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12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 1
Grundrechte
Sommersemester 2012
http://www.lehrstuhl-moellers.de/
PD Dr. Sebastian Graf Kielmansegg SS 2012
(LS Prof. Dr. Christoph Möllers)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 2
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 3
Teil 1: Grundlagen
A. Erste Bestandsaufnahme
I. Begriff und Rechtsquellen
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 4
Regionale Ebene:
� EMRK (1950)
� EU Grundrechte-Charta (2000/2009)
1. Ebenen des Grundrechtsschutzes
Globale Ebene:
� Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948)
� International Covenant on Civiland Political Rights (1966)
� International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (1966)
� […]
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 5
Nationale Ebene:
Grundgesetz
Subnationale Ebene:
Länderverfassungen (teilweise)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 6
2. Die Grundrechte des Grundgesetzes
�Grundrechte i.e.S.: Art. 1-19 GG
�Grundrechtsgleiche Rechte (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG)• Art. 20 Abs. 4 (Widerstandsrecht)
• Art. 33 (staatsbürgerliche Rechte)
• Art. 38 (Wahlrecht)
• Art. 101-104 (Justizgrundrechte)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 7
II. Grundrechtliche Schutzgüter
�Freiheit
�Gleichheit
�Integrität
�Politische Mitwirkung
�Verfahrensrechte
�Soziale Rechte?
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 8
B. Rechtlicher Stellenwert
I. Die unmittelbare Anwendbarkeit der Grundrechte
Art. 1 Abs. 3 GG:
Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 9
�bloße Programmsätze/Staatszielbestimmungen,
z.B. Art. 7 Abs. 1 Sächsische Landesverfassung:
„Das Land erkennt das Recht eines jeden Menschen auf ein menschenwürdiges Dasein, insbesondere auf Arbeit, auf angemessenen Wohnraum, auf angemessenen Lebensunterhalt, auf soziale Sicherung und auf Bildung, als Staatsziel an.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 10
II. Die Bindung aller Staatsgewalt
1. Die Bindung der verfassten Staatsgewalt
Art. 1 GG
[…]
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich […] zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Art. 20 Abs. 3 GG:
Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 11
2. Bindung der verfassunggebenden Gewalt?
Art. 79 Abs. 3 GG:
Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung oder die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 12
III. Der normhierarchische Vorrang der Grundrechte
Normenhierarchie der deutschen Rechtsordnung:
Verfassung
Gesetz
Verwaltungshandeln (Rechtsverordnung etc.)
Vorrang der Verfassung
Vorrang des Gesetzes
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 13
IV. Die prozessuale Durchsetzbarkeit
1. Grundsatz
Art. 19 Abs. 4 GG:
Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen […]
Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG:
Das Bundesverfassungsgericht entscheidet […] überVerfassungsbeschwerden, die von jedermann mit
der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in Artikel 20 Abs. 4, 33, 38, 101, 103 und 104 enthaltenen Rechte verletzt zu sein;
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 14
2. Die Struktur von Gerichtsentscheidungen
I. Zulässigkeit (prozessuale Voraussetzungen)
II. Begründetheit (Sachentscheidung)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 15
3. Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde
Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG i.V.m. §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG
§ 90 Abs. 1 BVerfGG:
Jedermann kann mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder in einem seiner in
Artikel 20 Abs. 4, Artikel 33, 38, 101, 103 und 104 des
Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt zu sein, die
Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erheben.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 16
§ 90 Abs. 2 BVerfGG:
Ist gegen die Verletzung der Rechtsweg zulässig, so kann die Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs
erhoben werden. Das Bundesverfassungsgericht kann jedoch über eine vor Erschöpfung des Rechtswegs eingelegte Verfassungsbeschwerde sofort entscheiden, wenn sie von allgemeiner Bedeutung ist oder wenn dem Beschwerdeführer ein schwerer und unabwendbarer Nachteil entstünde, falls er zunächst auf den Rechtsweg verwiesen würde.
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C. Historische Wurzeln
I. Die Revolutionen des 18. Jahrhunderts
1. Vorläufer�Mittelalterliche Freiheitsverbriefungen
�Naturrecht/Vertragstheorie�Z.B. John Locke (1632-1704):
life, liberty, property
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2. Vom Absolutismus zum Verfassungsstaat
Von der Philosophie zum Staatsrecht
Vom Privileg zum Individualrecht
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 19
a) England
�Magna Charta (1215)
�Petition of Rights (1628)
�Habeas Corpus Act (1679)
�Bill of Rights (1689)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 20
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 21
b) Amerika
�Virginia Bill of Rights (1776)Art. 1: “That all men are by nature equally free and inde-pendent, and have certain inhe-rent rights, of which, when they enter into a state of society, they cannot, by any compact, deprive or divest their posterity; namely, the enjoyment of life and liberty, with the means of acquiring and possessing property, and pursuing and obtaining happiness and safety.”
�Constitution of the Commonwealth of Pennsylvania (1776)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 22
US-Constitution, Bill of Rights (Amendments I-X von 1791)
z.B. First Amendment:
Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right of the people peaceably to assemble, and to petition the Government for a redress of grievances.
z.B. Fifth Amendment:
No person shall […] be deprived of life, liberty, or property, without due process of law […].
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Gerichtliche Normenkontrolle und Verwerfungskompetenz:
US Supreme Court, Marbury v. Madison (1803)
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Déclaration des droits de l'homme et du citoyen (26.8.1789)
Art. 1: Die Menschen werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es.
Art. 2: Der Zweck jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unantastbaren Menschenrechte. Diese sind das Recht auf Freiheit, das Recht auf Eigentum, das Recht auf Sicherheit und das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung […]
Art. 4: Die Freiheit besteht darin, alles tun zu dürfen, was einem anderen nicht schadet: Die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen hat also nur die Grenzen, die den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuss ebendieser Rechte sichern. Diese Grenzen können nur durch das Gesetz bestimmt werden […]
c) Frankreich
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II. Die konstitutionelle Epoche in Deutschland
1. Die Paulskirchenverfassung vom 28.3.1849
Abschnitt VI. Die Grundrechte des deutschen Volkes (§§ 130-189):
§ 130. Dem deutschen Volke sollen die nachstehenden Grundrechte gewährleistet seyn. Sie sollen den Verfassungen der deutschen Einzelstaaten zur Norm dienen, und keine Verfassung oder Gesetzgebung eines deutschen Einzelstaates soll dieselben je aufheben oder beschränken können.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 26
2. Vormärz und Spätkonstitutionalismus
a) Der Weg zum Verfassungsstaat
�Erste Phase (süddeutscher Konstitutionalismus, 1814-1824), insb. Baden, Bayern, Württemberg
�Zweite Phase (mitteldeutscher Konstitutionalismus, 1830-1836), insb. Sachsen, Hannover
�Dritte Phase (ab 1848), insb. Preußen, Österreich
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 27
Rechtsverbürgungen:
Bayerische Verfassung (1818):Titel IV. Von allgemeinen Rechten und Pflichten
[…] § 8: Der Staat gewährt jedem Einwohner Sicherheit seiner Person, seines Eigenthums und seiner Rechte.
Niemand darf seinem ordentlichen Richter entzogen werden.
