ruf der höheren welten

Post on 10-Jan-2017

212 Views

Category:

Documents

0 Downloads

Preview:

Click to see full reader

TRANSCRIPT

Nr. 414

Ruf der Höheren Welten

Eine Körperlose erwacht

von Horst Hoffmann

Als Atlantis-Pthor, der durch die Dimensionen fliegende Kontinent, die Peripherieder Schwarzen Galaxis erreicht – also den Ausgangsort all der Schrecken, die derDimensionsfahrstuhl in unbekanntem Auftrag über viele Sternenvölker gebracht hat–, ergreift Atlan, der neue Herrscher von Atlantis, die Flucht nach vorn.

Nicht gewillt, untätig auf die Dinge zu warten, die nun zwangsläufig auf Pthor zu-kommen werden, fliegt er zusammen mit Thalia, der Odinstochter, und einer Gruppevon ausgesuchten Dellos die Randbezirke der Schwarzen Galaxis an und erreichtdas sogenannte Marantrone-rRevier, das von Chirmor Flog, einem Neffen desDunklen Oheims, beherrscht wird.

Dort beginnt für Atlan und seine Gefährten eine Serie von Abenteuern, die beinahetödlich ausgehen. Die ersten Stationen des gefahrvollen Weges sind unter anderemEnderleins Tiegel, der Schrottplanet, Xudon, der Marktplanet, und Gooderspall, dieWelt der Insektoiden.

Während Atlan und Thalia gegenwärtig wieder einmal von Verfolgern bedrängtwerden, blenden wir um zum Geschehen auf Pthor.

Dort erwacht eine Schläferin – und an sie ergeht der RUF DER HÖHEREN WEL-TEN …

Die Hautpersonen des Romans:Atlan und Thalia - Die beiden Pthorer in aussichtsloser Lage.Leenia - Eine Schläferin erwacht.Mod-Poluur - Ein Monstrum.Sator Synk - Der Orxeyaner hat Kummer mit Robotern.Heimdall - Der Odinssohn hält Atlan für einen Verräter.

Prolog

Auf Pthor herrschte die Ruhe vor demSturm. Die Ruhe – das war die Furcht derAtlanter vor der Reaktion derjenigen, die inder Schwarzen Galaxis die Macht hattenund früher oder später erscheinen würden.Das war die Untätigkeit, zu der die Odins-söhne und ihre Helfer verurteilt waren, wardie Qual, die der Gedanke an die Zukunfthervorrief, war das Gefühl, sich versteckenzu müssen, wo es keine Verstecke gab. Dennniemand zweifelte daran, daß es gegen dieerwarteten Invasoren aus dem dunklen Ster-nennebel, dessen schreckliche Aura selbstbis hierher zu spüren war, wo Atlantis zwi-schen den vorgelagerten Mikrogalaxien undder Schwarzen Galaxis gestrandet war, kei-ne Gegenwehr geben würde. Der Sturm –das war jener Angriff, mit dem nun seit Wo-chen bereits stündlich gerechnet wurde. Invielen Teilen des Dimensionsfahrstuhls kames zu Unruhen. Die Odinssöhne hatten alleMühe, die vor Angst halb verrückten Stäm-me im Westen zu beruhigen. Sie standen al-lein da. Atlan, der für fast alle Pthorer zu ei-ner Symbolfigur geworden war, dem sie dieBefreiung vom Joch der Unterdrücker zuverdanken hatten, war mit einem Organ-schiff in Richtung Schwarze Galaxis aufge-brochen. Seitdem hatte niemand mehr etwasvon ihm und Thalia gehört. Die Stimmenmehrten sich, die Atlan als Verräter be-schimpften, der sich rechtzeitig abgesetzthatte, bevor Atlantis unterging.

Eigentlich glaubte niemand mehr an At-lans Rückkehr. Diejenigen, die seine Motivefür den Flug ins Ungewisse kannten, gabenzwar nicht alle Hoffnung auf einen Erfolgauf, aber der Zweifel überwog. Atlan war al-

lein gegen eine Macht, von der sich niemandauch nur die entfernteste Vorstellung ma-chen konnte. Ob Atlan nun als Verräter oderals ein Held angesehen wurde, der sein Le-ben aufs Spiel setzte, um soviel wie möglichüber die Verhältnisse in der Schwarzen Ga-laxis herauszufinden – er war verschollen.Atlantis war ohne König, ohne eine Figur,zu der man aufsehen konnte. Man war al-lein, wartete, und lebte in Angst.

Dies war Pthor – eine Welt für sich, überdie sich das Leichentuch des Schweigens ge-legt hatte. Und dies war die Situation, in derirgendwo in der Nähe der Senke der Verlo-renen Seelen ein Wesen aus einem langenSchlaf erwachte, das ebensowenig wie Atlanvon Atlantis stammte.

Es hatte den Ruf gehört – den Ruf derHöheren Welten. Und es wußte, daß die Zeitder Passivität nun vorbei war, denn mit demRuf war die Erinnerung an jene zurückge-kehrt, die es hierher geschickt hatten – undan den Auftrag, den es in ihrem Namen aus-zuführen hatte.

1.Leenia/Wommser – Erwachen

Die Felsenhöhle lag am Rand eines dervielen kleinen Hügel in einem dicht bewal-deten Gebiet zwischen der Senke der Verlo-renen Seelen und dem Dämmersee. Sie warnicht groß, doch dem Wesen, das in ihr lag,genügte sie.

Leenia ruhte auf einem einfachen Lageraus Stroh. Alles, was sie besaß, war derleicht strahlende rote Anzug, der ihren Kör-per bis zum Hals und den Händen wie einezweite Haut umschloß. Die Energieglockeüber der jungen Frau war kaum zu erkennen.

Leenia schlief. Mehr noch: sie befand sich

Ruf der Höheren Welten 3

in einem Zustand zwischen Sein und Nicht-sein. Das gleiche galt für Wommser, jenesWesen, das aus einem für Menschen unbe-greiflichen gegenseitigen Einwirken vonNormal und Antimaterie entstanden war.Die Bewußtseine von Wommser und Leeniawaren zu einer Einheit verschmolzen. Wieein Magnet hatte das artgleiche WesenWommser angezogen und in sich aufgenom-men, als der Dimensionssymbiont sichschon dem sicheren Tod gegenübergesehenhatte. Nun hatte er ein neues Leben gefun-den. Für ihn stellte es die dritte Stufe seinerEvolution dar, von der er nicht wußte, wannund wie sie einmal enden würde.

Darüber konnte Wommser sich gegenwär-tig allerdings keine Gedanken machen. SeinBewußtsein war wie das von Leenia ausge-schaltet, bis der Ruf der Höheren Welten anLeenia ergehen würde.

So lag das Doppelwesen in einer todes-ähnlichen Starre, bis zu jenem Tag, an demder Anzug stärker zu strahlen begann. Blitzedurchzuckten das Innere der Höhle, so grell,daß ein Mensch innerhalb von Sekunden-bruchteilen erblindet wäre. Dann, nach fasteiner Minute, wurde es dunkel. Draußen wares Nacht, und als auch das Leuchten des An-zugs verebbte, war für mehrere Minutennichts in der Höhle zu erkennen – bis Leeni-as Augenlider violett zu schimmern began-nen.

Unendlich langsam richtete Leenia sichauf. Noch immer waren die Augen geschlos-sen, und weiterhin verstärkte sich ihr unterder Haut hervordringendes Leuchten. Unbe-kannte Energien wirkten im Körper desDoppelwesens – Energien, die nicht von die-ser Welt waren.

Plötzlich stieß die Frau einen marker-schütternden Schrei aus und stürzte seitwärtszu Boden. Ihr Körper bäumte sich wie unterfurchtbaren Schmerzen auf. Leenia wimmer-te und zitterte. Das Leuchten ihrer Augenverschwand. Wieder breitete sich Dunkel-heit in der Höhle aus.

Nur Leenias Schluchzen war zu hören.Sie, die sich bisher nur telepathisch hatte

mitteilen können, stieß einen letzten ver-zweifelten Schrei aus:

»Es geht nicht, Wommser! Wir habenversagt!«

Der rote Anzug begann zu glühen, und dieSchutzglocke baute sich wieder über derFrau auf, als diese das Bewußtsein verlor.

Doch die Komponente Wommser warwach. Wommser konnte nichts anderes tun,als zu versuchen, Leenias Leben zu erhalten.Ungeheure psionische Energien flossen vonihm zur Mentalpartnerin über und speistendie immer schwächer werdende Lebensflam-me.

*

Als Leenia sich wieder zu rühren begann,war es hell. Selbst hier, weitab von jederSonne, herrschte der gewohnte Rhythmusvon Tag und Nacht auf Pthor. Der Wölb-mantel spendete tagsüber das Licht, ohnedas jedes Leben auf Atlantis in Situationenwie der jetzt gegebenen zum Untergang ver-urteilt wäre. Er garantierte also in zweierleiHinsicht die Sicherheit der Pthorer – dochfür Leenia wirkte er verhängnisvoll.

Du darfst nicht aufgeben, hallte Womm-sers telepathischer Ruf in ihrem Bewußtsein.Du hast nicht versagt. Irgend etwas hindertuns daran, zu entmaterialisieren und Kon-takt zu unseren Welten aufzunehmen. Wirwurden zurückgeworfen, nachdem wir unsbereits von hier gelöst hatten.

Sekunden des Schweigens. Wommserspürte, wie die Mentalpartnerin neue Energi-en aufbaute – im gleichen Maß, wie dasLeuchten des Anzugs abebbte. Was bishernur hatte Vermutung sein können, war nunzur Gewißheit geworden, nachdem Leeniaund mit ihr Wommser einen Großteil ihrerErinnerungen wiedererlangt hatte. Es warder Anzug, der die Energien aus einem über-geordneten Kontinuum zapfte. Doch auch erwar nicht in der Lage, den Wölbmantel überPthor zu durchdringen. Leenias bange Frage:

Wir waren entmaterialisiert?Und ohne Zeitverlust zurück, kam es von

4 Horst Hoffmann

Wommser.Wieder das Schweigen. Es bedurfte nicht

vieler Fragen zwischen den beiden Bewußt-seinskomponenten von Leenia und Womm-ser. Sie bildeten eine Einheit. Jeder der Part-ner wußte, was der andere dachte. Aus derVereinigung war etwas Neues entstanden,und Leenia hatte eine neue Fähigkeit erhal-ten: Sie war nun imstande, zu entmateriali-sieren und an anderem Ort wieder stofflichzu entstehen. Vielleicht war es nur der Ver-einigung mit Wommser zu verdanken, daßdas, wozu sie von ihren Artgleichen nachPthor gebracht worden war, tatsächlich ein-getreten war. Leenia hatte nicht nur körperli-che Form annehmen können – jenseits derfür Wesen ihrer Art todbringenden Aura derSchwarzen Galaxis –, sondern sie war nunfähig, von einem Medium ins andere über-zuwechseln. Damit war das erreicht worden,worauf die Körperlosen jahrtausendelanghingearbeitet hatten. Zum erstenmal, soschien es nun, war eine von ihnen in der La-ge, körperlich innerhalb der Aura derSchwarzen Galaxis zu existieren, denn dieseAura reichte bis hierhin, wo Pthor zum Still-stand gekommen war. Leenia spürte sie. Siebereitete ihr Schmerzen, aber sie konnte dar-in leben.

Sie hätte Triumph empfinden müssen,denn dies bedeutete nichts anderes, als daßsie tatsächlich zur Weltenspringerin gewor-den war. Sie würde jederzeit in der Schwar-zen Galaxis selbst im Sinne ihres Volkeskörperlich aktiv werden können. Doch dazubrauchte sie Anweisungen, die sie nur in ih-rer Daseinsebene erhalten konnte – in derEbene der Höheren Welten.

Und der Weg dorthin war ihr verbaut.Noch einmal stellte Leenia sich die Frage,was sie daran hinderte, zu den Artgleichenzu gelangen, und unter Abwägung aller Fak-ten kam sie wie Wommser zu dem Schluß,daß es tatsächlich der Wölbmantel überPthor war, der sie am Verlassen des Dimen-sionsfahrstuhls und am überwechseln in dieübergeordneten Kontinua hinderte.

Wir müssen es noch einmal versuchen!

drängte Leenia. Panik und Verzweiflung be-mächtigten sich ihrer. Wommser hatte Mü-he, stabilisierend auf sie einzuwirken.

Es hat keinen Sinn. Diesmal würden mei-ne Kräfte nicht ausreichen, um dich zu ret-ten. Wir würden beide sterben.

Aber mein Volk! Es wartet auf mich. Ichhabe den Ruf gehört. Mein Volk weiß, daßich hier bin! Die Arbeit von Jahrtausendendarf nicht umsonst gewesen sein. Ich mußmeinen Auftrag ausführen!

Der Auftrag. Leenia wußte, daß sie einenAuftrag zu erfüllen hatte, doch wie dieserkonkret aussah, war ein Teil jenes Wissens,das noch nicht an die Oberfläche ihres Be-wußtseins vorgedrungen war.

Einst hatte ihr Volk, hatten die Körperlo-sen von den Höheren Welten das Gute in derSchwarzen Galaxis verkörpert, bis sie vonden Dunklen Mächten regelrecht verdrängtwurden. Es gab für sie keine Möglichkeitmehr, körperlich in der Schwarzen Galaxisund deren Umfeld existent zu werden.

Deshalb entwickelten sie einen Langzeit-plan, um dieses Ziel sozusagen auf Umwe-gen zu erreichen – das Ziel, wieder Einflußauf die Schwarze Galaxis zu nehmen unddort positiv zu wirken. Leenia war das Er-gebnis einer Konzentration von Energien,wie sie selbst in der langen Geschichte derKörperlosen einmalig war. Dann, als wiederein Dimensionsfahrstuhl die Schwarze Gala-xis verließ, war es gelungen, Leenia aufPthor zu placieren. Dies alles wußte Leeniajetzt, nachdem der Ruf an sie ergangen war –bis auf eines. Sie kannte das Geheimnis ihrerHerkunft nicht. Leenia war in ihrem Selbst-verständnis eine der Körperlosen, allerdingsmit Fähigkeiten versehen, die ihren Artge-nossen fehlten. Als solche sollte sie mitPthor in die Schwarze Galaxis eindringenund Kontakt mit den Ihren aufnehmen, so-bald Atlantis dorthin zurückkehrte.

Es muß einen Weg geben!Immer noch stand Leenia unter dem

Schock.Vielleicht, kam es von Wommser.Ebenso wie Leenia wußte er, daß Pthor

Ruf der Höheren Welten 5

vor der Schwarzen Galaxis festhing – dieseInformation war Teil des Rufes gewesen.Was war der Grund? War etwa sie, Leenia,der Hemmschuh? War es möglich, daß diefinsteren Mächte sie »geortet« und Pthordeshalb kurz vor dem Ziel gestoppt hatten?

Welche Möglichkeit? fragte Leenia fle-hend.

Die Struktur des Wölbmantels muß so be-schaffen sein, daß er undurchlässig für jeneEnergieform ist, als die wir versuchten, zuunseren Welten zu gelangen. Wommser»sprach« von den Höheren Welten, die erniemals gesehen hatte, schon wie von seinerHeimat. Ich sehe nur eine Möglichkeit. Wirmüssen ihn körperlich durchdringen, umdann einen weiteren Versuch zu wagen.

Womit? kam Leenias Frage.Wommser dachte an die Zeit zurück, als

er in Kolphyr herangewachsen war und andie späteren Begegnungen mit dem Bera undseinen Freunden Atlan und Razamon. Dievon ihnen erhaltenen Informationen gabennicht allzu viel her. Zwar hatte er nach sei-ner Vereinigung mit Leenia mit ihr zusam-men noch einmal versucht, zur FESTUNGzu gelangen, aber dieses Vorhaben war ge-scheitert.

So wußte Wommser nichts über die der-zeitigen Verhältnisse auf Pthor. Er wußtenicht, daß Atlan und Thalia Atlantis verlas-sen hatten, daß Razamon verschollen warund daß es nur ein einziges Schiff gab, dasFlüge in den Weltraum gestattete – dieGOL'DHOR. Zugors schieden von vornehe-rein für Leenia/Wommsers Zwecke aus,denn Leenia besaß keinen Raumanzug, undweder sie noch Wommser wußten, ob ihrKörper im Vakuum des Alls überlebenkonnte. Leenia signalisierte Zustimmung, alsWommser seine Bedenken äußerte. Sie wardarauf angewiesen, sich wie eine normale»Körperliche« zu ernähren. Ihr Stoffwechselglich dem ihren. Also bestand auch einegroße Wahrscheinlichkeit dafür, daß sieSauerstoff zum Leben brauchte.

Wir müssen suchen, dachte Wommser.Hier werden wir nicht viel finden können.

Wir müssen zur FESTUNG. Dort laufen alleFäden zusammen. Atlan wird uns helfen.

Atlan …Leenia kannte ihn nur aus Wommsers Er-

innerungen. Der einzige Mensch, dem siebisher begegnet war, und der nicht zu jenengehörte, die aus der Senke der VerlorenenSeelen geflohen waren und die Gegend unsi-cher machten, war ein Mann gewesen, dersich Lebo Axton genannt hatte. Leenia fühl-te, daß er nicht von Pthor stammte. Viel-leicht war er sogar ein Freund Atlans. Solltedies so sein, würde er ihr eine große Hilfesein können, denn Atlan kannte sie ja nicht.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor war der,daß Wommser sich nicht im klaren darüberwar, welche Rolle Atlan inzwischen spielte.Hatte er sich endgültig mit den Odinssöhnenarrangieren können, oder war die latente Ri-valität, wie Wommser sie in Erinnerung hat-te, offen zutage getreten?

Und noch etwas anderes beunruhigte Lee-nia:

Sie wußte, daß Wommser an Atlan hing,an dem Mann, den sie nicht kannte, aber fürden sie unterschwellig bereits die gleicheSympathie empfand wie Wommser. Womm-ser erinnerte sich mit Hochachtung an denMann, dessen Auftauchen auf Pthor schließ-lich zum Sturz der Herren der FESTUNGgeführt hatte.

Atlan verfolgte das Ziel, die DunklenMächte in der Schwarzen Galaxis unschäd-lich zu machen, und Wommser vermittelteLeenia einen Eindruck von der Kompromiß-losigkeit dieses Mannes.

Zwei Parteien versuchten, Einfluß auf dieSchwarze Galaxis zu nehmen – die Körper-losen und Atlan mit seinen Freunden.

Was nun, wenn sie sich dabei gegenseitigin die Quere kamen? Was, wenn Leenia ei-nes Tages gezwungen sein müßte, gegen At-lan zu kämpfen? Worin bestand ihr Auftrag?Was sollte sie in der Schwarzen Galaxis aus-richten? Dutzende quälender Fragen undkeine Antwort. Es hat keinen Sinn aufzuge-ben! mahnte Wommser. Zögernde Zustim-mung – und Angst. Leenia erinnerte sich nur

6 Horst Hoffmann

zu gut an den ersten Versuch, zur FE-STUNG zu gelangen, wo Wommser damalsKolphyr vermutet hatte, zu dem es ihn im-mer noch zog. Auf jener Fahrt war der An-zug, den Leenia trug, zum erstenmal aktivgeworden. Fast wäre sie von ihm ersticktworden, bevor sie die rettende Höhle er-reichte. Seitdem war er ihr fast unheimlich.

Wir brauchen ein Fahrzeug, kam es vonWommser.

Leenia gab sich einen Ruck. Sie signali-sierte ihr Einverständnis.

Wie schon einmal, würde sie ihr Glückwieder in der Senke der verlorenen Seelenversuchen. Dort sollte es noch Tores odersogar Zugors geben.

Leenia verließ die Höhle und wußte, daßes diesmal keinen Weg zurück mehr gebenwürde. Immer wieder tauchten dieSchreckensbilder ihrer letzten Fahrt vor ih-rem geistigen Auge auf.

Leenia erinnerte sich auch an die schwar-zen Scheiben, die plötzlich überall aufge-taucht waren, und die sie nur mit aller ihrzur Verfügung stehenden psionischen Ener-gie hatte zerstören können. Natürlich konntesie nicht ahnen, daß es sich um Roboter ge-handelt hatte, die von Gynsaal aus gesteuertworden waren – von jenem Gynsaal, das At-lan längst unschädlich gemacht hatte.

So mußte sie fürchten, den Scheiben wie-der zu begegnen, und was noch schlimmerwar: Sie mußte annehmen, daß diese von derFESTUNG aus gesteuert wurden.

Leenia trat den Weg ins vollkommen Un-gewisse an.

2.

Am nördlichen Ufer des Regenflusses –der Sitz des Zentrums Mod-Poluur Rund 200000 Wesen unterschiedlichster Herkunft hat-ten sich in den Tiefschlafkammern der Glas-paläste befunden, als Pthor auf der Erde ma-terialisierte und Atlans Odyssee begann. In-zwischen waren viele Tausende von ihnennach ihrer Wiedererweckung umgekommen– jene Bedauernswerten, die als lebende Ga-

lionsfiguren der Organschiffe in der Schwar-zen Galaxis fungieren sollten.

Ein Großteil war geflüchtet und qualvollzugrunde gegangen. Andere hatten sich inden Wäldern niedergelassen und fristetenein erbärmliches Dasein. Glücklich warenjene, die von den Dellos in das vielschichti-ge Staats und Sozialgefüge von Atlantis in-tegriert werden konnten. Doch das waren diewenigsten. Die meisten Schläfer waren um-gekommen, weil sie in der »neuen« Umge-bung nicht leben konnten oder von Piratenentführt und getötet worden waren, die hier,überall an den Ufern des Regenflusses, rei-che Beute zu machen hofften.

Wer in der Wildnis überleben wollte,mußte sich mit anderen zusammentun, undso entstanden die ersten Banden. Nur dasGesetz des Stärkeren zählte. Die Schläfer,die den Dellos entkommen waren, suchtenSchutz und bezahlten dafür.

Mod-Poluur war einer derjenigen, die sol-chen Schutz gewährten. Wer zu ihm stießund sich ihm unterordnete, war ihm bedin-gungslos ausgeliefert – er verkaufte Lebenund Seele an das Wesen, das einem Alp-traum entsprungen zu sein schien und sichselbst als »Zentrum« bezeichnete.

Mod-Poluur residierte in einer von seinenersten Anhängern eigens für ihn ausgehobe-nen Bodenmulde. Sie war etwa drei Metertief und hatte einen Durchmesser von knappfünf Metern. Über die Mulde war ein dichtesNetz gespannt, das Mod-Poluur selbst ausDrüsensekret gesponnen hatte. Niemandkonnte ihn sehen. Selbst seine engsten Ver-trauten wußten nicht, wie das Zentrum aus-sah. Diejenigen, die die Mulde ausgehobenhatten, bevor Mod-Poluur sich in sie zurück-zog, waren tot.

Das einzige, was vom Zentrum an dieOberfläche ragte, waren neun ständig pulsie-rende Kugeln von etwa einem halben MeterDurchmesser. Sie ragten wie Ballonpilzerund um die Mulde aus dem Boden. Nie-mand wußte, wozu sie dienten. Vielleicht at-mete das Zentrum damit, vielleicht handeltees sich um Sinnesorgane des unter dem un-

Ruf der Höheren Welten 7

durchsichtigen Netz verborgenen Hauptkör-pers – es interessierte niemanden. Diejeni-gen, die neugierig geworden waren, lebtennicht mehr. Zu der Zeit, als Leenia ihre Höh-le verließ und sich auf den Weg zur Senkeder verlorenen Seelen machte, hatte dasZentrum 37 Extremitäten, wie es seine An-hänger nannte. Sie hatten sich ihm alle aufGedeih und Verderb ausgeliefert. Das Zen-trum gewährte ihnen auf eine Art und WeiseSchutz, die sie nicht begreifen konnten. Wersich in der Nähe des Zentrums aufhielt, hattekeine Gefahr zu fürchten. Anders war es,wenn eine Gruppe, die immer aus drei We-sen bestand, ausgeschickt wurde, um entwe-der neue Extremitäten für Mod-Poluur zugewinnen oder weitere Gebiete von»unerwünschtem Leben« zu säubern. Denndas, was das Zentrum besaß, reichte seinerMachtgier nicht aus. Seine Anhänger, die al-le Befehle nur auf telepathischem Weg er-hielten, folgten den entsprechenden Anwei-sungen nur zu gern, auch wenn sie wußten,daß sie bei jeder Mission den Tod findenkonnten. Wenn sie starben, dann für dasZentrum und für die Vollkommene Gemein-schaft, die es anstrebte.

Es war Nacht auf Pthor, als Mod-PoluurChron-Kehr, Rhek-Moyn und Zkeh-Noh zusich rief. Die drei ehemaligen Schläfer er-schienen nur Minuten später am Rand derMulde, wo eine der Kugeln von innen her-aus grünlich leuchtete. Sie tauchte die un-mittelbare Umgebung in fluoreszierendesLicht.

»Wir sind hier, Meister«, zischte Chron-Kehr.

Ihr werdet eines unserer Fahrzeuge neh-men und sofort aufbrechen, lautete die Ant-wort des Zentrums. Es ist Leben in unsererNähe – wertvolles Leben für uns. Eure Auf-gabe ist es, es zu mir zu locken.

»Wir können die Eindringlinge fangen«,sagte Rhek-Moyn.

Im nächsten Augenblick bäumte er sichvor Schmerzen auf und sank bewußtlos zuBoden.

Niemand außer mir hat dazu die Macht!

Es ist nur ein Eindringling. Brecht auf undführt ihn zu mir.

