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dvs Band 000 © Edition Czwalina 185

ARNE SCHNEIDER

Stabfechten

Das Fechten ist als weit entwickelte Kampfkunst und Sportart allgemein bekannt. Das Fechten mit Stäben erscheint dagegen vergleichsweise urtümlich. Die neu entwickelte Form des Stabfechtens1 ist jedoch keineswegs primitiv, sondern ein körper- und partnerbezogener Schulungsweg der nonverbalen Kommunikation. Das Kommunikationsmittel ist ein Holzstab von 1,15m Länge. Aufgrund seiner Ein-fachheit bietet er viele Vorteile. Damit verfolgt Stabfechten mit dem Schwerpunkt auf der Persönlichkeitsentwicklung andere Ziele als der Fechtsport.

1 Kulturgeschichtlicher Hintergrund

Der Stab weltweit

Der Stab oder Stock ist in der Menschheitsgeschichte ab dem Moment zu einer Waffe geworden, in dem ein Mensch sein Leben oder das eines anderen verteidig-te. Egal auf welchem Kontinent wir uns gerade aufhalten, das Kämpfen oder Fech-ten mit dem Stab finden wir überall. Es gibt Völker und Nationen auf verschiedenen Erdteilen, die im Laufe der Geschichte den Stockkampf so weit entwickelt und ver-feinert haben, dass das Beherrschen der Stabführung zu einer „Stockkampfkunst“ wurde und das Führen des Stockes mehr als nur ein Hauen und Stechen ist. So wie z.B. in China: „Gunshu“, Japan: der Langstab „Bo“, auf den Philippinen: „Escri-ma“, „Kali“, „Arnis“. Stockkampf finden wir also weltweit mit unterschiedlichen Stab-längen, in verschiedenen Zeitperioden mit verschiedenen Hintergründen – und dies zum Teil noch heute.

Der Stab in Europa

Werfen wir einen Blick auf Europa, finden wir den Stab oder Stock als Fecht- und Kampfinstrument in diesen Ländern: Frankreich: „Canne de Combat et Bâton“, Por-tugal: „Jogo do pau“, England: „Quaterstaff“, Irland: „Bataireacht“ oder „Bata“, Deutschland: „Halbe Stangen“. Nach neuen archäologischen Funden (Der Spiegel 24/2011, S.108) können wir an-nehmen, dass die Kelten in der Spätbronzezeit (1300-800 v. Chr.) ihre Speere nicht nur zum Werfen, sondern auch als Hiebwaffen benutzten. Ab dem 16 Jh. finden wir in historischen deutschsprachigen Fechtbüchern von Joachim Meyer und Paulus Hector Mair u.a. den Stab als Übungswaffe – um den Körper locker werden zu lassen und den Menschen an ein fremdes Element, das nicht Teil des Körpers ist, zu gewöhnen. In England schrieb Alfred Hutton, Captain der King‘s Dragoon Guard, in seinem Buch Cold Steel (1889):

1 Anmerkung der Herausgeber: Arne Schneider ist der Entwickler der in diesem Beitrag beschriebenen

Fechtkunst Stabfechten.

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„Die Heranführung des Stabes wird in der ital. und franz. Armee vollzogen. Einerseits mit der Absicht, die Männer mit diesem bewundernswerten, hochinteressanten Gymnastiktraining ge-schmeidig und locker werden zu lassen, andererseits sie mit der Kenntnis in der Handhabung der Musketen und Schwertbajonette vertraut zu machen“ (Hutton, 1889, S.145).

Der Stab diente also nicht nur zur Verteidigung, sondern wurde als Vorübungswaffe eingesetzt, mit der man das Körper- und Bewegungsverständnis entwickeln kann.