Niemand darf verfolgt oder verhaftet werden, als in den durch die Gesetze bestimmten Fällen, und in der gesetzlichen Form […]
Preußische Verfassungsurkunde (1848/50):Titel II. Von den Rechten der Preußen
Art. 4. Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Standesvorrechte finden nicht statt […]
Art. 5. Die persönliche Freiheit ist gewährleistet. Die Bedingungen und Formen, unter welchen eine Beschränkung derselben, insbesondere eine Verhaftung zulässig ist, werden durch das Gesetz bestimmt. […]
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 28
b) Abwertung im Spätkonstitutionalismus
�Keine Aufnahme in die Reichsverfassung von 1871
�Dogmatische Marginalisierung durch die spätkonstitutionelle Staatsrechtslehre
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 29
III. Die Grundrechte der Weimarer
Zweiter Hauptteil Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen (Art. 109-165):
[…]
Artikel 109. Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich […]
Artikel 114. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträchtigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche Gewalt ist nur auf Grund von Gesetzen zulässig […]
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 30
IV. Grundrechte in der Diktatur
1. Das Dritte Reich
Beseitigung des Grundrechtsschutzes:
28.2.1933: „Verordnung zum Schutz von Volk und Staat“ (sog. Reichstagsbrandverordnung), § 1:
"Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der Verfassung des Deutschen Reiches werden bis auf weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher Beschränkungen der persönlichen Freiheit, des Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließlich der Pressefreiheit, des Vereins- und Versammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-,
Telegraphen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnungen von Haussuchungen und von
Beschlagnahmen sowie Beschränkungen des Eigentums auch außerhalb der sonst
hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen zulässig.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 31
24.3.1933: „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Staat“ (sog. Ermächtigungsgesetz)
Art. 1. Reichsgesetze können außer in dem in der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren auch durch die
Reichsregierung beschlossen werden. Dies gilt auch für die in
den Artikeln 85 Abs. 2 und 87 der Reichsverfassung bezeichneten
Gesetze.
Art. 2. Die von der Reichsregierung beschlossenen Reichsgesetze
können von der Reichsverfassung abweichen, soweit sie nicht die
Einrichtung des Reichstags und des Reichsrats als solche zum
Gegenstand haben. Die Rechte des Reichspräsidenten bleiben
unberührt.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 32
2. Die DDR
Verfassung von 1949:
Abschnitt B: Inhalt und Grenzen der Staatsgewalt, Art. 6-49
1. Rechte der Bürger:
Art. 6. Alle Bürger sind vor dem Gesetz gleichberechtigt […]
Art. 8. Persönliche Freiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Postgeheimnis und das Recht, sich an einem beliebigen Ort niederzulassen, sind gewährleistet. Die Staatsgewalt kann diese Freiheiten nur auf Grund der für alle Bürger geltenden Gesetze einschränken oder entziehen.
Art. 9. Alle Bürger haben das Recht, innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze ihre Meinung frei und öffentlich zu äußern und sich zu diesem Zweck friedlich und unbewaffnet zu versammeln […]
Art. 49. Soweit diese Verfassung die Beschränkung eines der vorstehenden Grundrechte durch Gesetz zuläßt oder die nähere Ausgestaltung einem Gesetz vorbehält, muß das Grundrecht als solches unangetastet bleiben.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 33
Verfassung von 1968:
Abschnitt II.Bürger und Gemeinschaften in der sozialistischen Gesellschaft (Art. 19-46)
Kapitel 1.Grundrechte und Grundpflichten der Bürger
Art. 19 (1) Die Deutsche Demokratische Republik garantiert allen Bürgern die Ausübung ihrer Rechte und ihre Mitwirkung an der Leitung der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie gewährleistet die sozialistische Gesetzlichkeit und Rechtssicherheit. […]
Art. 21 (3) Die Verwirklichung dieses Rechts der Mitbestimmung und Mitgestaltung ist zugleich eine hohe moralische Verpflichtung für jeden Bürger. […]
Art. 30 (1) Die Persönlichkeit und Freiheit jedes Bürgers der Deutschen Demokratischen Republik sind unantastbar. […]
Art. 31 (1) Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzbar.
(2) Sie dürfen nur auf gesetzlicher Grundlage eingeschränkt werden, wenn es die Sicherheit des sozialistischen Staates oder eine strafrechtliche Verfolgung erfordern. […]
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 34
V. Die Grundrechte des Grundgesetzes
Noch einmal Art. 1 GG:(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 35
Teil 2: Die Freiheitsgrundrechte als Abwehrrechte
A. Schutzgut und Abwehranspruch
Schutzgut
Grundrecht© www.meine-kleine-puppenwelt.de
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 36
B. Die Struktur der Grundrechtsprüfung
I. Überblick
kein absoluter Schutz
sondern
rechtsstaatliches Verteilungsprinzip (Carl Schmitt)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 37
1. Grundrechtsrelevante Einwirkung?
a) Schutzbereich
Art. 2 Abs. 2 GG:
Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund
eines Gesetzes eingegriffen werden.
b) Eingriff
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 38
2. Rechtfertigunga) Einschränkbarkeit des Grundrechts
Gesetzesvorbehalt?§ 81a StPO Abs. 2: Eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren
von Bedeutung sind. Zu diesem Zweck sind Entnahmen von Blutproben …
zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist.
b) Schranken-SchrankenInsbesondere: Verhältnismäßigkeitsprinzip
� Legitimes Ziel
� Geeignetheit
� Erforderlichkeit
� Verhältnismäßigkeit i.e.S. (Güterabwägung)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 39
II. Die einzelnen Schranken-Schranken
1. Die Schranken des Art. 19 GG
a) Das Verbot des grundrechtsbeschränkenden Einzelfallgesetzes
Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG:
Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 40
�BVerfGE 13, 225 (Bahnhofsapotheke)
�BVerfGE 25, 371 (Rheinstahl)
�BVerfGE 99, 367 (Montan Mitbestimmung)
Echtes Einzelfallgesetz (unzulässig)
Maßnahmegesetz (zulässig)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 41
b) Das Zitiergebot
Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG:
Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
z.B. § 66 ASOG Berlin:
Durch dieses Gesetz werden die Grundrechte auf Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes), Freizügigkeit (Artikel 11 des Grundgesetzes) und Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) eingeschränkt.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 42
Anwendungsbereich des Zitiergebotes nach BVerfG:
� i.E. nur Art. 2 II, 6 III, 8, 10, 11, 13 u. 16 GG
�Nur nachkonstitutionelle Gesetze
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 43
c) Die Wesensgehaltsgarantie
Art. 19 Abs. 2 GG:
In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 44
abwägungszugänglicher
Randbereich
Theorie des absoluten Wesensgehaltes:
Wesensgehalt =unantastbarer Kernbereich
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 45
2. Weitere Schranken-Schranken
�Verhältnismäßigkeitsprinzip
�Parlamentsvorbehalt
�Bestimmtheitsgebot
�Rückwirkungsverbot
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 46
3. Grundrechtsspezifische Schranken-Schranken
z.B. Art. Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG:
Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.
z.B. Art. 102 GG:
Die Todesstrafe ist abgeschafft.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 47
II./III. Rechtfertigung1. Einschränkbarkeit2. Schranken-Schranken
a) Zitiergebotb) Verbot des Einzelfallgesetzesc) Bestimmtheitsgebotd) Rückwirkungsverbote) Verhältnismäßigkeitsprinzip (Angelpunkt)f) Wesensgehaltsgarantie
I. Grundrechtsrelevante Einwirkung1. Schutzbereich
2. Eingriff
I. Schutzbereich
II. Eingriff
III. Erstes Gesamtbild
oder
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 48
C. Die Struktur der Grundrechtsprüfung – Verfeinerungen I
I. Der Eingriffsbegriff
Schutzbereich � was?