»Wie sollen wir ihn finden?« fragteChron-Kehr. »Und wie sollen wir ihn zu dirbringen können, wenn nur du Macht überihn hast?«

Ihr werdet ihm sagen, daß er alles beiuns finden wird, was er für den Weg zur FE-STUNG braucht. Der Zugor wird der Ködersein.

Das war das letzte, was das Zentrum vonsich gab. Chron-Kehr und Zkeh-Noh pack-ten den noch bewußtlosen Rhek-Moyn undschafften ihn ins Lager, in dem Wesen un-terschiedlichster Art versammelt waren.

Sie wußten, daß ihr Leben von der Erfül-lung des Auftrags abhing.

Rhek-Moyn hatte gefrevelt. Vom Erfolgder Mission hing es ab, ob er und seine Ras-segefährten weiterhin im Schutz des Zen-trums leben konnten.

Chron-Kehr machte einen der von denDellos erbeuteten Zugors startbereit, wäh-rend Rhek-Moyn von Zkeh-Noh zur Besin-nung gebracht wurde.

Diesmal hatte es sie getroffen, die dreiEchsenabkömmlinge aus einer Galaxis, diebereits mehrere Male von Pthor heimgesuchtworden war.

Als Chron-Kehr zurückkam, um seine Be-gleiter zu holen, starrte er einige Minutenlang in die Feuer, um die herum die anderen,artfremden Extremitäten saßen oder schlie-fen. Er dachte an seine Heimat. Die Erinne-rung daran war nur noch sehr vage, aber denNamen des Planeten, auf dem er geborenworden war, würde er niemals vergessen.

Topsid.Chron-Kehr, Rhek-Moyn und Zkeh-Noh

waren Topsider. Jahrtausende bevor ihreNachkommen zum erstenmal auf Terranerund auf einen Mann namens Perry Rhodangestoßen waren, waren sie von den Hordendes über ihre Heimatwelt hereinbrechendenAtlantis verschleppt worden.

Die Erde war nicht der einzige Planet derMilchstraße, auf dem Pthor materialisiertwar.

8 Horst Hoffmann

Rhek-Moyn kam zu Bewußtsein.Die drei Topsider brachen auf.Irgendwo am Nordufer des Regenflusses

würden sie den Eindringling finden. Er kamaus der Richtung des Dämmersees.

Das hatte Mod-Poluur in ihr Unterbe-wußtsein projiziert – ebenso wie die Merk-male, an denen sie den Eindringling erken-nen sollten.

*

Leenia wählte nicht den direkten Weg zurSenke, sondern bewegte sich am Ufer desRegenflusses entlang in östlicher Richtung.In den Wäldern zwischen dem Hügelgebietund der Senke wimmelte es von verspreng-ten Nichtpthorern. Hier am Ufer war das Ge-lände übersichtlicher. Leenia nahm den Um-weg in Kauf.

Bis zu den ersten Glaspalästen waren esmehr als fünfzig Kilometer. Insgeheim hoff-te Leenia darauf, einem Trupp Dellos zu be-gegnen, die um die Senke herum patrouil-lierten. Immer wieder mußte sie an die Be-gegnung mit Lebo Axton zurückdenken.Auch er war von Dellos eingefangen wor-den.

Doch als die Dämmerung hereinbrach,war Leenia keinem einzigen Wesen begeg-net – von den kleinen Tieren, die im hohenGras und in den Büschen lebten, abgesehen.

Fast wirkte die Ruhe beängstigend. Oft-mals blieb Leenia stehen und lauschte. Siesah sich um, aber die Gegend war verlassen.Nur das Rauschen des mächtigen Flussesund die Schreie vorüberziehender Vögel wa-ren zu hören. Und doch hatte Leenia das Ge-fühl, beobachtet zu werden.

Es ist nichts, versuchte Wommser sie zuberuhigen. Wir müssen weiter und einen Ru-heplatz für die Nacht suchen.

Es wurde nun schnell dunkler. Währendsie weiterging, blickte Leenia immer wiederzum Himmel auf. Sie sah den Wölbmantelüber Pthor, doch sie wußte, daß draußen,Lichtjahre entfernt, die dunklen Sterne derSchwarzen Galaxis matt leuchteten. Sie hat-

te sich mittlerweile an die Aura gewöhntund nahm sie kaum noch wahr. Dennoch fieles ihr schwer, sich auf den Weg zu konzen-trieren.

Als Leenia eine ihr geeignet erscheinendeStelle zum übernachten fand, hatte sie etwadie Hälfte ihres Weges zurückgelegt. Siewar ein Stück landeinwärts marschiert undhatte wieder leicht hügeliges Gebiet gefun-den. In einer kleinen Senke zwischen zweiErhebungen legte sie sich ins hohe Gras.Schlaf brauchte sie nicht, aber sie wolltekein Risiko eingehen. Bald mußte sie denRegenfluß endgültig verlassen und nachNorden gehen. In der Dunkelheit fiel dieOrientierung schwer, und außerdem wußteLeenia nicht, ob sie einen heimtückischenAngriff überleben würde. Wenn auch ihrKörper nur eine Hülle war, konnte sie nichtsicher sein, daß sie in ihrer jetzigen Zu-standsform hier auf Pthor ohne ihn überle-ben konnte – als ein Wesen aus reiner Ener-gie.

Leenia lag mit offenen Augen im Grasund versuchte weitere Erinnerungen zutagezu bringen – vergeblich. Das Verlangennach der Rückkehr zu den Ihren wurde umso stärker, je mehr sie sich auf die HöherenWelten konzentrierte. Leenia war immernoch in ihren Träumen gefangen, als sie dasMaschinengeräusch hörte.

Es kam aus der Luft. Leenia richtete sichauf und sah die Lichter am Himmel. Sie nä-herten sich. Das Fahrzeug, zu denen sie ge-hörten, setzte zur Landung an.

Ein Zugor! meldete sich Wommser. Dasist unsere Chance! Man hat uns entdeckt.Ein kurzes Zögern, dann fügte er hinzu:Vielleicht Dellos, die uns zur FESTUNGbringen könnten. Vielleicht sind es aberauch Piraten oder ehemalige Schläfer, dieden Zugor erbeutet haben. Wir müssen vor-sichtig sein, Leenia.

Ja, Wommser.Die Frau im roten Anzug stand nun hoch-

aufgerichtet da und wartete, bis die Schein-werfer das Gelände in Helligkeit tauchten.Der Zugor landete zehn Meter von ihr ent-

Ruf der Höheren Welten 9

fernt. Leenia war bereit, beim geringstenAnzeichen von Gefahr zuzuschlagen. Nurvage war das violette Flimmern zu erken-nen, das ihre Augen umspielte.

Noch bevor Chron-Kehr ausstieg und sieansprach, wußte Leenia, weshalb er und sei-ne beiden Begleiter gekommen waren. Dochihre telepathischen Fähigkeiten reichtennicht aus, um die ganze Wahrheit zu erken-nen. Nur besonders stark ausgeprägte und ansie gerichtete Gedanken konnte sie klarempfangen. So blieb die Absicht der Frem-den vage. Sie waren hier, um Leenia mitdem Fahrzeug als Köder zu fangen, um siezu ihrem Herrn zu bringen. Mehr »sah« Lee-nia nicht.

So kam es, daß sie im Gefühl der eigenenÜberlegenheit in die Falle ging. Für sie wardas Fahrzeug wichtig. Es ersparte ihr denWeg zur Senke der verlorenen Seelen. Undwo sich eine flugfähige Maschine befand,konnte es noch weitere geben – vielleichtsogar einen Hinweis auf raumtüchtige Fahr-zeuge. In einer anderen Situation hätte Lee-nia sich die Frage gestellt, woher die Frem-den wußten, was sie so dringend brauchte.Sie wäre vorsichtiger gewesen und hätte ver-sucht herauszufinden, wer ihr Herr war.Doch die sich so unverhofft bietende Mög-lichkeit und die jähe Hoffnung, schneller alserwartet zu ihrem Volk gelangen zu können,machten sie unvorsichtig. Wommserschwieg. Immer noch war Leenia überzeugtdavon, jeden Gegner, der sich ihr offen stell-te, besiegen zu können. Sie hätte die dreiFremden schon jetzt töten und ihr Fahrzeugnehmen können, doch sie erhoffte sich mehrdavon, in ihr Lager zu gelangen. Hatte sieeine Garantie dafür, daß man ihr in der FE-STUNG wirklich helfen würde?

Der Topsider stand breitbeinig vor Lee-nia. Er hatte die Hand am Griff einer schwe-ren Strahlwaffe.

Es ist gut, dachte die Frau an ihn gerich-tet. Ich komme mit euch.

Chron-Kehr zuckte zusammen. Noch hat-te er kein Wort gesprochen.

Ich komme mit, bekräftigte Leenia. Gehen

wir.Der Topsider verstand die Welt nicht

mehr. Hinter der »Gefangenen« her bestieger den Zugor und startete ihn.

Wommser? fragte Leenia, als sich derMentalpartner immer noch nicht meldete.

Ich bin beunruhigt, kam es zurück. Diedrei sind nur Ausführende. Der Drahtzieher… ich kann ihn nicht erfassen.

Irgendein Bandenchef, dachte Leenia, diemit ihren Gedanken wieder in gänzlich an-deren Räumen weilte. Ich werde mit ihm fer-tig.

Skepsis von Seiten des Dimensionssymbi-onten. Wieder das Gefühl, beobachtet zuwerden, aber nicht von den drei Echsenab-kömmlingen, und nicht von irgendwelchenin der Gegend herumstreunenden Exoten.

Wommser zog sich in sich selbst zurück.Er kapselte sich ab. Leenia spürte es zwar,aber sie war viel zu sehr in ihre Sehnsuchtnach den Artgleichen versunken, um jetztauf den Partner einzugehen.

Wommser spürte es, und er beschloß ab-zuwarten.

Der Zugor jagte in östlicher Richtungdurch die Nacht, bis die Feuer des Lagers zusehen waren.

*

Nun, als Leenia sah, wie viele Exoten umdie Feuer herumsaßen, begann sie unsicherzu werden. Wenn sie alle gleichzeitig übersie herfielen, hatte sie kaum eine Chance.Doch die ehemaligen Schläfer sahen sie nurneugierig an. Niemand rührte sich. Unddoch hatte Leenia das Gefühl, als ob sie allenur auf etwas warteten, auf ein Zeichen viel-leicht oder auf den Auftritt ihres Herrn.

Leenia versuchte, ihre Gedanken aufzu-fangen – vergeblich. Jetzt fiel es ihr auchimmer schwerer, die Gefühlsströme der dreiEchsen wahrzunehmen. Irgend etwas lähmteihre Sinne, etwas, das ganz nahe und dochunerreichbar zu sein schien.

Leenias Unruhe wuchs. Doch sie wußte,daß sie den einmal beschrittenen Weg zu

10 Horst Hoffmann

Ende gehen mußte. Flucht hatte keinen Sinn.Leenia sah weitere Zugors im Licht der Feu-er. Sie könnte die Echsen unschädlich ma-chen und mit dem Fahrzeug zu entkommenversuchen, doch die anderen würden ihrschnell auf den Fersen sein, und es konntekein Zweifel daran bestehen, wer mit denZugors besser umgehen konnte – sie oderdie mit ihnen vertrauten Bandenmitglieder.

Die Echsen standen wie versteinert umLeenia herum. Auch sie warteten. Leeniahatte keine Lust, untätig zu bleiben, bis dergroße Unbekannte sich zeigte.

Bringt mich zu eurem Herrn! forderte sieChron-Kehr auf. Wieder zuckte der Topsiderheftig zusammen, als er die lautlose Stimmein seinem Bewußtsein vernahm. Die Fremdesprach auf die gleiche Weise zu ihm wie dasZentrum.

Chron-Kehr wußte nicht, wie er reagierensollte. Auch Rhek-Moyn und Zkeh-Nohwurden unruhig. Warum meldete sich dasZentrum nicht? Warum ließ der Meister sei-ne Untergebenen warten?

Sicher hatte er seine Gründe. Chron-Kehrverscheuchte die Unsicherheit. Der Meisterstand hinter ihm. Seine Macht war unbe-grenzt. Was hatte Chron-Kehr schon vondieser Fremden zu befürchten?

»Das Zentrum allein entscheidet, wann duzu ihm gebracht wirst«, zischte der Topsi-der, nicht sicher, ob die Stimme ihn auchverstehen würde. Doch schon war wiederdie Stimme in seinem Kopf:

Ich will ihn jetzt sehen!»Schweig!« fuhr Chron-Kehr Leenia an.

Ganz kurz blitzte es in den Augen der Frauauf, dann hatte sie sich wieder unter Kon-trolle. Es hatte keinen Sinn, aus purem Zorneinen der Exoten zu töten. Es mußte einenWeg geben, den Bandenchef aus der Reser-ve zu locken und ihn dazu zu bringen, ihr zugeben, was sie brauchte. Inzwischen hatteLeenia die Illusion fallengelassen, hier so et-was wie ein Raumfahrzeug zu finden. Sieschalt sich eine Närrin, weil sie so törichtgewesen war und sich von ihren Hoffnungenund Wünschen hatte leiten lassen. Sie mußte

ihre Welten und ihr Volk vergessen, bis sieeinen Weg zur Heimkehr gefunden hatte. Et-was anderes fiel ihr ein: Aus den Gedankender Echsen wußte sie, daß es sich bei denzusammengewürfelten Exoten um Plündererhandelte und nicht, wie sie sonst hätte ver-muten können, um eine nur aufs Überlebenbedachten Notgemeinschaft. War es denn sounwahrscheinlich, daß sie auf einem ihrerRaubzüge einen Raumanzug erbeutet hat-ten? Viele wiedererwachte Schläfer konntenohne Raumanzug nicht unter den Umweltbe-dingungen, wie Pthor sie bot, existieren.

Dennoch versetzte die Überheblichkeitdes »Zentrums« Leenia in Zorn. Der Chefhockte irgendwo und genoß seinen ver-meintlichen Triumph. So leicht wie Leeniawar ihm ganz bestimmt noch niemand in die»Falle« gelaufen. Noch einmal konzentriertesie sich auf die drei Echsen und versuchtebei jeder von ihnen, in ihrem Bewußtsein et-was über ihren Herrn zu erfahren. Das Er-gebnis war wiederum gleich Null. Es war,als ob irgend etwas ihre Gedanken blockie-ren würde, sobald sie an ihn dachten. Leenianickte grimmig und beschloß, eine Probe ih-rer Fähigkeiten zu geben.

Sie sah zu den drei hinter dem Lager ab-gestellten Zugors hinüber.

Der rechte, dachte sie intensiv. Seht ihneuch an!

Die Topsider folgten der Aufforderungnur zögernd. Als sie alle drei zu den Fahr-zeugen hinüberblickten, blitzte es in LeeniasAugen auf. Ein blendend heller violetterStrahl traf den Zugor und ließ ihn in einerfürchterlichen Explosion vergehen.

Die um die Feuer sitzenden Exoten spran-gen auf. Einige rannten in Panik davon, an-dere scharten sich um Leenia und kamendrohend näher. Es dauerte eine Weile, bisdie Topsider sich vom Schock erholt hatten.Als Chron-Kehr den anrückenden Banden-mitgliedern etwas zurief und sich dann ansie wandte, wußte Leenia, daß sie Erfolg ge-habt hatte.

»Der Meister möchte dich sehen«, zischteChron-Kehr. »Folge mir.«

Ruf der Höheren Welten 11

Befriedigt ging Leenia hinter der Echseher. Die beiden anderen folgten ihr. Einschmaler Pfad führte zwischen Büschen hin-durch vom Lager weg. Leenia spürte plötz-lich Unbehagen, dann Übelkeit. Leenia bliebstehen und hatte das Gefühl, sich erbrechenzu müssen. Dann war der Spuk vorbei – soplötzlich, wie er gekommen war.

»Weiter!« zischte Chron-Kehr. »Der Herrwartet!«

Von hinten bekam Leenia einen Stoß, siefuhr herum und sah den Holzstab, den einerder beiden hinter ihr gehenden Topsider nunin der Hand hielt. Was nun geschah, war ei-ne instinktive Reaktion. Leenia hatte lernenmüssen, sich zu verteidigen. Sie konzentrier-te sich. Rhek-Moyn verging in dem violettenStrahl aus Leenias Augen.

Leenia schrie auf und griff sich mit bei-den Händen an den Kopf. Sie hatte furchtba-re Schmerzen und sah kaum, wie Zkeh-Nohden Stab aufhob, den sein Artgenosse vorseinem Tod fallen gelassen hatte. DerSchlag traf sie auf die Stirn. Leenia gerietins Taumeln. Die Schmerzen drohten ihr dasGehirn zu zerreißen. Bunte Punkte tanztensekundenlang vor ihren Augen. Sie konzen-trierte sich auf den Topsider, bereit zu töten.

Nichts geschah.Zkeh-Noh stand breitbeinig vor ihr, den

langen Stab zu einem neuen Schlag erhoben.Ein nie gekanntes Gefühl der Angst, der

Verzweiflung und Hilflosigkeit erfaßte Lee-nia. Sie versuchte, die todbringenden Ener-gien in sich aufzubauen und abzustrahlen,immer und immer wieder. Und jedesmal warder Erfolg der gleiche. Nichts. Leenia hatteihre einzige Waffe verloren. Körperlich warsie den Echsen unterlegen. Sie war in ihrerGewalt.

Wommser! dachte sie flehend. Wir müssenspringen!

Es geht nicht, lautete die Antwort desMentalpartners.

Sie kam wie aus weiter Ferne. Wommserzog sich sofort wieder zurück. Er gab keineErklärung ab, doch Leenia begann zu be-greifen. Irgend etwas hatte sie gelähmt. Es

mußte in den Augenblicken geschehen sein,als sie die Übelkeit verspürte. Irgend etwas –und Leenia glaubte zu wissen, was oder weres war.

»Weiter!« Wieder die gleiche stereotypeAufforderung Chron-Kehrs. »Der Herr war-tet!«

Leenia folgte dem Topsider. Sie hatte sichwie eine Idiotin verhalten. Sie hatte sichselbst überschätzt. Nun, so schien es, mußtesie für diese Überheblichkeit bezahlen.

Doch wer konnte die Macht haben, ihreEnergien zu neutralisieren?

Wommser? fragte sie.Keine Antwort.Vor einer grünlich leuchtenden Kugel am

Rand einer Bodenmulde blieb Chron-Kehrstehen. Er forderte Leenia auf, an ihm vor-beizutreten.

Das, was wie eine alles vernichtende Flut-welle über Leenias Bewußtsein hereinbrach,traf sie stärker als jeder körperlicheSchmerz. Sie erlebte das Grauen – und dieswar erst der Anfang.

Wenn Mod-Poluur mit ihr fertig war,würde sie nichts weiter als eine willenloseSklavin sein – ein Werkzeug des Zentrums.

Für Leenia bedeutete es das Ende allerHoffnungen, doch das empfand sie nichteinmal mehr. Sie hatte nicht die Kraft zumWiderstand.

3.

Viele Lichtjahre entfernt in der Schwar-zen Galaxis – Atlan und Thalia an Bord derKNIEGEN Sie hatten zu früh triumphiert.

Atlan stieß eine Reihe von Verwünschun-gen aus, als Dorkan Moht, die Galionsfigurder KNIEGEN, über Funk meldete, daß dieScuddamoren-Schiffe, die nach der Fluchtder KNIEGEN von Mogteeke-nArv die Ver-folgung aufgenommen hatten, immer näherkamen. Die KNIEGEN flog mit voller Lei-stung. Dennoch würden die Verfolger sieeingeholt haben, bevor sie die notwendigeGeschwindigkeit erreicht hatte, um aufÜberlicht zu gehen und sich somit vorerst in

12 Horst Hoffmann

Sicherheit bringen zu können.Die KNIEGEN war gegen die Übermacht

ohne Chance. Die Scuddamoren warenschneller und besser bewaffnet. Ein offenesGefecht bedeutete die Zerstörung der KNIE-GEN.

Und die Alternative?»Wenn wir sie wenigstens so lange auf

Entfernung halten könnten, bis wir die Ein-tauchgeschwindigkeit erreicht haben!« preß-te Thalia hervor. »Wir setzen ihnen ein paarSchüsse vor den Bug, und …«

»Und sie blasen uns aus dem All.«Atlan schüttelte grimmig den Kopf. Die

Verfolger waren nun als leuchtendrotePunkte auf einem Ortungsschirm zu erken-nen. Die eingeblendeten Anzeigen bestätig-ten Dorkan Mohts Angaben. Der Abstandverringerte sich von Minute zu Minute. At-lan konnte nicht darauf bauen, daß man Tha-lia und ihn schonen würde. Wie kompromiß-los die Scuddamoren jetzt vorgingen, hattesich auf Mogteeken-Arv gezeigt. Atlanswertvollstes Faustpfand, das Kistchen mitden 250 Ärgetzos, war unterwegs zu Chirm-or Flog, dem mächtigen Neffen des mysteri-ösen Dunklen Oheims. Atlan und Thalia wa-ren den Scuddamoren jetzt bereits zum wie-derholten Mal entkommen und hatten ihnengroßen Schaden zugefügt. Sie kannten dasGeheimnis dieser Wesen und stellten somitdie vielleicht größte Gefahr für ChirmorFlog dar, die jemals im MarantronerRevieraufgetaucht war. Nein, schonen würde mansie nicht mehr. Egal, ob sich Atlan mit derKNIEGEN zum Kampf stellte oder ob ersich wiederum in Gefangenschaft begab, amEnde stand der sichere Tod.

Auch Thalia wußte dies. Sie standschweigend vor den Schirmen. Atlan zog siezu sich heran und suchte nach Worten, umsie zu beruhigen. Er fand sie nicht. Die Ver-folger kamen näher. Dorkan Moht tat alles,was in seiner Macht stand, um die KNIE-GEN doch noch in Sicherheit zu bringen. Eswar aussichtslos. Ein schneller Tod durchdie Geschütze der Verfolger oder ein qual-volles Ende in der Gefangenschaft. Wider-

sprüchliche Gefühle. Atlan war einerseitsnicht bereit, auch nur eine Sekunde seinesund Thalias Leben zu verschenken. Insge-heim versuchte er trotz allem noch, einenAusweg aus einer Situation zu finden, ausder es keinen Ausweg gab. Zum andern aberkonnte er sich vorstellen, was ihn und dieOdinstocher in der Gefangenschaft erwartenmochte. Das Goldene Vlies. Atlan war da-von überzeugt, daß die Scuddamoren inzwi-schen gemerkt hatten, daß der golden schim-mernde Anzug einen Schutzschild darstellte.Sie würden sich darauf einstellen. Letztend-lich war der Anzug der Vernichtung auchfür den Arkoniden immer noch ein Rätsel.So oft hatte er ihm das Leben gerettet – aberkonnte er blind darauf vertrauen, daß dieswieder und wieder der Fall sein würde?Konnte der Anzug ihn in der Gluthölle derexplodierenden KNIEGEN retten?

Die Scuddamoren kamen näher. Der Ab-stand zwischen ihnen und der KNIEGENbetrug nunmehr kaum noch hunderttausendKilometer.

Dorkan Moht meldete, daß die KNIEGENangerufen wurde. Atlan reagierte nicht. Wieversteinert stand er vor den Kontrollen derZentrale. Plötzlich spürte er eisige Kälte.

»Was wird aus Pthor?« fragte Thaliakaum hörbar.

Atlan fand keine Antwort. Auch seine Ge-danken kreisten in diesen Augenblicken umAtlantis, um die Odinssöhne, um Razamon,der irgendwo verschollen war. Irgend etwasin Atlan wehrte sich dagegen zu akzeptieren,daß der ehemalige Berserker, der längst zuseinem Freund geworden war, tot sein sollte.

Atlan sah Stationen seines Lebenswegsvor seinem inneren Auge vorbeiziehen, wäh-rend er die auf dem Monitor eingeblendetenWerte kaum wahrnahm. In wenigen Minutenwürden die Scuddamoren nahe genug sein,um das Feuer zu eröffnen.

Wieder Dorkan Mohts Stimme. Der Kom-mandant der kleinen Scuddamoren-Flotterief die KNIEGEN erneut an. Diesmal rea-gierte Atlan. Die Stimme des Retortenwe-sens hallte aus den Lautsprechern der Zen-

Ruf der Höheren Welten 13

trale. Der Scuddamore forderte die KNIE-GEN zur Kapitulation auf.

»Nein«, flüsterte Thalia. »Bitte nicht, At-lan. Eher …«

»Ich weiß«, sagte der Arkonide. Er hatteMühe, die Worte herauszubringen. Selbstfalls das Goldene Vlies ihn ein weiteres Malschützen würde – Thalia würde einen qual-vollen Tod in den Folterkammern der Scud-damoren erleiden, wenn man sie nicht gar zuChirmor Flog bringen würde. Noch vor kur-zer Zeit hatte Atlan sich danach gesehnt,nach Säggallo zu gelangen.

Das war vorbei.»Wir werden ihnen nicht in die Hände fal-

len.«Atlans Hand näherte sich dem Pult mit

den Feuerknöpfen. Seine Entscheidung wargefallen. Der Arkonide spürte Thalias Handauf seiner Schulter.

»Es ist …«, begann die Odinstochter undschüttelte vor Verzweiflung den Kopf. »Dusollt wissen, daß ich dich …«

»Ich weiß es, Thalia. Und mir geht esebenso.«

Einen Moment lang hatte er den Wunsch,alles zu vergessen und die letzten Minutenseines Lebens mit Thalia zu verbringen, siezu lieben, alles andere auf sich zukommenzu lassen. Irgendwann würde der Feuer-schlag sie treffen, und alles würde vorbeisein.

