ausgabeberlin nr. 9489 18.woche 33.jahrgang €20 aud … · groß wie die der atombombe...

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4 190254 802300 60618 taz.berlin Die tageszeitung wird ermöglicht durch 10.550 GenossInnen, die in die Pressefreiheit investieren. Infos unter [email protected] oder tel. 030-25 90 22 13 Aboservice: tel. 030-25 90 25 90 fax (030) 25 90 26 80 [email protected] Anzeigen: tel. 030-25 90 22 38/-90 fax 030-251 06 94, [email protected] Kleinanzeigen: tel. 030-25 90 22 22 Redaktion: tel. 030-259 02-0 fax 030-251 51 30, [email protected] taz, die tageszeitung Postfach 610229, 10923 Berlin taz im Internet: www.taz.de TAZ MUSS SEIN VERBOTEN Guten Tag, meine Damen und Herren! Wie gerade gemeldet wird, be- stätigt die Public-Relations-Ab- teilung von al-Qaida Corpora- tions den Tod ihres Chief Execu- tive Officers Osama bin Baden. Ein Glück. verboten hatte sich schon gewundert, dass von dem sonst so professionell auf- tretenden Unternehmen noch nichts zu hören war. Aber verbo- ten ist doch ein bisschen ent- täuscht, dass al-Qaida Corpora- tions so schnell einknickt und nicht einmal die Fotos verlangt. Egal, damit ist das Gezicke um Verschwörungstheorien vom Tisch. Schließlich sind al-Qaida Corporations in ihrer Glaubwür- digkeit vergleichbar mit ande- ren international agierenden Spitzenunternehmen wie Tepco, BP und CIA. eit Anfang der fünfziger Jahre ver- spricht uns eine Schar von Physi- kern, die Sonne auf die Erde zu ho- len: Mit der Kernfusion könne Strom im Überfluss erzeugt werden. In 20 Jahren werdedieKernfusiongezähmtsein,pro- phezeite 1955 die Konferenz „Atoms for Peace“. Heute, rund 50 Milliarden Dollar Investitionenspäter,istdieWeltgemein- schaft diesem Ziel nicht ein Jahr näher gerückt. So symbolisiert der mindes- tens 16 Milliarden Euro teure For- schungsreaktor Iter, der in Südfrank- reich entstehen soll, alles, was in der Energiepolitik noch immer schiefläuft. S Fehler 1: die Sucht nach Größe. Nur da- rum will jede Nation, die etwas auf sich hält, einen Atomreaktor haben – und wenn es schon kein AKW sein darf, dann müssen es wenigstens gewaltige Wind- parks im Meer und riesenhafte Solaran- lagen in der Wüste sein. Die technische Entwicklung weist in eine andere Rich- tung. In atemberaubendem Tempo ha- ben sich in den letzten 20 Jahren Windrä- der, Biogasanlagen und Solarpanels wei- terentwickelt. Kleine dezentrale Projekte machen eben schneller Fortschritte als technische Kathedralen, die man nur einmal im Jahrhundert errichten kann. KOMMENTAR VON MATTHIAS URBACH Was das Scheitern der Kernfusion lehrt Fehler 2: der Wunsch nach unerschöpfli- cher Energie. Die Menschen brauchen kei- nen Sprit und keinen Strom. Sie wollen von A nach B gelangen, kalte Limonade und ein warmes Bett. Wie sie das bekommen, ist egal. Wie die Energiesparlampe zeigt, sind die Einsparpotenziale riesig. Und es ist oft billiger, ein Kraftwerk einzusparen, als ein neues auf die Wiese zu setzen. Die sogenannte Energiewende der Bundesregierung weist in die falsche Richtung „Eine saftige Figur“: Nina Kunzendorf über ihre Rolle im „Tatort“ SEITE 39 AUSGABE BERLIN | NR. 9489 | 18. WOCHE | 33. JAHRGANG | € 2,60 AUSLAND | € 2,30 DEUTSCHLAND | SONNABEND/SONNTAG, 7./8. MAI 2011 Fotos oben: Alexandre Valerio, dapd Auch wenn die Bundesregierung der- zeit die Energiewende forciert, sie tut es auf die falsche Weise. Es mangelt nicht nur an Initiativen zur effizienten Ener- gienutzung. Der aktuelle Entwurf des Erneuerba- ren-Energien-Gesetzes (EEG) von Um- weltminister Norbert Röttgen (CDU) be- günstigt Windparks auf dem Meer, bremst Windräder an Land aber aus. Er fördert Solarzellen nicht gemäß ihrem Potenzial und verlangt auch noch Last- management. All das nutzt nur den gro- ßen Playern, den Stromkonzernen. Und behindert den technischen Fortschritt. OSAMA Der Streit der Woche: Darf man seine Feinde töten? Berichte und Analysen zum Kampf der USA gegen al-Qaida SEITE 9, 10, 18, 27 STUTTGART 21 „Eine Sicherheit für den Ausstieg gab es nie“: Die künftige grüne Ministerin Silke Krebs im Interview SEITE 5 DÜSSELDORF Wo die Toten Hosen wohnen: Ein Herz für die Stadt, die den Song Contest beherbergt SEITE 19 HEUTE IN DER TAZ Ein Jahr nach der Eröffnung stört sich niemand mehr an dem Zaun um das Tempelhofer Feld SEITE 41 Der teuerste Traum der Welt KERNFUSION Mehr Energie als durch Atomkraftwerke – alles ohne Strahlung, ohne Abgase und ohne Müll: Die Vision von einer sicheren Stromversorgung für die Ewigkeit TEMPELHOF DIE NEUE FERNSEHKOMMISSARIN Heute mit 18 Seiten sonntaz Schicksalstag für Olympia in Garmisch MÜNCHEN taz | Am Sonntag können die Bürger von Gar- misch-Partenkirchen über die Zukunft der Bewerbung für die Olympischen Winterspiele 2018 entscheiden. Sowohl Gegner als auch Befürworter haben Bürger- begehren initiiert. Bei der Ab- stimmung in der Gemeinde, in der die meisten Schneewettbe- werbe stattfinden sollen, wird ei- ne hohe Beteiligung erwartet. Ein Votum gegen Olympia würde die Chancen der Bewerbung von München und Garmisch-Parten- kirchen erheblich schmälern, weil das Internationale Olympi- sche Komitee breite Zustim- mung in Gastgeberstädten ver- langt. „Eine Niederlage wäre das Aus“, sagte Olympia-Befürworter Christian Neureuther der taz. Ex- außenminister Joschka Fischer erklärte, dass er Olympia „von Herzen unterstütze“. Die Grünen hatten die Bewerbung abgelehnt. Schwerpunkt SEITE 3 BÜRGERENTSCHEID Joschka Fischer setzt sich für Winterspiele 2018 ein Uni: Guttenberg hat vorsätzlich getäuscht BAYREUTH dpa/taz | Die Univer- sität Bayreuth ist nach knapp dreimonatiger Untersuchung zu dem Schluss gekommen, dass Exverteidigungsminister Karl- Theodor zu Guttenberg (CSU) bei der Abfassung seiner Doktorar- beit bewusst getäuscht hat. Wie die Leitung der fränkischen Uni- versität am Freitag erklärte, stell- te die zuständige Kommission fest, „dass Herr Freiherr zu Gut- tenberg die Standards guter wis- senschaftlicher Praxis evident grob verletzt und hierbei vor- sätzlich getäuscht hat“. Inland SEITE 4 In der Sonne vollzieht sich ständig eine Kernfusion. Forscher wollen diesen Vorgang auf der Erde nachahmen und damit Energie erzeugen Foto: Nasa Bei der Kernfusion wird so viel Energie frei wie in der Sonne. Kleines Problem: Die Supertechnik hat in 60 Jahren Forschung erst zwei Sekunden lang funktioniert. Trotzdem investiert auch Deutschland weiter Milliarden in die Fortentwicklung. Eine Reise zu Machern und Kritikern eines gigantischen Experiments Seite 20–22 6 SEITEN TAZTHEMA WELTMUSIK Der Siegeszug der Cumbia und das Ende der Weltmusik, wie wir sie kennen SEITE 30–35

