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30 Optik&Photonik 3/2013 © 2013 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

Mehr sehen, mehr verstehenDigitalkameras und Bildverarbeitungssysteme für den wissenschaftlichen EinsatzJean-Philippe Roman

Digitalkameras und Bildverarbeitung offenbaren mehr von der Realität, als das menschliche Auge allein sehen kann. Deshalb kommen sie in vielen wissenschaftlichen Disziplinen zum Einsatz – von der Biologie über die Me-dizin bis hin zur Astronomie.

Die Beobachtung von Naturphänome-nen ist das A und O jeder wissenschaft-lichen Forschung. Doch Wissenschaft braucht objektive Fakten, um Theorien zu belegen. Digitalkameras und Bild-verarbeitungssysteme ermöglichen es den Forschern, die Grenzen des menschlichen Sehens zu durchbrechen.

In die Tiefen des Details eintauchen

Hochauflösende und gekühlte CCD-Kameras

Moderne wissenschaftliche Instru-mente wie Mikroskope oder Teleskope lassen sich leicht mit Digitalkameras ausstatten. Hohe Auflösung und hohe Empfindlichkeit sorgen für eine her-vorragende Detailschärfe. So lassen sich zum Beispiel Zellen oder Partikel au-tomatisch zählen oder die Laufbahnen von Sternen und Planeten untersuchen.

Mit bis zu 29 Megapixeln Auflösung liefern CCD-Kameras eine hervorra-

gende Bildqualität mit hoher Lichtemp-findlichkeit und geringem Rauschab-stand (Abb. 1).

3D-Mikroskopie: Modellierung oder Stereoskopie

Interessante Anwendungsbeispiele von hochauflösenden Digitalkameras lie-fert die Mikroskopie. So entwickelte das US-amerikanische Unternehmen VisionGate mit Cell-CT ein innovati-ves System zur 3D-Modellierung von krebsinfizierten Zellen (Abb. 2). Bisher war es nicht gelungen, die wahre Ana-tomie einer biologischen Zelle drei-dimensional abzubilden. Die meisten Versuche, Zellen in 3D zu visualisieren, entstehen durch aufwändige Hochrech-nungen und bleiben Approximationen. Dadurch sind die heutigen Kenntnisse der Wissenschaft zur Zellenanatomie lückenhaft und basieren nicht auf direk-ten Beobachtungen.

Die VisionGate Technologie zur 3D-Modellierung setzt auf die modernsten Computertomografie-Algorithmen aus der Radiologie, allerdings werden sicht-bare Photonen anstelle von Röntgen-strahlen analysiert. Dank Cell-CT lässt sich die dreidimensionale Verteilung

von bestimmten Molekularmarkern, Flecken oder sonstigen Licht absorbie-renden Strukturen innerhalb der Zelle mit einer Auflösung unter einem Mik-rometer quantitativ analysieren. Somit werden die bisherigen Diagnosetechni-ken um die dritte Dimension erweitert.

Die Zellen kommen in einer Flüs-sigkeit schwebend in ein kapillarisches Röhrchen, das sich für 360°-Aufnahmen um die eigene Achse drehen kann. Eine AVT Prosilica GE1650 Digitalkamera mit zwei Megapixeln Auflösung erfasst über ein Mikroskop 500 Bilder der Zelle während einer 360°-Rotation. Aus die-sen 500 Bildern generiert die Cell-CT Software ein 3D-Modell der Zelle. Die Technologie wurde erfolgreich mit Lun-genschleimzellen zur Früherkennung von Lungenkrebs erprobt.

Ein anderer Ansatz für 3D-Mikro-skopie ist Stereoskopie. Stereomikros-kope stehen in unzähligen Labors welt-weit – doch wie sollen Beobachtungen dokumentiert, archiviert und zwischen räumlich entfernten Teams ausgetauscht werden? Das Jenaer Unternehmen Tytec GmbH entwickelte eine technische Lö-sung, um Bilder im herkömmlichen 3D-Format der Unterhaltungselektronik zu

Abb. 1 Mehr Detailschärfe: AVT Prosilica GT mit 29-Megapixel CCD-Sensor.

Abb. 2 3D-Modell einer krebsinfizierten Lungenzelle, generiert mit VisionGates Cell-CT System mit einer 2-Megapixel-Kamera.

Kameras

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speichern. Tytecs StereoWizard System besteht aus einem Stereomikroskop von Carl Zeiss Microimaging, der mit zwei AVT Prosilica GE1910 Digitalkameras ausgestattet ist (Abb. 3). Die Kameras si-mulieren das linke und das rechte Auge des Menschen. Eine speziell entwickelte Software wandelt die beiden Signale um und überträgt ein stereoskopisches Bild auf ein 3D-Display in Echtzeit und in Full-HD-Auflösung.

