bericht über die verhandlungen der berliner otologischen gesellschaft

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Vo Berivht fiber die Verhandlungen der Berliner otologischen 6esellschaft. Yon Dr. Haike (Berlin). Sitzung vom 14. Januar 1902. Vorsitzender: Herr L u ca e Sehriftffihrer: Herr Sehwabaeh. I. Herr Katz: Mikroskopisehe Demonstrationen des nor- malen und pathologischen GehSrorgans. Katz zeigt eine Reihe verschiedenen Gebieten des GehSrorgans angehSrender Pr~pa- rate, Als Conservirungsmittel hat er vornehmlieh fur die feinereu Elemente die Osmiums/ture (J/3--1/2 Proe.) angewendet mit naeh- folgender halbproeentiger Chrom-Essigs~ture und sp/~terer Entkal- kung mit Salpeters/ture (5--10 Proc.)~ eventuell Salzs/iure (5 his 10 Proe.). Bei bereits l/~ngere Zeit in Formalin gelegenen menseh- lichen Pr/iparaten hat er yon Osmiums/iure Abstand genommeu. Die pathologischen Pr/~parate betreffen: 1. Atrophie des Iqerv, aeusfieus yon einem Taubstummen mit auffallender Verschmitlerung der Lamina spiralis ossea und erheblichem Sehwund der Ganglienzelleu im Canalis spiralis Rosenthalii. Im ¥orhof finden sieh ebenfalls atrophisehe Zust/inde am ~erv und Siiekehen. Katz glaubt, dass eine derartig'e Atro- phic des ~qerven mit Verschm~lerung der Lamina spiralis ossea auf ein eongenitales Leiden zurtiekzuftihren sei und angeborene Taubstummheit znr Folge babe. 2. Ein anderes Pr@arat betrifft die Verbindung des Ham- mers mit dem Amboss. Es zeigt zwisehen den beiden Knorpel- figtehen die faserknorplige Bandscheibe~ welehe eiue seharfe Ab- grenzung gegen den hyalinen Knorpelbelag der Gelenkoberfi~tehe erkennen lasst. Katz h/ilt es deshalb wie RUdinger~ KSr- net u. A. ftir ein Gelenk mit iVXeniseus; die yon Siebenmanu beschriebenen Spaltbildnngen im Meniscus kann Katz ftir den

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Page 1: Bericht über die Verhandlungen der Berliner otologischen Gesellschaft

Vo

Berivht fiber die Verhandlungen der Berliner otologischen 6esellschaft.

Yon

Dr. Haike (Berlin).

S i t z u n g vom 14. J a n u a r 1902.

Vorsitzender: Herr L u ca e Sehriftffihrer: Herr S e h w a b a e h .

I. Herr Ka t z : Mikroskopisehe Demonstrationen des nor- malen und pathologischen GehSrorgans. K a t z zeigt eine Reihe verschiedenen Gebieten des GehSrorgans angehSrender Pr~pa- rate, Als Conservirungsmittel hat er vornehmlieh fur die feinereu Elemente die Osmiums/ture (J/3--1/2 Proe.) angewendet mit naeh- folgender halbproeentiger Chrom-Essigs~ture und sp/~terer Entkal- kung mit Salpeters/ture (5--10 Proc.)~ eventuell Salzs/iure (5 his 10 Proe.). Bei bereits l/~ngere Zeit in Formalin gelegenen menseh- lichen Pr/iparaten hat er yon Osmiums/iure Abstand genommeu.

Die pathologischen Pr/~parate betreffen: 1. Atrophie des Iqerv, aeusfieus yon einem Taubstummen

mit a u f f a l l e n d e r V e r s c h m i t l e r u n g der Lamina spiralis ossea und erheblichem Sehwund der Ganglienzelleu im Canalis spiralis Rosenthalii. Im ¥orhof finden sieh ebenfalls atrophisehe Zust/inde am ~erv und Siiekehen. K a t z glaubt, dass eine derartig'e Atro- phic des ~qerven mit Verschm~lerung der Lamina spiralis ossea auf ein eongenitales Leiden zurtiekzuftihren sei und angeborene Taubstummheit znr Folge babe.

2. Ein anderes Pr@arat betrifft die Verbindung des Ham- mers mit dem Amboss. Es zeigt zwisehen den beiden Knorpel- figtehen die faserknorplige Bandscheibe~ welehe eiue seharfe Ab- grenzung gegen den hyalinen Knorpelbelag der Gelenkoberfi~tehe erkennen lasst. K a t z h/ilt es deshalb wie RUdinger~ KSr- n e t u. A. ftir ein Gelenk mit iVXeniseus; die yon S i e b e n m a n u beschriebenen Spaltbildnngen im Meniscus kann Ka tz ftir den

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erwaehsenen Mensehen bestatigen, jedoeh halt er die nieht selten beobachteten Spalten (Segmentirungen) des Faserknorpels the i l - w e i s e ftir K u n s t p r o d u e t e ~ hervorgerufen dutch die bei der Conservirung und Einbettung benutzten Chemikalien. Innerhalb der Spalten hat K a t z sehr selten Zellen resp. Endothel ge- sehen; wenn dies der Fall war, hielt er die Segmentirung fiir zufiilli~, im Bereieh reiehlieherer Knorpe!zellen eingetreten. Ver- anderungen des Knorpels werden tibrigens an einer ftir Entziln- dungea so exponirten Stell% wie der Attieus es ist~ leieht ein- treten kSnnen.

3. Das folgende Praparat zeigt einen Durehsehnitt dureh ein sackfSrmiges Cholesteatom der PaukenhShle. Der ±usgang yon der Epidermis des ausseren GehSrganges ist hier sehr deut- lieh. Die Matrix bedeekt die eystGs entartete Sehleimhaut der Pauke resp. dan noeh mit seinem KSpfehen versehenen Stei~- biigel. Innerhalb des unter der Matrix ]iegenden Knoehens be: stehen viele zum Theil weite Riiume, welehe mit einem neuge- bildeten diehten~ faserigen Bindegewebe angefiillt sind. Ein E i n d r i n g e n v o n C h o l e s t e a t o m e l e m e n t e n i n d i e H a v e r s - s e h e n K a n a l e , wie dies K i r e h n e r besehrieben hat, hat K a t z in seinen Fitllen noeh nieht sehen kSnnen.

