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Medien im Wandel – Hat das Radio Zukunft?

Medientreff NRW 2011Bad Honnef, 13-09-2011

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rheingold forscht seit über 20 Jahren zum Thema Medien.

� Qualitative Markt- und Medienforschung auf psychologischer Basis.

� Größtes qualitatives Markt- und Medienforschungsinstitut in Deutschland.

� Zahlreiche Untersuchungen zu Print, Radio, TV, Internet, und zur Wirkung von Werbung in unterschiedlichen Medien.

� rheingold-Kunden im Medienbereich sind u. a. Burda, Handelsblatt, Süddeutsche, Die Zeit, Die Welt, Stern, aber auch zahlreiche regionale Zeitungen aus allen Teilen Deutschlands, ferner ZDF, WDR, RTL u.v.a.

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Medien vermitteln:

Kultivierung Eigenwelten

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Das Lokale:

Wo lebe ich? Mein Lebensalltag?Heimat und Verortung?

Kultivierung Eigenwelten

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Psychologische Rahmenbedingungen von Medien in Kultur und Alltag.

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‚Muße‘-P

ause

(passiv)

Sekunden-

Pause (p

assiv) ‚Beiwerk‘ (aktiv)

Medien im Tageslauf

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…und damit Verlust der Alltags-Nischen, die die verschiedenen Medien (Radio, TV, Tageszeitung, Illustrierte, etc.) traditionell „bewohnt“ haben.

„Verfassungs-Flimmern“ – De-Rhythmisierung und Verlust der gewohnten Taktung des Alltags…

Vormittag Nachmittag Abend

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Hauptfunktionen von Medien aus psychologischer Sicht sind nicht „Unterhaltung“ oder das Beschaffen von „Informationen“ sondern vielmehr das Herstellen von Zugehörigkeit und das Behandeln innerer Unruhe.

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Psychologisch betrachtet dient Mediennutzung im Alltag der Behandlung von Unerledigtem und ‚seelischen Überschüssen‘.

� Medien können dabei helfen, seelische ‚Verkrustungen‘aufzulösen oder unerledigte ‚Tagesreste‘ zu behandeln.

� Medien sind permanent verfügbare ‚Alltagstherapeuten‘.

� Dabei arbeiten die verschiedenen Medien mit unterschiedlichen ‚Therapiekonzepten‘.

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Mit Medien behandeln wir unsere innere Unruhe.

Sie schützen uns vor der alltäglichen Beunruhigung, vor Langeweile, oder dem Grübeln über die ‚kleinen Sinnfragen‘ des Lebens.

„Meine Töchter sind seit drei Wochen auf

Reisen. Ohne Radio und Fernsehen würde

ich mich sehr alleine fühlen, ohne

Unterhaltung könnte ich es nicht lange

aushalten.“

„Es ist ein Antrieb, dass es immer weiter

geht. Ich will nicht in der leeren Werkstatt

stehen. Da wummert dann das Radio, ich

werde angespornt, den Auftrag zu

erledigen.“

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Medien schenken uns aber auch gefühlte Zugehörigkeit zum eigenen Leben und zum eigenen Alltag. Mit Medien kommen wir in unseren Alltag hinein und darin an.

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Medien stellen Zugehörigkeit her:

� zu einer Region (Lokalzeitung, Lokalfunk, Regionalfunk)� einer politischen Ausrichtung (links, rechts, christlich, grün, etc.)� einer Berufsgruppe oder einem „Berufs-Stand“(Wirtschaftsmedien, Fachzeitschriften etc.)

� zu einer Leidenschaft (Fan-Medien, Sportzeitschriften, etc.)� einer sozialen Schicht (Kulturkanäle vs. „Unterschichtsfernsehen, BILD-Zeitung vs. Zeitungen mit „Niveau“)

� einer Alters-Gruppe, einer Subkultur-Szene, oder einem Menschen-Typus (Kult-Sendungen und Sparten–Programme, Zeitschriften, bestimmte Radiosender, Special-Interest-Blogs etc.)

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Medien sind damit ein „situatives Therapeutikum“.

Wir nutzen bestimmte Medien an bestimmten Scharnierstellen des Alltags… typischerweise dort, wo Längen überbrückt, Rückzüge geschaffen und Übergänge gemeistert werden müssen.