Der unmittelbare Vorteil: meh-rere Personen können das Experiment gleichzeitig beobachten, als ob sie in das Mikroskop hineinschauen würden. So lassen sich Besprechungen oder Schu-lungen viel einfacher und intuitiver durchführen. Ein weiterer Vorteil ist die Möglichkeit, die Bilddaten gleich in einem stereoskopischen Format zu spei-chern. Auf diese Weise lassen sich wich-tige Beobachtungen so archivieren, dass sie auch Jahre später stereoskopisch dar-gestellt werden können. Dies ist ein ent-scheidender Vorteil zur Dokumentation der verschiedenen Etappen eines For-schungsprojekts, die dann miteinander verglichen werden können – ggf. mit Un-terstützung weiterer Bildverarbeitungs-software. Schließlich ist es möglich, die Bilddaten auch unter Forschungsein-richtungen elektronisch auszutauschen, was die Kooperation zwischen internati-onalen Teams vereinfacht.

Gekühlte Kameras für lange Belichtungszeiten In der Mikroskopie, aber auch in der Astronomie kommt es immer wieder vor, dass Bildaufnahmen unter sehr schlechten Lichtbedingungen gemacht werden. In solchen Fällen muss die Be-lichtungszeit der Kamera besonders lang sein, um auch schwache Licht-quellen wie einen entfernten Stern zu erfassen.

Im Dauerbetrieb erhitzt sich aber die Kameraelektronik und insbesondere der Bildsensor, was Rauschen im Bild verursacht. Dieses Rauschen stört die Auswertung der Bilddaten, da z. B. helle Pixel an Stellen erscheinen, wo eigent-lich keine Lichtquelle ist.

Gekühlte CCD-Kameras sind mit einem Modul ausgestattet, das die Erhit-zung des Sensors durch aktive Kühlung unterdrückt und selbst bei langen Be-lichtungszeiten sehr rauscharme Bilder ermöglicht. So ist etwa die Bigeye Kame-raserie mit einem Peltier-Modul ausge-stattet und liefert rauscharme Bilder bei Belichtungszeiten bis sechzig Minuten und darüber hinaus (Abb. 4).

Den Augenblick einfangen: High-Speed Kameras

Mit hochauflösenden Bildern können Wissenschaftler das Objekt ihrer For-schung unter die Lupe nehmen und mehr Details erkennen als mit dem bloßen Auge. Eine für die Wissenschaft ebenfalls wertvolle Lupe ist die Zeitlupe, denn das menschliche Sehvermögen kommt bei schnellen Bewegungsabläu-fen an seine Grenzen. So ließen sich zum Beispiel die verschiedenen Gangarten des Pferdes erst mit der Erfindung der Fotografie analysieren und verstehen. Filmaufnahmen und Zeitlupe offenbar-ten viele Phänomene, die jahrhunderte-lang für das menschliche Auge verbor-

gen blieben, wie den Bruch eines Glases oder den Fang einer Fliege durch einen Frosch.

Heute geben professionelle Kameras mit hohen Bildraten Wissenschaftlern die Möglichkeit, jedes Hundertstel einer Sekunde zu analysieren – unabhängig da-von, ob es ein physikalisches Phänomen oder der Flügelschlag eines Vogels ist.

Die Applikationen sind vielfältig. Andrey Irintchev, Leiter des neurowis-senschaftlichen Forschungslabors der HNO-Klinik im Universitätsklinikum Jena, hat eine Methode entwickelt, um motorische Störungen und vor allem deren Heilungsprozess an Labormäusen wissenschaftlich zu messen, zu verglei-chen und zu dokumentieren. Erforscht werden Störungen als Folge von Ner-ven- oder Rückenmarkverletzungen und mögliche Behandlungstherapien.

