biologie und kausalität. biologische ansätze zur kausalität, determination und freiheit. von...

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Bucher Die Zelle. Bilder zum Bau der menschlichen und der tierischen Zelle - Eine Diasammlung mit Begleittext und Kopiervorlagen. Von Gonzague S. Kistler. F. Hoffmann-La Roche & CO. AG, CH-4002 Basel, Grenzacher- strafie 124. 1980. sfr. 470,-/DM 480,-/ OS 2900,-. Unter Medizinern sind die ,ROCOM-Dia- sammlungen fur den Arzt" seit Jahren gut bekannt. Mit der Serie ,Die Zelle" wird nun erstmals auch der Biologe direkt angespro- chen. Es handelt sich um 144 Kleinbilddias (25 Schemata, 66 Farbdias aus der Lichtmikro- skopie, 53 Superslides nach elektronenmikro- skopischen Aufnahmen) mit 82 Seiten Begleit- text und 9 iibersichtlichen Vorlagen fur Ver- vielfaltigungen, die dann an Schiiler oder Kursteilnehmer verteilt werden konnen. Be- handelt wird so ziemlich alles aus dem Bereich der Cytologie, was irgendwie auch den Medi- ziner interessieren kann, also vor allem Sau- gerzellen und -gewebe, aber auch Viren und wichtige Methoden der Cytologie, von der Enzym- und Fluoreszenz-Histologie und Polarisationsmikroskopie bis hin zu Radio- autographie, Morphometrie und Elektronen- mikroskopie. In dem solcherart abgesteckten Bereich kann die Auswahl als umfassend bezeichnet werden: Die verschiedensten Zell- typen und ihre charakteristischen Einschliisse und Differenzierungen werden gezeigt und erlautert. Nicht behandelt werden die Zell- strukturen von Pflanzen, von Wirbellosen und Protisten, iiberraschenderweise auch nicht die von Bakterien. Die Dias sind ganz iiberwiegend von guter bis ausgezeichneter Qualitat. Die verschiedenen Farbungen der histologischen Praparate kom- men tadellos heraus. Die interne Beschriftung der elektronenmikroskopischen Groaformat- Bilder, z. T. auch der Schemata ist farbig und hebt sich dadurch gut vom eigentlichen Bild ab. Die Texte sind knapp, aber uberall leicht zu verstehen und kompetent abgefafit. Viele Querverweise erleichtern das Selbststudium. Fur Schulen und Seminare empfiehlt sich die Sammlung einmal durch ihre hohe Qualitat, zum anderen aber auch dadurch, da13 sie vom perfektionierten, aber einseitig-toten Lehr- buchschema wieder zuriickfiihrt zur vielfal- tigen Praxis des Beobachters, und hier bis tief hinein in jene Bereiche, die sich der Durch- schnittsbiologe selbst kaum erschlieaen kann. Erscheint also der hohe Preis durch ent- sprechend hohe Qualitat und tadellose Aus- stattung der Serie in Bild und Wort wohl gerechtfertigt, so bleiben doch - wie kaum vermeidlich - einige Wiinsche offen. Sie seien hier im Sinne einer weiteren Verbesserung des schonen Werkes einzeln angefuhrt: Die Schemata (weifi auf schwarz) sind 2.T. etwas schwer lesbar, auch nicht immer beson- ders gliicklich konzipiert (z. B. 41). Einige be- diirfen bereits wieder der Modernisierung (z. B. 52: Chromosomenstruktur ohne Nucleosomen). Unter den lichtmikroskopi- schen Methoden vermiflt man den Differen- tial-Kontrast nach Nomarski, der den Massi- schen Phasenkontrast jetzt mehr und mehr verdrangt, weil er frei ist von storenden Halo- Erscheinungen und Farbverfremdungen, und aufierdem durch die Plastizitat der Bilder an elektronenmikroskopische Rasteraufnahmen anschlieat. Gerne wiirde man heute auch ein Immunfluoreszenz-Bild von Cytoskelett- Strukturen sehen. Besonders bedauerlich ist das Fehlen von Vergrofierungsmarkern (pm- Strichen) in den elektronenmikroskopischen Bildern. Die Angabe der Bildvergrofierung im Begleittext nutzt demjenigen nichts, der das Bildvon der Leinwand herzu sehen bekommt. Einige wenige Dias sollten vielleicht durch Aufnahmen von besseren Praparaten ersetzt werden (26, 34,35, 53, 64, 73). Im Ganzen ist jedoch dieser Serie trotz dieser bescheidenen Mange1 ein sehr gutes Zeugnis auszustellen. Im Interesse einer Vitalisierung des Biologie-Unterrichtes wird man ihr eine weite Verbreitung auch an Gymnasien und Universitaten wiinschen. [Bi-584] P. Sitte, Freiburg i. Br. Biologie und Kausalitat. Biologische Ansatze zur Kausalitat, Determination und Freiheit. Von Franz M. Wuketits. Verlag Paul Parey, Berlin-Hamburg 1981. 