„tyrannosaurus kids - wenn jugendliche zu viel macht haben“ · 2011-11-21 · aktionstage...
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Aktionstage „Sucht hat immer eine Geschichte“ 17. November 2011
„Tyrannosaurus Kids- wenn Jugendliche zu viel Macht haben“
Vortrag: Peter Schlimpen
Suchthilfe Aachen Jugend- und Drogenberatung
Herzogstraße 4 52070 Aachen
Systemische Sichtweise von funktionalen Familiensystemen
Wie jedes lebende System ist eine Familie von zwei Tendenzen geprägt:
Homöostase ↔ Transformation Stabilität Veränderung Gefühl von Entwicklung, Anpassung an Zusammengehörigkeit, Veränderungen Schutz u. Geborgenheit
Systemische Sichtweise von funktionalen Familiensystemen
Funktionale Familie: Fließgleichgewicht zwischen Homöostase und Transformation
Systemische Sichtweise von funktionalen Familiensystemen
Entwicklungsbedingte Veränderungen Beispiele:
- Geburt eines Kindes - Pubertät - Krankheit oder Tod eines Familienmitglieds - Scheidung
Systemische Sichtweise von funktionalen Familiensystemen
Außerfamiliale Belastungen Beispiele: - Wohnortwechsel - Verlust des
Arbeitsplatzes - Finanzielle
Belastungen
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
Bindungskonzept H. Stierlin („psychoanalytischer“ Familientherapeut): - „bezogene Individuation“ = harmonische Bezogenheit zwischen:
- Selbstverwirklichung/ ↔ Solidarität, Loyalität Individualität Bezogenheit (H. Stierlin „Eltern und Kinder“ 1980)
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
Zwei extreme Bindungsmuster zwischen Eltern und Kindern
1. Übermäßige Bindung: - „regressiv“ verwöhnte Kinder - werden klein
gehalten - Hinderung eigener Bedürfnisse - übermäßige Loyalität zu Eltern ↪ Kind sucht Selbstvertrauen
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
2. Ausstoßung: - Kinder werden ausgestoßen, zurückgewiesen,
vernachlässigt - Gefühl, nicht wichtig zu sein, nicht erwünscht zu
sein für Andere ↪ Kind sucht Geborgenheit, Schutz,
Aufmerksamkeit
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
Drei Möglichkeiten, wie Kinder /Jugendliche als Beziehungsregulator in einen elterlichen/ ehelichen Konflikt einbezogen werden:
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
1. Generationsüberschreitende Koalition: Kind geht eine feste, dauerhafte Koalition mit einem Elternteil gegen den anderen Partner ein („Wer ist mit wem zusammen?“)
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
2. Triangulation: eine Person „zwingt“ eine zweite, sich gegen einen Dritten zu wenden
- Kind kann sich nicht äußern, ohne gegen einen Elternteil für den Anderen Stellung zu beziehen
(„Wer mit wem gegen wen?“
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
3. Konfliktumleitung: Beide Eltern sind scheinbar geeint in der Sorge um das „kranke“ Kind oder der Kritik an ihm „Sündenbockfunktion“
(Subsystem vermeidet Konflikt)
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
4. Verstrickung (psychosomatische Familie):
- Regel: Familienmitglieder haben keine Geheimnisse zu haben
- „Einer niest und es beginnt ein großes Flattern von Taschentüchern“ (Minuchin)
⇒ Überfürsorglichkeit
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
- „Wenn es einen juckt, kratzen sich Alle“ (H. Stierlin)
- diffuse Grenzen unter den Familienmitgliedern
- Jeder mischt sich in die Angelegenheiten des Anderen ein
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
5. Losgelöstheit, Abgrenzung, Ausstoßung: - „keiner weiß um den Anderen“ - starre Grenzen unter Familienmitgliedern
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
- Dramatische Situationen (Suizidversuch. Delinquenz, Aggressivität) um Aufmerksamkeit zu erregen
- Überwiegen der Transformation ⇒ Familie ständig von Auflösung bedroht, massive Symptome
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
Starke Ausgrenzung
Mangel an Bezogenheit => Isolation
Mehrzahl der Familien
Verstrickung
Mangel an Individuation Abgrenzung
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