Fechtkunst in Europa

Ab dem 14. Jahrhundert begannen die Fechtmeister, eigene Bücher zu verfassen, welche die Techniken z.B. des Langschwertfechtens darstellen und beschreiben (vgl. Talhoffer, 1467 und Fechtbuch, 1389). Waren zunächst diese Bücher nur für den Eingeweihten zu gebrauchen, richteten sich spätere Werke an den Lernenden und Anfänger (vgl. Capo Ferro, 1610 und Hutton, 1889). Die beachtliche Anzahl von Fechtbüchern der verschiedenen europäischen Fechtmeister gibt uns heute die Möglichkeit, Darstellungen und Beschreibungen einzelner Techniken miteinander zu vergleichen und auf diese Weise eine realistische Vorstellung von ihrer Umset-zung zu bekommen. Man schätzte schon zu Zeiten des Rittertums die persönlichkeitsbildende Eigen-schaft des Kampftrainings. Im Europa des 16. Jh.s war die persönlichkeitsentwi-ckelnde Bildung durch Fechtkunst den Menschen wohl bewusst. So entstanden die ersten Fechtschulen im mitteleuropäischen Raum, in denen die Söhne des höheren Bildungsbürgertums geschickt wurden um Sie nicht nur auf der Fechtbahn tauglich zu machen, sondern auch auf das Leben vorzubereiten (vgl. Rösener, 1589).

Das Stabfechten

Der Stab oder Stock war in der europäischen historischen Fechtgeschichte eine Vorübungswaffe. Vorübungswaffen, beschrieb man nicht in Fechtbüchern, sondern immer die Blankwaffe, um die es hauptsächlich ging; denn Bücher waren früher sehr teuer. Man kann sich also nur vorstellen, wie es war, wenn die Vorfahren mit dem Stab oder Stock ihre Einweisungen in die jeweilige Fechtkunst bekamen. Stabfechten basiert auf dem europäischen historischen Fechtspektrum. Die Grund-hiebe, der Stich und die Paraden sind der Huttonschen Methodik entnommen (vgl. Hutton, 1889). Die Sonderhiebe sind dem Fechten mit dem Langen Schwert 13.-15. Jh. (vgl. Danzig, 1452; Ringeck u.a., 1452; Fechtbuch, 1389; Meyer, 1600) ent-nommen sowie dem Rapier aus dem 16. Jh. (vgl. Capo Ferro, 1610). Der Stab wird im Angriff einhändig gehalten, die Parade wird in beiden Händen ausgeführt. Die anschaulichen Namen der Hiebe wie „Oberhau“, „Mittelhau“, „Unterhau“, entsprin-gen dem Langen Schwert ( vgl. Ringeck u.a., 1452). Zwei Bücher, die Zeugnis sind, wie die Fechtkunst zu militärischen Zwecken genutzt wurde, aber mit dem heutigen Stabfechten nichts gemein hat, wurden vom deutschen Kriegsministerium heraus-gebracht (vgl. K.B. Kriegsministerium, 1916 und Busch, 1916). In diesen Büchern geht es darum, mit mehreren Schritten zu beschleunigen, einen Ausfall zu machen und die ganze Energie mit dem Stab (1,60m) in einen Stoß auf eine Zielscheibe

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umzusetzen. Was als sportliche Disziplin und Wettkampf ausgetragen wurde, war Drill und Vorbereitung für die Grabenkämpfe des Ersten Weltkrieges.

Abb. 1. Publikationen des K.B. Kriegsministeriums (1918) zum Stabfechten

2 Ziele und Schlaglinien des Stabfechtens

Das Ideal besteht darin, die Aufmerksamkeit und Stabführung so einsetzen zu kön-nen, dass zu jedem Zeitpunkt das Richtige getan wird und man sich wie eine rol-lende Kugel durch den Raum fortbewegt. Dazu ist es erforderlich die Ziele zu ken-nen, die Stabführung mit klaren Schlaglinien, Führungslininen, Bewegungsabläufen und entsprechender Intensität zu beherrschen. Entscheidend ist, was ich mit dem Stab mache und wofür ich ihn einsetze. Gerade wenn man sich bewusst mit dem Stab darin auseinandersetzt, lernt man zu begreifen welche Kraft er hat. Jeder Stabfechter hat darin die Chance zu lernen die eigene Verantwortung zu tragen, und sich der Konsequenzen seines Handelns bewusst zu sein.