166 Seiten mit 29 Ab- bildungen und 14 Tabellen. Glanzkaschiert. DM42,-. Wuketits' letztes Buch reiht sich ein in die ge- rneinsamen Bemuhungen einer Wiener Grup- pe von Biologen und Naturphilosophen um die Aufarbeitung der durch die Entwicklung der modernen Biologie aufgeworfenen wis- senschaftstheoretischen Probleme (vergl. [1980]; BIUZ 9, 73-79 [1979]). Einen Ober- blick uber die Problemlage gab Wuketits selbst in seinem Buch ,,Wissenschaftstheoretische Probleme der modernen Biologie" (1978). BIUZ 8, 42-47 [1978]; BIUZ 10, 17-22 1st im vorliegenden Buch die Rede von Biolo- gie und Kausalitat, so in doppelter Hinsicht: Zum einen sol1 die Bedeurung des Kausalitats- begriffs fur Erklarungen in der Biologie unter- sucht, zum anderen Losungsansatze fur das Kausalitatsproblem aus der Biologie gewon- nen werden. Im ersten Teil geht Wuketits philosophie- und biowissenschaftlich-historisch vor. Ausge- hend von der Lehre der vier Ursachen des Aristoteles und der Dichotomisierung der Ursachenerklarung durch die Auszeichnung der cuusu finulis (Zweckursache) fur biologi- sche Erklarungen durch Aristoteles selbst und der cuusu efficiens (Antriebsursache) durch seinen Schiiler Theophrast, verfolgt Wuketits die Etablierung zweier Grundrichtungen in der biologischen Erklarungsweise und die Geschichte ihrer Bedeutung. Mechanisten und Vitalisten waren die Kontrahenten dieser Auseinandersetzung. Auf den Siegeszug des Daminismus und der damit einhergehenden Mechanisierung der Biologie antworteten neovitalistische Stromungen. Zu einer Ver- sohnung der beiden Ansatze und einem ein- heitlichen Konzept in der Kausalitatsproble- rnatik fuhrte nach Wuketits erst die Einfiih- rung kybernetischer und systemtheoretischer Modelle in der modernen Biologie und speziell die systemtheoretische Beschreibung und Interpretation der Evolution. Cuusu finalis und cuusu efficiens zeigen sich hier als kom- plementare Aspekte fur die Erklarung biolo- gischer Objekte: Die cuusafinulis verweist auf den durch Evolution entstandenen systemer- haltenden Wert bestimmter Funktionen, die cuusu efficiens liefert die kausale Erklarung der Systemeigenschaften. Mit diesem evolutio- nistischen Zweckbegriff entfallt der alte Streit um die Teleologie, denn es handelt sich nicht mehr (wie etwa bei Aristoteles) urn eine in- tentionale, sondern urn eine ,,mechanistische Teleologie", auch Teleonomie genannt. Fur die biologische Behandlung der Kausali- tatsproblematik dient Wuketits die evolutio- nare Erkenntnistheorie, wie sie zuletzt von R. Riedl in ,,Biologic und Erkenntnis" (1980) formuliert wurde (vergl. BIUZ 10, 195-196 [1980]), als Ausgangspunkt: 1st der Mensch ein Produkt der Evolution, rniissen auch seine Denkstrukturen evolutiv entstanden sein. Der biologische Zugang zur Kausalitatsproble- matik kristallisiert sich vor diesern Hinter- grund zur Frage, wie sich in der Evolution des Denkens das Kausalitatsdenken entwickelt hat. Die erstaunliche Antwort lautet, dafi uns das Kausaldenken als Ted des arterhaltenden Hypothesensystems iiber die Wirklichkeit angeboren ist, aber nur in seiner linearen, Biologie in unserer Zeit / 12. Jahrg. 1982 / Nr. 4 125