Eingriff � wogegen?
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 49
1. Der „klassische“ Eingriffsbegriff
�final
�unmittelbar
�Rechtsakt
�imperativ
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 50
2. Erweiterungen
a) Der erweiterte Eingriffsbegriff
�final
�Unmittelbar
�Rechtsakt
�imperativ
auch ungezielte Eingriffe
auch mittelbare Eingriffe• z.B. BVerwGE 90, 112 (Jugendsekten)• z.B. BVerfG NJW 1999, 3399
(Nierentransplantation)
auch faktische Eingriffe
auch zwangsfreie Eingriffe
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 51
Bleibende Eingriffsvoraussetzungen:
�Final
�Unmittelbar
�Rechtsakt
�imperativ
auch ungezielte Eingriffe,
auch mittelbare Eingriffe,
auch faktische Eingriffe
auch zwangsfreie Eingriffe,
aber Vorhersehbarkeit!
aber Zurechenbarkeit!
aber Minimum an Intensität!
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 52
b) Exkurs: Die Religionsfreiheit
aa) Einführung und Übersicht
(1) Allgemeine Bedeutung der Religionsfreiheit
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 53
SäkularisierungToleranz/ Neutralität
cuius regio eius religio
ius emigrandi
Religionsfreiheit
+
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 54
(2) Die Religionsfreiheit im GG� Art. 4 GG
� Art. 7 GG:(2) Die Erziehungsberechtigten haben das Recht, über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.
(3) Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach. Unbeschadet des staatlichen Aufsichtsrechtes wird der Religionsunterricht in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilt. Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.
� Art. 3 Abs. 3 GG: Niemand darf wegen […] seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
� Art. 33 Abs. 3 GG: Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.
� Art. 140 GG: Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 55
bb) Der Schutzbereich
(1) Die geschützten Lebensbereiche
Art. 4 GG:
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
(3) Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der
Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 56
(2) Das geschützte Verhalten
(2.1) Einheitlicher Schutzbereich� forum internum
� forum externum
(2.2) Beispiele und Problemfälle� BVerfGE 24, 236: Aktion Rumpelkammer
� BVerfGE 104, 337: Schächten
� BVerfGE 108, 282: Kopftuch
(2.3) Kollektive Religionsfreiheit
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 57
cc) Illustration: Die Osho-Entscheidung(BVerfGE 105, 279)
�Schutzbereich??
�Eingriff??
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 58
3. Abgrenzungen
�Eingriff
� Sonstige Einwirkungen
� Ausgestaltung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 59
II. Abstufungen im Rechtfertigungsregime
1. Der einfache Gesetzesvorbehalt
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 60
a) Gesetzesvorbehalt und Vorbehalt des Gesetzes
Konstitutionelle Wurzeln des rechtsstaatlichen Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes:
Titel VII, § 2 der bayerischen Verfassung (1818):
„Ohne den Beyrath und die Zustimmung der Stände des Königreichs kann kein allgemeines neues Gesetz, welches die Freyheit der Person oder das
Eigenthum des Staats-Angehörigen betrifft, erlassen […] werden.“
§ 31 der Verfassung von Hessen-Kassel (1831)
„Die Freiheit der Person und des Eigenthums unterliegt keiner andern
Beschränkung, als welche das Recht und die Gesetze bestimmen.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 61
Doppelwirkung der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte:
�Begründen Einschränkbarkeit des Grundrechts
�Aber nur durch Gesetz
insoweit spezielle Ausprägung des allgemeinen Prinzips vom Vorbehalt des Gesetzes
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 62
b) Illustration: Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG)
aa) Schutzbereich und EingriffArt. 10 Abs. 1:
„Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnissind unverletzlich.“
+ +
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 63
bb) Rechtfertigung
(1)EinschränkbarkeitArt. 10 Abs. 2 S. 1 GG:
„Beschränkungen dürfen nur auf Grund eines Gesetzesangeordnet werden.“
Beispiele:
�§ 29 Abs. 3 StVollzG
�§§ 100a,b StPO
�§§ 110 ff. TKG
(2) Schranken-Schranken
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 64
(3) Sonderfall Staatsschutz
Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG:
„Dient die Beschränkung dem Schutze der freiheitlichendemokratischen Grundordnung oder des Bestandes oder derSicherung des Bundes oder eines Landes, so kann das Gesetzbestimmen, daß sie dem Betroffenen nicht mitgeteilt wird und daßan die Stelle des Rechtsweges die Nachprüfung durch von derVolksvertretung bestellte Organe und Hilfsorgane tritt.“
=> umgesetzt durch das G 10
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 65
2. Qualifizierte Gesetzesvorbehaltea) Grundsatz
z.B. Art. 11 GG:
(1) Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.
(2) Dieses Recht darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes und nurfür die Fälle eingeschränkt werden, in denen eine ausreichendeLebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondereLasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahrfür den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung desBundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahr,Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze derJugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen,erforderlich ist.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 66
b) Illustration: Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG)
aa) SchutzbereichArt. 9 Abs. 1 GG:
„Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.“
vgl. Legaldefinition in § 2 Abs. 1 VereinsG:
„Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 67
bb) Rechtfertigung
(1)Einschränkbarkeit der Vereinigungsfreiheit
(1.1) Dogmatische Bedeutung von Art. 9 Abs. 2 GG
„Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“
�verfassungsunmittelbares Verbot?
�oder nur Verbotsvorbehalt?
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 68
umgesetzt in § 3 Abs. 1 VereinsG:
„Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, daß seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet; in der Verfügung ist die Auflösung des Vereins anzuordnen (Verbot).“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 69
(1.2) Anforderungen des qualifizierten Gesetzesvorbehaltes in Art. 9 Abs. 2
�Einhaltung der allgemeinen Strafgesetze
�Prinzip der wehrhaften Demokratie => Schutz der FDGO
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 70
(2) Schranken-Schranken
Hauptproblem in BVerfGE 80, 244:
Strafbarkeit schon vor Unanfechtbarkeit des Verbotes?
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 71
3. Vorbehaltlose Grundrechte
a) Problem und Lösung
aa) Einschränkbarkeit?
Art. 5 Abs. 3 GG:
Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
??Schrankenleihe von anderen Grundrechten??
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 72
Grundrechtskollision
Vgl. schon Art. 4 der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (1789):
„Die Freiheit besteht darin, alles tun zu dürfen, was einem anderen nichtschadet: Die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen hat alsonur die Grenzen, die den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genussebendieser Rechte sichern. Diese Grenzen können nur durch das Gesetzbestimmt werden […]“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 73
Ergebnis für die Eingriffsrechtfertigung bei vorbehaltlosen Grundrechten:
1. Einschränkbarkeit des Grundrechts�Unterliegen „verfassungsimmanenten Schranken“
�Ergeben sich aus kollidierenden Verfassungsgütern
�Vorliegen einer Kollision?
�Erfordernis eines Gesetzes?