Der Stab

Die Stablänge beträgt 115cm und ist vom Sportsäbel abgeleitet. Die Länge des Stabes gibt die „Bewegungsgrammatik“ vor: die Bewegungsabläufe, die je nach Stablänge ausgeführt werden, um die Ziele, effektiv zu erreichen. Die Ziele sind die Körperteile des Gegners: Kopf, Schultern, Arme, Flanken, Beine, Füße, usw.. Wie ich den Stab halte, um an meine Ziele zu gelangen, hängt von der Stablänge ab. Ist der Stab lang, macht es Sinn ihn mit beiden Händen zu halten. Ist er kurz, wird er einhändig gehalten.

Abb.2. Fechtstab im Stabfechten von 1,15m Länge

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Schlaglinien

Schläge, auch Hiebe oder Haue genannt, werden im Stabfechten in drei geometri-schen Schlaglinien ausgeführt: die Senkrechte, die Waagerechte und die Diagona-le. Um den Stab auf das Ziel zu führen, braucht der Stabfechter ein Gefühl für die Fechtwaffe. Bei sicherer Stabführung in den Schlaglinien werden die Bewegungen fließend und dynamisch. Die Fechtwaffe wird zur Verlängerung des Armes. Stab und Fechter verschmelzen miteinander. Klare Hieb- und Stichlinien zeichnen sich förmlich mit der Stabspitze in die Luft, die im dreidimensionalen Raum eine Kugel bilden (vgl. Abb. 3).

Abb.3. Positionen des Fechtsystems Stabfechten aus Hieb und Stich

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Führungslinien

Es gibt zwölf hauptsächliche Führungslinien, die mit dem Stab ausgeführt werden: Zwei in der Senkrechten, zwei Diagonalen oben, zwei Diagonalen unten, sechs in der Waagerechten (vgl. Abb. 4).

Abb.4. Hieb und Stich – Ziele und Schlaglinien der Fechtkunst Stabfechten

Positionen

Die Positionen sind die einzelnen Bewegungsabläufe der Hiebe und Haltungen der Paraden. Die Aneinanderreihung aller Grundhiebe und anschließend aller dazuge-hörigen Paraden ist ein „Postionendurchlauf“. Ein Positionendurchlauf dient mehre-ren Zwecken: Es dient zur Überprüfung der klaren Ausführung von Hieb, Stich und

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Paraden. Die Bewegungsabläufe werden in das Körpergedächtnis integriert, das Wissen um die Positionen dient der eigenen Sicherheit, es bringt Ruhe und Kon-zentration und ermöglicht Zentrierung. Die Positionendurchläufe werden gekoppelt mit der Beinarbeit, damit ein sicheres Stehen in jeder Position gewährleistet ist. Ein nächster Schritt für einen methodi-schen Aufbau zum Positionendurchlauf wäre, eine Gruppe in zwei Reihen aufzutei-len. Dazu macht die eine Reihe die Angriffe, die gegenüberliegende Reihe die Pa-raden. Die Positiondurchläufe haben eine feste Aneinanderreihung, die dem Auf-bau des Fechtsystems mit seinen Grundhieben, Stichen und Paraden gleich sind.

Tab.1. Positionen – Grundhiebe und Stich in fester Reihenfolge

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Trefferzonen (Blößen)

Man unterteilt auch vier verschiedene Zonen: Oben / Unten / Rechts / Links Jede Trefferzone (auch „Blöße“ genannt) kann aus verschiedenen Winkeln bedroht werden. Des Weiteren kann jede Blöße jeweils mit mehreren Aktionen verteidigt werden. Der Stabfechter versucht nicht, die Fechtwaffe zu sehen, sondern ständig zur Blöße zu gehen und den Partner/Gegner dort zu treffen. Der Partner/Gegner wiederum verteidigt mit einer Parade (vgl. Tab. 2).