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Page 1: Biologie und Kausalität. Biologische Ansätze zur Kausalität, Determination und Freiheit. Von Franz M. Wuketits. Verlag Paul Parey, Berlin — Hamburg 1981. 166 Seiten mit 29 Abbildungen

Bucher

Die Zelle. Bilder zum Bau der menschlichen und der tierischen Zelle - Eine Diasammlung mit Begleittext und Kopiervorlagen. Von Gonzague S. Kistler. F. Hoffmann-La Roche & CO. AG, CH-4002 Basel, Grenzacher- strafie 124. 1980. sfr. 470,-/DM 480,-/ OS 2900,-.

Unter Medizinern sind die ,ROCOM-Dia- sammlungen fur den Arzt" seit Jahren gut bekannt. Mit der Serie ,Die Zelle" wird nun erstmals auch der Biologe direkt angespro- chen. Es handelt sich um 144 Kleinbilddias (25 Schemata, 66 Farbdias aus der Lichtmikro- skopie, 53 Superslides nach elektronenmikro- skopischen Aufnahmen) mit 82 Seiten Begleit- text und 9 iibersichtlichen Vorlagen fur Ver- vielfaltigungen, die dann an Schiiler oder Kursteilnehmer verteilt werden konnen. Be- handelt wird so ziemlich alles aus dem Bereich der Cytologie, was irgendwie auch den Medi- ziner interessieren kann, also vor allem Sau- gerzellen und -gewebe, aber auch Viren und wichtige Methoden der Cytologie, von der Enzym- und Fluoreszenz-Histologie und Polarisationsmikroskopie bis hin zu Radio- autographie, Morphometrie und Elektronen- mikroskopie. In dem solcherart abgesteckten Bereich kann die Auswahl als umfassend bezeichnet werden: Die verschiedensten Zell- typen und ihre charakteristischen Einschliisse und Differenzierungen werden gezeigt und erlautert. Nicht behandelt werden die Zell- strukturen von Pflanzen, von Wirbellosen und Protisten, iiberraschenderweise auch nicht die von Bakterien.

Die Dias sind ganz iiberwiegend von guter bis ausgezeichneter Qualitat. Die verschiedenen Farbungen der histologischen Praparate kom- men tadellos heraus. Die interne Beschriftung der elektronenmikroskopischen Groaformat- Bilder, z. T. auch der Schemata ist farbig und hebt sich dadurch gut vom eigentlichen Bild ab. Die Texte sind knapp, aber uberall leicht zu verstehen und kompetent abgefafit. Viele Querverweise erleichtern das Selbststudium. Fur Schulen und Seminare empfiehlt sich die Sammlung einmal durch ihre hohe Qualitat, zum anderen aber auch dadurch, da13 sie vom perfektionierten, aber einseitig-toten Lehr- buchschema wieder zuriickfiihrt zur vielfal- tigen Praxis des Beobachters, und hier bis tief hinein in jene Bereiche, die sich der Durch- schnittsbiologe selbst kaum erschlieaen kann.

Erscheint also der hohe Preis durch ent- sprechend hohe Qualitat und tadellose Aus- stattung der Serie in Bild und Wort wohl

gerechtfertigt, so bleiben doch - wie kaum vermeidlich - einige Wiinsche offen. Sie seien hier im Sinne einer weiteren Verbesserung des schonen Werkes einzeln angefuhrt:

Die Schemata (weifi auf schwarz) sind 2.T. etwas schwer lesbar, auch nicht immer beson- ders gliicklich konzipiert (z. B. 41). Einige be- diirfen bereits wieder der Modernisierung (z. B. 52: Chromosomenstruktur ohne Nucleosomen). Unter den lichtmikroskopi- schen Methoden vermiflt man den Differen- tial-Kontrast nach Nomarski, der den Massi- schen Phasenkontrast jetzt mehr und mehr verdrangt, weil er frei ist von storenden Halo- Erscheinungen und Farbverfremdungen, und aufierdem durch die Plastizitat der Bilder an elektronenmikroskopische Rasteraufnahmen anschlieat. Gerne wiirde man heute auch ein Immunfluoreszenz-Bild von Cytoskelett- Strukturen sehen. Besonders bedauerlich ist das Fehlen von Vergrofierungsmarkern (pm- Strichen) in den elektronenmikroskopischen Bildern. Die Angabe der Bildvergrofierung im Begleittext nutzt demjenigen nichts, der das Bildvon der Leinwand herzu sehen bekommt. Einige wenige Dias sollten vielleicht durch Aufnahmen von besseren Praparaten ersetzt werden (26, 34,35, 53, 64, 73).