Die hineingewaehsene Epidermis tiberzieht in seinen Fallen die ehroniseh entztlndete oder ulcerirte, resp. epithelberaubte Sehleimhaut~ weleher Zustand dann zu einer ehronisehen Derma- titis mit steter Proliferation yon Epidermissehollen flihrt. An manehen Stellen hat das in den Markraumen neugebildete diehte, faserige Bindegewebe grosse Aehnliehkeit mit den zwiebel- sehalenartig gesehiehteten Epidermislamellen des Cholesteatoms. K a t z hat in seinen Fallen oft das Cholesteatom mit Caries ver- bunden gesehen. - - Die Recidive sind naeh K a t z' Ansieht wohl stets auf bei der Operation zurtiekgelassene Matrixreste zuriiekzuftihren.

4. Fall yon ehroniseher Otorrhoe bei einem TubereulSsen. Sehleimhaut stark infiltrirt~ zum Theil zerfallen. Die knSeherne Labyrinthkapsel an der Spitze ausgenagt. Innerhalb der Sealen fibrinSses Exsudat. - -

Die normalen Praparate betreffen 5. Verbindung der Corti'sehen und Deiters'sehen Zellen

(Sehnecke yon einem Affen); die ausseren reiehen ungefahr bis zur Mitto der Papilla spiralis, sie ruhen in einem ,Zangen- beeher ~, welehen K a t z frtiher sehon (Monatssehr. f. Ohrenh.) be,- sehrieben hat.

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Einige neuere Arbeiten enthalten jedoeh dartiber keine An- gaben und bringen unzutreffende Abbildung'en tiber diese Zellen.

6. Corti'sehes Organ yon eincm Kanincben und einer Katze mit normaler Lag'e der Membr. Corti, d. h. die Membran liegt der Oberflitche des Corti'schen Organs leicht an, resp. steht in Contact mit den St/ibehenzellen.

7. Pr~parat der Crista, resp. Cupula terminalis; in letzterer ist neben der L~ngsstreifung noch eine Querstreifung in den eentralen Theilen sichtbar. K a t z h~lt die ]etztere far eine Ge- rinnungserseheinung der zwischen den L~tngsfasern (Fortsiitze der HSrst~behen) befindlichen gelatinSsen Substanz. Innerhalb des Epi- thels der Crista sind die gekSrnten fibrill~tren Nervenendigungen zu sehen.

Zum Sehluss demonstrirt K atz noeh einig'e stereoskopische Ansiehten des durehsichtig gemaehten Labyrinths und der Pauke und betont die Bedeutung einer vervollkommneten Conservirung und mikroskopisehen Untersuehung des Labyrinths far die weitere wissenschaftliehe Erttwickelung der Ohrenheilkunde.

IL Herr J. H e r z f e l d berichtet fiber 5 FKlle yon Thrombo- phlebitis des Sinus transversus, die er in den letzten 15 Monaten beobachtet hat. Drei F~lle hatten sich einer acutert, 2 einer ehronisehen Mittelohreiterurtg angesehlossen, gier F~tlle betrafen miinnliehe Individuen, der 5. ein junges Mi~dehen. Bei allen 5 Patienten handelte es sieh um das linke 0hr.

Im 1. Falle wurde nach 3 woehenlangem Bestehen einer aeuten Eiterung wegen Warzenfortsatz-Erseheinungen die Auf- meisselung" desselben nSthig., wobei sich die Wand des Sinus und dessert Blur verf~rbt erwiesen. In den niiehsten Tagen SehtittelfrSste mit Temperatursteigerung bis 400; daher 4 Tage nach d e r typisehen Aufmeisselung breite Sinusspaltung, tier jetzt kein Blur, sonderrt eine sehmierig braune Fltissigkeit ent- hielt. Wieder 12 Tage spater Jugularisunterbindun~ wegen an- haftender Eiterung im jugulareu Theil des Sinus, Ausr~tumung der zerfallenen Massen, darauf g~tnzliehes Sehwinden des Fiebers und AufhSren der Eiterung im unteren Sinusabsehnitt.

Der 2. Fall ist eharakterisirt durch sehr starke Kopfschmerzen und Pulsherabsetzung bis zu 48 Sehl~tgen in der Minute bei nor- maler Temperatur uud 72 Sehl~gen bei 390. Breite ErSffnung des Sinus 14 Tage nach ErSffnung des Proeessus wegen Fort- bestehens unertriiglicher Kopfsehmerzen und des niedrigen Pulses. [m Sinus breiartige Massen, die ausgelSffelt werden, naeh beidea

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Seiten fester Thrombus; keine Jugnlarisunterbindung. ¥ierzehn Wochcn sp~tter, als die 01~rwunde fast v511ig geheilt war, Abscess an der Innenfiitche des rech~en Oberschenkels und 22 Wochen nach der Sinusoperation, als das Ohr g~inzlich geheilt war, Entztindung am linken Oberschenkel, die nicht zur Abscedirung ftihrte.

Der dritte war ein letal verlaufcner Fall: Acute Mittelohreite- rung~ die in 3 Wochen zur typischen Aufmeisselung and bereits 4 Tage sp~ter wcgen eines Abscesses am rcchten Ellbogengelenk und erhShter Temperatur zur Unterbindung der Vena jugularis und der ¥ena facialis communis und zur breiten ErSffnung des Sinus ftihrt. Keine SchtittelfrSste, hingegen mchrmaliges Er- brechen. Drci Tage nach der Jugularis- and Sinusoperati0n Venenthrombose an der Dorsalseite des linken Unterschenkels. Spaltung des rechten Ellbogengelenk-Absccsses. In den ni~ehsten Wochcn mtissen wiederholt Abscesse am Hals gespalten werden, die Temperatur bleibt immcr fieberhaft crhSht, oft mit tiiglichen Remissioncn yon 30; schliesslich Exitus 6 Wochen nach der Sinusoperation. Die Autopsie ergab eine eitrige Basilarmenin- girts; Metastascn in inneren Organen waren nieht vorhanden, selbst die Milz war nur miissig gesehwollen. Da die Halswunden bereits in Heilung begriffen waren~ ist aueh die Meningitis auf Reehnung der Py~mie als solche zu setzen and nicht etwa durch directe Fortleitung entstanden.

Der 4. Patient stellt einen reinen Fall yon Sinusthrombose ohnc jede Spur yon Pyamie mit fast vSllig normaler Temperatur dar. Es handelt sich um einen zehnjtthrigen Knaben, dcr seit dem 2. Lebensjahr im Anschluss an Scarlatina an linksseitiger Mittelohreiterung leidet. Bet der Radicaloperation~ die wegen Warzenfortsatz-Erschcinungcn bedingt war, fand sieh der Sinus umgeben yon einem grossen: hSehst fStiden Eiterherd: schwammig verdickt and im Innern thrombosirt. Breite Spaltung desselben~ Entfernung der Thromben~ soweit sic locker waren; in zehn Wochen glatte Heilung.

