, 77 11 17
Riff, Konrad-Adenauer-Platz 3, 150 01
RuhrCongress, Stadionring 20, 610 30
Schauspielhaus, Königsallee 15, 333 30
Stadthalle Wattenscheid, Saarlandstraße 40, 610 30
Thealozzi, Pestalozzistraße 21, 175 90
Varieté et Cetera, Herner Straße 299, 130 03
Zauberkasten, Lothringer Straße 36c, 86 62 35
Zeche, Prinz-Regent-Straße 50-60, 977 23 17
Zeche Lothringen, Lothringer Straße 36c, 876 56
Zwischenfall, Alte Bahnhofstraße 214, 28 76 50
Adressen | Dortmund (0231)Auslandsgesellschaft, Steinstraße 48, 838 00 00
Cabaret Queue, Hermannstraße 74, 41 31 46
DASA, Friedrich-Henkel-Weg 1 – 25, 90 71 24 79
Dietrich-Keuning-Haus, Leopoldstr. 50 – 58, 502 51 45
domicil, Hansastraße 7 – 11, 862 90 30
Fletch Bizzel, Humboldtstraße 45, 14 25 25
F.-Henßler-Haus, Geschw.-Scholl-Str. 33 – 37, 502 34 72
FZW, Ritterstraße 20, 17 78 20
Galerie Torhaus, Haupteingang Rombergpark, 50 23 194
Konzerthaus, Brückstraße 21, 22 69 62 00
Museum f. Kunst u. Kulturgesch., Hansastr. 3, 502 55 22
Piano Musiktheater, Lütgendortmunder Str. 43, 604 206
Rasthaus Fink, Nordmarkt 8, 999 876 25
Reinoldikirche, Ostenhellweg 1, 52 37 33
Schauspielhaus, Hiltropwall, 502 55 47
Sissikingkong, Landwehrstraße 17, 728 25 78
Strobels, Strobelallee 50, 999 50 60
Subrosa, Gneisenaustraße 56, 82 08 07
SweetSixteen Kino im Depot, Immermannstr. 29, 910 66 23
Theater im Depot, Immermannstraße 29, 98 21 20
U, Leonie–Reygers-Terrasse, 50 247 23
Westfallenhallen, Rheinlanddamm 200, 120 40
Westfalenpark, An der Buschmühle 3, 35 02 61 00
Zeche Zollern, Grubenweg 5, 696 12 11
Adressen | Herne (02323)Flottmann-Hallen, Flottmannstr. 94, 16 29 52
Mondpalast, Wilhelmstraße 26, 58 89 99
Adressen | Witten (02302)Saalbau, Bergerstraße 25, 581 24 24
Werkstadt, Mannesmannstraße 2, 94 89 40
Der Druck dieser Seite wurde ermöglicht durch Spenden der Besucher des Geierabend 2012.
28
28 REPORTAGE | von Bastian Pütter | Fotos: Marc Jacquemin · Peter Hirth
Drei Donna Leons und ein Schwarzenegger
29
29
Auf Betriebsausflug, Bildungsurlaub, Spen-denfahrt: Wir waren auf der Buchmesse in Frankfurt. Verleger, Lektoren, Buchhändler, Autoren, hunderte Prominente, eine sechs-stellige Zahl Besucher – und wir: Die Aus-zubildenden Sandra, Julia und Steffi, Buch-Chefin Suzanne und Bastian und Sandro aus der Redaktion.
Was bringt man mit von der Buchmesse? Bücher
(ja, klar), Geschichten (diese hier) – und Möbel
(Möbel?). Dazu später mehr. Es ist nicht mehr ganz
früh am Morgen, als wir in Frankfurt ankommen,
am ersten Tag Fachbesuchertag. Unsere Auszubil-
denden schwärmen gleich aus. Schon im letzten
Jahr haben sie herausgefunden, dass bei den meis-
ten Publikumsverlagen irgendwo eine Kiste steht
mit Leseexemplaren für lesewütige Auszubildende.
Gleich am Eingang laufen wir in Daniel Cohn-
Bendit hinein. Wir ein bisschen aufgeregt, er im
professionellen Buchmessenstress – Termine,
Termine. Die Kontraste sind bemerkenswert. Am
Mittag spricht Cohn-Bendit auf einem der vielen
Podien über die Zukunft Europas, und zehn Meter
weiter bei der Frankfurter Rundschau ist Lady
Bitch Ray im Haus. Die Bremer Rapperin ist eine
sichere Bank für jedes Talkshowformat. Reyhan
Sahin, Anfang Dreißig, ist nicht willens, einen
Satz ohne Obszönitäten zu bilden. Reyhan / Ray
ist promovierte Linguistin, Feministin im Männer-
beruf HipHop und eine einzige wandelnde Punch-
line – Einzeiler für jeden. Wir erfahren: Auch „Frau
Merkel hat bitchige Züge“. Das Feuilleton freut s
und Dutzende Handykameras blitzen.
Das mit der Prominenz ist so eine Sache. Die
Messe ist voll mit Menschen, die so offensicht-
lich wichtig sind, dass es einem ständig leicht
peinlich ist, sie nicht zu erkennen. Andererseits
erkennt man ständig Menschen, die man nicht
auf einer Buchmesse erwartet.
Blogger und Irokesenträger Sascha Lobo spricht
gerade in irgendwie dringlichem Ton in eine ZDF-
Kamera, die den Weg versperrt, und irgendwie
sehen gleich drei Frauen aus wie Donna Leon.
Das ist der Hoëcker, tuscheln Julia und Steffi.