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  • 4 190254 802300

    6 0 6 1 8

    taz.berlin

    Die tageszeitung wird ermöglichtdurch 10.550 GenossInnen, die indie Pressefreiheit investieren.Infos unter [email protected] tel. 030-25 90 22 13Aboservice: tel. 030-25 90 25 90fax (030) 25 90 26 [email protected]: tel. 030-25 90 22 38/-90fax 030-251 06 94,[email protected]: tel. 030-25 90 22 22Redaktion: tel. 030-259 02-0fax 030-251 51 30, [email protected], die tageszeitungPostfach 610229, 10923 Berlintaz im Internet:www.taz.de

    TAZ MUSS SEIN

    VERBOTEN

    Guten Tag,meine Damen und Herren!

    Wie gerade gemeldet wird, be-stätigt die Public-Relations-Ab-teilung von al-Qaida Corpora-tions den Tod ihres Chief Execu-tive Officers Osama bin Baden.Ein Glück. verboten hatte sichschon gewundert, dass vondem sonst so professionell auf-tretenden Unternehmen nochnichts zu hören war. Aber verbo-ten ist doch ein bisschen ent-täuscht, dass al-Qaida Corpora-tions so schnell einknickt undnicht einmal die Fotos verlangt.Egal, damit ist das Gezicke umVerschwörungstheorien vomTisch. Schließlich sind al-QaidaCorporations in ihrer Glaubwür-digkeit vergleichbar mit ande-ren international agierendenSpitzenunternehmen wie

    Tepco, BP und CIA.

    eit Anfang der fünfziger Jahre ver-spricht uns eine Schar von Physi-kern, die Sonne auf die Erde zu ho-

    len:Mit derKernfusionkönneStromimÜberfluss erzeugt werden. In 20 JahrenwerdedieKernfusiongezähmtsein,pro-phezeite 1955 die Konferenz „Atoms forPeace“.Heute, rund50MilliardenDollarInvestitionenspäter,istdieWeltgemein-schaft diesem Ziel nicht ein Jahr nähergerückt. So symbolisiert der mindes-tens 16 Milliarden Euro teure For-schungsreaktor Iter, der in Südfrank-reich entstehen soll, alles, was in derEnergiepolitiknoch immer schiefläuft.

    SFehler1:dieSuchtnachGröße.Nurda-

    rum will jede Nation, die etwas auf sichhält, einen Atomreaktor haben – undwenn es schon kein AKWsein darf, dannmüssen es wenigstens gewaltige Wind-parks imMeer und riesenhafte Solaran-lagen in der Wüste sein. Die technischeEntwicklung weist in eine andere Rich-tung. In atemberaubendem Tempo ha-bensich indenletzten20JahrenWindrä-der, BiogasanlagenundSolarpanelswei-terentwickelt.KleinedezentraleProjektemachen eben schneller Fortschritte alstechnische Kathedralen, die man nureinmal im Jahrhundert errichtenkann.

    KOMMENTAR VON MATTHIAS URBACH

    Wasdas ScheiternderKernfusion lehrtFehler 2: derWunschnachunerschöpfli-

    cher Energie. Die Menschen brauchen kei-nen Sprit undkeinen Strom. Siewollen vonAnach B gelangen, kalte Limonade und einwarmes Bett. Wie sie das bekommen, istegal. Wie die Energiesparlampe zeigt, sinddie Einsparpotenziale riesig. Und es ist oftbilliger, ein Kraftwerk einzusparen, als einneues aufdieWiese zu setzen.

    Die sogenannte Energiewendeder Bundesregierung weistin die falsche Richtung

    „Eine saftige Figur“: NinaKunzendorf über ihreRolle im „Tatort“ ➤ SEITE 39

    AUSGABE BERLIN | NR. 9489 | 18. WOCHE | 33. JAHRGANG | € 2,60 AUSLAND | € 2,30 DEUTSCHLAND | SONNABEND/SONNTAG, 7./8. MAI 2011

    Fotos oben: Alexandre Valerio, dapd

    Auch wenn die Bundesregierung der-zeit die Energiewende forciert, sie tut esauf die falsche Weise. Es mangelt nichtnur an Initiativen zur effizienten Ener-gienutzung.

    Der aktuelle Entwurf des Erneuerba-ren-Energien-Gesetzes (EEG) von Um-weltminister Norbert Röttgen (CDU) be-günstigt Windparks auf dem Meer,bremst Windräder an Land aber aus. Erfördert Solarzellen nicht gemäß ihremPotenzial und verlangt auch noch Last-management. All das nutzt nur den gro-ßen Playern, den Stromkonzernen. Undbehindert den technischenFortschritt.

