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400 Acta chirurgica Austriaca 1988 Heft 4

Symposium der 6sterreichischen Gesellschaft fiir Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie

"Kieferorthop/idische Chirurgie"Bad Hofgastein, 21.-24. J/inner 1987 (Teil IIl)

0ber d i e Anf'finge d e r o r t h o p f i d i s c h e n

( o r t h o g n a t h e n ) C h i r u r g i e d e r K i e f e rR. Stiebitz, W i e n

Die Pionierzeit diese.s kieferchirurgischen Spe-zialgebietes fiillt in alas 1. Viertel unseres Jahr-hunderts. Als einsames Vor'zeichen in der Mitredes 19. Jahrhunderts kann die A_rbeit yonSimon Hullihen angesehen werden.1. [m Jahr 1848 fibernahm Simon Hullihen inWheeling (West-Virginia, USA) die operativeBehandlung einer jungen Frau, die dutch eineVerbrennung schwere Deformationen der Ge-siehts- und Halsregion erlitten hatte. E r l~stediese Aufgabe in mehreren Operationsschrit-ten , deren erster die operative Reposition desprotrudierten Alveolarfortsatzesim Frontzahn-bereich des Unterkiefers war. Dazu nahm ereine Segmentosteotomie mit keilf6rmigerOstektomiev o r u n dverwendete zur Retentioneine nach Modell angefertigte zahn/irztliehe Me-tallschiene. Hullihen ha t te sich ats Doktor derMedizin in einer Kleinstadt niedergelassen,praktizierte als Zahnar'zt und Kieferchirurg undg:rfindete ein Privatspital; ein Katalog seinerOperationen ist noch erhalten (2 ,3).Dutch die musterhafte Abwicklung des chirurgi-schen und zahn/irztlichen Behandlungsplans,die Anfertigung yon Modellen und zahn/irztli-chen Sehienungsbehelfen, eine Falldokumenta-tion dutch Modetle und Daguerrotypien (dieffir den Druck, dem damaligen Stand derTechnik entsprechend, allerdin~ noch in Holz-schnitteverwandelt werden muBten), weist sichHullihen als einer tier ersten Kieferchirurgen inmodemem Sinne aus. Seine noch ohne allgemei-ne An~isthesie vorgenommene Operation der al-veol/iren Protrusion kann als Beg,inn einer kie-ferorthopfidischen (orthognathen) Chirurgie an-gesehen werden, auch wenn es sieh bei diesemFall um eine traumatische Deformitht undkeine konstitutionelle Dysgnathie gehandelt ha t .2 . 1897 tieB sich F~lward AnEle: einer d e r Be-griinder tier modernen Kie ferorthop/idie, inSt. Louis nieder. Der dort ans~.ssige ZahnarztWhipple niitztedie Gelegenheit, ihm einen Pa-tienten mit Progenie vorzustellen. Angle en t -schied, dab hier keine orthop/idische, sondernnur eine chirurgische MaBnahme Erfolg ver-spreche. Auf d e r Suche nach einem Operateurstiei3 man auf V. P . Blair: einen 26j/ihrigen Arzt ,der als Instruktor fiir Anatomic am Medicaland Dental College eben mit Hilfe tines/ilterenKollegen begonnen hatte, in die chirurgischePraxis einzusteigen. Er nahm nach sorgfiiltigerBehandlungsplanung eine Osteotomie undOstektomie am Corpus mandibulae vor. Auf [das GefraBnervenbfindel wurde dabei keine IRficksicht genommen, zahnfirztliche Schienungs-behelfe kamen erst in der Nachbehandlung zurAnwendung. Trotzdem war das Operationser-[ebnis gut uhd erregtc allgemeines Aufsehen. t