Tab.2. Positionen – Paraden

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3 Didaktische und methodische Aspekte

Ziel des Stabfechtens ist die Verbesserung der Eigen- und Fremdwahrnehmung in nonverbalen Kommunikationssituationen („Gefecht“), die ggf. als Bedrohung erlebt werden. Es kann erfahren werden, wie sich eine sicherere Standfestigkeit anfühlt und dass sie errungen werden kann. Weil damit die ganze Person und personale Änderungsprozesse herausgefordert werden, erscheint eine Optimierung der per-sonalen Ich-Stärke als erreichbares Gesamtziel – wenngleich dies natürlich nicht direkt verifiziert werden kann. Stabfechten wird ohne Schutzausrüstung ausgeführt. Wie kann man sich also beim Stabfechten schützen? Der größte Schutz ist die Wahrnehmung mit allen Sinnen. Das bedeutet, dass ein hoher Anteil des Unterrichts der Entwicklung der Wahr-nehmungsfähigkeit gewidmet wird. Darüber hinaus gilt es, eine klare Stabführung in Angriff und Verteidigung sowie eine sichere Einschätzung der Mensur (Abstand) zum Fechtpartner zu entwickeln. Kompetente Wahrnehmung bedeutet, dass man mehr Informationen in einer be-stimmten Zeiteinheit verarbeiten kann. Mehr Informationen verarbeiten zu können sorgt für eine bessere Einschätzung der Situation. Eine bessere Einschätzung gibt Sicherheit. Mehr Sicherheit stärkt das Selbstvertrauen, mehr Selbstvertrauen stärkt den Selbstwert. Diesen Grundzügen des Stabfechtens als Praxis eines körperlichen und kognitiven Entwicklungswegs muss auch der didaktische Ansatz folgen. Methodisch bedeutet das, dass das Schwergewicht auf Vormachen und Nachmachen liegt. Dabei sind geeignete Stab-Situationen zu wählen, die dem Lernenden exemplarisch aufde-cken können, wo seine und die situativen Schwierigkeit liegen, die es zu „meistern“ gilt. Im Weiteren geht es darum, die „Elemente“ des Stabfechtens zu einem fortlau-fenden Bewegungsfluss zu verbinden, um schließlich die eigenständige, freie Kom-bination zu ermöglichen. Das heißt, der Lernende muss von der reinen Reprodukti-on der vorgemachten Übungsteile über die Reorganisation bis hin zum kreativen Transfer auf unvorhergesehene Stabfecht-Situationen und sogar auf den Alltag ge-bracht werden. Dies wiederum erfordert, dass den rein körperbetonten Übungspha-sen ständig Reflexionsphasen folgen (vgl. Reflexionsprozess, Kapitel 4). Stabfechten kann bei unterschiedlichsten Zielgruppen eingesetzt werden. Es ist durchaus denkbar auch im therapeutischen Bereich Stabfechten zu verwenden, je-doch nur mit ausgebildeter Fachkraft im jeweiligen therapeutischen Sektor. Da Stabfechten ein Weg für unterschiedliche Zielgruppen ist, ist die Methode jeweils an diese Zielgruppe zu adaptieren. Stabfechten ist erfahrungsgemäß ab zwölf Jahren geeignet. Es ist gerade für Ju-gendliche eine hervorragende Möglichkeit, ihre „aggressive“ Kraft in einer kanali-sierten Form Ausdruck zu verleihen. Aggressiv meint hier nicht die negative Bedeu-tung, die dem Wort heute anhaftet, sondern die innere Kraft, Widerstände zu über-winden.

„Aggression kommt von „ad-gredi“, das bedeutet herangehen. Aggression ist die Kraft, die Din-ge anzupacken, anstatt ihnen auszuweichen (...) Aggression ist ein wichtiger Impuls des Fort-

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schrittes. Aggressionen wollen nicht zerstören, sondern sich für etwas einsetzen“ (Grün, 2008, S. 72).