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Medien behandeln Übergangsverfassungen und Verfassungswechsel

…von brüchigen Schlaf- und Traumverfassungen zum aktiven Wachzustand, in dem man bereit ist, sich der Welt zu stellen (Radio, Zeitung, evtl. Fernsehen)

…auf dem Weg zur Arbeit, oder beim In-den-Tag-Kommen (Radio im Auto, Lesen im ÖV)

…in Pausen und Rückzugsmomenten am Tag (das Radio im Pausenraum, die Zeitung in der Kantine)

…bei monotonen Tätigkeiten, bei denen man seelisch angeregt und zugleich gesteuert werden will (Radio und TV, z. B. beim Bügeln, oder in der Werkstatt)

…in unruhigen Übergangsverfassungen, z. B. am Vorabend (Vorabendserien)

…zum Abschluss und zur Abrundung des Tages (Fernsehen bietet großes Erleben oder freundliche Ablenkung, Bücher, Musik, Hörspiele helfen aus dem Tag heraus und in den Schlaf zu finden)

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Was ist heute anders und besonders?

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Der Lebensalltag im Nachkriegsdeutschland:

Alltag = „grau“

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Heute:

Alltag = „stressig“

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Bindung Individualität

Veränderung im Verständnis von

� Zeit(en)� Ort(en)� Zugehörigkeit(en)

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Wie geht eigentlich ein solcher gesellschaftlicher Wandel des erlebten Alltags vonstatten?

Welchen Sinn macht dieser Wandel, warum kam es dazu?

Was bedeutet ein Wandel der Auffassung vom Alltag für das Lokale – für die Heimat?

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Welchen Sinn macht der Wandel des Alltags?

Hier soll die Hypothese vertreten werden, dass sich im Alltag und seinen Verfassungen auch die übergreifenden kulturellen Themen widerspiegeln.

In Deutschland hat die Frage nach Einheit und Zusammenhang lange Zeit eine große Rolle gespielt.

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Im Anschluss an die Zerstörungen, Zerrissenheiten und Spaltungen des Zweiten Weltkrieges war es umso wichtiger, wenigstens im Alltag die Bindung zu Gemeinschaften und Gruppen aufzubauen.

Das schaffte Halt in einer schwierigen Zeit.

Die Regeln und Normen dieser Gemeinschaften machten den Alltag zugleich aber auch uniformer und grauer.

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Bei den jüngeren Generationen - im sicheren Umfeld aufgewachsen -entstand der Wunsch nach mehr Freiheit und Beweglichkeit.

Damit war der Startschuss für eine stärkere Individualisierung von Gesellschaft und Konsum gegeben.

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Die Konsumenten sind heute nicht mehr einer Zielgruppe mit einem Verhaltensmuster zuzuordnen.

Sie haben Freude daran, unterschiedliche Verfassungen zu erleben.

Auch die heutige Freiheit und Vielfalt schafft Probleme, die in aktuellen Wertediskussionen ihren Niederschlag finden.

Dazu mehr an anderer Stelle…

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Beispiel Tageszeitung:

Die Lektüre der Tageszeitung war vielerorts ein Ritual, das beim Frühstück, aber auch auf dem Weg zur Arbeit, am Arbeitsplatz – etwa in der Frühstücks- und Mittagspause –betrieben werden durfte.

Die Tageszeitung half dabei, einen Tagesrhythmus einzurichten.

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Gesellschaftlicher Wandel zeigt sich nun darin, dass der gemeinsame, synchrone Alltagsrhythmus mit seinem Wechsel von Arbeit und Pausenverfassungen sich aufzulösen begann - und damit auch die Zeitungslektüre.

Mit dem Wandel seiner Verfassungen wurde auch das Medium selbst in Frage gestellt.

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„Verfassungs-Flimmern“

In der heutigen Welt individualisieren sich die Tagesgestaltungen, und gemeinschaftliche Rahmen verlieren an Bedeutung.

Die Folge ist, dass es kaum noch ritualisierte, gemeinschaftliche Pausen gibt, in denen die Zeitungs-Lektüre legitimiert ist.

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Dies gilt für die Zeitungslektüre in der Familie ebenso, wie am Arbeitsplatz:

Der „Ehemann hinter seiner morgendlichen Zeitung“ mutierte zu einer hinterwäldlerisch-stoffeligen Witzfigur.

Und alleine am Arbeitsplatz Zeitung zu lesen gilt eher als Fauxpas.

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Die grundsätzliche Wertschätzung der Zeitung ist davon unberührt.

Sie steht weiterhin hoch im Kurs, es fehlt aber an den psychologischen Rahmenbedingungen - Verfassungen - in denen sie gelesen werden kann.

Hierzu passt, dass die Auflage der Zeitungen seit Jahren kontinuierlich sinkt, während viele Abbesteller beteuern, dass sie eigentlich gerne (weiter) regelmäßig Zeitung lesen würden.

Sie schafften es nur nicht.

