die katholiken entdecken basel - der weg aus dem milieu in die gesellschaft
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Abbildung Umschlagvorderseite :
Die Fronleichnamsprozession der Pfarrei St. Clara vom 22. Juni 1930
zieht durch die Riehentorstrasse am Restaurant Hirscheneck vorbei.
Die Katholiken entdecken Basel
Beiträge zur Basler Geschichte
Der Weg aus dem Milieu in die Gesellschaft
Christoph Merian Verlag
www.merianverlag.ch
Beiträge zur Basler Geschichte
ISBN 978-3-85616-617-5
9 7 8 3 8 56 1 6 6 17 5
Die öffentliche Geschichte der Katholiken in Basel nach der Reformation begann am 14.Oktober 1798 mit einem Gottesdienst in der Clarakirche. Im Zuge der bitteren Erfahrungen des Kulturkampfes im 19.Jahrhundert zogen sie sich als Minderheit in eine Sondergesellschaft zurück. Das katholische Milieu umfasste zahlreiche Vereine, bald eine eigene Presse und später sogar eine Partei. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann es, sich schrittweise zu öffnen – Katholiken und Basel näherten sich einander an. Aber erst 1972 wurde die katholische Gemeinde öffentlich-rechtlich anerkannt. Im Mittelpunkt der sorgfältig recherchierten, reich bebilderten Publikation steht Pfarrer Franz Blum (1901–1969); er hatte als Seelsorger in St.Clara von 1937 bis 1967 das Aufbrechen des Milieus weit über den Rahmen seiner Pfarrei vorangetrieben. Benedikt Pfister würdigt dabei auch die Nachkriegshilfe der Basler Katholiken für die Stadt Freiburg im Breisgau, die Franz Blum 1950 mit der Ehrenbürgerschaft auszeichnete.
Benedikt Pfister
Zum AutorBenedikt Pfister (*1978) ist Historiker in Basel. Er war als Öffentlichkeitsbeauftragter beim Roten Kreuz in Basel Projektleiter des Buches ‹Die Basler und das Rote Kreuz –125 Jahre SRK Basel ›. Zahlreiche Ver-öffent lichungen, u.a. zur Geschichte des Gewerbe - verbandes Basel-Stadt, zum Sportausrüster ‹Mammut Sports Group AG› und zum Eishockey in der Schweiz.
I KapiteltitelKapitel-Untertitel
Die Katholiken entdecken Basel
Beiträge zur Basler Geschichte
Die Katholiken entdecken Basel
Der Weg aus dem Milieu in die Gesellschaft
Benedikt Pfister
Christoph Merian Verlag
1. Auflage
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek :Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: // dnb.d-nb.de abrufbar.
ISBN 978-3-85616-617-5
© 2014 Christoph Merian Verlag
Alle Rechte vorbehalten; kein Teil dieses Werkes darf in irgendeiner Form ohne vorherige schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Lektorat : Jörg Bertsch, Basel Gestaltung und Satz : icona baselLithos : LAC AG, BaselDruck und Bindung : Kösel GmbH & Co.KG, Altusried-KrugzellPapier : Lessebo Design Smooth 115 g / m2
www.merianverlag.ch
Inhalt
9 Vorwort
1 15 Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier 19 Die Rückkehr der Katholiken ins reformierte Basel
20 Ernst Feigenwinter und der Kulturkampf
22 Die Aufhebung der katholischen Schule und der Rückzug ins Milieu
25 Blums Sonntagsspaziergänge nach St. Marien
28 Erstkommunion in der neuen Kleinbasler Kirche
2 33 Ausbildung in den katholischen Stammlanden 35 Katholische Erziehung in Einsiedeln
38 Das Basler Volksblatt trotzt dem Generalstreik
41 Priesterseminar und studentisches Leben in Luzern
43 Der Katholikentag von 1924 in Basel
47 Die Ausstellung christlicher Kunst am Katholikentag
3 49 Stationen als Seelsorger in der Zwischenkriegszeit 52 Die katholische Pfarrei Frauenfeld sammelt Geld für Pratteln
54 Blums Rückkehr in die Region Basel
56 Kirchgemeindeversammlung sorgt für Aufruhr in der linken Presse
59 Der Tiger wird Blums Nachfolger in Aesch
5
Inhalt
4 63 Vom Birseck ins Kleinbasel : Pfarrer in St. Clara 66 Katholische Demonstration im ‹ roten Basel ›
69 Eine neue Osterliturgie für St. Clara
72 Leiter der Caritas in Kriegszeiten
76 500 Jahre Schlacht bei St. Jakob
5 81 Die Nachkriegshilfe für Freiburg im Breisgau 83 Die Schweizer Spende als Dachorganisation der Schweizer Nachkriegshilfe
86 Die Kinderspeisung der Basler Katholiken
90 Werbung für die Nachkriegshilfe in der Heimat
94 Die religiöse Nachkriegshilfe der Katholiken
96 Die Caritas verschickt Liebesgabenpakete
98 Martha Walz und Franz Blum werden Ehrenbürger von Freiburg
6 101 Der kleine Kulturkampf von 1945 bis 1950 103 Kampf gegen Gleichgültigkeit und ein Minderwertigkeitsgefühl
106 Die Heiligsprechung von Bruder Klaus
110 Die RKG feiert ihren 150. Geburtstag
113 Eine Kirche im Hirzbrunnen für einen Erzengel
115 Der politische Katholizismus fasst Fuss
117 Die Basler Jungkatholiken und der politische Aufschwung
121 Kardinal Mindszenty bewegt die Basler Katholiken
7 123 Die Auseinandersetzung um die moderne Kirchenkunst 125 Die Antoniuskirche schockiert die Traditionalisten
127 Die Gründung der Schweizerischen St. Lukasgesellschaft
128 Kritische Wortmeldungen von Hans Urs von Balthasar und Linus Birchler
135 Ferdinand Gehr und der Vorhang in Oberwil ZG
6
7
Inhalt
8 139 Das katholische Pfarreileben im Wandel 142 Die Vereine in St. Clara
145 Romreise mit dem Marienverein
147 Das katholische Kino als Strassenfeger
150 Der verlorene Kampf gegen die Unmoral
152 Das Bild der « treulosen Juden » wandelt sich
9 155 Constantin Gyr und das neue Gemeindebewusstsein der Katholiken 158 Intensive Arbeit im Vorstand
159 Die RKG als zentrale Organisation für Basels Katholiken
161 Neue Kirchen im Neubad und in Riehen
164 Das Geschenk der Basler Katholiken an die Universität
167 Die Basler Regierung empfängt den Nuntius
168 Das Fischerdorf und das Bruderholz erhalten
eine eigene katholische Pfarrei
170 Die fremdsprachigen Basler Katholiken
10 173 Aus dem katholischen Milieu wird ein Netzwerk 174 Das Erbe von ‹ Vater Walz ›
176 Die karitative Arbeit in den Pfarreien
178 Kunigunde und der Katholische Frauenbund
180 Vom ‹ Haus der gefallenen Engel › zum Säkularinstitut
183 Erneuerung durch die jungen Katholiken
185 Die Jungwachtführer werden selbstständig
189 Die Pfadfinder als untypische katholische Organisation
192 Die ‹ Maitligruppe › als Vorläuferin des Blaurings in St. Clara
194 Frische, fromme, fröhliche und freie katholische Sportvereine
197 Katholische Presselandschaft im Wandel
8
Inhalt
11 201 Der katholische Aufbruch und das Zweite Vatikanische Konzil 202 Die Katholiken und die Basler Fasnacht
205 Der Maskenball katholischer Vereine
209 Das letzte Aufbäumen des katholischen Milieus
216 Annäherung an die protestantischen Glaubensbrüder
219 Das Zweite Vatikanische Konzil sorgt für frischen Wind
222 Die Frauen erhalten das Stimmrecht in der RKG
12 227 Die öffentlich-rechtliche Anerkennung der katholischen Gemeinde 230 Eine katholische Landeskirche in einem vereinigten Kanton Basel ?
