alfred reiman - verwöhnt euch - satzfertige fassung 020513ag

66
Alfred Reimann Verwöhnt euch! Wirtschaft + Wohlbefinden = Wohlfühlökonomie

Upload: dpgon

Post on 02-Dec-2015

22 views

Category:

Documents


1 download

TRANSCRIPT

Page 1: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann

Verwöhnt euch!

Wirtschaft + Wohlbefinden = Wohlfühlökonomie

Page 2: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 1

Inhalt

Zum Start .......................................................................................... 2

Die offene Frage ................................................................................ 3

Die scheinbare Antwort .................................................................... 5

Wohlstand ist nicht gleich Wohlbefinden ........................................ 7

Ein neues Verständnis von Wirtschaft ............................................. 9

Unser Handlungsmotiv .................................................................. 10

Von Wert, Mehrwert und Preis ...................................................... 13

Eine neue Arbeitswerttheorie ......................................................... 18

Wohlfühl-Handlungstheorie .......................................................... 20

Bewussteres Handeln ..................................................................... 28

Fremdbestimmtes Handeln ........................................................... 30

Befreiung......................................................................................... 34

Wie wir glücklich werden ............................................................... 38

Von der Schwierigkeit, Gutes zu tun .............................................. 43

Gemeinwohl steigern ...................................................................... 44

Freitausch erhöht das Gemeinwohl ............................................... 48

Entspannt euch ................................................................................ 51

Verwöhnt euch – jetzt! ................................................................... 62

Danke .............................................................................................. 64

Über mich ....................................................................................... 64

Zum Weiterlesen ............................................................................ 65

Page 3: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 2

Zum Start

Nicht die Knappheit der Ressourcen, sondern die Vorfreude moti-

viert uns zum Handeln. Nicht die Begrenztheit der Dinge, sondern

die Begrenzung unserer Bedürfnisse treibt uns zur Tat. Und der Wert

eines Gutes bemisst sich allein am subjektiven Empfinden.

Kann es sein, dass wir einem Irrtum aufgesessen sind, der durch die

klassischen ökonomischen Theorien geprägt worden ist? Haben wir

durch den konzentrierten Blick auf die Mehrung des Wohlstandes die

Mehrung unseres Wohlbefindens vergessen?

Die Frage der Wirtschaftswissenschaften, wie das menschliche Zu-

sammenleben zu gestalten sei, um dem Wohl aller zu dienen, ist bis

heute unbeantwortet geblieben. Auch die freie Marktwirtschaft hat

ihr Versprechen, das Wohl aller zu gewährleisten, bislang nicht ein-

gelöst. Nicht nur angesichts der zusammengebrochenen Finanzmärk-

te ist ein Paradigmenwechsel in der Ökonomie überfällig.

Die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen, zu er-

kennen, dass wir innerhalb der gegebenen Begrenzungen gewählt

haben, was wir tun, befreit uns vom Gefühl der Fremdbestimmung

und erhöht damit unsere Selbstwirksamkeit. Lasst uns wählen, was

uns und andere glücklich macht!

Dieser Essay, der sich an Ökonomen ebenso wie an alle anderen Inte-

ressierten richtet, stellt viele alte Wirtschaftstheorien in Frage. Als

eine Mischung aus Wirtschaftstheorie und philosophischem Glücks-

ratgeber will er Menschen helfen, ihr Leben glücklicher zu gestalten.

Page 4: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 3

Wie schaffen wir es, glücklicher zu werden? Wie gelingt es uns, das

Gemeinwohl zu erhöhen? Und wie muss eine Wirtschaftstheorie aus-

sehen, die das Fundament dazu bietet? Um diese Fragen geht es in

dem vorliegenden Essay. Manche Antwort und Anregung, die auf den

ersten Blick selbstverständlich scheint, erweist sich bei näherem Hin-

sehen als große Herausforderung.

Die offene Frage

Alle bisherigen Wirtschaftstheorien basieren auf der Behauptung,

dass Menschen wirtschaften, um angesichts knapper Ressourcen ihre

unendlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Seit es überhaupt Wirt-

schaftstheorie gibt, gilt diese Annahme als unzweifelhaft. Wir haben

Hunger und wünschen uns einen gedeckten Tisch. Wir wollen schla-

fen und sehnen uns nach einem warmen Bett. Lange Zeit blieben die-

se Wünsche für viele Menschen – auch in Westeuropa und den USA

– unerfüllt.

Ökonomen wie Adam Smith und David Ricardo beschäftigten sich

daher im 18. und frühen 19. Jahrhundert vornehmlich mit dem Prob-

lem der (fehlenden) materiellen Güter. Der materielle Mangel war

allgegenwärtig und somit eine scheinbar selbstverständliche Grund-

lage der ersten neuzeitlichen Wirtschaftstheorien. Daraus wurde

schließlich die ökonomische Kernprämisse abgeleitet, dass Menschen

aufgrund knapper Ressourcen „wirtschaften“, also arbeiten, produ-

zieren, Geld gegen Güter tauschen und umgekehrt.

Im Weltmaßstab betrachtet leidet noch immer ein Großteil der Men-

schen unter Mangel an Nahrung, Wohnung und Medikamenten. Die

Page 5: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 4

Prämisse der herkömmlichen Wirtschaftstheorien scheint daher auf

den ersten Blick weiterhin stimmig. Auch in den westlichen Ländern

sind die Bedürfnisse der Menschen wohl noch lange nicht befriedigt.

Menschen streben offenbar nach dem, was ihnen fehlt, weil es fehlt.

Wie würde ein Leben im Überfluss aussehen? Das Motiv des Schla-

raffenlandes, in dem Milch und Honig fließen, lässt sich bis in die

Antike zurückverfolgen. Im Schlaraffenland ist jeder Mangel über-

wunden. Die Schlaraffen sind träge, das Ende des Wirtschaftens ist

dort gekommen. Das Schlaraffenland ist das Bild des Müßiggangs

schlechthin und entstand als Gegenentwurf zur harten Realität, in

der die Menschen oft genug selbst das Nötigste entbehrten.

Heute jedoch lebt die große Mehrheit der Menschen in den Wohl-

standszonen der Erde in materiellem Überfluss. Zumindest theore-

tisch ist der materielle Mangel in Mitteleuropa, Japan oder

Nordamerika nicht anders als im Schlaraffenland überwunden. Tat-

sächlich wird sogar jedes Jahr eine kaum glaubliche Menge an Nah-

rungsmitteln vernichtet, weil sie auf dem Markt überflüssig war.

Durch ausgeklügelte Werbestrategien versucht man, die Menschen

zu noch mehr Konsum zu bewegen. Objektiv gesehen leben wir heute

keineswegs mehr in Mangelzuständen, sondern im Überfluss.

Wer genauer hinschaut, muss also erkennen: Die Annahme knapper

Ressourcen reicht nicht mehr aus, um (wirtschaftliches) Handeln zu

erklären. Das ist ähnlich wie mit Newtons Gesetzen, die zwar für viele

Situationen die physikalischen Zusammenhänge zutreffend beschrei-

ben, aber nicht allgemeingültig sind: Der Mangel an etwas kann uns

dazu bewegen, nach diesen entbehrten Gütern zu streben – doch was

motiviert uns, wenn kein Mangel mehr besteht?

Die Antwort hierauf bleiben die althergebrachten Wirtschaftstheo-

rien größtenteils schuldig. Und wenn sie sich doch an des Rätsels Lö-

Page 6: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 5

sung versuchen, läuft es auf die Unterstellung hinaus, dass unser

Handeln beendet wäre, wenn wir keinen Mangel mehr leiden wür-

den. Entsprechend heißt es im Schlaraffenland-Märchen, dass die

Menschen dort keinen Finger mehr rühren. Sie liegen nur faul im

Gras und lassen sich die gebratenen Tauben in den Mund fliegen.

Diese Annahme ist aber offenkundig falsch. Wir leben hier und heute

in einer Art Schlaraffenland – und doch handeln und wirtschaften

wir weiterhin. Der Wunsch, materiellen Mangel zu überwinden, kann

also nicht der zentrale Beweggrund des wirtschaftlich handelnden

Menschen sein. Die Frage, warum Menschen überhaupt handeln und

wirtschaften, ist ungeklärt.

Die scheinbare Antwort

Diese offene Frage ist innerhalb der Wirtschaftswissenschaften nie

wirklich aufgefallen. Die herkömmliche Ökonomie setzt schlichtweg

voraus, dass hinter jeder Handlung ein Nutzen stehe, und verdeckt so

ihr fundamentales Problem. Sie postuliert, der Mensch sei ein „Homo

oeconomicus“, beseelt von dem nicht weiter hinterfragbaren Drang,

„Nutzen zu maximieren“.

