biologie und technik

4
Biologie und Technik. Aus einer BegrUl~ungsansprache zum 50ji~hrigen Stiftungsfest des ThUringer Bezirksvereins des Vereins Deutscher Ingenieure am 27. Mat 1911 gehalten von W. Roux. Nachdem ich Ihnen die Gliickwiinsche der Kaiserlich Leopol- dinisch-Carolinischen Akademie der Naturforscher ausgesprochen habe, set es mir gestattet~ noch fUr reich pers~inlich einige Worte hinza- zufUgen. Von Beruf Biologe, m~ehte ich die erste Gelegenheit, die ich babe, zu ether Versammlung yon Ingeniearen zu reden, nieht vorUber- gehen lassen, ohne es einmal (iffentlich auszusprechen, wieviel die Biologie den Ingenieurwissensehaften verdankt. Zwar yore Standpunkte ether gewissen Philosophie sieht die Saehlage umgekehrt aus. Es gibt eine philosophisehe Doktrin, welehe lehrt, dab alles, was wit Mensehen an Ertindnngen leisten, nut Pro- jektionen unsres eignen Innern naeh auBen sind, dab wir daher aueh nut deshalb Masehinen konstruieren ki~nnen, weil wit solehe im Innern haben, und dab wit nnr solehe Masehinen bauen kiinnen, welehe wir in arts haben. Danaeh k(innten wir nur deshalb Pumpen bauen~ weil wir (NB. als Herz) eine Pumpe in uns tragen [noeh dazu eine Pumpe, welehe keinen besonderen Motor braucht, sondern bet der das Wan- dungsmaterial der Arbeitsmasehine in Gestalt der Mnskelfasern zu- gleieh den Motor darstellt]~ nnr deshalb Telegraphen erfinden, weil wir solehe selber besitzen, nut deshalb die 01isolation der elektrischen LeitungsdrKhte als die beste erkennen, weil unsre Leitungsdriihte~ die Nerven~ mit O1 (Myelin) isoliert sind, nur deshalb die Photo graphie, und sogar die Farbenphotographie erfinden~ well wit selber solche Apparate haben (und zwar mit Einriehtung zur mehrmals in jeder Sekunde miJgliehen farbigen Aufnahme auf dieselbe Platte). 48*

Upload: w-roux

Post on 12-Aug-2016

213 views

Category:

Documents


1 download

TRANSCRIPT

Page 1: Biologie und Technik

Biologie und Technik.

Aus einer BegrUl~ungsansprache zum 50ji~hrigen Stiftungsfest des ThUringer Bezirksvereins des Vereins Deutscher I n g e n i e u r e

am 27. Mat 1911

gehalten von

W. Roux.

Nachdem ich Ihnen die Gliickwiinsche der Kaiserlich Leopol- dinisch-Carolinischen Akademie der Naturforscher ausgesprochen habe, set es mir gestattet~ noch fUr reich pers~inlich einige Worte hinza- zufUgen.

Von Beruf Biologe, m~ehte ich die erste Gelegenheit, die ich babe, zu ether Versammlung yon Ingeniearen zu reden, nieht vorUber- gehen lassen, ohne es einmal (iffentlich auszusprechen, wieviel die Biologie den Ingenieurwissensehaften verdankt.

Zwar yore Standpunkte ether gewissen Philosophie sieht die Saehlage umgekehrt aus. Es gibt eine philosophisehe Doktrin, welehe lehrt, dab alles, was wit Mensehen an Ertindnngen leisten, nut Pro- jektionen unsres eignen Innern naeh auBen sind, dab wir daher aueh nut deshalb Masehinen konstruieren ki~nnen, weil wit solehe im Innern haben, und dab wit nnr solehe Masehinen bauen kiinnen, welehe wir in arts haben. Danaeh k(innten wir nur deshalb Pumpen bauen~ weil wir (NB. als Herz) eine Pumpe in uns tragen [noeh dazu eine Pumpe, welehe keinen besonderen Motor braucht, sondern bet der das Wan- dungsmaterial der Arbeitsmasehine in Gestalt der Mnskelfasern zu- gleieh den Motor darstellt]~ nnr deshalb Telegraphen erfinden, weil wir solehe selber besitzen, nut deshalb die 01isolation der elektrischen LeitungsdrKhte als die beste erkennen, weil unsre Leitungsdriihte~ die Nerven~ mit O1 (Myelin) isoliert sind, nur deshalb die Photo graphie, und sogar die Farbenphotographie erfinden~ well wit selber solche Apparate haben (und zwar mit Einriehtung zur mehrmals in jeder Sekunde miJgliehen farbigen Aufnahme auf d iese lbe Platte).