Die Schüler können in lockerer, sportlicher Kleidung erscheinen. Die Einfachheit des Materials (Rattan) erlaubt es, Stabfechten an unterschiedlichen Örtlichkeiten, drinnen, in einer Halle oder im Freien auszuführen. Der Trainer muss vorab dafür Sorge tragen, dass ausreichend Platz – ca.10m2/Person – sowie eine Raumhöhe von mindestens 3,20m gegeben ist. Jeder, der einen Stab halten kann, kann auch Stabfechten lernen. Es sind keine sportlichen Voraussetzungen vonnöten, so können viele durch die Fechtkunst Stab-fechten und durch den einfachen methodischen Aufbau zur Bewegung finden, die sich sonst als „nicht sportlich“ bezeichnen würden. Durch die vielen Wahrneh-mungsübungen in den Vorübungen „Stäbe werfen“ (Abb. 5) und „Stabschwingen“ wird der Stabfechter spielerisch zu einer Selbstreflexion und Beobachtung ange-regt, die es ihm erlaubt, eine starke Eigenwahrnehmung zu bekommen, mit der er die Funktionalität seiner eigenen Fechtbewegungen überprüfen kann. Der Trainer ist dabei unterstützend. Er fördert das, was schon beim Teilnehmer vorhanden ist, verbessert das, was noch nicht rund läuft und ermuntert ihn durch Lob und Kritik, an seinen Schwächen zu arbeiten.

Abb.5. Wahrnehmungsübung – Stäbe werfen

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Unterrichtsablauf

Stabfechten hat einen klaren methodischen Aufbau und geht dabei immer vom Leichten zum Schweren, vom Langsamen zum Schnellen, vom Einfachen zum Komplexen. So fordert und fördert Stabfechten immer mehr die Teilnehmer, aber überfordert und unterfordert nicht. Der grundlegende methodische Aufbau sieht so aus: 1. Begrüßung mit dem Stab 2. Warm Up ohne und mit Stab 3. Vorübungen, um sich mit dem Stab vertraut zu machen wie z.B. „Stäbe werfen“. 4. Beinarbeit: Übungen zum sicheren Stand in jeder Situation 5. Positionendurchlauf 6. Stabfechten: Hiebe, Stiche, Paraden, Sonderhiebe, Taktiken ... 7. Freifechten

Sofortiges Feedback

Der Partner spiegelt im Fechten und in vielen Übungen mit seiner Reaktion die ei-gene Aktion. Somit gibt es ein sofortiges Feedback auf die eigene Führung und das persönliche Verhalten im Gefecht.

ART-Regel (Aktion, Reflexion, Theorie)

Um die Erfahrungen in den Übungen und im freien Gefecht nachhaltig werden zu lassen, ist eine Reflexion in der Gruppe von großer Hilfe. Nachdem eine Übung stattfand, unterbricht der Trainer die Aktion und ruft die Stabfechter zu einer Refle-xion zusammen, die es ermöglicht, die eigenen Erfahrungen zu erklären und als Angebot einen neuen Blickwinkel durch die Sichtweisen der anderen Fechtpartner einnehmen zu können. Der Trainer kann anschließend je nach Situation Wissens-lücken durch sein Theorie-Wissen schließen. Nachhaltigkeit entsteht dann, wenn alle Stabfechter ihr neues Wissen und ihren Blickwinkel in einer nochmaligen glei-chen oder ähnlichen Aktion mit ihrem Körper zum Einsatz bringen können. Der Reflexionsprozess kann in folgende Schritte eingeteilt werden. 1. Man wird sich der aktuellen Situation bewusst. 2. Man betrachtet die Situation aus der Metaebene (Die momentane Handlung wird

unterbrochen). 3. Man hinterfragt sich: Was habe ich gemacht, wie habe ich es erlebt, was habe

ich gefühlt? Mache ich so weiter oder ändere ich die Handlung? 4. Man entscheidet, was genau geändert werden soll. 5. Man handelt und setzt die Entscheidung in der ersten Aktion um. Aus dem „sich selbst überprüfen“ gehen die Lernenden gestärkt hervor, weil sie sich besser kennenlernen und in der Folge auch „authentischer“ auftreten können.