Hoëcker, im Hauptberuf Comedian, hat etwas
über Neuseeland geschrieben, das Gastland der
Messe. Dutzende TV-Stars und -Sternchen haben
für die Buchmesse offensichtlich auch einen
Platz im Kalender freigehalten, und auch Arnold
Schwarzenegger ist da. Der hat jetzt auch ein
Buch und sich für s Alter – er ist 65 – einen
kalifornischen Professorentitel verleihen lassen.
„Nach Terminator und Gouvernator kommt jetzt
Educator“, findet er.
Aber eigentlich geht es um Literatur. An den
Ständen vom großen Publikumsverlag bis zur
Abteilung „Klein aber fein“ wird begrüßt und
umarmt, verhandelt und interviewt. Am pom-
pösen Suhrkamp-Stand lacht ein Lektor: „Das
größte Familientreffen des Jahres und wieder
fehlt der Kuchen.“ Zur Seite gewandt übersetzt
er das Ganze ins Englische.
Wir treffen Burkhard Spinnen, Schriftsteller und
Juryvorsitzender beim Klagenfurter Bachmann-
Wettbewerb. Er hat seinen neuen Roman dabei,
es geht – wirklich – um eine Liebesgeschichte,
das Online-Rollenspiel World of Warcraft und um
die Balkankriege. In einem realistischen Roman.
Nebenan, auf der „Leseinsel der unabhängigen
Verlage“ haben wir noch die Gelegenheit, Norbert
Mappes-Niediek ein paar kurze Fragen zu seinem
Buch „Arme Roma, böse Zigeuner“ zu stellen,
dann muss der auch schon wieder weiter. Termine.
Im Vorbeigehen sehen wir: Dr. Eckart von
Hirschhausen diskutiert von der Bühne herunter
Beziehungsfragen mit einem wunderbar schlag-
fertigen Schriftstellerpaar, verheiratet seit 43
Jahren. Das Publikum: begeistert.
Die Presse ist natürlich auch da. Nicht nur mit
Dutzenden Bild- und Textredakteuren, Kame-
rateams und Radioreportern, sondern auch
mit eigenen Ständen. Die Promo-Studentinnen
liefern sich einen harten Wettbewerb um die auf-
dringlichsten Probeabos, die „Zeit“ hat schein-
bar ganz auf iPads umgestellt und Giovanni di
Lorenzo ist live mindestens so charismatisch
bodo auf der Frankfurter Buchmesse
30
30
wie im Fernsehen. Allerdings fehlen hier die
Talkshowsessel. Während er im Fernsehen mehr
liegt als sitzt, ist er im Stehen ein ganz anderer,
Typ Chansonnier, sehr cool.
In Halle 3.1 gibt es noch eine Art Installation
zum Thema politische Presse. Vorne rechts der
Messestand der nationalkonservativen „Jungen
Freiheit“. Auf einem Banner: „Wo alle einer
Meinung sind, wird meistens gelogen“. Gleiche
Halle, hinten links, identisch gestalteter Messe-
stand, die DDR-Nostalgiker der „Jungen Welt“.
Deren Banner: „Sie lügen wie gedruckt. Wir dru-
cken, wie sie lügen.“ Es wird also viel gelogen in
der Mitte, weiß der Rand.
Apropos Esoterik: Auch hier ist das Angebot
unüberschaubar. Viele Klein- und Kleinstverlage
tummeln sich mit zum Teil obskurem Angebot. Am
besten gefallen hat uns die klare Ansage in einem
Vortrag, bei dem es um irgendwas mit einem
göttlichen Weltenplan ging: „Meine Arbeit ist
kein neuer Dogmatismus oder ein neues Glaubens-
objekt, sondern ist ausschließlich Wissenschaft.
Sie hat ganz gewiss nicht ihre Professoren und
Doktoren, aber es verändert nicht die Tatsache,
dass sie niemals umgestoßen werden kann.“
Recht haben ist schon schön, aber für immer
Recht haben – großartig. Während man sich hier
noch mit den Erleuchteten mitfreuen kann, ist die
Verblendung anderswo ärgerlicher. Der Iran kann
das Kopfgeld auf den Literaturnobelpreisträger
Salman Rushdie kurz vor der Messe noch einmal
erhöhen und eine zweite Todesfatwa gegen den
in Deutschland lebenden Sänger Shahin Najafi
verkünden – und wird trotzdem eingeladen. Ein
übersehener Skandal. Was vielleicht auch an der
wenig prominenten Ausstellungsfläche in Halle
5 liegt. Die Süddeutsche schreibt über die „Halle
der Krisenländer“: „Serbien, Kosovo, Bulgarien,
Albanien . . . Hinter Griechenland kommt nur noch
Iran, dann kommt die Wand.“ So sieht s aus.
Während die vermeintlichen Schmuddelkinder
sich die letzte Ecke teilen, ist das Gastland
Neuseeland so etwas wie ein postmodernes
Arkadien, eine fast irreal dekorative Gegenwelt
augenrollender Maori, freundlicher Hobbits und,
ja, blöder Schafe. Natürlich ist das eine völlig
unqualifizierte Behauptung, und bestimmt gibt
es hier jede Menge gute Literatur zu entdecken,
aber so ein bisschen nach Flucht vor der bösen
Realität zwischen Eurokrise, Syrien, Afghanistan
und China wirkt die Wahl des Gastlandes schon.
Aber das gehört eben auch zur Buchmesse, ge-
nauso wie die „Gourmet-Gallery“. Hier wird nicht
gemalt, sondern gekocht. Live und international.