Als die Schutzschirme der KNIEGENaufglühten, handelte Atlan instinktiv. Erschlug mit der Faust auf den Kopf, der dieautomatisch justierten Geschütze Tod undVerderben in die Reihen der Verfolger brin-gen lassen sollte – ein letztes Aufbäumenvor dem Unabwendbaren.

Dann wartete er auf das Ende. Thalia lagin seinen Armen und weinte.

4.Pthor – die FESTUNG und drei ratlose

Herrscher

Weder Sigurd noch Heimdall oder Baldu-ur wußten einen Ausweg aus der hoffnungs-

los erscheinenden Lage. Tagelang gingendie Söhne Odins sich aus dem Weg, nur umnicht gefragt zu werden, was zu tun sei, werdie Führung übernehmen sollte, wie mandem, was unabänderlich kommen würde, be-gegnen konnte. Jeder der drei Brüder hatteAngst vor der Verantwortung. Es kam zuStreitereien, wobei besonders der finstereHeimdall sich auszeichnete, der sich nichtüber Atlans »Verrat« beruhigen wollte. Bal-duur schwelgte in seinen Träumen von ver-gangenen Zeiten. Als einziger versuchte Si-gurd, logisch zu denken und das Beste ausder gegebenen Situation zu machen. Er wares, der immer wieder Dellos ausschickte, umüberall dort, wo Unruhen ausbrachen, Ord-nung zu schaffen und alle nur mögliche Hil-fe für die verunsicherten Bewohner des Di-mensionsfahrstuhls zu leisen. Valjaren,Dalazaaren, Orxeyaner und viele anderespürten ebenso wie die Odinssöhne, daß et-was bevorstand, gegen das die Abwehr-schlacht gegen die Invasionsarmee der Kro-locs nur ein Vorspiel gewesen war.

Die einzige Unterstützung kam aus Wol-terhaven, wo die Robotbürger unablässigneue Berechnungen anstellten und die Od-inssöhne mit Informationen versorgten.Doch auch sie konnten nur mit Unbekanntenoperieren.

Es war in einer der selten gewordenenStunden, in denen die Söhne Odins beiein-ander saßen und berieten, als die Ankunft ei-nes Mannes gemeldet wurde, der kurz vordem Halt des Dimensionsfahrstuhls noch füreinige Furore gesorgt hatte.

Niemand anders als Sator Synk, der Or-xeyaner und spezielle Freund aller Roboter,begehrte vorgelassen zu werden.

»Was kann er wollen?« fragte Balduur.»Vielleicht haben die Orxeyaner ihn aus

der Stadt geworfen«, meinte Heimdall, ohneeine Miene zu verziehen. »Ich hörte, daß erdie Einrichtung zweier Gaststätten und einenTeil des Marktplatzes demoliert hat. Wo erauch ist, sucht er Streit.«

»Vergeßt nicht, was er für Pthor getanhat, Brüder«, sagte Sigurd. »Er leidet immer

14 Horst Hoffmann

noch darunter, daß sich der Robotbürger Be-diennark und seine drei Diener auf Wolter-ziel für ihn geopfert haben.«

»Wenn du ihm das ins Gesicht sagst,gibt's die schönste Keilerei«, kam es vonBalduur. Der stillste der drei Odinssöhneschmunzelte still vor sich hin.

Sigurd gab Anweisung, den Orxeyanervorzulassen.

Dann stand er vor ihnen – auf den erstenBlick ein wilder und verwegen dreinschau-ender Mann mit einem bis auf die Brust hin-abreichenden roten Bart. Vom Gesicht wa-ren fast nur die kleinen, hellblau funkelndenAugen und die Nase zu sehen. Sator Synkwar nur wenig mehr als anderthalb Metergroß, breit und stämmig. Seine Kleidungwar die eines Orxeyaners. Nur unter Protesthatte er den Raumanzug, den er währendseines Fluges ins Vorfeld der SchwarzenGalaxis getragen hatte, abgegeben. Atlanhatte ihn für die Dellos gebraucht, die ihmund Thalia an Bord der GRIET gefolgt wa-ren.

Sator Synk grüßte knapp und kam ohnelange Umschweife zur Sache.

»Ich habe mir viele Gedanken über dieLage Pthors gemacht«, verkündete er mitgrimmiger Miene, »und ich bin zu demSchluß gekommen, daß endlich etwas unter-nommen werden muß.«

»In der Tat?« Sigurd saß in einem prunk-vollen Sessel und blickte den Orxeyaneramüsiert an. »Wahrlich ein weißer Schluß.Und was gedenkst du zu tun, Synk?«

Der Bärtige trat vor einen Tisch mitFrüchten und Getränken und schlug mit derFaust auf die Platte. Die silbernen Pokalekippten fast um.

»Wir haben die GOL'DHOR! Gebt mirdas Schiff und stellt mir eine Mannschaft!Ich werde aufbrechen, um Atlan zu suchen,das ist mein fester Entschluß!«

»Atlan!« Als wäre der Name ein Reizwortfür ihn, sprang Heimdall auf und knallte sei-nen Weinpokal auf den Tisch. »Du kannstihn lange suchen. Der Verräter hat sich ab-gesetzt!«

In Synks Augen blitzte es kurz auf. Siewurden zu schmalen Schlitzen, als der Or-xeyaner vor den weit größeren Odinssohntrat und ihn anfauchte:

»Sagtest du Verräter? Atlan ein Verräter?Ich bin ein einfacher Atlanter, und ich weißgerade soviel, um unsere derzeitige Lage be-urteilen zu können, aber man redet so eini-ges über euch, speziell über einen von euch,der lieber von seinem Parraxynt träumt, alssich der Realität zu stellen. Was wärt ihrdenn ohne Atlan? Ich …«

»Schweig!«Auch Sigurd war aufgestanden und ver-

suchte, die Streithähne auseinanderzubrin-gen.

»Wir wissen wohl, was Atlan für uns ge-tan hat, aber Heimdalls Verdacht ist nichtvon der Hand zu weisen.«

»Dann gebt mir die Chance, ihm zu be-weisen, wie töricht dieser Verdacht ist! DieGOL'DHOR und eine Mannschaft! Mehrwill ich nicht. Oder sollen wir warten, bisder Gegner zuschlägt? Dann nützt uns auchdas Schiff nichts mehr.«

»Da hat er recht«, gab Balduur, immernoch etwas belustigt, zu.

»Natürlich habe ich recht. Was könnenwir noch verlieren? Wenn ihr mir nicht traut,kann ja einer von euch mitfliegen, oder bes-ser noch alle drei.«

»Hüte deine Zunge«, herrschte Heimdallden Orxeyaner an. »Du redest mit den Söh-nen des großen Odins, den Herrschern überPthor.«

»Aha!« Synk stemmte die Hände in dieHüften und blickte triumphierend zu Heim-dall auf. »Solange Atlan nicht zurück ist, sowar es doch. Es wäre dir wohl nur recht,wenn er nicht zurückkäme, oder irre ichmich da?«

Ehe Heimdall den Orxeyaner packenkonnte, war Synk unter den Händen des Hü-nen regelrecht weggetaucht. Sigurd hatte al-le Mühe, den aufgebrachten Bruder zu beru-higen.

»Vielleicht hat er recht«, sagte er, undnun lag kein Spott mehr in seiner Stimme.

Ruf der Höheren Welten 15

»Nur die GOL'DHOR wäre in der Lage, daszu vollbringen, was Atlan sich vorgenom-men hatte, ganz egal, ob er uns anlog oderwirklich die Peripherie der Schwarzen Gala-xis auskundschaften wollte. Eine gute Besat-zung …«

Balduur räusperte sich.»Synk ist nicht der erste, der diesen Vor-

schlag macht«, sagte er. »Sollten wir dieGOL'DHOR wirklich aufs Spiel setzen,müßte er auf jeden Fall hierbleiben.«

»Was soll das?« Respekt schien für denOrxeyaner ein Fremdwort zu sein. »Wermachte hier einen Vorschlag, und warumsoll ich nicht mitfliegen können?«

Auch Sigurd schien überrascht. Als er denBruder anblickte, erklärte Balduur:

»Ich hatte heute Kontakt mit den Robot-bürgern.«

Sator Synk zuckte bei dem Wort zusam-men.

»Sie machten den gleichen Vorschlag.Zwar ist die Erfolgschance einer solchenMission denkbar niedrig, aber unter den ge-gebenen Umständen ist es das einzige, waswir tun können. Die GOL'DHOR soll mit ei-ner Robotbesatzung ausgerüstet werden undeinem ersten Erkundungsflug nicht weiterals fünfzig Lichtjahre tief in die SchwarzeGalaxis aufbrechen.«

»Aber das …« Synk schnappte nach Luftund ließ sich in Sigurds Sessel fallen. »Dasist total verrückt!«

»Mindestens ein organisches Wesen müß-te den Flug allerdings mitmachen«, fuhrBalduur ungerührt fort. »Es ist nicht sicher,ob Roboter den emotionalen Kontakt zurGOL'DHOR herstellen können wie ein nor-maler Pthorer.«

»Roboter, ha!«Synk sprang wieder auf und drehte sich

wie ein aufgezogener Kreisel um die eigeneAchse.

»Das ist der übelste Scherz, den ich inmeinem Leben gehört habe. Ich kenne sie,diese hinterhältigen Maschinen. Wenn ichsehe, daß auch nur einer dieser Blechkästenan Bord der GOL'DHOR geht, haue ich ihn

zu Klump! Jawohl! Ich habe sie kennenge-lernt, und sie sind … sie sind grausam!«

»Ich sagte ja, daß du hierbleiben müßtest,falls wir uns tatsächlich für den Einsatz desSchiffes entscheiden würden. Außerdem ha-ben die Robotbürger eine vollkommen logi-sche Erklärung für ihre Forderung. Im Ge-gensatz zu organischen Wesen glauben sieunempfänglich für die unheilvolle Aura derSchwarzen Galaxis zu sein.«

»Logik, ha!« Synks Hände fuchtelten inder Luft herum, als ob sie sie stückchenwei-se zerkneten wollten. »Ich kenne ihre Logik!Nein! Gebt mir zehn Dellos, und ich zeigediesen arroganten Blechfiguren, wozu›organische Besatzungsmitglieder‹ fähigsind!«

Schweigen. Die Odinssöhne blickten sichan. Heimdall war anzusehen, daß er Synkam liebsten auf der Stelle den Hals umge-dreht hätte.

»Wir sollten uns mit den Robotbürgernbesprechen«, schlug Sigurd vor.

Als Balduur die Schultern zuckte, wandteer sich an den Orxeyaner.

»Warte draußen. Ein Dello wird dich inein Quartier führen. Wir benachrichtigendich, sobald unsere Entscheidung getroffenist.«

»Eure Entscheidung? Daß ich nicht lache!Ihr seid doch längst zu Sklaven der Robo-therren geworden. Sie lachen über euch! Ihr…«

»Jetzt reicht's!« Sigurds Gesicht verriet,daß das, was für ihn bisher eher ein Spiel ge-wesen war, vorbei war. Synk genoß eine ArtNarrenfreiheit, doch auch diese hatte ihreGrenzen. Und der Orxeyaner verstand.

Leise vor sich hin fluchend verließ er denRaum, um den vor der Tür bereits wartendenDello aufs heftigste zu beschimpfen.

In seinem Quartier angelangt, bemerkte erals erstes die Flasche mit alkoholischem Ge-tränk auf dem einzigen Tisch des Raumes.Synk brauchte in seinem Zorn weniger alseine Viertelstunde, um sie zu leeren.

Alle Roboter des Universums konntenihm ein für allemal gestohlen bleiben. Bedi-

16 Horst Hoffmann

ennark! Was wollte er von ihm, wenn er je-de Nacht wie ein Phantom erschien undSynk schweißgebadet erwachen ließ?

Hatte Synk ihm befohlen, sich auf Wol-terziel für ihn zu opfern?

Nie wieder, dachte der Orxeyaner. Niewieder fliege ich mit Robotern auf einemSchiff. Eher soll mich der Herr der Finster-nis persönlich zu sich holen.

Doch immer wieder ertappte Sator Synksich bei dem Gedanken, wie es wohl anBord der GOL'DHOR sein würde, wenn erals einziges ›organisches Besatzungsmit-glied‹ unter lauter Robotern Kurs auf dieSchwarze Galaxis nähme.

Vielleicht würde er das, wofür er sichfälschlicherweise selbst die Schuld in dieSchuhe schob, wiedergutmachen können.

Um sich dies selbst gegenüber nicht zuge-ben zu müssen, steigerte er sich immer wei-ter in seinen Zorn hinein – bis der Dello er-schien und verkündete, daß die Odinssöhneihn zu sehen wünschten.

*

Die Entscheidung war gefallen, aber siewar anders ausgefallen, als Synk es sich inseinen schlimmsten Träumen hätte ausmalenkönnen.

Es waren die Robotbürger gewesen, dieden Vorschlag machten, daß fünf ihrer Die-ner und Sator Synk als einziges organischesBesatzungsmitglied an Bord derGOL'DHOR den Wölbmantel durchdringenund Kurs auf die Schwarze Galaxis nehmensollten. Als Begründung dafür, daß ausge-rechnet ihr spezieller Freund den Flug mit-machen sollte, gaben sie gerade diese seine»Vorliebe« für Roboter aller Art an. SeinEhrgeiz, ihnen zu beweisen, daß er ihnendoch überlegen war, würde ihn zu denHöchstleistungen befähigen, die er bringenmußte, um das, was ihm bevorstand, mei-stern zu können. Sator Synk blickte von ei-nem Odinssohn zum andern. Er war denVerzweiflungstränen nahe.

Das durfte einfach nicht wahr sein!

»Natürlich können wir dir nicht befehlen,an Bord der GOL'DHOR zu gehen«, sagteSigurd. »Ich selbst hätte auch Interesse andem Flug und würde lieber selbst mit denRobotern fliegen als das Risiko eingehen, je-manden mitzuschicken, der Angst vor ihnenhat und …«

»Angst?« kreischte Synk. »Ich und Angstvor Robotern? Ich zertrümmere sie einennach dem anderen, so wahr ich hier stehe!«Inzwischen saß der Orxeyaner wieder aufseinen vier Buchstaben. »Ich fliege mit! Ichwerde jedem dieser Ungeheuer auf die Me-tallfinger sehen, damit sie keinen Unfug stif-ten. Angst, pah! Ohne mich wäre Bedien-nark …«

Synk verstummte mitten im Satz. DerHerr Bediennark. Der Schuldkomplex. Dastragische Ende, das die Mission gefundenhatte, die fast ebenso begonnen hatte wie dergeplante Flug der GOL'DHOR.

»Dann ist ja alles in Ordnung.« Sigurdließ Synk keine Zeit, es sich doch noch an-ders zu überlegen. »Du wirst die fünf Robot-diener mit einem Zugor abholen. Man er-wartet dich in Wolterhaven.«

In der Hölle! dachte der Orxeyaner. Alsob ich nicht wüßte, daß diese Drahtgestellesich nur an mir rächen wollen! Aber da ha-ben sie sich getäuscht. Sator Synk wird ih-nen zeigen, wozu er fähig ist!

Synk verbrachte die Nacht in der FE-STUNG. Am Morgen brach er auf, ein flu-chendes und zeterndes Bündel aus Energie –organischer Energie, wohlgemerkt. Jawohl,er würde es ihnen zeigen, allen Robotern,die nur darauf warteten, ihn versagen zu se-hen, weil sie sich ja so überlegen fühlten.Dabei würden weder Robotdiener aus Wol-terhaven noch der wilde Orxeyaner jemalsdie GOL'DHOR besteigen. Doch von dem,was auf ihn zukam, ahnte Sator Synk nichts.Hätte er es gewußt – er wäre niemals inRichtung Wolterhaven aufgebrochen.

5.

Am Nordufer des Regenflusses – Leenia/

Ruf der Höheren Welten 17

Wommser und das Zentrum Mod-Poluur hat-te die Energien des Wesens in sich aufgeso-gen wie ein trocken ins Wasser geworfenerSchwamm die Flüssigkeit. Die Frau warnicht mehr fähig, von ihren natürlichen Waf-fen Gebrauch zu machen. Sie war eine Hül-le, in der Mod-Poluur hauste – und noch et-was anderes.

Das Zentrum stieß auf Widerstand. Irgendetwas in der Fremden hinderte ihn daran, esvöllig auszufüllen. Mod-Poluur konnte nichtins Bewußtsein der Gefangenen vorstoßen.Es war, als ob sie überhaupt keines hätte,und doch war es da, hinter einer undurch-dringlichen Mauer verborgen, die es zusprengen galt. Mod-Poluur würde Geduldhaben, tagelang, wochenlang, falls es seinmußte. Er spürte, daß dieses Wesen für ihnwertvoller als alle anderen Extremitäten seinkonnte. Er würde ihm seine Kräfte zurück-geben, wenn sein Wille gebrochen und esganz im Bann des Zentrums war. Mod-Po-luur sah schon im Geist vor sich, wie dieFrau für ihn kämpfen würde, wie die tod-bringenden Energien, die die ExtremitätRhek-Moyn das Leben gekostet hatten, seineGegner vernichten würden.

Mod-Poluurs Kräfte wirkten weiter aufdie Fremde ein. Irgendwann würde die Mau-er fallen, die ihr Bewußtsein umgab. DasZentrum hatte keinen Zweifel daran. Einpsionischer Kampf zwischen ihm und dem,das ihm noch Widerstand leistete, entbrann-te. Am Ende würde Mod-Poluur sämtlicheErinnerungen und alles Wissen des Wesensausgebreitet vor sich haben, und dann konn-te er es für alle Zeiten gefügig machen.

So sah das Zentrum seine neue Gefangeneund was in ihr vorging. Noch war sie nur ge-lähmt und unfähig, irgend etwas aus eige-nem Willen zu unternehmen. Noch …

*

Das, was Mod-Poluur für Leenias Be-wußtsein hielt, das sich verzweifelt gegenden Schwall anstürmender psionischer Ener-gien wehrte, war nicht Leenia. Sie, die Kom-

ponente Leenia, war psychisch tot. Es warWommser, der auf den Überfall Mod-Po-luurs vorbereitet gewesen und sich völlig insich zurückgezogen hatte, um im entschei-denden Augenblick Leenias Bewußtseinsin-halt in sich aufzunehmen. Leenia, die viel zuleichtsinnige Partnerin, hätte keine Chancegegen den mentalen Überfall gehabt. Siewar leer. Mod-Poluur achtete darauf, daßseine wertvolle Gefangene nicht starb, dochohne die Energien, die Wommser in sieüberfließen ließ, um ihre Lebensfunktionenauf einem minimalen Niveau aufrechtzuer-halten, wäre sie körperlich gestorben. Wasin diesem Fall mit ihr und ihm, Wommser,geschehen wäre, wußte der Mentalpartnernicht.

Er konzentrierte all seine Energien auf dieAbwehr des Monstrums, das auch von ihmBesitz ergreifen wollte. Dennoch wußteWommser, daß er sich nicht sehr lange wür-de halten können. Er würde regelrecht aus-gezehrt und gezwungen werden, Leenias Be-wußtseinsinhalt und damit den seinen freizu-geben. Und Wommser wußte, was das be-deutete.

So war auch er gelähmt. Er erinnerte sichan jene Zeit, als er noch nicht an die Partne-rin gebunden war. Vielleicht hätte er danneinfach entmaterialisieren können, in die Si-cherheit des Dimensionsnestes fliehen. Dochdas war vorbei.

Die beiden Topsider und andere herbeige-eilte Bandenmitglieder, deren Neugier stär-ker gewesen war als die Furcht vor demMeister, ahnten nichts von dem furchtbarenKampf, der zwischen dem, was unter demNetz in der Bodenmulde verborgen war, undder wie aus Stein gemeißelt dastehenden Ge-fangenen tob te. Wommser würde bis zumletzten kämpfen. Für Leenia. Für ihre Hoff-nungen, die seine Hoffnungen geworden wa-ren. Für alle, die zu seinen Freunden gewor-den waren, und für deren Ziele. Für Atlanund gegen die Mächte, die die Schwarze Ga-laxis beherrschten, denn Wommser glaubte,in der Aura, die bis hierher drang, etwaswiederzuerkennen: Die gleiche Ausstrah-

18 Horst Hoffmann

lung war von den Schattenballungen ausge-gangen, die ihn aus seinem Dimensionsnestvertrieben und fast getötet hätten. So würdees ein Kampf um Leben oder Tod werden.Denn Wommser war entschlossen, sich eherselbst zu opfern, bevor er unter Mod-PoluursGewalt geriet.

Sich und damit Leenia, die jetzt nur Hüllewar und sich nicht wehren konnte, weder ge-gen Mod-Poluur noch gegen den Teil ihrerselbst, der Wommser hieß.

Und irgendwo in Räumen, die jenseits un-serer Vorstellungskraft liegen, wartete manauf sie. Die Wesen, die die Höheren Weltengleichermaßen bildeten und bevölkerten,»sahen«, was mit Leenia vorging, doch siehatten keine Möglichkeit zum Eingreifen.

6.Einmal Wolterhaven und zurück

Der Orxeyaner schlug sich die Hände vorsGesicht, als er die Stadt der Roboter am Ho-rizont auftauchen sah. Der Zugor geriet insWanken. Synk konnte sich gerade noch ander Steuersäule festhalten und mit Mühe dasFahrzeug wieder auf Kurs bringen.

»Es war mein Vorschlag«, knurrte er im-mer wieder. »Ich hatte die Idee, mit derGOL'DHOR nach Atlan zu suchen. DieseBlechkerle haben kein Recht, mitzufliegenund die Idee für sich zu beanspruchen. Lo-gik, pah!«

Aber warum hatten sie wirklich ausge-rechnet ihn als »organisches Besatzungsmit-glied« vorgeschlagen, ja geradezu gefordert?Es konnte sich nur um Rache handeln!

»Sympathien, lächerlich!«Synk dachte wieder an den Herrn Bedien-

nark und seine drei Diener. Und wie immer,zeigte sich die tief ins Unterbewußtsein ver-drängte Trauer als Aggression.

»Du warst mir nicht sympathisch, Bedien-nark! Nie im Leben! Und ich weiß, daß dugelogen hast. Auch du konntest mich nichtausstehen. Ach, was sage ich? Du fühltestdich ja so sehr überlegen! Aber warte! SatorSynk wird es dir zeigen!«

Der Orxeyaner steigerte sich immer mehrin seinen Zorn hinein, je näher er Wolterha-ven kam. Auf einer der Plattformen landeteer den Zugor und stieg aus. Sekunden spätererschienen drei Robotdiener.

»Hier bin ich«, knurrte er, bevor einer derRoboter etwas sagen konnte. »Wo sind dieKerle, die unter meinem Kommando in dieSchwarze Galaxis fliegen wollen? Ich habenicht die Absicht, mich auch nur eine Minu-te länger als unbedingt nötig hier aufzuhal-ten. Also, ich warte hier auf sie.«

»Du bist unser Gast, bis alle Vorbereitun-gen abgeschlossen sind, Sator Synk«, kames knarrend aus einem zwischen Tentakelnund stabförmigen Extremitäten verborgenenLautsprecher. »Wir haben uns große Mühegegeben, dein Quartier nach deinem Ge-schmack einzurichten. Wir sind dir dieseAufmerksamkeit schuldig, nach dem, wasdu für den Herrn Bediennark getan hast.«

Synk kniff die Augen zusammen. Er warfür einen Moment sprachlos, was bei ihm ei-niges heißen wollte.

Er und etwas für diesen Bediennark getan,den arroganten Robotbürger, der ihn denVerrückten auf Wolterziel ausgeliefert undnachher die Unverschämtheit besessen hatte,von Sympathie zu sprechen?

Das war schon mehr als Provokation.»Ihr legt mich nicht mehr 'rein«, brüllte

Synk. »Nicht noch einmal! Her mit den fünfBlechkästen, die mich begleiten wollen!Wenn sie in einer Minute nicht hier sind,fliege ich zurück und berichte den Odinssöh-nen, daß ihr euch geweigert habt, mit mirzusammenzuarbeiten, daß ihr … daß ihr Sa-botage betreibt!«

»Wir stehen in ständigem Kontakt mit derFESTUNG«, versetzte der Sprecher der dreiDiener ungerührt. »Die Odinssöhne wissenüber alles Bescheid, was hier vorgeht.«

Also doch! dachte Synk. Sabotage, Ver-schwörung!

Aber gerade das stachelte ihn an. Hatteman ihn nicht einen Feigling genannt? Erwürde es ihnen zeigen, ihnen allen.

»Wann werden eure fünf Kumpane zum

Ruf der Höheren Welten 19

Abflug bereit sein?«»Der Begriff ›Kumpane‹ ist uns nicht ge-

läufig«, sagte der Roboter.Synk stöhnte laut und suchte etwas, wor-

auf er sich setzen konnte.»Mitverschwörer! Komplizen!« Synk ver-

drehte die Augen. »Robotisches Leben vonwahrer Intelligenz, das einen Knacks hat.Und Knacks bedeutet, daß ihr nicht alle Sin-ne beieinander habt, daß … daß eure Schalt-elemente durcheinander geraten sind.«

Täuschte er sich, oder blickten sich diedrei Roboter gegenseitig an?