Im 5. Fallc handelt es sieh um eine mit Unterbrechungcn seit zwei Jahren bestehende Mittelohreiterung, die 14 Tage nach der typischen Aufmeisselung zur Freilegung eines epiduralen Abscesses in der mittleren and eines zweiten perisinuSsen Ab- scesses in der hinteren Schadclgrube ftihrte. Die Punction des Sinus ergab verf~trbtes Blur, durehsetzt yon zahlreichen~ weissen Partikelchen. Da Fieber und Xopfschmerzen bestehen bleiben

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und aeht Tage sp~tter noeh das Gr ie s inge r ' s ehe Symptom in Form einer Ansehwellung der Weiehtheile hinter der Operations- wunde hinzutritt, wird aeht Tage nach der letzen Operation der Sinus noeh einmal freigelegt. Dersdbe erweist sioh nun aber yon normaler F~rbung, aueh die Punetion zeigt keine abnormen Beimengungen. Die infiltrirte Hautpartie wird bis auf den Knochen gespalten. Hierauf Nachlassen des Fiebers und der Kopfschmerzen.

Aus diesen 5 F~illen und 3 frtiher yon ihm beobaehteten Fiillen zieht H e r z f e l d folgende Schltisse:

Kliaiseh ist die Diagnose sicher nur zu stellen, wenn gleich- zeitig Py~tmie mit wiederholten Sehtittelfr~isten, stark intermittirende oder remittirende Temperaturen und metastatisehe Abseesse oder metastatische EntzUndungen vorhanden sin& Die loealisirte Sinus- thrombose ohne Zerfall und mit vollsti~ndigem Abschluss naeh bei- den Seiten braueht gar keine Erseheinungen zu machen, kaum eine erhShte Temperatur aufzuweisen, und d t i r f en d a h e r o t o g e n e Pyi tmie und o t i t i s c h e S i n u s t h r o m b o s e n i c h t als g le ieh- w e r t h i g e K r a n k h e i t s b i l d e r d a r g e s t e l l t w e r d e n , w i e e s j e t z t v i e l f a e h g e s e h i e h t . So lunge eine Thrombose auf den Sinus allein beschriinkt bleibt~ handelt es sieh um eine locale Erkrankung, genau so wie bei einer Venenthrombose an irgend einer anderen Stelle des KSrpers. Erst wenn dieselbe mit Fieber verbunden ist und zu Metastasen ftihrL ist man be- reehtigt, yon 1)yitmie zu spreehen, l=Iieran kann aueh die Erfah- rung nichts Sndern, dass noeh I wie im 2. Fall, naeh Monaten Me. tastasen auftreten kSnnen. Andere in den Lehrbtiehern gewShn- lieh aufgeziihlte Symptome~ wie Kopfschmerzen~ Erbreehen, Sehwindel kSnnen fehlen und hubert keine pathognomonisehe Bedentung ftir die Sinusthrombose. Auch des Gerhard 'sche Zeiehen war in keinem Falle vorhanden, in einem frtiher veto Vortragenden beobaehteten Fall war die Jugularis externa auf der kranken Seite sogar strotzend geftillt. Das Griesingcr 'sche Symptom war einmal vorhanden, und zwar im 5. Falle, hatte aber hier gerade zu einer falsehen Diagnose veranlasst. Beson- ders aufmerksam machte H e r z f e l d anf den Puls, der in den Lehrbtiehern gewShnlich als klein~ fadenfSrmig und sehr frequent dargestellt wird. Derselbe braueht aber bei Sinusthrombose nicht immer diese Eigenschaften zu haben. In Folge der dureh die Thrombose hervorgerufenen Stauung kann gelegentlioh nnter geeigneten Bedingungen ein erhShter Hirndruck and damit eine

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Pulsverlangsamung zu Stande kommen. Bei dem 2. yon Herz~ fe ld mitgetheilten Falle betrug bei normaler Temperatur der Pnls nur 48 Sehl~ge in der Minute, und bei 39 o nur eirea 70 Schl~tge. In reinen F~tllen yon Sinusthrombose ist die Dia- gnose oft nur dutch probatorisehe Freilegung des Sinus mit naeh- folgender Punetion oder Ineision eventuell unter dem M e i e r - W hi t ing 'sehen Verfahren zu stellen. Die Prineipien der Therapie hubert sieh danaeh zu riehten, ob eine loealisirte Sinusthrombose oder eine mit Pyoh~mie eombinirte vorliegt. Im letzteren Falle sollte stets die Unterbindung der Jugularis interna mit naeh- folgender breiter ErSffnung des Sinus vorgenommen werden. In den F~llen der looalisirten Sinusthrombose ist die Jugularis nur zu unterbinden, wenn tier Thrombus im jugnlaren Theil sieh im Zwerehfell befindet, um denselben ohne Furcht vor Embolie aus- 15ffeln zu kSnnen. H e r z f e l d h~tlt es nieht ftir riehtig, wenn einzelne Autoren prineipielle Unterbindung der Jugularis fordern ; dadureh wird ein Sehematismus gesehaffen~ der dem weiteren Ausbau der Therapie nieht f6rderlieh sein kann. Yon den 5 mit- getheilten F~llen sind 3 ohne Unterbindung geheilt. In den beiden F~tlleu, die mit ausgesproehener PyoMtmie oombinirt waren, wurden mit breitester Er5ffnung des Sinus aueh nooh die Vena jugnlaris interna und die Vena facialis eommunis unter- bunden, einmal mit gutem Ausgang, einmal ohne Erfolg. Der Patient ging 6 Woohen naeh der Operation an Basilarmeningits zu Grunde.

S i t z u n g veto 11. F e b r u a r 1902.

Vorsitzender: Herr L u e a e ; Sehriftftihrer: Herr J a e o b s o n . Discussion fiber den Vortra~ des Herrn g. H e r z f e l d

(Thrombophlebitis des Sinus transversus mit Vorstellung geheilter F~tlle).

1. Herr H e i n e theilt kurz mit, wie sieh die Berliner Uni- versit~tts-Ohrenklinik zu den yea Herrn H e r z f e l d angeregten Fragen stellt.