Die Stars der gefühlten hundert Kochshows geben
sich die Pfanne in die Hand. Natürlich nicht,
lernen wir. Der Profi bringt nicht nur die eigenen
Messer, sondern auch die eigenen Töpfe mit. Und
natürlich die eigenen Bücher. Köche reisen mit
schwerem Gepäck. Wir freuen uns jedenfalls, dass
unsere Kollegin Suzanne Präkelt hier ein sicheres
Plätzchen für die Beute unserer Auszubildenden
organisieren kann. Die schleppen Tüte um Tüte
geschenkter Bücher an und schauen mitleidig auf
den Redakteursnotizblock. Der hingegen ist voll
mit einer Vielzahl von Eindrücken.
Die Gourmet Gallery leitet übrigens Barbara
Roelle, und sie ist mit einigen anderen der Grund
dafür, dass auch wir nicht mit leeren Händen
nach Hause kommen. Frau Roelle hat mit uns
Aussteller nach Spenden gefragt, denn schließ-
lich ist viel von dem, was eine Woche Messe
übersteht, danach abgeschrieben.
Es kam soviel zusammen, dass es Sonntag einen
ganzen Transporter füllte: (Buch-)Spenden von
El Tipico, G&U, Dorling Kindersley, dem Um-
schau-Buchverlag, Junfermann, Droemer Knaur,
Schwarzkopf & Schwarzkopf und einigen anderen.
Und: Die Einrichtung einer ganzen „Lounge“,
gespendet von IKEA Deutschland. Vielen Dank an
Maren Ongsiek und an das Team der Buchmesse,
vielen Dank an die Spender und Unterstützer un-
serer Projekte! Das war richtig schön bei Euch!
Spät abends zu Hause raucht uns immer noch
der Kopf und die Füße schmerzen. Ein Überblick?
Fehlanzeige. Aber, wie gesagt, gelohnt hat es
sich in vielerlei Hinsicht. Und nicht nur für uns:
Wer nun in unseren Buchladen kommt, der findet
da nicht nur noch schönere Bücher als sonst,
sondern vielleicht auch eins, das Arnold Schwar-
zenegger in der Hand hatte. Oder eine der drei
Donna Leons. (bp)
31
Wie sie alle erstaunt sind. Die Energiewende kostet ja Kohle, ich meine Geld. Der Kohle kostetsie Kopf und Kragen, zumindest der heimischen. Den Liberalen und anderen… „Experten“, ginges zunächst gar nicht um die Umwelt, als es gegen die Kohle ging. Es ging ums Geld, um dieSubventionen.
Das weiß man heute kaum noch, wo wir Photovoltaik besonders gerne da fördern, wo die Sonneseltener scheint als etwa am Kaiserstuhl. Also da, wo früher Kaiserstuhl stand, die Kokerei, mithinim Ruhrgebiet. Das ist Einsatz hochmoderner Technik unter höchst dämlichenBedingungen. Ebenso gut könnte man eine top moderne Zeche statt inBottrop auf Borkum betreiben.
Das Ideal der Energiewende wäre eine Kombination aus Wind- undSonnenenergie. Riesige Rotoren reißen die Wolkendecken auf, damitdie Solarzellen so viel Energie erzeugen, dass die Windräder auch beiFlaute nicht still stehen.
Wir bezahlen das gerne per Ökostrom-Umlage. Wir, nicht dieIndustrie. Wen wundert das, wo schon immer die kommerzielleEnergieverschwendung gefördert wurde? Versuch du mal, bei RWEeinen Stromtarif auszuhandeln, den so eine Papierfabrik am Niederrheinbezahlt. Das mag nach alter Kapitalismuskritik klingen. Da sage ich: gut,aber die haben angefangen.
Außerdem bin ich Steiger. Das nehme ich ernst. Ich habe mal denGrünen öffentlich gesagt, ein guter Atomkompromiss sei: Wir machen2018 die letzte Zeche zu, dafür geht Ihr 2022 mit dem letztenAtomkraftwerk endgültig vom Netz. Fanden die nicht lustig. Diekonnten uns Bergleute noch nie leiden. Wahrscheinlich wäre dieSache anders gelaufen, hätten wir rechtzeitig unter Tage dieFrauenquote eingeführt.
Aber ich habe schon einen Plan für die Zeit nach demBergbau. Für ein paar lumpige Euro werde ich mir dieKohle-Schürfrechte im Revier sichern, und dann guck ichmir die grandiose Energiewende in aller Ruhe an. Martin Kaysh (Geierabend)
schreibt jeden Monat in bodo für die AWO.
✑Martin Kaysh schreibt für die Arbeiterwohlfahrt
Unterbezirk DortmundKlosterstraße 8-1044135 Dortmund0231- 99 340
Unterbezirk Ruhr-MitteBleichstr. 8 44787 Bochum0234- 96 47 70
Unterbezirk UnnaUnnaer Straße 29a59174 Kamen02307- 91 22 10
Je mehr Mitglieder die AWO hat, desto mehr kann sie in der Gesellschaftbewirken. Desto eher kann sie Menschen helfen, die Hilfe brauchen.
Werden auch Sie Mitglied in der AWO!
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32
32 GESELLSCHAFT | von Dr. Birgit Rumpel | Foto: Andre Noll
Im März 2012 stellte die Journalistin und Autorin Ingrid Müller-Münch ihr Buch „Die geprügelte Generation. Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen“ vor. Bodo-Autorin Birgit Rumpel hat das Buch gelesen und mit der Autorin gesprochen.
Der zerschlissene Teppichklopfer auf dem Titel stimmt einen unmittelbar
auf das Thema ein: Wer in den 50er und 60er Jahren des vergangenen
Jahrhunderts aufgewachsen ist, kennt nicht nur den originären Verwen-
dungszweck, sondern weiß auch um den Einsatz als Prügelinstrument durch
Eltern und Großeltern. Alternativen waren Stöcke, Kochlöffel, Handfeger,
Gürtel – alles, was gerade so zur Hand war. Prügeln als Erziehungsmethode
war allgemein anerkannt und entsprechend weit verbreitet.