2. Ausgleich zwischen den Verfassungsgütern �Prinzip des schonenden Ausgleichs
(„praktische Konkordanz“)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 74
b) Illustration: Die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG)
„Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 75
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 76
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 77
aa) Schutzbereich und Eingriff
(1)Kunstbegriff
�Drittanerkennung?
�Formaler Kunstbegriff?
�Materialer Kunstbegriff?
�Offener Kunstbegriff?
�Definitionsverbot?
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 78
Die Mephisto-Formel („materialer Kunstbegriff“),
BVerfGE 30, 173, 188 f.:
„Das Wesentliche der künstlerischen Betätigung ist die
� freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers
� durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden […] .
� Beim künstlerischen Schaffen wirken Intuition, Phantasie und Kunstverstand zusammen; es ist primär nicht Mitteilung, sondern Ausdruck und zwar unmittelbarster Ausdruck der
individuellen Persönlichkeit des Künstlers.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 79
Offener Kunstbegriff(BVerfGE 67, 213, 227
„Anachronistischer Zug“)
„Das kennzeichnende Merkmal einer künstlerischen Äußerung [liegt] darin […], daß es wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen, so
daß sich eine praktisch unerschöpfliche,
vielstufige Informationsvermittlung ergibt.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 80
(2) Geschützte Handlungsbereiche
Werkbereich
Wirkbereich
+
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 81
bb) Rechtfertigung
(1)Einschränkbarkeit der Kunstfreiheit�Grundsatz: Unterliegt verfassungsimmanente
Schranken durch kollidierendes Verfassungsgut
�Hier? Persönlichkeitsrecht/Menschenwürde
�Vorliegen einer Kollision?
(2) Ausgleich zwischen den Verfassungsgüternvgl. auch BVerfGE 119, 1 „Esra“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 82
c) Illustration: Die Religionsfreiheit (Art. 4) - Fortsetzung
aa) Die Einschränkbarkeit der Religionsfreiheit
Art. 4 GG(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 83
Art. 140 GG i.Vm. Art. 136 Abs. 1 WRV: „Die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt.“
Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV:„Jede Religionsgesellschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes […]“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 84
bb) Ausgleich zwischen den Verfassungsgütern
�Herstellung praktischer Konkordanz
z.B. Art. 20a GG (?):„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 85
cc) Spezialfall: Die negative Religionsfreiheit
(1)Schutzbereich und Eingriff
�Art. 136 Abs. 4 WRV: „Niemand darf zu einer kirchlichen
Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.“
�Auch Schutz vor Konfrontation mit Religion??
GG kennt Neutralitätsgebot,
aber kein Laizitätsprinzip
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 86
BVerfGE 93, 1 (16):
„Zwar hat [der Bürger] in einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gibt, kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben.
Davon zu unterscheiden ist aber eine vom Staat geschaffene Lage, in der der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluß eines bestimmten Glaubens, den Handlungen, in denen dieser sich manifestiert, und den Symbolen, in denen er sich darstellt, ausgesetzt ist.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 87
(2) Rechtfertigung
(2.1) Einschränkbarkeit der negativen Religionsfreiheit
Verfassungsimmanente Schranken, v.a.
�Positive Religionsfreiheit Dritter
�Staatlicher Erziehungsauftrag (Art. 7 I GG)
(2.2) Ausgleich zwischen den Verfassungsgütern
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 88
d) Illustration: Gewissensfreiheit (Art. 4 GG)
v.a. Art. 4 Abs. 3 GG„Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 89
4. Die Menschenwürde
a) Schutzbereich und Eingriff
Art. 1 Abs. 1 GG:Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 90
aa) Ausgangspunkt
�Mitgifttheorie
�Leistungstheorie
�Anerkennungstheorie/Kommunikationstheorie
„Würde“Anknüpfung an
vorrechtlichen Diskurs
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 91
bb) Schutzbereich
Im Kern: Anerkennung der�Rechtssubjektivität des Menschen
�Personalen Subjektivität/Integrität des Menschen
Menschen-würde
Freiheit
Integritätsoziale
Integration
Gleichheit
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 92
cc) Eingriff
Kant, Metaphysik der Sitten:„Die Menschheit selbst ist eine Würde; denn der Mensch kann
von keinem Menschen bloß als Mittel, sondern muß jederzeit
zugleich als Zweck gebraucht werden.“
Objektformel des BVerfG
(BVerfGE 45, 187, 227 f. „Lebenslange Freiheitsstrafe):„Dies bedeutet, daß auch in der Gemeinschaft grundsätzlich jeder Einzelne als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt werden muß. Es widerspricht daher der menschlichen Würde, den Menschen zum bloßen Objekt im Staate zu machen [...]. Der Satz, ‚der Mensch muß immer Zweck an sich selbst bleiben’, gilt uneingeschränkt für alle Rechtsgebiete; denn die unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht gerade darin, daß er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 93
BVerfGE 109, 279, 312 f. (Großer Lauschangriff):
„Allerdings sind der Leistungskraft der Objektformel auchGrenzen gesetzt (vgl. BVerfGE 30, 1 [25]). Der Mensch ist nichtselten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und dergesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts, dem ersich zu fügen hat. Die Menschenwürde wird nicht schon dadurchverletzt, dass jemand zum Adressaten von Maßnahmen derStrafverfolgung wird, wohl aber dann, wenn durch die Art derergriffenen Maßnahme die Subjektqualität des Betroffenengrundsätzlich in Frage gestellt wird. Das ist der Fall, wenn dieBehandlung durch die öffentliche Gewalt die Achtung desWertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbstwillen zukommt.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 94
b) Rechtfertigung?
Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG:
„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Art. 79 Abs. 3 GG („Ewigkeitsklausel“):„Eine Änderung dieses Grundgesetzes, durch welche die […] in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze berührt werden, ist unzulässig.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 95
5. Gesamtbild der Abstufungen im Rechtfertigungsregime
Einfacher GV
QualifizierterGV
VorbehaltloseGrundrechte
Menschen-würde
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 96
D. Die einzelnen Freiheitsrechte
I. Der Schutz der Privatsphäre
1. Das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis, Art. 10
Beispiel: Vorratsdatenspeicherung
+ +
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 97
2. Der Schutz der Wohnung, Art. 13
a) Überblick
aa) Schutzbereich
Art. 13 Abs. 1: Die Wohnung ist unverletzlich.
erkennbarer Wille + soziale Anerkennung
der nur privaten Zugänglichkeit
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 98
bb) Eingriffe/ cc) Rechtfertigung
Art. 13 Abs. 2: „Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden.“
[…]
Abs. 7: „Eingriffe und Beschränkungen dürfen im übrigen nur
• zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen,
• auf Grund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Behebung der Raumnot, zur Bekämpfung von Seuchengefahr oder zum Schutze gefährdeter Jugendlicher vorgenommen werden.“
verfassungsunmittelbare Eingriffsgrundlage!