Im Ganzen ist jedoch dieser Serie trotz dieser bescheidenen Mange1 ein sehr gutes Zeugnis auszustellen. Im Interesse einer Vitalisierung des Biologie-Unterrichtes wird man ihr eine weite Verbreitung auch an Gymnasien und Universitaten wiinschen. [Bi-584] P. Sitte, Freiburg i. Br.

Biologie und Kausalitat. Biologische Ansatze zur Kausalitat, Determination und Freiheit. Von Franz M. Wuketits. Verlag Paul Parey, Berlin-Hamburg 1981. 166 Seiten mit 29 Ab- bildungen und 14 Tabellen. Glanzkaschiert. DM42,-.

Wuketits' letztes Buch reiht sich ein in die ge- rneinsamen Bemuhungen einer Wiener Grup- pe von Biologen und Naturphilosophen um die Aufarbeitung der durch die Entwicklung der modernen Biologie aufgeworfenen wis- senschaftstheoretischen Probleme (vergl.

[1980]; BIUZ 9, 73-79 [1979]). Einen Ober- blick uber die Problemlage gab Wuketits selbst in seinem Buch ,,Wissenschaftstheoretische Probleme der modernen Biologie" (1978).

BIUZ 8, 42-47 [1978]; BIUZ 10, 17-22

1st im vorliegenden Buch die Rede von Biolo- gie und Kausalitat, so in doppelter Hinsicht:

Zum einen sol1 die Bedeurung des Kausalitats- begriffs fur Erklarungen in der Biologie unter- sucht, zum anderen Losungsansatze fur das Kausalitatsproblem aus der Biologie gewon- nen werden.

Im ersten Teil geht Wuketits philosophie- und biowissenschaftlich-historisch vor. Ausge- hend von der Lehre der vier Ursachen des Aristoteles und der Dichotomisierung der Ursachenerklarung durch die Auszeichnung der cuusu finulis (Zweckursache) fur biologi- sche Erklarungen durch Aristoteles selbst und der cuusu efficiens (Antriebsursache) durch seinen Schiiler Theophrast, verfolgt Wuketits die Etablierung zweier Grundrichtungen in der biologischen Erklarungsweise und die Geschichte ihrer Bedeutung. Mechanisten und Vitalisten waren die Kontrahenten dieser Auseinandersetzung. Auf den Siegeszug des Daminismus und der damit einhergehenden Mechanisierung der Biologie antworteten neovitalistische Stromungen. Zu einer Ver- sohnung der beiden Ansatze und einem ein- heitlichen Konzept in der Kausalitatsproble- rnatik fuhrte nach Wuketits erst die Einfiih- rung kybernetischer und systemtheoretischer Modelle in der modernen Biologie und speziell die systemtheoretische Beschreibung und Interpretation der Evolution. Cuusu finalis und cuusu efficiens zeigen sich hier als kom- plementare Aspekte fur die Erklarung biolo- gischer Objekte: Die cuusafinulis verweist auf den durch Evolution entstandenen systemer- haltenden Wert bestimmter Funktionen, die cuusu efficiens liefert die kausale Erklarung der Systemeigenschaften. Mit diesem evolutio- nistischen Zweckbegriff entfallt der alte Streit um die Teleologie, denn es handelt sich nicht mehr (wie etwa bei Aristoteles) urn eine in- tentionale, sondern urn eine ,,mechanistische Teleologie", auch Teleonomie genannt.