Ingrid Müller-Münch beschreibt persönliche Schicksale von Menschen, die
in ihrer Kindheit körperlich und seelisch misshandelt wurden. Anschaulich,
aber nicht reißerisch gibt sie wieder, was sie in zahllosen Interviews von
Betroffenen erzählt bekam. Die Familien und Lebensumstände, die man
dabei kennenlernt, sind ganz unterschiedlich, Akademikerhaushalte sind
ebenso vertreten wie die aufstrebende kleinbürgerliche Familie, die am
Aufschwung der Wirtschaftswunderzeit teilhaben wollte. Gemeinsam ist
allen, dass Prügel und deren Androhung („Warte bloß, bis der Papa nach
Hause kommt…“) als Erziehungsmittel völlig normal waren. So normal,
dass die geprügelten Kinder meist gar nicht auf die Idee kamen, außerhalb
der Familie darüber zu sprechen oder sich gar Hilfe zu suchen. Neben der
schmerzhaften körperlichen Züchtigung hatten sie immer auch seelische
Qualen zu ertragen, Angst, Verunsicherung und regelmäßig die vermeintli-
che Erkenntnis, etwas falsch gemacht zu haben.
Ingrid Müller-Münch: Die geprügelte Generation
»Warte bloß, bis Papa nach Hause kommt…«
In den Schilderungen wird immer wieder deutlich, dass die prügelnden
Eltern selbst eine gewalttätige Erziehung erlebt hatten. Werte wie Ordnung
und Sauberkeit sowie eine widerspruchslose Hierarchiegläubigkeit waren
auch ihnen eingebläut worden. Sie alle hatten den Nationalsozialismus und
den Zweiten Weltkrieg erlebt. Ob als Täter oder Opfer – viele in dieser Ge-
neration waren traumatisiert und trugen Erinnerungen mit sich herum, die
nur in den seltensten Fällen je aufgearbeitet wurden. Therapien waren in
den 1950er und -60er Jahren längst nicht so normal wie heute, die wenigs-
ten waren es gewohnt und in der Lage, das eigene Handeln zu reflektieren.
Doch das Argument, es nicht besser gewusst zu haben, lassen die Autorin
und einer ihrer Protagonisten nicht gelten. Für sie ist es unverständlich,
warum Eltern ihren Kindern Gewalt antun, wenn sie sie gleichzeitig lieben.
Die individuellen Geschichten beschreiben nicht nur die Kindheitserleb-
nisse, sondern auch die unterschiedlichen Strategien, mit denen sich die
Betroffenen aus der Familie gelöst haben. Vom totalen Bruch bis zur jahr-
zehntelangen Qual im Umgang mit Eltern und Geschwistern, die sich an den
Missbrauch nicht erinnern wollen oder ihn gar leugnen. Mit bewunderns-
werter Offenheit zeigen die meisten Protagonisten, wie nachhaltig sich
die Gewalterfahrungen auf ihr Leben und ihre Psyche ausgewirkt haben.
Selbstzweifel, Bindungsangst, Beziehungsprobleme werden immer wieder
beschrieben und schließlich die Angst davor, die eigenen Kinder – wenn
man sich denn dafür entscheiden konnte – ebenfalls zu schlagen.
Eingeflochten in die biografischen Geschichten beleuchtet die Autorin
unterschiedliche Aspekte des Gewaltthemas: Die Frage nach den Ursachen,
die historische Entwicklung der Pädagogik in den letzten fünf Jahrhunder-
33
33
ten, die Erziehungsansätze in der DDR sowie das Aufbrechen der eingespiel-
ten Erziehungsmethoden durch die 68er-Generation, die nicht nur politisch
aufbegehrte, sondern mit der antiautoritären Erziehung das komplette
Gegenmodell lieferte. Zu diesen Aspekten hat sie Erziehungswissenschaft-
ler, Therapeuten und Soziologen befragt, zitiert zahlreiche Sachbücher und
Studien, ohne jedoch den Leser mit statistischen Daten zu überfrachten.
Im letzten Teil des Buches spannt Müller-Münch den Bogen zur Gegenwart
und der Frage, was sich wirklich geändert hat. Bekanntlich sind Kindes-
misshandlung und Vernachlässigung nach wie vor ein Problem, nicht nur
in Deutschland, sondern weltweit. Noch immer ist die Floskel, ein Klaps
auf den Po habe noch keinem geschadet, weit verbreitet. Auch wenn nach
Angaben des Deutschen Kinderschutzbundes 90% der Eltern gewaltfreie
Erziehung als Ideal anstreben, schafft es nur rund ein Drittel, dieses in
der Praxis umzusetzen. Auch die Flut von Ratgeberliteratur und einschlä-
gige TV-Sendungen schaffen da nur wenig Abhilfe. Neben der eigenen
Gewalterfahrung in der Kindheit werden bei heutigen Eltern Überforderung
und Stress im Alltag als Ursachen angenommen, sowie die Tatsache, dass
leichte Gewaltformen nicht als Gewalt angesehen werden.
Ein eigenes Kapitel widmet Müller-Münch der Frage, wie die Justiz sich dem
Thema Gewalt in der Familie stellte. Ein chronologischer Abriss beginnend
im 18. Jahrhundert zeigt auf, dass das Recht zur körperlichen Züchtigung
in der Familie lange Zeit explizit dem Vater zugesprochen war. Während in
der DDR bereits 1949 Körperstrafen an Schulen verboten wurden, führte in
der Bundesrepublik erst 1967 ein BGH-Urteil dazu, dass Schläge als Erzie-
hungsinstrument in öffentlichen Einrichtungen verboten wurden.