233 Die öffentlich-rechtliche Anerkennung von 1972 / 74
236 « In die Geschichte von Basel eindringen »
239 Schlussbemerkungen
245 Anhang 246 Anmerkungen
253 Statistiken
264 Literaturverzeichnis
271 Bildnachweis
272 Dank
9
Die Wahl des Jesuiten Jorge Mario Bergoglio zum Papst Franziskus im März 2013
begeisterte viele Menschen. Mit einem einfachen « Buonasera » bei seinem ersten
öffentlichen Auftritt direkt nach der Wahl erreichte der Papst weltweit die Her-
zen der Katholiken. Der Argentinier ist der erste Papst aus Lateinamerika und
gilt als Anwalt der Armen. Franziskus ist ein neuer Hoffnungsträger in der ka-
tholischen Kirche. Der italienische Jesuit und Theologe Antonio Spadaro brach-
te das Befinden vieler Katholiken auf den Punkt : « Dieser Papst macht wieder
Lust, katholisch zu sein und sich für die Kirche zu interessieren. »1 Spadaro
impliziert damit, dass sich die katholische Kirche in einer Identitätskrise befin-
det, aus der Franziskus den Ausweg zeigen soll. Das sind hohe Erwartungen,
zumal die Religion in einer säkularisierten Welt, in der wir im Westen leben,
kaum mehr eine Rolle spielt. Nur hinter vorgehaltener Hand, vielleicht sogar
etwas verschämt, nennt man in Gesprächen seine Religionszugehörigkeit, falls
man überhaupt noch eine hat und darauf angesprochen wird. Das war nicht
immer so.
Die Basler Katholiken erlebten vor fünfzig Jahren eine Blütezeit ihrer Reli-
gion. ‹ Katholischsein › war ein Statement. Das katholische Milieu mit seinen
katholischen Vereinen, der katholischen Partei und Presse, das sich durch eine
Abgrenzung gegen aussen und eine starke Einheit gegen innen definierte, hat-
te sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg überlebt und begann aufzu-
brechen. Die Katholiken öffneten die Tore und Fenster ihrer Festung und mach-
ten sich auf den Weg in die Gesellschaft der Stadt Basel. Mit Ausdauer und
Überzeugung durchbrachen sie die Mauern ihres Milieus und integrierten sich
mit einem neuen starken Selbstbewusstsein in das soziale Leben. Das Gefühl,
in der Diaspora eine vernachlässigte Minderheit zu sein, wich dem Bedürfnis,
an der Gestaltung der Stadt mitzuwirken. Dieses Buch beschreibt, wie aus dem
Vorwort
Vorwort
rückwärtsgewandten katholischen Milieu ein selbstbewusstes katholisches
Netzwerk wurde. In Zentrum steht Franz Blum ( 1901–1969 ), der als langjähriger
Pfarrer von St. Clara die Ereignisse im katholischen Basel in jener Zeit hautnah
miterlebte und mitgestaltete. St. Clara war die Mutterkirche der Basler Katholi-
ken und Keimzelle des im 20. Jahrhundert erstarkenden Katholizismus in Basel.
Franz Blum war aber kein lauter Agitator, sondern ein bescheidener und viel-
seitig aktiver Gestalter im Hintergrund. Aus den zahlreichen Mitstreitern und
aktiven Gemeindemitgliedern, die Franz Blum zur Seite standen, ragen zwei
Personen heraus, welche die Geschicke des katholischen Basel von St. Clara aus
massgeblich beeinflussten. Constantin Gyr war langjähriger Präsident der katho-
lischen Gesamtgemeinde und verantwortlich dafür, dass die Katholiken in Basel
nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Einheit zusammenwuchsen. Martha Walz
war in der karitativen Arbeit tätig und in katholischen Frauenorganisationen
engagiert. Eine Zeitzeugin sprach von einem « Triumvirat Blum-Gyr-Walz », das
in St. Clara prägenden Einfluss hatte.