Die Methode von Irintchev besteht darin, den Gang von Mäusen auf einem Balken mit einer Kamera zu erfassen und zu analysieren (Abb. 5). Auf einem hängenden, schmalen Balken kann das Tier nur in eine bestimmte Richtung lau-fen. So wird derselbe Bewegungsablauf immer wieder vergleichbar wiederholt. Als der Forscher und sein Team vor Jahren mit der Entwicklung einer vi-deobasierten Auswertungsmethode begannen, nutzten sie eine analoge Videokamera und einen Rekorder aus der Unterhaltungselektronik. Die Bildqualität, die Bildrate und die Wei-

Allied Vision Technologies GmbH Stadtroda

Die Allied Vision Technologies GmbH mit Sitz in Stadtroda (Thüringen) wurde 1989 gegründet. AVT entwickelt, produziert und vertreibt Kameras und Komponenten für Anwendungen der industriellen und wissen-schaftlichen Bildverarbeitung wie Automation, Medizintechnik, Verkehrsüberwachung u.v.m. Durch innovative Produkte, eine hohe Fertigungsqualität und eine serviceorientierte Organisation hat sich das Unternehmen in weni-gen Jahren zu einem der führenden Anbieter von digitalen Kameralösungen im weltweiten Markt für Machine-Vision entwickelt. Allied Vision Technologies ist mit eigenen Niederlassungen in Deutschland, den USA, Kanada, Singapur und China präsent und wird von Vertriebspartnern in über 30 Ländern vertreten.

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Die Firma

Abb. 3 3D-Kino aus dem Mikro skop: Stereomikroskopie mit zwei AVT Prosilica GE1910 Kameras und Full HD-Auflösung.

Abb. 4 AVT Bigeye G-1100 Cool: 11 Megapixel Auflösung und aktive Peltier-Kühlung für rauscharme Bilder bei langen Belichtungszeiten.

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terverarbeitungsmöglichkeiten waren zu eingeschränkt für Andrey Irintchevs anspruchsvolles Projekt. So griffen die Wissenschaftler auf eine professionelle Digitalkamera von Allied Vision Tech-nologies zurück, die mit 200 fps (frames per second) eine viel höhere Präzision ermöglichte.

Ein anderes Beispiel für den Einsatz von High-Speed-Kameras ist Particle Image Velocimetry. Diese Technologie wird für die Aerodynamikforschung in Windkanälen verwendet. Das For-schungsinstitut für Bildverarbeitung, Umwelttechnik und Strömungsmecha-nik (FIBUS) in Hamburg entwickelte ein System, das eine Analyse der Strömung in Echtzeit ermöglicht und somit die teure Nutzungszeit von Windkanälen optimiert (Abb. 6).

In Windkanälen werden Luftströme mit Rauch oder feingesprühtem Öl ma-terialisiert und sichtbar gemacht. So lässt sich das aerodynamische Verhalten von Flugzeugen an Modellen analysie-ren. Das FIBUS-System beruht auf einer bzw. zwei AVT Bonito High-Speed-Ka-meras, die die Strömung mit 400 Bildern pro Sekunde bei vier Megapixeln Auflö-sung erfassen. Die proprietäre Software analysiert die Bildsequenz und die Ver-schiebung der einzelnen Partikel von Bild zu Bild. Daraus entsteht ein genaues Modell der Strömungen und Turbulen-zen: Die Laufbahn der Partikel wird in Form eines Vektors errechnet, der die Richtung der Strömung in zwei bzw. drei Dimensionen (eine bzw. zwei Kameras) sowie die Geschwindigkeit der Partikel darstellt. Diese lässt sich einfach und ge-

nau aus dem Positionsunterschied der Partikel im Zeitabstand zwischen zwei Bildaufnahmen errechnen.

Das Unsichtbare sehen: Infrarot- Bildverarbeitung

Eine weitere Grenze des menschlichen Sehens, die Digitalkameras überwin-den können, ist die des Lichtspektrums. Bekanntlich nehmen wir nur einen kleinen Abschnitt des Spektrums wahr (ca. 400 – 750 nm). Der größere, für uns unsichtbare Teil ist der Infrarotbereich. Mit infrarotempfindlichen Kameras können Wissenschaftler Materialeigen-schaften wie Wassergehalt, chemische Zusammensetzung oder Temperatur ermitteln, die mit bloßem Auge nicht zu sehen wären.

Konventionelle CCD- oder CMOS-Bildsensoren, wie sie in Industrieka-meras bzw. Kameras der Unterhal-tungselektronik vorkommen, sind Quantendetektoren: Sie wandeln Pho-tonen in Elektronen innerhalb ihres Si-liziumsubstrats um. Obwohl diese Sen-soren für die klassische Fotografie im sichtbaren Bereich verwendet werden, haben sie eine breitere spektrale Emp-findlichkeit als das menschliche Auge und können Licht im Nahinfrarotbe-reich erfassen.