Mehr als 30 Jahre dauerte es dann noch, bis endlich im Jahr 2000 ein
Gesetzentwurf im Bundestag verabschiedet wurde, der das Recht auf eine
gewaltfreie Erziehung im Bürgerlichen Gesetzbuch festschrieb – gegen die
Stimmen der Unionsfraktionen.
Insgesamt keine leichte, aber eine sehr erhellende Lektüre. Müller-Münch
liefert auf knapp 300 Seiten keine sozialwissenschaftliche Analyse, sondern
eine breit gefächerte, faktenreiche und gut nachvollziehbare Betrachtung
eines Themas, das eine ganze Generation geprägt hat. Ein wichtiges Buch,
das nicht nur einzelnen Betroffenen helfen kann, sondern das ein weiteres
Thema aus der Tabuzone holt. (biru)
Ingrid Müller-Münch
Die geprügelte Generation
Kochlöffel, Rohrstock und die Folgen
Klett-Cotta 2012 | 284 S. | 19,95 Euro
ISBN-13: 9783608946802
bodo verlost 3 Exemplare (siehe Seite 21).
INFO
www.gepruegelte-generation.de
www.theaterrampe.de
34
34
35
35Interview | von Dr. Birgit Rumpel | Foto: Ludolf Dahmen
bodo Frau Müller-Münch, in Ihrem Buch erfährt
man, dass Sie selbst zu der geprügelten Genera-
tion gehören. War es nicht schwer, als Betroffene
mit den sehr persönlichen Geschichten anderer
umzugehen?
Müller-Münch Nein. Sie haben mich berührt. Aber
als ich das Buch dann schrieb, war ich für mich
mit dem Thema längst durch. Sonst hätte ich das
gar nicht machen können. Ich brauche die nötige
Distanz, auch bei den Lesungen, damit ich das
alles erzählen kann.
bodo Hatten Sie von Anfang an vor, das Thema
so vielfältig und multimedial zu bearbeiten, mit
Buch, Website und Theaterstück?
Müller-Münch Nein. Das Ganze fing an mit Rund-
funksendungen, auf die ich so viel Resonanz be-
kommen habe, dass ich dachte, irgendwie ist das
ja wohl ein umfassenderes Thema, das lässt sich in
18 Minuten Sendezeit nicht ausreichend darstel-
len. Und so entschloss ich mich, ein Buch darüber
zu schreiben. Das war zu der Zeit, als überall von
Übergriffen in Heimen die Rede war, aber niemals
davon, was so ganz nah an uns dran, nämlich zu
Hause passiert ist. Darüber sprach kein Mensch.
Als ich das Buch schrieb, wusste ich ja, dass es
viele betrifft. Man kann davon ausgehen, dass
in der Zeit so gut wie flächendeckend geprügelt
wurde, auch wenn es dazu keine eindeutigen Zah-
len gibt. Aber damals gehörte Prügeln der Kin-
der zum Erziehungskonzept, war einfach gesell-
schaftlicher Konsens. Diejenigen, die von ihren
Eltern nicht geschlagen wurden, hatten einfach
nur Glück. Kannten aber sicher andere Kinder, die
wiederum zu Hause geprügelt wurden.
bodo Auf das Buch hat es eine große Resonanz ge-
geben, nicht nur von Betroffenen, sondern auch
durch die Medien. Hat Sie das überrascht?
Müller-Münch Ja, das ist regelrecht über mich
hereingebrochen. Ich habe nach Erscheinen des
Buches sechs Wochen lang fast nur Interviews ge-
geben. Noch heute bekomme ich Woche für Wo-
che Briefe oder E-Mails von Leuten, die froh und
dankbar darüber sind, dass endlich über das The-
ma gesprochen wird, die ihre Geschichte erzählen
wollen. Auch von Erziehungsexperten und Thera-
peuten habe ich zahlreiche Reaktionen bekommen,
teilweise empfehlen sie ihren Klienten das Buch.
bodo Auf der Website gibt es ein Diskussionsfo-
rum. Gut sechs Monate nach der Buchveröffent-
lichung findet man dort knapp 200 Einträge, oft
sehr anrührende, persönliche Geschichten. Ist
das für Sie eine Belastung, fühlen Sie sich ver-
antwortlich?
Müller-Münch Die Beiträge sind teilweise sehr hef-
tig. Viele wollen, dass ich ihre Lebensgeschichte
aufschreibe und mit ihnen darüber spreche. Das
kann ich aber gar nicht leisten, ich bin keine The-
rapeutin. In dem Diskussionsforum helfen sich die
Betroffenen deshalb häufig untereinander, tau-
schen sich aus, und es ist schon dazu gekommen,
dass Selbsthilfegruppen auf diesem Weg gegrün-
det wurden. Aber da kann ich nicht mitmachen,
ich bin Journalistin und schreibe schon am nächs-
ten Buch. Trotzdem: Es ist schwierig, damit um-
zugehen, manche Geschichten erschüttern mich
zutiefst. Aber wenn ich mich von jeder Lebens-
beichte herunterziehen ließe, hätte ich dieses
Buch nicht schreiben können. Deswegen wurde auf
der Website eine neue Rubrik eingerichtet, in der
es Informationen über Hilfsangebote und Links zu
professionellen Hilfseinrichtungen gibt.
bodo Ebenfalls auf der Website kann man an ei-
ner Umfrage zur eigenen Erfahrung mit häuslicher
Gewalt teilnehmen. Bisher haben sich mehr als
1.100 Personen beteiligt, davon gaben 73% an,
von ihrer Mutter geschlagen worden zu sein, ge-
folgt von 64%, bei denen es der Vater war. Kön-
nen Sie dieses Ergebnis nachvollziehen?
Müller-Münch Diese Umfrage ist gespenstisch.