Dieses Buch begleitet Franz Blum auf seinen Lebensstationen und beschreibt
damit gleichzeitig stellvertretend eine Geschichte der Basler Katholiken im
20. Jahrhundert. Blums Pfarrzeit in St. Clara von 1937 bis 1967 gibt den engeren
Rahmen vor. Das Buch beschäftigt sich dabei nicht mit dem theologischen Wir-
ken von Franz Blum, sondern setzt den Fokus auf seine sozialen Tätigkeiten und
sein Engagement für die und mit den Pfarreiangehörigen. Die ersten drei Kapitel
begleiten Franz Blum durch seine Kindheit im Basler Gundeldingerquartier,
seine Schul- und Studienzeit in Einsiedeln und in Luzern sowie seine ersten
seelsorgerischen Stationen in Root, Frauenfeld und Aesch. Die folgenden drei
Kapitel beschreiben Blums Wirken als Pfarrer von St. Clara, insbesondere sein
karitatives Wirken für die Nachkriegshilfe für Freiburg im Breisgau. Das siebte
Kapitel zeigt Blum als Vorreiter einer modernen Kirchenkunst. Das achte Kapitel
beschreibt den Wandel des katholischen Pfarreilebens. Das neunte Kapitel wid-
met sich Constantin Gyr und dem Aufbau der katholischen Gemeinde. Im nächs-
ten Kapitel werden die Arbeit von Martha Walz und der Einfluss des gesellschaft-
lichen Wandels auf das katholische Milieu behandelt. Das neue katholische
Selbstverständnis wird anhand der Haltung der Katholiken zur Basler Fasnacht
und des Einflusses des Zweiten Vatikanischen Konzils im elften Kapitel bespro-
10
11
chen. Im letzten Kapitel wird die öffentlich-rechtliche Anerkennung der katholi-
schen Kirche von 1972 / 74 besprochen, die gerne als Höhepunkt der Integration
der Katholiken in die städtische Gesellschaft gesehen wird.
Die berücksichtigten Quellen und die Literatur zeigen eine Innenansicht der
Basler Katholiken. Die Selbstzeugnisse von Franz Blum und anderen geben einen
bisher noch unbekannten Blick auf das katholische Empfinden in der zweiten
Hälfte des 20.Jahrhunderts frei. Der sozialgeschichtliche Zugang zur Geschichte
der Basler Katholiken im 20. Jahrhundert in Verknüpfung mit einem biografischen
Ansatz ist gerechtfertigt. Der Katholizismus verdankte in Basel seine Blütezeit
Mitte des 20. Jahrhunderts nämlich nicht einer veränderten katholischen Kir-
chenlehre, sondern dem Engagement der Menschen an der Kirchenbasis.
Franz Blum, Constantin Gyr und Martha Walz stehen stellvertretend für
einige Identitätsmerkmale der katholischen Diaspora in Basel. Die Geschichte
der Basler Katholiken ist auch eine Geschichte der Migration. Franz Blums Fa-
milie stammte aus dem Kanton Aargau. Sein Vater war Grenzwächter und kam
wegen der Arbeit in die Grenzregion Basel. Constantin Gyr wuchs an der Haupt-
strasse in Einsiedeln in der katholischen Innerschweiz auf. Er fand eine Lebens-
stelle in der Basler chemischen Industrie. Die Familie Walz entstammt ursprüng-
lich dem benachbarten badischen Deutschland. Als Geselle auf Wanderschaft
kam Schwiegervater Franz Josef Walz im 19. Jahrhundert nach Basel und grün-
dete hier später eine Speisefettfabrik. Praktisch alle katholischen Familien in
Basel können eine ähnliche Migrationsgeschichte erzählen.
Während Franz Blum das seelsorgerische Wirken repräsentiert, stehen
Constantin Gyr und Martha Walz stellvertretend für das geschlechtsspezifische
Engagement in der katholischen Kirche. Den Frauen kam als erziehenden Müt-
tern eine tragende Rolle in der Tradierung der religiösen Werte zu. Viele Frauen
waren ausserdem in ihrer Pfarrei in der karitativen Arbeit tätig. Martha Walz
engagierte sich nicht nur in der Fürsorge, sondern unterstützte mit ihrem En-
gagement im Katholischen Frauenbund auch den Wunsch der Frauen nach mehr
Freiheit. Das neu entstehende Selbstbewusstsein der katholischen Frauen ging
einher mit dem gesellschaftlichen Wandel nach dem Zweiten Weltkrieg und trug
wesentlich zu einem Mentalitätswandel im katholischen Milieu bei. Das politi-
sche Engagement im Vorstand der katholischen Gemeinde, einer Pfarrei oder der
Vorwort
12
Partei war lange den Männern vorbehalten. Sie strebten eine gesellschaftliche
und politische Gleichberechtigung der Katholiken an.
Als Historiker habe ich versucht, mit der grösstmöglichen Objektivität die
zahlreich vorhandene Literatur zu sichten, die Quellen zu studieren, die Gesprä-
che mit Zeitzeugen zu führen und das Buch zu schreiben. Als Kleinbasler
Katholik, der an der Grenze zwischen den Pfarreien St. Clara und St. Joseph
auf gewachsen ist, scheinen mir einige persönliche Bemerkungen angebracht,
um Transparenz zum Autor zu schaffen.
Mein Grossvater väterlicherseits wuchs als Bauernsohn in Grosswangen im
Kanton Luzern auf. Er studierte Chemie in Zürich und lernte dort seine Frau
kennen. Meine Grossmutter kam aus einer zerrütteten Familie mit geschiedenen
Eltern aus der Ostschweiz. Die Eltern meines Grossvaters lehnten die Hochzeit
deshalb zuerst ab. Erst als ein Benediktiner-Pater aus Sarnen, wo mein Gross-
vater das Gymnasium besucht hatte, die Bedenken der Eltern beruhigte, stimm-
ten sie der Heirat zu. Meine Grosseltern zogen 1945 nach Basel und drei Jahre
später nach Riehen. Mein Grossvater arbeitete bis zu seiner Pensionierung bei
der Firma Sandoz und war lange Jahre Kassier des Vinzenzvereins in Riehen.
Meine Eltern lernten sich während des Theologiestudiums in Freiburg im Breis-
gau kennen. Zurück in Basel, wohnten sie in den 1970er-Jahren mit zwei be-
freundeten Männern, die ebenfalls Theologen waren, und ihren beiden Frauen,
in einer Theologen-WG. Mein Vater arbeitete als Laientheologe in der Seelsorge
und der Jugendarbeit in St. Clara mit und leitete in späteren Jahren bis zu seiner
Pensionierung die katholische Erwachsenenbildung und die Öffentlichkeits-
arbeit der Römisch-Katholischen Kirche Basel-Stadt. Meine Mutter wuchs im
benachbarten badischen Deutschland in der Nähe von Heidelberg auf. Sie war
in St. Clara die erste katholische Laientheologin, die in Basel aktiv in einer
Pfarrei mitarbeiten durfte. Bei ihrer ersten Predigt in der Clarakirche identifi-
zierte ein Mann meine Mutter offenbar als Deutsche und verabschiedete sich
darauf mit dem Hitlergruss aus der Kirche. Später arbeitete sie bis zu ihrer
Pensionierung als Religions- und Lateinlehrerin.