»Wir werden unsere Schaltelemente aufeventuelle Fehler überprüfen lassen«, versi-cherte dann der Sprecher. »Nun aber führenwir dich in dein Quartier. Es wird einigeStunden dauern, bis unsere beiden Begleiterebenfalls auf fehlerhafte Schaltelemente un-tersucht und für den Abflug bereit sind.«

O nein! durchfuhr es Synk. Nicht das!Er sah zurück zum Zugor, bereit, jeden

Augenblick hineinzuspringen und diesen Ortdes Wahnsinns zu verlassen. Doch da pack-ten ihn schon die Tentakelarme der Roboterund zerrten ihn zu einer Öffnung in derPlattform. Synk protestierte, stieß die wüste-sten Beschimpfungen aus, doch alles nütztenichts mehr. Durch den AntigravSchacht ge-langte er tiefer in die Stadt der Roboter, biser vor der Tür seines in aller Eile eingerich-teten Quartiers stand.

Synk traute seinen Augen nicht. Er hatteeinen völlig kahlen Raum erwartet. Nunaber sah er eine Couch, einige Sessel undeinen Tisch, auf dem mehrere Flaschen desin Orxeya beliebtesten alkoholischen Ge-tränks standen.

Synk schluckte.»In der Botschaft, die unser Herr Bedien-

nark dir mitgab, war außer den Ergebnisseneurer Mission auch einiges über dich gespei-chert«, erklärte der Roboter im Eingang.»Diese Botschaft war es auch, die uns zu derEntscheidung führte, dich als organischesBesatzungsmitglied auf der GOL'DHOR zudulden. Der Herr Bediennark würdigte aus-drücklich deine Fähigkeiten, und …«

»Und gleich werdet ihr anfangen, vonSympathie zu faseln!« platzte es aus demOrxeyaner heraus. »Fähigkeiten, ha! Natür-lich habe ich sie, im Gegensatz zu euch!«

Synk nahm sich eine der Flaschen undtrank sie in einem Zug halb aus. Sogleichwurde ihm anders. Wohlige Wärme durch-strömte ihn.

»Nicht schlecht. Ich muß zugeben, daß ihrGeschmack habt.« Sofort erkannte er seinenFehler. »Daß ich Geschmack habe, wollteich sagen.«

Er trank die Flasche ganz aus, und plötz-lich sah er die drei Robotdiener mit anderenAugen. Fast glaubte er eine ganz besondereArt von Ästhetik in ihrer Konstruktion zu er-kennen. Wieso hatte er eigentlich etwas ge-gen sie? Im Grunde genommen war Bedien-nark doch ein ganz anständiger Kerl gewe-sen.

»Du da«, sagte Synk zu dem ihm amnächsten stehenden Roboter. »Komm malher.«

Er legte dem Maschinenwesen eine Handauf die Schulter.

»Du mußt das alles, was ich sagte, nichtso ernst nehmen. Ich freue mich sogar aufunseren gemeinsamen Flug, und ich sagedir, äh …«

»Äh?« ahmte der Roboter den Orxeyanernach. »Dieser Begriff ist mir …«

»Nicht geläufig, das weiß ich ja. Ich woll-te sagen, daß wir es diesen Schwarzen ausder Galaxis schon zeigen werden, und wirwerden Atlan da heraushauen, so wahr ichSator Synk heiße!«

Die drei Robotdiener zogen sich zurückund ließen den Orxeyaner allein. KonnteRobotern etwas peinlich sein? Unsinn, dach-te Synk. Die nächste Flasche. Bediennark!Er war doch ein patenter Kerl gewesen. FürAugenblicke drohte die Trauer Synk zuübermannen, doch ein weiterer Schluck halfdem schnell ab.

Sator Synk trank auch die letzte Flascheaus und schlief auf der Couch ein.

Als er erwachte, fühlte er sich so elendwie noch nie. Und als er die fünf Robotdie-

20 Horst Hoffmann

ner vor sich stehen sah, glaubte er, den Lohnfür alle Sünden seines Lebens zu empfan-gen.

*

Alles konnte Sator Synk den Robotbür-gern von Wolterhaven vorwerfen, nur einesnicht: daß sie nicht in der Lage waren, sichin die Psyche eines organischen Wesens zuversetzen. Der Synk bereits hinlänglich be-kannte Robotdiener an der Spitze der Grup-pe brachte eine neue Flasche zum Vorscheinund reichte sie Synk, der zunächst einmalungläubig blickte, dann jedoch um soschneller zugriff. Als er ausgetrunken hatte,fühlte er sich wohler. Erstaunt bemerkte ererst jetzt, daß jeder der fünf Roboter einenFarbfleck auf der Brust hatte. Blau, grün,gelb, rot und weiß – perfekte Unterschei-dungsmerkmale, und zwar solche, wie Synksie kurz nach dem Start der WOLTER-BOOT von den drei Dienern des Herrn Be-diennark gefordert hatte. Was hatte die Bot-schaft, die Bediennark ihm mitgegeben hat-te, wirklich alles enthalten? Sympathiebezei-gungen, Charakterbeschreibungen und wahr-scheinlich eine Aufzählung aller Vorliebendes Orxeyaners. Synk hoffte, daß Atlan nurdas erfahren hatte, was ihn direkt anging.Aber hatten die Roboter ihn dann nicht inder Hand? Synk fühlte sich wohler, natür-lich, aber konnte er den Robotdienern undihren Herren auch wirklich trauen? Wolltensie ihn betrunken machen, um seine Sinnezu vernebeln? Würden sie ihn bei der erstbe-sten Gelegenheit verraten? Waren sie im-stande, so gemein zu sein? Nicht auszuden-ken, wie groß die Blamage wäre, falls je-mand über Synks wahres Verhältnis zumHerrn Bediennark und seinen Dienern er-fuhr. Es gab nur eines, um sich Klarheit zuverschaffen. Sator Synk mußte die Robotertesten, hier und jetzt, bevor es zu spät war.

»Du da«, knurrte der Orxeyaner und zeig-te auf den rot markierten Diener. »Ja, dichmeine ich. Ab sofort bist du der Sprecher füreuch fünf. Wer mir etwas zu sagen hat, tut

das über dich. Ist das klar?«»Verstanden und akzeptiert, Sator Synk.«»Schön.« Der Orxeyaner nickte grimmig.

»Und dann soll jeder von euch wissen, daßich der Kommandant bin, ich ganz alleinund ab sofort. Das gilt für den Flug zur FE-STUNG und für die Zeit, die wir an Bordder GOL'DHOR verbringen werden. Ver-standen?«

»Verstanden und akzeptiert«, bestätigte»Rot«.

Synk schielte mißtrauisch von einem Ro-boter zum andern. Spielten sie ihm nur et-was vor, oder meinten sie wirklich, was siesagten? Daß Roboter lügen konnten, wußteSynk, zumindest bildete er sich das ein.

»Wir verstehen uns also. Wann könnenwir aufbrechen?«

»Sofort.«»Und auch eure Herren haben meine Be-

dingungen akzeptiert?«»Ja, Sator Synk. Deine Bedingungen wa-

ren uns bekannt.«Natürlich, dachte das Rauhbein aus der

Händlerstadt. Sie wissen ja über mich Be-scheid.

Einige Augenblicke lang war er versucht,eine Bestätigung von einem der Robotbürgerselbst zu fordern, doch dann, als er die fünfDiener still und in Reih und Glied vor sichstehen sah, begann er zu glauben, daß sie eswirklich ehrlich mit ihm meinten. Warumauch nicht? War es nicht nur natürlich, daßsie seine Führerqualitäten erkannt hatten?

Der Alkohol machte sich erst jetzt wiedervoll bemerkbar – so sehr, daß Synk sichnicht einmal die Frage stellte, warum das sowar. Das Mißtrauen schwand. Seine kleineStreitmacht stand vor ihm. Wozu also nochzögern?

»Wir brechen auf«, verkündete der Or-xeyaner. »Bringt mich zum Zugor!«

»Bist du sicher, daß du ihn steuernkannst?« fragte der rot markierte Diener.»Wir gaben dir den Alkohol zwar als Medi-zin, aber seine Nebenwirkungen …«

Synk winkte ab.»Unsinn!« sagte er barsch. »Ich bin schon

Ruf der Höheren Welten 21

ganz anders berauscht gewesen und trotz-dem … Aber das gehört nicht hierher. Ichsteuere das Ding. Keine Widerrede!«

Minuten später befanden Synk und seineStreitmacht sich im Zugor. Das Fahrzeughob ab und stieg viel zu steil in den Himmelauf.

»Soll nicht doch einer von uns …?« wag-te Rot zu fragen.

»Unsinn. Das war nur ein Test, um festzu-stellen, ob der Zugor nicht überladen ist unduns alle sechs tragen kann. Haltet euch fest.Wir machen übrigens einen kleinen Umweg.Ich möchte Orxeya noch einmal sehen.«

Keine Antwort, also auch kein Wider-spruch. Synk nickte zufrieden. Das Schwei-gen der Roboter war ein weiteres Zeichenfür ihre Bereitschaft, sich Synks Befehlen zufügen. Denn Sentimentalität war etwas, dassie kaum verstehen konnten. Und Sentimen-talität war es, die Synk Kurs auf Orxeyanehmen ließ. Er wollte seine Heimatstadttatsächlich noch ein letztes Mal sehen. Dennunbewußt rechnete er nicht damit, daß ervon seiner Mission lebend zurückkehrenwürde. Unbewußt empfand er immer nochSchuldgefühle dem Herrn Bediennark ge-genüber, der sich für ihn geopfert hatte.

*

Kurs auf Orxeya – das hieß für SatorSynk in seinem gegenwärtigen Zustand ersteinmal Kurs nach Nordost. Die Richtungstimmte zwar annähernd, aber in seinem Ei-fer schoß der Orxeyaner im wahrsten Sinndes Wortes über sein Ziel hinaus. Er hattesoviel mit Kurs, Höhen und Geschwindig-keitskorrekturen zu tun, daß er dies erst be-merkte, als er den Regenfluß unter sichschimmern sah.

Das brachte ihn halbwegs zur Besinnung.Synk drehte sich zu den Robotern um.

»Das ist nicht Orxeya«, sagte er. »Der Re-genfluß. Ich habe mich auf euch verlassen.Wieso habt ihr mich nicht darauf aufmerk-sam gemacht, daß … äh … die Steuerungdes Zugors fehlerhaft ist?«

»Wir waren und sind der Überzeugung,daß unser Kommandant weiß, was er tut,und daß der Umweg über den Regenflußnicht ohne Grund genommen wurde«, kames von Rot.

Synk schüttelte in stummer Verzweiflungden Kopf. Die euphorisierende Wirkung desAlkohols ließ nun rapide nach. Der Orxeya-ner hatte das Gefühl, daß der Zugor sich im-mer schneller in der Luft drehte und irgendjemand ihm einen Schraubstock am Kopfangelegt hatte. Ihm war übel – furchtbarübel. Synk versuchte verzweifelt, etwas ge-gen das Kreisen zu unternehmen, riß an al-len erreichbaren Hebeln und brachte es fer-tig, daß das Fahrzeug sich tatsächlich zu dre-hen begann. Dazu schwankte es und neigtesich so stark zur Seite, daß drei Robotdienergleichzeitig den Orxeyaner stützen mußten.

»Mir ist schlecht«, brachte der Komman-dant hervor. »Wir … wir müssen notlanden.Einer von euch übernimmt die Steuerung.«

Das war vorläufig das letzte, was der Or-xeyaner herausbringen konnte. Ein Robot-diener stellte sich an die Steuersäule in derMitte des schalenförmigen Fahrzeugs undstabilisierte den Kurs. Es dauerte nicht lan-ge, bis er einen geeigneten Landeplatz fand– am nördlichen Ufer des Flusses, zwischendem Dämmersee und der Senke der verlore-nen Seelen.

*

Der psionische Kampf zwischen demZentrum Mod-Poluur und der Bewußtseins-komponente Wommser tobte nun schon län-ger als einen Tag, ohne daß es einem derbeiden Gegner gelungen war, entweder dieBlockade um das Bewußtsein Leenia/Wommsers zu brechen oder sich aus der Ge-walt des Zentrums zu befreien. Wommserspürte, wie seine Energien langsam schwan-den.

Eine Stunde noch, vielleicht zwei. Dannmußte er das tun, was nicht zu vermeidenwar. Wommser hatte absolut keine Vorstel-lung davon, was geschehen mochte, wenn er

22 Horst Hoffmann

schlagartig seinen und Leenias Bewußtseins-inhalt und alle noch in ihm steckende Ener-gie freigab und dem Gegner entgegenschleu-derte. Er, Wommser, würde dies auf keinenFall überleben. Mod-Poluur wahrscheinlichauch nicht. Aber welche weiteren Wirkun-gen würde es haben?

Wommser konnte nicht weiter darübernachdenken. Er durfte es nicht.

Und Mod-Poluurs Ansturm wurde stärker.Das Zentrum legte all seine Lebensenergiein sein Anrennen. Die grüne Kugel, von derdie Extremitäten ihre Befehle bekamen,leuchtete nur noch schwach. Doch noch wardie Kommunikation möglich.

So erfuhr Mod-Poluur vom Auftaucheneines Fremden, der von fünf Robotern be-gleitet wurde und in einem Zugor gelandetwar – nicht weit vom Lager entfernt. DasZentrum brauchte ein Ventil, um den Zornüber das bisherige Scheitern seiner Anstren-gungen abzulassen. So schickte es dreiTechnos aus, die als einige der ersten inMod-Poluurs Gewalt geraten waren. Siesollten den Fremden fangen, die Robotervernichten und den Zugor zum Lager brin-gen.

*

Sator Synk kam im gleichen Augenblickwieder zu Bewußtsein, in dem die Technoserschienen. Sie ließen den Robotdienern kei-ne Chance. Vier der fünf Maschinenwesenvergingen im Feuer der Angreifer. Das fünf-te konnte sich gerade noch rechtzeitig hinterdem Zugor in Sicherheit bringen. Was ausihm wurde, sollte Synk nicht erfahren, denneiner der Technos richtete die Waggu aufihn und paralysierte ihn. Synk fiel zu Bodenund wurde zurück in den eigenen Zugor ge-schleppt. Er konnte sehen und denken, aberkeinen Finger rühren. Die Technos legtenihn auf den Rücken und starteten das Fahr-zeug.

All dies geschah innerhalb weniger Se-kunden. Synk begriff nichts. Wie kamenTechnos hierher, und warum hatten sie seine

Roboter zerstrahlt?Er lebte, aber was stand ihm bevor? Die

Technos unterhielten sich, doch Synk konntekein Wort verstehen. Woher hatten sie dieStrahler? Vor dem Fall der FESTUNG wares oft geschehen, daß Technos nach Orxeyakamen, aber immer waren sie nur mit Wag-gus bewaffnet gewesen.

So viele quälende Fragen. Synk wünschtesich, wieder berauscht zu sein, und sogar derelende Zustand, in dem er sich vor der Lan-dung befunden hatte, wäre ihm lieber gewe-sen als seine jetzige Lage.

Sator Synks Gedanken galten einzig undallein den Robotern. Wieder waren zumin-dest vier von ihnen an seiner Seite gestor-ben.

Und er war schuld an allem, hämmerte esin seinem Bewußtsein. Hätte er nicht dieLandung befohlen, wären die Technos nichtüber ihn und die Robotdiener hergefallen.Ihre Motive interessierten den Orxeyaner indiesen Minuten, da er zum Nichtstun verur-teilt im Zugor lag, überhaupt nicht. Was sieangerichtet hatten, war mehr, als er in dieserkurzen Zeit geistig verarbeiten konnte. Eswar sein Glück, daß er gelähmt war, dennandernfalls wäre er wie ein Berserker überdie drei hergefallen.

Warum war von den Robotdienern nichtsmehr übrig als ein paar Stücke Metall, dieverstreut auf dem Boden lagen? Weshalbhatten sie ihm das antun müssen? Lastete einFluch auf ihm?

Dann versuchte der Orxeyaner sich wie-der einzureden, daß sie es mit Absicht getanhatten, daß sie ihn nur deshalb betrunken ge-macht hatten, um ihn genau an der Stelle,wo das Verderben über sie gekommen war,landen zu lassen.

Alles ein abgekartetes Spiel! dachte Synk.Sie wollten mich quälen! Ich sollte mir nochmehr Gewissensbisse machen als ohnehinschon. Aber da haben sie sich gewaltig ge-irrt! Je weniger dieser verdammten Blech-kerle es auf Pthor gibt, desto besser für unsalle!

Zwei innere Stimmen lagen im Wettstreit

Ruf der Höheren Welten 23

miteinander – echte Trauer, Verzweiflungund ohnmächtiger Zorn und der vorgescho-bene Roboterhaß, mit dem Synk unbewußtversuchte, seine wahren Gefühle zu verdrän-gen.

Dieser Haß auf alles, was metallene Ten-takel, Antennen, Räder und Blinkleuchtenhatte, war es schließlich auch, der Synk dieFrage stellen ließ, was ihm nun weiter be-vorstand, was die Roboter mit ihrem Verratbezweckt hatten. Synks Gedanken warenwirr, aber immer mehr fragte er sich nun,wohin die Technos ihn brachten. Im Auftragder Odinssöhne handelten sie bestimmtnicht, auf eigene Faust wohl ebensowenig.Technos waren gewohnt, Befehle auszufüh-ren.

Synk stellte die wildesten Spekulationenan, doch er war weit davon entfernt, dieschreckliche Wahrheit zu erahnen.

Er war immer noch paralysiert, als derZugor am Rand des Lagers landete und dieTechnos ihn herauszerrten. Einer von ihnenlud sich den Orxeyaner über die Schulterund trug ihn bis zu einer schwach grünlichleuchtenden Kugel, die wie ein Riesenpilzaus dem Boden ragte und leicht pulsierte.

Sator Synk kam nicht mehr dazu, sichweitere Gedanken zu machen und Fragen zustellen.

Mod-Poluur nahm von ihm Besitz, undbei dem Orxeyaner würde es nicht Stundendauern, bis er zum willenlosen Sklaven ge-worden war, der niemals mehr er selbst seinwürde.

Es begann zu dämmern. Das letzte, wasSynk bewußt wahrnahm, war der sich auf-bäumende Körper einer atemberaubendschönen jungen Frau wenige Meter nebenihm. Ja, sie war schön – selbst jetzt noch, alsdas Grauen ihr Gesicht zu einer Grimassehatte werden lassen.

*

In der FESTUNG war man beunruhigt.Die Odinssöhne standen ununterbrochen inVerbindung mit Wolterhaven. Sator Synk

und die Robotdiener mußten längst einge-troffen sein. Selbst dann, wenn der Orxeya-ner nur langsam geflogen wäre, hätte erschon seit Stunden angekommen sein müs-sen.

Die Nacht brach über Pthor herein, ohnedaß der Zugor geortet werden konnte oderSynk auf die Funkanrufe der Odinssöhneantwortete.

»Wir sollten ein Suchkommando aus-schicken«, schlug Balduur vor.

»Unsinn!« Heimdall lachte rauh. »Wirkennen ihn doch, diesen Hitzkopf von Or-xeyaner. Sicher hat es Streit mit den Robo-tern gegeben, und er prügelt sich irgendwoauf dem Weg mit ihnen herum.«

Beide sahen Sigurd an, von dem sie eineEntscheidung erwarteten. Lange stand derblonde Sohn Odins vor einem Bildschirm,die Augen in die Ferne gerichtet.

»Wir warten bis zum Morgengrauen«,sagte er dann. »Wenn Synk bis dahin nichthier ist, breche ich selbst auf, um ihn zu su-chen.«

*

Der Robotdiener, der leise tickend vorden Überresten seiner Artgenossen stand,trug eine rote Markierung auf der Brust. Erhatte den plötzlichen Überfall überlebt – alseinziger. Keiselpoll, wie er wirklich hieß,hatte sich hinter den Zugor retten können,als die Angreifer auftauchten. Dennoch hätteihn der Techno, der ihn verfolgt und gestellthatte, erschießen können. Der Strahl warwenige Zentimeter neben Keiselpoll in denBoden gefahren. Einen zweiten Schuß hattees nicht gegeben. Der Techno war ver-schwunden und zu seinen beiden Begleiternzurückgekehrt, wobei er wußte, daß Keisel-poll lebte.

Das war etwas, das der Robotdiener nichtverstand. Er suchte vergeblich nach einerErklärung für das vollkommen unlogischeVerhalten des Technos, während er seinevier Artgenossen betrauerte.

Keiselpoll trauerte nicht wie es ein Men-

24 Horst Hoffmann

sch an seiner Stelle getan hätte. Es war et-was vernichtet worden, das denken, auf Im-pulse reagieren und selbständige Entschei-dungen treffen konnte – etwas wie er selbst,etwas, das Wert hatte.

Der Robotdiener stellte sich die gleicheFrage wie vorher Sator Synk: weshalb derÜberfall? Synk war entführt worden, ohnedaß Keiselpoll etwas dagegen tun konnte.Seine Logik hatte ihm gesagt, daß es besserwar, so zu tun, als ob er auch funktionsun-tüchtig gemacht worden wäre.

Aber er existierte, konnte denken und sichdie zu unternehmenden Schritte überlegen.Keiselpoll hatte sich die Richtung genau ge-merkt, in die der Zugor mit Sator Synk gest-artet war. Seine Aufgabe und die seiner viervernichteten Artgenossen war es gewesen,Synk in jeder Hinsicht zu unterstützen undihn dann zu provozieren, wenn er in eine La-ge geriet, die Höchstleistungen von ihm er-forderte. Dieser Auftrag galt weiterhin. Sa-tor Synk mußte gerettet werden – falls ernoch lebte.

So machte Keiselpoll sich auf den Weg.Er marschierte durch Dickicht, hohes Grasund kleine Wälder in die Richtung, in dieder Zugor geflogen war. Es begann zu däm-mern, und Keiselpolls Infrarotoptiken ge-statteten es ihm, auch ohne seine Scheinwer-fer, die ihn jedem Gegner schnell verratenhätten, seinen Weg zu finden.

Während der Roboter sich dem Lager derAnhänger Mod-Poluurs näherte, machte ge-rade in diesem Lager ein anderes Wesensich seine Gedanken über das, was vorgefal-len war.

Zpehk, der Techno.Er war es gewesen, der vor dem Robot-

diener gestanden und an ihm vorbeigeschos-sen hatte, und das mit voller Absicht. Zpehkwußte nicht, was plötzlich über ihn gekom-men war. Der Befehl des Zentrums war ein-deutig gewesen: Vernichtung aller Roboterund Festnahme des Fremden.

Wieso hatte Zpehk das Maschinenwesennicht zerstrahlen können?

Zpehk saß abseits vom Lager im Gras. Ir-

gend etwas geschah mit ihm. Er spürte es,und es jagte ihm Angst ein. War er zum Ver-räter am Zentrum geworden? Würde es nungrausame Rache an ihn nehmen?

Zpehk konnte noch nicht ahnen, daßMod-Poluur mit dem Kampf gegen das, wassich in der Gefangenen immer noch gegenihn sträubte, und mit der Integration SatorSynks so überfordert war, daß er keine Gele-genheit fand, seine Extremitäten zu überprü-fen, wie es sonst ständig der Fall war.

Zpehk wußte nicht, daß nur dies dafürverantwortlich war, daß er noch lebte.

Welche Art von Leben? fragte sich derTechno nicht zum erstenmal. Nur wenigevon seiner Art hatten sich die gleiche Frageschon gestellt und litten unter der Unsicher-heit.

War er, waren seine Artgenossen gebore-nes Leben oder Retortenwesen? Waren sieAndroiden, Züchtungen?

Die Radkränze, Röhren und Drähte, dieimmer dann sichtbar wurden, wenn einTechno ins Mondlicht einer gerade heimge-suchten Welt geraten war – was hatten sie zubedeuten?

Immer wieder die gleichen quälendenFragen. Fragen, wie sie sich nur Ausnahme-erscheinungen stellen konnten. Eine solcheAusnahmeerscheinung stellte Zpehk dar,und als solche hatte er sich am ehesten halb-wegs aus dem Bann des Monstrums befreienkönnen, als es sich völlig auf die Gefangenekonzentrierte und dabei zwangsläufig dieKontrolle über seine Extremitäten vernach-lässigen mußte.

Doch noch kam es Zpehk nicht annäherndin den Sinn, sich offen gegen den Meisteraufzulehnen. Er fühlte sich zwischen zweiWelten hin und her gerissen.

Bilder aus einer im Dunkel liegendenVergangenheit:

Es war ein Techno, er hatte den Herrender FESTUNG, beziehungsweise derenNachfolgern zu dienen. Die Roboter an Borddes Zugors waren Robotbürger aus Wolter-haven gewesen, Verbündete der FESTUNG.

War es dieser erste Funke der Erinnerung

Ruf der Höheren Welten 25

gewesen, der ihn daran gehindert hatte, aufden Robotdiener hinter dem Zugor zu schie-ßen und den beiden anderen Technos vorzu-spielen, daß er ihn vernichtet hatte?

Zpehk hatte sich erhoben und weiter vomLager entfernt. Es war dunkel geworden.Die Feuer brannten wieder, und Zpehk hattenur den einen Wunsch, möglichst weit vonihnen und den Mitgliedern der Gemeinschaftum das Zentrum entfernt zu sein. Immernoch fühlte er sich ihnen zugehörig, aber ih-re Nähe, vor allem aber die Nähe des Zen-trums, bereitete ihm nun Qualen.

Vielleicht war es die Struktur seines Ge-hirns, die ihn als ersten halbwegs dem Banndes Meisters entfliehen ließ. Zpehk wußte esnicht.

Er wußte auch nicht, was er zu tun hatte,als er dem Robotdiener gegenüberstand.

Zpehk hatte die Strahlwaffe in der Hand.Er richtete sie unsicher auf Keiselpoll.