Hat jemand etwas produziert, verkauft, gekauft oder wie auch immer

gewirtschaftet, wird rückblickend eine rationale Begründung für sein

Handeln gesucht. Die Frage, warum wir eine Handlung wählen, wird

stereotyp mit der Unterstellung beantwortet, dass die Handlung uns

einen Nutzen gebracht habe. Worin genau dieser Nutzen besteht,

wird nicht erläutert. Stillschweigend gehen die Theoretiker aber

Page 7: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 6

meist davon aus, dass der Nutzen in der Vermehrung von Gütern be-

stehe, mit denen wir unsere Bedürfnisse befriedigen.

Diese Annahme kann zutreffen, wenn es sich um Güter handelt, an

denen es uns gemangelt hat – wenn ich mir also beispielsweise ein

Auto kaufe, damit ich nicht mehr zu Fuß gehen muss. Wie sieht es

aber aus, wenn ich schon ein Auto besitze und mir ein zweites kaufe?

Dann habe ich mir das zusätzliche Gefährt wohl eher erworben, weil

es mir gefällt – obwohl offensichtlich kein materieller Mangel vorlag.

Wie lässt sich „Nutzen“ überhaupt definieren? Handlungen, durch

die nichts hergestellt oder entwickelt, gekauft oder verkauft wird, gel-

ten in der herkömmlichen Ökonomie wie auch für den Alltagsver-

stand oft allzu schnell als nutzlos. Läuft ein Hamster zum Beispiel in

seinem Rädchen, so scheint diese Handlung ohne jeden Nutzen zu

sein. Wie sähe es aber aus, wenn ein Stromgenerator am Hamsterrad

angeschlossen wäre? Dann könnte man geneigt sein, von einer nütz-

lichen Handlung zu sprechen.

Es bleibt also nebulös, was unter dem Nutzen zu verstehen ist. Man

kann ihn in jede Handlung hinein- und überall wieder herausinter-

pretieren. Diese Lücke im Fundament der Wirtschaftswissenschaften

hat der Nationalökonom Robert Liefmann schon 1916 bemängelt:

Was genau den Wert oder Nutzen eines Gutes ausmacht, so stellte er

fest, sei in der ökonomischen Theorie nirgendwo definiert.

Page 8: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 7

Wohlstand ist nicht

gleich Wohlbefinden

Auch in unserer westlichen Zivilisation herrschte lange Zeit materiel-

le Knappheit. Deshalb streben wir noch heute gewohnheitsmäßig

nach Vermehrung der Güter, obwohl wir bereits im Überfluss leben.

Dieses Verhalten ist auch genetisch beeinflusst: Obwohl wir genug

haben, wollen wir oftmals noch mehr. Den Sinn unseres Handelns

hinterfragen wir dabei nur selten.

Menschen streben nach Wohlbefinden: Das ist wahrlich keine neue

Erkenntnis. Eher ist es tragisch zu nennen, dass diese banale Tatsa-

che im Lauf der Zeit vergessen und Wohlbefinden mit Wohlstand

verwechselt wurde. Dabei leitet sich der „Wohlstand“ vom „Wohlbe-

finden“ ab – und nicht etwa umgekehrt: Wohlstand ist gleichsam das

zum Zustand gewordene Wohlbefinden. In der Praxis aber zeigt sich,

dass materieller Wohlstand nur selten ein geeignetes Mittel ist, um

dauerhaftes Wohlbefinden zu erlangen.

Internationale Studien belegen, dass Deutschland bei der Wirt-

schaftsleistung zwar immer noch Spitzenplätze belegt, wenn man das

Bruttosozialprodukt als Messgröße heranzieht. Hingegen landet es

regelmäßig auf den hinteren Plätzen, wenn nach der Zufriedenheit

der Bürger gefragt wird. Dieses scheinbar paradoxe Ergebnis hat

Verwunderung ausgelöst – nicht nur bei Vertretern der herkömmli-

chen Ökonomie. Schließlich haben wir uns daran gewöhnt zu glau-

ben, dass mehr Wohlstand mehr Wohlbefinden erzeuge.

Spätestens seit den 1950er-Jahren wurde in der westlichen Welt eine

kollektive Erwartung aufgebaut: Die Mehrung von Geld und Besitz-

tümern macht ganz automatisch immer glücklicher. Was in den Auf-

Page 9: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 8

schwungsjahren nach dem Zweiten Weltkrieg plausibel schien, leuch-

tet aber heute nicht mehr ein. Etliche Studien belegen im Gegenteil,

dass Wohlstand und Zufriedenheit nicht notwendig miteinander zu-

sammenhängen. Wir alle haben unser Handeln so lange auf die Meh-

rung des Wohlstandes fokussiert, dass wir unser eigentliches Ziel

vergessen haben: unser Wohlbefinden zu steigern.

Statt den Menschen in seinen Grundmotiven zu begreifen, legt die

bisherige Wirtschaftstheorie das Augenmerk auf Konsum und Pro-

duktionsprozesse, den Gütertausch auf Märkten und die Erzielung

von Geldgewinn – so als wären diese Mittel der wesentliche Hand-

lungszweck. Es mutet seltsam an, dass hochkarätige Wissenschaftler

erst heute die Frage umtreibt, was Menschen wirklich motiviert. So

will Dennis Snower, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirt-

schaft, nun in einem groß angelegten Projekt dieser Frage nachgehen,

um die wirtschaftliche Entwicklung besser erklären zu können.

Das Königreich Bhutan ist da schon weiter: Das südasiatische Land

hat dem Bruttosozialprodukt ein Brutto-Glücks-Produkt entgegenge-

setzt. Die Begründung trifft die herkömmliche Ökonomie ins Mark:

Nicht allein anhand der materiellen Gütermenge lasse sich messen,

was Reichtum ist und was unser Zusammenleben besser macht. Die

Maximierung von Geld, Gütern und Leistung kann immer nur Mittel

zur Optimierung des menschlichen Wohlbefindens sein. Und auch in

dieser dienenden Rolle ist sie weder das einzige Mittel noch unter al-

len Umständen wirksam.

Den Begriff „Wohlfühlökonomie“ habe ich geprägt, um genau dieser

Tatsache wieder Geltung zu verschaffen. Wir müssen Zweck und Mit-

tel klar und bewusst voneinander unterscheiden, damit wir glück-

bringend handeln können. Die Wirtschaftswissenschaft muss an

verloren gegangenes Wissen erinnert werden. Und sie muss etwas

Page 10: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 9

anderes in den Mittelpunkt stellen als Güter, Geld und Produktion.

Im Zentrum einer angemessenen ökonomischen Theorie muss der

Mensch mit seinem Bedürfnis nach Wohlbefinden und seiner Glücks-

sehnsucht stehen. Zu Wohlbefinden und Glück führen unterschiedli-

che Wege. Güter und Dienstleistungen können dazu beitragen, aber

keineswegs sie allein.

Ein neues Verständnis von Wirtschaft

Da das Ziel der Ökonomie nicht länger ausschließlich in der Mehrung

materieller Güter liegen kann, muss der Geltungsbereich der Öko-

nomie entsprechend ausgedehnt werden. Wir verwenden hier also

einen völlig neuen und erweiterten Begriff von Wirtschaft.

Alles, was wir tun, kann als ökonomisches Handeln verstanden wer-

den. Schließlich geht es bei allen unseren Handlungen um das Stre-

ben nach Wohlbefinden. Nicht nur wenn wir ein Auto kaufen oder

Brot verkaufen, sondern auch wenn wir ein Lächeln schenken oder

einen Rat erteilen, verfolgen wir diesen Zweck. Wir machen Angebote

und hoffen auf Nachfrage. Wir geben etwas und hoffen auf Annahme.

Das gilt ebenso für die von uns hergestellten Güter wie für unsere

Aufmerksamkeit oder unsere Bereitschaft, jemandem Gesellschaft zu

leisten und mit ihm zu sprechen. Die Unterscheidung in wirtschaftli-

ches und sonstiges Handeln ist künstlich und verdeckt, dass das

Grundmotiv immer dasselbe ist – ganz egal, ob wir es ökonomisch

oder sozial, politisch oder religiös nennen.

Durch die Wohlfühltheorie wird Wirtschaft aus ihrer Fokussierung

auf materielle Güter befreit. Innerhalb der Ökonomie kommt der

Page 11: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 10

Mensch somit zum ersten Mal als ganzer in den Blick. Schenken,

Ethik und Moral, Kooperation und Respekt – das alles gehört zur

Wohlfühlökonomie.

Wir reduzieren also menschliches Handeln nicht etwa „neoliberal“

auf wirtschaftliches Handeln, wie ein flüchtiger Leser glauben könn-

te. Im Gegenteil wird die Ökonomie hier auf alle menschlichen Hand-

lungen ausgedehnt, weil Motiv und Wirkung immer gleich sind.