Wortwahl

Die Wortwahl ist ebenso wichtig wie das Vormachen der einzelnen Hiebe, Paraden und Stiche. Beides zusammen wirkt. Worte wirken und können uns genauso verlet-

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zen, wie eine Waffe. Daher ist es wichtig, sich als Trainer Gedanken zu machen WIE er etwas sagt (Stimme, Betonung) und WAS er sagt (Wortwahl: z.B. „Gegner“ oder „Partner“, „Kampf“ oder „Gefecht“).

Stimmung und Atmosphäre

Insgesamt sind für den Lernerfolg auch die Achtung auf die Stimmung in der Grup-pe, die gegenseitige Toleranz und der Zuspruch, also der gruppendynamische As-pekt gerade bei diesem Training wesentlich. Dazu dienen auch nicht zuletzt vo-rausgehende und dazwischengeschaltete Lockerungsübungen. Denn: „Bei der Stange“ bleiben nur Menschen, die etwas mit Freude betreiben. Zum Fechten braucht es immer eine zweite Person einen Fechtpartner. Ohne das Gegenüber könnte man sich nicht verbessern. Deshalb ist ein respektvoller Um-gang unter den wechselnden Fechtpartnern sehr wichtig. Das äußert sich in kleinen Dingen, wie An- und Abgrüßen sowie aufnehmen von Blickkontakt, bevor man ein Gefecht beginnt.

4 Forschungsperspektiven

Psychologische und neurowissenschaftliche Studien belegen den Einfluss von Be-wegung, Spiel und Sport auf Gehirnprozesse und -funktionen. Dabei profitieren insbesondere die exekutiven Funktionen von akuter körperlicher Belastung und von einer hohen kardiovaskulären Leistungsfähigkeit (Kubesch 2014). Gerade koordinative Übungen (Budde et al., 2008), aber auch Mannschaftssportar-ten, wie Fußball (Verburgh et al. 2014, Vestberg et al. 2012) und Baseball (Kida et al. 2005), scheinen positiv auf die exekutiven Funktionen einzuwirken. Bislang wurden Trainingseffekte des Stabfechtens auf exekutive Funktionen und die Selbstregulationsfähigkeit noch nicht untersucht. In einem Interview mit Dr. Sa-bine Kubesch vom 21.06.2013 wird aber deutlich, dass Stabfechten sich dazu eig-net. Kubesch geht weiter davon aus, das Stabfechten zur Selbstwirksamkeitsüber-zeugung beiträgt:

„Wenn man trainiert, lernt man und allmählich beherrscht man einen Bewegungsablauf, den man vorher noch nicht konnte, und das macht unmittelbar Freude und bedeutet Erfolg. Auf die-se Weise lernen Kinder und Jugendliche also, dass Lernen Freude macht und zum Erfolg führt". (Kubesch, 2013)

Abb.6. Stabfechten- Fechtkunst und Bewegungskunst

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Es ist weiterhin anzunehmen, dass beim Stabfechten Aufmerksamkeit und Acht-samkeit entwickelt werden. Achtsamkeitstraining, exekutive Funktionen und Selbst-regulation stehen in einem engen Zusammenhang. „Achtsamkeit hat eine direkte Auswirkung auf das menschliche Verhalten. Sie hilft, hoch automatisierte Verarbei-tungs- und Reaktionsmuster zu durchbrechen und durch flexibles, situativ ange-messenes Handeln zu ersetzen“ (Frenkel, 2014, 213f). Vor diesem Hintergrund wä-re es lohnenswert, Stabfechten mit Methoden der Gehirnforschung zu untersuchen.