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 99
Art. 13 Abs. 3: „Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, daß jemand eine durch Gesetz einzeln bestimmte besonders schwere Straftat begangen hat, so dürfen zur Verfolgung der Tat auf Grund richterlicher Anordnung technische Mittel zur akustischen Überwachung von Wohnungen […]eingesetzt werden […]“
Abs. 4: „Zur Abwehr dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr, dürfen technische Mittel zur Überwachung von Wohnungen nur auf Grund richterlicher Anordnung eingesetzt werden. […]“
Abs. 5: „Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch eine gesetzlich bestimmte Stelle angeordnet werden. […]“
„Großer Lauschangriff“
„Kleiner Lauschangriff“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 100
b) Beispielsfälle
aa) Behördliche Betretungsrechte bei Geschäftsräumen
BVerfGE 32, 54, 76 f.„[…] so ergibt sich, daß insbesondere folgende Voraussetzungen zu fordern sind:
a) eine besondere gesetzliche Vorschrift muß zum Betreten der Räume ermächtigen;
b) das Betreten der Räume, die Vornahme der Besichtigungen und Prüfungen müssen einem erlaubten Zweck dienen und für dessen Erreichung erforderlich
sein;
c) das Gesetz muß den Zweck des Betretens, den Gegenstand und den Umfang der zugelassenen Besichtigung und Prüfung deutlich erkennen lassen;
d) das Betreten der Räume und die Vornahme der Besichtigung und Prüfung ist nur in den Zeiten statthaft, zu denen die Räume normalerweise für die jeweilige geschäftliche oder betriebliche Nutzung zur Verfügung stehen.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 101
bb) Der Große Lauschangriff
BVerfGE 109, 279, 314:„Die Privatwohnung ist als „letztes Refugium“ ein Mittel zurWahrung der Menschenwürde. Dies verlangt zwar nicht einenabsoluten Schutz der Räume der Privatwohnung, wohl aberabsoluten Schutz des Verhaltens in diesen Räumen, soweit essich als individuelle Entfaltung im Kernbereich privaterLebensgestaltung darstellt.
Dieser Schutz darf nicht durch Abwägung mit denStrafverfolgungsinteressen nach Maßgabe des Verhältnismäßig-keitsgrundsatzes relativiert werden.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 102
II. Die Grundrechte der Fortbewegung
1. Die Habeas Corpus-Rechte
a) Schutzbereich und Eingriff
Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG:
Die Freiheit der Person ist unverletzlich.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 103
b) Rechtfertigung
Art. 2 Abs. 2 S. 2+3 GG:
Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Art. 104 GG
(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden […]
(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung
herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln. […]
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 104
c) Erweiterungen des Schutzbereichs?
�Unumstritten: Positive Bewegungsfreiheit i.e.S. = Freiheit, einen Ort zu verlassen (Fortbewegungsfreiheit)
�Auch �positive Bewegungsfreiheit i.w.S.= Freiheit, einen
Ort aufzusuchen??
�negative Bewegungsfreiheit = Freiheit, einen Ort nicht zu verlassen??
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 105
2. Das Grundrecht auf Freizügigkeit, Art. 11
Art. 11 Abs. 1:
Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.
Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes
• (vorübergehenden) Aufenthalt und
• (dauerhaften) Wohnsitz
zu nehmen.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 106
III. Die Kommunikationsgrundrechte
1. Die Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 GG
a) Überblick
aa) Schutzbereich
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten […]“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 107
Streitpunkt:
Meinungsäußerung
Tatsachenbehauptung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 108
bb) Rechtfertigung: Die
Einschränkbarkeit der Meinungsfreiheit
Art. 5 Abs. 2 GG:
„Diese Rechte finden ihre Schranken in den
• Vorschriften der allgemeinen Gesetze,
• den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend
• und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 109
(1) Die Schranke der „allgemeinen Gesetze“:
Gesetze, die „nicht eine Meinung als solche verbieten, sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten.“
Sonderrechtslehre(Anschütz)
Abwägungslehre(Smend)
Gesetze, „die deshalb den Vorrang vor Art. 118 WV haben, weil das von ihnen geschützte gesellschaftliche Gut wichtiger ist als die Meinungsfreiheit“.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 110
Doppelformel des BVerfG
(BVerfGE 7, 198, 209 f. (Lüth)):
Gesetze, die
• "nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten,
• die vielmehr dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen, dem Schutze eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat“.
im Verhältnismäßigkeitsprinzip aufgegangen
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 111
Grenzfälle der Sonderrechtslehre:
z.B.
§ 90a StGB: Wer öffentlich […] die Bundesrepublik Deutschland […] oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpft oder böswillig verächtlich macht […] wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren […] bestraft.
§ 185 StGB: Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr […] bestraft.
§ 60 Abs. 2 BBG: Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergeben.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 112
Ergebnis:
Allgemeine Gesetze sind solche, die kein Sonderrecht gegen eine bestimmte Meinung bilden, sondern meinungsneutral sind.
Das wird vom BVerfG bejaht, wenn das Gesetz� entweder gar nicht an den Inhalt der Äußerung anknüpft
(z.B. StVO)
�oder jedenfalls nur insoweit, als es ein anderes Rechtsgut generell vor den Wirkungen von Meinungsäußerungen schützt (z.B. § 185 StGB)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 113
(2) Die Schranken des Jugend- und Ehrschutzes
Eigenständige Schrankenvorbehalte für spezifisches Sonderrecht?
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 114
b) Beispielsfälle
aa) Ehrschutz in der politischen
Auseinandersetzung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 115
bb) Rechtsextremismus
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 116
Regelungen zu den Besprechungsfällen:
§ 5 VersG (zu Fall 24)
Die Abhaltung einer Versammlung kann nur im Einzelfall und nur dann verboten werden, wenn […]
4.Tatsachen festgestellt sind, aus denen sich ergibt, daß der Veranstalter oder sein Anhang Ansichten vertreten oder Äußerungen dulden werden, die ein Verbrechen oder ein von Amts wegen zu verfolgendes Vergehen zum Gegenstand haben.
§ 15 Abs. 1 VersG (zu Fällen 18 u. 22)
Die zuständige Behörde kann die Versammlung oder den Aufzug verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 117
cc) Werbung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 118
c) Die übrigen Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG
aa) Überblick
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit
und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 119
�Meinungsäußerungsfreiheit
�Informationsfreiheit
�Pressefreiheit
�Rundfunkfreiheit
�Filmfreiheit
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 120
bb) Speziell: Pressefreiheit
�Alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten Druckerzeugnisse und sonstigen physischen Datenträger
�Schutz der medien- und pressespezifischen Aspekte des Kommunikationsprozesses
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 121
(2) Schranken-Schranken
�V.a. Verhältnismäßigkeitsprinzip
�Zensurverbot, Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG:
„Eine Zensur findet nicht statt.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 122
2. Die Versammlungsfreiheit
Art. 8 Abs. 1 GG:
Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 123
a) Überblick
aa) Schutzbereich und Eingriff
(1)Der Versammlungsbegriff
�Zusammenkommen mehrerer Menschen
oder oder ??
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 124
� Verbindung durch einen gemeinsamen Zweck
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 125
(2) Der Friedlichkeitsvorbehalt
vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 2 VersG:
Die Polizei kann die Versammlung nur dann […] auflösen, wenn […]
2.die Versammlung einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt […]
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 126
bb) Rechtfertigung
Art. 8 Abs. 2 GG:
Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.