Fur die biologische Behandlung der Kausali- tatsproblematik dient Wuketits die evolutio- nare Erkenntnistheorie, wie sie zuletzt von R. Riedl in ,,Biologic und Erkenntnis" (1980) formuliert wurde (vergl. BIUZ 10, 195-196 [1980]), als Ausgangspunkt: 1st der Mensch ein Produkt der Evolution, rniissen auch seine Denkstrukturen evolutiv entstanden sein. Der biologische Zugang zur Kausalitatsproble- matik kristallisiert sich vor diesern Hinter- grund zur Frage, wie sich in der Evolution des Denkens das Kausalitatsdenken entwickelt hat. Die erstaunliche Antwort lautet, dafi uns das Kausaldenken als Ted des arterhaltenden Hypothesensystems iiber die Wirklichkeit angeboren ist, aber nur in seiner linearen,

Biologie in unserer Zeit / 12. Jahrg. 1982 / Nr. 4 125

Page 2: Biologie und Kausalität. Biologische Ansätze zur Kausalität, Determination und Freiheit. Von Franz M. Wuketits. Verlag Paul Parey, Berlin — Hamburg 1981. 166 Seiten mit 29 Abbildungen

mechanistischen Form. Als solches geniigt es zur Orientierung der Lebewesen in der Um- welt und fur den einigermai3en reibungslosen Ablauf menschlicher Alltagshandlungen. Fur die rationale Erfassung der Welt aber reicht es nicht aus. Hier leistet das neue, als Leistung unserer Vernunft (quasi als spates Produkt der kulturellen Evolution) in der Biologie ent- wickelte, systemtheoretische Kausalitatsden- ken seine Dienste und erlaubt uns, die Schran- ken der angeborenen Kausalitatsverrechnung zu iiberwinden und komplexere, vernetzte, zirkulare Wechselwirkungen zu erfassen.

Obwohl Wuketits vorsichtig formuliert und viele Einwande kritisch vorwegnimmt, er- scheinen diese letzten Ausfuhrungen gleich- wohl sehr hypothetisch und diskussionsbe- durftig, insbesondere der wissenschaftstheo- retische Status der evolutionaren Erkenntnis- theorie und ihr Beitrag zur Erklarung unseres menschlichen Vernunftvermogens. Ebenso durften die Ausfuhrungen zu den Problemen von Freiheit und Determinismus eher als Diskussionsansatze, denn als Losungsversu- che angesehen werden. Das Buch ist d a m sehr geeignet durch Klarheit und Ubersichtlichkeit in Begrifflichkeit und Aufbau bei der Behand- lung dieses sehr komplexen und brisanten Themenbereiches. [Bi-606] Soraya de Chadarevian, Konstanz

Philosophie des Lebendigen. Der Begriff des Organischen bei Kant, sein Grund und seine Aktualitat. Von Reinhard Low. 358 Seiten. Suhrkamp, Frankfurt/M., 1980. Lw. D M 48,- (kart. D M 34,-).

Vorliegendes Buch ist im wesentlichen der Entwurf eines Systems der Biophilosophie, in dessen Rahmen sich der Autor der kantia- nischen Tradition verpflichtet fiihlt, diese neu einbringt und im Hinblick auf die gegen- wartigen Auseinandersetzungen der Grund- probleme des Lebendigen diskutiert.

Low versucht - auf breiter historischer Basis - die beiden Grundlegungen biologischen Denkens, namlich die kausal-mechanische (mechanistische, reduktionistische) und die teleologische (vitalistische), herauszuarbei- ten: ,,Die erste Grundlegung der Biologie, die das Leben als kontingent Gewordenes aus Uranfangen zu begreifen versuchte, elimi- nierte in diesem Ansatz die ontologische Ei- gentumlichkeit des Lebendigen", wahrend sich ,,die zweite Grundlegung der Biologie durch Aristoteles . . . fur eine systematische Untersuchung des Lebendigen an unserem

Vorwissen iiber dessen Kennzeichen" orien- tiert hat.

Entgegen der weir verbreiteten Auffassung, an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert sei in den Biowissenschaften ein fundamenta- ler Paradigmenwechsel von der vitalistischen zur mechanistischen Betrachtungsweise voll- zogen worden, vertritt Low die These von einem kontinuierlichen ,,Konkurrenzkampf der beiden Biologien". Danach losen die bei- den - bereits in der Antike entstandenen - biologischen bzw. biophilosophischen Denkgebaude in der Geschichte periodisch einander ab und konkurrieren stets mitein- ander.