Die beiden Zahn~r'zte Whipple und An~le be-richteten mehrfach fiber den Fall, der Opera-teur selbst schwieg. Er meldete sich erst 1906 zuW o n . Die Erkl~rung hief'fir ist wohl in seinenpersSnlichen Lebensumstiinden zu suchen (4).Er ha t te inzwischen als Schiffsarzt weite Reisenin die Tropen unternommen, ha t te abet auchdaran gedacht, die Medizin aufzugeben und insGesch/iftsleben einzusteigen. Nach seinerHeirat im Jahr 1907 begann er sich intensiv mitder Kiefer- und Gesichtschirurgie zu befassenund legte die Ergebnisse seiner Studien 1912 indem Buch "Surgery and Diseases of Mouth andJaws" vor. Im Zuge dieser Arbeiten ha t te erauch eine horizontale Osteotomie des Ramusmandibulae auf subkutanem Wege entwickeltund sic zur Behandlung der Mikrogenie ange-wandt.3 . W_P,abcok: Chirurg in Philadelphia, nahmeine horizontale Osteotomie des Ramus yoneinem fiuBeren Hautschnitt aus als Progenieope-ration vor. E r legte 1910 ein umfassendes, in dieZukunft weisendes Programm t-fir die kieferor-thopfidische Chirurgie vor, in dem e r auehschon operative Eingriffe an der Maxilla zurDiskussion stellte. 1911 war in Chicago durchdie Zusammenarbeit des Chirurgen Harsha mitdem Zahnarzt und Kieferorthop~iden Eisen-st~idt eine musterhafte Progenieoperation zu-standegekommen: exakte pr/ioperative Planungund Modelloperation, Osteotomie und Ostekto-mie im Corpus mandibulae mit Erhaltung desGef~iBnervenbfindels und intraoperativer Schie-nung.4 . Um die Jahrhundertwende waren auch aufdem europ/iischen Kontinent kieferorthop/idi-sche Operationen vorgenommen worden - yonAllgemeinchirurgen, ohne zahniirztliche Mitar-beit und bei Indikationen, die der rekonstrukti-yen Chirurgie noch n/iher standen als d e r or-thognathen im modernen Sinn. 1898 f~hrten 3a-boulay und B~rard (Lyon) eine einseitige Resek-tion des Capitulum mandibulae als Progenie-operation aus. Die beidseitige Resektion derCondylen wurde seit 1917 yon Dufourmentel aneiner grOBeren Fallzahl als Progenieoperationerprobt.Anton yon I~.iselsbe~(K6nigsberg, Wien)meinte 1906 auf G r u n d eigener Erfahrungen"dab der Unterkiefer bei abnormer Kleinheitsowie bei exxessiver GrSBe den plastisehen Ope-rationen:doppelte Keilresektion bei abnormerGr6Be, bajonettfSrmige Durchs/igung und Ver-l/ingerung bei Mikrognathie, gut zugiinglieh ist".Abet erst Eiselxber~,~ Sehiiler Hans Pichlerkonnte 1916 bei einer Progenieoperation mitOstektomie aus dem Corpus mandibulae chirur-gische und zahniirztliche Arbeit so wie seiner-zeit Hullihen wieder in einer Hand vereinigen.Bei der Diskussion dieses Falles wies Pichlerauch auf die Notwendigkeit einer operativen In-tervention im Oberkiefer hin, ffihrte sie aller-dings nicht aus.

Im gleichen Jahr 1916 crschien das Buch "OralSurgery" des amerikanischen Kieferchiru~enBroplay (1). Darin kann man gezeichneteDar-stellungen der Osteotomie des Ramus mit Ver-wendung yon Osteosyntheseplatten sehen. Derenglische Chirurg Arbuthnot I.ane ha t te kurzvorher die Plattenosteosynthese erfunden undauch yon der horizontalen Osteotomie desRamus gesprochen. Ob sic damals auch schonausgefiihrt wurde, ist nicht bekannt.5 . Die im Ersten Weltkrieggewonnenen Effah-rungen auf kieferchirurgischem Gcbiet f'fihrtendazu, dab aueh die Maxilla Gegeastand yonOsteotomien wurde. 1920 stellte der BerlinerZahnarzt Cohn-Stock eine Osteotomie des AI-veolarfortsatzes im oberen Frontzahnbereichvor, die er zweizeitig vorgenommen hatte. InZusammenarbeit mit dem Chirurgen I=ssergelang in einem zweiten Fall eine partielleObertdeferosteotomie auch einzeitig. MartinWassmund (Berlin) kam 1926/27 zur partiellenund totalen Mobilisation der Maxilla. WieHugo Obwe~escr bemerkte, kam bei den nachWa~smund operierten Fallen allerdin~ nochkeine sagittalc Verschiebung zustande. Wass-round legte 1935 in seinem Lehrbuch eine ziem-lich vollstiindige Darstellung aller bisher erar-beiteten kieferorthophdischen Operationenvor. Dazu geh6rten auch Formver~nderungendes Kinns.6 . Die derzeitige Form der Osteotomie andVerschiebung des Kinnsgeht wohl auf die vonHans Pithier im und nach dem Ersten Welt-krieg zu rekonstruktiven Zwecken praktiziertemuskul/ir gestielte Kaochenverschiebungspla-stik des Unterkiefers zuriick. Der Pichler-Schiiler Ot to Hofer stellte die Kinnverschiebe-plastik 1942 als Operation an der Leiche vor.Die seit 1931 gebriiuchliche Ferar6ntgentech-nik erleichterte kephalometrische Untersuchun-gen und liel~ vertiefteEinsichten in die Archi-tektur des Gesichtsschhdeis gewinnert. Diesund eine Reihe weiterer medizinischer und me-dizintechnischer Neuerungen fiihrten dazu, dabdie onhognathe Chirurgie ihren gegenwhrtigenStand erreichen und zu einem festen Bestand-tei/des kieferchirurgischen Operationspro-gramms werden konnte.

I .iteratur(1) Brophy, T . W.: Oral Surgery. London 1916.(2) Goldwyn, R.M., Hullihen, S. P.: Pionier,Oral and Plastic Surgeon. Plast.Reconstr. Surg.52 ,250 (1973).(3) Kelly, Burrages: American Medical Biogra-phies. Baltimore 1920.(4) Webster, J. P.: In memoriam Vilray PapinBlair 1871-1955. Plast.Reconstr. Surg. 18,83(1956).

Weitere Literatur siche Literaturangaben in:Reichenbach-KSlc-Briickl: Chirurgische Kiefer-orthop/idie. 2 . Auflage. Leipzig 1970.

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