Wenn Herr H e r z f e l d meint, class jetzt vielfaeh otitisehe Sinusthrombo- und otogene Py~tmie als gleiehartige Krankheits- bilder aufgefasst werden, so scheint H e i n e diese Ansieht nur wenig in den Vordergrund zu treten gegeniiber der, ob die otogene Py~tmie nur dureh Sinusthrombose oder aueh auf anderen Wegen z. B. dureh Osteophlebitis oder dureh direete Aufnahme yon Bakterien in die Gef~tsse entstehen kann. Naoh den Er-

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fahrungen aa der Lucae 'schen Klinik scheint diese MSglichkeit zwar nicht auszusehliessen zu sein~ sic ist abet jedenfalls so selten, dass man bei der Diagnose und Therapie nicht mit ihr zu rechnen braucht. Deswegen ist es Grundsatz ~n dcr Klinik~ den Sinus in Angriff zu nehmen, wenn die Temperatur pyami- sehen Charakter zeigt. Abet auch schoa hohes Fieber bei der Aufnahme mit und ohne Symptome, die auf eine intracranielle Complication hindeuten (Kopfschmerzen, Erbrechen u. s. w.), in- dicirt die sofortige Operation, voraus~ese~zt nattirlich, dass nach der Dauer der Mittelohreiterung iiberhaupt schon ein Fort- sehreiten des Processes bis zum Sinus angenommen werden kann. Auszuschliessen sind selbstverstiindlieh die FAlle, in denen die hohe Temperatur auf eine eitrige Meningitis zurtickzufiihrea ist. Ferner nehmen Kinder bei der Beurtheilung des Wcrthes des Fiebers eine Sonderstellung ein.

Bei obturirendem zerfallenden Thrombus wird in der Regel die AusrAumung des Sinus gentigen. Die Unterbindung der Jugularis erscheint in bestimmten EAllen gerechtfertigt. Weiter auf diese Frage einzugehen~ behalf sich H e i n e fiir eine andere Gelegenheit vor. Zur Beurtheilung des Werthes dieser Operation theilt er bier nnr einen statistischen Ueberbliek tiber die FAlle yon Sinusthrombose aus den Jahren 1881 bis 1901 mit. Es sind 111 F/ille: davon gehSren der Zeit, in dcr Ope- rationen am Sinus noch nicht gemacht wurden~ 27 mit 2 Heil- ungen an. Von den iibrigen 84 sind 16 abzuziehen~ bei denen die Toitesursaehe nicht die Sinustbrombose war. Es bleiben dann 68 FAlle, yon denen 32 in Heilung ausgingen und 36 mit dem Tode endigten. Bei den 32 Heilungen wurde 3 mall bei den 36 Todesf~llen 8 real die Juffularis unterbunden.

Yon den 84 FAllen handelte es sich in 18 um eine acute~ in 66 um eine ehronische Mittelohreiterung.

2. Herr T r a u t m a n n wendet sich entschieden gegen die yon Manchea vertretene Ansehauung, als mtisste die Vena jugu- laris bei jeder Sinusthrombose unterbunden werden. Dieser Eingriff soll auf diejenigen FAlle besehrfinkt werden 7 in denen yon oben her dutch ausgedehnteste Er5ffnung des Sinus der Krankheitsherd~ der inficirte resp. zerfallene Thrombus nicht zu beseitigen ist. Wir kSnnen yon oben her bis zur Fossa jugularis gelangen.

Die YerhAltnisse werden hier modificirt dutch die Lagerung des Sinus sigmoideus. Dieser kana direct und ohne Bildung

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eines Bulbus in die Vena jugularis umbiegen; in anderen Fallen liegt der Bulbus hSher als der tiefste Punkt des Sinus sigmoi- deus. Je welter nun der Sinus vorgelagert ist, um so ausge- prStgter ist der Bulbus. Diese topographisehe Variante daft bei der Beurtheilung der Verb~ltnisse nieht unberUcksicbtigt bleiben. T r a u t m a n n theilt einen Fall mit, in welchem bei einem Knaben zun~chst tier Sinus sigmoideus freigelegt wurde und, da die zerfallene Thrombose bis zum Bulbus reichte, aueh dieser erSffnet wurde; nachdem aueh die Ausr~tumung des Bulbus nieht gentigte~ wurde die Jugularis unterbunden und yon unten her das Krankhafte nach MSgliehkeit entfernt. Der Knabe genas vollst~ndig.

Was die Punetiou des Sinus betrifft, so will T r a u t m a n n dieselbe vermieden wisseu; denn das ±ussehen der Wand zu- sammen mit den tibrigen Symptomen pflegt far die Diagnose zu geniigen, w/ihrend andererseits das Ergebniss der Punction fiir die Diagnose nur verwerthbar ist, weun niehts abfliesst oder Eiter .austritt, w~thrend beim Ausfluss yon Blur noeh die MSg- liebkeit einer wandst~indigen Thrombose bestehen bleibt. T r a u t- m a n n befiirwortet die weite ErSffnung des Sinus. Das N[eyer- Whi t l iug ' sehe Verfahren, die vor dem Einschneiden auszu- fiihrende centrale und periphere Tamponade, verwendet T r a u t - m a n n nicht wegen der damit verbundenen Nachtheile, besonders wegen der MSgliehkeit, dass Tbrombenmaterial losgerissen und fortgeschwemmt werden kann.

Der auffallend verlangsamte Puls, den H e r z fel d bei einem der erw~thnten Patienten beobaehtete und auf die Sinusthrombose a ls Ursache zuriiekflibrte, hat nach T r a u t m a n n ' s Ansicht mit dieser niehts zu thun, sondern kSnne nur als Symptom yon Hirn- druck~ hervorgerufen dutch eine Erkrankung des Cerebrum selbst, gedeutet werden; e r habe in der grossen Zahl der yon ihm operirten F~tlle yon Sinusthrombose dieses Symptom hie wabrgenommen, wenn nieht zugleieh eine Erkrankung des Cere- brum oder seiner H~tute vorhanden gewesen ist. T r a u t m a n n erw~hnt noeh eines Falles, in dem Verdacht der Sinusthrombose nach 5rtliehen und allgemeinen Erseheinungen bestand. Bei Freilegung zeigt sieh die Wand desselben normal, weshalb yon einer ErSffnung Abstand genommen wurde. Nach Ausheilung des Processes bleibt eine strangfSrmige Verdickung die Vena jugularis entlang ftihlbar. Patient war ohne Besehwerden und wird in poliklinisehe Bebandlung seiner Ohroperationswunde ent-

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lassen; er bleibt vier Wochen hindurch in Beobaehtung und ist bei bestem Wohlbefinden; dann bekam er Kopfschmerzen, uud zwei Tage darauf wird er besinnungslos in die Charit6 einge- liefert und stirbt alsbald an Meningitis. Die Section ergiebt einen lest organisirten Thrombus im Sinus herabsteigend bis in die Vena jugularis.