*

Fast eine Minute verging – eine Minute,in der Keiselpolls elektronisches Gehirn aufHochtouren arbeitete, versuchte, den Gegnerund die Chancen einzuschätzen, die er beieinem Kampf haben würde. Es war jenerTechno, der Keiselpoll verschont hatte. DerRobotdiener erkannte ihn sofort.

Dann endlich senkte Zpehk den Lauf derWaffe.

»Du bist hier, um deinen Herrn zu retten«,begann der Techno unvermittelt. »Es ist zuspät. Ihm ist nicht mehr zu helfen.«

»Wo ist er?« wollte Keiselpoll wissen.Immer noch stellte das Verhalten des Tech-nos für ihn ein Rätsel dar, und Keiselpollwar bereit, jeden Augenblick seine Tentakelzu gebrauchen, um dem Gegenüber denStrahler zu entreißen.

Doch der Techno machte keine Anstalten,ihn anzugreifen.

»Dein Herr befindet sich in der Gewaltdes Meisters. Es gibt kein Entkommen.«

»Wer ist dieser Meister?«»Das Zentrum, unser aller Herr. Niemand

kann sich von ihm lösen. Wir leben durchihn. Niemand kann gegen seine Befehle ver-stoßen oder …«

»Du hattest den Befehl, uns zu vernich-ten?«

»So ist es.«»Uns alle? Warum hast du mich ver-

schont?«»Es …« Zpehk schüttelte den Kopf und

schloß für einen Moment die Augen. »Ichverstehe es selbst nicht. Etwas in mir sagtmir, daß es nicht recht ist, was wir tun. DieKraft des Meisters ist nicht mehr die gleichewie bisher, aber sie wird wiederkehren.«

Zpehk blickte den Robotdiener an. SeineFäuste waren geballt. Ein innerer Kampftobte in ihm. Der Techno mochte erkannthaben, daß sich ihm hier und jetzt die viel-leicht niemals mehr wiederkehrende Chancebot, das Monstrum unschädlich zu machen.Doch Zpehk hatte keine Chance. Hier moch-te die Macht des Zentrums geschwächt sein– in unmittelbarer Umgebung der Mulde be-stimmt nicht mehr. Der Teil von Zpehk, derMod-Poluur war, kämpfte gegen den Tech-no, gegen das, was Zpehk einmal gewesenwar, an. Er wurde stärker. Zpehk wußte, daßer keine Zeit mehr zu verlieren hatte. Erselbst konnte sich nicht in unmittelbare Nä-he des Zentrums wagen. Doch der Robotdie-ner … Alles hing davon ab, ob Mod-Poluurauch anorganisches Leben unter seinenBann zwingen konnte.

»Wenn du etwas für deinen Herrn und füruns alle tun willst, mußt du dich beeilen«,sagte der Techno schnell zu Keiselpoll. »DerMeister wird wieder Gewalt über mich ha-ben. Ich werde versuchen, dich zu zerstören,wenn er es von mir fordert. Sieh dich alsovor. Nun komm mit. Ich führe dich.«

Keiselpoll stellte keine Fragen, als Zpehksich umdrehte und losmarschierte. Er be-griff, daß es sich bei dem »Meister« um einEtwas handelte, das eine noch unbekannteAnzahl von Wesen unter seine Gewalt ge-bracht hatte und sie für sich arbeiten ließ.Doch das war auch schon fast alles. Zpehkreagierte nicht mehr auf Fragen. Manchmal

26 Horst Hoffmann

zuckte er zusammen oder blieb stehen. Ein-mal stieß er einen heiseren Schrei aus. Kei-selpoll befürchtete, daß andere Mitgliederdieser seltsamen Gemeinschaft auf den Plangerufen würden, doch nichts geschah, bisder Techno auf eine große Lichtung trat, inderen Mitte ein fein schimmerndes Netzüber den Boden gespannt war. Um es herumkonnte Keiselpoll neun leicht pulsierendeKugeln erkennen. Eine von ihnen leuchtetegrünlich. Vor und neben ihr lagen SatorSynk und eine Fremde.

»Dort ist es!« stieß Zpehk hervor, bevorer sich ein letztes Mal aufbäumte. Die Handmit der Waffe fuhr hoch, während der Tech-no sich gleichzeitig nach Keiselpoll umdreh-te.

Keiselpoll hatte mit dem Angriff gerech-net. Er hätte Zpehk töten können, doch erwußte, daß dieser nicht für seine Handlun-gen verantwortlich zu machen war. Soschossen Keiselpolls Tentakelarme auf dieHand mit der Waffe zu und entrissen demTechno den Strahler.

Wieder stieß Zpehk einen Schrei aus, denSchrei eines Wesens, das alle Qualen derHölle erlebte. Zpehk sank zu Boden. Nocheinmal sah er Keiselpoll an.

»Du … du mußt ihn töten! Er ist … imBoden, unter dem Netz. Schnell, bevor dieanderen …«

Weiter kam Zpehk nicht. Er war tot.Unsicher blickte Keiselpoll von Sator

Synk zu der Fremden im roten Anzug, derenKörper heftig zitterte. Der Robotdiener un-terdrückte den Impuls, Synk zu packen undeinfach fortzuschleppen. Nach den Wortendes Technos zu schließen, bedeutete dies einunkalkulierbares Risiko für den Orxeyaner,und noch lebte Synk. Keiselpoll sah es anden kaum wahrnehmbaren Atemzügen.

Zpehks letzte Worte wurden dem Roboterklar, als er den Lärm hinter sich hörte.

Ein halbes Dutzend bewaffneter Wesenstürmte auf die Lichtung. Gleichzeitig be-gann die Kugel vor Synk und der Fremdenstärker zu leuchten. Keiselpoll wußte nun,daß das, was sich dort unter dem Netz be-

fand, seine Streitmacht mobilisiert hatte, daßes wußte, warum er hier war.

Der Robotdiener hatte keine Wahl. Erwußte, was er zu tun hatte und daß es seinEnde bedeuten würde.

*

Wommser spürte, wie der mentale Drucketwas nachließ. Er konnte sogar einen Teilder Unsicherheit des Gegners mitempfinden.Irgend etwas oder irgend jemand bedrohteihn, so daß er einen Teil seiner Energien die-sem anderen entgegenschleudern mußte.Und genau das war Wommsers Chance. Erversuchte sich aufzubäumen, sich von Mod-Poluur zu lösen, einen Gegenschlag zu lan-den, Mod-Poluur unter seine Kontrolle zubringen – vergeblich. Selbst jener Teil vonMod-Poluurs Kräften, die er noch auf Lee-nia/Wommser konzentrierte, reichte aus, umdessen Bewußtsein nicht zur aktiven Entfal-tung kommen zu lassen. Wommser war mitseiner Kraft am Ende. Er hatte alles in denAusbruchsversuch hineingelegt – alles, au-ßer der Energiereserve, die nötig war, umdas schnelle Ende herbeizuführen. Womm-ser begann damit, diese Reserven aufzubau-en.

Es tut mir so leid, Leenia, dachte er, dochdie Partnerin konnte ihn nicht empfangen.

Wommser bündelte die eigene und dievon Leenia noch latent vorhandene Energiewie eine Linse das Licht der Sonne auf denBrennpunkt. Dieser Brennpunkt war Mod-Poluur – und mit ihm das Doppelwesen.Noch wenige Sekunden Leben …

*

Keiselpoll wartete nicht ab, bis die Heran-stürmenden ihn erreicht hatten oder schießenkonnten. So schnell, daß die Versklavten nureinen metallen blinkenden Schemen wahr-nehmen konnten, stürmte er auf das Netz zuund sprang mit einem gewaltigen Satz hin-ein. Es riß auf und schien den Robotdienerzu verschlingen. Keiselpoll spürte, wie er in

Ruf der Höheren Welten 27

etwas Zähes, Pulsierendes fiel. Das Ende ei-nes seiner Tentakel war auf den Knopf derSelbstvernichtungsschaltung gepreßt. DerRobotdiener war von dem gallertartigen Et-was, in das er versunken war, völlig um-schlossen, als die verheerende Explosion er-folgte.

Eine Stichflamme nach der anderen schoßaus der Bodenmulde. Die neun sie umgeben-den Kugeln begannen so hell zu strahlen,daß alle Extremitäten, die in ihrer Nähe stan-den, innerhalb von Sekundenbruchteilen dasAugenlicht verloren.

Die Versklavten schrien gepeinigt auf undbegannen wie besessen auf der Lichtungumherzurennen. Einige wälzten sich am Bo-den und preßten die Hände vor die Augen.Andere starben auf der Stelle.

Sie waren die ersten, die mit Mod-Poluurihr Leben ließen.

Wie eine gärende Teigmasse quoll derKörper des Monstrums, den bisher keinerseiner Sklaven gesehen hatte, über den Randder Mulde hinaus.

Die neun Kugeln platzten auf.Kleine grüne Flämmchen tanzten auf der

Gallertmasse, bis diese nicht mehr pulsierte.Mod-Poluur war erstarrt. Feine Risse bil-

deten sich in seinem Körper.Niemand würde jemals sagen können,

was bei Mod-Poluurs Tod geschehen war,wohin die ungeheuren Energien entwichenwaren, die dieses Geschöpf, das jahrtausen-delang in einem der Glaspaläste der Technosgeruht hatte, zu produzieren in der Lage ge-wesen war.

Wohin geht die Flamme, wenn dasStreichholz abgebrannt ist?

Im Lager lebte bald niemand mehr. DieExtremitäten folgten ihrem Meister. VonKeiselpoll war nichts mehr übrig. Leeniaund Sator Synk lagen nach wie vor am Randder Mulde, ohne ein Lebenszeichen von sichzu geben.

Die rissig gewordene amorphe Masse warkeine zehn Zentimeter von Leenias Kopfentfernt.

Und Wommser schwieg.

7.Die FESTUNG – und der Kampf um die

GOL'DHOR

Der Morgen brach an, ohne daß man inder FESTUNG ein Lebenszeichen SatorSynks empfangen hatte.

Wieder trafen die drei Odinssöhne zusam-men. Diesmal wirkte selbst der finstereHeimdall nachdenklich. Er machte sich we-niger Sorgen um den Orxeyaner als vielmehrum die Gründe für dessen Ausbleiben.

Synk hatte darauf gebrannt, an Bord desgoldenen Raumschiffs gehen und sich aufdie Suche nach Atlan machen zu können –so sehr, daß er selbst die Begleitung durchRobo ter akzeptiert hatte. Synk mochte einseltsamer Kauz sein, aber er würde alles dar-angesetzt haben, so schnell wie möglich zu-rückzukehren. Und es war unvorstellbar, daßdie fünf angekündigten Robotdiener ohneernstzunehmenden Grund eine Verspätungduldeten. Was also war geschehen, so frag-ten sich die Söhne Odins. Wer war in derLage, die sechs aufzuhalten, ohne daß dieseauch nur die Möglichkeit gehabt hatten,einen Hilferuf oder eine Nachricht zu fun-ken? Vieles war auf Pthor in Bewegung ge-raten, vieles, dessen die Odinssöhne immernoch nicht Herr geworden waren, ganz be-sonders nun, als an vielen Orten des Dimen-sionsfahrstuhls die Panik ausbrach.

Ein weiteres Gespräch mit den Robotbür-gern in Wolterhaven brachte die Gewißheit,daß weder Synk noch einer der fünf Dienersich bisher dort gemeldet hatten.

Sigurd erhob sich und atmete tief durch.»Ich begleite dich«, sagte Heimdall. »Es

reicht, wenn einer von uns in der FESTUNGzurückbleibt.«

»Es reicht, wenn einer von uns sich in Ge-fahr begibt«, entgegnete Sigurd.

Heimdall wollte widersprechen, doch imgleichen Augenblick, als er zum Protest an-setzte, stürmte ein Dello in den Raum.

»Was fällt dir ein?« brüllte Heimdall denAndroiden an. »Hat man es neuerdings nicht

28 Horst Hoffmann

mehr nötig, sich bei den Herren Pthors anzu-melden?«

»Laß ihn«, sagte Sigurd und legte eineHand auf den Arm des Bruders. »Sieh ihndir an. Er ist halb verrückt vor Angst.«

»Es ist etwas Unerklärliches geschehen«,brachte der Dello hervor. »Eine … eineFremde befindet sich in der FESTUNG. Ichsah, wie sie wie aus dem Nichts heraus ent-stand. Und bei ihr ist ein Mann. Er ist …«

»Er ist klein und stämmig und hat einenlangen roten Bart«, unterbrach Sigurd denAndroiden.

Der Dello starrte ihn fassungslos an.»Woher …?«»Woher ich das weiß?« Sigurd lachte hu-

morlos. Er drehte sich zu seinen verblüfftenBrüdern um. »Es sieht so aus, als brauchtenwir uns nicht mehr darum zu streiten, wersich auf die Suche nach Sator Synk macht.«Wieder an den Dello gewandt, sagte er:»Bringt ihn zu uns, ihn und die Fremde. Wiesieht sie aus?«

Der Androide beschrieb sie, so gut erkonnte. Die Odinssöhne konnten nicht allzuviel damit anfangen.

Was lag näher, als die Frau im roten An-zug mit dem langen Ausbleiben des Orxeya-ners in Verbindung zu bringen?

Was lag näher, als sie dafür verantwort-lich zu machen, daß die fünf Robotdienernicht mit Synk in der FESTUNG erschienenwaren – auf welche unglaubliche Art auchimmer dies geschehen war?

Irgend etwas Unheimliches hatten die Od-inssöhne vermutet, etwas, mit dem wederSynk noch die Robotdiener hatten fertigwerden können.

Die Art und Weise, wie Synk und dieFremde in die FESTUNG gelangt waren,war unheimlich.

Und Sator Synk war ganz bestimmt nichtin der Lage, aus dem Nichts heraus zu ent-stehen.

»Rufe ein paar Dellos«, sagte Sigurd zuBalduur. »Sie sollen sich im Nebenraum be-reit halten. Und sie müssen bewaffnet sein.«

*

Leenia folgte den Dellos ohne Wider-stand. Sie hatte nach dem Erwachen genugvon dem bärtigen Mann, der nun an ihrerSeite ging, über die FESTUNG und die Zu-stände auf Pthor gehört, um sich ein unge-fähres Bild machen zu können. So wußte sieauch von Atlans Aufbruch.

Man führte sie zu denjenigen, die in Ab-wesenheit Atlans den Dimensionsfahrstuhlregierten.

Nicht so vage wie ihre Vorstellung vonPthor war jedoch ihr Ziel.

Sator Synk hatte viel geredet – sehr vielsogar. Das meiste hatte Leenia nicht verstan-den. Seine Selbstanklagen und sein Verhält-nis zu Robotern interessierten sie auch nicht.Was sie einzig und allein interessierte, wardas Raumschiff, von dem Synk immer wie-der geredet hatte. Leenia wußte nun, daß esein Schiff gab, mit dem sie den Wölbmanteldurchdringen konnte. Leenia hatte viel ge-fragt. Sie hatte sich inzwischen darauf um-stellen können, sich auf akustische Weisemit anderen zu verständigen. Dies war jetzteffektiver. Dieses Schiff trug den NamenGOL'DHOR. Dieses Schiff befand sich inunmittelbarer Nähe der FESTUNG. DiesesSchiff mußte Leenia besitzen, um zu denHöheren Welten gelangen zu können. Mitdem Tod Mod-Poluurs waren schlagartig al-le Energien zurückgekehrt. So war Leenia inder Lage gewesen, an der Lichtung zu ent-materialisieren und innerhalb der FESTUNGwieder stofflich zu werden. Mehr noch: Siehatte Sator Synk, der dem Tod nahe gewe-sen und nur durch ihr Einwirken wieder sta-bilisiert worden war, mit sich nehmen kön-nen. Leenia war sicher, daß sie ebenso wie-der in der Lage war, durch einen Blick ihrerAugen, durch einen einzigen Impuls Todüber jeden zu bringen, der sie an ihrem Vor-haben zu hindern versuchte.

Sie hoffte, daß sie nicht dazu gezwungensein würde.

Diejenigen, die Pthor in Abwesenheit At-

Ruf der Höheren Welten 29

lans verwalteten, waren nicht ihre Feinde.Was Wommser nicht hatte wissen können,weil er mit ihr die Entwicklung der letztenMonate regelrecht verschlafen hatte, hatteLeenia von Sator Synk erfahren, von demMann, der nun schweigend neben ihr mar-schierte, durch endlos erscheinende Korrido-re.

Synk bot ein Bild des Elends. Er wußte,daß »Rot« sich für ihn geopfert hatte. Er hat-te erfahren, wie alle Sklaven des Monstrumsin der Bodenmulde einen qualvollen Tod ge-storben waren, viele von ihnen erst Stundennach dem Ende Mod-Poluurs. Sie waren un-fähig gewesen, ohne das, was sie zu einemTeil des Zentrums gemacht hatte, noch zuexistieren.

Synk tat Leenia leid. Doch ihr kam es nuneinzig und allein darauf an, die GOL'DHORin ihren Besitz zu bringen, und Wommserbestärkte sie in ihrem Vorhaben. Die Motiveder beiden Bewußtseinskomponenten warenfast identisch. Beide wollten zu jenen We-senheiten gelangen, die von ihrer Art waren.Doch Wommser dachte an Atlan, von demdas Doppelwesen nun wußte, daß er irgend-wo in der Schwarzen Galaxis verschollenwar und sich mit größter Wahrscheinlichkeitin Lebensgefahr befand.

Leenia/ Wommsers Entschluß stand fest.Es würde keinen Kompromiß geben.

Vor einer großen Tür machten die sie es-kortierenden Dellos halt.

Die Tür öffnete sich, und Leenia sah indie Gesichter der Odinssöhne.

*

Sigurd führte das Wort, während seineBrüder sich im Hintergrund hielten und ab-wechselnd Synk und Leenia anstarrten. DieDellos hatten sich zurückgezogen. Anderehielten sich in einem Nebenraum auf, vonwo sie sofort zuschlagen konnten, falls ihrenHerren Gefahr drohte.

Synk hatte ausführlich berichtet, aller-dings den wahren Sachverhalt, was seinen»Umweg« anbetraf, etwas korrigiert. So hat-

te er angegeben, nahe Orxeya von einemfremden Zugor angegriffen worden zu sein.Um die Bösewichter gleich mit zur FE-STUNG bringen zu können, habe er sie ver-folgt und sei von hinzukommenden Zugorseingekreist und zur Landung am Regenflußgezwungen worden. Nach heldenhaftemKampf habe man ihn überwältigt und zu dergrünlich schimmernden Kugel geschleppt,wo er in den Bann einer fremden Macht ge-raten war.

Der Rest seiner Schilderungen deckte sichmit der Wahrheit. Synk sprach stockend undballte die Fäuste, als er berichtete, daß derrot markierte Robotdiener sich für ihn geop-fert hatte.

Als dies geschah, war der Orxeyaner na-türlich unfähig gewesen, irgend etwas wahr-zunehmen. Er wußte es von Leenia – undder Name war das einzige, was er über dieFremde zu sagen vermochte. Erst jetztmachte er sich Gedanken darüber, daß er ge-redet hatte wie ein Buch und daß sie nurFragen gestellt hatte.

»Wer bist du?« wandte sich Sigurd dannauch an die Frau im roten Anzug.

Leenia war auf die Frage vorbereitet. LautWommser hatte es etwa 200 000 Schläferder verschiedensten Rassen in der Senke derverlorenen Seelen gegeben. Leenia glaubtenicht, daß die Odinssöhne auch nur annä-hernd darüber Bescheid wußten, wie allediese Wesen im einzelnen aussahen.

»Ich wurde von meiner Heimatwelt ent-führt und in eine der Tiefschlafkammern inder Senke der verlorenen Seelen gebracht.Nach meinem Erwachen konnte ich demChaos entkommen und streifte so langedurch die Wälder der Umgebung, bis ichvon den Sklaven des unheimlichen Wesensgefangengenommen wurde – ebenso wiekurz darauf Sator Synk.«

»Wie heißt der Planet, von dem dustammst?« fragte Sigurd. Schnell überlegtesie sich einen Namen. Sie konnte nur hoffen,daß es in der FESTUNG keine Speicher gab,in denen die Namen aller von Pthor heimge-suchter Welten festgehalten und jederzeit

30 Horst Hoffmann

abrufbar waren.»Neebya«, sagte sie so ruhig wie möglich.

»Ich heiße Leenia.«Sie machte diese Angabe unaufgefordert,

weil sie damit rechnen mußte, daß sich LeboAxton in der FESTUNG befand. Er würdesie sofort wiedererkennen. Dann war es gut,wenn sich ihre Aussagen deckten. Der blon-de Jüngling nickte. Hinter ihm erhob sich ei-ner der beiden anderen Odinssöhne, jener,dessen Anblick Leenia Furcht einflößte. Erverließ den Raum ohne ein Wort. Leeniakannte die Namen der Odinssöhne ausWommsers Erinnerungen. War Heimdall ge-gangen, um ihre Angaben zu überprüfen?Sie machte sich bereit, beim geringsten An-zeichen einer Entdeckung zu fliehen. Dochwohin sollte sie sich wenden? Vielleichtwürde sie weitere wertvolle Stunden damitverbringen müssen, nach dem Raumschiffzu suchen – immer wieder auf der Flucht vorihren Verfolgern.

Sie brauchte jemanden, der ihr den Wegwies und sie in den Weltraum brachte, je-manden, der gleichermaßen eine Geisel war.

Einer der Odinssöhne, kam es vonWommser. Wenn einer von ihnen mit anBord ist, werden die anderen nicht wagen,auf uns schießen zu lassen.

Zustimmung. Leenia konnte nicht wissen,wie wertvoll die GOL'DHOR tatsächlich fürdie Odinssöhne war. Doch auch wenn sieum die Bedeutung dieses phantastischenSchiffes gewußt hätte, wäre es fraglich ge-wesen, ob die drei es nicht lieber geopfertals einer Fremden überlassen hätten.

Sator Synk schied ohnehin als Geisel oderals Pilot aus. Er bot ein Bild des Jammers.

Sigurd stellte weitere Fragen, und Leeniaantwortete. Vielleicht konnte sie noch eini-ges erfahren, das ihr später von Nutzen seinwürde. Sigurds Gedanken konnte sie nichtempfangen. Er kapselte sich ab. Ein Zeichenvon Mißtrauen? Synk dachte an nichts ande-res als an Roboter, die sich für ihn opferten.

Als Heimdall zurückkehrte, genügte einBlick in seine Augen, um Leenia wissen zulassen, woran sie war. Der Odinssohn hielt

eine Lähmwaffe auf sie gerichtet.»Es gibt keine Welt, die Neebya heißt«,

sagte der Finstere. »Ich habe mich bei denRobotbürgern erkundigt. Die Frau lügt. Ichhalte sie für eine Abgesandte der Mächte derSchwarzen Galaxis.«

Plötzlich überschlugen sich die Ereignis-se. Heimdall rief einen Namen. Eine Türwurde von außen aufgerissen, und vier Del-los stürmten in den Raum, die Waffen aufLeenia gerichtet.

Leenia ließ ihnen keine Chance. Vor denAugen der überraschten Odinssöhne vergin-gen sie in violettem Feuer. Leenia wartetenicht ab, bis weitere Wachen heran waren.Sie sprang auf Heimdall zu und entmateriali-sierte mit ihm, bevor er schießen konnte.

»Aber das ist … das ist unmöglich!« ent-fuhr es dem fassungslosen Sigurd. »Wo istsie geblieben? Das kann nicht sein!«

Balduur war ruhiger – zumindest nach au-ßen hin.

»Doch, Bruder«, sagte er. »Wir hättenwissen müssen, daß wir sie nicht halten kön-nen. So wie sie gekommen ist, ist sie gegan-gen.«

»Mit Heimdall!« schrie Sigurd zornig. Erpackte einen Pokal und schleuderte ihn ge-gen die Wand. »Und nun?«

»Nun müssen wir warten«, entgegneteBalduur. »Sie wird ihre Bedingungen stel-len. Umsonst hat sie Heimdall nicht mitge-nommen.«

*

Leenia und Heimdall materialisierten eini-ge Dutzend Kilometer von der FESTUNGentfernt. Der Odinssohn sah sich mit weitaufgerissenen Augen um. Er konnte nichtfassen, was geschehen war. Eben noch hatteer bei seinen Brüdern gestanden, und nunbefand er sich mitten auf einem freien Feld.Nur in der Ferne war Wald zu erkennen.Sein Blick traf Leenia. Sie war einige Meterzurückgesprungen, um nicht das Opfer einesTobsuchtsanfalls zu werden. In der Handhielt sie die Waggu, die sie dem Odinssohn

Ruf der Höheren Welten 31

entrissen hatte.»Ich wußte es!« schrie Heimdall. »Du bist

mit den Mächten des Bösen im Bunde. Dubist eine Spionin aus der Schwarzen Gala-xis! Ich werde dich …!« Ein Blitz aus Lee-nias Augen brachte den Rasenden zumSchweigen. Nur Zentimeter vor seinen Fü-ßen fuhr er in den weichen Boden und ließheißen Dampf aufsteigen.

»Du wirst mich zu eurem Raumschiff füh-ren!« sagte Leenia mit fester Stimme. »ZurGOL'DHOR!«

»Wozu? Du kamst ohne Schiff hierher,und du wirst keines brauchen, um deinenAuftraggebern zu berichten, was sie wissenwollen. Wann werden sie kommen? Wannbeginnt die Invasion?«

Er hat Angst, meldete sich Wommser.Doch er würde lieber sterben, als dir zu ver-raten, wo sich die GOL'DHOR befindet.Achte auf ihn!