Ich selber bin kein praktizierender Katholik, fühle mich aber nicht nur
meiner Eltern wegen mit dem Katholizismus verbunden. Meine mit mir hoch-
schwangere Mutter besuchte nämlich 1978 die ‹ Dörflikilbi ›, das Pfarreifest von
Vorwort
13
Vorwort
St. Joseph. Kaum hatte sie etwas zu essen gekauft und sich auf eine der Sitz-
bänke niedergelassen, da setzten die ersten Wehen ein.
Dieses Buch wurde von katholischen Privatpersonen angeregt und begleitet.
Ich danke Prof. Dr. Niklaus Gyr, Dr. Urs Breitenstein, Dr. Joachim Köhn und
Dr. Xaver Pfister ganz herzlich für die Initiative zu diesem Buch, das ohne
sie nicht zustande gekommen wäre, sowie für die tatkräftige Unterstützung.
Für inhaltliche Anregungen und Diskussionen danke ich ganz herzlich Prof.
Dr. Markus Ries, Dr. Patrick Braun und Daniel Künstle, der mir auch Zugang zu
seinem umfangreichen Privatarchiv gewährt hat.
Zeitzeugen waren für die Arbeit eine sehr wichtige Quelle. Für die spannenden
Gespräche danke ich ganz herzlich Margrit Altenburger, Marlen Baudendistel,
Hans Baur, Ruth Bihler Strub, Maria Chiquet, Constantin Gyr, Niklaus Gyr, Rita
King, Gretel Leonhardt, Joseph Nietlispach, Hans-Peter Platz, Mariegret und
Hans-Peter Rüede, Felix Rudolf von Rohr, der im Januar 2014 verstorbenen Klara
Schibler und Roswita Schilling.
Mariegret Rüede, der Nichte von Franz Blum, danke ich für die Mithilfe beim
Erstellen des Stammbaums der Familie Blum und den Einblick in das Familien-
archiv. Rolf Fäs vom Bischöflichen Archiv der Diözese Basel danke ich für die
Mithilfe beim Erstellen des Anhangs. Rosmarie Nebel danke ich für den Zugang
zum Pfarreiarchiv Aesch, Angelus Hux für die Unterstützung beim Besuch im
Pfarreiarchiv Frauenfeld und Rolf Stöcklin und dem Sekretariatsteam der Pfarrei
St. Clara dafür, dass sie sich von meinen Besuchen im Pfarreiarchiv St.Clara nicht
haben stören lassen. Hans Baur danke ich für sein Bewusstsein für die Geschich-
te der Basler Katholiken und den Zugang zum Archiv der Alten Hatstätter.
Mathias Inauen von der Studentenverbindung Waldstättia, Barbara Alzinger vom
St. Katharina-Werk sowie Rita Giger und Franziska Zimmermann vom Katholi-
schen Frauenbund Basel danke ich für die Unterstützung bei der Sichtung von
Unterlagen aus ihren Archiven. Dankbar bin ich für die vielen helfenden Hände
im Staatsarchiv Basel-Stadt, im Staatsarchiv Thurgau, im Klosterarchiv Einsie-
deln, im Stadtarchiv Freiburg, im Erzbischöflichen Archiv der Diözese Freiburg,
im Bischöflichen Archiv der Diözese Basel, im Staatsarchiv Luzern, im Schweize-
rischen Wirtschaftsarchiv und im Archiv des deutschen Caritasverbandes.
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Ohne finanzielle Hilfe hätte dieses Buch nicht entstehen können. Ich danke
der Christoph Merian Stiftung, die aus dem Ertragsanteil der Bürgergemeinde
der Stadt Basel dieses Buch unterstützt hat; der Berta Hess-Cohn Stiftung für
ihren Beitrag an die Druckkosten; den Studentenorganisationen Alt-Froburger
und Alt-Rauracia, dem Bistum Basel, der Stiftung Dialog zwischen Kirchen, Reli-
gionen und Kulturen, dem Erasmusfonds des Dekanats Basel-Stadt, der Ernst
Göhner Stiftung, der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel, der Rö-
misch-Katholischen Landeskirche des Kantons Basel-Landschaft, der Römisch-
Katholischen Kirche des Kantons Basel-Stadt, der Stadt Freiburg im Breisgau,
der Erzbischof Hermann Stiftung, dem Swisslos Basel-Landschaft und dem
Swisslos-Fonds Basel-Stadt sowie zahlreichen Privatpersonen für ihre Unter-
stützung.
Mein Dank gilt nicht zuletzt dem Christoph Merian Verlag für die Möglichkeit,
dieses Buch in der Reihe ‹ Beiträge zur Basler Geschichte › zu veröffentlichen,
Jörg Bertsch für das Lektorat und Nicholas Mühlberg für die Gestaltung.
Das vorliegende Buch kann nur einen kurzen Überblick über das Leben von
Franz Blum und die Geschichte der Basler Katholiken im 20. Jahrhundert geben.
Es wäre wünschenswert, wenn sich weitere Autoren der vielseitigen Geschichte
der Basler Katholiken annehmen würden. Viele Fragen harren einer Antwort.
Vorwort
1 Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier
16
Franz Blum kam am 10. November 1901 in Schönenbuch zur Welt. Die Familie
Blum stammte ursprünglich aus dem Kanton Aargau. Vater Franz Blum, 1863 in
Wil AG geboren, kam als Zöllner in den 1890er-Jahren in die Region Basel. Im
solothurnischen Hofstetten brachte seine Frau Emma, geborene Birri aus Zeihen
im Aargau, 1899 die erste Tochter Maria zur Welt. Um die Jahrhundertwende
zog es die junge Familie nach Schönenbuch, wo Franz Blum und 1903 die zwei-
te Tochter Emma zur Welt kamen. Bei der Geburt der dritten und letzten Tochter
Hulda 1908 lebte die Familie in Basel im Gundeldingerquartier.