3. Herr E h r e n f r i e d : Dass eine durch maligne entztind- lithe Processe hervorgerufene Thrombophlebitis operative Ein- griffe erfordert~ ist selbstverst~tndlich und Forderung der elemen- tarsten chirurgischen Principien. Die H~ufi~keit der Operationen steht aber in gar keinem Verh~ltniss zu der Seltenheit der sep- tischen Thrombophlebitis auf Grund einer Mittelohreiterung. Da ferner die Diagnose mit den grSssten Schwierigkeiten verbunden ist, so sind wir genSthigt, an die Beurtheilung der Symptome mit der sch~rfsten Kritik heranzutreten. Der ganze Complex der sogenannten cerebralen Symptome: Kopfschmerzen, Schwindel- anf~lle, Erbrechen, Ohrensausen, Mastoidschmerzen dUrfen nicht einmal untersttitzend far die Diagnose herangezogen werden- Hohes continuirliehes Fieber, frequenter , qualitativ schleehter Puls und ophthalmoskopischer Befund sind die HauptstUtzpunkte. Fieber und Schiittelfrost an sich sind gewiss eine hSchst uner- wtinschte Complication einer Mittelohreiterung; das kann einmal auch Sinusthrombose sein, haufig genug handelt es sieh um einen anderen Process. Metastasen werden auch nicht ausnahmslos dutch Sinusthrombose erzeugt, auch nicht in tiberwiegender Mehrzahl der F~lle. Was den Puls anbetrifft~ so lasst sieh die Annahme nicht aufrecht erhalten, dass die Thrombose allein dutch HirndruckerhShung zur Pulsverlangsamung fiihren kann; in solchen FKllen handelt es sich um weitere Complieationen. Der Pnls ist bei gefahrdrohender maligner Thrombose immer frequent und qualitativ sehr schlecht. Die Beschaffenheit des Pulses ist immer mit der wichtigste Fingerzeig far die Therapie. Und ebenso zu den wichtig'sten Faetoren far die Beurtheilung des Ernstes der Situation gehSrt die Beschaffenheit des Augen- hintergrundes; und ich bin an der Hand einschl~giger Krank- heitsf~lle sehon l~tngst damn gekommen, mSglichst frtihzeitig bei jeder Mittelohreiterung den ophthalmoskopischen Befund zu fixiren. Meine Erfahrungen sprechen dafiir~ dass, falls eine eingetretene endocranielle Complication auf Thrombose beruht, diese schon frtih- zeitig an den Venen des Augenhintergrundes zu erkennen ist, wenn man den ophthalmoskopischen Befund aus einer friiherenZeit besitzt.

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Wenn aueh die ~opographisch-anatomisehen Verhaltnisse am Ohr einerseits die Ergebnisse einer Reihe yon Operationen, an- dererseits die Sinusthrombose als atiologisehes Moment ffir die otogene Pyamie in den Vordergrund drangen, so kann diese wiehtige Frage doeh nur naeh pathologisch far die Entstehung tier Pyamie allgemein gtiltigen Grundsatzen gelSst werden. Und so mtissen wit daran festhalten, dass aueh yon der Pauken- hShlensehleimhaut allein, besonders aber aus dem Kuppelraum und aus dem Knoehen des Warzenfortsatzes die Aufnahme pyog'ener Substanzen erfolgen kann. Es seheint mir unmSglich, theoretiseh diesen Weg zuzugeben, praktisch aber unbertick- sichtigt zu lassen. Wenn aueh gegen die Ausraumung des Primarherdes wegen der Ungefahrlichkeit de r Eingriffe nieht Mlzuviel einzuwenden ware, so wtirde doch die Sanctionirung des Satzes: o t o g e n e P y a m i e e n t s t e h t a u s n a h m s l o s au f G r u n d e iner T h r o m b o s e folgerichtig zu einer Therapie fiihren, die weder unserem Wissenszweig~ noeh dem Kranken zum Heil gereiehen diirfte. Bei dieser Sachlage muss ja die Radiealoperation, die Freilegung der Blutleiter zweifellos noeh haufiger werden, als das schon jetzt unntitz gesehieht. Zum Beweise mSchte ich einen Patienten mit Abseesseiterung er- wahnen, dem es naeh etwa einjahriger Behandlung ausgezeichnet gin~, his eines Tages bei tier Sondirung des Kuppelraumes an- scheinend eine Verletzung des Bogenganges mit sofortigem Auf- treten yon Sohwindelanfallen eintrat. Am nachsten.Tage setzten unter SchtittelfrSsten Temperaturen yon fiber 40 o ein, Patient wurde auf Anordnung des Hausarztes in die K5rte 'sehe Klinik gelegt, we naeh 14 Tagen ein grosser metastatischer Abscess im Eltbogengelenk erSffnet wurde. Die Sehwindelanfalle klangen binnen 11 Tagen langsam ab; vom Ohr aus hatte Patient, trotz- dem jede Behandlung sistirte, nieht die geringsten Besehwer- den. Die Pyamie heilte ohne jeden weiteren Eingriff am Ohr. Uebrigens ist dieses nieht der einzige Fall der Art, tiber den ieh verftige.

4. Herr S c h w a b a c h : M. H. Ich daft wohl darauf auf- merksam maehen, dass die viel umstrittene Frage des Vor- kommens einer otitisehen Pyamie ohne Sinusphlebitiden der letzten Versammlung der deutsehen otologisehen Gesellschaft zu Breslau im Anschluss an die Referate yon J a n s e n und B r i e g e r (,Ueber den gegenwartigen Stand der Lehre yon der otogenen Pyamie") eingehend besprochen worden ist, und dass ein Theil