Literatur

Budde, H. (2008). Acute coordinative exercise improves attentional performance in adolescents. Neurosci Lett. 2008 Aug 22;441(2):219-23. doi: 10.1016/j.neulet.2008.06.024. Epub 2008 Jun 13.

Busch, P.J. (1916). Das Stabfechten. Zahlreiche methodisch geordnete, durch 15 Bilder erläuterte Übungsbeispiele als Ergänzung zu der vom Kriegsministerium herausgegebenen „Anlei-tung für das Stabfechten“. M. Gladbach: Volksvreins-Verlag GmbH. Stadtarchiv Bretten.

Capo Ferro, Ridolfo (1610). Gran Simulacro dell'Arte e dell'Uso della Scherma. Siena: gedruckt von Salvestro Marchetti and Camillo Turi in Siena, aufgeteilt in zwei Teile Kunst und Praxis.

Danzig, Peter von (1452). Sammlung der Werke verschiedener Autoren über das Fechten und Ringen, geschrieben in deutscher Sprache. Biblioteca Corsiniana Rom, Manuskript oder auch Codex Bombarini, 44 A 8.

Fechtbuch 1389 (Verfasser unbekannt). Nationalmuseum Nürnberg, cod. Hs. 3227a. Früher Hanko Döbringer zugeschrieben.

Frenkel, M. O. (2014). Achtsamkeitstraining in der Schule. In: Sabine Kubesch (Hrsg.). Exekutive Funktionen und Selbstregulation. Neurowissenschaftliche Grundlagen und Transfer in die pädagogische Praxis (213-228).

Grün, Anselm (2008). Kämpfen und lieben. Wie Männer zu sich selbst finden (7. Auflage). Mün-sterschwarzbach: Vier Türme.

Hutton, Alfred (1889/2006). Cold Steel. The Art of Fencing with the Sabre. London. Reprint: New York: Dover Publications.

K.B. Kriegsministerium (1916). Anleitung für das Stabfechten. Vorbildung für das Gewehrfechten des Heeres. Für die militär. Vorbildung d. älteren Jahrgänge der Jugendabteilung während des Kriegszustandes. München: Kriegsministerium. Stadtarchiv Bretten.

Kida, N. et al. (2005). Intensive baseball practice improves the Go/Nogo reaction time, but not the simple reaction time. Brain Res Cogn Brain Res. 2005 Feb; 22(2):257-64.

Kubesch, Sabine (2013). Förderung der Selbstregulation durch Stabfechten. Interview mit Arne Schneider, Institut für Stabfechten. Stuttgart: www.stabfechten.de.

Kubesch, Sabine (2014). Der Sport macht‘s. In S. Kubesch (Hrsg.), Exekutive Funktionen und Selbstregulation. Neurowissenschaftliche Grundlagen und Transfer in die pädagogische Praxis (121-144).

Mair, Paulus Hector (evtl. Jörg Breu d.J.) (16.Jh.). Fechtbuch. Sächsische Landesbibliothek Dres-den, Mscr.Dresd. C93 und C94.

Meyer, Joachim (1610). Gründtliche Beschreibung / der freyen Ritterlichen und Adelichen kunst des Fechtens. Augsburg 1600, Bayerische Staatsbibliothek München, VD16 M 5087.

Rösener, Christoff (1589). Ehren Tittel vnd Lobspruch der Ritterlichen Freyen Kunst der Fechter, auch jhrer Ankunfft, Freyheiten vnd Keyserlichen Priuilegien etc. Dreßden. Bayerische Staatsbibliothek München, VD16 R 2830.

Ringeck, Schining ain, Sigmund, Liechtenauer, Johannes, Liegniczer, Andre & Jud, Ott (1504-1519). Fechtbuch. Sächsische Landesbibliothek Dresden, Mscr.Dresd. C487.