Ich muß das Schiff haben! dachte Leenia.Heimdall wird dich nicht zu ihm führen,

aber du hast ihn als Geisel. Benutze ihn alsDruckmittel seinen Brüdern gegenüber.

Dazu müßte ich in die FESTUNG zurück-kehren. Es wird überall von Wachen wim-meln, und ich weiß nicht, wie unser Körperauf Paralysestrahlen reagiert.

Niemand wird uns angreifen. Nur wirwissen, wo sich Heimdall befindet. Wir brin-gen ihn in ein sicheres Versteck.

Wohin, Wommser?In die Höhle.Wieder entmaterialisierte das Doppelwe-

sen mit Heimdall, ohne an Energie zu verlie-ren. Das energetische Gleichgewicht, daszur Stabilisierung des Körpers und dessenFunktionen notwendig war, wurde durch denAnzug gewährleistet.

Leenia betäubte Heimdall mit der erbeute-ten Waggu, legte ihn in der Höhle, die solange ihr Versteck gewesen war, ab und»sprang« direkt in die FESTUNG. Sie mate-rialisierte vor Sigurd. Balduur war gegan-gen, um mit Hilfe der Robotbürger und desWachen Auges eine Spur von Leenia zu fin-den.

»Hör mir zu«, sagte Leenia. Das Sprechenfiel ihr jetzt immer leichter. »Ich bin nichtdas, wofür ihr mich haltet. Auch ich kämpfegegen jene, die die Schwarze Galaxis be-herrschen. Keine Fragen, Sigurd: Ich könntedir keine Antwort geben. Ich weiß, daß dumir nicht glauben, noch weniger vertrauenkannst. Deshalb schlage ich dir einen Han-del vor: Heimdall gegen die GOL'DHOR.«

Das war nicht mehr die sensible Frau, derLebo Axton auf seiner Flucht aus der Senkeder verlorenen Seelen begegnet war. Leeniahatte sich den Gegebenheiten anpassen müs-sen, um ihr Ziel zu erreichen.

»Niemals wirst du die GOL'DHOR be-kommen!« entgegnete Sigurd heftig. »Nie!Wir würden uns selbst ans Messer liefern!«

»Und dein Bruder Heimdall? Ist er dirgleichgültig? Nur ich weiß, wo er sich befin-det, und er wird sterben, wenn ihr ihn nichtrechtzeitig findet. Und du irrst dich, Sigurd.Ich will die GOL'DHOR nicht für mich ha-ben. Ich brauche sie nur, um in ihr denWölbmantel durchdringen zu können. Ichwerde verschwinden, und ihr könnt euch dasSchiff zurückholen.«

Es war dem Odinssohn anzusehen, daß eraus den Worten der Fremden nicht schlauwurde.

»Welche Garantie kannst du uns geben?«»Keine. Aber du kannst mit mir an Bord

kommen, meinetwegen auch ein paar Del-los, die das Schiff zurückbringen, nachdemes für mich seinen Zweck erfüllt hat. Wenndu wieder auf Pthor bist, wirst du wissen,wo sich dein Bruder befindet.«

Sigurd ließ sich in seinen Sessel fallen.Lange blickte er Leenia in die Augen, in die-se unergründlichen Augen, die noch vor kur-zem das Verderben über die Dellos gebrachthatten.

Schließlich nickte er.»Ich weiß, daß ich vielleicht das Schick-

sal Pthors aufs Spiel setze, aber ich bin be-reit, dir zu glauben.«

Sigurd breitete die Arme aus, als ob er dieLuft um sich herum einfangen wollte.

»Sie ist überall, diese schreckliche Aura

32 Horst Hoffmann

der Schwarzen Galaxis. Du nimmst sie. Ichspüre es. Um Heimdalls und Pthors willenbin ich bereit, das Risiko einzugehen.«

Balduur trat ein. Er stieß einen Laut derÜberraschung aus und suchte den großenRaum nach Heimdall ab.

»Es ist gut, Bruder«, sagte Sigurd. »Ichwerde sie an Bord der GOL'DHOR brin-gen.«

Sigurd wartete auf einen Protest, dochBalduur blieb schweigend im Eingang ste-hen.

»Du wirst während meiner und HeimdallsAbwesenheit regieren, Balduur. Ich weiß,was ich tue.« Sigurd sah wieder Leenia an.»Ich hoffe es. Gehen wir?«

»Das wird nicht nötig sein«, sagte Leenia.»Es genügt, wenn du an den Standort derGOL'DHOR denkst und deine Gedanken anmich richtest.«

»Du kannst sie lesen?«»Nur Botschaften.«Sigurd nickte seinem Bruder noch einmal

zu. Dann stand er auf und reichte Leenia ei-ne Hand.

»Du wirst keinen Raumanzug brauchen«,versicherte sie. »Komm und vertraue mir.«

Vor Balduurs Augen entmaterialisiertendie beiden.

*

Sie wurden in der Zentrale derGOL'DHOR wieder stofflich. Sigurd blickteebenso verunsichert um sich wie vor ihmHeimdall.

»Jetzt rufe die Dellos«, sagte Leenia.Wieder stand der Zweifel in Sigurds Ge-

sicht geschrieben. Das goldene Schiff stellteimmer noch ein Rätsel für die Pthorer dar,aber der Odinssohn konnte sich nicht vor-stellen, daß es die Fremde als Pilotin»akzeptieren« würde.

»Was willst du wirklich?« fragte Sigurd,den Blick starr auf die Kontrollen gerichtet.

»Ich sagte dir bereits, daß ich dir nichtviel erklären kann, Sigurd. Bringe michdurch den Wölbmantel, und ich werde so

verschwinden, wie ich gekommen bin. Eswird alles so sein, als hätte es mich nie gege-ben. Du wirst in dem Augenblick, in demich die GOL'DHOR verlasse, wissen, wosich Heimdall befindet. Versuche mir zuvertrauen. Du hast den Anfang ja bereits ge-macht.«

Sigurd nickte nur und trat an ein Pult, vonwo aus er einen Dello zur GOL'DHOR rief.

»Nur ein Mann?« fragte Leenia über-rascht.

»Mehr brauchen wir nicht, um dieGOL'DHOR zu fliegen.«

Eine halbe Stunde später erhob sich dieGOL'DHOR, die wie ein riesiges goldenesInsekt aussah, in den Himmel.

Leenias Herz klopfte, als sie die Nähe desWölbmantels spürte, auf den das Schiff im-mer schneller werdend zuschoß. DieGOL'DHOR stieg senkrecht in die Luft. Im-mer näher, unaufhaltsam. Leenia spürteeinen zunehmenden Druck im Kopf. AuchWommser wurde unruhig.

Dann war es soweit.Ein stechender Schmerz in Leenias Kopf.

Für Sekunden wurde es dunkel vor ihrenAugen. Als sie wieder sehen konnte, war derDruck verschwunden. Die GOL'DHORstand reglos im Weltraum, unter sich Atlan-tis und vor sich die dunklen Sterne derSchwarzen Galaxis.

Die Aura der geheimnisvollen Sternenin-sel war für Leenia jetzt deutlicher zu spürenals auf Pthor unter dem Wölbmantel, dochsie tötete Leenia nicht. Ein Gefühl der Übel-keit – das war alles. Es ließ sich ertragen,und Leenia würde sich auch daran gewöh-nen.

Sie drehte sich zu Sigurd um und nicktedankbar lächelnd.

»Vielleicht werde ich eines Tages Gele-genheit haben, auch euch zu helfen«, sagtesie. »Lebt wohl, Sigurd – du und alle Ptho-rer. Und hab Dank.«

Sigurd starrte lange auf die Stelle, an dersie gestanden hatte. Wohin? fragte er sichimmer wieder. Wohin ist sie gegangen?

Er wußte jetzt, daß er keinen Fehler ge-

Ruf der Höheren Welten 33

macht hatte. Die Fremde war nie und nim-mer eine Agentin der Mächte, die jeden Au-genblick nach Pthor greifen konnten. Siehatte ihr Versprechen gehalten. Sie hatte dieGOL'DHOR nicht an sich gebracht, und Si-gurd wußte jetzt, wo sich sein Bruder be-fand.

Wie er dazu kam, war ihm unbegreiflich –er wußte es einfach.

»Wir fliegen zurück, Jarsen«, sagte erzum Dello. »Aber nicht direkt zur FE-STUNG. Wir werden einen kleinen Umwegmachen müssen.«

Die GOL'DHOR nahm Kurs auf das Ge-biet zwischen dem Dämmersee und der Sen-ke der verlorenen Seelen.

8.

ÜBER DIE HÖHEREN WELTEN: Esgibt eine Ebene jenseits des Vorstellbaren,eine unter unzähligen Ebenen mit jeweilsunterschiedlichem energetischen Niveau, mitGesetzen, die für unser Raum-Zeit-Kontinuum keine Gültigkeit haben kön-nen. Wir könnten sie als die Ebene der mul-tidimensionalen Wesen bezeichnen, als dieHeimat von Lebensformen aus reiner Ener-gie, von »Zufallsprodukten« der Schöpfungwie Wommser eines ist, jenes Wesen, dasaus dem Aufeinandertreffen von Normal undAntimaterie geboren wurde – unter ebenfallsabnormen Bedingungen. Wir könnten sie alsdie Ebene vergeistigten Lebens bezeichnen,als die Heimat von Wesenheiten, die einmalkörperlich waren und den letzten Schritt ei-ner Evolution vollzogen haben, von der wirnur die Spitze des Eisbergs begreifen kön-nen. Es gibt nicht viele, die diesen Schrittgetan haben, und es wird Jahrhunderte,Jahrtausende vielleicht dauern, bis irgend-wo im Universum ein weiteres zu ihnenstößt, angezogen vom Energieniveau derDaseinsebene.

Einen von ihnen haben wir kennengelernt– Waaylon, den dreiäugigen Eripäer, der indie Gemeinschaft der Körperlosen einge-gangen ist.

Sie sind unterschiedlicher Herkunft undUrsprungs, doch durch ihr energetisches Ni-veau artverwandt und unsterblich geworden.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der sie sichfür begrenzte Zeit im normalen Universumunter den Sterblichen aufhalten konnten, im-mer dann, wenn die Sehnsucht nach der frü-heren Existenzform übermächtig wurde. DieHöheren Welten sind nicht zu lokalisieren.Sie sind überall und füllen ihre Ebene aus.Doch um in unser Raum-Zeit-Gefüge zu-rückkehren zu können, und sei es auch nurfür Stunden, brauchen die Körperloseneinen Bezugspunkt, einen Ort, den sie auf-grund seiner speziellen Beschaffenheit alsEnergieschleuse benutzen können.

Ein solcher Ort im Universum war dieSchwarze Galaxis. In ihr gab es mehrereVerbindungspunkte zwischen den Dasein-sebenen. Sie existieren immer noch, dochdurch das Einwirken der Dunklen Mächtewurde den Körperlosen der Zugang in unse-re Existenzebene versperrt. Nur eines standin ihrer Macht: sie konnten für kurze ZeitObjekte oder Leben in ihre Ebene herüber-ziehen.

Doch die Sehnsucht danach, sich wiederim Kontinuum der Körperlichen aufhaltenzu können, wuchs unaufhörlich.

Deshalb hatte man Leenia geschaffen.Deshalb hatte man sie jenseits der Aura

der Schwarzen Galaxis auf Pthor deponiert.Und deshalb wartet man nun sehnsüchtig

auf ihre Rückkehr.

9.An Bord der KNIEGEN

Die KNIEGEN war umzingelt. DerSchutzschirm war längst überlastet, und eswar nur eine Frage von Minuten, bis er unterdem konzentrierten Feuer der Scuddamoren-Schif-fe zusammenbrechen und die KNIEGEN ineinem Glutball vergehen würde.

Immer noch standen Atlan und Thaliareglos in der Zentrale. Die Zielautomatik er-faßte die laufend ihre Position wechselndenScuddamoren. Einer der Verfolger war ver-

34 Horst Hoffmann

nichtet worden, und die KNIEGEN feuerteweiter aus allen Rohren – bis zum bitterenEnde. Es war ein letztes Aufbäumen vordem Unausweichlichen.

Dorkan Moht, die Galionsfigur, ließ dasOrganschiff wilde Sprünge vollführen. Nurihr war es zu verdanken, daß das Schiffnicht längst schon vernichtet worden war.

Dann erfolgten drei Treffer auf einmal.Die Schutzschirme brachen zusammen. Einweiterer Energiestrahl fuhr in den Bug derKNIEGEN. Atlan und Thalia wurden zu Bo-den geschleudert. Der Schrei der Galionsfi-gur hallte in ihren Ohren.

Sie warteten auf den nächsten und letztenTreffer, eng umschlungen und die Augengeschlossen. Nichts geschah. Plötzlich warnur noch Stille – und ein unheimlichesLicht, das durch die geschlossenen Augenli-der der beiden Menschen drang. Atlan hattefür Sekunden das Gefühl, als wühlte jemandin seinen Eingeweiden herum, als würdesein Inneres nach außen gestülpt. Er öffnetedie Augen und sah das rote Wabern – zuerstauf den wenigen noch intakten Schirmen,dann überall um sich herum. Es kam durchdie Wände. Kleine gelbe Lichter entflamm-ten, erloschen sogleich wieder oder blähtensich zu schnell vergehenden Kugeln auf.Und Atlan wußte, daß er etwas Derartigesschon einmal gesehen hatte. All das, wasbisher in seinem Unterbewußtsein verborgengewesen war, brach mit einem Schlag durch.Atlan erinnerte sich an die Begegnung mitdem »Lebensfeld«, daran, daß diese Ballungkörperloser Intelligenzen ihn bereits einmalgerettet hatte. Der Arkonide wartete darauf,wieder dieses alte, vertraut erscheinende Ge-sicht zu sehen und die Stimme zu hören, diedamals zu ihm gesprochen hatte.

Doch es blieb ruhig.Die KNIEGEN schien in einem Meer aus

roter Glut zu schweben, jenseits aller Geset-ze von Zeit und Raum. Atlan wußte, daß dasSchiff und damit Thalia und er selbst sichnicht mehr im normalen Raum-Zeit-Gefügebefanden.

Wieder hatte das Unfaßbare eingegriffen,

aus welchen Motiven auch immer. Wichtigwar jetzt nur eines: hier gab es keine Scud-damoren-Schiffe, und die KNIEGEN warnoch nicht auseinandergebrochen.

Als weitere Minuten vergingen, ohne daßetwas geschah, richtete Atlan sich auf.

»Könnt ihr uns hören?« rief er laut. »GebtAntwort!«

Nichts.»Es hat keinen Sinn«, flüsterte Thalia, die

das gleiche wahrnahm wie der Arkonide.»Erinnere dich an unsere erste Begegnungmit diesen Wesen. Sie sagten sinngemäß,daß sie nicht lange in der Aura des Bösenexistieren können. Diesmal ist es ihnen nichteinmal gelungen, sich wenigstens für kurzeZeit voll zu etablieren.«

Wie zur Bestätigung ihrer Worte wurde esschlagartig finster. Die Dunkelheit war voll-kommen. Selbst die Lichter der Kontrollenwaren erloschen. Ein einziger Stern wardurch eines der Bullaugen der KNIEGEN zusehen. Das Schiff schien im absolutenNichts zu treiben.

Doch auch dieser Zustand dauerte nur Se-kunden. Dann erfüllte ein unwirklich er-scheinendes violettes Licht die Zentrale derKNIEGEN.

Atlan und Thalia schlugen sich geblendetdie Hände vor die Augen. Als der Arkonidewieder sehen konnte, weil das Lichtnachließ, erblickte er die Fremde.

Und ein weiterer Teil der Erinnerungbrach durch.

Die Worte des »Alten« bei der ersten Be-gegnung mit der vergeistigten Kollektivin-telligenz:

Aber du sollst wissen, daß sich eine vonuns auf Pthor befindet. Sie weiß nichts vonihrer Herkunft und wird sich erst erinnern,wenn unser Ruf an sie ergeht. Du wirst ihrenNamen wissen, wenn sie dir eines Tages ge-genübersteht.

»Leenia«, brachte der Arkonide hervor.»Du bist Leenia.«

Die Fremde nickte. Dann zeigte sich einLächeln auf ihrem schönen Gesicht.

»Ein Teil von mir ist Leenia«, sagte sie.

Ruf der Höheren Welten 35

»Der andere heißt Wommser.«»Wommser?« fragte der Arkonide un-

gläubig. »Aber das kann nicht sein! Womm-ser ist …«

»Er ist ein Teil von mir geworden, Atlan,und nur ihm ist es zu verdanken, daß ichjetzt hier bin.«

»Was wirst du tun?«Leenia wurde schlagartig ernst.»Ich will versuchen, euch in Sicherheit zu

bringen, zu den Höheren Welten, Atlan. Zujenen, die all ihre Hoffnung in dich gesetzthaben. Aber es wird nicht einfach sein. Esgibt einen Störfaktor an Bord.«

»Was?«»Die Galionsfigur. Sie stirbt und strahlt

Impulse aus, die unsere Reise schon jetztstark beeinträchtigen.«

Leenia redete in Rätseln. Welche Reise?Was waren die Höheren Welten, und was

sollte er dort, wo er gerade neue Hoffnunggeschöpft hatte, doch noch gegen die Mäch-te der Schwarzen Galaxis vorgehen zu kön-nen. Atlan wollte Fragen stellen, aber plötz-lich wurde es um ihn herum wieder hell, undauf dem Hauptbildschirm war etwas zu er-kennen, das der Phantasie eines surrealisti-schen Malers hätte entsprungen sein können.

Die KNIEGEN befand sich im Innern ei-ner gigantischen Hohlkugel. Es war eineWelt. Atlan konnte Gebirgszüge mit nadel-förmig in die »Höhe« ragenden Felsspitzenerkennen. Er sah sie wie aus wenigen Kilo-metern Entfernung vor sich – und doch wa-ren sie so weit von ihm entfernt wie eben die»Oberfläche« eines Planeten von seinemZentrum. Und die KNIEGEN war das Zen-trum der Hohlwelt. Alle herkömmlichenMaßstäbe galten hier nicht mehr. Atlanbrauchte nur einen Teil der phantastischenLandschaft anzusehen, und schon schiensich eine extrem starke Teleoptik vor seineAugen zu schieben. Alles andere ver-schwamm – es blieb nur der winzige anvi-sierte Fleck.

Atlan sah Flüsse, die die in allen Farbenschimmernden Ebenen wie goldene Bänderdurchzogen. Seltsame Pflanzen, groß wie

Häuser, bedeckten weite Teile der Land-schaft. Dunkle Flecke schoben sich über dieHügel. Eine Welt ohne Ende.

»Woher kommt das Licht?« fragte Thalialeise. Atlan wurde sich ihrer Gegenwart erstjetzt wieder bewußt. Zu groß war das Wun-der.

Die Stimme der Odinstochter jedoch rißihn in die Realität zurück.

Die Fremde stand immer noch an der glei-chen Stelle und schien in sich hineinzulau-schen.

Auch Thalia war der Faszination dieserWelt erlegen. Sie zeigte keine Angst.

Das Licht …Thalia hatte recht. Es mußte eine Licht-

quelle geben, eine künstliche Sonne oder et-was anderes im Zentrum der Hohlwelt. Aberdort war nur die KNIEGEN. Atlan versuch-te, über die Kontrollen Entfernungsangabenzu erhalten, aber die Geräte zeigten nichtsmehr an.

»Wir müssen fort von hier«, sagte Leenia,ohne Atlan oder die Odinstochter anzu-blicken. »Der Sog wird zu stark, als daß wirihm noch lange Widerstand leisten könnten.Wir müssen die Oberfläche erreichen.«

Atlan begriff, daß er sich völlig umzustel-len hatte, solange er sich in diesem unwirk-lich erscheinenden Raum befand. Es gabkein »oben« und »unten« im herkömmlichenSinn mehr. Die »Oberfläche« war die Innen-schale der Kugel.

»Was soll das Ganze überhaupt?« fragteder Arkonide unwirsch. Es gefiel ihm nicht,daß Leenia ihn und Thalia einfach übergingund Entscheidungen traf, die vielleicht allesandere als in Atlans Sinn waren. Denn daßsie für das, was in diesen Momenten gesch-ah, verantwortlich war, stand für ihn außerZweifel. Leenia hatte die KNIEGEN hierherversetzt.

»Ich sagte schon, daß ich versuchen will,euch in Sicherheit zu bringen – dorthin, woman euch vielleicht helfen wird, euer Ziel zuerreichen.«

»Zu diesen Höheren Welten?« Atlan tratvor die Fremde. »Ich möchte dir vertrauen

36 Horst Hoffmann

können, Leenia. Ich weiß, daß ich Wommservertrauen kann oder konnte, solange wir unsauf Pthor befanden. Aber ich muß wissen,was geschieht. Wo sind diese Welten?«

Leenia streckte einen Arm aus und zeigteauf den Hauptbildschirm. »Dort. Überall.«

»Ich sehe nur eine Welt!«»Sie ist endlos. Was du siehst, ist nur et-

was, das wir in deinem Bewußtsein entste-hen lassen, um dir einen Orientierungspunktzu geben, etwas, das dich an dein Univer-sum erinnert, an das du dich klammernkannst.«

»Wir?« fragte Thalia. »Der alte Mann,dessen Gesicht wir im roten Wabern sahen,sprach von körperlosen Wesen. Du gehörstzu ihnen und sollst als einzige in der Lagesein, körperlich in der Aura der SchwarzenGalaxis zu existieren.« Thalia nickte grim-mig. »Und nun, wo wir anscheinend in dei-nem … Universum sind – wo sind die ande-ren?«

»Überall«, antwortete Leenia wieder. Im-mer noch machte sie den Eindruck, als seisie nur halbwegs bei der Sache. Erneut zeig-te sie auf den Bildschirm. »Dort.«

»Aber das ist lächerlich!« Thalia gerietplötzlich in Zorn. »Atlan, ich habe das Ge-fühl, daß sich hier jemand einen schlechtenScherz mit uns erlaubt. Vielleicht stecktChirmor Flog selbst dahinter, und er läßt unswieder etwas vorgaukeln. Dort draußen istnur Landschaft, und ich bezweifle, daß die-ses Wunderuniversum um uns herum über-haupt existiert.«

»Was du zu sehen glaubst, sind wir«, ent-gegnete Leenia geduldig. »Wir bilden dieseWelt, und sie ist unendlich. Seht ihr diesenBerg dort?« Atlan und Thalia folgten demausgestreckten Zeigefinger der Unheimli-chen und sahen einen schneebedeckten Gip-fel, der alle anderen bei weitem überragte.Sofort wurde er größer und schien wiedernur wenige Kilometer von der KNIEGENentfernt zu sein.

»Er ist überall«, sagte Leenia.»Gleichzeitig direkt vor uns und am Endedieses Universums. Wir müssen ihn errei-

chen. Erst dann sind wir in Sicherheit. DerSog wird stärker. Er wird uns in die Schwar-ze Galaxis zurückreißen, wenn es uns nichtschnell gelingt, ihm zu entkommen. Stelltihn euch als eine Art Schleuse, als einenVerbindungstunnel zwischen dem Univer-sum, in dem ihr lebt, und unserem vor.«

»Wenn ihr so mächtig seid«, fragte Thaliaspöttisch, »weshalb könnt ihr uns dann nichtvon hier wegbringen?«

»Weil Leenia die einzige ist, die hier exi-stieren kann«, antwortete Atlan für die kör-perlich Gewordene. »Habe ich recht, Lee-nia? Wir befinden uns immer noch in die-sem … Tunnel, also noch zum Teil in derSchwarzen Galaxis.«

»So ist es. Und nur mit Hilfe der Galions-figur kann ich die KNIEGEN ganz aus ihmherausbringen.«

»Du willst doch nicht behaupten, daß un-ser Antrieb in dieser Dimension, wo doch al-les anders sein soll, funktionieren kann?«Immer noch war Thalia ablehnend.

»Wir brauchen ihn. So wie er ist, könnteer die KNIEGEN hier keinen Zentimeterfortbewegen, aber seine Energien könnenumgeformt und für unsere Zwecke genutztwerden. Dazu muß ich mit Dorkan Moht zu-sammenarbeiten. Wir stehen noch in Verbin-dung, aber seine Impulse werden immerschwächer und stören immer mehr, als daßsie helfen. Ihr müßt etwas für ihn tun.«

»Wie denn?« fragte Atlan. »Wir kennenseinen Metabolismus nicht.«

»Versucht es!«Leenias Stimme verriet plötzlich Angst.

Sie sah Atlan in die Augen. Der Arkonidezuckte unter dem Blick zusammen.

»Stärkt ihn. Er muß noch einige Minutenleben, oder wir stürzen zurück!«

»Und das bedeutet?«»Die Scuddamoren werden die KNIE-

GEN endgültig vernichten.«

*

Atlan hatte keine Wahl. Ganz egal, wasihn dort erwartete, wohin Leenia und

Ruf der Höheren Welten 37

Wommser ihn zu bringen versuchten – eswar besser als der Tod im Strahlfeuer derScuddamoren.

Unter den gegebenen Umständen konnteer gar nichts anderes tun, als das unmöglichScheinende zu versuchen. Atlan war bereit,Leenia zu vertrauen. Ebenso wie Sigurdspürte er jene Ausstrahlung, die in krassemGegensatz zu der der Schwarzen Galaxisstand.

Vielleicht bot sich ihm hier unverhofftdoch eine Chance, mit der Hilfe mächtigerVerbündeter einen entscheidenden Schlaggegen Chirmor Flog zu führen.