Die Katholiken in Basel trugen schwarz, als die Familie Blum nach Basel zog.
1900 war Burkard Jurt ( 1822–1900 ), der Pfarrer von St. Clara, gestorben. Jurt
hatte der Mutterkirche der Basler Katholiken 42 Jahre als Pfarrer vorgestanden
und die Zeit des Kulturkampfes nicht nur miterlebt, sondern aktiv daran teilge-
nommen. Er war eine prägende Gestalt des Basler Katholizismus.
Als 1857 ein neuer Pfarrer für St. Clara gesucht wurde, schrieb der damalige
Gemeindepräsident Carl Wahr an den Bischof. Er wies darauf hin, dass es einen
tüchtigen Mann brauche, der sich gegen die vielen intellektuellen protestanti-
schen Theologen und Professoren in Basel behaupten könne und sich auch nicht
scheue, mit der Regierung einen vertraulichen Umgang zu pflegen. Burkard Jurt
aus Luzern erfüllte diese Anforderungen und trat im Januar 1858 sein Amt
an. Während seiner Amtszeit wurde die Clarakirche erweitert, das katholische
Vereins wesen auf- und ausgebaut, das Basler Volksblatt als katholische Zeitung
gegründet und mit St. Marien die erste eigene katholische Kirche in Basel ge-
baut. Der Aufbau der katholischen Gemeinde fiel in Basel in die Zeit des Kultur-
kampfes, den Jurt aus nächster Nähe kennengelernt hatte. Jurt war 1847
Sekretär des Generalstabs der Truppen des katholischen Sonderbundes. Die ka-
tholischen Kantone Luzern, Zug, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Wallis und
17
Freiburg hatten sich zum Sonderbund zusammengeschlossen, da sie sich von
den freisinnigen Regierungen, die in vielen eidgenössischen Kantonen nach
1830 an die Macht gekommen waren, bedroht fühlten. Verschiedene innerkan-
tonale konfessionelle Auseinandersetzungen wie etwa der Aargauer Klosterstreit
mit der Aufhebung aller Klöster 1841 oder die Berufung von Jesuiten an die
Gymnasien in Luzern führten zu Spannungen zwischen den Freisinnigen und
Konservativen, die 1847 in einen Bürgerkrieg, den Sonderbundskrieg, führten,
der rund 150 Menschen das Leben kostete. Die eidgenössischen Truppen unter
General Guillaume-Henri Dufour besetzten im November 1847 Luzern, worauf
die Sonderbundskantone kapitulierten. In der Folge konstituierte sich die
Schweiz 1848 als Bundesstaat und nicht mehr als Staatenbund, mit entsprechend
Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier
Die Familie Blum gegen Ende der 1910er-Jahre. Vater Franz Josef, Emma, Mutter Emma,
Franz, Hulda und Maria ( von links nach rechts ).
18
weniger Kompetenzen für die Kantone. Der Bundesstaat war das Ergebnis eines
freisinnigen Sieges über die katholischen Konservativen und veränderte die
konfessionellen Mentalitätsstrukturen, wie Theo Gantner schreibt : « Der wirt-
schaftlich, politisch, wissenschaftlich und sozial einflussreiche Teil der neuen
Eidgenossenschaft bekannte sich zum reformierten Glauben. Die Reformierten
galten und fühlten sich als modern, industriell, städtisch und reich, während
die Katholiken für traditionell, bäuerlich, ländlich und arm gehalten wurden
und sich nach der politischen und militärischen Niederlage von 1847 auch ent-
sprechend fühlten. »2
Basel war zwar nicht Schauplatz des Sonderbundskrieges. Auch galt die
obige Beschreibung für die Katholiken in Basel nur beschränkt. Das Gefühl, nur
Bürger zweiter Klasse zu sein, war allerdings auch für sie prägend. Das Bewusst-
sein, als Katholiken in einer protestantischen Stadt in der Diaspora zu leben,
führte zu einem Rückzug in ein katholisches Milieu, das in den folgenden Jahr-
zehnten aufgebaut wurde.
Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier
Der Stammbaum der Familie Blum-Birri.
Fridolin Johann Birri1841 Zeihen AG1918 Aarau
Magdalena Birri1840 Zeihen AG1920 Aarau
Emma Birri3. August 1872 Zeihen AG15. März 1939 Menziken AG
Franz Josef Blum5. November 1863 Wil AG7. März 1937 Menziken AG
Maria Blum20. Februar 1899 Hofstetten14. Juli 1972 Wohlen
Fritz Maritz19. Juli 1895 Aarau27. Februar 1966 Wohlen
Franz Blum10. Nov. 1901 Schönenbuch25. August 1969 Basel
Emma Blum15. März 1903 Schönenbuch1. August 1976 Aesch
Hulda Blum18. Januar 1908 Basel23. Februar 1986 Menziken AG
Josef Lötscher21. Februar 1905 Basel18. Mai 1988 Menziken AG
Gertrud, 5. September 1928Fritz und Franz, 16. September 1929Peter, 28. September 1931Maria, 29. November 1938
Mariegret, 28. November 1936 Franziska, 8. März 1942Josef, 20. September 1945Alle in Menziken AG geboren
19
Die Rückkehr der Katholiken ins reformierte Basel
Die Rückkehr der Katholiken ins reformierte Basel
Weshalb gab es aber in der seit 1529 reformierten Stadt Basel überhaupt eine
katholische Gemeinde ? Die Geschichte der Katholiken in Basel beginnt 1734.
Seit jenem Jahr lebte ein kaiserlicher Gesandter in Basel, der in einer eigenen
Kapelle am Sonntag eine katholische, seit 1767 vom Rat bewilligte Messe or-
ganisierte. Der Gesandtschaftspriester übernahm auch seelsorgerische Aufga -
ben wie das Abnehmen der Beichte, das Verteilen der Kommunion und Taufen.
Dennoch zogen viele Katholiken aus der Stadt den Besuch der umliegenden
katholischen Kirchen in Dornach, Arlesheim, Blotzheim, Hüningen oder Wyhlen
für den Gottesdienst vor. In Basel selber lebten damals offiziell noch keine
Katholiken, da diesen das Bürgerrecht versagt blieb. Viele der Dienstboten und
Handwerker des Bürgertums stammten aber aus dem Badischen und dem Elsass
und waren katholisch. Auch Zuwanderer aus der Schweiz, speziell aus dem be-
nachbarten Kanton Solothurn, brachten ihren katholischen Glauben mit. Nach
der französischen Revolution besuchten vermehrt auch Menschen aus dem
benachbarten Ausland und in Basel stationierte eidgenössische Truppen den
katholischen Gottesdienst.