48*

Page 2: Biologie und Technik

736 W. Roux

Ich sehe Ihnen an, dab Sic diese Auffassung nicht teilen, ob- gleich Ubrigens erst vor ein paar Jahren wieder ein in diesem Sinne verfaBtes Buch erschienen ist.

Diese Auffassung ist abcr allerdings auch nieht richtig. Erstens haben die Menschen auch Maschincn konstruiert, ftir welche es in uns keine Vorbilder gibt, und zweitens haben Sie manchc Konstruk- tion erfunden, ehe yon der Biologic die wahrc Bedeutung der ent- sprechenden Konstruktion in unserm Innern erkannt war. Ich erinncrc an CUL~A~X, den BegrUnder der graphischen Statik. Dieser erkannte erst nach seiner Erfindung, dab die eigentUmliche Struktur im Halse des Oberschenkelknochcns einc trajectorielle Struktur, speziell einc Kranenkonstruktion darstellt. Von diescr Erkenntnis ging ein Licht des Verstiindnisses aus, welches sich auf die Strukturen und die Gestalt aller in den Lebewescn vorhandcnen Hartgebilde und vieler Weichgebilde verbreitete.

Wit Bioloffen, spezicll wir Entwicklungsmcchaniker, vcrdanken Ihncn aber viel mehr. Wit verwenden Ihrc Festig'keitslehre~ Ihre Elastizit~ttslehre, die yon Ihnen ermittelten Koeffizienten und vicles andre, worauf ich in den wenigen Minuten. die mir hier gegeben sind, nicht eingehen kann.

Was dageffen wir Ihnen gcnUtzt haben, ist bisher leider nicht viel. Ich darf, um doch etwas zu erwi~hnen, an ein Beispicl yon mir selber erinnern. In dem si~chsischen Bezirksvereine des Vercins Deut- seher Ingenieure hielt in der Versammlung yore 7. M:~irz 1885 tin Ingenieur, Herr HERTEL aus Wurzen, einen Vortrag mit dem Titel ~,Die Verzweigungen der Blutgei~Be, eine vollkommenste Rohrleitungr Er schilderte darin die 7 Jahre vorher yon mir entdeckten und in meiner Doktorarbeit beschriebencn Gestaltungen des Lumens der Blut- gefiiBe und empfahl sie den Tcchnikern zur ~'aehahmung. Letzteres tat auch REULEAUX in seinem >>Konstrukteur,~. Die W a n d u n g der Blu tgef i iBe hat niimlich die wunderbare Fiihigkeit. sich der h~mo- dynamisch bedingten Eigengestalt des Blutstrahls so anzuschmicgen, dab z.B. die Lichtung der GefiiBe an den Veriistclungsstellen die Gestalt eines aus ovaler 0ffnung frei in die Luft ausspringenden FlUssigkeitsstrahles erh~lt. Infolgedessen erfolgt die Verteilung des Blutes mit dem Minimum an Reibung und an Wandungsmaterial, so- mit auch mit einem Minimum an Betriebsenergie.

Ich erlaube mir noch zu erwi~hnen, dab ich auch Methoden de r S e l b s t d a r s t e l l u n g der T r a j e c t o r i e n auf Gummimodellen an- gegeben babe, welchc bei Beanspruchungen auf Druck, Zug, Biegung,

Page 3: Biologie und Technik

Biologie und Teehnik. 737

Torsion die Abscherungstrajectorien sowie auch die Druck- und Zug- tr~tjectorien gut siehtbar darstellen (s. Gesamm. Abh. I. S. 673). Vielleieht kSnnen sie Einem yon Ihnen einmal yon Nutzen sein.

Wir Entwicklungsmechaniker haben noch manches andre yon der Organisation des Menschen und der Tiere erkannt, dab auch ftir Sie verwendbar sein wUrd% wenn es Ihnen bekannt wi~re. Es ist daher zu wUnschen, daB die Beziehungen zwischen Biologie und Teehnik engere werden, damit nicht ferner Kraft vergeudet werde, indem auf beiden Gebieten ein und dasselbe selbstiindig erarbeitet wird 1).