Unser Handlungsmotiv

Natürlich ist auch der herkömmlichen Wirtschaftstheorie nicht ver-

borgen geblieben, dass Konsum dem Konsumenten keinen dauerhaf-

ten Nutzen bringt. Es entspricht unserem alltäglichen Erleben, dass

einzelne Handlungen nicht unendliche Freude bereiten. Wenn ein

Bedürfnis gestillt ist, vergeht auch die Freude am Konsum. Das Essen

schmeckt am besten, wenn man Hunger hat. Schlaf ist nur erholsam,

solange wir müde sind. Die Handlungsfreude sinkt bei fortlaufender

Bedürfnisbefriedigung. Im Gegenteil kann die Handlung sogar ins

Leiden führen, wenn wir sie immer weiter ausführen: Es geht uns

nicht gut, wenn wir zu viel gegessen haben. Wir werden schlapp und

dösig, wenn wir zu viel schlafen. Wollen wir unser Wohlbefinden er-

halten, müssen wir also jeweils neue Handlungen wählen.

In die Wirtschaftstheorie fand diese Erkenntnis durch Hermann

Heinrich Gossen Eingang und wurde im später nach ihm benannten

Gossen‘schen Gesetz festgehalten, der sogenannten Grenznutzenthe-

orie. Sie besagt, dass der Genuss bei jeder weiteren Konsumeinheit

sinkt, bis Sättigung eintritt.

Page 12: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 11

Selbst wenn Güter also in unendlicher Menge vorhanden wären oder

sind, hindert uns unsere eingeschränkte Bedürfnisstruktur daran,

unser Wohlbefinden durch Konsum unendlich zu steigern. Zwar

können unendlich viele Bedürfnisse neu auftreten, doch praktisch

sind die einzelnen Bedürfnisse begrenzt. Wir müssen unsere jeweilige

Handlung folglich beenden und uns einer neuen Tätigkeit zuwenden.

Das Schlaraffenland ist daher entgegen landläufiger Ansicht kein Ort

des Glücks. Auch wenn es dort unendlich viele materielle Güter gibt,

könnten die Bewohner allein dadurch kein dauerhaftes Wohlbefin-

den erreichen. Ob im Schlaraffenland oder in der realen Welt: Ein

Gewinn an Wohlbefinden lässt sich durch Konsum nur kurzzeitig er-

zielen. Die einzelnen Bedürfnisse sind nun einmal begrenzt! Sehr

bald würde das gebratene Geflügel, das den Schlaraffen eins nach

dem anderen in den Mund fliegen will, nur noch Ekel erregen. Wenn

wir nach Befriedigung unseres Hungergefühls weiterhin unser Wohl-

befinden erhalten wollen, müssen wir nicht nur aufhören zu essen,

sondern auch eine neue Handlung wählen.

Angenommen, im Schlaraffenland wären nicht nur Speisen und Ge-

tränke, sondern alle erdenklichen Güter unendlich vorhanden:

Dadurch würde es nicht gerade einfacher, eine Handlung zu wählen,

die tatsächlich unser Wohlbefinden mehrt. Schon heute sind wir oft-

mals durch die Vielfalt des Konsumangebots überfordert. Man kann

davon ausgehen, dass Menschen einen Zustand bloßen Dauerkon-

sums nicht lange ertragen und sich neue Betätigungsfelder suchen.

Glücklicherweise bietet sich neben dem Konsumieren auch das Pro-

duzieren als Handlungsoption an. Wir würden also auch im Schlaraf-

fenland weiter wirtschaften, d. h. Entscheidungen treffen, handeln

und nach Wohlbefinden streben – wenngleich die herkömmliche

Page 13: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 12

Wirtschaftstheorie nicht beantworten kann, was uns unter Überfluss-

Bedingungen zum Handeln motiviert.

Wenn im Schlaraffenland überhaupt noch ein Mangel herrscht, dann

würde dieser rein subjektiv empfunden – und ein solches Unbehagen

wäre selbst im Schlaraffenland möglich. Wir können uns heute prob-

lemlos alles beschaffen, was wir brauchen, um unsere Grundbedürf-

nisse zu stillen. Dennoch treibt uns ein subjektives Mangelgefühl, das

natürlich auch durch ausgeklügelte Werbemaßnahmen der Unter-

nehmen geschürt wird. Wiederum ist es das Streben nach Wohlbe-

finden, das uns antreibt, diese zusätzlichen Bedürfnisse zu stillen.

Nur sehr wenige dieser Güter brauchen wir wirklich. Schließlich ha-

ben wir nur zwei Füße, an denen wir nicht hundert Paar Schuhe

gleichzeitig tragen können, und nur einen Bauch für all das Essen,

das sich als Leckerei anbietet.

Jede Wirtschaftstheorie, die objektive Erkenntnisse sucht, hat ein

Problem mit derlei subjektiven Größen. Doch wenn sie die Menschen

und ihr Handeln angemessen erfassen will, kann sie diese emotionale

Dimension nicht ausblenden. In einer Welt des materiellen Überflus-

ses motiviert uns nur noch das subjektive Gefühl eines Mangels zum

Handeln. Der Nutzen unseres Handelns liegt also keineswegs nur in

der Mehrung der Güter. Die historische Knappheit der materiellen

Güter und das Streben der Wirtschaftswissenschaften nach objektiv

messbaren Ergebnissen haben den Blick für eine einfache Tatsache

verstellt: Zuallererst geht es bei jeglichem Handeln darum, das eige-

ne, also das subjektive Wohlbefinden zu steigern.

Dieser fundamentale Sinn und Zweck des Wirtschaftens geriet all-

mählich aus dem Blickfeld und wurde schließlich durch die Mittel –

Güter und Geld – ersetzt. Hinter dem Fetisch namens Wohlstand

steht das Wohlbefinden wie ein Gespenst aus Nebel, und vielen Men-

Page 14: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 13

schen ist nicht mehr bewusst, dass sie nicht handeln, um ihren Wohl-

stand zu mehren, sondern um glücklich zu sein.

Von Wert, Mehrwert und Preis

Der Wert oder Nutzen eines Gutes hängt nach den herkömmlichen

Wirtschaftstheorien von zwei Faktoren ab. Zum einen hat die klassi-

sche ökonomische Theorie aufgrund der knappen Ressourcen gefol-

gert, dass ein Gut durch den Mangel an eben diesem Gut seinen Wert

erhält. Die Theorie des Mehrwerts leitet sich daraus ab: Was selten

ist, ist besonders wertvoll. Zum anderen besagt die Arbeitswerttheo-

rie, dass Wert aus Arbeit entstehe. Durch Arbeit werden schließlich

Werte geschaffen. Auf beide Ansätze soll in diesem Abschnitt einge-

gangen werden.

Je weniger von etwas vorhanden ist, desto wertvoller sei es: Wer

hierbei an Gold oder andere Edelmetalle denkt, wird diese Werttheo-

rie wahrscheinlich einleuchtend finden. Gold ist selten und folglich

wertvoll. Auch Wasser und Nahrungsmittel haben in einigen Erdre-

gionen einen erheblichen Wert, weil sie dort so selten sind. Entspre-

chend sind wir es gewöhnt, dass der Preis für ein Gut steigt, wenn es

nur in geringer Menge vorhanden ist. Aber warum ist das eigentlich

so?

Die klassische Ökonomie hat vergeblich versucht, den Wert von

Tauschgütern objektiv zu bemessen. Bei einem Tauschvorgang wird

materiell nichts vermehrt oder verknappt, sondern nur der Besitzer

gewechselt: Der eine bekommt ein Gut, der andere dafür Geld. Wie

kann durch diesen Tauschakt der Nutzen für die beteiligten Individu-

Page 15: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 14

en steigen? Beide haben einen Gewinn, aber wieso? Das Problem

trieb bereits Adam Smith um. Doch auch der Gründervater der klas-

sischen Ökonomie fand für dieses und andere elementare Marktphä-

nomene letztlich nur eine Antwort, die mehr mystifiziert als erklärt:

die berühmt-berüchtigte „unsichtbare Hand des Marktes“. Als gläu-

biger Christ und Moralphilosoph sah Adam Smith hierin einen Got-

tesbeweis. Die Wohlfühltheorie hat eine einfachere Erklärung

anzubieten.

Die Knappheit eines Gutes allein kann unmöglich dessen Wert erklä-

ren. Sonst wäre ja alles, was besonders selten vorkommt, auch be-

sonders wertvoll. Tatsächlich gibt es aber viele Güter, die für

niemanden einen Wert besitzen und die niemand haben möchte, ob-

wohl sie knapp sind – zum Beispiel mein erster Schulaufsatz oder das

erste Bild, das ich im Kindergarten gemalt habe. Alles, was existiert,

ist einzigartig, auch wenn wir das mit unserer begrenzten Wahrneh-

mung nicht erfassen können. Knappheit kann also höchstens ein

notwendiges, aber kein hinreichendes Kriterium für den Wert eines

Gutes sein.

Offenbar haben Güter aber auch keinen objektiven Wert. Sonst müss-

te der Wert eines Gutes ja zunehmen, je mehr davon vorhanden ist.