Einfacher GV(vgl. §§ 14-20 VersG)
vorbehaltlos => nur VI-Schranken(vgl. §§ 5-13 VersG)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 127
b) Beispielsfälle
BVerfGE 69, 315 „Brokdorf
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 128
Konkurrenzverhältnis
Versammlungsfreiheit � Meinungsfreiheit
versammlungsspezifische Beschränkungen
meinungsspezifische Beschränkungen
Art. 8 Art. 5
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 129
IV. Der Schutz der ökonomischen
Freiheit
1. Die Berufsfreiheit
Art. 12 GG:
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 130
a) Der Schutzbereich
aa) Berufsbegriff
(1)Grundsatz• jede auf eine gewisse Dauer angelegte
• Tätigkeit,
• die dem Einzelnen zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 131
(2) Grenzbereiche
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 132
bb) Berufswahl und Berufsausübung
„Alle Deutschen haben das Recht,
• Beruf, Arbeitsplatz […] frei zu wählen.
• Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.“
cc) Berufsausbildung
• „[…] und Ausbildungsstätte […] „
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 133
b) Eingriff
aa) Berufswahl- und Berufsausübungsbeschränkungen
�Beispiel Berufswahlregelung: Apotheken-Urteil („ob“)
� Beispiel Berufsausübungsregelung: Ladenschlusszeiten („wie“)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 134
bb) Das Erfordernis der berufsregelnden Tendenz
� Subjektiv berufsregelnde Tendenz (z.B. BVerfGE 13, 181: Schankerlaubnissteuer)
� Objektiv berufsregelnde Tendenz (z.B. BVerfGE 97, 228: Kurzberichterstattung)
Spezialausprägung der Minimalschwellen des nicht-klassischen Eingriffs
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 135
c) Rechtfertigung
aa) Die Einschränkbarkeit der Berufsfreiheit
(1) Die Bedeutung des Regelungsvorbehaltes
(2) Der Anwendungsbereich des Regelungsvorbehaltes
werden.
einheitlichesGrundrecht
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 136
bb) Verhältnismäßigkeit
(1)Dreistufentheorie – Grundgedanke
wenn vernünftige Erwä-
gungen des Allgemeinwohls
sie als zweckmäßig erschei-nen lassen
wenn Berufsausübung sonst unmöglich/unsachlich wäre
und dadurch wichtige
Gemeinschaftsgüter
gefährdet
wenn zur Abwehr nachweisbarer oder höchst-
wahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein
überragend wichtiges
Gemeinschaftsgut notwendig
Berufsausübungs-regelung
Subj. Berufswahl-regelung
Obj. Berufswahl-regelung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 137
(2) Anwendung
Spezialaspekt der Verhältnismäßigkeitsprüfung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 138
(3) Vorbehalte gegen die Dreistufentheorie
�Problem: Unterscheidbarkeit der Stufen
�Problem: Normative Aussagekraft der Stufenbildung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 139
2. Das Eigentumsrecht
Art. 14 GG:(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. […]
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
[…]
Art. 15 GG:
Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zweck der Vergesellschaftung […] in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden […]
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 140
a) Der Schutzbereich
aa) Der Eigentumsbegriff
ZivilrechtlicherEigentumsbegriff:
Sacheigentum (§ 903 BGB)
Verfassungsrechtlicher Eigentumsbegriff:
alle vermögenswerten Rechte
(Art. 14 GG)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 141
bb) Die normative Prägung des Schutzbereiches
Art. 14 Abs. 1 S. 1: Schutzbereich = „Eigentum“ = „vermögenswerte Rechte“
Begründung und Ausgestaltung der vermögenswerten Rechte
Art. 14 I 2 GG:„Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt“
(Inhaltsbestimmungen)
verweist auf das einfache Gesetz für die
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 142
Inhaltsbestimmungendes einfachen Rechts:Schaffung / Gestaltung / Veränderungkonkreter vermögenswerter Rechte
Dynamische Ausgestaltung durch
Schutzbereich Art. 14 GG:„Eigentum“
= alle vermögenswerten Rechte
erweiternde Neudefinitionen
verengendeNeudefinitionen
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 143
(2) Kontext:
Die Ausgestaltung normgeprägter Grundrechte
Ausgestaltung des SB =Ausfüllung normativer Prämissen/
TB-Merkmale
Eingriff in den SB
Schutzbereich
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 144
(3) Grenzen der Ausgestaltung
�Insbesondere: Institutsgarantie
�Ansonsten umstritten (Verhältnismäßigkeitsprinzip??)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 145
b) Eingriffe in das Eigentumsrecht
aa) Überblick
(1)Die EnteignungArt. 14 Abs. 3 GG:
Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig […]
(2) Inhalts- und SchrankenbestimmungenArt. 14 Abs. 1 GG:
Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 146
Die Doppelgesichtigkeit von Inhalts- und Schrankenbestimmungen
Ausgestaltung des SchutzbereichsEingriff in den Schutzbereich
Für Neueigentümer:
Inhaltsbestimmung
Für Alteigentümer:
Schrankenbestimmung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 147
(3) Faktische Beeinträchtigungen
[…]
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 148
(4) Eingriffe - Gesamtbild
Art. 14 Abs. 1 S. 1: Schutzbereich = „Eigentum“ = „vermögenswerte Rechte“
Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG
Ausgestaltung
für bestehende Rechtspositionen
Inhaltsbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG
Eingriffe
Enteignungen nachArt. 14 Abs. 3 GG
Faktische Beeinträchtigungen
für zukünftige Rechtspositionen
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 149
c) Rechtfertigung von Eingriffen
Enteignung, Art. 14 Abs. 3:
Qualifizierter GV
Sonstige Eingriffe, insb. Inhalts- und Schrankenbestimmungen, Art. 14 Abs. 1 S. 2:
Einfacher GV
Einschränkbarkeit:
Schranken-Schranken:
Verhältnismäßigkeitsprinzip:Individualinteresse � Sozialbindung, Art. 14 Abs. 2:
„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 150
Speziell: Rechtfertigung von Enteignungen
Art. 14 Abs. 3 GG
„Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen […]“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 151
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 152
d) Abgrenzungsfragen
Sozialbindung
Enteignung i.w.S.(entschädigungspflichtig)
Inhalts- und Schrankenbestimmung(entschädigungslos)
Schwere der Beeinträchtigung/Sonderopfer des Betroffenen
Frühere Abgrenzung Enteignung � ISB:
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 153
Abgrenzung Enteignung � ISB nach BVerfG:
Enteignung:
�Entziehung�einer konkreten Eigentumsposition
�bestimmter Personen(konkret-individuell)
Inhalts- und Schrankenbestimmung:
�Neudefinition�eines Eigentumsrechts
�für jedermann(abstrakt-generell)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 154
Gesamtbild der Prüfung von Eingriffen in das Eigentumsrecht:
1. Schutzbereich� Eigentumsbegriff: Alle vermögenswerten Rechte
� wie durch Inhaltsbestimmungen definiert
2. Eingriff� Beeinträchtigung einer konkret bestehenden Eigentumsposition
� Bloße Ausgestaltung
3. Rechtfertigung
Enteignung:Qual. GV
Sonstige Eingriffe, insb.Inhalts-/Schrankenbestimmungen:Einfacher GV
Verhältnismäßigkeitsprinzip/Sozialbindung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 155
e) Entschädigungsansprüche
Existenz gesetzlicher Entschädigungsansprüche u.U. Voraussetzung für die Eingriffsrechtfertigung:
� Immer bei Enteignungen, Art. 14 Abs. 3 GG (Junktimklausel)
�Ausnahmsweise bei Inhalts- und Schrankenbestimmungen (sog. „ausgleichspflichtige Inhaltsbestimmung“)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 156
3. Die Koalitionsfreiheit
Art. 9 GG:
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig […]
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 157
V. Die Vervollständigung des
Freiheitsschutzes
1. Die allgemeine Handlungsfreiheit
a) Schutzbereich
Art. 2 Abs. 1 GG:
Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit […]
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 158
Art. 4
Art. 10etc.