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der Redner, und wenn ich nicht irre, die Mehrzahl sich dahin aussprach, dass eine otitisehe Pyamie ohne Sinusphlebitis, wenn tiberhaupt, so doeh nur selten vorkomme. Selbst KSrner, der zuerst das Krankheitsbild der sogenannten Osteophlebitis- pyamie aufgestellt hat, gab zu, dass die Erfahrungen Anderer, wie aueh seine eigenen darin tibereinstimmen, dass dieses Krankheitsbild sehr selten sei, und dass man in den Fallen, wo eine Osteophlebitis vorzuliegen seheine, doeh sehr h~tufig eine Thrombose finde. Br i ege r , der im Ganzen ebenfalls auf dem Standpunkt steht, dass die Mehrzahl der otitisehen Pyamie dureh thrombophlebitisehe Proeesse in einem Bhtleiter odor dem Bul- bus jugularis bedingt sind, sprach sich auf Grund einig'er einwand- freier Beobaehtungen dahin aus, dass aueh bei Abwesenheit thrombotiseher Proeesse direete Bakterieninvasion innerhalb des Prim~trherdes, wenn die Erreger die Blutbahn erreichen, in seltenen F~llen aueh ohne Vermittelung sins Sinusthrombose Py~tmie hervorrufen kSnne. Ieh selbst beriehtete Uber einen yon mir beobaehteten Fall yon otitiseher Py~tmie, in welchem weder in dem operativ erSffneten Sinus transversus (es entleerte sieh Blur in breitem Strome), noeh bei der Obduetion trotz genauester Untersuehung sammtlieher Sinus und des Bulbus venae jngularis aueh nut eine Spur yon Thrombose nachgewiesen werden konnte. Von Metastasen fanden sieh nut weisse Infarete in den Papillen der linken Niere, in den Harnkan~tlehen Staphylokokken.- In den letzten Wochen hatte ieh tibrigens Gelegenheit, einen weiteren Fall yon Septicopyamie im Ansehluss an acute Mittel- ohreiterun~ zu beobaehten. Es handelte sieh um einen jungea mann, bei welehem wegen Epistaxis die leider noeh immer allzu h~ufig angewendete Nasentamponade gemacht worden war. Als ieh den Patienten zuerst sah~ bestand eine doppelseiti~e acute eitrige Mittelohrentziindung, dis nichts Besonderes zeigte. Zwei Tage sparer traten sehmerzhafte Anschwellungen an versehie- denen Stellen der Extremit~ten~ reehten Vorderarm, linken Ober- schenkel u. s.w. auf. Patient wurde sehr unruhig, und bereits in der darauf folgenden •aeht trat der Exitus letalis sin. Bci tier Obduction land sieh an don oben erw~hnten Stellen im Vorder- arm und Oberschenkel beim Einschneiden der Haut trilbe 5de- matSse Fltissigkeit im Unterhautzellgewebe~ in der Musculatur eircumseripte gelbe Flecken yon schlaffer Consistenz, die un- regelm~ssig in die Tiefe eindringen und ziemlieh seharf gegen die normale roth aussehende Umgebunff abgesetzt sind. Bei tier

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mikroskopisehen Untersuchung der Fleeken wurden Strepto- kokken nachgewiesen. Auch in diesem Falle~ der wohl als Ana- logon des vor mehreren Jahren yon A. F rae n k el besehriebenen~ unter dem Bilde der Dermatomyositis verlaufenden Falles yon Septicopy$tmie anzusehen ist~ wurden weder im Sinus noeh im Bulbus venae jugul. Thromben gefunden.

Herr H e i n e meint, der E h r e n f r i e d ' s e h e Fall kSnne nur als Beweis daflir angeftihrt werden~ dass otitisehe Py~mie in Folge yon Sinusthrombose gelegenflieh aueh einmal ohne Ope- ration am Sinus ausheilen kSnne. Er mSehte ferner zur Ver- meidung yon Missverstitndnissen noeh einmal betonen~ dass die Lucae'sche Klinik das Entstebea der otitischen Py~mie auf einem anderen Wege als dem der Sinusthrombose wohl ftir mSg- lieh halt, aber doeh fiir so selten~ dass bei der Behandlung damit besser nieht gereehnet wird.

Herr J a e o b s o n : Dass eine otitisehe Pyamie gelegentlieh aueh ohne Sinus- bezw. Jugularisoperation~ ja sogar ohne Auf- meisselung des Warzentheils zur Heilung gelangen kann~ ist wohl nichts Neues~ sondern in tier Literatur wiederholentlieh hervorgehoben worden. Aueh ieh babe mehrere derartige F~lle erlebt. Zwei derselben fallen noch in die Zeit~ als ieh an der hiesigen Universitiits-Ohrenklinik Assistent war. Der eine betraf einen Mann im ungefithren Alter yon einigen 30 Jahren, der eines Tages mit ausgesprochenem py~tmisehen Fieber eingeliefert wurde. Die Temperaturen schwankten in charakteristischer Weise zwischen 36 und 400; dabei bestanden SehUttelfrSste. Letztere sowohl wie das hohe Fieber hatten sehon ausserhalb der Klinik wochenlang bestanden. Patient litt~ soweit ieh reich jetzt erinnere~ seit seiner Kindheit an 5Iittelohreiterung. Ausser- dem fund sich eine grosse Exostose~ die yon der hinteren Wand ausging und fast das ganze Lumen des GehSrganges verlegte. Da Herr Geheimrath L u c a e verreist wart operirte ich die Exo- stose noch am Tage der Aufnahme. Trotzdem der Eiter~ der vorher durch die Knochen~eschwulst in der Tiefe des Ohres zu- rtiokgehalten wurde~ nun freien Abfluss hatte, sistirte die Pyamie natilrlieh nicht sofort~ wohl aber verschwand sie ohne weiteren operativen Eingriff binnen einigen Wochen~ so dass Patient ge- heilt entlassen werden konnte.

Withrend in diesem Fall yon chronischer Mittelohreiterung die Diagnose ,otitisehe Pyamie" nur auf dem charakteristisehen intermittirenden hohen Fieber und den SchiittelfrSsten beruhte~

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kam es in einem zweiten auch zur Bildung' yon Metastasen. Derselbe be t ra f eta sehr robustes Dienstm~dchen Ende tier zwanziger Jahre~ welehe seit langer Zeit eine einseitige Mittel- ohreiterung hatte. Wegen grosser Druekempfindlichkeit wurde yon Herrn Geheimrath L u e a e die Aufmeisselung des Warzen- theils vorgenommen, aber wegea starker Verlagerung des Sinus transversus nicht zu Ende geftihrt. Im Ansehluss an die Operation oder vielleicht aueh sehon vet d e r s e l b e n - da die Beobaehtung tiber 20 Jahre zurtiekliegt, kann ich reich dessert nieht mehr genau erinnern - - begana ein pyamisehes Fieber mit wieder- holten SehfittelfrSsten; eine sehmerzhafte Anschwellung am I-talse im Verlauf der Vena jugularis trat hinzu, spAter Sehmerzen in der Lebergegend und eine EntzUndung beider Kniegelenke. Wegen der Letzteren wurde Patientin auf die ehirurgische Klinik verleg't und hier you Prof. G l u c k , der damals dort noch Assi- stent war~ mit grossen Gaben yon b~atr, salye, behandelt. Pa- tientin genus yon ihrer Py~mie und wurde naeh einigen Monarch, allerding~s mit fortbestehendem Ohrenlaufen und ziemlich steifem Kniegelenk, entlassen. 8 Jahre sp~ter wurde sic wieder mit einem Anfall yon otitiseher Pyamie sehwerkrank in die Ohren- klinik eingeliefert. Nun wurde die Radiealoperatio a gemaeht, der tbrombosirte Sinus transversus erSffnet und ausger~umt. Doeh war es jetzt zu spat; Patientin starb nach wenigen Tagen an complicirter eitriger Leptomeningitis. Immerhin liefert der erwahnte Fall einea Beweis daftir, dass eine otitische Pyamie, falls die Krafte des Kranken ausreichen, gelegentlich auch ohne Sinus- oder Jugularisoperation heilen kann; denn die Patientin hat ihren ersten schweren Anfall ja noeh 8 Jahre tiberlebt. Wenn ich diese beiden, wie ich glaube, reeht interessanten Falle, welche ich in den 80 er Jahren als Assistent beobachtet babe, hier mittheile, so gesehieht dieses - - d a s muss ausdrtieklich be- toni werden -- nattirlich nicht etwa, um die in dem letzten Jahrzehnt h~ufiger zur Anwendung gelangenden operativen Ein- griffe bet otitischer Py~mie, die ErSffnung und AusrKumung des thrombosirten Sinus bezw. der thrombosirten Vcna jugularis in ~isscredit zu bringen; vielmehr bin ich im Gegentheil der An- sieht, dass diese Operationen als ausserordentlich segenbringend betrachtet werden miissen. Wie sehwierig es indessen ist, far diese doeh immerhin sehweren Eingriffe im gegebenen Fall die Indication zu stellen, beweist eine Beobaehtung, die ich vor ca. 2 Jahren in der Privatpraxis gemaeht habe. Ich wurde zu