Ich selbst habe ja nie eine Umfrage gemacht, und
die Beispiele aus meinem Buch spiegeln dieses
Ergebnis in dieser krassen Eindeutigkeit über-
haupt nicht wieder. Mir wurden alle Variationen
prügelnder Eltern und Großeltern beschrieben,
einen Schwerpunkt bei den Müttern konnte ich
nicht ausmachen.
bodo Wie entstand die Idee, den Inhalt des Bu-
ches für das Theater zu adaptieren?
Müller-Münch Ich hatte schon 2010 Erfahrungen
im Dokumentationstheater gesammelt mit dem
Projekt „Zwei Welten“ am Theater Bonn. Das lief
damals sehr erfolgreich und hat mir den Zugang
zur Theaterwelt eröffnet. Und nachdem ich jetzt
wusste, wie man das macht und entsprechende
Leute kannte, kam irgendwann der Kontakt zum
Theater Rampe in Stuttgart. Die waren sofort be-
geistert von der Idee und haben es auf den ak-
tuellen Spielplan gesetzt. Ich war jetzt bei der
ersten Premiere und war tief beeindruckt. Der
Rampe ist es gelungen, ein Dokumentationsstück
zu spielen, das den Tenor des Buches sehr, sehr
gut wiedergibt.
bodo Und schließlich läuft nun auch ein Filmpro-
jekt, was wird das sein?
Müller-Münch Es soll ein 45minütiger Dokumen-
tarfilm werden. Ich habe dafür das Exposé ge-
schrieben, die Filmemacherin Erika Fehse dreht
den Film für den WDR, mit der Produktion habe
ich nun nichts mehr zu tun. Die Protagonisten
wurden per Aufruf auf der Website gesucht, da
nur der Schriftsteller Tilman Röhrig, den ich auch
im Buch porträtiere, bereit war, vor der Kamera
über das Erlebte zu sprechen. Alle anderen woll-
ten lieber anonym bleiben.
bodo Ihre Widmung im Buch gilt einem Till, mit
dem „ich eine glückliche Kindheit erlebt habe“.
Ist Till Ihr Sohn?
Müller-Münch Ja. Viele aus meiner Generation,
die ihre Kindheitserfahrungen nicht aufgearbei-
tet hatten, hatten Angst, dass sie bei den eige-
nen Kindern aus dem Automatismus des Prügelns
nicht herauskommen würden, weil sie nur das
als einzige Konfliktlösung kennengelernt hat-
ten. Als ich mich entschlossen hatte, ein Kind
zu bekommen, wusste ich, diesen Automatismus
muss ich durchbrechen. Ich habe daraufhin eine
Therapie gemacht. Wie ich finde erfolgreich. Es
ist mir gelungen, meinen Sohn ganz anders zu
erziehen, als ich es bei mir selbst als Kind erlebt
habe. Von der Kindheit meines Sohnes habe ich
profitiert, ich war sozusagen Nassauerin an sei-
ner glücklichen Kindheit.
Ein Interview mit der Autorin Ingrid Müller-Münch
»Das Prügeln der Kinder war einfach gesellschaftlicher Konsens«
36
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bodos Buchladen
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37
Finde die 10 Unterschiede im rechten Bild. Viel Erfolg!
RÄTSEL | von Volker Dornemann
Fehlersuchbild – Lösung:
1) Das Haar des Moderators ist vorn
kürzer, 2) sein Hemd hat einen
runden Ausschnitt 3) und an seiner
Hose fehlt der Hosenschlitz, 4) der
Gummibärchenanstecker an seiner
Weste ist pink, 5) beim KAFLATSCH
fehlt der Bindestrich, 6) aus 150
Eiern wurden 100, 7) der Kandidat
hat einen Rollkragen, 8) ihm fehlt
ein Finger, 9) einer seiner Schuhe
ist vorne rund und 10) die Sitzbank
ist etwas kürzer.
37
Rätsel-Lösung: ENZIAN
38
Der Kakaobaum wächst in den tropischen Gebieten Amerikas. Bereits die Azteken be-reiteten aus seinen Früchten ein anregen-des Heißgetränk. Sie nannten es Xocoatl. Als Zutaten nennt eine überlieferte Rezep-tur aus dem 15. Jahrhundert Vanille, Honig und eine Prise Chili. Doch niemand muss eine Zeitreise unternehmen, diese scharfe Köstlichkeit zu genießen. Xocoatl bekommt man im Café im ZIB, dem Zentrum für In-formation und Bildung der Stadt Unna. Und darüber hinaus noch mehr als zwanzig wei-tere Sorten Kakao neben ebenso vielen Tee- oder Kaffeespezialitäten.
täglich wechselndes Mittagsgericht und außer-
dem eine kleine, feine Auswahl an „Spezialitäten
von hier wech”. Da findet man den obligatori-
schen Pfefferpotthast (7,20 Euro), eine westfä-
lische Kartoffelsuppe mit Schinkenspeck (4,80
Euro) und zum gleichen Preis „UNsa Pizza“. Wer
die bestellt, erhält Reibeplätzchen mit Tomaten,
Schinken und Käse. Übergreifendes Motto: voll-
wertige Qualität und frische Küche zu moderaten
Preisen. Natürlich gibt es im Café auch Kuchen,
der ist hausgemacht, wer dazu Sahne wünscht,
dem wird sie eigens aufgeschlagen.
Im ersten Berufsleben war Frau Nieders-Mollik
Architektin. Das sollte nicht unerwähnt bleiben,
es wäre eine passende Erklärung für ihr nicht
hoch genug zu lobendes Bestreben, sämtliche
Positionen der Speisekarte bis ins Detail stimmig
zu halten. Zur vegetarischen Emmentaler Kohl-
rabensuppe reicht sie ein helles Schweizer Brot.