Was einmal gut ist, müsste verdoppelt doch zweifach gut sein. Wie

kann der Wert von etwas dadurch abnehmen, dass es in immer grö-

ßerer Menge hergestellt wird? Läge der Wert in der Sache selbst,

müsste durch Vervielfältigung der Sache auch der Wert analog wach-

sen.

Bekanntlich versuchten die Alchemisten in früheren Zeiten, Gold

künstlich zu erschaffen. Besäßen Güter einen objektiven Wert, so wä-

re der Alchemist, dem dies gelungen wäre, gleichmäßig immer rei-

cher geworden, indem er Tiegel um Tiegel voller Gold hergestellt

Page 16: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 15

hätte. Doch diese Annahme trifft offenkundig nicht zu. Das erkann-

ten bereits die Klassiker der Ökonomie. Mit Gossens Grenznutzen-

theorie aus dem Jahr 1854 (die erst später unter diesem Namen

bekannt wurde) ließ sich das Phänomen zumindest beschreiben,

wenn auch nicht erklären. Warum sinkt der Wert eines Gutes mit je-

der weiteren Einheit gegenüber der vorherigen Einheit? Da sie an der

Annahme eines objektiven Wertmaßstabs festhielten, konnten sie

dieses Rätsel nicht lösen. Denn die Unterstellung, dass jedes Gut ei-

nen objektiven Wert besitze, der sich in Geld oder Materie ausdrü-

cken lasse, ist schlichtweg falsch.

Wenn sich der Wert eines Gutes aber weder durch seine Knappheit

noch durch einen objektiven Maßstab bemessen lässt – was bleibt

dann noch übrig? Wie bereits festgestellt, verliert jede Handlung mit

zunehmender Dauer für das Individuum an Wert, einfach weil sein

Bedürfnis gestillt ist. Ob wir essen oder trinken, schlafen, sprechen

oder Sex haben: Jedes Bedürfnis ist begrenzt und macht nur so lange

Freude, bis es erfüllt ist.

Genauso verhält es sich mit Gütern und Leistungen, die wir kaufen

oder in Anspruch nehmen: Der Nutzen eines Gutes oder einer Leis-

tung nimmt mit jeder weiteren Einheit des Konsums oder der Inan-

spruchnahme ab.

Da wir permanent Handlungen wählen, müssen wir über einen inne-

ren Maßstab verfügen, an dem sich unser Handeln ausrichtet. Auf

der Suche nach einer objektiven Grundlage wurde genau dieser Maß-

stab bisher von allen Wirtschaftstheoretikern übersehen. Es ist die

erwartete Handlungsfreude, die – meist unbewusst – in uns vorhan-

den ist. Der Nutzen und Wert eines Gutes besteht demnach in der

Genusserwartung, also in der Vorfreude auf Wohlbefinden im weites-

ten Sinn. Sie ist der Maßstab, der bisher in der Ökonomie nicht be-

Page 17: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 16

nannt und beachtet wurde, da er subjektiv und somit wissenschaft-

lich nur schwer zu erfassen ist.

Die Folgen für die ökonomische Theorie und Terminologie sind tief-

greifend: Der Wert eines jeden Gutes bemisst sich allein durch unser

Bedürfnis – unabhängig davon, ob dieses Gut im Überfluss oder

mangelhaft zur Verfügung steht. Mehrwert und Wert sind rein sub-

jektive Größen. Unabhängig vom Empfinden des jeweils urteilenden

und handelnden Subjektes gibt es keinen Wert. Dazu passt eine Ge-

schichte aus Arabien: Ein ausgehungerter Mann findet in der Wüste

einen kleinen Beutel voll rundlicher Gegenstände. „Hoffentlich sind

es Nüsse“, denkt er, öffnet den Beutel und ist bitter enttäuscht: „Ach,

es sind nur Perlen!“ So wie der Mann in der Wüste messen wir alle

den Wert eines jeden Gutes allein mit dem subjektiven Maßstab, der

in uns liegt und uns jederzeit verfügbar ist.

Stellen wir uns eine kleine Gruppe vor, die in einem Raum einge-

sperrt ist. Nur eine Person hat eine Flasche Wasser dabei. Während

die Flasche beim Kauf vielleicht 70 Cent gekostet hat, steigt ihr Wert

im Lauf des Tages zweifellos. Natürlich liegt das an der Knappheit

des Wassers – dem Mangel aus der subjektiven Perspektive der Durs-

tigen. Das erwartete Wohlbefinden, wenn sie etwas vom Wasser trin-

ken könnten, steigt mit jeder Stunde. Entsprechend steigt der Preis,

den die Dürstenden bereit wären, für die Flasche Wasser zu bezahlen.

Das Beispiel macht erneut deutlich, dass der Wert eines Gutes nicht

„objektiv“ gegeben ist, sondern durch die subjektiven Erwartungen

der beteiligten Personen definiert wird. Zwischen Wert und Preis

wiederum besteht ein enger Zusammenhang. Aber identisch sind sie

keineswegs.

Der Wert eines Gutes oder einer Leistung ist der interne, subjektive

Maßstab und folgt aus der vom jeweiligen Individuum erwarteten

Page 18: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 17

Handlungsfreude. Der Preis, über den verhandelt wird, ist dagegen

der externe Maßstab für ein Gut. „Extern“ bedeutet aber keineswegs

„objektiv“: Der Preis kann nur aufgrund der subjektiven Bewertun-

gen der beteiligten Akteure festgelegt werden. So kann ein Verkäufer

zwar einen Wunschpreis für seine Ware oder seine Leistung verlan-

gen, letztlich entscheidet aber auch der Käufer, ob das Angebot die-

sen Preis wert ist. Im Preis drückt sich also der Wert aus, den der

Käufer einem Produkt zumisst.

Sowenig wie das Gut selbst hat auch das Produzieren von Gütern ei-

nen „objektiven“ Wert. Bezeichnenderweise sprechen wir von „Gü-

tern“, was die Bewertung als „gut“ schon impliziert. Zunächst einmal

werden einfach – und wertneutral – „Produkte“ hergestellt. Zu „Gü-

tern“, die für jemanden „gut“ sind, werden sie nur dann, wenn Men-

schen diese Produkte haben möchten. Mehrwert entsteht somit nicht

aus Mehr-Produktion, sondern aus der Produktion von Mehr-

Wohlbefinden, das durch die erworbenen Produkte erzielt werden

kann, aber nicht muss. Die klassische Gleichung „Mehrwert = Schaf-

fung von Überschuss“ reicht hier zur Erklärung so wenig aus wie die

Vorstellung, dass Knappheit allein Wert erzeuge. Überschuss kann zu

Mehrwert führen. Das geschieht aber keineswegs zwangsläufig.

Auch der Begriff des Mehrwerts wurde in der ökonomischen Theorie

bisher nur auf Güter und Geld bezogen. In der Wohlfühlökonomie

wird er gleichfalls in eine höhere Dimension erhoben, nämlich auf die

Gefühlsebene der Menschen, und in einem neuartigen Zusammen-

hang verwendet. Ohne subjektives Wertempfinden hat nichts einen

Wert. Den erhält jede Sache erst dadurch, dass ein Subjekt ihr einen

Wert zuschreibt. Deshalb ist auch Effizienz niemals das Gleiche wie

Mehrwert. Wenn (etwa in einer Planwirtschaft) die Effizienz bei der

Herstellung überflüssiger Produkte gesteigert wird, so ist das völlig

Page 19: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 18

wertlos. Auch wird durch effizientere Produktion von Nahrungsmit-

teln ganz gewiss kein Mehrwert geschaffen, wenn (etwa in unserer

heutigen Überflussgesellschaft) lediglich die Menge der täglich ver-

nichteten Lebensmittel steigt.

Entscheidend ist hier immer die Frage, für wen die jeweils hergestell-

ten Produkte zu „Gütern“ werden sollen und können. Setzt man da-

gegen Effizienz bzw. die Erzeugung von Überschuss mit der

Schaffung von Mehrwert gleich, so droht der Sinn und Zweck des

Produzierens verlorenzugehen. Im ganz großen Maßstab geschieht

das, wenn wir mit dem „Bruttosozialprodukt“ (Bruttonationalein-

kommen) alle wirtschaftlichen Leistungen messen, auch wenn sie

überflüssig oder sinnlos sind. Was messen wir da eigentlich? Das

Wohlbefinden der Menschen bestimmt nicht.

Eine neue Arbeitswerttheorie

Es trifft zu, dass alle Leistungen und Güter aus Arbeit resultieren.

Deren Wert aber liegt, wie eben erläutert, allein im Subjekt und lässt

sich nicht objektiv bestimmen. Deshalb resultiert – genau anders-

herum als von Adam Smith und Karl Marx postuliert – alle Arbeit aus

Wert!

Was heißt das? Arbeit ist, wie jede Form menschlicher Handlung, ei-

ne Folge der persönlichen Entscheidung, und die wird allein durch

subjektive Wertmaßstäbe und Erwartungen bestimmt. Diese Sicht-

weise ist neuartig und mag zunächst gewöhnungsbedürftig sein.