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einem 8jithrigen Masernkind gerufen, welches seit etwa 3 Tageu an heftigea 0hrenschmerzen lift. Das Masernfieber hatte vet der Ohrenentztindung bereits mehrere Tage sistirt, dann war offenbar in Folge der Letzteren M yon lqeuem eine F i e b e r - temperatnr zwischen 38 und 39o aufgetreten. Bei meinem ersten Besuch fund ich ein sehr empfindliches Kind, welches in dem rechten Ohre sehr heftige, in dem linken geringe Schmerzen hatte~ wegen deren es die gauze Nacht nicht hatte schlafen kSnnen. Links constatirte ich objeetiv geringe Mittelohrent- ziindung; rechts war das Trommelfell wegen Ansammlung yon Cerumen und Epithelmassen in dem sehr engen GehSrgang nicht zu inspiciren. Der Versuch, diese Massen mit dem ttitkchen bezw. dutch Ausspritzen zu entfernen, gelang nicht. Ich ver- ordnete daher erweichende 0hrtropfen aus 10/oiger SodalSsung und spritzte nun am n~tchsten Tage die erweiehten Massen aus. Da sich hiernach rechts eine heftige acute Mittelohrentztindung naehweisen liess, paraeentesirte ich sofort in der Narkose beide Trommelfelle. Seit diesem Eingriff hat:das Kind, welches vor= her wegen heftigster Schmerzen mehrere Niiehte lung nicht butte sehlafen kSnnen, Sehmerzen fiberhaupt nieht mehr gehabt. Da- gegen nahm das Fieber naeh der Paraeentese zu, und es trat etwa vom 2. Tage nach derselben an eine Temperatur auf, welehe sieh die ersten 8 Tage lang eontinuirlieh auf einer H5he yon 39,5--40,5o hielt, um dann in der zweiten Woche stark inter- mittirend zu werden, so dass wiederum ca. 8 Tags lang titglieh Temperatureu yon 36 und 40,5o abwechselten. Nattirlieh flSsste mir dieses hohe Fieber grosse Besorgniss ein, und das um so mehr, als weder der Hausarzt noeh ein hinzugezogener Kinder- arzt ausser tier Ohreiterung irgend welehe Ursache ftir das Fieber auffinden konnten. Der ttausarzt freilich bewahrte vollkommene Ruhe; er versieherte mich, dass e r derartige hohe und Woehen lang anhaltende Fieber ohne irgend welche naehweisbare Ur- sache bei Kindern oft genug beobaehtet habe, und zwar mit durchaus gtinstigem Ausgang. Er behielt auch vollkommen Recht; dean nach etwa 14 Tagen ging das Fieber zurilck und verschwand dann raseh gi~nzlich. Das Kin4 w u r d e - auch be- ztiglieh der Ohrea - - vollkommen ffesund. Trotz dieses gtinstigen Ausganges glaube ieh~ dass bei den heutigen Anschauungen tiber otitisehe Complicationen und tiber die bei solehen m5gliehst friih- zeitig vorzunehmenden operativen Eingriffe racine Besorgniss in dem mitgetheilten Fall nieht unberechtigt war, um so mehr~ als

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die Warterin des Kindes auch einen Schattelfrost bei demselben beobachtet haben wollte. Beruhigend freilich wirkte tier gt~nstige locale Verlauf der Mittelohrentz|lndung, das rasche AufhSren der spontanen Schmerzen, sowie der Druckempfindliehkeit des reehten Warzentheils nach der Paracentese, die gtinstige Beschaffenheit des Secrets, welches bald seine eitrige l~atur verlor, um durch- siehtig, glasig zu werden, Euphoric des Kindes. Fernerhin hatte maneher Ohrenarzt in diesem Falle vielleicht doch mit Rticksieht auf das excessive Fieber bei freiem Eiterabfluss aus der PaukenhShle sich yon der doppelseitigen Aufmeisselung des Warzenkeils und Freilegung des Sinus transversus bezw. des Bulbus der Yena jugularis nieht abhalten lassen.

Herr Blau. Im Anschluss an den yon Hcrrn Professor J a c o b s o n mitgetheilten Fall mSchte ich eines ahnlichen eigener Beobachtung Erwghnung thun, deren n~here Details ich Ubrigens schon im Jahre 1888 im Archly far Ohrenheilkunde verSffentlicht habe. Aneh hier handelte es sich um ein Kind, ein 8jahriges M~idchen und um Masern. Iqachdem sich Schmerzen in beiden Ohrea eingestellt hatten, trat erneut hohes Fieber~ und zwar tag- lich racist im Laufe des Vormittags, FrSste, rasche Tcmperatur- steigerung tiber 40 o and dana nach 3--5 Stunden Entfieberung unter Schweissausbruch ein. In den Zwischenzeiten war die Temperatur normal. Trotz beiderseitiger Paracentese des Trommel- fells dauerte dieses spy~imische ~: Fieber noch weitere 8 Tage, im Ganzen 12 Tage, und ohne dass sich eine Ursache ffir das- selbe auffinden liess. Der Ausgang war in vollst~indige Genesung. Die Therapie hatte in der innerlichen Darreichung yon Chinin bestanden. Zu einer Operation im Warzenfortsatz lag kein Grund vor, und an eine Freilegung oder gar ErSffnung des Sinus dachte damals natttrlieh noeh lqiemand.