Thalia war in der Zentrale der KNIEGENzurückgeblieben. Inzwischen hatte sich ihrZorn gelegt. Atlan hatte sie gebeten, beiLeenia zu bleiben und auf sie zu achten. Erwußte nichts Rechtes mit der Frau anzufan-gen. Ein körperlich gewordenes Energiewe-sen, wenn dieser Begriff überhaupt zutraf –aber wie lange? Atlan hatte das Gefühl, daßLeenia nicht so stabil war, wie sie zu seinvorgab.

Atlan verscheuchte die Gedanken. Jetztzählte nur eines: Dorkan Moht mußte amLeben bleiben. Atlan wußte, daß er im Be-griff war, den Tod der Galionsfigur eher zubeschleunigen als aufzuhalten. Aber Mohtwürde mit Sicherheit ohnehin sterben, viel-leicht langsam dahinsiechen. Noch einmalmußte er sich gegen sein Schicksal aufbäu-men. Noch ein einziges Mal!

Dorkan Moht ähnelte einer aufrecht ge-henden Eidechse mit hellgrünen Schuppen.Atlan betrachtete den Koffer in seiner Hand.Er enthielt Injektionen, Drogen und starkeStimu lanzien. Ob diese Mittel in der ge-wünschten Weise auf Moht wirkten, war diegroße Frage. Der Arkonide brauchte nur we-nige Minuten, bis er den an der oberstenStelle der KNIEGEN, die die Form einerverbeulten Halbkugel hatte, gelegenen Bugmit der Galionsfigur erreicht hatte. Er konn-te selbst nicht eindringen. Die Bugkuppelbildete eine separate Einheit. Dorkan Mohtwar nur über Funk und die telepathischme-chanischen Bordkommunikationssysteme

mit dem eigentlichen Schiff verbunden.Über diese Kommunikationssysteme gab erauch die für die Steuerung erforderlichenImpulse.

»Beeile dich, Atlan!« hallte Leenias Stim-me aus den Lautsprechern der Korridore.

»Du hast gut reden«, murmelte der Arko-nide.

Er stand vor einem Schott, das nur danngeöffnet werden konnte, wenn eine Galions-figur gestorben und gegen eine neue ausge-tauscht werden mußte. Allerdings hatten dieKonstrukteure des Schiffes mit einem Not-fall wie dem jetzt eingetretenen gerechnet.Im Schott befanden sich drei etwa faust-große Vertiefungen mit einer transparentenKlappe darüber. Neben ihnen sah Atlan eini-ge Knöpfe mit Markierungen, die ihn ihrenZweck schnell erkennen ließen. Über jederVertiefung befand sich ein kleiner, nochdunkler Bildschirm.

Der Arkonide atmete tief durch und nahmdie erste Kapsel aus dem Koffer. Durcheinen leichten Druck auf den entsprechendgekennzeichneten Knopf ließ er die Klappezurückschwingen. Dann legte er die Kapselin die Vertiefung.

Atlan klappte den Verschluß wieder zuund beobachtete, wie die Hülle der Kapselaufgelöst wurde. Eine grünliche Flüssigkeitbegann zu schäumen und wurde abgesaugt.

Ein Druck auf den Knopf, der den kleinenSichtschirm aktivierte. Zum erstenmal sahAtlan die Bugkuppel aus dieser Perspektive.

Dorkan Moht lag reglos in seinem Sessel.Die transparente Hülle der Kuppel selbstwar wie durch ein Wunder unbeschädigt.Der Energiestrahl hatte sich wenige Zenti-meter neben ihr in die »Haut« der KNIE-GEN gefressen. Dorkan Mohts Verletzungstammte von den Erschütterungen.

Bevor Atlan sich auf den Weg gemachthatte, hatte er eine Skizze der Bugkuppelstudiert. Auf der anderen Seite des Schottesbefanden sich drei aus mehreren Segmentenbestehende Kunstarme mit jeweils einer In-jektionsnadel und verschiedenen Greifwerk-zeugen am Ende.

38 Horst Hoffmann

Einer von ihnen rückte nun in AtlansBlickfeld. Die Nadel war weit ausgefahren.Der Arkonide war sicher, daß sich die Drogeinzwischen im Ende des Kunstarms befand.

Dorkan Moht erhielt die Injektion in denrechten Oberarm. Er zuckte kurz zusammen.Einige Augenblicke sah es so aus, als wollteer sich aufrichten. Dann aber verließ ihn dieKraft erneut.

»Die falsche Droge!« war Leenias Stim-me zu hören. »Die anderen beiden, schnell!Der Sog hat uns erfaßt. Und ich … ich muß…«

»Sie beginnt zu verschwimmen, Atlan!«hörte der Arkonide Thalia schreien. »Undjetzt wird es …«

Der Rest ging in einem Knistern unter,das überall zu sein schien, selbst in Atlan.Mit seinem Einsetzen wurde es dunkel. Vio-lette Nebel begannen um Atlan zu tanzen,wobei ihr Leuchten seine Intensität ständigveränderte. Dann sah der Arkonide die bi-zarre Landschaft um sich herum wieder,aber nun schien er ohne die KNIEGEN inihr zu schweben. Wieder Dunkelheit. Einständiger Wechsel, immer schneller wer-dend.

Endlich sah Atlan die Wände des Korri-dors und das Schott wieder klar vor sich.Einen Augenblick war es still. Dann meldetesich Leenia wieder:

»Ich habe eine letzte Frist für uns gewin-nen können. Ein zweites Mal wird es nichtgeben! Du mußt es jetzt schaffen, Atlan!«

Atlan wurde hellhörig. Von welcher Fristsprach Leenia? Wieder dieses Gefühl, als obdie gesamte Entwicklung an ihm vorbeigin-ge, als ob er nur Statist in einem Spiel sei,das höhere Mächte gegeneinander austru-gen.

Die zweite Kapsel. Atlan legte sie in eineder beiden noch nicht benutzten Vertiefun-gen. Ein zweiter Injektionsarm näherte sichder Galionsfigur.

Alles hing nun davon ab, wie DorkanMoht auf diese Injektion reagieren würde.Atlan versuchte wiederum, einen Sinn in dieWorte der Fremden zu bringen, während er

über den kleinen Sichtschirm die Reaktiondes Echsenähnlichen beobachtete. War sienicht so souverän, wie sie sich gab? Gab esandere, Körperlose wie sie, die sie zu sichherüberzuziehen versuchten? War es das,was ihr Angst einflößte, wogegen sie an-kämpfen mußte? Und Wommser, Kolphyrsehemaliger Symbiont? Welche Rolle spielteer? Atlans Gedankengänge wurden durchdie ruckhaften Bewegungen der Galionsfi-gur unterbrochen. Dorkan Moht bewegtesich. Atlan hielt den Atem an, als das Wesensich im Sessel aufrichtete und beide Händegegen den Schädel preßte.

»Wir haben es geschafft!« drang LeeniasStimme aus den Lautsprechern. »Wir kön-nen dem Sog entkommen! Wir …«

»Was ist los?« rief der Arkonide. SeineStimme wurde von den überall angebrachtenMikrophonen des Bordkommunikationssy-stems aufgefangen, doch es dauerte Sekun-den, bis er eine Antwort erhielt.

Es war Thalia, die in Panik schrie:»Du mußt zurückkommen, Atlan! Sofort!

Es … es geschieht wieder. Sie beginntdurchsichtig zu werden. Sie … sie ist ver-schwunden!«

Thalias Erregung zeigte, wie sehr die Od-instochter sich inzwischen an Leenia und dieMacht, die hinter ihr stand, geklammert hat-te.

Atlan zögerte keinen Augenblick. Erstürmte durch die Korridore in die Zentraleder KNIEGEN zurück.

Thalia war leichenblaß. Sie war allein.»Sie ist weg, Atlan«, flüsterte die Odins-

tochter und warf sich an die Brust des Arko-niden. »Einfach verschwunden. Sie versuch-te sich dagegen zu wehren, als ob irgend et-was sie von uns weggerissen hätte. Ich habeAngst, Atlan. Was sollen wir hier ohne sietun?«

Ein Blick auf die Schirme. Wieder die un-endlich erscheinende phantastische Welt umsie herum. Die KNIEGEN war in Bewegunggeraten, Atlan spürte es. Und er spürte, daßsie ohne Leenia verloren waren.

Es sah ganz so aus, als wären sie dem Sog

Ruf der Höheren Welten 39

entkommen und aus dem Dimensionstunnelendgültig ins Universum gelangt, in dem diekörperlosen Wesen existierten, die ihre Hei-mat selbst als die »Höheren Welten« be-zeichneten.

Verloren.Es gab hier keine Scuddamoren-Schiffe,

aber auch kein Pthor und keine SchwarzeGalaxis. Atlan hatte sich ein Ziel gesetzt, alser von Atlantis aus aufgebrochen war, umden direkten Einflußbereich jener Mächteauszukundschaften, mit denen er und diePthorer es mit Sicherheit zu tun bekommenwürden. Dies schien ferner als je zuvor.

»Wird sie zurückkommen?« fragte Thalialeise.

Atlan wußte es nicht.Er versuchte, Kontakt mit der Galionsfi-

gur aufzunehmen – ohne Erfolg. DorkanMoht reagierte nicht, obwohl einige Kon-trollinstrumente anzeigten, daß er noch leb-te.

Was war während Atlans Abwesenheit inder Zentrale geschehen?

Thalia hatte keine Erklärung. Sie konntenur berichten, was sie gesehen hatte.

Ohne Dorkan Moht war eine Rückkehraus diesem fremden Universum nicht mög-lich.

Aber hier konnte Atlan nichts ausrichten.Es gab zwei Möglichkeiten für ihn. Entwe-der die Rückkehr, auf die Gefahr hin, sofortwieder auf Scuddamoren zu treffen, oderden Kontakt mit den Körperlosen.

Zu beidem brauchte er Leenia.Doch die Minuten vergingen, und Leenia

erschien nicht wieder.

10.Körperlose unter sich

Leenia hatte bis zuletzt gegen den Zwangangekämpft, der sie zurück in die Gemein-schaft der Körperlosen zog. Es war nicht so,daß ihr jemand den Befehl zur Rückkehr ge-geben hätte. Vielmehr war sie sich der unge-heuren Verantwortung bewußt gemacht wor-den, die sie trug. Das Drängen auf die Rück-

kehr war begründet gewesen. Noch länger inder Nähe des Sogs zu bleiben, wäre selbstfür sie ein Risiko gewesen, das in keiner Re-lation zu der Bedeutung stand, die ihr vonihren Schöpfern beigemessen wurde, von je-nen, von denen sie glaubte, daß sie so warenwie sie.

Dennoch wehrte sich etwas in ihr, demDrängen zu folgen.

Wommser.Wir dürfen Atlan und Thalia nicht im

Stich lassen! appellierte Wommser. Sie sindhier verloren. Sie müssen zurück in ihrenRaum, an eine Stelle der Schwarzen Galaxis,wo sie vorerst sicher sind!

Ich habe getan, was ich konnte, entgegne-te Leenia. In ihren Gedanken schwang Ver-zweiflung mit. Das Schiff ist durch den Sognicht mehr gefährdet.

Aber dann kannst du an Bord bleiben!Allein werden sie sich niemals zurechtfin-den. Atlan und Thalia müssen leben! Versu-che, deine Artgenossen zu überzeugen!

Es sind auch deine Artgenossen.Wommser kapselte sich ab. Erst nach ei-

niger Zeit dachte er:Ihre Denkweise ist mir fremd.Sie wird dir vertraut werden, sobald du

lange genug unter uns gelebt hast. Du bistnoch zu sehr der Welt verbunden, aus der dustammst.

Und diese Welt ist auch für euer Schick-sal bestimmend. Wenn ihr die dunklenMächte aus der Schwarzen Galaxis bekämp-fen und vertreiben wollt, dann müssen Atlanund Thalia dorthin zurückkehren können.

Ich bin hier, um diese Mächte zu bekämp-fen, dachte Leenia. Deshalb darf ich michnicht in Gefahr begeben.

Wommser schwieg. Er wußte ja, daß dieKomponente Leenia so empfand wie erselbst. Es war nicht wirklich sie, die zu ihmsprach. Hunderte von vergeistigten Intelli-genzen waren um sie herum und übertrugenihre Bedenken gegen ein Verbleiben Leeniasin der KNIEGEN auf sie.

Tatsächlich fühlte Wommser sich nochwie ein Fremdkörper in diesem Universum

40 Horst Hoffmann

aus reiner Energie. Er hatte Schmerzen emp-funden, als Leenia mit ihm zusammen überdem Wölbmantel entmaterialisiert und ohneZeitverlust inmitten dieses Meeres aus Le-ben wiedererstanden war. Genau wie jetzthatte sie keinen Körper mehr gehabt. Ihr unddamit sein Bewußtsein trieb zwischen ande-ren, die sie sofort aufnahmen. Freude,Glück, Triumph – all das hatte Wommser soempfunden, als ob diese Gefühle aus ihmselbst herausgekommen wären.

Es war das gewesen, was die Körperlosengefühlt hatten. Fast schon hatten sie Leeniaabgeschrieben. Nun schien sich die Bemü-hungen von Jahrtausenden doch noch ausge-zahlt zu haben.

Um so kostbarer war Leenia nun für dieVergeistigten. Leenia und Wommser. DerDimensionssymbiont fühlte eine nie gekann-te Wärme und Geborgenheit. Doch die Freu-de über das, was die Erfüllung seines Lebensdarstellte, wurde durch die Art und Weise,wie er hierhergelangt war, getrübt.

Die Körperlosen bildeten eine Einheit mitsich und ihrem Universum. Das, was sie ent-schieden, alles, was zu geschehen hatte, wardas Ergebnis einer gemeinsamen Willensfin-dung. Sie handelten und lebten wie eine ein-zige Intelligenz.

Und Leenia gehörte dazu. Sie hatte sichunterzuordnen, wenn die anderen Entschlüs-se faßten, die sie schmerzten. Doch siekonnte ihre Argumente in die Waagschalewerfen, um die kollektive Willensbildung zubeeinflussen. Was immer dabei herauskam –Leenia erkannte den Beschluß der Einheit anund handelte danach, denn sie wußte, daßder Beschluß das Ergebnis eines Abwägensvon Für und Wider war, der von Wesenhei-ten getroffen wurde, die ihr zumindest eben-bürtig an Intelligenz und Weitsicht waren.

Eine solche Abwägung hatte dazu geführt,daß sie nach der Rückkehr von Pthor ins»normale« Universum in die Schwarze Ga-laxis pendeln und dort an Bord der KNIE-GEN stofflich werden durfte, nachdem dieKörperlosen das Organschiff nur kurzfristigvor den Scuddamoren hatten schützen kön-

nen. Nur sie war in der Lage gewesen, At-lan, Thalia und ihr Schiff auf die Ebene derHöheren Welten herüberzuziehen. Was nunzu geschehen hatte, beschloß die Einheit al-ler Wesen dieser Ebene.

Gegen eine weitere Präsenz Leenias anBord der KNIEGEN und damit in der Nähedes Sogs sprach das Risiko, das sie dabeieinging. Leenia konnte in Gemeinschaft mitWommser in der Aura der Schwarzen Gala-xis existieren, doch noch bestand keine voll-kommene Klarheit darüber, wie lange diesder Fall sein konnte. Auch war nicht sicher,ob sie einem Überraschungsschlag in ihrerkörperlichen Existenzform gewachsen war.Dies galt vor allem für Einsätze in derSchwarzen Galaxis selbst, wie sie für spätervorgesehen waren. Würde Leenia die Zer-störung ihrer körperlichen Hülle überleben?Dies war eine der Fragen, auf die es erstnoch eine Antwort zu finden galt. Die Kör-perlosen empfanden Respekt vor der Art undWeise, wie Atlan und Thalia gegen dieMächte vorgingen, die sie einst aus demUniversum der Körperlichen verbannt hat-ten. Doch waren sie es wert, Leenia mögli-cherweise zu opfern? Sie hatten Erfolge er-rungen wie niemand, der sich bisher gegeneinen Neffen des Dunklen Oheims aufge-lehnt hatte. Doch bisher hatten sie auch nurin einem der äußeren Reviere operiert. FürLeenias Rückkehr auf die KNIEGENsprach, daß gerade die Unterstützung durchdie Körperlosen Atlan dazu befähigen könn-te, auch in den Zentrumsrevieren mit Erfolggegen den Dunklen Oheim zu kämpfen. Beider zu fällenden Entscheidung spielte es einegroße Rolle, ob man diesem Sterblichen –aus der Sicht der Körperlosen war Atlantrotz des Zellaktivators ein solcher – zutrau-en konnte, mit der Hilfe Leenias auch dortbestehen zu können. Wenn man ihn jetzt un-terstützte, setzte man alle Hoffnung in ihn.

Doch Leenias und Wommsers Drängenhatte schließlich Erfolg.

Man faßte den Entschluß, den Sterblicheneine Rückkehr zu ermöglichen. Der ur-sprüngliche Plan, direkten Kontakt zu Atlan

Ruf der Höheren Welten 41

und Thalia aufzunehmen, war bereits ver-worfen worden, als sich herausgestellt hatte,daß diese Menschen nicht in der Lage wa-ren, mit den Körperlosen – mit Ausnahmeder dazu präparierten Leenia – zu kommuni-zieren.

So wurde Leenia zum zweitenmal zu ih-nen geschickt.

11.An Bord der KNIEGEN

Atlan wußte nicht, zum wievielten Maleer verzweifelt versuchte, doch noch Kontaktmit dem sterbenden Dorkan Moht zu be-kommen, als Thalia aufschrie.

Der Arkonide fuhr herum und sah geradenoch, wie sich Leenias Körperkonturen sta-bilisierten. Sie stand an der gleichen Stellewie bei ihrem ersten Erscheinen.

Leenia ließ Atlan gar nicht erst zu Wortkommen.

»Ich habe euch nicht im Stich gelassen«,sagte sie. »Ich mußte vorübergehend in un-sere Gemeinschaft zurückkehren, um neueAnweisungen entgegenzunehmen. Ich werdeversuchen, euch zurück in eure Daseinsebe-ne zu bringen, allerdings an einen Ort, wodie Scuddamoren euch nicht vermuten wer-den. Ob mir das gelingt, hängt davon ab, wielange Dorkan Moht noch lebt. Wir dürfenden Dimensionstunnel, durch den wir ge-kommen sind, nicht mehr benutzen. DieScuddamoren werden noch auf euer Wieder-erscheinen warten.«

»Es gibt also nicht nur diese eine Verbin-dung zwischen den beiden Räumen?« fragteThalia.

»Es gibt mehrere, doch alle Tunnel mün-den in die Schwarze Galaxis. Verlangt jetztkeine weiteren Erklärungen. Um an einemanderen Ort eures Universums herauszu-kommen, müssen wir auch hier unsere Posi-tion verändern.«

Leenia schwieg, und weder Atlan nochThalia wagten sie jetzt in ihrer Konzentrati-on zu stören. Sie versuchte erneut, Kontaktzu Dorkan Moht aufzunehmen, das war of-

fensichtlich.»Es geht nicht!« preßte sie nach einer

Weile hervor. »Er ist zu schwach!«»Wir könnten es mit einer weiteren Injek-

tion versuchen«, schlug Thalia vor. »Wirwissen jetzt, was er braucht.«

»Um zu sterben«, ergänzte Atlan.Eine weitere Injektion würde die Galions-

figur nicht überleben. Und sie mußte leben,zumindest bis sie mit Leenia zusammen dieKNIEGEN an jenen »Ort« in diesem phanta-stischen Kosmos gebracht hatte, von wo ausdas Schiff ins Normaluniversum zurückkeh-ren konnte.

»Ich versuche es noch einmal«, sagte Lee-nia. Atlan mußte sich immer wieder verdeut-lichen, daß er es mit einem Wesen zu tunhatte, das nur äußerlich wie ein Mensch war.Wenn sie mit ihren Kräften nichts ausrichtenkonnte, waren alle Bemühungen seinerseitsvon vorneherein zum Scheitern verurteilt.

Nein! meldete sich der Extrasinn. Du hastDorkan Moht die Injektionen gegeben. Lee-nia mag über Fähigkeiten verfügen, die unsunbegreiflich sind, aber Dorkan Moht istLeben deiner Art, und es ist möglich, daßLeenia unfähig ist, die wahre Ursache sei-ner Passivität zu ergründen.

Atlan begriff. Ein Mensch seiner Zeit warimstande, die kompliziertesten mathemati-schen Gleichungen zu lösen, aber unfähig,das zu begreifen, was in den sogenanntenniederen Kreaturen, Tieren und Pflanzen,vorging. Stand Leenia so weit über ihm undWesen seiner Art, daß das gleiche für sie zu-traf? Atlan berührte einige Sensortasten unddrückte auf Knöpfe. Auf einem Monitor saher Diagramme und Zahlenreihen und erhieltein ungefähres Bild von Dorkan Mohts Zu-stand. Er lebte noch und müßte in der Lagesein, sich ein letztes Mal aufzubäumen,wenn er wollte.

»Nichts«, sagte Leenia niedergeschlagen.»Er reagiert überhaupt nicht mehr.«

»Und seine Lebensfunktionen lassennach«, murmelte Thalia, die Atlans Platz vordem Monitor eingenommen hatte, als derArkonide begonnen hatte, in der Zentrale

42 Horst Hoffmann

auf und ab zu wandern.Beide Auskünfte bestärkten ihn in seinem

verzweifelten Entschluß.Die Galionsfigur reagierte nicht auf Lee-

nias Bemühen, Kontakt zu ihr herzustellen,und es war sicher, daß sie dem Tod geweihtwar.

Bis jetzt hatte Atlan sich dagegen ge-sträubt, Dorkan Moht im wahrsten Sinn desWortes noch einmal aufzuputschen, ihn zueinem letzten Gewaltakt zu bewegen, andessen Ende der Tod stehen mußte.

Nun glaubte Atlan zu wissen, was denEchsenähnlichen apathisch machte. Es wa-ren nicht nur die Folgen der bei der Schieße-rei erlittenen Verletzung.

»Ich muß zu ihm«, sagte der Arkonide.»In die Bugkuppel.«

»Aber das bedeutet seinen Tod!« entfuhres Thalia.

»Ich weiß«, murmelte Atlan. »Er wirdnicht sofort sterben.«

Und er wußte auch, daß nur die Galionsfi-gur selbst den Impuls zur Öffnung desSchottes geben konnte, solange sie lebte.

Atlan schloß sich an das mechanischtele-pathische Kommunikationsnetz der KNIE-GEN an und dachte intensiv daran, daß erjetzt ein zweites Mal zur Bugkuppel aufbre-chen würde, um in sie einzudringen und biszu Mohts Tod bei diesem zu bleiben. Alleshing davon ab, daß er mit seiner Vermutungrecht behielt.

Atlan erhielt keine Antwort. Er hatte esnicht anders erwartet.

»Unternimm jetzt keinen weiteren Ver-such«, bat er Leenia. »Ich gehe zu DorkanMoht. Entweder stirbt er oder er rettet uns.«Zu Thalia gewandt, sagte der Arkonide:»Halte die Stellung. Es kann sein, daß ichnicht zurückkomme. Dann liegt es an dir,über die Zukunft zu entscheiden.«

Welch heroische Sprüche! kommentierteder Extrasinn. Das hast du ihr schon mehrals einmal gesagt. Sieh zu, daß du zur Bug-kuppel kommst!

»Laß mich mit dir gehen«, flehte die Od-instochter. Sie klammerte sich an Atlans

Arm fest.Der Arkonide streifte ihre Hand sanft,

aber energisch ab.»Nein, Thalia. Du mußt bei Leenia blei-

ben.«Dann brach er auf, ohne einen Blick zu-

rückzuwerfen.Das Schicksal der KNIEGEN lag in der

Hand eines Sterbenden.

*

Atlan stand vor dem Schott. Neben ihmbefand sich ein Mikrophon der Bordsprech-anlage. Atlan drückte auf einen Knopf.

»Wenn du dazu in der Lage bist, dann öff-ne«, sagte er.

Nichts geschah.»Thalia?«Die Odinstochter und Leenia konnten je-

des Wort, das er an Dorkan Moht richtete,mithören.

»Seine Lebensfunktionen sinken weiter-hin, aber er müßte in der Lage sein, die not-wendigen Schaltungen vorzunehmen. Viel-leicht solltest du ihm doch eine weitere In-jektion …«

»Nein!« rief Atlan barsch. Er sah sich um.Nicht jedes Organschiff war gleich, doch ernahm an, daß es in unmittelbarer Nähe derBugkuppel ebenfalls Anschlüsse für das me-chanischtelepathische Kommunikationssy-stem gab.

»In einem Nebengang«, sagte Thalia aufeine entsprechende Frage.

»Etwa fünf Meter hinter dem Schott.«»Danke.« Atlan verwünschte sich selbst,

weil er sich nicht gründlich genug auf dasvor ihm Liegende vorbereitet hatte. In derZentrale gab es Übersichtstafeln, auf denendas »Innenleben« der KNIEGEN in jederEinzelheit festgehalten war. Sekunden späterstand er vor dem Anschluß und nahm erneutKontakt zur Galionsfigur auf. Wieder sandteer nur eine Botschaft, ohne Antwort zu er-halten.

Als er diesmal zum Schott ging, war esoffen. Der Weg in die Bugkuppel war frei.

Ruf der Höheren Welten 43

Atlan trat ein.Er sah Dorkan Moht in seinem Sessel. Die

Augen der Galionsfigur waren auf ihn ge-richtet.

Atlan kniete sich vor dem Echsenähnli-chen nieder.

»Du weißt, daß du sterben wirst«, beganner.