Im Zentrum der Untersuchungen Lows steht Kants Begriff des Organischen. Low bezieht sich vor allern auf Kants ,,Kritik der Urteils- kraft" und sein ,,Opus postumum" und re- konstruiert eine ,,immer wiederkehrende Entwicklungsgestalt des kantischen Den- kens", die die Ablosung der einen Grundle- gung der Biologie durch die andere exempli- fizieren soll. Damit wird aufgezeigt, dai3 Kant selbst die Einsicht in die Unangemes- senheit mechanistischen Denkens gewonnen und seine organische Naturphilosophie als nicht-physikalistisch ausgewiesen hat. Die mechanistische, reduktionistische Biologie unserer Tage konne sich daher nicht als eine Konsequenz der kantianischen (Natur-)Phi- losophie verstehen.

Die systematische Position des Buches v6n Low ist denn auch eine nicht-reduktionisti- sche Biophilosophie, die das Lebendige als solches betrachtet und nicht auf physika- lisch-chemische Prinzipien reduziert. Kri- tisch angemerkt sei aber, daf3 Low einige der von der zeitgenossischen theoretischen Bio- logie nicht mehr wegzudenkenden Konzepte etwas vernachlassigt und zu einseitig beur- teilt. Dies betrifft vor allem die Kybernetik und die Systemtheorie, die - in ihrer ganzen Breite erfai3t - d a m angetan sind, einem plat- ten Reduktionismus entgegenzuwirken. Die- se Konzepte entsprechen namlich durchaus dem Postulat Lows, die Wissenschaft vom Lebendigen auf ein neues Fundament zu stel- len, worauf nicht nur die kausale, erklarende, sondern - und vor allem - die verstehende Komponente sichtbar wird.

Generell ist Lows Buch jedoch als ein ver- dienstvoller Beitrag zur Diskussion philoso- phischer Probleme in der modernen Biologie zu bewerten. Denn obwohl der Band im

Grunde genomrnen zwar naturwissenschafts- und philosophiegeschichtliche Probleme zum Gegenstand hat, steht seine Aktualitats- bezogenheit aui3er Frage. Es bleibt zu hof- fen, dai3 sich damit keineswegs allein Philo- sophen auseinandersetzen, sondern auch Fachbiologen, denen es an einer kritisch-phi- losophischen Durchdringung der Problema- tik des Lebendigen und an einer umfassenden wissenschaftstheoretischen Fundierung einer heute so wichtig gewordenen Disziplin gele- gen sein mug! [Bi-5 741 F. M. Wuketits, Wien

Grundrifi der allgemeinen Algologie. Von Dr. Hanus Ettl, Brno/CSSR. 549 Seiten + 260 Abb., G. Fischer-Verlag, Stuttgart 1980. Gzl. D M 70,-.

Vorliegendes Buch ist als eine allgemeine Einfuhrung in die Algologie gedacht. In sei- nem Vorwort stellt der Autor aber schon heraus, dai3 die Aspekte der Systematik und Okologie nur kurz behandelt werden, eben- so die Biologie der Meeresalgen, die ihm we- niger vertraut sind. Er verweist hierbei auf die in den letzten Jahren erschienene ein- schlagige Literatur.

Ausfuhrlicher werden drei Themenkomplexe dargestellt: Cytologie, Morphologie und Fortpflanzung der Algen. Vor allem die Cy- tologie wird sehr ausfuhrlich und iibersicht- lich behandelt. Gerade auf diesem Gebiet wurden in den letzten Jahren viele neue Er- kenntnisse gewonnen. Hierbei stort den Re- zensenten, dai3 die Algenplastiden durchweg als Chloroplasten bezeichnet werden. Bei vielen Algen sind die Plastiden nun einmal nicht griin. Weniger Neues gibt es dagegen auf den Gebieten der Morphologie und Fort- pflanzung. Die grof3e Mannigfaltigkeit der Morphologie der Algen wird an einzelnen Beispielen exemplarisch erlautert, ebenso die Phanomene, die in Verbindung mit der Fort- pflanzung bestehen. Leider finden sich hier einige nicht ganz korrekte Darstellungen. So ist die Bedeutung der Meiose nicht allein in der Reduktion der Chromosomenzahl zu se- hen (S. 138). Auch ist es unkorrekt, bei ei- nem Generationswechsel zwischen einer sich sexuell bzw. asexuell fortpflanzenden Gene- ration zu unterscheiden. Gametenbildung, Syngamie und Meiose sind Teilschritte der sexuellen Fortpflanzung. Folglich durfen auch die Tetrasporen der Phaeophyceen und Rhodophyceen, die Produkte einer meioti- schen Teilung sind, nicht als asexuelle Fort- pflanzungskorper angesehen werden (S.

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