Herr L u e a e kann aueh fiber cinch den yon den Herren Collegen J a c o b s o n und B 1 a u mitgetheilten Fallen ahnliehen Fall berichten, den er vor vielea Jahrea an einem 18j~hrigen Madchen beobachtet hat. Es handelte sich bier um einen chro- nischen Mittelohrkatarrh mit reichlichen zahen Sehleimmassen in dcr TrommelhShle, welche beiderseits die Paracentese er- heisehten. I~icht lange nach der Operation trat heftiges Fieber mit ausgesproehenen Sehtlttelfrostanfallen ein, und zeigte die Temperaturtabelle die charakteristisehea Curven der Pyamie. Dabei bestand kein erheblieher Drueksehmerz an den Warzen- forts~tzen, dagegen stellte sich naeh etwa 8 Tagen eine leichte

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rSthliehe Ansehwellung tiber dem linken Auge ein. Alle diese drohenden Erseheinungen gingen auf reiehliehe Oaben yon Chinin naeh etwa 14 Tagen zurtiek, und trat aueh naeh 4--5 Woehen eine vollstandige Heilung der beiderseitigen l~[ittelohrentztin- dung ein.

Herr Tr ei t el weist darauf bin, dass solehe Temperatur- sehwankungen naeh Masern und Seharlaeh mit und ohne Otitis vorkommen. Ist eine Otitis vorhanden und aueh bereits eine Paraeentese gemaeht, so giebt das Fehlen jeglieher ausgespro- ehenen Complication yon Seiten des 0hres keine Erklarung far die oft grossen Temperatursehwankungen, die far einen Eiter- herd spreehen. Naeh Woehen langem Bestande versehwindet das Fieber yon selbst. Die praktisehen Aerzte nennen solehe Zu- stande Drtisenfieber. l:taufig sind bei Masern und Seharlaeh ja die Snbmaxillar- und Cerviealdrtisen gesehwollen, aber in diesen Fallen kommen sie nieht zur Eiterung. We keine Cerviealdrtisen gesehwollen sind, wird eine Sehwelluug der Bronehialdrtlsen vermuthet.

Herr Katz: Was das yon dem tterrn Vorredner erwahnte ,DrUsenfieber" betrifft, so hat tI eubner in einigen Fallen seiner Beobaehtungen diese Diagnose bei erhebliehen, intermittirenden Fiebererseheinungen n a e h stattgehabter Perforation bei Otitis reed. a e u t a gestellt. In den einsehlagigen Fallen hat Katz weder am Trommelfell, noeh am Warzenfortsatz Zeiehen finden kSnnen, welehe auf Retention oder Sinusphlebitis n. s.w. hatten irgend- wie sehliessen lassen. DerVerlauf war immer gt lnst ig . - Katz glaubt, dass es sieh hier um Resorption you pyrogenen Sub- stanzen bei unganstig liegenden anatomisehen Verhaltnissen (De- hiseenzen am Knoehen, grossen pneumatisehen, bis an die Dura reiehenden Raumen u. s. w.) handelt.

Herr H e r z f e l d betont im Sehlusswort, dass or die Probe- punetion des Sinus aueh nieht far harmlos ansehe, im Gegen- ¢heil sogar sehon die Freilegung desselbeu nur voraehme, wenn direete Grande hierzu vorliegen. Er maehte die Punetion gewisser- maassen nut, um die bereits gestellte Diagnose noeh mehr zu siehern, und sehliesse tier Punetion eventuell gleieh] die breite Spaltung des Sinus an. Sehliesslieh ist bei nieht ganz sieherer Diagnose die breite Incision doeh noeh gefahrlieher, als die Punetion. Was die Pulsverlangsamung betrifft, so lagen Com- plieationen yon Seiten des Gehirns, wie sie zur :.Erkli~rung der- selben yon Herrn He ine und Herrn T r a u t m a n n angenommen

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wurden, nieht vor; die beiden Patienten sind ja in voriger Sitzung als vollkommen gesund vorgestellt worden~ die Puls- frequenz wurde nach tier Genesung vollkommen normal. Nach Ansicht des Vortragenden kann gelegentlieh in Fiillen der aus- gedehnten obturirenden Sinusthr0mbose ein erhShter Hirndruek und damit die Pulsverlangsamung" eintreten, wenn die Jugularis der gesunden Seite nieht im Stande ist, die Rolle der kranken Seite mit zu iibernehmen~ oder wenn die Warzenfortsatz- oder Hinterhauptvenen verstopft oder nicht gentigend entwiekelt sind. Entgegen S e h w a b a e h ist H e r z fel d der Ansieht, dass eine rite mit Jodoformgaze ausgeftihrte hintere Tamponade ohne Be- denken 1--2 Tage liegen bleiben kann. Man ist sogar gezwun- gen, dieselbe so lange liegen zu lassen~ da bei zu frtihzeitiger Entfernung des Tampons oft eine neue Blutung auflritt, d ie wie- der zur Tamponade zwingt. H e r z f e l d hat sogar wiederholt dieselbe, wenn sie mit Jodoformgaze ausgeftihrt war, ohne Seha- den 3 Tage liegen lassen. - - Bei dem vielfaeh erwiihnten Fieber beiKindern handelt es sieh um das zuerst yon Pfe i f fe r -Wies- baden besehriebene Drtisenfieber. Das Charakteristisehe dieser Erkrankung ist aber~ dass die Driisen am Hals unter Fieber ansehwellen und schmerzhaft werden, wi~hrend die Untersuehung des Halses und der Nase nur einen leiehten Katarrh ergiebt. SehtittelfrSste kommen tibrigens bei Kindern sehr selten vor~ bis zum 3. Lebensjahre fast gar nicht. Sehliesslieh h~tlt H e r z f e l d seine Behauptung aufreeht~ class in tier neueren Zeit vielfaeh otitisehe Pyiimie und otogene Sinusthrombose als gleichwerthige Begriffe anfgefasst werden, was sieh am meisten im praktisehen Handeln zeigt. Fordern doeh manehe Autoren principiell bei jeder Sinusthrombose die gleiehzeitige Unterbindung der Jugu- laris. Wie zum Mindesten unnSthig dieselbe oft ist, geht am besten aus der yon H e i n e mitgetheilten grossen Statistik der Lueae ' sehen Klinik hervor~ naeh der in 32 geheilten Fgllen nur 2 Mal die Unterbindung vorgenommen wurde. Der Erfolg hiingt eben mehr yon tier frtihzeitigen Operation und dem Cha- rakter der Py~mie, als yon der Unterbindung ab, die ihre Bei'eeh- tigung nur in bestimmten~ im Vortrag mitgetheilten F~llen hat.