6. Dysfunktionale Kommunikationsmuster: - Bsp. Paradoxien, „double bind“ - Mystifizierung
⇒ Ich kann mich nicht richtig verhalten
Hinweise auf dysfunktionale Familienstrukturen
→ Entlastung für den Patienten → Pathologisierung der Familie- Defizitorientiertes Denken ↪ misstrauische, wenig wertschätzende
Haltung gegenüber Familien ↪ Heirate nie Deine Hypothesen
„Tyrannosaurus Kids“
Familiäre Gewalt, die von den Kindern ausgeht:
- Tabuthema: - Massive Verletzung
sozialer Norm → Existenzverleugnung
- Schamgefühl der Eltern
„Tyrannosaurus Kids“
Misshandlung von Eltern: - wenn ein Kind mit seinem Verhalten seinen
Eltern absichtsvoll → physischen → psychischen → finanziellen Schaden zufügt Ziel ⇒ Macht und Kontrolle über die Eltern (W. Rotthaus 2006)
„Tyrannosaurus Kids“
- ständige Beschimpfungen, - Hasstiraden - Lügen - Androhung körperlicher
Gewalt - Bei großer Erregung:
Zerstörung von Telefon, Türen, Mobiliar
„Tyrannosaurus Kids“
- werfen von Gegenständen, stehlen, stoßen, treten, verprügeln, beißen, würgen…
- bedrohen mit Messern - unmäßige finanzielle Forderungen
http://images.derstandard.at/t/12/2010/10/05/1285239978693.jpg
„Tyrannosaurus Kids“
Folgen bei den Eltern: - Bestürzung, Verwirrung, Fassungslosigkeit über
Verhalten des Jugendlichen - Angst, Kinder unbeaufsichtigt zu lassen - Flucht in Suchtmittel - Belastung der Paarbeziehung ⇒ emotional: Hilflosigkeit, Angst, Verzweiflung,
Schuld, Scham
„Tyrannosaurus Kids“
Jugendliche: - Beisein der Eltern: aggressiv dominant - Einzel: wenig selbstbewusst, unzufrieden,
unglücklich, - Ratlosigkeit gegenüber eigenem Verhalten - hilflos - Suchtmittelkonsum
„Tyrannosaurus Kids“
Kreislauf von Schuldgefühlen ⇉ ⇒ Familienproblem,
unter dem alle Mitglieder leiden
Wut gegen Eltern
Schuldgefühle
Wut
„Tyrannosaurus Kids“
Häufigkeit: 1986- Studie USA: 29% alleinerziehende Mütter von einem ihrer Kinder geschlagen 1997- Bundesstaat Sacramento USA: jede Woche 10 Jugendliche wegen Gewalt gegen Eltern in Haft 2010- Elternnotruf Zürich: 244 Fälle pro Jahr
„Tyrannosaurus Kids“
⇒ wissenschaftliche Literatur: USA: Prävalenzraten für schwere
Elternmisshandlung von mindestens 10% der Kinder und Jugendlichen
= häufigste Form von innerfamiliärer Gewalt
„Tyrannosaurus Kids“
Dunkelziffer: ⇒Geheimhaltung als wesentliches Merkmal: Eltern versuchen alles, um die Illusion einer harmonischen, friedvollen Familie aufrecht zu erhalten ⇒ Einsamkeit, Isolierung
Ursachen
Gesellschaftlicher Wandel von Erziehungskonzepten: - Mittelalter: Kinder = „kleine Erwachsene“ - Neuzeit: Rousseau (1762) Beginn der
Erziehung: Idee der Differenz von Erwachsenen und Kindern: Wissende und Nichtwissende
- „Richtige“ Erziehung, Kind: Objekt von Forschung u. Erziehung- Formung
Ursachen
http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.u/u704402.htm
Ursachen
Entwicklung der letzten 30- 40 Jahre: - Kind: Subjekt seiner Entwicklung - Verringerung der Differenz zw. Erwachsenen
und Kindern : - prinzipieller Wissensvorsprung ? (Medien ?) - Schüler- Lehrer ? (lebenslanges Lernen)
Ursachen
↪ Erziehungsunsicherheit: - traditionelle Rollenmodell verloren
gegangen - neues Rollenmodell: kein gesell. Konsens (A. Chua / W. Bergmann):
Ursachen
Familien von kindlichen Tyrannen: - Umkehrung der familiären Hierarchie: Verzicht auf elterliche Verantwortlichkeiten ↪ Idealbild: beste Freundin des Kindes
- Kinder lernen: „Aufgabe der Eltern ist es, sie glücklich u. zufrieden zu machen“
Ursachen
- Kinder sollen auch Entscheidungen treffen: → Überforderung ⇒ kontinuierl. Stressbelastung ⇒ Gewalt - Pubertät → Erziehung beginnt erstmalig:
Eskalation der Konflikte
⇒ Gewalt gegen Eltern
Ursachen
„Wer mit der Erziehung zu spät kommt, den bestraft - das Kind.“
W. Rotthaus
Weitere Ursachen
• Ungelöster elterlicher Konflikt → Koalition: Elternteil /Ex- Partner entschuldigt Gewaltverhalten (Hass auf Ex- Frau)
Weitere Ursachen
∙ psychisch Kranke und suchtkranke Eltern → Schuldgefühle, passiv depressive Eltern- emot.