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Der meistgenannte Grund für die Kündigung des Zeitungsabos ist daher: „Keine Zeit.“

Im Klagen über Zeitmangel und Stress wird spürbar, dass neue Formen der Zeitung gesucht werden, die sie wieder besser in den Zeitgeist einpassen.

Neue kleinere Tabloid-Formate der Zeitung und die Internetangebote sind ein Anfang. Bislang ist jedoch noch keine gelungene Metamorphose gefunden worden.

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Auch das Lokale wird zunehmend anders verstanden!

Wo lebe ich?

Mehr und mehr in Social Networks.Social Networks „transzendieren“den konkreten geografischen Ort.

� Freunde � Kontakte� Austausch� E-Mails

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Mein Lebensalltag…

…ist fragmentierter und stärker durch Parallelwelten mit ihrem jeweiligen Mikrokosmos geprägt.

� das Schüler-Umfeld� das studentische Umfeld� das Karriere-Umfeld� die Special-Interest-Blogs

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Wo verorte ich mich?

„Ich steige gerade ins Flugzeug ein.“facebook-Nachricht an alle Freunde

Ich bin heute eben dort, wo ich gerade bin.

Das Lokale wird mehr und mehr Kulisse und immer weniger psychologisches Bindungsmoment.

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Konsequenzen für den Lokaljournalismus

Klassische Medien wie die Zeitung bieten die Möglichkeit,

� den Mikrokosmos zu durchbrechen,� „echt“, „schwarz“ auf „weiß“stattzufinden,

� „berühmt“ zu werden.

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Lokales muss heute anders und individueller verstanden werden.

Die neue Individualwelt muss dafür in der Zeitung stattfinden:

� facebook-, Blog-, Twitter-Begebenheiten aufgreifen

� Verlinkung zur Normalität� Repräsentanzen, Aktivitäten im virtuellen Raum

� Lokales als Kulisse begreifen, jenseits des geografischen Raums -welche Kulissen sind relevant und werden frequentiert?

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Das neue iPad von Apple macht vor diesem Hintergrund ein spannendes und vielbeachtetes Angebot.

Sein Versprechen erscheint auf den ersten Blick ein wenig wie ein „Kaffee zum Mitnehmen“ für Medienformate.

Es kann verschiedene Formate verdichten und sie dann individuell zugeschnitten, weitgehend unabhängig von Zeit und Ort offerieren.

Haptik und Ästhetik scheinen den Ton der Zeit gut zu treffen.

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Was bedeutet all dies für das Radio?

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Im Wandel der Medienlandschaft gehört das Radio eher zu den Gewinnern!

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Radiohören begleitet nach wie vor viele verschiedene Alltags-Verfassungen.

� Aufstehen� Hausarbeit� manuelle Arbeit� Autofahren� Wartezeiten� Einschlafphasen etc.

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Besser als andere Medien eignet sich das Radio, um Übergänge und Scharnierstellen des Alltags zu behandeln…

Aufstehen, Tagesplanung, Pausen, Leerlauf überbrücken

... oder um laufende Tätigkeiten zu unterstützen:

Autofahren, Routinetätigkeiten, Hausarbeit, Internetsurfen etc.

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Es verbindet unterschiedliche Tätigkeiten miteinander,

es gibt Alltagsfragmenten einen Zusammenhang und strukturiert/rhythmisiert sie,

es hält längere Tätigkeiten zusammen,

und es verbindet ‚Ich‘ und ‚Welt‘miteinander, schafft ein Gefühl von Verbundenheit mit der Welt, der Region, der Stadt.

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Autofahren und Radiohören etwa ergänzen sich perfekt:

Auto und Radio bilden ein optimales Ergänzungsverhältnis.

Das wird rational mit Verkehrs- und Stau-Infos begründet. Das Radio bietet aber auch ein Abpuffern und Synchronisieren der Einzeltätigkeiten beim Autofahren.

Die vielfältigen kleinen und großen Beunruhigungen (vom Warten an der Ampel bis zur Beinahe-Kollision) werden durch die ‚Schutzmacht Radio‘ besser überwunden.

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Ohne Radio hätten wir Mehr und Weniger zugleich.

Ohne Radio würde einerseits etwas ‚hochkommen‘: Unruhe, Leerstellen, beunruhigende Alltagsfragmente, Sinnfragen, Explosives (die ‚ganz normale Unruhe des Lebens‘).

Ohne Radio würde zugleich etwas fehlen: Dynamik, Schwung, Höhen und Tiefen, Witz, Gefühle von Vertrautheit und Eingebundensein.