Die Stadt reagierte sehr pragmatisch auf die steigende Anzahl der Katholi-
ken. 1797 stellte sie ein Magazin im Clarahof im Kleinbasel für Gottesdienste
zur Verfügung. Im folgenden März fand ein erster Gottesdienst unter der Lei-
tung eines Kapuzinermönches des Klosters Dornach statt. Das eigene Zuhause
erlaubte es den Katholiken, sich an den Aufbau einer Gemeinde zu machen. Der
deutsche Josef Lacher übernahm die Federführung und bemühte sich erfolgreich
um einen eigenen Pfarrer. Er fand Roman Heer aus Klingnau ( 1761–1804 ), der
am 8. April 1798 seinen ersten Gottesdienst vor vollem Haus feierte. Das Maga-
zin des Clarahofs war dem grossen Ansturm nicht gewachsen. Reihenweise kipp-
ten Besucher der Gottesdienste im Sommer wegen des Gedränges und der Hitze
um. Dies blieb der Stadt nicht verborgen. Sie beschloss daher, die benachbarte
Clarakirche paritätisch auch für die Katholiken zu öffnen. Der erste Gottesdienst
in der Clarakirche vom 14. Oktober 1798 gilt als die offizielle ‹ Rückkehr › der
Katholiken nach Basel. Die Helvetische Republik von 1798 garantierte die Glau-
bens- und Gewissensfreiheit. Die Katholiken waren in Basel nun nicht mehr
nur geduldet, sondern konnten sich auf ein Recht berufen. Im gleichen Jahr
20
organisierte sich eine katholische Gemeinde mit Josef Lacher an der Spitze. Die
Stadt liess die Gründung unter der Bedingung zu, dass sich die Gemeinde nicht
dem Bischof von Basel, sondern dem Bistum Konstanz unterstellte.
Die meisten Katholiken lebten im Kleinbasel. Mit der Clarakirche, welche die
Katholiken 1858 zum alleinigen Gebrauch erhielten, und dem 1836 gekauften
Hatstätterhof konzentrierte sich hier das katholische Leben. Der Lindenberg mit
dem Pfarrhaus, einer Hauskapelle und einem Schulhaus im Hatstätterhof wurde
zur katholischen Festung. Die Stadt reagierte wohlwollend. Sie beteiligte sich
finanziell am Kauf des Hatstätterhofs. Bereits 1834 hatte die Stadt der Gemein-
de zwei Kreuze aus jenem Teil des Münsterschatzes geschenkt, der nach der
Kantonstrennung 1833 nicht an Baselland gefallen war. Die neue Kantonsver-
fassung nach der Trennung der Kantone Basel-Stadt und Baselland erlaubte die
Ausübung jedes christlichen Glaubensbekenntnisses. Mit der Bundesverfassung
1848 erhielten die Katholiken das Niederlassungsrecht und 1860 das Basler Bür-
gerrecht.
Ernst Feigenwinter und der Kulturkampf
Der Kulturkampf streckte seine Fühler auch nach Basel aus. Nach der Revolution
von 1848 hatte sich der Papst auf die konservative Seite geschlagen. Die rom-
treuen, auch ultramontan genannten Katholiken wurden so für den neuen frei-
sinnigen Bundesstaat von 1848 in der Schweiz zu einer potenziellen Gefahr.
Verschiedene Entscheidungen des Papstes sollten die Katholiken auf ihren Glau-
ben einschwören, irritierten dabei aber auch die Gegenseite. 1854 hatte der
Papst das Dogma der ohne Erbsünde empfangenen Maria verkündet. Dieser In-
halt lässt sich nicht aus Schriften aus dem Kanon der Bibel herleiten und wurde
deshalb von der reformierten Kirche nicht akzeptiert. 1864 veröffentlichte der
Papst den antimodernen ‹ Syllabus Errorum ›, eine Sammlung von 80 Sätzen, die
ein Katholik unter keinen Umständen unterstützen durfte. Es war aber das
Erste Vatikanische Konzil von 1869 / 70, das zu einer innerkatholischen Zerreiss-
probe führte. Das Konzil war eine Reaktion auf die sich wandelnde Gesellschaft,
von der sich der Katholizismus bedroht fühlte. Der Papst befürchtete einen
Verlust seines Einflusses bei den Katholiken. Das Konzil beschloss die Unfehl-
Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier
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Ernst Feigenwinter und der Kulturkampf
barkeit des Papstes in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre. Ebenso wurde das
Jurisdiktionsprimat verabschiedet, das dem Papst den Eingriff in alle Bistümer
erlaubt. In der Folge des deutsch-französischen Krieges besetzten Truppen des
Königreiches Italien den Vatikan und bewirkten eine Unterbrechung des Konzils.
Im Oktober 1870 wurde es auf unbestimmte Zeit vertagt und ist bis heute offi-
ziell nicht abgeschlossen.
Vor allem liberal gesinnte Katholiken konnten die Beschlüsse des Konzils
nicht akzeptieren. Die Alt- oder später Christkatholiken sagten sich auch in
Basel von Rom los. Bereits 1873 erhielten sie in der St. Martinskirche und ab
1879 in der Predigerkirche Gastrecht. Die Ereignisse rund um die innerkatholische
Spaltung politisierten einen jungen Baselbieter, der sich in der Folge zum star-
ken Mann der Basler Katholiken entwickelte. Ernst Feigenwinter ( 1853–1919 )
stammte aus einer Reinacher Bauernfamilie. Nach einem Rechtsstudium in Basel,
München, Strassburg und Berlin arbeitete er als Anwalt in Basel. Die kultur-
kämpferischen Auseinandersetzungen, der Hass und Spott, den die katholische
Kirche insbesondere in der Abspaltung der Altkatholiken erdulden musste, ver-
letzte Feigenwinters Rechtsempfinden und machte ihn zu einem Aktivisten für
die katholische Sache. 1873 besuchte Feigenwinter eine Veranstaltung der Alt-
katholiken in Arlesheim und verteidigte den katholischen Glauben lautstark.