»Nein«, antwortete die Galionsfigur. »Ichwerde nicht mehr sterben – kein zweitesMal. Sieh dir die Welt um uns herum an. Esist das Reich der Ewigen. Auch du gehörstnun zu uns, Atlan. Auch du bist gestorbenund wieder auferstanden. Laß uns die Träu-me vergessen, die uns an die frühere Exi-stenz erinnern. Laß uns nur wir selbst sein…«

*

Triumph und Trauer. Unbändiges Mitleidmit einem Wesen, das glaubte, allenSchmerz und alle Todesqualen hinter sich zuhaben und bereits ins »Reich der Ewigen«eingegangen zu sein. Wieder, nachdem erbereits geglaubt hatte, alle Skrupel überBord geworfen zu haben, kamen Atlan dieGewissensbisse. Er hatte recht gehabt. Dor-kan Moht lebte noch. Er konnte ihn mit einbißchen Glück und viel Geschick dazu brin-gen, noch einmal all seine Kraft zusammen-zunehmen. Aber hatte er das Recht dazu?Durfte er die Galionsfigur quälen?

Er mußte es tun! Er hatte eine Verantwor-tung zu tragen und nicht nur für sich undThalia.

»Hör zu«, sagte er eindringlich und blick-te dabei in die runden Augen des Wesens.»Es stimmt nicht. Wir leben. Du bist nichttot, aber du wirst sterben müssen.« Atlansuchte nach Worten. Er war sicher, daß dieGalionsfigur sich nicht in dieser Umgebungzurechtfand und deshalb glaubte, ins Reichder Toten eingegangen zu sein.

»Du lebst noch«, sagte er. »Nun liegt esan dir, ob du dort, wo du geboren wurdest,auch ins Reich der Ewigen eingehen wirstoder nicht. Dies hier ist ein uns unbegreifli-

cher und fremder Raum. Hier können wirnicht leben und nicht in Frieden sterben,hörst du? Es kommt nur auf dich an, ob wirin unser Universum zurückkehren können,wo du deine Ruhe finden kannst.«

Keine Reaktion. Atlan schwitzte. Er fuhrsich mit der Hand über die Stirn.

»Lebensfunktionen, Thalia?«»Sie sinken weiter ab«, kam es aus einem

unsichtbaren Lautsprecher, »aber sie schei-nen sich zu stabilisieren.«

Atlan nickte.»Du weißt, daß das Wesen Leenia Kon-

takt sucht?« fragte er die Galionsfigur. Undnun hatte er das Gefühl, daß Dorkan Mohtihn zum erstenmal direkt ansah.

»Ja«, hörte der Arkonide endlich. »Ichweiß es und ich höre es.«

»Dann mußt du tun, was sie von dir ver-langt!« sagte Atlan hastig. »Für dich und füruns! Du bist verwirrt, und du findest dich indiesem Raum nicht zurecht. Mir geht esebenso, Dorkan Moht! Deshalb hilf uns zu-rückzukehren. Vertraue dich ganz Leenia an.Denke an die große Plejade. Soll alles, waswir auf uns genommen haben, umsonst ge-wesen sein?«

Phrasen, dachte Atlan bitter. Seelenmas-sage für einen Sterbenden.

»Ich werde darüber nachdenken«, sagteDorkan Moht.

Atlan schwieg.Er wußte, daß er nicht mehr tun konnte.

*

Als der Arkonide in die Zentrale zurück-kehrte, kam Thalia auf ihn zugelaufen.

»Störe sie nicht«, flüsterte sie und blicktezu Leenia hinüber. »Sie hat Kontakt. Wirbewegen uns.«

Die Kontrollen verrieten nach wie vornichts darüber. Es war wieder nur ein Ge-fühl, das auch Atlan empfand. Die KNIE-GEN trieb irgendwo in diesem unbegreifli-chen Raum. Dorkan Moht hatte also in dererhofften Weise reagiert. Doch seine Le-bensfunktionen sanken weiter ab, nachdem

44 Horst Hoffmann

sie, wie Thalia versicherte, vorher einen stei-len Sprung nach oben gemacht hatten. Dieswar das Aufbäumen gewesen, zu der Zeit,als Atlan noch zur Zentrale unterwegs gewe-sen war. Nun schien es so, als sei diese Be-lastung endgültig zuviel für die Galionsfigurgewesen.

Als Leenia die Augen aufschlug, wußteder Arkonide, daß Dorkan Moht gestorbenwar. Er brauchte dazu nicht erst auf die An-zeigen zu blicken.

»Werden wir es schaffen?« fragte er.Leenia nickte.»Ich hoffe es. Allerdings nicht mit der

KNIEGEN. Wir treiben auf einen der Tun-nel zu, aber nur ihr selbst könnt ihn passie-ren. Das Schiff …« Es sah so aus, als wüßteLeenia nicht, wie sie das erklären sollte, wasnur ihr begreiflich war. Dann fuhr sie fort:»Die KNIEGEN ist enger mit der Galionsfi-gur verbunden, als ich eben noch glaubte.Dorkan Moht muß noch vor seinem Tod et-was unternommen haben, das es unmöglichmachte, das Schiff in euer Universum zu-rückzuschicken. Er war die KNIEGEN, under …«

»Er wollte mit ihr sterben«, vollendeteAtlan den Satz. Und er glaubte, die Hand-lungsweise der Galionsfigur verstehen zukönnen, die genau gewußt haben mußte, daßes keine Rückkehr für sie mehr geben wür-de.

Und nun?Was sollten Atlan und Thalia ohne ein

Raumschiff in der Schwarzen Galaxis aus-richten können? Wo würden sie sich wieder-finden?

»Macht euch bereit«, sagte Leenia. »Eswird nicht angenehm für euch sein. Ihr wer-det den Sog gleich fühlen.«

Atlan spürte ihn bereits.Es wurde dunkel. Nur Leenia leuchtete

wie von innen heraus. Auf dem Hauptbild-schirm war von der bizarren Landschaft derHohlwelt nichts mehr zu sehen.

»Ich muß Abschied nehmen«, sagte Lee-nia. »Diejenigen, zu denen ich gehöre, rufenmich zurück.«

*

Noch Sekunden standen sich Atlan undLeenia schweigend gegenüber. Sie sahensich in die Augen, als ob jeder der beidenversuchte, darin zu lesen, etwas von demverstehen zu können, was den anderen aus-machte.

»Es tut mir leid«, sagte Leenia dann leise.»Ich wollte, daß ich euch besser helfenkönnte, aber …« Sie zuckte die Schulternund versuchte zu lächeln. »Vielleicht wirdder Tag kommen.«

»Du hast uns schon geholfen«, sagte At-lan, der spürte, wie die Körperlose litt. Fastscheu blickte sie von ihm zu Thalia und wie-der zurück.

»Ich habe eine letzte Frage.«Atlan nickte. Er hatte darauf gewartet.»Jetzt spricht Wommser aus dir, oder? Er

will wissen, wo Kolphyr ist.«»Der Kontakt zu ihm riß ab, als ich aus

meinem Dimensionsnest vertrieben wurde«,bestätigte Leenia/Wommser.

Wieder nickte der Arkonide. Der Vontha-raAlarm, die Lähmung, die fast alle Wesenauf Pthor befallen hatte. Atlan konnte nurannehmen, daß Wommser gerade zu dieserZeit geflohen war. Der Dimensionssymbiontbestätigte diese Vermutung durch Leenia.

»Wir wissen es nicht, Wommser«, sagteAtlan. »Wir alle wären froh gewesen, ihnwieder bei uns zu haben.«

»Aber er lebt?«»Er ist nicht tot«, formulierte Atlan aus-

weichend.Er hatte nicht übertrieben. Oft genug hatte

er sich gefragt, was aus den alten Kampfge-fährten, mit denen er gegen die FESTUNGgezogen war, geworden sein konnte. Immernoch hoffte er darauf, daß der Bera und auchKoy, der Trommler, eines Tages zur FE-STUNG zurückkehren würden.

Doch die FESTUNG und Pthor warenweit.

»Ich muß gehen«, sagte Leenia. Sie wollteetwas hinzufügen, aber schon wurde ihr

Ruf der Höheren Welten 45

Körper transparent und war gleich daraufvöllig verschwunden. Atlan und Thalia wa-ren allein.

»Und nun?« fragte die Odinstochter.Der Arkonide brauchte keine Antwort zu

geben. Thalias Schrei zeigte ihm, daß sie dasgleiche fühlte wie er. Es war, als wollte manihm den Magen auspumpen, als hätte manseinen Kopf zwischen einen Schraubstockgeklemmt. Es wurde dunkel, dann wieder sohell, daß die Augen schmerzten. Ganz kurzwar noch einmal die unendliche Hohlweltum die beiden Menschen herum zu sehen.Dann war nichts mehr. Es gab keine KNIE-GEN, keinen Boden unter den Füßen, keinOben und Unten. Atlan hatte das Gefühl, alsschrumpfe er immer mehr zusammen, alswürde er zu einem mikroskopisch kleinenEtwas.

Von irgendwoher, aus dem unendlich er-scheinenden Dunkel, kam eine Stimme.Thalia. Atlan versuchte, mit seinen Sinnendas Dunkel zu durchbrechen – vergeblich.Die Übelkeit und die Schmerzen waren wieweggeblasen. Atlan war nur noch er selbst.Er hatte keinen Körper mehr, doch sein Ge-hirn arbeitete auf Hochtouren.

Er wußte, daß er sich in dem von Leeniaangesprochenen Dimensionstunnel befand,irgendwo zwischen zwei Existenzebenen,die nichts gemeinsam hatten.

So, dachte Atlan, mochte es einem Tele-porter oder jemandem, der einen Transmitterbenutzte, zumute sein, wenn die Zeit mittenim Sprung angehalten würde.

Graue Schlieren begannen sich zu bilden.Atlan sah ohne Augen. Er empfand.

Und plötzlich hatte er, der relativ Un-sterbliche, der Mann, der es mit jedem leib-haftigen Gegner aufgenommen hätte, furcht-bare Angst. Angst davor, niemals wieder ausdiesem Nichts zu entkommen, für immer indiesem Zustand verbleiben zu müssen.

Wieder der Schrei aus der Unendlichkeit.Er hallte in Atlans Kopf. Irgendwo triebThalia, ebenso hilflos wie er. Er wollte zuihr, ihr helfen, ihr Trost zusprechen.

Doch es gab nichts als das monotone

Grau um ihn herum.Dann endlich – Atlan hatte jeden Sinn für

die Zeit verloren – sah er einen sich schnellvergrößernden Lichtpunkt genau vor sich.

Er trieb darauf zu.

12.Auf Pthor

In der FESTUNG herrschte Stille. AlleAbgesandten der verschiedenen RassenPthors wurden abgewiesen. Die Odinssöhnewaren nicht zu sprechen.

Sie saßen wieder zusammen und berietensich. Heimdall warf Sigurd und Balduur fin-stere Blicke zu.

»Und ich behaupte immer noch, daß sieeine Spionin ist!« dröhnte seine Stimmedurch den Saal. »Es war ein Fehler, sie mitder GOL'DHOR in den Weltraum zu brin-gen, ein böser Fehler, Sigurd!«

»Wenn ich deine törichten Reden höre,glaube ich fast selbst daran. Ich hätte dich inder Höhle liegen lassen sollen.«

»Ich hätte mich selbst hierher zurückdurchschlagen können!«

»Ja«, sagte Sigurd bissig. »Vielleicht hät-test du unterwegs ein paar Gordys getroffen,die mit dir gegen das Gesindel gekämpfthätten, das sich in der Umgebung der Senkeherumtreibt. Denke an das, was Synk unsberichtet hat. Es wird noch mehr Monstrenwie diesen Mod-Poluur geben, und wennselbst Leenia ihm fast unterlegen wäre …«

»Sie ist eine Spionin aus der SchwarzenGalaxis«, beharrte Heimdall.

»Vielleicht kannte sie sich auch nur des-halb so gut auf Pthor aus, weil ihr jemandden Kontinent und den Weg zur FESTUNGerklärt hat.«

Balduur blickte auf.»Die Phantasie geht mit dir durch, Bru-

der.«»So? Und wenn der Verräter Atlan uns

nicht nur im Stich gelassen hat, sondern sichdarüber hinaus mit denjenigen verbündethat, die die Schwarze Galaxis beherrschen?Was dann? Er könnte die Spionin geschickt

46 Horst Hoffmann

und instruiert haben, um sein erbärmlichesLeben zu retten.«

»Du gehst zu weit!« protestierte Sigurdheftig.

»Ach was! Wir sollten Atlan vergessenund unsere Macht festigen. Vielleicht wer-den wir ihm eines Tages wieder gegenüber-stehen. Dann soll er unsere Macht zu spürenbekommen. Wir sind die Herrscher, und wirsind stark, stärker als mit einem Weib an derSeite!«

»Denke an die Worte unseres Vaters!«entfuhr es Sigurd. Er baute sich vor Heim-dall auf und sah dem Bruder in die schwar-zen Augen. »Und jetzt ist es genug. DieseFremde ist keine Spionin. Ich habe das Ge-fühl, daß du einen Vorwand suchst, um …«

»Woher willst du das wissen? Sie lähmteund verschleppte mich. Sie erpreßte euch!Du bist mit Blindheit geschlagen, Sigurd!«

»Sie ist keine Spionin«, wiederholte Si-gurd. »Ich weiß es einfach.«

Höhnisch lachend wandte Heimdall sichan Balduur.

»Er weiß es, hörst du? Wenn du michfragst, dann hat sie ihm den Kopf verdreht!«

Der Streit ging weiter. Heimdall und Si-gurd beschuldigten sich gegenseitig der Vor-eingenommenheit. Nur Balduur schwieg diemeiste Zeit über.

Er sprach zwar nicht so offen wie Heim-dall von einem Verrat Atlans, aber auch erglaubte, daß der Arkonide nicht nach Pthorzurückkehren würde.

Balduur träumte den Traum von einem al-lein von den Odinssöhnen geführten Pthor.Doch wieviel Zeit würden sie haben, um ih-re Macht zu festigen und alle Pläne zu ver-wirklichen?

Wann würden die ersten Raumschiffe ausder Galaxis am Himmel erscheinen?

Ganz andere Sorgen hatte ein kleiner bär-tiger Muskelprotz, der laut schimpfend ne-ben dem Zugor stand, mit dem er bis kurzvor Orxeya gelangt war. Er hatte seine Hei-matstadt nicht erreicht, weil die Dellos, de-nen er das Fahrzeug unter dem Vorwand ab-geschwatzt hatte, daß er einen Geheimauf-

trag für die Odinssöhne auszuführen habe,die Energiespeicher nicht ausreichend aufge-laden hatten. So mußte er notlanden und denRest des Weges nun zu Fuß zurücklegen.Dabei dachte er an Roboter – Robotbürger,Robotdiener, faßförmige, kugelförmige, ten-takelschwingende, vor allem aber grausameRoboter – eben an alles, was aus Metall, Pla-stik und einem künstlichen Gehirn bestand.

»Ich hasse sie!« brüllte er immer wieder.»Sie alle!«

Doch manchmal blickte er nach Südwe-sten, wo sich viele Kilometer entfernt dieStadt Wolterhaven befand.

Warum hatten sie ihm das angetan? Wes-halb hatten die Robotdiener sich für ihn ge-opfert?

»Ihr wollt mich quälen«, murmelte derwilde Mann aus Orxeya. »Ihr glaubt, michauf diese Art unter Druck setzen zu können.Aber da täuscht ihr euch, ihr zusammenge-leimten Blechkisten! Nicht mich! Nicht mitmir!«

So gelang es Synk wenigstens für wenigeMinuten, sein schlechtes Gewissen zu beru-higen.

Nach stundenlangem Fußmarsch erreichteer die Händlerstadt. Er passierte die Toreund schleuderte jedem, der ihn nach seinemAbenteuer mit der GOL'DHOR fragte, eini-ge derbe Verwünschungen entgegen. Natür-lich hatte Synk vor dem Aufbruch zur FE-STUNG in angeheitertem Zustand von demgeprahlt, was er vorhatte. Sator Synks ersterWeg führte zu einem Gasthaus, wo er etwaszu essen und einen Dreiliterkrug mit einemstark alkoholhaltigen Getränk bestellte. DenKrug trank er aus, das Essen ließ er stehen.Er hatte keinen Appetit.

»Ach, bevor ich's vergesse«, sagte derWirt, als Synk sich zum Aufbruch bereitmachte. »Du hast einen Gast.«

»Einen Gast?« Synk sprach schon sehrlangsam und hatte gewisse Schwierigkeitenmit der Aussprache. »We … welchen Gast?Ich habe niemanden eingeladen.«

»Er wartet in deinem Haus auf dich.«Täuschte der Held von Orxeya sich, oder

Ruf der Höheren Welten 47

sah er ein schadenfrohes Grinsen auf demGesicht des Wirtes?

Natürlich fielen sie nun alle über ihn her!Sator Synk trat fluchend ins Freie undschlug einem Mann, der ihn fragte, wo erdenn die GOL'DHOR gelassen habe, dieFaust auf die Nase.

Niemals wieder! dachte er sich. Niemalswieder werde ich diesen Ignoranten meineDienste anbieten! Und Ignoranten waren fürden Angetrunkenen jetzt alle, die nicht wieer davon überzeugt waren, daß er seine Mis-sion zur vollen Zufriedenheit aller ausge-führt hätte, wenn die Odinssöhne ihn nichtgezwungen hätten, die fünf Robotdiener mitan Bord des goldenen Schiffs zu nehmen.Das Kapitel GOL'DHOR war für Sator Synkein für allemal abgeschlossen. Sollten dieOdinssöhne doch zusehen, wie sie mit derbevorstehenden Invasion fertig wurden! Im-mer noch im Glauben, der Wirt und alle an-deren, die ihm schadenfroh nachsahen, hät-ten nur ihre Freude an seinem Reinfall, be-trat Synk schwankend sein Haus. Mit dem»Gast« sollte er schnell fertig werden. Si-cher ein Schmarotzer, dachte er, jemand, deres sich während seiner Abwesenheit bei ihmzu Hause bequem gemacht hatte. Aber derBursche sollte sein blaues Wunder erleben.

»Komm heraus!« brüllte Sator Synk, alssich niemand blicken ließ. »Ich weiß, daß duhier bist, und falls du nicht hier bist, weißich es auch, nämlich, daß du …«

Der Orxeyaner wurde sich des Unsinns,den er daherredete, bewußt. Er durchsuchtenoch einmal alle Räume und beschloß, sichin eine stille Ecke zurückzuziehen und aufden »Gast« zu warten.

Je länger er so hinter einem großenSchrank dasaß, desto stärker wurde dieÜberzeugung, daß der Wirt ihm einenStreich gespielt hatte.

Doch das war nicht der Fall.Synk hörte etwas quietschen. Es war nicht

nur die Haustür, die er endlich einmal ölenmußte. Etwas anderes, seltsam Bekanntes …

Und dann sah er den Roboter.»O nein!« Der Orxeyaner schlug sich bei-

de Hände vors Gesicht. Der Alkohol, dachteer. Die Rache der Robotbürger. Jetzt wollensie mich endgültig zugrunde richten.

Doch als er die Hände herunternahm,stand der Roboter immer noch vor ihm.

Es handelte sich um eine Kugel von etwaeinem halben Meter Durchmesser. MehrereSchläuche, Greifarme und Antennen ragtenaus ihr heraus. Ganz oben auf der Kugel be-fand sich eine rotierende Scheibe.

»Es erfüllt mich mit großer Freude, dichzu sehen, Sator Synk«, drang es plärrend auseinem nicht zu erkennenden Lautsprecher.»Wir hatten dich eher zurückerwartet.«

Das darf nicht sein! durchfuhr es den Or-xeyaner. Das darf einfach nicht sein! Herrder Welten, laß mich aufwachen!

Synk schloß die Augen. Den Roboterschien das nicht im geringsten zu berühren.

»Ich heiße Diglfonk«, hörte Synk. »MeinHerr, der Robotbürger Soltzamen, hat michgeschickt, um dir über die erlittene Enttäu-schung hinwegzuhelfen. Ich bringe deinHaus in Ordnung und sorge für dich. Wenndu einen Wunsch hast, so teile ihn mir mit.Wir stehen nach wie vor in deiner Schuldund …«

»Aber ich habe fünf von euch auf demGewissen!« krächzte Synk in höchster Ver-zweiflung. »Fünf Robotdiener sind gestor-ben, weil ich …«

»Es war unsere Schuld, daß du notlandenmußtest, Sator Synk. Wir sind über alles in-formiert und wissen um deine Qualen. Kannich nun etwas für dich tun?«

Synk fuhr sich mit der Hand über dieStirn. Sie war naß. Er mußte Fieber haben.

»Ja«, brachte er gerade noch hervor.»Verschwinde! Geh mir aus den Augen!«

»Ich bedaure«, sagte Diglfonk, »aber ichbefinde mich nicht in deinen Augen, alsokann ich auch nicht daraus verschwinden.«

13.

Atlan und Thalia – irgendwo in derSchwarzen Galaxis Das Licht wurde heller.Atlan hatte das Gefühl, aus einem Tunnel

48 Horst Hoffmann

herauszuschießen. Vielleicht war es auchnur ein Vergleich, den er unwillkürlich zog.Immer noch konnte er seinen Körper nichtfühlen. Dafür spürte er jetzt die Nähe Thali-as.

Aus dem Punkt wurde ein Kreis. DasDunkel wich nach allen Seiten hin. EinLichtblitz, dann das Gefühl, auseinanderge-rissen zu werden. Atlan schrie, und er hörteseine Stimme. Er empfand Qualen undSchmerz – und er hatte wieder einen Körper.

Er fühlte eine Hand auf seinem Arm. DasLicht war erloschen. Wieder umgab ihn undThalia völlige Dunkelheit. Aber sie waren,lebten in ihrem Universum. Wo sie sich nunbefanden, erschien dem Arkoniden im Au-genblick zweitrangig. Sie hatten festen Bo-den unter den Füßen.

Was war geschehen?Atlan erinnerte sich lediglich daran, an

Bord der KNIEGEN gewesen zu sein. Er sahdie Scuddamoren-Schiffe vor sich, die Ener-giestrahlen, die auf die KNIEGEN zuschos-sen, die Überlastungsanzeigen der Schutz-schirme. Dann war nichts mehr. Allmählichgewöhnten sich die Augen des Arkoniden andie Dunkelheit. Er konnte jetzt einen kleinensilbern schimmernden Mond am Himmel er-kennen, am Mond des Planeten, auf dem erund Thalia sich befanden.

»Wo sind wir hier, Atlan?« fragte Thalialeise. Der Arkonide sah sich um. Ringsum-her sah er verschwommen schroffe Felskon-turen.

»Ich weiß es nicht«, sagte er wahrheitsge-mäß. »Ich habe ebensowenig eine Erklärungwie du. Wir müßten an Bord der KNIEGENsein …«

»Aber wir sind es nicht, Atlan. Ich habedas Gefühl, daß irgend etwas mit uns ge-schehen ist.«

Atlan erging es ebenso. Doch je mehr ersich zu erinnern versuchte, desto mehr muß-te er erkennen, daß es keinen Sinn hatte.

Sie befanden sich auf einer fremden Welt– irgendwo in der Schwarzen Galaxis. Erspürte die Aura.

Da standen sie – zwei Verlorene ohne

Raumschiff und jegliche Ausrüstung. Alles,was sie besaßen, waren Thalias Raumanzug,Atlans Goldenes Vlies und die große Pleja-de.

»Es sieht so aus«, murmelte der Arkonide,»als müßten wir wieder ganz von vorn an-fangen.«

Und der Gedanke daran, was ihnen hier indieser unheimlichen Umgebung bevorstehenmochte, jagte ihm einen Schauer über denRücken.

*JENSEITS VON RAUM UND ZEIT

Leenia spürte, wie die Impulse von allenSeiten her auf sie eindrangen.

Aus ihnen sprach ein einziger Vorwurf.Dabei war sie es, die Vorwürfe zu machenhatte.

Wir hätten sie nicht im Stich lassendürfen, dachte Leenia, an die anderen ge-wandt.

Wir haben sie nicht im Stich gelassen.Wir haben dich ein weiteres Mal zu ihnengeschickt, obwohl dir Gefahr drohte. Atlanwird beweisen müssen, ob er uns eine Hilfesein kann.

Wenn wir ihn unterstützen, kann er es!Nein, Leenia, kam es von überallher. Du

wirst dich nicht noch einmal für ihn in Ge-fahr begeben, nicht ehe wir es für richtighalten – wir als Gesamtheit. Noch wissenwir nicht, wie du als Körperliche in der Au-ra des Bösen bestehen kannst. Erst wenn wirGewißheit haben, können wir dich wiederschicken. Und es gibt wichtigere Aufgabenfür dich, als auf den Sterblichen zu achten.

Stummer Protest, doch Leenia undWommser wußten, daß Widerspruch jetztkeinen Sinn hatte. Beide Komponenten desDoppelwesens warteten. Alles war in Bewe-gung geraten. Entscheidungen standen be-vor. Und es war fast schon makaber, daßnicht sie, die für den Einsatz in der Schwar-zen Galaxis präparierte Leenia, die Dingeins Rollen gebracht hatte, sondern ein Sterb-licher. Leenia und Wommser waren sich fast

Ruf der Höheren Welten 49

sicher, daß sie Atlan eines Tages wiederse-hen würden. Die Frage war nur, unter wel-chen Umständen.

E N D E

Weiter geht es in Atlan Band 415 von König von Atlantis mit:Herrscher von Ringtorvon Peter Terrid

50 Horst Hoffmann

top related