    OSAMA Der Streit derWoche: Darf manseine Feinde töten?Berichte und Analysenzum Kampf der USAgegen al-Qaida➤ SEITE 9, 10, 18, 27

    STUTTGART 21 „EineSicherheit für denAusstieg gab es nie“:Die künftige grüneMinisterin Silke Krebsim Interview ➤ SEITE 5

    DÜSSELDORF Wo dieToten Hosen wohnen:Ein Herz für die Stadt,die den Song Contestbeherbergt ➤ SEITE 19

    HEUTE IN DER TAZ

    Ein Jahr nach der Eröffnung störtsich niemand mehr an dem Zaunum das Tempelhofer Feld ➤ SEITE 41

    Der teuerste Traum der WeltKERNFUSION Mehr Energie als durchAtomkraftwerke – alles ohne Strahlung, ohneAbgase

    und ohneMüll: Die Vision von einer sicheren Stromversorgung für die Ewigkeit

    TEMPELHOFDIE NEUE FERNSEHKOMMISSARIN

    Heute mit 18 Seiten sonntaz

    Schicksalstagfür Olympiain Garmisch

    MÜNCHEN taz | Am Sonntagkönnen die Bürger von Gar-misch-Partenkirchen über dieZukunft der Bewerbung für dieOlympischen Winterspiele 2018entscheiden. Sowohl Gegner alsauch Befürworter haben Bürger-begehren initiiert. Bei der Ab-stimmung in der Gemeinde, inder die meisten Schneewettbe-werbe stattfinden sollen, wird ei-ne hohe Beteiligung erwartet.EinVotumgegenOlympiawürdedie Chancen der Bewerbung vonMünchen und Garmisch-Parten-kirchen erheblich schmälern,weil das Internationale Olympi-sche Komitee breite Zustim-mung in Gastgeberstädten ver-langt. „Eine Niederlage wäre dasAus“, sagteOlympia-BefürworterChristianNeureutherder taz. Ex-außenminister Joschka Fischererklärte, dass er Olympia „vonHerzen unterstütze“. Die GrünenhattendieBewerbungabgelehnt.➤ Schwerpunkt SEITE 3

    BÜRGERENTSCHEID JoschkaFischer setzt sich fürWinterspiele 2018 ein

    Uni: Guttenberg

    hat vorsätzlich

    getäuschtBAYREUTH dpa/taz | Die Univer-sität Bayreuth ist nach knappdreimonatiger Untersuchung zudem Schluss gekommen, dassExverteidigungsminister Karl-Theodor zuGuttenberg (CSU) beider Abfassung seiner Doktorar-beit bewusst getäuscht hat. Wiedie Leitung der fränkischen Uni-versität amFreitagerklärte, stell-te die zuständige Kommissionfest, „dass Herr Freiherr zu Gut-tenberg die Standards guter wis-senschaftlicher Praxis evidentgrob verletzt und hierbei vor-sätzlich getäuscht hat“.➤ Inland SEITE 4In der Sonne vollzieht sich ständig eine Kernfusion. Forscher wollen diesen Vorgang auf der Erde nachahmen und damit Energie erzeugen Foto: Nasa

    Bei der Kernfusion wird so viel Energie frei wie in der Sonne. Kleines Problem: Die

    Supertechnik hat in 60 Jahren Forschung erst zwei Sekunden lang funktioniert.

    Trotzdem investiert auch Deutschland weiter Milliarden in die Fortentwicklung. Eine

    Reise zuMachern und Kritikern eines gigantischen Experiments ➤ Seite 20–22

    6 SEITEN TAZTHEMA WELTMUSIK

    Der Siegeszug der Cumbiaund das Ende der Weltmusik,wie wir sie kennen ➤ SEITE 30–35

  • SONNABEND/SONNTAG, 7./8. MAI 2011 DIE TAGESZEITUNG [email protected]

    „Schreiben Sie, dass ich

    klein, untersetzt und

    glatzköpfig bin“

    DER „PANORAMA“-REPORTER CHRISTOPH LÜTGERT

    IN DER „UNBELIEBT“-KOLUMNE ➤ SEITE 23

    KERNFUSION Wenn Atomkerne verschmelzen, setzt das unendlich

    viel Energie frei –wie indenSternen.Weil ForscherdiesesPrinzip

    nutzen wollen, ist ein Gigaprojekt entstanden, für das die halbe

    Welt zahlt. Doch der Strom der Zukunft scheint Lichtjahre

    entfernt. Warum trotzdemweiter Milliarden fließen

    Die Kostenexplosion

    Auf einem Stern erzeugt Kernfusion Energie. Ist der Wasserstoff verbraucht, stirbt der Stern wie auf diesem Bild Foto: Schapowalow/Borgeest; Illustration oben: Juliane Pieper

    ➤ DIE GANZE GESCHICHTE SEITE 20, 21, 22

    Abschaffen Schon mit dem 11.September haben bin Laden undal-Qaida ihr Todesurteil gesprochen:Ein Essay von Andreas Fanizadeh ➤ SEITE 27

    Abschießen Darf man seine Feindetöten? „Töten ist das Gesetz desKrieges“, behauptet der HistorikerMichael Wolffsohn ➤ SEITE 18

    Inhalte

    Nächste Woche BeimGrand Prix willDüsseldorf endlich Kölnbesiegen ➤ SEITE 19

    Geist 1. Mai in Hamburg:Khalid El Kaoutitbestaunt die Kulturseiner Nation ➤ SEITE 23

    Konsum Unser Autorwollte wissen, wo seiniPhone herkommt – undfuhr nach China ➤ SEITE 24

    Reise Mit Tourismus sollder Jordan vor demAustrocknen gerettetwerden ➤ SEITE 36

    Medien Nina Kunzendorfüber ihre neue Rolle als„Tatort“-Kommissarin inFrankfurt ➤ SEITE 39

    &

    taz.de Kapituliert66 Jahre Kriegsende. Der SchriftstellerMax Frisch war Grenzsoldat, reiste frühdurch das zerstörte Europa – undschrieb darüber in seinen „Tagebü-chern“. Über Nachkriegserfahrungenspricht Frisch auch mit dem Literaturre-dakteur Hans-Ulrich Probst.Im „Video der Woche“ auftaz.de/netzkultur

    DER STÄRKSTE SATZ

    TV-Programm

    für Sonnabendund Sonntag➤ SEITE 38

    Abduschen Sich mitEssen waschen: Obst

    und Gemüse imDuschzeug sollendas Wohlbefindensteigern. Warumnur? ➤ SEITE 25

  • 20 SONNABEND/SONNTAG, 7./8. MAI 2011 DIE TAGESZEITUNG DIE [email protected]

    Und es

    ward nicht

    Foto

    :N

    asa

    ATOM Es ist eine wunderbare Vision:

    Wer das Prinzip der Sonne kopiert, erhält

    unendlich viel Energie. Die EU pumpt

    Milliarden in ein Projekt, das diese

    Kernfusion schaffen soll. Erfolge?

    Bisher kaum. Nun soll ein

    niederländischer Ingenieur das Vorhaben

    Es ist die Vision von einerwundervollen Zukunft, und esgäbe nur einen Weg dorthin. Erführt über Haanges Baugrube,über den „Internationalen Ther-monuklearen ExperimentellenReaktor“. Den Iter.