Deshalb noch einmal zur Erinnerung: Auf der gesellschaftlichen

Ebene gibt es keinen „Wert“, sondern lediglich Handlungen. Aus

Page 20: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 19

Handlungen resultieren Leistung, Produkte, Geld, Preise und Kredit,

aber kein Wert. Der besteht allein im Subjekt, und zwar als Gewinn

an erwarteter Handlungsfreude, genauer, als Gewinn an Vorfreude

auf Erbringung, Tausch und Konsum von Leistungen und Gütern zur

Steigerung von Wohlbefinden, Zufriedenheit und Glück.

Arbeit ist die Folge einer subjektiven Handlungswahl und resultiert

eben deshalb aus dem Wert, den ich ihr zumesse. Wenn ich eine Tä-

tigkeit für wertlos halte, werde ich gar nicht erst tätig. Umgekehrt ar-

beite ich, weil ich mir (und sei es auch nur indirekt) etwas davon

verspreche. Ich veredele Materie, weil ich gelernt habe, dass sie

dadurch nützlicher oder angenehmer wird. Zum Beispiel kann ich

mir die Mühe machen, einen Fisch zu fangen und selbst zuzuberei-

ten, weil ich mir ausmale, dass dies ein besonderer Genuss sein wird.

Der Wert der Arbeit existiert also schon vor der Tätigkeit: in der Er-

wartung und dem Empfinden einer Person und nirgendwo sonst.

Das, was durch die Arbeit erschaffen wird, ist ein Produkt, das einen

Wert haben kann. Aber das Produkt hat nicht zwangsläufig dadurch

einen Wert, dass es hergestellt wurde. Es kann sein, dass ich das

Fischgericht versalze oder feststelle, dass mir der Geschmack nicht

zusagt.

Das Produkt jeder Arbeit hat nur dann einen Wert, wenn eine Person

ihr einen Wert zuschreibt. Der Wert folgt also nicht aus der Arbeit,

sondern aus der subjektiven Zuschreibung. Und diese Zuschreibung

geschieht, bevor ich die Arbeit aufnehme, und danach möglicher-

weise in Bezug auf das Produkt. Aber durch die Arbeit entsteht der

Wert weder berechenbar noch zwangsläufig.

Deshalb müssen wir die Grundformel der Arbeitswerttheorie umdre-

hen. Menschen können sich aus vielfältigen Gründen für Tätigkeiten

entscheiden. Der Wert eines Produktes lässt sich niemals aus der Ar-

Page 21: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 20

beit errechnen, die zur Herstellung nötig war. Denn Arbeit entsteht

aus Wert(-zuschreibung) und nicht umgekehrt.

Wohlfühl-Handlungstheorie

Nach Paul Watzlawick kann man „nicht nicht kommunizieren“. Ent-

sprechend gilt: Solange wir leben, ist es uns nicht möglich, nicht zu

handeln. Schon im Mutterleib müssen wir wählen und handeln, und

dieser Notwendigkeit entgehen wir nicht bis zum Tod. Als Lebewesen

können wir nur so existieren und den permanenten Veränderungen

unserer Innen- und Umwelt gerecht werden.

Da wir unaufhörlich wählen und handeln müssen, sollten wir versu-

chen herauszufinden, welche Handlungen uns glücklicher machen als

andere. Schließlich müssen wir selbst die Konsequenzen unseres

Handelns und Wirtschaftens tragen. Mögen wir die Schuld auch ei-

nem anderen zusprechen, die Folgen unserer Taten betreffen uns

selbst.

Die bei vielen Ökonomen so beliebte Unterscheidung zwischen „pro-

duktivem und konsumtivem Handeln“ führt also in die Irre. Wir

handeln in jedem Augenblick unseres Lebens produktiv und kon-

sumtiv. Entscheidend ist vielmehr, wie viel Gewinn an guten Gefüh-

len wir durch unsere Wahl und Tat erzielen und anderen fühlenden

Lebewesen ermöglichen. Auch manche andere Unterscheidungen der

herkömmlichen Ökonomie greifen zu kurz oder verdecken mehr, als

sie erklären. Das gilt auch für „Angebot und Nachfrage“. Es gibt we-

der ein Angebot ohne Nachfrage noch eine Nachfrage ohne Angebot.

Page 22: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 21

Wie siamesische Zwillinge können beide in Wirklichkeit immer nur

gemeinsam auftreten.

Nach dem Konzept der klassischen Wirtschaftstheorie wählt der

„Homo oeconomicus“ rational, bewusst und beinahe allwissend seine

Handlungen. Doch diese Kunstfigur hat mit der menschlichen Reali-

tät wenig zu tun. In jedem Augenblick wählen wir Handlungen und

führen Handlungen aus – und je nach Person und Situation ist es bis

zu 95 Prozent unser Unterbewusstsein, das sie wählt und ausführt.

Der Umfang, in dem wir unser Unterbewusstsein dabei unterstützen,

schwankt fortlaufend und ist bei jedem Menschen unterschiedlich

groß. Unser Wissen und Können sind eben genauso begrenzt wie un-

sere Ressourcen und unsere Wahrnehmung, die – wie ein Bühnen-

Spotlight – immer nur auf einen Ausschnitt der Welt fokussiert sein

kann.

Die herkömmliche Ökonomie befasst sich nicht mit den tatsächlichen

Gegebenheiten, sondern mit den Wirkungen, die nach ihrer Theorie

zu erwarten sind. Dadurch wurden wesentliche Zusammenhänge

übersehen und falsche Schlüsse gezogen, was die Erklärung von

Handlungen und deren Nutzen betrifft. So entstand das Konstrukt

des Homo oeconomicus, das die emotionale Seite des Menschen und

den Einfluss des Unterbewusstseinsweitgehend ignoriert.

Wenn wir uns selbst und unser Handeln besser verstehen wollen,

sollten wir jedoch lieber den Tatsachen ins Auge sehen: Wir sind

nicht allwissend, wir handeln nicht ausschließlich rational und kei-

neswegs immer bewusst. Vielmehr läuft in uns – meistens unbewusst

– in jedem Augenblick dieser Prozess ab:

Wahrnehmenbewerten erwartenwählenhandeln

Page 23: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 22

Beginnen wir bei der Wahrnehmung, die der Entscheidung zu ei-

ner Handlung vorausgeht. Schon sie ist stark durch verschiedene

fundamentale Einflussgrößen geprägt: die Persönlichkeit des Wahr-

nehmenden, Erfahrungen aus seiner Vergangenheit und nicht zuletzt

das evolutionäre Erbe unserer Spezies. Das Bild, das wir uns von un-

serer Umwelt machen, ist niemals vollständig und objektiv. Bei der

Menge an Reizen, die in jedem Bruchteil einer Sekunde auf uns ein-

strömen, müssen wir die Flut der Eindrücke sinnvoll begrenzen, um

handlungsfähig zu sein. Diese Selektion übernimmt unser Gehirn

ohne unser bewusstes Zutun, sie verläuft so automatisch und unbe-

wusst wie meistens auch unser Atmen oder unser Herzschlag.

Die Evolution hat uns im Laufe der Jahrtausende so geprägt, dass wir

eher auf negative als auf positive Reize aufmerksam werden. Wer im

Pleistozän auf angreifende Säbelzahntiger achtete, hatte eine deutlich

bessere Überlebenschance als sein Stammesgenosse, der selbstver-

gessen dem Vogelgesang lauschte. Wer rechtzeitig Gefahren wahr-

nahm, konnte ihnen entfliehen und seine Gene an die Nachkommen

weitergeben, der Freund des Schönen dagegen wurde gefressen.

Diese Art der Wahrnehmung, die in evolutionärer Vergangenheit von

Vorteil war, verleitet uns heute dazu, die Dinge oftmals zu negativ zu

sehen. Anstatt uns zu freuen, dass wir die Hälfte des Urlaubs noch

vor uns haben, ärgern wir uns, dass er zur Hälfte schon wieder vorbei

ist. Was nicht rund läuft, fällt uns viel eher auf als alles andere, das

störungsfrei funktioniert.

Doch diese evolutionäre Prägung hat auch heute noch ihren Sinn.

Unser Unterbewusstsein ist immer noch der Hüter unseres Lebens,

der uns blitzartig warnt, wenn ihm etwas nicht geheuer ist. In Mo-

menten (vermeintlicher oder realer) Gefahr springen wir reflexhaft

Page 24: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 23

zur Seite, gehen in Deckung oder schreien auf. Auf dieser Verhaltens-

ebene sind sich die Menschen noch immer sehr ähnlich.

Aufgrund unseren persönlichen Erfahrungen, die wir in unserer indi-

viduellen Vergangenheit gemacht haben, nehmen wir alle aber die

Welt unterschiedlich wahr. Was bei dem einen positive Assoziationen

weckt, ist dem anderen ein Graus. Ein wenig zugespitzt ließe sich sa-

gen: Jeder lebt in seiner eigenen Welt, weil jeder von uns jedes Ding,

jede Begegnung, jedes Erlebnis anders bewertet als jeder andere

Mensch.