Zum SchluB m~ichte ich Ihr~e Aufmerksamkeit nut noch auf eine ftir Sie wichtige Gruppe yon konstruktiven Aufgabon lenken, die in uns auf sehr vollkommene Weise gelSst sind, auf die S e l b s t r e g u l a - t ionen . In den Lebewesen haben alle Einrichtungen und Leistungen sehr weitgehende Selbstregulationsfahigkeit, weshalb ich seinerzeit ,1881) das S e l b s t r e g u l a t i o n s v e r m S g e n a l s e i n e d e r w e s e n t - l i c h s t e n und c h a r a k t e r i s t i s c h s t e n E i g e n s c h a f t e n d e r L e b e - w e s e n bezeichnet habe. Freil ich arbeiten die Lebewesen bei d'er Bet~ttigung dieser Fi~higkeit mit einer Materialqualitiit, die S ie nieht nachmachen, die Sie daher bei Ihren Aufgaben nieht verwenden kSnnen; denn unsre Gewebe haben die Fahigkeit , an den Stellen~ wo sie starker in ihrer Leistung in Anspruch genommen werden, zu wachsen, sich zu vermehren, an denjenigen Stellen dagegen, wo sie nicht mehr beansprucht werden, zu schwinden. Wenn Sie eine solche Substanz hiitten, d a n n b r a u c h t e n S ie n u r i r g e n d e i n e n n o c h r e c h t w e n i g zu dem yon I h n e n a n g e s t r e b t e n A p p a r a t e p a s - s e n d e n A n f a n g zu k o n s t r u i e r e n , ihn dann mit lenkender menseh- licher •achhilfe m S g l i c h s t in de r i n t e n d i e r t e n W e i s e zu g e - b r a u c h e n , so wie wit es mit unsern Organen auch tun, wenn wir etwas Neues crlernen wollen, oder wie es geschieht, wenn auBere

~) Als Beispiel seien angeftihrt die yon Prof. W. GEBHARDT, Halle a. S., aus- fi~hrlich beschriebenen Typen der weehselnden Faserrichtungen in den HAVERS- schen Siiulen des Knochens, deren funktionelle Bedeutung, insbesondere deren Anpassungsf~higkeit an die versehieden sten mechanischen Spezialaufgaben: Wider- stand gegen Zug, Druck, Biegung, Torsion und Sehub er erkannte und an Mo- dellen demonstrierte, bevor einzelne der Vorteile derartiger Kombinationen is gewissen technischen Erfindungen praktische Verwendung fanden, und zwar letzteres, ohne dal3 den Konstrukteuren seine Arbeiten bekannt waren. So in den Eisenbetonr~hren mit schraubig gewundener Eiseneinlage, oder der aus diinnen Holzfournierlagen kreuzweise verleimten R~hren als Stiitzelemente zu flugtechnischen Zweeken (Patent FERI~ANDO WOLFF).

Page 4: Biologie und Technik

738 W. Roux, Biologie und Technik.

Verhiiltnisse die Organe zu neuen Gebrauehsweisen zwingen. Dann wUrde der Apparat bald, und zwar durch Anbildung an den Stellen st~rksten Gebrauches und unter Schwund an den Stellen des b~ieht- gebrauehes die zu der anfangs erzwungenen Funktion passende Gestaltung erlangen und danach d i e se F u n k t i o n ohne diesen Z w a n g ausUben. Wen n Sie e ine S u b s t a n z zur Verf t igung h~tten~ w e l c h e s ieh in d i e se r W e i s e verhi i l t , dann wiire es die reinste Freude, Ingenieur zu sein. Abet obsehon Sie diese Materie, mit welcher der lebende Organismus alle seine gestaltliehen Selbst- regulationen, vielfaeh auch ohne zwecktKtige Mithilfe des Willens, rein mechanisch herstellt, wohl hie erlangen werden und sie daher nicht zur Konstraktion Ihrer Masehinen verwenden kSnnen~ so kann doch die detaillierte Vorstellung solehen Wirkens im Einzelfalle bei der Konstruktion desselben behUlflich sein; und auch sonst werden Sie dureh das Studium der organischen Selbstregulationen manehe Ihnen nUtzliehe Einsicht gewinnen kSnnen.

Ieh sehlieBe mit den herzliehsten Wtinschen fur das weitere Gedeihen des ThUringer Bezirksvereins Deutscher Ingenieure wie aueh flir die Ausbildung der gegenseitig F6rdernden Beziehungen zwischen Biologie und Technik.