    Ronald Reagan und MichailGorbatschow haben dieses gi-gantische Gemeinschaftsprojekt1985 beschlossen. Es sollte denKalten Krieg genauso überwin-den wie alle Energiesorgen derMenschheit. Auch heute, auchnach der Katastrophe von Fuku-shimaklingt Iter fürdie Forschernoch nach Zukunft. Er soll diebessere Atomtechnik schaffen.

    Der Iter ist eines der größtenForschungsprojekte weltweit ge-worden. Mit 45 Prozent zahlt dieEUdengrößtenAnteil derMittel,daneben beteiligen sich die USA,Russland, Japan, China, Indienund Südkorea. Über eigene Lo-gistikagenturenwerdenweltweitdie Aufträge abgewickelt. NeueStraßenmüssen gebaut, kompli-zierte Bauteile erfundenwerden.Mehr als die Hälfte der Weltbe-völkerung zahlt mit ihren Steu-ern das Riesenprojekt. Alles amIter ist gigantisch.

    Außer den Erfolgen. Den Fort-schritten. Den Perspektiven.

    Bisher ist in Südfrankreichnur präzise planierter Lehmbo-den auf der Fläche eines ganzenDorfes zu besichtigen. Von derSonneaufErdenzeugthöchstensdie Rötung in Remmelt HaangesGesicht.

    DasProjektwurde immerwie-der verschoben. Zuletzt verdrei-fachten sich die erwarteten Kos-ten auf 16 Milliarden Euro. DasManagement wurde fast voll-ständig ausgetauscht. Der Erfolgist ungewiss, die Finanzierungaus dem aktuellen EU-Haushaltnicht geklärt. Selbst ehemaligeBefürworter wenden sich ab.„Wir wollen zurück zu den altenZahlen“, sagt der EuropapolitikerJorgo Chatzimarkakis von derforschungsfreundlichen FDP. Esklingt fast verzweifelt.

    Niemandweißgenau,obMen-schen die Kernfusion jemals

    AberdieWeltnachFukushimasucht einen Weg aus dem globa-len Energiedilemma. Eine Lö-sungmussbisMittedes Jahrhun-derts gefunden sein. Nicht ir-gendwann.

    Haange ist seit dem 17. Januarder Technische Direktor des Iter.Er steht wie niemand sonst fürdie Hoffnungen, Probleme undinternationalen Verflechtungender Kernfusion. Sein Leben langbeschäftigt er sichmitReaktorenundderen Innenleben. Er hat au-ßer in Frankreich schon in Japan,Großbritannien und Deutsch-land gearbeitet. Wo immer einwichtiges Kernfusionsprojektläuft, steht Haange an der Bau-stelle und guckt, was klappt.

    In nüchternemTon vergleichter die Kernfusion mit demTraum vom Automobil – „daranhat ja auch keiner geglaubt“ –odermit der Raumfahrt. Erweiß,dass seine Gegner in der Politikdas Projekt beenden wollen, be-vor die Schwertransporte auf dasGelände in Cadarache rollen.

    Haange hat in Greifswald dendeutschen Ableger des Kernfu-sionsprojekts aus dem Chaosgeführt. Jetzt soll er den Fusio-nierern der Welt ihr Projektretten.

    Zu all den Problemen, die esohnehin schon gibt, kommt nunauch noch „dieses Desaster da inJapan“, muss Haange feststellen.Alles werde in einen Topf gewor-fen, „Kernfusion“ klingt für Lai-en plötzlich gefährlich. Das be-

    AUS CADARACHE UND

    GREIFSWALD GORDON REPINSKI

    neinemheißenApriltagsteht Remmelt Haangean seiner Baugrube inSüdfrankreich und

    schwitzt. Die Sonne knallt ihmauf die Stirn, die Wangen leuch-ten, das Gesicht glüht. Aber dasstört ihn nicht. Haange mag dieSonne. Er setzt auf sie. Manchesagen: Was die Sonne angeht, istHaange der besteMannderWelt.Er soll sie hierherholen, nach Ca-darache in Südfrankreich.

    „Da drüben soll die Sonne ste-hen“, sagt Remmelt Haange, 66Jahre. Er zeigt zu einem Ort amEnde der Baustelle. Ein Erdloch,so groß, dass man zwei ModelledesAirbusA380darinversenkenkönnte, des größten Passagier-flugzeugs der Welt. Einige Kräneragen in den blauen Himmel.Hier hat Haanges Mission vorwenigen Monaten begonnen. Eskommt jetzt auf ihn an.

    Für die Baugrube in Cada-rache ist der Niederländer dieletzte Hoffnung. Er soll nicht we-niger tun, als die Prozesse derSonne mit einem Kernfusions-experiment zu imitieren. In ei-nem Reaktorgebäude könntedann 100 Millionen Grad heißesPlasma um eine Magnetspulewabern,die imInnernminus269Grad kalt ist. Atomkerne sollenverschmelzen und unendlichviel Energie fast ohne Risiko undRückstände bringen.

    A

    Niemand weiß genau,obKernfusion funktio-nieren kann. Wichtigetechnische Fragensind nicht gelöst

    droht die Baustelle zusätzlich.„Eine heikle Lage“, sagt Haange.

    Der Traum von der Kernfu-sion beginnt, als Remmelt Haan-ge8 Jahrealt ist, Schüler ineinemkleinen Ort an einem niederlän-dischen Naturpark. Am 1. No-vember 1952 um 7.15 Uhr explo-diert auf der Pazifikinsel Eluge-lab eine Wasserstoffbombe. „IvyMike“ ist die stärkste Kernwaffeder Welt, ihre Wucht 800-mal sogroß wie die der Atombombevon Hiroshima. Kilometerweitfegt die Detonation alles davon.

    Die Insel Elugelab verdampft,die Forscher jubeln.

    „Ivy Mike“ explodiertund liefert die Idee

    Während Remmelt die Grundre-chenarten lernt, denken in denForschungszentren der Welt dieWissenschaftler darüber nach,wie sich so viel Energie nutzenlässt. Wie es theoretisch funktio-niert, wissen sie: Die Wasserstof-fisotope TritiumundDeuteriummüssen zuerst auf 100MillionenGrad Celsius erhitzt werden undso den sogenannten vierten Zu-stand der Materie erreichen. DieIsotopesinddannnicht fest, flüs-sig oder gasförmig – sondern io-nisiert. In diesem Zustand bildetsich ein Plasma, in dem die Teil-chen durcheinanderfliegen; siekollidierenmiteinanderundver-schmelzen zu Helium.

    Das Ergebnis: Energie imÜberfluss. Ein Gramm Wasser-stoff entspricht der Leistung von

    elfTonnenKohle. EswardasMär-chen von den unendlichen Res-sourcen. Es fühlte sich an, alswä-re man auf Ozeane voller Öl ge-stoßen. Der Durchbruch schiengreifbar. Und das alles ohne dieGefahr eines GAUs. Bei einerStörung würde sich der Reaktorsofort abkühlen.