Wahrnehmung ohne Bewertung gibt es nicht. Was ich wahrnehme,

ordne ich umgehend in meinen individuellen Kosmos ein – je nach-

dem, ob ich positive oder negative Erinnerungen damit verbinde. Je-

de Erfahrung und Handlung wird mit einem Gefühlsmarker

abgespeichert. Tritt eine vergleichbare Situation erneut auf, dann

produziert unser Gehirn bestimmte körpereigene Drogen, die uns in

Alarmbereitschaft oder auch in einen Zustand des Wohlbehagens

versetzen. Diese Bewertungen steigen erst ab einer gewissen Stärke

als Gefühle in unser Bewusstsein auf.

Dabei gilt: Je intensiver der Gefühlsmarker, mit dem eine Erfahrung

abgespeichert wird, desto länger bleibt sie in unserem Gedächtnis er-

halten. Haben wir in der Vergangenheit positive Erfahrungen mit zu-

traulichen Hunden gemacht, dann erwarten wir dieses Ergebnis auch

beim nächsten Mal. Wurden wir dagegen bei einer solchen Begeg-

nung von einem Hund gebissen, dann vermeiden wir möglichst eine

Wiederholung.

Umgekehrt werden aber auch unsere Erinnerungen angesichts der

Gegenwart ständig neu interpretiert und konstruiert. Die Geschichte

Page 25: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 24

unseres Lebens, die wir uns selbst und unseren Mitmenschen erzäh-

len, wird im Archiv unserer Erinnerungen fortlaufend verändert, da-

mit sie zu unserem Selbstbild und der jeweils aktuellen Situation

passt.

Beziehungsberater beispielsweise kennen dieses Phänomen aus der

täglichen Praxis: Paare, die sich nicht mehr lieben, stellen ihre ersten

Begegnungen meist negativ dar. Dagegen malen Partner, die noch

innig ineinander verliebt sind, das erste Rendezvous in rosigen Farb-

tönen aus. Mit etwas Übung kann man diese Interpretationen be-

wusst mitgestalten und so auch auf die eigenen Bewertungen Einfluss

nehmen. Darauf gehe ich weiter unten ausführlicher ein.

Die Erwartung ist das Schlüsselmoment innerhalb des Handlungs-

prozesses. Nicht Handlungsfreude oder Wohlbefinden motivieren

uns zum Handeln, sondern allein der Gewinn an erwarteter Hand-

lungsfreude, der Gewinn an Vorfreude gegenüber jeder anderen jetzt

möglichen Tat.. Die erwartete Handlungsfreude für jede aktuell mög-

liche Handlung ist also der Maßstab, der uns in jedem Augenblick

dazu befähigt, intuitiv eine Handlung zu wählen. Durch diese Wahl

erzielen wir einen Gewinn an Vorfreude, der größer ist als bei jeder

anderen Handlung, die in diesem Moment möglich wäre. Dieser Ge-

winn an guten Gefühlen steigert sofort unser Wohlbefinden.

Meistens wird uns dieser Mehrwert gar nicht bewusst, weil wir unser

Befinden ohnehin durch ausreichenden Gewinn an Vorfreude und

Handlungsfreude im Wohlfühlbereich halten. (Zum Gewinn an

Handlungsfreude später mehr.) Nur wenn wir sehr ausgehungert

sind, nehmen wir unsere Vorfreude auf das Mittagessen bewusst

wahr. Gleichwohl ist es dieser Mehrwert, der uns dazu motiviert, uns

eine Mahlzeit zu kochen oder im Restaurant zu bestellen. Aber auch

Page 26: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 25

wenn es nicht in unser Bewusstsein aufsteigt, sind wir konzentriert

auf unser Handeln, weil es das sinnvollste ist, was wir in diesem Au-

genblick tun können. Wir antizipieren das Wohlbefinden, das wir

durch die Handlung anstreben, erzielen dadurch einen Gewinn an

Vorfreude und steigern unser Wohlbefinden.

Ob die erwartete Handlungsfreude auch tatsächlich erzielt wird, er-

fahren wir erst, wenn wir die Handlung ausführen. Vorfreude ist die

schönste Freude, wie eine alte Redensart besagt. Der Gewinn an Vor-

freude ist das Handlungsmotiv schlechthin für jede Tat. Er ist das

einzige, was wir in der Gegenwart erzielen und besitzen können.

Herkömmliche Handlungstheorien können nicht erklären, warum

Menschen bestimmte Handlungen wählen. Weshalb stürzt sich je-

mand ins kalte Wasser, um eine andere Person vor dem Ertrinken zu

retten? Sein aktuelles Wohlbefinden wird dadurch doch scheinbar

nicht gesteigert. Das Gleiche gilt für Menschen, die auf Konsum ver-

zichten und ihr Geld sparen: Wie kann es sein, dass sie trotzdem jetzt

einen Zugewinn an Zufriedenheit und Glück erzielen?

Entscheidend ist eben nicht die Handlung selbst, sondern die Vor-

freude, die man in der Gegenwart empfindet. Wenn eine bestimmte

Handlung in uns mehr Vorfreude auslöst als alle anderen aktuell

möglichen Handlungen, dann werden wir genau diese Handlung

wählen. Dann treibt uns die Vorfreude auf die Rettung des Ertrin-

kenden ins kalte Wasser und die Vorfreude auf das neue Auto bringt

uns dazu, lange zu sparen. Diese Vorfreude steigert unser Wohlbefin-

den – hier und jetzt.

In Bruchteilen von Sekunden geht all das gleichzeitig und meist un-

bewusst vor sich: Unser Unterbewusstsein selektiert Eindrücke und

Page 27: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 26

Alternativen, bewertet sie aufgrund von Vorerfahrungen oder Wissen

und stellt uns verschiedene Handlungsmöglichkeiten zur Wahl.

Schließlich wählen wir das Angebot, mit dem wir einen Gewinn an

Vorfreude erzielen. Wird es mich glücklicher machen, den Ertrinken-

den gerettet zu haben oder mit trockenen Kleidern seinem Ertrinken

zuzusehen? Wird es mir mehr Freude bringen, in zwei Jahren das

neue Auto zu kaufen oder jetzt schon in andere Dinge zu investieren?

Auch wenn es auf den ersten Blick unlogisch erscheint: Sowohl der

Kopfsprung des Retters als auch der Konsumverzicht des Sparers

steigern sein Wohlbefinden augenblicklich. Auch ethisches, morali-

sches und altruistisches Handeln geschieht immer zum eigenen Vor-

teil, selbst wenn es auf der Gesundheits-, Güter- oder Geldebene

einen Verlust verursacht. Dieser „Verlust“ ist gut investiert, denn zu-

gleich erzielt man einen Gewinn auf der entscheidenden Ebene – der

Gefühlsebene – und ermöglicht seinen Mitmenschen den gleichen

Erfolg.

Wir brauchen also moralisches Handeln nicht mehr zur Bürgerpflicht

zu erheben: Wenn wir unser eigenes Wohlbefinden optimieren, han-

deln wir zwangsläufig auch ethisch. Altruismus durch Pflicht oder gar

Zwang fördern zu wollen, führt möglicherweise sogar zum gegenteili-

gen Ergebnis, wie weiter unten noch ausgeführt werden soll.

Die Wahl einer Handlung erfolgt fast immer durch das Unterbe-

wusstsein. Auf dieser Ebene fallen Entscheidungen zwar schnell, aber

nach einem groben Raster, das durch unsere Gewohnheiten geprägt

ist. In seltenen Fällen treffen wir diese Wahl bewusst. Der Entschei-

dungsprozess dauert dann länger, aber wir haben die Möglichkeit,

weitere Kriterien einzubeziehen und abzuwägen. Ähnlich unterschei-

det der Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel

Kahneman zwischen dem bewussten „langsamen Denken“ und dem

Page 28: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 27

„schnellen Denken“, das intuitiv und unbewusst ist. Der Übergang ist

fließend. Häufig konstruieren wir bewusst einen Beweggrund, wenn

wir gefragt werden, warum wir so und nicht anders gehandelt haben.

Die Erklärung hat aber mit dem tatsächlichen Handlungsmotiv oft

nur wenig zu tun.

Nach der Wahl folgt schließlich die Handlung. Allerdings können

wir auch eine unbewusst gewählte Handlung noch durch ein bewuss-

tes Veto blockieren. Wir können uns also im letzten Moment noch

Einhalt gebieten, sollten wir spontan zu einer „unvernünftigen“

Handlung tendiert haben.

Erst die Handlung erweist, ob unsere Erwartung erfüllt wird oder

nicht. Empfinden wir beim Handeln tatsächlich die Freude, die wir

antizipiert haben? Brausen wir mit dem neuen Auto glücklicher über

die Autobahn als mit dem alten Gefährt? Fühlen wir uns durch unse-

re „gute Tat“ besser, nachdem wir jemanden vor dem Ertrinken ge-

rettet haben?