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Das liegt nicht zuletzt am wahrnehmungspsychologischen Charakter des (Radio-) Hörens.

� Seine Ohren kann man weder verschließen, noch abschalten.

� Hören ist Zuwendung und Zuspruch. (Sehen ist Überblick und Übersicht.)

� Leise Töne stehen für (räumliche und emotionale) Nähe.

� Laute Töne dagegen sind ein Alarmsignal, das man fast nicht ignorieren kann.

„Geht ins Ohr – Bleibt im Kopf!“

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Das Radio entfaltet im Alltag eine Wirkung als ‚Schutzmacht‘.

Es schützt uns vor der alltäglichen Unruhe und Beunruhigung, vor Langeweile, oder den ‚kleinen Sorgen und Sinnfragen‘ des Alltags.

All dies wird beim Radiohören durch Angebote zur Ver-Sorgung und Einbindung aufgefangen und umgewandelt.

� Radio ist Verbindungs-Medium � Radio stiftet Zusammenhang

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Dem Radio entnimmt man auchHandlungsempfehlungen und Strukturierungshilfen für den Alltag:

� Nachrichten� Informationen zu Wetter� Verkehrsmeldungen� Veranstaltungstipps� Werbung� Exemplarische Berichte (‚Was machen andere heute‘)

� Etc.

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Andere Medien, wie Fernsehen oder Internet, sind dagegen eher „Abschottungs-Medien“.

Sie fördern ein Ausscheren aus dem Alltag. Die Aufmerksamkeit wird ganz auf das Medium gerichtet.

� Hohe Fesselung durch das Geschehen,� Wenig produktive Nebentätigkeiten,� Feste Körperhaltung, keine freie Beweglichkeit

Die Nutzung dieser Medien erscheint wie das Aufsuchen abgeschotteter ‚Inseln im Alltag‘. Das gilt z. T. auch für Zeitungen und Zeitschriften.

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Das gilt auch für Tonträger, Hörbücher und MP3-Player.

Hier ist die physische Beweglichkeit zwar höher, man möchte sich aber auch eher von der Außenwelt abschotten bzw. zurückziehen.

Musik unterwegs dient einem Abkapseln von der Außenwelt und einer Vertiefung und Ausrichtung von Stimmungen. Mit diesen Medien soll eine Stimmung gesteuert bzw. konstant gehalten werden.

Mit beiden Medien soll Unpassendes ausgegrenzt werden, sie dienen als Ausgrenzungs-Medien.

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Im Vergleich zu diesen Medien ist das Radio ein ‚offenes‘ Medium, das Unerwartetes anbietet

und dadurch für wechselnde Stimmungen und Verfassungen geeignet ist.

„Beim Radio ist auch immer was

Neues mit dabei. Bei meinen CDs

weiß ich ja, was kommt.“

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Das hat Auswirkungen auf das Erleben von Werbung im Radio.

Auch die Werbung im Radio hat Kontakt-Qualität und stellt Zugehörigkeit her.

Werbebotschaften im Radio haben damit eine hohe Relevanz:

Sie unterstützen die (emotionale und handlungsrelevante) Anbindung und Vernetzung mit dem Umfeld –gerade auch regional.

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Werbebotschaften im Radio

� beruhigen und stellen Normalität her (das sieht natürlich je nach Zielgruppe und Alter völlig unterschiedlich aus)

� entfalten keine großen Gefühle, sondern sind beruhigend banal

� und können gerade dadurch unbewusst eine starke Wirkung entfalten.

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Radiowerbung bietet freundliche Alltagshilfe:

� Planungshilfe für die Struktur des Tages

� Sinn und Zusammenhang im Alltag

� Handlungshilfe für beruhigend normale Tagesgestaltung

� Bewältigung kleiner Sinnkrisen

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Dazu muss sich Radiowerbung nicht laut und schrill in den Vordergrund drängen.

Zu laute oder schrille Werbung und ständige Wiederholungen stören die Radio-Verfassung eher.

Sie führen die Hörer in einen Gefühlsstau hinein, der sich dann in Verärgerung zeigt.

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Radiowerbung ist relevant!

Sie muss sich nicht in einem vermeintlich banal-alltäglich-uninteressanten, zweitklassigen Medium hervortun.

Denn in seiner Normalität und Banalität liegt gerade die Stärke und Relevanz des Radios.

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Radiowerbung kann sich aber die Psychologie des Radios zunutze machen,

wenn sie ihre Wirkmechanismen und die damit verbundenen Regeln berücksichtigt.

Oder einfacher gesagt: Der Ton macht die Musik.

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5. Ergebnischart Vielen Dank

für Ihre Aufmerksamkeit!

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