Eidgenossen am Teller vereint, das geht, wir
müssen ihr recht geben, besser zusammen als zur
Suppe beispielsweise das malzig dunkle Linden-
brot. Dieses wird mit dem Treber der benachbar-
ten Lindenbrauerei gebacken und schmeckt, wir
sollten es später noch probieren, ausgezeichnet;
eine wirklich feine Alternative zum klassischen
Pumpernickel.
Ebenso durchdacht wie die Speisekarte ist eine
Reihe von Veranstaltungen im Café. Im Rahmen
von Lesungen internationaler Autoren gibt es
jeweils landestypische Gerichte, Diskussions-
runden finden statt, Konzerte und Filmvorfüh-
rungen. Wenn zum Pantoffelkino geladen wird,
werden Speisen und Getränke aufgetragen, die
zeitgleich von den Schauspielern auf der Lein-
wand eingenommen werden. Manchmal, sollte es
sich ermöglichen lassen, sogar auf identischem
Porzellan.
Mittlerweile ergäben sich auch verstärkt Koope-
rationen mit den öffentlichen Institutionen im
Haus, freut sich Frau Nieders-Mollik. Allein ihr
Café wird im ZIB privatwirtschaftlich geführt. In
dem städtischen Komplex ist die Bibliothek un-
tergebracht, die Volkshochschule, die Kulturver-
waltung, das Archiv und, nicht zu vergessen, das
einzigartige Internationale Lichtkunstmuseum.
Wer zum Beispiel hier seinen „perfekten Sonn-
tag” erleben möchte, bekommt zur Führung vom
Café ein Stück Kuchen und ein Getränk nach Wahl
gereicht. Und Kindergeburtstage können in der
„deLuxe”-Version gefeiert werden, mit Getränk,
Pizza oder frischen Waffeln nach dem gemeinsa-
men Museumsbesuch. (wk)
Café im ZIBLindenplatz 1 | 59423 Unna
Tel. 02303 – 10 37 54
Di. bis Fr. von 9.30 bis 18.30 Uhr
Sa. von 10. bis 18. Uhr | So. von 13.30 bis 17 Uhr
bodo verlost einen Kaffee-und-Kuchen-Gut-schein für zwei Personen im Wert von 15 Euro. (siehe Seite 21).
So viele Sorten
Café im ZIB | Unna
38 BODO GEHT AUS | von Wolfgang Kienast | Fotos: Daniel Sadrowski
Das Kaffeeangebot reicht dabei vom Pott Schwei-
zer Röstung über Haferl mit Schlagobers, Espres-
so affogato peperoni (mit einem Hauch grünem
Pfeffer), einem After-worx-coffee (koffeinfrei mit
geschäumter Vanille-Sojamilch und frisch geriebe-
nem Muskat) bis hin zu einem Espresso balsamico.
Den hat Ines Nieders-Mollik, die Betreiberin, auf
einer Reise nach Italien entdeckt. Geschmacklich
etwas gewöhnungsbedürftig ist diese Kombinati-
on aus Kaffee und Balsamico-Essig, sie hilft aber
nachweislich bei Kopfschmerz und Migräne.
Doch nicht nur der Getränke wegen lohnt ein Be-
such des Cafés über dem Lindenplatz. Hier darf sich
der Gast anhand einer Komponentenkarte nach
Baukastenprinzip sein ganz individuelles Früh-
stück zusammenstellen, angeboten wird ihm ein
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CARTOON | Idee und Zeichnung: Volker Dornemann
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bodo dankt: Sparkasse Bochum Dr. Josef Balzer, Alexander Barbian-Steinfort, Micha-el Buddenberg, Helmut Buscha, Christian Chammings, Angelika Engelberg, Paul Engelen, Fabian Fluhme, Rolf Geers, Matthias Grigo, Grünbau GmbH, Britta Richter, Manfred Kater, Almuth Keller, Jutta Kemper, Helga Koester-Wais, Birgit Kuehn, Nicola Steinstrass, Wulfhild Tank, Felix Zulechner, Ingeborg Schumacher, Brigitte Sonntag, Gabriele Steinbrecher, Gabriela Schaefer, Her-mann Schroeder, Christoph Roeper, Susanne Mildner, Barbara Meyer, Ute Michler, Ludwig Seitz, Bärbel Bals, Kerstin Bals, Karl Bongardt, Ralf Finke, Michael Stange, Nicole Goralski, Jörg Gruda, Erika Janssen, Marlis Lange, Arne Malmsheimer, Wolfgang Neuhaus, Ursula Remer, Daniela Schmitz, Nadja Schramm, Rainer Stücker, Tho-mas Terbeck, Linda Wotzlaw, Heinz Schildheuer, Thomas Schröder, Snezka Barle, Ute Börner, Bernd Ewers, Regina Höbel, Sandra und Friedrich Laker, Frank Siewert, Ilona Zarnowski, Rainer Biel, Udo Bormann, R. Dammer, Anita Diehn-Driessler, Christine Ferreau, Udo Greif, Rüdiger Haag, Elsbeth Heiart, Astrid Kaspar, Annette Krtizler, Ursula Machatschek, Lieselotte Markgraf, Jutta Meklen-borg, Marlies und Eberhard Piclum, Sandra Rettemeyer, Inge Schaub, Dorothea Bomnüter, Petra Bloch, Ina und Arno Georg, Edith Link, Annemarie Meiling, Christain Scheer, Roswitha Wolf, Ulrike Bornemann, Hans-Georg Schwinn, Isabell Bikowski-Gauchel, Peter Buning, A. und M. Dietz, Klaus-M. Kinzel, Annegret