Dabei kamen ihm seine rhetorischen Fähigkeiten zugute, die er unter anderem
durch das Verfolgen der Rededuelle des deutschen Reichskanzlers Otto von Bis-
marck mit dem katholischen Zentrumspolitiker Ludwig Windhorst während sei-
ner Studienzeit in Berlin schulen konnte. Der Anlass in Arlesheim beschäftigte
ihn derart, dass er noch im gleichen Jahr die Gründung einer Zeitung für die
Basler Katholiken, das Basler Volksblatt, vorantrieb.
Auf dem Höhepunkt des Kulturkampfes in der Schweiz wurde 1874 eine neue
Bundesverfassung verabschiedet. Diese beinhaltete auch gegen die Katholiken
gerichtete Artikel, so das Verbot der Errichtung und Wiederherstellung von
Klöstern und der Gründung von religiösen Orden. In der Folge revidierte Basel
1875 seine Kantonsverfassung. Die reformierte Kirche und 1878 auch die christ-
katholische Kirche erhielten den Status als öffentlich-rechtliche Landeskirche.
Die katholische Gemeinde lehnte dies ab, da sie sich nicht unter staatliche und
damit protestantische Oberaufsicht stellen wollte. Sie organisierte sich am
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13. Februar 1876 als Verein und wurde zur Römisch-Katholischen Gemeinde
( RKG ). 1903 und 1909 gab es von katholischer Seite erneute Bemühungen für
eine öffentlich-rechtliche Anerkennung. Man konnte sich aber nicht einigen.
Das neue Kirchengesetz 1910 brachte eine sogenannte ‹ hinkende Trennung › und
‹ Basler Lösung ›. Die evangelisch-reformierte und die christkatholische Kirche
blieben zwar Volkskirchen mit öffentlichem Status, finanziell wurden sie aber
vom Staat getrennt. Sie mussten in Form von Kirchensteuern selber für die
Finanzen aufkommen. Dies war für die Katholiken ein Teilerfolg. Mit ihren
Steuern an den Kanton finanzierten sie in der Folge nicht mehr die anderen
Kirchen mit. Die fehlende öffentlich-rechtliche Anerkennung blieb allerdings für
viele, vor allem politisch aktive Katholiken, bis 1974 ein Makel.
Die Aufhebung der katholischen Schule und der Rückzug ins Milieu
Es war ein anderes schwerwiegendes Ereignis, welches das katholische Selbst-
verständnis für Jahrzehnte prägte. Höhepunkt des Kulturkampfes in Basel und
gleichzeitig Endpunkt des nationalen Kulturkampfes war die Aufhebung der
katholischen Schule am Lindenberg 1884. Die Schliessung wurde zu einem we-
sentlichen Motor des verstärkten Rückzuges in ein eigenständiges katholisches
Milieu. Wohl kein Ereignis aus der Geschichte der Basler Katholiken wurde so
oft besprochen und bearbeitet wie die Geschehnisse rund um die Schulschlies-
sung. Viele frühe Arbeiten darüber sind heute historische Quellen, sind doch die
Autoren Kinder ihrer Zeit. Publikationen aus der ersten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts zeigen eine ‹ Jetzt-erst-recht-Haltung › : Der Katholizismus lässt sich
auch mit der Aufhebung der Schule nicht aus Basel verdrängen. Franz Blum
nannte die Aufhebung in einem Beitrag im Basler Volksblatt 1942 den « härtes-
ten Schlag, den Katholisch-Basel erlitt ».3 Neuere Publikationen sehen in der
Schliessung der Schule einen ersten Schritt zur Integration der Katholiken in
die Stadt und betonen den Vorteil einer konfessionsneutralen Erziehung der
Kinder. Patrick Braun schrieb 2001 : « Der Übertritt der katholischen Kinder in
die öffentlichen Schulen hat die – aus heutiger Sicht – notwendige Assimilation
des katholischen Bevölkerungsteils beschleunigt. »4
Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier
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Die Aufhebung der katholischen Schule und der Rückzug ins Milieu
Pfarrer Roman Heer hatte die katholische Schule 1800 gegründet. Seit 1836
hatte sie im Hatstätterhof eine Heimat. 1864 wurde ein weiteres Haus am Obe-
ren Rheinweg gekauft. Die Schülerzahl stieg bis 1880 auf 1400 Schülerinnen
und Schüler, einen Viertel aller Schulkinder von Basel. Die freisinnige Regierung
verlangte, dass keine Ordensleute mehr an der Schule unterrichten und der
Lehrplan an die staatlichen Schulen angepasst werden sollte. Die katholische
Gemeinde zeigte sich gesprächsbereit, wollte aber nicht auf das Lehrpersonal,
die Lindenbergschwestern und die Marienbrüder, verzichten. Das Thema kam vor
den Grossen Rat, der kontrovers und vom 28. Januar bis zum 5. Februar 1884
sehr ausgiebig darüber diskutierte. Die Konservativen, die heutige Liberaldemo-
kratische Partei ( LDP ), setzten sich stark für die Religionsfreiheit und die
katholische Schule ein. Ohne Erfolg. Am 5. Februar 1884 stimmte der Grosse
Rat mit 66 gegen 50 Stimmen gegen die Lehrtätigkeit der Ordensleute an der
katholischen Schule. Eine Volksabstimmung bestätigte am 24. Februar 1884 bei
einer Stimmbeteiligung von 82 Prozent den Grossen Rat mit 4479 gegen
2910 Stimmen. Einzig die Gemeinde Bettingen lehnte die Vorlage mit 28 gegen
15 Stimmen ab. Die katholische Vorsteherschaft und ihr Mittelsmann und Jurist
Ernst Feigenwinter rekurrierten vergebens beim Bundesrat in Bern gegen den
Entscheid. Nach der Auflösung der Schule wurden die katholischen Schülerinnen
und Schüler in die staatlichen Schulen integriert.
Die Schliessung der Schule war auch für Burkard Jurt eine schwere Nieder-
lage. Der Pfarrer von St. Clara empfand die Schliessung wohl nicht nur als einen
Schritt in eine säkulare Moderne, sondern als gezielten Schlag gegen die Katho-
liken. Dabei konnte auch Jurt austeilen. 1872 beerdigte Jurt einen Katholiken,
der seine Kinder protestantisch erzogen hatte. Der Mann war rücklings über eine
Gartenhecke gestolpert und hatte sich dabei tödliche Verletzungen zugezogen.