Talhoffer, Hans (1467). Fechtbuch. Bayerische Staatsbibliothek München, Cod.icon. 394a. Verburgh, Lot et al. (2014). Executive Functioning in Highly Talentet Soccer Players. Plos One,

March 2014, Vol. 9, e91254 ff. Vestberg, Torbjörn et al. (2012). Executive Functions Predict the Success of Top-Soccer Players.

Plos One, April 2012, Vol. 7, e34731 ff.

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ROLAND OSWALD Portrait .......................... Jg. 1956, Institut für Angewandte Trainingswissenschaft Leipzig, Fachbereich Tech-

nik-Taktik (Spiel- und Zweikampfsportarten), wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachgruppe Judo

Arbeitsschwerpunkte .... Wettkampfanalyse, Leistungsdiagnostik, Trainingsmethodik Postadresse .................. Marschnerstr. 29, 04109 Leipzig E-Mail ............................ [email protected]

VOLKER SCHEID Portrait .......................... Prof. Dr., Jg. 1959, Universität Kassel, Institut für Sport und Sportwissenschaft, Ar-

beitsbereich „Erziehung und Unterricht“. Arbeitsschwerpunkte .... Evaluations-, Entwicklungs- und Unterrichtsforschung im Kontext von Kindergarten,

Schule / Hochschule und Sportverein. Postadresse .................. Damaschkestraße 25, 34109 Kassel Telefon .......................... +49 561 8045230 E-Mail ............................ [email protected] Internetadresse ............. www.uni-kassel.de/go/sport

ARNE SCHNEIDER Portrait .......................... Jg. 1977, Institut für Stabfechten: Trainer/ Entwickler der heutigen Fechtkunst Stab-

fechten / Leiter des Instituts Arbeitsschwerpunkte .... Forschen in der europäischen Fechtkunst- Geschichte, Praxis und Transferleistung Postadresse .................. Krummenackerstraße 89, 73733 Esslingen Telefon .......................... +49 711 4081589 E-Mail ............................ [email protected] Internetadresse ............. www.stabfechten.de

HANS-JOACHIM SCHRÖDER Portrait .......................... Jg. 1969, Lehrer am Ulrich-von-Hutten-Gymnasium, Berufsverband der Budopäda-

gogen und Budopädagoginnen – Internationaler Dachverband Arbeitsschwerpunkte .... Pädagogik im Judo als Kampfsport und Kampfkunst, Kampfkunst in der Entwick-

lungsförderung und Soziale Arbeit, Kinder und Jugendliche mit AD(H)S, Väterarbeit Postadresse .................. Enckevortweg 20, 10319 Berlin E-Mail ............................ [email protected] Internetadresse ............. www.budopaedagogen-berlin.de

HERMANN SCHWAMEDER Portrait .......................... Prof. Dr., Jg. 1962, seit 2010 Universitätsprofessor am Fachbereich Sport- und Be-

wegungswissenschaft der Universität Salzburg, Österreich, Leiter der AG Biome-chanik; von 2006-2010 Professor am KIT Karlsruhe, Deutschland

Arbeitsschwerpunkte .... Sportbiomechanik und klinische Biomechanik Postadresse .................. Interfakultärer Fachbereich für Sport- und Bewegungswissenschaft der Universität

Salzburg, Schlossallee 49, 5400 Hallein/Rif, Austria Telefon .......................... +43 662 80444859 E-Mail ............................ [email protected] Internetadresse ............. http://www.sportwissenschaft.uni-salzburg.at/spo/

MARIO STALLER Portrait .......................... Dr., Jg. 1982, Tactical Decision Marking Research Group, University of Liverpool,

Department of Psychological Sciences Arbeitsschwerpunkte .... Polizeiliches Einsatztraining, Pädagogik der Selbstverteidigung, Deeskalation, Ent-

scheidungsverhalten in (un-) bewaffneten Auseinandersetzungen Postadresse .................. Pfitznerstraße 3, 65193 Wiesbaden Telefon .......................... +49 151 22289759