Malessa, Chris-tine Weber, Monika Bender, Petra Bender, Eberhard Gar-burg, Jutta Haring, Lieselotte Koch, Katrin Lichtenstein, Ulrike Märkel, Gerd Pelzer, Renate Krökel, Klaus Kwetkat, Stefan Meyer, Carsten Klink, Thomas Olschowny, Dani-ela Gerull, Dieter Schibilski, Martin Scholz, Karl-Heinz Schwieger, Barbara Bokel, Sandra Wortmann, Annabell Preusler, Birgitt Kuhlmann, Dieter Zawodniak, Elisabeth Heymann-Roeder, Friederike Jansen, Dirk Schmiedes-kamp, Sebastian Poschadel, Rita Pilenko, Margret und Hansjörg Sellhorst, Elisabeth Heymann-Röder, Christian Bösterling, Linda Wotzlaw, Dagmar Drabandt, Christian Müller, Gerd Schlitzer, Johannes Sock, Jürgen Blech, Elke Rucki, Beate Weigand, Marion Abels, Silja Arnold, Birgit Loer, Doris Eydt, Martin Krug, Manfred Klünder, Reiner und Bärbel Gorwa, Michael Hedfeld, Katrin Schmidt, Kim Mirbek, Ingo Preukschat, Udo Christleth, Irmela Witte, Eva Kutschmann, Peter Jaschinski, Matthias Ense, Darek und Stefanie Salem Ayoub, Sabine Krings-Völkel, Christa Kölsche, Gabriele Schulte, Winfried Pohl, Burkhard und Sabine Ebel, Rose Johannes, Uwe Zimmermann, Diana Stroetmann, Rainer Rohe, Ingolf Hackert, Andrea Gund-lach, Thomas Urban, Fatima Haqua, Alexandra Schütte, Sylvia und Heiko Kraft, Uwe Scholz, Barbara Resch, Helga Kosczenski, Gottfried Schubert, Anna Junek, Peter und Renate Korte, AS Antriebs und Systemtechnik, Ingrid Nietert, Dieter Brinker, Helga Stephani, Karin Mühlberg, Hannelore Thimm-Rasch, Erika Maletz, Volker Schaika, Gerhard und Elsbeth Heiart, Dr. Rinnert-Siemssen, Paul M. Höringklee, Esther Hagemann, Wolf Stammnitz, Mar-cus Kolberg, Heinz Heitland, Stefanie Klein,Klara Leh-mann, Kathrin Bohr, Wido und Jutta Wagner, Christina Kolivopoulos, Peter Lasslop, Else Marie Bork, Annette Düe, Doris Buderus, Ute Soth-Dykgers, Ruth Hanke, Dolf Mehring, Hildegard Reinitz, Timo Zimmermann, Silke Harborth, Thomas Kirschdorf, Petra Danielsen-Hardt, Sabine Raddatz, Johannes Sock, Marion Prinz
Im Dezember freuen wir uns auf acht zusätzliche Seiten und ein Interview mit dem brasilianischen Weltautor Paulo
Coelho („Der Alchimist“). Paulo Coelho ist Botschafter des Internationalen Netzwerks der Straßenzeitungen und stellt
uns zusätzlich exklusiv eine Weihnachtsgeschichte zum Abdruck zur Verfügung! An Sie, unsere Leserinnen und Leser,
gerichtet, schreibt er, er habe diese Geschichte gestiftet, „weil ich der Überzeugung bin, dass die Menschen einander
unterstützen sollten, und dass wir insbesondere denen helfen sollten, die weniger privilegiert sind als wir selbst.
Straßenzeitungen machen genau das, und indem Sie regelmäßig Ausgaben einer Straßenzeitung von Ihrem lokalen
Verkäufer kaufen, helfen auch Sie.“
käufer kein Almosen wollen, sondern wirklich mit dem
Verkauf etwas „verdienen“ möchten. Ich denke, dieje-
nigen, die etwas geben, sind sich sicherlich nicht dar-
über im Klaren, dass ihre „Gabe“ auch falsch aufgefasst
werden könnte.
Ganz herzliche Grüße und weiter so, Marita Claasen
Liebes bodo-Team,
vielen Dank für die Dazkarieh-Karten, es war ein toller
Abend mit einem Musikerlebnis, das mir sonst sicher-
lich entgangen wäre. Eine Band, die auf jeden Fall zu
empfehlen ist!
Viele Grüße, Rita Pieperhoff
LESERBRIEFE
Lieber bodo!
Glückwunsch zur aktuellen Ausgabe! Schön, dass es euch
gibt! Dankeschön und weiterhin viel Erfolg! Ben Kramm
Hallo, liebe Mitarbeiter der Redaktion,
nach langer Zeit habe ich gestern mal wieder bodo ge-
kauft, weil eine Verkäuferin in Lünen-Süd die Zeitung
anbot. Früher habe ich sie mir öfter aus Dortmund mit-
gebracht, aber zur Zeit fahre ich nicht mehr so oft dort-
hin zum Einkaufen.
Bei uns in Lünen findet man auch andere „Obdachlosen-
zeitungen“, die aber bei weitem nicht so gut geschrie-
ben sind. Mir gefallen die Beiträge wirklich gut, weil sie
zum Einen gut geschrieben sind, zum Anderen aber auch
Interessantes zu berichten haben.
Ich werde nun mehr darauf achten, ob die Verkäuferin
nächsten Monat wieder bei Aldi in Lünen-Süd steht.
Mich hat insbesondere Ihr Hinweis berührt, dass die Ver-
Schreiben Sie uns Ihre Meinung!
bodo e.V. | Schwanenwall 36 – 38 | 44135 Dortmund
oder eMail an: [email protected]
Foto: Marcos Borges
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