Jurt setzte in seiner Predigt den Tod mit der protestantischen Erziehung der
Kinder in Verbindung. Daraufhin waren Pfui-Rufe zu hören, Jurt wurde als
« Jesuit » beschimpft und es kam zu einem Gerangel. Die Stadt rügte Jurt für
sein Verhalten und wies darauf hin, dass alles unterlassen werden solle, was
den konfessionellen Frieden in der Stadt bedrohe. 1900 verstarb der Kultur-
kämpfer Burkard Jurt.
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Nach den schmerzhaften Erfahrungen des Kulturkampfes zogen sich die
Katholiken noch stärker in eine Sondergesellschaft zurück. Der von aussen be-
droht geglaubte katholische Glaube musste bewahrt werden. Die Katholiken
sollten von der Wiege bis zur Bahre in einem geschützten Umfeld ihr Katho-
lischsein leben können. Der Aufbau dieses Milieus, die Gründung zahlreicher
Vereine und Organisationen, geschah hauptsächlich in den Jahren von 1860 bis
1920. Mit der Industrialisierung entstand Ende des 19. Jahrhunderts mit der
sozialistischen Arbeiterbewegung ausserdem ein weiterer Gegner, gegen den es
sich abzugrenzen galt.
Die rasante Zunahme der Katholiken in Basel von rund 10 000 Personen im
Jahr 1870 auf über 45 000 1910 forderte eine wohldurchdachte Organisation und
Struktur, um die vielen katholischen Arbeiter nicht an andere, speziell das so-
zialistische Milieu, zu verlieren. Die Zuwanderer kamen, wie bereits früher, aus
der badischen und elsässischen Nachbarschaft, aus der Innerschweiz, Solothurn,
dem Aargau und dem Birseck. 1870 wurde der Katholikenverein, auch Volks-
verein genannt, gegründet, der grösste und wichtigste Verein, aus dem sich
später die Katholische Volkspartei entwickelte.
Der Aufbau von eigenen Vereinen wurde für die Katholiken auch deshalb
nötig, weil ihnen die Teilnahme in privaten Vereinen, Organisationen und Ge-
sellschaften sowie die Arbeit in der Verwaltung lange vorenthalten blieb. Die
katholischen Vereine waren nach Geschlechtern getrennt. Für die Männer gab
es, um nur einige wenige zu nennen, neben dem Männer- schon früh einen
Gesellen- und einen Arbeiterverein, die Frauen sammelten sich im Frauen- und
Mütterverein. Für die Mädchen gab es den Marienverein, der Jünglingsverein
war für die Knaben. Die Erfassung in den Vereinen war nicht flächendeckend.
Bereits um 1920 zahlten rund 40 Prozent der Katholiken keine Kultusbeiträge
mehr und nur etwa ein Drittel praktizierte den katholischen Glauben im stren-
gen Sinn.5
Das Milieu bestand aber nicht nur aus den Vereinen, sondern auch aus einem
spezifischen Denken, das sich durch die Abgrenzung gegen das Andere definier-
te. Es war die Aufgabe der Pfarrer und Seelsorger, die Katholiken vor fremden
Einflüssen zu bewahren. Die Mischehe war für eine konfessionelle Minder -
heit die schlimmste Gefahr. Feinde waren auch der Liberalismus, Sozialismus,
Eine katholische Kindheit im Gundeldingerquartier
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Blums Sonntagsspaziergänge nach St. Marien
Atheismus, Säkularismus und Modernismus. Die Einigelung und geistige Ab-
schottung schuf auf der freisinnigen und sozialistischen Gegenseite ebenfalls
Feindbilder. Für sie waren die Katholiken intolerante Ultramontane oder Träger
des kapitalistischen Systems. Sie verurteilten am Katholizismus die Volksfröm-
migkeit und den Aberglauben, den Klerikalismus und vor allem den politischen
Katholizismus.
Urs Altermatt beschreibt Struktur und Aufgaben des katholischen Milieus :
« Die katholische Weltanschauung verbindet sie [ die Katholiken ] zu einer reli-
giös fundierten Lebens- und Schicksalsgemeinschaft. Da ideologische Wert-
vorstellungen ohne die Hilfe von sozialen Mechanismen nicht existieren kön-
nen, unterhalten die Milieukatholiken untereinander enge soziale Beziehungen
und beschränken ihre sozialen Aktivitäten wenn immer möglich auf den Kreis
der gleichgesinnten Milieuangehörigen. Die sozialen Beziehungen dienen als
Transmissionsriemen, um die katholischen Wertvorstellungen zu tragen und
zu schützen. Sie vermitteln den Milieukatholiken nicht nur das Gefühl des Zu-
hause-Seins, sondern auch die ebenso wichtige Kontrolle, indem sie sie vor der
andersartigen Umwelt schützen. »6
Blums Sonntagsspaziergänge nach St. Marien
Die Familie Blum wohnte an der Gundeldingerstrasse 474, am Fuss des Bruder-
holzes und unmittelbar neben dem heutigen Dreispitzareal. Franz Blum hielt in
den 1960er-Jahren einige Erinnerungen an seine Kindheit schriftlich fest : « Hin-
ter dem Haus, in dem wir wohnten, war ein Höflein, ein ebensogrosser Gemüse-
garten und dann gings noch ein paar Schritte bis zum Wald mit dickstämmigen
Bäumen. An diesen Wald knüpft sich meine wohl früheste Kindheitserinnerung.
Die Mutter hatte mich auf dem Arm genommen und stand unter dem Fenster
gegen den Wald. Es muss frühe, vor Tag, im Sommer gewesen sein. ‹ Horch ! ›,
sagte die Mutter. Da wurde ich erst richtig wach und hörte das Jubilieren und
Singen von tausend Vögeln. Der ganze Wald schien mir voller strömenden Freude
und Seligkeit. ‹ Warum singen sie so ? ›, fragte ich. ‹ Sie singen ihr Morgengebet ›,
sagte die Mutter. Ich legte meine Ärmlein um ihren Hals und lauschte. »7
Das Gundeldingerquartier war ein junges Quartier. Nach dem Bau des Bahnhofs
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