Auch wie unser Handeln auf andere wirkt, können wir erst dann er-

kennen, wenn wir die Handlung ausführen. Diese Wirkungen können

erheblich von unseren Erwartungen abweichen – falls wir überhaupt

im Vorfeld darüber nachgedacht haben. Vielleicht hat der vermeint-

lich Ertrinkende ja für eine Filmaufnahme geübt – und wollte gar

nicht „gerettet“ werden? Und Ihr neues Auto findet Ihre Freundin

oder Ihr Lebensgefährte womöglich so protzig oder umweltverpes-

tend, dass Ihre Beziehung davon gleich mitvergiftet wird.

Trotzdem können wir nicht anders, als unaufhörlich diesen Prozess

zu durchlaufen: Wahrnehmung, Bewertung, Erwartung, Wahl und

Handlung gehen permanent vor sich. Während ich prüfe, ob mein

Page 29: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 28

jetziges Handeln mir Freude macht oder nicht, bewerte ich bereits

meine aktuellen Wahrnehmungen und so fort.

Bewussteres Handeln

Unser Bewusstsein spielt beim Lernen eine wichtige Rolle. Die meis-

ten Handlungen werden zwar unbewusst gewählt, doch wir Men-

schen haben als einzige Spezies die Möglichkeit, unser Handeln zu

hemmen, ein Veto einzulegen und gewonnene Erkenntnisse bewusst

in die Wahl einer Handlung einfließen zu lassen.

Was unser intuitiver Handlungsdrang uns anbietet, müssen wir also

nicht zwangsläufig umsetzen. Wir können unsere Triebe bändigen,

die Folgen unserer Handlung bewusst wahrnehmen und bei der

nächsten Entscheidung berücksichtigen. Liegen Erwartung und Er-

gebnis einer Handlung weit auseinander, so steht es uns frei, beim

nächsten Mal eine andere Handlungsmöglichkeit zu wählen. Diese

Anpassung würde unser Unterbewusstsein wahrscheinlich auch von

allein vornehmen, aber durch bewusste Reflexion können wir sie ver-

stärken.

Man kann sich darin üben, die unbewusste durch eine bewusste Be-

wertung zu hinterfragen und gegebenenfalls zu korrigieren. Ob man

auf diese Weise zu richtigeren Entscheidungen gelangt als durch das

berühmte Bauchgefühl, stellt sich aber wiederum erst heraus, wenn

man die gewählte Handlung ausführt und ihre Auswirkungen real er-

fährt.

Den Fluss des unaufhörlichen Wahrnehmens und Bewertens können

wir nicht stoppen, aber durch die differenzierte Untersuchung ein-

Page 30: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 29

zelner Zusammenhänge ergänzen. Wir können uns selbst gegenüber

eine Beobachterposition einnehmen und unser bisheriges Handeln

kritisch hinterfragen. Das menschliche Bewusstsein ist eine kostbare

Errungenschaft der Evolution. Erst die Triebbeherrschung hat die

Entwicklung unserer Spezies ermöglicht. Was das für unser gesell-

schaftliches Zusammenleben bedeutet, soll weiter unten noch erläu-

tert werden.

Da wir imstande sind, uns unsere Handlungen bewusstzumachen,

können wir auch überprüfen, welche Handlungen uns wirklich glück-

lich machen und welche wir nur aus Gewohnheit ausführen. Das kos-

tet Zeit, doch dieser Zeitaufwand ist eine nützliche Investition. Glück

und Zufriedenheit bedeuten für jeden Menschen etwas anderes. Wir

müssen herausfinden, was uns persönlich glücklich macht – und

dann nach dieser Erkenntnis handeln.

Wie kann es aber sein, dass wir oftmals nur aus Gewohnheit handeln

– und nicht diejenige Handlung ausführen, die uns den größten Ge-

winn an Handlungsfreude, letztlich also Glück und Zufriedenheit ver-

spricht?

Noch einmal kurz zusammengefasst: Der grundlegende Prozess –

von der Wahrnehmung bis zur Handlung – verläuft meist unbewusst,

kann aber auch bewusst ausgestaltet werden. Unser primäres Hand-

lungsmotiv ist der Gewinn an Vorfreude. Wenn das aber die Erklä-

rung für menschliches Handeln ist, warum finden wir dann nicht

ausschließlich glückliche Menschen? Wenn es stimmt, dass das

Handlungsmotiv im Gewinn der Vorfreude liegt, warum sind wir

dann nicht von freudestrahlenden Menschen umgeben?

Einen Grund habe ich oben schon genannt: Die Folgen unserer

Handlung entsprechen oftmals ganz und gar nicht unseren Erwar-

tungen. Die Vorfreude stellt sich angesichts der Realität nicht selten

Page 31: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 30

als unbegründet heraus: Statt Glück und Zufriedenheit ernten wir

Enttäuschung und Frust.

Ausschlaggebend ist aber ein zweiter Grund. Häufig mangelt es schon

am Gewinn an Vorfreude. Bei meiner Handlungstheorie habe ich ei-

nen wichtigen Aspekt ausgespart, der im folgenden Abschnitt nach-

getragen werden soll. Unsere Handlungsmöglichkeiten werden

häufig durch die Umstände und durch andere Menschen einge-

schränkt.

Fremdbestimmtes Handeln

Im Abschnitt „Wohlfühl-Handlungstheorie“ habe ich das Grund-

schema freier Handlungswahl beschrieben. Schon das Gefühl, selbst

über unser Tun entscheiden zu können, erhöht unser Wohlbefinden.

Wir freuen uns am meisten auf eine Handlung, wenn wir sie selbst

gewählt haben, und können sie dann auch am besten genießen.

Die Mehrzahl der Menschen erfährt aber ihr Handeln nur selten als

frei gewählt. Meistens empfinden sie sich als fremdbestimmt. Sie se-

hen sich in Arbeitsverhältnisse eingebunden, die bestimmte Ent-

scheidungen erzwingen und Handlungsspielräume verengen. Als

„Weisungsempfänger“ nehmen sie sich selbst als „kleines Rädchen“

in einer unüberschaubar großen Maschine wahr. Die Einschränkun-

gen, die uns die Umwelt auferlegt, empfinden sie als Fesseln und sich

selbst als unfrei.

Diese Empfindung bezieht sich meist nicht nur auf die beschränkte

und beschränkende Umwelt, sondern auch auf das eigene Selbstbild.

Wohl jeder hat sich schon einmal gewünscht, stärker oder größer,

Page 32: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 31

mutiger oder gesünder, intelligenter oder schöner zu sein. Alles, was

ist, lässt sich als Einschränkung empfinden. Es ist eben, wie es ist,

und kann nicht gleichzeitig anders sein. Von Beschränkungen und

definierten Zuständen sind wir unentrinnbar umgeben – auch des-

halb, weil unsere Wahrnehmung durch unsere Sinnesorgane be-

grenzt ist. Doch immerhin können wir deren Fähigkeiten durch

Fantasie, Erforschung und Üben unser Leben lang erweitern.

Wenn wir etwas gezwungenermaßen tun, erhoffen wir keine Freude,

sondern rechnen mit Verdruss oder sogar Leid. Es graut uns vor dem

Wochenstart, wir stöhnen bei dem Gedanken an unseren vollen Ter-

minkalender. Wer sich derart fremdbestimmt fühlt, wählt die Hand-

lung, die das geringste Leid erwarten lässt – und das ist etwas ganz

anderes als die Handlung, die uns den größten Gewinn an Freude

verspricht.

Eine solche fremdbestimmte Handlung – etwa an unserer Arbeits-

stelle – führen wir dann sehr viel oberflächlicher und widerwilliger

aus, als es bei einer vorfreudig selbstgewählten der Fall gewesen wä-

re. Wir machen mehr Fehler, trödeln mehr herum, lehnen uns inner-

lich auf. Diese Verweigerungshaltung ist auch als „innere Kündigung“

bekannt: Mitarbeiter sitzen ihre Zeit nur noch ab, anstatt sich mit ih-

ren Energien und Ideen in das Unternehmen einzubringen.

Auf der einen Seite liegt es natürlich auch an den Vorgesetzten: Sie

müssen Arbeitsverhältnisse und einen Unternehmensgeist schaffen,

die es den Mitarbeitern ermöglichen, motiviert zu Werke zu gehen.

Anderenfalls hat das Unternehmen im Wettbewerb über kurz oder

lang das Nachsehen. Doch auch der Einzelne, der sich in einer sol-

chen Situation gefangen sieht, kann etwas zur Veränderung beitra-

gen.

Page 33: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 32

Sehr viel hängt nämlich von unserer Grundeinstellung ab. Während

der eine seine Stellung im Leben als frei gewählt ansieht, empfindet

sie der andere als aufgezwungen. Entsprechend fragt sich der erste,

was er tun kann, um sein Wohlbefinden zu steigern – und empfindet

Vorfreude. Der zweite dagegen überlegt, was er tun kann, um Leid

und Verdruss zu schmälern. Dadurch erzielt er einen Verlust an Vor-

freude, sein Wohlbefinden sinkt.