Abhängigkeit von Kindern: → Angst, Kinder zu verlieren, keine Grenzsetzungen, Angst vor Ablösung → Wut/Hass als Reaktion auf „liebevolle Gefangenschaft“
Weitere Ursachen
∙ Früh aufgetretene psych./körperliche Erkrankungen des Kindes
- „zum Ausgleich“ extrem gewährendes Erziehungsverhalten
- „Krankheit des Kindes - Kind ist nicht verantwortlich für sein Verhalten“ Bsp. ADHS
Weitere Ursachen
∙ Außergewöhnliche inner- und außerfamiliale Belastungen Bsp.: Allein erziehende Mütter/Väter. - Kinder machen Elternteil, mit dem sie leben,
für negative Veränderungen nach der Trennung verantwortlich - „einfach, weil sie da ist“
Weitere Ursachen
• Gewalt in der Familie
- Jungen folgen Rollenbild des Vaters, der Frau schlägt ⇒ Patriarchales Männerbild
- Mädchen hassen Mütter, wenn sie diese als unterwürfig erleben
Weitere Ursachen
- „dissoziale“ Jugendliche erleben Eltern als
Versager - „loser“
→ Loyalität mit Vater auch in Bezug auf Schlagen der Frau
Weitere Ursachen
• Erleben von phys., sex., emot. Gewalt in der Kindheit
→ Gewalttäter gewinnt etwas von verlorener Macht u. Kontrolle zurück
→ Vergeltung oft nicht gegen Täter, sondern gegen anderen Elternteil
Interventionen
Voraussetzungen:
- Neutralität: Nicht beschuldigendes Verhalten aller Familienmitglieder- Anerkennung, Respekt
- Neugier: Fragen nach individuellen Erklärungsmustern =>
Interventionen
- „Niemand hat so schrecklich in der Erziehung versagt wie ich“ - Loyalität und Liebe zu den Kindern => „einsame Hölle“ - Beendigung des Schweigens/ der
Isolation der Eltern
Interventionen
Das Konzept der „elterlichen Präsens“: (Haim Omer, Arist von Schlippe, 2002)
- Elterliche Autorität, die nicht auf Macht, sondern
auf Präsenz beruht - Keine verbale oder physische Gewalt - Keine Beleidigungen, Demütigungen
De- eskalation
- gewaltloser Widerstand im Bewusstsein, als Vater oder Mutter wieder im Zentrum der Familie zu stehen.
⇒ hohe Entschlossenheit u. Hartnäckigkeit gegenüber aggressiv gestellten Forderungen
De- eskalation
- Verzicht auf elterliche Predigen- „parental nattering“,Ermahnungen, Erklärungen, Bitten
- Änderung der Reaktionen z.B. Schweigen statt
„mehr desselben“ - Auseinandersetzungen nicht in einer Eskalation
Hier geht der pers. Schutz der Eltern vor.
De- eskalation
Eltern vermitteln ihrem Kind:
- Ihre Entschiedenheit, die bisherigen Verhaltensweisen nicht mehr so hinzunehmen, betonen aber auch, dass sie eine bessere Beziehung möchten:
- konkret ⇒ sich nicht hineinziehen lassen, Provokationen widerstehen
Interventionen
- „System der Wertschätzung“ – nicht als Belohnung, sondern als „normale“ Handlungen (z.B. Kinobesuch)
- Herstellung von Offenheit: - Information von guten Bekannten/Verwandten -
Aktivierung von Unterstützern
De- eskalation
- Räumliche Trennung (stationäre Unterbringung in Einrichtungen der
Jugendhilfe, Kinder – und Jugendpsychiatrie, Ausschluss aus der Wohnung etc. )
=>nur effektiv, wenn gleichzeitig eine neue Beziehungsrealität aufgebaut wird
Authentische Elternschaft
„Erziehung ist Beziehung“ –
- Begegnung „auf gleicher Augenhöhe“, - gleichwertige, gleichwürdige Beziehung,
aber der Erwachsene trägt die Verantwortung,
wie er Kinder in die Welt einführt
Authentische Elternschaft
Eltern benötigen: - Klarheit an Absichten,
Überzeugungen - „Sicherheit in sich“ - Nichtverzweifeln - Selbstkontrolle - Solidarität - Gelassenheit
Authentische Elternschaft
„Und bist du nicht willig, so brauch ich Geduld“ (Bongers, Körner 1996)
Authentische Elternschaft
Kinder/ Jugendliche benötigen: - Elterliche Präsens: „wachsame Aufmerksamkeit - wachsame Sorge“ und Zeit ⇒ sichere Bindungen - Respekt, Wertschätzung, Empathie ⇒ Selbstwerterleben
Authentische Elternschaft
- Interesse, Neugier am eigenständigen Handeln
des Kindes, Abenteuer ⇒ Lustgewinn - Vorleben von Strukturen, Regeln,
Glaubwürdigkeit, Verlässlichkeit ⇒ Orientierung
„Tyrannosaurus Kids“
Vielen Dank fürs Zuhören !
Quellen
Omer, H., von Schlippe, A. : „Autorität ohne Gewalt“, Göttingen 2002. Omer, H.; von Schlippe, A. : „Elterliche Autorität und Bindung“ aus
„Systemische Horizonte“, Schindler, H. / Loth, W. (Hrsg.) Göttingen 2011.
Rotthaus, Wilhelm: „Familiäre Gewalt, die von den Kindern ausgeht..“ aus Zeitschrift „KONTEXT“, Band 37,03/2006.
Rotthaus, Wilhelm: „Authentische Elternschaft“ aus „Systemische Horizonte“, Schindler, H./ Loth,W. (Hrsg.) Göttingen 2011.
Schweizer, J., von Schlippe, A.: „Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II“. Göttingen 2009
Stierlin, H. : „Eltern und Kinder“ Ffm 1980.
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