Führende Kamerahersteller setzen in ihren Kameras CCD- bzw. CMOS-Sensoren mit optimierter NIR-Emp-findlichkeit an. Dabei wird über eine entsprechende Ansteuerung des Sen-sors durch die Kameraelektronik die NIR-Empfindlichkeit optimiert. Sol-che Sensoren sind die kostengünstigste Option für Infrarot-Bildverarbeitung,

Abb. 6 Particle Image Velocimetry: Strömungsanalyse im Windkanal bei 400 Bildern pro Sekunde.

Abb. 5 200 Bilder pro Sekunde: Bewegungs analyse in der Medizinforschung an Labor ratten.

Abb. 7 Eine Analyse des Vertrocknungsprozesses von Cerealien mit Infrarotkameras zeigt den Wassergehalt grafisch.

Abb. 8 Wärmebildkameras werden in der Biomedizinischen Forschung eingesetzt.

Kameras

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haben aber den Nachteil, dass sich ihre Empfindlichkeit auf die un-terste Grenze des Infrarotspektrums beschränkt. Dennoch reichen sie für bestimmte Applikationen aus. Ein Beispiel ist das Eye-Tracking. Systeme, die die Pupillenbewegungen von Menschen verfolgen, set-zen auf das unsichtbare Infrarotlicht, um die Augen der Person zu beleuchten, ohne sie zu blenden. Konventionelle Flächenkameras mit erhöhter NIR-Empfindlichkeit genügen, um die Pupillenbewegungen akkurat zu verfolgen.

Möchte man tiefer in das Infrarotspektrum hineinsehen, sind spe-zielle, komplexere Sensoren notwendig, insbesondere Indium-Gal-lium-Arsenid-Sensoren (InGaAs). Diese sind im Kurzwelleninfra-rotbereich empfindlich (SWIR: Short-Wave Infrared), dem Abschnitt zwischen 1 und 2,7 µm Wellenlänge. Wissenschaftliche Anwendun-gen von SWIR-Kameras nutzen Materialeigenschaften im Infrarot-licht aus. Beispielsweise absorbiert Wasser Infrarotlicht besonders stark bei 1,45 und 1,95 µm und erscheint entsprechend dunkel im Bild. Dieser Effekt kann durch Einsatz entsprechender Bandpassfilter noch verstärkt werden. Auf diese Weise ist es möglich, die Wasserkonzen-tration in Pflanzen oder organischen Produkten zu messen und zu lokalisieren, etwa um die Wasseraufnahme bzw. den Austrocknungs-prozess von Nutzpflanzen zu analysieren (Abb. 7).

Am oberen Ende des Infrarotspek trums – zwischen 8 und 15 µm Wellenlänge – werden Langwelleninfrarotkameras (LWIR: Long-Wave Infrared) eingesetzt. Diese Wärmebildkameras basieren auf thermischen Detektoren und reagieren auf Temperaturunterschiede. Die gängigsten Sensoren für Infrarotstrahlungen im LWIR-Bereich sind Mikrobolometer.

Langwellen-Infrarotkameras finden in den verschiedensten Dis-ziplinen Anwendung. Thermographie wird zum Beispiel verwendet, um die Wärmebildung bei chemischen Reaktionen aus sicherem Ab-stand zu überwachen. Wärmebildkameras werden auch in der Biowis-senschaft und Medizin eingesetzt, etwa um Fieber, Durchblutungsstö-rungen oder Entzündungen zu visualisieren (Abb. 8).

Wissenschaftler in allen Disziplinen wollen durch Beobachtung und Experimente die Welt verstehen und erklären. Sie wissen aber auch, dass sie sich nicht auf den eigenen Sehsinn verlassen können, denn der ist begrenzt. Ob mit hoher Auflösung, schnellen Bildraten oder Empfindlichkeit außerhalb des sichtbaren Spektrums – mit Digi-talkameras und Bildverarbeitungssystemen können sie diese Grenzen überwinden und neue, bisher unbekannte Gebiete erforschen.

DOI: 10.1002/opph.201300020

Der Autor

Jean-Philippe Roman ist seit 2007 Marketing Communications Manager beim Kamerahersteller Allied Vision Technologies in Ahrensburg. Der gebürtige Franzose studierte BWL an der EDHEC Business School in Lille (Frankreich). Während seiner internationalen Berufslaufbahn in der Chemie-, Automobil-, Unterhaltungselektronik- und Maschinenbaubranche hat er sich auf das Marketing von Technologieprodukten spezialisiert.

Jean-Philippe Roman, Allied Vision Technologies GmbH, Klaus-Groth-Str. 1, 22926 Ahrensburg, Tel.: +49 4102/6688-196, Fax: +49 4102/6688-10, E-Mail: jean-philippe.roman@alliedvisiontec.com

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