    In den Sechzigern geht Rem-melt Haange zum Studierennach Deutschland, Maschinen-bau an der RWTH Aachen. Nachdem Studium zieht er weiternach England. Sein erster Job ineinem Hochtemperaturreaktor.„Damals hieß es: Es sind noch25 Jahre“, erinnert er sich.„Hurraideen passten in die Zeit“,sagt dieVorsitzendederGrünen-fraktion im Europäischen Parla-ment, Rebecca Harms.

    Über Jahre feuerten die For-scher Unmengen Energie in denOfen, umdie 100MillionenGradBetriebstemperatur zu errei-chen. Heraus kam nichts. Kaumhatte man die Teilchenver-schmelzung einmal geschafft,fiel sie wieder in sich zusammenwie ein Ballon, aus demman dieLuft lässt. Denn das widerspens-tige Plasma verflüchtigt sich inSekundenbruchteilen, berührtdie Wände des Reaktors – undkühlt sich ab.

    Auch riesige Magnetspulen,die in den Reaktor hineingebas-telt sind, können das Plasmanicht kontrollieren. Der ReaktorTokamak, der auch im Iter ver-wendetwerdensoll,mussandau-

    dauerhaft gelingen kann. Diewichtigsten technischen Fragensind offen. Und dass die Fusiondie Energie- undKlimaproblemedernäherenZukunft lösenkönn-te, behaupten nicht einmal ihregrößten Fürsprecher. Im Ener-giekonzeptderBundesregierungbis 2050 steht kein Wort vonder Kernfusion. Sie sei „einelangfristige Option für die Ener-gieversorgung“, sagt Forschungs-staatssekretär Georg Schütte.Und mit der sei vor 2050 „nichtzu rechnen“.

    Cadarache, Südfrankreich. Dort soll der Reaktor für die Kernfusion wachsen. Remmelt Haange, der technische Direktor, weist die Richtung. Bisher ist da aber nur eine riesige Grube Fotos: Gordon Repinski, F4E

  • SONNABEND/SONNTAG, 7./8. MAI 2011 DIE TAGESZEITUNG 21GESCHICHTE [email protected]

    Deuterium

    Tritium

    Energie

    Neutron

    Helium

    Kernfusion

    Damit die Fusion funktioniert, ist ein extremkomplexes und exaktes Magnetfeld nötig:die ringförmige Plasma-Brennkammer

    taz.Grafik: Infotext/Stefanie Weber

    Ein Teil des Tritiumsund Deuteriumsreagiert nicht undkommt noch einmalin den Reaktor

    Der andere Teilfusioniert zuHelium, dessenEnergie spätereine Turbineantreibt

    Transforma-tionsspulelässt im PlasmaStrom fließenund heiztes dadurch auf

    Deuterium und Tritiumwerden erhitzt, bis sie vomgasförmigen Zustand in denPlasmazustand übergehen

    Zustand Temperatur

    Sonnenofen – der Fusionsreaktor Iter

    +100 Mio. ˚C(Kernfusion)

    15 Mio. ˚C(Sonneninneres)

    6.000 ˚C(Sonnenoberfläche)

    1.500 ˚C(Metall schmilzt)

    +0 ˚C (Wasser)–0 ˚C (Eis)

    Der Prozess der Fusion

    Im Iter wird eine kontrollierte Fusion derWasserstoff-Isotope Deuterium und Tritiumerzeugt. Dazu wird der Brennstoff in dasVakuumgefäß eines elektromagnetischen Feldeseingeschlossen und mittels Mikrowellen aufmehr als 100 Millionen Grad erhitzt.Im Plasmazustand trennen sich die Atomkernevon ihren Elektronen. Beim Zusammenstoßeines Deuterium- und eines Tritium-Kernsverschmelzen diese zu einem Helium-Kern. DieReaktionsprodukte besitzen hohe Bewegungs-energie, die in Wärme umgewandelt wird, mitder über Dampfturbinen Generatorenangetrieben werden.

    Vertikalfeld-spulen

    Toroidalfeld-spulen

    Magnetfeld-linien

    Trennungder Isotope

    Quelle: CEA, Iter, afp

    1 2

    3

    +++

    +

    T+D+He

    T

    Deuterium HeliumTritium

    D He

    Als Brennstoff verwendet der Iter ein Gemisch aus den zwei Wasserstoffarten (Isotope)Deuterium und Tritium, die so stark erhitzt werden, dass sie von der Gasform in den Plasmazustandübergehen. Bei einer extrem hohen Temperatur von mehr als 100 Millionen Grad kommt esdann zur Kernfusion. Die Energieproduktion läuft.

    Erhitzen

    mithilfe von

    Mikrowellen

    Durchmesseretwa 22 Meter,

    Höheetwa 16 Meter

    Plasma

    Plasma

    Gas

    flüssig

    fest

    ++

    4

    ernd weitergeheizt werden. Alswollte man einen nassen Baummit dem Feuerzeug anzünden.1991, Haange arbeitete jetzt fürdas Projekt Jet, den Vorgängerdes Iter, gelang der Prozess fürzwei Sekunden im britischenCulham. Dannwar der Sonneno-fen wieder aus.

    Damals glaubten Physiker, eswerde drei Jahrzehnte dauern,bisman endlich Strom erzeugenkönne.Nichts ist inallden Jahrender Forschung so stabil wie dieZeit, die angeblich jeweils nochbis zur kommerziellen Nutzungder Zauberenergie gebrauchtwird. Es sind immer drei bis vierJahrzehnte. Dafür ist ein zyni-sches geflügeltes Wort entstan-den: die Fusionskonstante.

    Immer größer – derEisbär gilt als Vorbild

    Die technischenSchwierigkeitenhabendazugeführt, dass imLau-fe der Jahre immer neue Materi-alien und Verfahren gebrauchtwurden. Die neuen Stoffe brach-ten neue Probleme. Bis heute istkein Material für eine Reaktor-innenwand gefunden, die 100Millionen Grad erträgt, ohne zuschwächeln. Es gibt auch nochkeineMagnetspule, die beimehralsminus 269Grad funktioniert.

    Ideen haben die Forscher im-mer gleich mitgeliefert. Um dasProblem mit dem widerspensti-gePlasmazulösen,werdenureingrößerer Reaktor benötigt, sag-tensie stets.Darinwürdesichdie

    Ionensuppe nicht so schnell ab-kühlen. Fusionierer wie Haangeerzählen gern die Geschichtevom Eisbären. Der könne amNordpol auch nur überleben,weil er dank seiner Größe nichtso viel Wärme abgebe.