Art. 8
Art. 5
Art. 13
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 159
b) Rechtfertigung
aa) Einschränkbarkeit
Art. 2 Abs. 1 GG:
Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht
• die Rechte anderer verletzt und
• nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung
• oder das Sittengesetz verstößt.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 160
(1) Der Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung
Nur FDGO?
Gesamtheit der Rechtsnormen, die
formell und materiell mit der Verfassung
vereinbar sind?
oder
Qualifizierter Gesetzesvorbehalt
EinfacherGesetzesvorbehalt
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 161
(2) Die anderen Vorbehalte
�Rechte anderer?
�Sittengesetz (vgl. BVerfGE 6, 389, 434)?
bb) Schranken-Schranken� v.a. Verhältnismäßigkeitsprinzip
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 162
2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht
a) Schutzbereich
Art. 4
Art. 8
Art. 5
APR,
Art. 2 I i.V.m. 1 I Art. 13
Art. 10etc.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 163
Formel des BVerfG (E 101, 361, 380 – Caroline II):
„Dem [allgemeinen Persönlichkeitsrecht] kommt die Aufgabe zu, Elemente der Persönlichkeit zu gewährleisten, die nicht Gegenstand der besonderen Freiheitsgarantien des Grundgesetzes sind, diesen aber in ihrer konstituierenden Bedeutung für die Persönlichkeit nicht nachstehen. Die Notwendigkeit einer solchen lückenschließenden Gewährleistung besteht insbesondere im Blick auf neuartige Gefährdungen der Persönlichkeitsentfaltung […]“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 164
Ausprägungen
Privat-sphäre
Ehre
Selbst-darstellung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 165
b) Rechtfertigung
aa) Einschränkbarkeit� „verfassungsmäßige Ordnung“
bb) Schranken-Schranken���� „Sphärentheorie“
Intimsphäre
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 166
E. Die Struktur der
Grundrechtsprüfung:
Verfeinerungen II
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 167
BVerfGE 7, 198, 209:„die allgemeinen Gesetze müssen in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, daß der besondere Wertgehalt dieses Rechts […] gewahrt bleibt […] es findet vielmehr eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, daß die "allgemeinen Gesetze"
• zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen,
• ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen.“
1. Wechselwirkungslehre und
verfassungskonforme Auslegung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 168
Beispiel
§ 14 Abs. 1 VersG
Wer die Absicht hat, eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel oder einen Aufzug zu veranstalten, hat dies spätestens 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstandes der Versammlung oder des Aufzuges anzumelden.
§ 15 Abs. 3 VersG
[Die zuständige Behörde] kann eine Versammlung oder einen Aufzug auflösen, wenn sie nicht angemeldet sind […].
aufrechterhalten durchverfassungskonforme Reduktion
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 169
2. Eingriffe durch Gesetz,
Verwaltungshandeln oder Urteil
a) Materiellrechtliche Seite
Eingriff
„durch Gesetz“(durch VA/Urteil)
„aufgrund Gesetzes“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 170
I. Schutzbereich
II. Eingriff
III. Rechtfertigung1. Einschränkbarkeit des Grundrechts, insb.
Vorliegen eines ermächtigenden Gesetzes
2. Schranken-Schranken (Gesetz)
3. Schranken-Schranken (Anwendung des Gesetzes)
Prüfungsschema: Eingriff durch Verwaltungshandeln/Urteil
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 171
b) Prozessuale Seite
aa) Beschwerdegegenstand der VB
„jeder Akt der öffentlichen Gewalt“
VerwaltungshandelnGesetz Gerichtsurteil
„Rechtssatzbeschwerde“ „Urteils-VB“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 172
bb) Hürden der Rechtssatzbeschwerde
I. Beschwerdefähigkeit
II. Beschwerdegegenstand
III. Beschwerdebefugnis• Gegenwärtige Betroffenheit?
• Unmittelbare Betroffenheit?
IV. Rechtsschutzbedürfnis• Rechtswegerschöpfung?
• Subsidiarität?
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 173
3. Bestimmtheitsgebot und
Parlamentsvorbehalt
Wesentlichkeitslehre/Parlamentsvorbehalt:
Minimum an Regelungsdichte (alle „wesentlichen“ Fragen)
Bestimmtheitsgebot:
Minimum an Regelungspräzision
Rechtsstaatsprinzip Demokratieprinzip
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 174
1. Einschränkbarkeit des Grundrechts:• Steht das Grundrecht unter Gesetzesvorbehalt?
• Vorliegen eines Gesetzes?
2. Schranken-Schranken:a) Zitiergebot
b) Verbot des Einzelfallgesetzes
c) Parlamentsvorbehalt � „Wesentlichkeitstheorie“
d) Bestimmtheitsgebot
e) Rückwirkungsverbot
f) Verhältnismäßigkeitsprinzip
g) Wesensgehaltsgarantie
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 175
4. Die Elfes-Doktrin
Ausgangspunkt: BVerfGE 6, 32 (Elfes)
„Verfassungsmäßige Ordnung“ i.S.d. Art. 2 Abs. 1 GG =
„jede formell und materiell verfassungsmäßige Rechtsnorm.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 176
Folgerung (BVerfGE 6, 32, 41):
„Aus dem Gesagten ergibt sich, daß eine Rechtsnorm, nur wenn sie allen diesen Anforderungen entspricht, aber auch immer dann zum Bestandteil der "verfassungsmäßigen Ordnung" wird und somit den Bereich der allgemeinen Handlungsfähigkeit des Bürgers wirksam beschränkt.
Verfahrensrechtlich bedeutet das: Jedermann kann im Wege der Verfassungsbeschwerde geltend machen, ein seine Handlungsfreiheit beschränkendes Gesetz gehöre nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung, weil es (formell oder inhaltlich)
gegen einzelne Verfassungsbestimmungen oder allgemeine
Verfassungsgrundsätze verstoße; deshalb werde sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 177
Folgen für den Prüfungsaufbau:
I. Schutzbereich
II. Eingriff
III. Rechtfertigung1. Einschränkbarkeit des Grundrechts
2. Verfassungsmäßigkeit des eingreifenden Gesetzes bzw. der Ermächtigungsgrundlage
a) Formelle Verfassungsmäßigkeit
b) Materielle Verfassungsmäßigkeit
3. Ggf.: Verfassungsmäßige Anwendung der Ermächtigungsgrundlage
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 178
5. Der Prüfungsmaßstab „spezifisches Verfassungsrecht“
Beispielsfall:
§ 240 StGB (Nötigung)
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichenÜbel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 179
System der deutschen Gerichtsbarkeit
Fachgerichtsbarkeit Verfassungsgerichtsbarkeit
Oberste Bundesgerichte (BGH/BVerwG etc.)