    Am Ende bedeutet das: Wennso ein Gerät in 60 Jahren erstzwei Sekunden lang funktionierthat, findet sich immer noch eineSchraube, eineSpuleoder Stütze,die sich verbessern lässt. Undjededieser Ideenwird einUnikatund kostet sehr viel Geld. Wennman das Geld anderswo einspa-ren will, kostet das Zeit. Unddiese Zeit kostet dann wiederGeld.

    Sowurde der Iter im Laufe derJahre immer teurer, der Start im-mer weiter verschoben. 1986, alsReagan und Gorbatschow dasProjekt planten, wollten sie inden neunziger Jahren fertig sein.Mittlerweile muss man im Ka-lender für den Betriebsstart bis2026 blättern.

    Erreichtwäredannnochnichtviel. Denn nach dem Iter müssteein Nachfolgemodell, ein De-monstrationskraftwerk, gebautwerden. Erst danach könnte einKraftwerk folgen, das ans Netzgeht. Ein einziges würde nocheinmal sovielkostenwieder Iter.

    Doch allein für den Iter stei-gendieKostenmit fast jeder Pro-jektrevision.Waren vor zehn Jah-ren indenPlanungennoch 5Mil-liarden Euro für den Bau ange-setzt, sind es nun 16 Milliarden

    Euro, mehr als dreimal so viel.DieSchätzungfürEuropasAnteilhat sich inder Zeit auf 7,2Milliar-den Euro erhöht. „Das ist eine gi-gantischeGeldvernichtung“, sagtder Pariser EnergiefachmannMycle Schneider, „ein Beschäfti-gungsprogramm für arbeitslosePhysiker.“

    Erst 2010 hatten die Europäervon den Kostensteigerungen ge-nugundbegrenztendeneigenenAnteil auf 6,6 Milliarden Euro.

    Am Tag, als Remmelt Haangesich an der Baugrube in Cada-rache einen Sonnenbrand holt,beraten die Beamten der EU-

    Die EU-Kommission, das gehtaus internen Entwürfen hervor,will nicht genutzte Landwirt-schaftsmittel verwenden undmit anderen Forschungsmittelndie übrigen Löcher im Budgetstopfen.Welche, darüber gibt dieKommission keine Auskunft.„Der Iter kannibalisiert andereForschungsvorhaben“, sagt dieGrüne Rebecca Harms.

    Zum Beispiel die regenerati-venEnergien. Jährlichwerdenet-wa 130 Millionen Euro in diedeutschen Fusionszentren ge-steckt – ein Drittel des Ener-gieforschungsetats. In Europafließen nach offiziellen AngabenderEU-Kommissionallein indenJahren 2012 und 2013 zwei Milli-arden Euro in die Kernfusion. Indie Erforschung der regenerati-ven Energien steckt die EU auchetwasmehr als zwei Milliarden –in sieben Jahren.

    1.700 Kilometer nordöstlichvon Cadarache, im Gewerbege-biet der Stadt Greifswald, lässtThomas Klinger seinen Gefüh-len freien Lauf. Der Turbulenz-plasmaphysiker stehtmit gehär-teten Spezialschuhen undSchutzhelm in der Produktions-halle des Max-Planck-Institutsvor seinem unfertigen Fusions-experiment. Ein Schwerlastkranfährt mit seinen gelben Greifar-men an der Decke entlang.

    Klinger ist der Chef hier inGreifswald, vor seinen AugenvollziehtsicheinentscheidenderMontageschritt. Alles sieht aus,

    als würde gerade ein U-Boot ver-schraubt. Doch bei den ver-meintlichen Bullaugen handeltes sich um Einlasslöcher fürempfindliche Messgeräte. Hierentsteht der Vorzeigereaktor derdeutschen Fusionscommunity,der Wendelstein 7-X.

    „Wie eine Niederkunft“,sagt der Plasmaphysiker

    EinStückgebogeneMetallschale,großwie ein Hausdach, wirdmiteinem Spezialkran auf den Wen-delstein 7-X hinabgelassen. Dar-auf sitzen zwei Ingenieure undlassensichmitverladen.Nurvonoben können sie sehen, ob dieSchale exakt auf den Testreaktorpasst. Der Kran surrt. Klingerschaut zu. Er ist immer dabei,wenn so etwas passiert.

    Mit seinen Kupferadern undSchräubchen habe der Wendel-stein 7-X etwas von Gunther vonHagens’ Körperwelten. „Faszi-nierend“, sagt Klinger. Währenddie Schale sinkt, wird er eupho-risch. „Es ist wie eine Nieder-kunft“, sagt er, dievielenMagnet-spulen sind wie Kinder: „Jede istanders.“

    Viele Jahre hat RemmeltHaange den deutschen Ablegerdes Fusionsprojekts mit Klingergeleitet. Jetzt hatHaangeKlingerverlassen, weil er in Cadarachedringendergebrauchtwird.Klin-ger nennt Haange den Red Adairder Fusionstechnologie. Adairwar ein Feuerwehrmann, spezia-lisiert auf brennende Ölfelder.

    Der Wendelstein 7-X ist so et-was wie das Gegenprojekt zumIter geworden. Sein ReaktortypStellaratorhat gegenüberdem inFrankreich geplanten Tokamak-Modell den Vorteil, dass erdurchgängig laufen soll undnicht immer wieder neu gezün-detwerdenmüsste.DerNachteil:Der Stellarator hat zwanzig JahreForschungsrückstand.Deswegenwird er wohl nur in Greifswaldgebaut – danach nirgends mehr.Trotzdem kostet er rund einehalbe Milliarde Euro, überwie-gend vom Bund bezahlt. AngelaMerkel nennt den Wendelstein7-X „ein Zukunftsprojekt“.

    Wer sich nun fragt, warum esdieses Projekt auch noch gebenmuss, landet wieder beim Iter.Die meisten Länder haben sichnur unter der Bedingung daranbeteiligt, dass die eigenen For-schungsvorhaben profitieren.Frankreich musste in Europadeshalb am meisten Überzeu-gungsarbeit leisten. Der Iter istnicht nur ein großer Energie-traum, sondern auch einmilliar-denschweres Konjunkturpro-gramm für die Region Provence.In einer französischen Karikaturvon 2007 jubelte der damaligePräsident Jacques Chirac nachdem Zuschlag für Cadarache alsStandort seinem Premier Domi-nique de Villepin zu. „Wir habendasDing–nunsagenSiemir,wases bringt, Villepin!“

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    Der Iter

    ■ Das Projekt: Die Idee zum Inter-national Thermonuclear Experi-mental Reactor, kurz Iter, stammtaus den Achtzigerjahren, als US-Präsident Ronald Reagan und derrussische Staatschef Michail Gor-batschow beschlossen, die Kernfu-sion in einem gemeinsamen Pro-jekt zu erforschen. Bis zum endgül-tigen Startschuss im Jahr 2006vergingen weitere zwanzig Jahre.Erst zu der Zeit stand auch fest, woder Iter gebaut wird: in Cadarache,etwa eine Autostunde nördlich vonMarseille in Südfrankreich.■ Die Kernfusion: Die Idee, Kernfu-sion zu nutzen, um Energie zu ge-winnen, ist 1952 entstanden. Da-mals zündeten die Amerikaner im

    Pazifik die Wasserstoffbombe, dieauf demselben physikalischenPrinzip beruht. Kernfusion kommtauf der Sonne vor, wo Atomkernebei hohen Temperaturen ver-schmelzen und Energie freisetzen.■ Die Finanzen: Milliarden D-Mark, Dollar und Euro sind über dieJahre in die Erforschung der Kern-fusion geflossen. Allein der Baudes Iter wird nach heutigen Schät-zungen 16 Milliarden Euro kosten,zu Beginn waren 5 Milliarden ge-plant. Der Betrieb wird weitere 10Milliarden Euro in zehn Jahren kos-ten. Bis zur zivilen Nutzung der En-ergiewerden insgesamtwohlnochmindestens 60 bis 80 MilliardenEuro benötigt.

    In einem solchen Vakuumbehälter mit doppelten Stahlwänden soll dieKernfusion einmal stattfinden. Das Gewicht: 5.000 Tonnen. Zwischen denWänden würde das Kühlwasser zirkulieren Foto: Iter Organization

    Trotzdem feuert dieEU Unmengen anEnergie und Geld indas Projekt. Geld, dasan anderer Stelle fehlt

    Kommission gerade, wie dieMehrkostendes Iteraufgefangenwerden können. In dem proviso-rischen Verwaltungscontainerauf dem Gelände hetzt Haangevon Krisenrunde zu Krisenrun-de, zwischendurch klingelt dasTelefon. Es sind unangenehmeGespräche. Das Verständnis fürdie dauernden Kostensteigerun-gen in Cadarache – für 2012 und2013 allein sind es 1,3 MilliardenEuro – sinkt allmählich. Haangemeint wohl auch das, wenn ervon einer „heiklen Lage“ spricht. Fortsetzung auf Seite 22

  • 22 SONNABEND/SONNTAG, 7./8. MAI 2011 DIE TAGESZEITUNGwww.taz.de

    [email protected] DIE GANZE GESCHICHTE

    schraubt werden, kann schon ei-ne Millimeterabweichung aus-reichen, und der gesamte Reak-tor funktioniert schlechter odergar nicht mehr. Doch Toroidal-feldspule Nummer eins wird inJapan gebaut, Nummer zwei inEuropa, Nummer drei in denUSA.Dasseisichernichtoptimal,urteilen Fachleute.

    Man fragt sich, wie RemmeltHaangedas alles löschen soll – esbrennt so viel. Nur nicht seineSonne.

    EU-Staaten stehen vor demBankrott, es müssen Rettungs-schirme gespannt, Staatshaus-halte gerettet werden. Und trotz-dem fließenweiterMilliarden inein Projekt, das bisher nicht vielmehr als eine Idee ist. Rechtfer-tigt die Hoffnung von der Kern-fusionall diese Investitionen, dieVerstrickungen und Absurditä-ten?Odermussman sich irgend-wann vom Iter verabschieden?

    Als der Streit über die fehlen-den Haushaltsmittel im vergan-genenJahreskalierte, ließdieEU-Kommission die Folgen einesAusstiegs errechnen. Das Ergeb-nis: Allein durch Verträge mit

    Das Ergebnis: GigantischeMehrausgaben durch Aus-gleichsgeschäfte, die noch nichteinmal im Iter-Budget auftau-chen. Die Steuerzahler müssendafür trotzdem aufkommen, siemerken es nur nicht.

    Dass in diesem Gemein-schaftsprojekt alle ganz beson-ders auf sich selbst achten, hatnoch mehr kuriose Folgen: PerVertragwurde festgelegt, dass al-le Länder befähigt werden, alleElemente des Reaktors bauen zukönnen – unabhängig von dertechnischen Vorbildung derFachleute.

    Wie soll Haangedas bloß alles löschen?

    So werden die 18 Toroidalfeld-spulen (siehe Grafik, Seite 21) insechsverschiedenenLändernge-fertigt. Die riesenhaften Spulen,die eines Tages aussehen wiehaushohe, kupferfarbene Tor-bögen, sollen einmal das Plasmaim Reaktorkern einschließen.Ohne sie läuft nichts.

    Wenn die Spulen später, ausaller Welt kommend, in Süd-frankreich zusammenge-

    Baufirmen und dem eigenenPersonalwären fürdie EU imFalleines Abbruchs knapp 4,5 Milli-arden fällig.

    Das erinnert andasBahnhofs-projekt Stuttgart 21. Als die Pro-teste eskalierten, präsentiertedie Deutsche Bahn ein Gutach-ten.DerAusstiegkoste 1,5Milliar-den Euro. In Stuttgart wurde soeine besondere Atmosphäre ge-schaffen, eine Atmosphäre derAusweglosigkeit.

    So argumentiert auch das Pa-pier der EU-Kommission: DieseSchätzung schließe „möglicheSchadenersatzklagen Dritterein“ nicht ein, schreiben die Au-toren, genausowenig das bereitsausgegebene Geld von „mehr alseiner weiterenMilliarde Euro“.

    Die Zahl 4,5 Milliarden wirdvon den Fraktionen im Europäi-schenParlamentmittlerweile alsunverrückbarer Fakt hingenom-men. Von einem Gegengutach-ten ist nichts bekannt.

    Selbst wenn die Bundesregie-rung die immensen Ausstiegs-kosten aber hinnehmen wollte:Es wäre ungeheuer kompliziert.Deutschland beteiligt sich nicht

    Die Antwort findet sich in denStatistiken, die Frankreich regel-mäßigherausgibt.Siezeigen,wievielvondeninternationalenIter-Geldern imeigenenLandlanden.Im Moment sind es bei einemProjekt, für das die halbeWeltbe-völkerung zahlt, bemerkenswer-te 46 Prozent. Deutschlands Un-ternehmen dagegen verlierenlangsam die Lust an den Aus-schreibungen, ihr Anteil an denvergebenenAufträgen ist derzeitzwei Prozent. Wirtschaftsvertre-ter schimpfen auf die Verfahren,sie seien „vordemokratisch“.

    Deutschland wurde damit ge-ködert, dass die EU den Greifs-walderWendelstein7-XzueinemDrittel mitfinanziert. Spanienbekam die Behörde „Fusion forEnergy“, China UnterstützungfüreinHybrid-Kraftwerk, indemAtome erst fusioniert und danngespalten werden. Die USAschließlich erhalten Förderungfür ihreLaserfusionstechnik,mitder sie militärische Tests imitie-ren, weil im Pazifik keine Bom-bentests mehr erlaubt sind.