Instanzenzüge
BVerfG
BerufungRevision
Volle Rechtmäßigkeitskontrolle Reine Verfassungskontrolle
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 180
Lokalisierung im Prüfungsaufbau:
I. Schutzbereich
II. Eingriff
III. Rechtfertigung1. Einschränkbarkeit des Grundrechts
2. Verfassungsmäßigkeit des eingreifenden Gesetzes bzw. der Ermächtigungsgrundlage
a) Formelle Verfassungsmäßigkeit
b) Materielle Verfassungsmäßigkeit
3. Verfassungsmäßige Anwendung der Ermächtigungsgrundlage
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 181
Umschreibung des Prüfungsmaßstabs der
Urteils-VB durch das BVerfG:
Grundlegende Verkennung des Verfassungsrechts, genauer:
„Ein Grundrechtsverstoß, der zur Beanstandung der angegriffenen Entscheidungen führt, liegt nur dann vor, wenn
– übersehen worden ist, daß bei Auslegung und Anwendung der verfassungsmäßigen Vorschriften […] Grundrechte zu beachten waren;
– wenn der Schutzbereich der zu beachtenden Grundrechte unrichtig oder unvollkommen bestimmt
– oder ihr Gewicht unrichtig eingeschätzt worden ist, so daß darunter die Abwägung […] leidet,
– und die Entscheidung auf diesem Fehler beruht.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 182
Teil 3: Weitere grundrechtliche
Schutzgüter
A Die Gleichheitsrechte
I. Bestandsaufnahmev.a. Art. 3 GG:
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt […]
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung […] benachteiligt oder bevorzugt werden […]
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 183
II. Die Struktur der
Grundrechtsprüfung
1. Verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung=> Vergleichbarkeit der betroffenen Personengruppen/Sachverhalte
=> (+) bei aussagekräftigem gemeinsamem Oberbegriff
2. Rechtfertigung der Ungleichbehandlung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 184
a) Rechtfertigungsmaßstab Willkürverbot
Rechtfertigung bei Vorliegen eines sachlichen Grundes für die Ungleichbehandlung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 185
b) Rechtfertigungsmaßstab „Neue Formel“
z.B. BVerfGE 82, 126, 146: „Eine ungleiche Behandlung mehrerer Gruppen von Normadressaten ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nur vereinbar, wenn zwischen ihnen Unterschiede von solcher Art und
solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können. Ungleichbehandlung und rechtfertigender Grund müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.“
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 186
Rechtfertigungsmaßstab
bei Ungleichbehandlungen
Willkürverbot Neue Formel
� situative oder persönliche Anknüpfung?
� Beeinflussbarkeit?� Freiheitsbetroffenheit?
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 187
IV. Die speziellen Gleichheitssätze
Art. 3 Abs. 3 GG:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Unzulässige Differenzierungskriterien
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 188
B. Verfahrensrechte
�Petitionsrecht, Art. 17 GG
�Rechtsschutzgarantie, Art. 19 Abs. 4 GG
�Gesetzlicher Richter, Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG
�Rechtliches Gehör, Art. 103 Abs. 1 GG
�Nulla poena sine lege, Art. 103 Abs. 2 GG
�Ne bis in idem, Art. 103 Abs. 3 GG
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 189
C. Rechte der politischen
Mitwirkung
�Wahlrecht, Art. 38 Abs. 1 GG
�Widerstandsrecht, Art. 20 Abs. 4 GG
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 190
D. Sonstige Grundrechte
�Schutz von Ehe und Familie, Art. 6 GG
�Schulische Grundrechte, Art. 7 GG
�Grundsätze des Berufsbeamtentums, Art. 33 Abs. 5 GG (Sonderfall)
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 191
Teil 4: Erweiterungen der
Schutzdimension
A Grundrechtstheorien und -funktionen
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 192
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 193
B Positive Grundrechtsansprüche
sog. „status positivus“
I. Leistungsrechte II. Schutzpflichten
Originäre Leistungsrechte?
DerivativeTeilhaberechte
Art. 3 GG
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 194
C Objektive Grundrechtsgehalte
Grundrechte als objektive Wertordnung
Grundrechte alsEinrichtungsgarantien
InstitutionelleGarantien,
z.B. Art. 7 III
Instituts-garantien
z.B. Art. 14„Ausstrahlungswirkung“
auf die gesamte Rechtsordnung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 195
Teil 5: Querschnittsfragen
A Die Reichweite der Grundrechtsberechtigung
I. Staatsangehörigkeit
Jedermann-Rechte Bürgerrechte
� Versammlungsfreiheit� Vereinigungsfreiheit� Freizügigkeit� Berufsfreiheit
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 196
Relativierungen
�Allgemeine Handlungsfreiheit als Auffanggrundrecht für Ausländer
�Europarechtliche Diskriminierungsverbote
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 197
II. Die Grundrechtsmündigkeit
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 198
III. Juristische Personen des
Privatrechts
Art. 19 Abs. 3 GG:Die Grundrechte gelten auch für
• inländische
• juristische Personen,
• soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 199
IV. Juristische Personen des
öffentlichen Rechts
�Keine Grundrechtsträger (str.)
�Ausnahmen:• Prozessgrundrechte (Art. 101 I 2, 103 GG)
• Rundfunkanstalten und Universitäten (Rundfunk-bzw. Wissenschaftsfreiheit)
• Kirchen
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 200
V. Die prozessuale Seite
materiell: prozessual:
Beschwerdefähigkeit
Grundrechtsträgerschaft
Beschwerdebefugnis
Grundrechtsmündigkeit Prozessfähigkeit
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 201
B Die Reichweite der
Grundrechtsverpflichtung
I. Grundsatz
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 202
II. Die Drittwirkung der Grundrechte
1. Unmittelbare Drittwirkung?
Art. 1 Abs. 3 GG:
Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Grundrechte??
Privatrecht
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 203
2. Mittelbare Drittwirkung
Privatrecht
Grundrechte= objektive Wertordnung
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 204
3. Umsetzung in der Fallprüfung
Zulässigkeit der VB
in der Drittwirkungskonstellation:
I. Beschwerdefähigkeit
II. Beschwerdegegenstand� nur Akte der „öffentlichen Gewalt“ = Urteil
III. Beschwerdebefugnis� nur weil Grundrechte zumindest mittelbar anwendbar
IV. Rechtsschutzbedürfnis
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 205
Begründetheit der VB in der Drittwirkungskonstellation:
I. Beeinträchtigung des Schutzbereichs� durch das Urteil
II. Verfassungsmäßigkeit des Urteils1. Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes
2. Verfassungsmäßigkeit der Gesetzesanwendung
� angemessener Ausgleich zwischen betroffenen grundrechtlichen Schutzgütern
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 206
III. Die Fiskalgeltung der Grundrechte
Fiskalische Hilfsgeschäfte (Vergaberecht)
Erwerbs-wirtschaftliche
Betätigung
öff. Aufgaben der
Daseinsvorsorge
Option privatrechtlicher Handlungs- und Organisationsformen
unmittelbare Grundrechtsbindung
traditionell umstritten
12.07.2012 Kielmansegg: Grundrechte Seite 207
Sonderproblem:
Grundrechtsbindung gemischtwirtschaftlicher Unternehmen
dazu BVerfG NJW 2011, 1201 „Fraport“
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