    „WenndasDing indenUSA stehen würde,könntenwir sagen,wirsteigen aus“, klagtein Insider

    als Land an der Finanzierung desIter, sondern über Beiträge ander EU-Unterorganisation Eura-tom. Damit Euratom aus demProjekt aussteigt, müssteDeutschland Länder wie Frank-reich und Spanien überzeugen.„Wenn das Ding in den USA ste-hen würde, könnten wir sagen,wir steigenaus“, klagt ein Insider.„Die Internationalisierung istder letzte Trick der Fusionierer“,stellt Energieexperte MycleSchneider fest.

    Kein EU-Land willder Spielverderber sein

    Der Spielverderber zu sein trautsich in der Staatengemeinschaf-ten niemand. Dann lieber weiterGeld ausgeben.

    Der Iter wirkt wie ein Mons-tertruck, der ohne Bremsen ei-nen Berg hinunterrauscht. Aus-steigen unmöglich.

    Ans Steuer dieses Trucks ha-bensie jetztRemmeltHaangege-setzt, der versuchen muss, dochnoch eine Kurve zu kriegen.

    Währenddraußendie Planier-raupen über die Erde rollen, dis-kutiert er dann in seinem Ver-waltungscontainermit den Inge-nieuren, die wieder einen Planumwerfenwollen. „Die haben je-den Tag eine neue Idee“, sagt er.Er muss sie ihnen ausreden.

    Alternativlos, sagt AngelaMerkel,wenn sie etwasdurchset-zen will. Basta, sagte GerhardSchröder. Der Iterwurde vonAn-fang an als alternativloses Basta-Vorhaben vorgestellt.

    „Den jungen Politikernwurdevon den älteren klargemacht,dass es sich um ein langfristigesProjekthandle, andemnichtsge-ändert werden kann“, erinnertsich der SPD-Politiker René Rös-pel an seine ersten Sitzungen imForschungsausschuss im Jahr1998. Er wunderte sich damalsüber die astronomischen Sum-men bei der Kernfusion. Die De-tails der einzelnen Projekte zuverstehen, würde einen Abge-ordneten und seine Mitarbeiterallerdings viele Nächte kosten.

    Undwenn sich bei einem Pro-jekt kaum jemand auskennt, eskaumÖffentlichkeit gibt undeinmöglicherAusstiegextremteuerscheint, dann haben es die Lob-byisten leicht. Alle paar Wochentreffen sich die Vertreter der in-teressierten Wirtschaftskreise,dem Iter Industrie Forum, zu-sammen mit den Fusionsfor-schern und den Spitzenbeamten

    im Bonner Bundesministeriumund besprechen die Lage. Dannwerden zwischen Politik, For-schung und Wirtschaft in ver-trauter Atmosphäre die aktuel-len Fragen geklärt. Es ist ein ge-schlossener Kreis.

    Während sie hinter verschlos-senen Türen diskutieren, mussRemmelt Haange jetzt den Ein-druck vermitteln, als könnte erdie Sache in den Griff bekom-men. In diesem Jahr muss derHaushalt durchs Parlament, vorallem in diesem einen Jahr müs-sen die Zahlen stehen. Sind dieMauern des Reaktors erst einmalhochgezogen, wird ein Abbruchnoch unwahrscheinlicher.

    Wenn man Haange fragt, waser machen würde, sollte der Iterdoch teurer werden, sagt er des-halb: „Es gibt jetzt die Deckelungder Kosten, also halten wir sieein. Basta!“ Kann Grundlagen-forschung mit Deckelung funk-tionieren? „Nein“, sagt Haange.Aber nun muss sie eben. Auchwenn es gar nicht geht.

    Da steht Remmelt Haange al-so an der Baugrube in Südfrank-reich. Die Sonne auf dem Kopf,

    dem grauweißen Haarkranz, aufdem schwarzen Anzug.

    Hat er manchmal Zweifel,dass der große Traum Wirklich-keit wird? „Nein, gar nicht“, sagtHaange.

    „Wissen Sie, Fusion ist dochnaturgegeben. Es gibt siemilliar-denmal, milliardenmal“, wieder-holt er. „Überall, auf der Sonne,auf jedem Stern gibt es sie.“

    Er dreht sichum, ermuss jetztweg. Sein Büro hat angerufen. Esgibt wieder Ärger.

    ■ Gordon Repinski, 33, ist Parla-mentskorrespondent der taz. SeineRecherche zum Iter hat die Otto-Brenner-Stiftung gefördert: Mit ei-ner Recherche-Skizze gehörte derAutor zu den Gewinnern beim jähr-lich ausgeschriebenen „Otto Bren-ner Preis für kritischen Journalis-mus“. Das Projekt wurde vom Netz-werk Recherche unterstützt und be-gleitet. Infos: www.otto-brenner-preis.de

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    Das Finanzgeflecht

    ■ Die Beteiligten: Der Iter ist einGigaprojekt. Mit der EU, den USA,Russland, China, Japan, Indienund Südkorea finanziert mehr alsdie Hälfte der Weltbevölkerungdas Experiment. Die Verwaltungs-behörde für die Aufträge – „Fusionfor Energy“ – sitzt in Barcelona, dieIter-Zentrale in Cadarache, im Sü-den Frankreichs.■ Die Probleme: Da jedes Landvom gewonnenen Wissen aus demProjekt profitieren will, ist ein bü-rokratisches Monster entstanden.Durch die unklaren Hierarchienwurde besonders die Arbeit von„Fusion for Energy“ kritisiert unddas Management im Jahr 2010ausgetauscht. Zudem bauen alleLänder alle Bauteile unabhängigvom technischen Vorwissen.■ Der Ausstieg: Das Projekt nochzu stoppen ist sehr schwer mög-lich. Europa müsste gemeinsamaussteigen, der erste Zeitpunkt füreine mögliche Kündigung ist imVertrag erst für 2016 festgelegt.Wenn Deutschland allein ausstei-gen wollte, müsste der Vertrag derEU-Atombehörde Euratom gekün-digt werden. Ein Ende des Projektswürde teuer werden. Die EU-Kom-mission schätzte die Kosten imJahr 2010 auf mindestens 4,5 Mil-liarden Euro.■ Die Website: www.iter.orgDer Plasmaphysiker und seine Technik: Thomas Klinger Foto: Gordon Repinski Das Plasmagefäß des Wendelstein 7-X wird in Greifswald gefertigt Foto: Wolfgang Filser/IPP

    Auch im Max-Planck-Institut in Garching steht der Plasmabehälter für eine Fusionsanlage Foto: Max-Planck-Institut

    Fortsetzung von Seite 21