In beiden Fällen wird versucht, das Wohlbefinden auf einem mög-

lichst hohen Level zu halten: hier durch Hinwendung zum Wohlsein,

dort durch Schmälerung des Leids. Ob wir „wollen“ oder „sollen“, ob

wir einen Gewinn oder einen Verlust an Vorfreude verbuchen, hat

weitreichende Folgen für unser Handeln und unser Wohlbefinden.

Möglicherweise führen Handlungen, die wir nur pflichtgemäß aus-

führen, tendenziell immer zum Gegenteil des beabsichtigten Effekts,

da sie das „natürliche“ Motiv, den Gewinn an Vorfreude, blockieren.

Erwünschte Handlungen, die etwa der Staat per Gesetz vorschreibt,

verhindert er in vielen Fällen gerade dadurch, dass er sie anordnet.

Zumindest aber bewirken gesetzliche Vorschriften, dass die zu Wei-

sungsempfängern degradierten Bürger weniger achtsam agieren, als

wenn sie aus eigener Entscheidung gehandelt hätten. Sie erbringen

schlechtere Leistungen, verbrauchen mehr Ressourcen, belasten die

Umwelt stärker und rufen viele weitere schädliche Wirkungen für

Wohlstand und Gemeinwohl hervor.

Der hier angedeutete Zusammenhang ist bei weitem noch nicht aus-

reichend erforscht und in der Praxis überprüft worden. Vieles spricht

aber für die Annahme, dass Vorschriften prinzipiell derart schädliche

Wirkungen hervorrufen. Möglicherweise gilt das für religiöse, staatli-

che und institutionelle Gesetze und Vorschriften aller Art.

Page 34: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 33

Das Gefühl, fremdbestimmt zu sein, ist gerade in Deutschland weit

verbreitet. Auf die Frage „Wie geht’s?“ wird hierzulande gerne geant-

wortet: „Muss ja.“ Der Glaube, dies und das zu „müssen“, ist tief ver-

wurzelt und wird selten hinterfragt. Wenn uns klar wird, dass wir nur

glauben, etwas zu müssen, sind wir auf dem besten Weg, uns von die-

sem Zwang zu befreien.

Ob wir unsere Handlungsmöglichkeiten als natürlich oder willkürlich

eingeschränkt wahrnehmen, hängt von unserer individuellen aktuel-

len Bewertung ab. Diese können wir ändern, doch das ist nicht ganz

einfach und erfordert einige Übung. Menschen mit starker Selbstbe-

herrschung sind eher imstande, das zu „wollen“, was sie „sollen“. Sie

gehorchen ohne größere Verluste an Vorfreude und Handlungsfreu-

de. Sie funktionieren effizient und erfüllen ihre Pflicht, leider ohne

die Auswirkungen auf Mitmenschen und Umwelt zu beachten.

Deshalb brauchen wir Selbstherrschaft in allen Varianten. Menschen,

die weniger gut gehorchen, die Unangepassten und Querdenker, ge-

hen allerdings auch öfter an ihre Grenzen, weshalb sie auch nicht sel-

ten scheitern. Aber ohne Scheitern kein Lernen, keine Ausdehnung

der eigenen Grenzen, keine Erkenntnis neuer Zusammenhange und

Möglichkeiten, keine Innovation und kein Fortschritt.

Das führt zu einem dritten Grund dafür, dass wir nicht überall glück-

lichen Menschen begegnen: Unser Wohlbefinden ist uns schlichtweg

nicht ständig bewusst. Befinden wir uns in einem gewohnten mittle-

ren Zustand, unserem persönlichen Wohlfühlbereich, dann nehmen

wir geringfügige Abweichungen nach oben oder unten nicht bewusst

wahr.

Page 35: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 34

Unser Unterbewusstsein ist wie ein Steuermann, der unser Schiff in

dieser Wohlfühlzone zu halten versucht – zwischen den Sandbänken

massiv enttäuschter Erwartung und den Sturmfluten übermäßiger

Erfüllung. Hierfür verschafft es uns stetige, maßvolle Zugewinne an

Vorfreude und Handlungsfreude, ohne unser Bewusstsein durch lau-

fende Mitteilung des aktuellen Wohlbefindens zu stören. Normaler-

weise fallen die Ausschläge nach oben und unten moderat aus, und

gerade diese Normalität dient uns als Wohlfühl-Kompass, mit dem

wir – so unbewusst wie unablässig – unser Wohlbefinden messen.

Deshalb ist ein Lottogewinner nicht dauerhaft glücklich und ein

Kranker nicht unbedingt dauerhaft unglücklich. Nach einer gewissen

Zeit akzeptieren wir die zusätzlichen oder verringerten Handlungs-

möglichkeiten, gewöhnen uns also an die neue Situation und gelan-

gen erneut in unseren individuellen Wohlfühlbereich. Mehrwert, hier

also Gewinn an guten Gefühlen, resultiert nicht aus den Tatsachen,

sondern aus deren Bewertung.

Befreiung

Sind wir wirklich so unfrei, wie wir uns oftmals fühlen? Zwingen uns

die Umstände wahrhaftig, Handlungen auszuführen, die wir aus ei-

genem Antrieb niemals angegangen wären?

Tatsache ist: Egal, welche Einschränkungen die Umwelt uns aufer-

legt, die Entscheidungen treffen allein wir selbst. Wir können gar

nicht anders, als fortwährend zu wählen und zu handeln, ob bewusst

oder unbewusst. Wir selbst bestimmen also unser Leben in jedem

Page 36: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 35

Augenblick – ganz unabhängig davon, was äußerlich gerade gegeben

ist.

Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass erst jegliche Einschränkung

verschwunden sein müsse, damit wir frei sein können. Freiheit be-

deutet weder absolute Bedingungslosigkeit noch absolute Unbe-

stimmtheit. Frei sein kann man nur innerhalb von Beschränkungen.

Nur innerhalb einer bestimmten Struktur können wir das eine wäh-

len und das andere verwerfen. Nur so können wir überhaupt Unter-

schiede wahrnehmen.

Leben ohne Einschränkungen ist unmöglich. Niemand ist frei von

seiner eigenen Persönlichkeit und seinem Körper, seiner Vergangen-

heit und seiner Umwelt. Jeder hat seine eigenen Beschränkungen.

Doch erst durch diese Begrenzungen können wir einen Zugewinn an

Wohlbefinden erreichen. Nur weil unsere Bedürfnisse begrenzt sind,

können wir sie gefühlsoptimierend befriedigen. Nur weil es Ein-

schränkungen gibt, können wir unser Glück steigern, indem wir bes-

ser wählen und handeln.

Wer auf den Zeitpunkt wartet, an dem er sich „endlich frei“ entschei-

den kann, weil alle beengenden Umstände überwunden sind, der

wird bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten. Eine solche ideale

Freiheit kann es in der Realität nicht geben. Wenn wir dagegen er-

kannt haben, dass wir selbst in jedem Augenblick unsere Handlungen

wählen, dann können wir unsere Wahl bewusster gestalten. Egal, was

wir tun, wir haben die Handlung aus bestimmten Gründen gewählt.

Wenn uns die Folgen und Konsequenzen nicht gefallen, sollten wir

überlegen, aus welchen Gründen wir die Handlung gewählt haben,

und beides gegeneinander abwägen: die bisherige Handlung mit ih-

ren Konsequenzen und die alternativen Handlungsmöglichkeiten mit

ihren mutmaßlichen Folgen.

Page 37: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 36

Auch unsere Bewertungen, die uns zur Wahl bestimmter Handlungen

bewegen, können wir bewusst beeinflussen. Alles, was wir tun, haben

wir selbst so entschieden. Die Umstände mögen widrig und wir selbst

fremdbestimmt sein – trotzdem haben wir selbst die Wahl getroffen.

Wenn wir uns klarmachen, warum wir etwas tun und uns nicht für

eine alternative Handlungsweise entschieden haben, können wir ein

Stück Selbstbestimmung zurückgewinnen.

Durch Reflexion können wir unserem Unterbewusstsein helfen, bes-

sere Bewertungen und achtsameres und respektvolleres Handeln ein-

zuüben. Jeder kann seine Grenzen und Beschränkungen erweitern.

Neugierde ist angeboren. Auch wenn sie uns durch Eltern und Schule

teilweise abgewöhnt worden ist, können wir sie jederzeit neu wählen.

Im Übrigen gibt es keine objektiven Maßstäbe dafür, was glücklich

macht. Nichts und niemand in unserer Umwelt kann uns zwingen,

unglücklich zu sein. Wahre Lebenskünstler können selbst unter wid-

rigsten Bedingungen glücklich und zufrieden leben. Viele Beispiele in

der Geschichte zeigen, dass nicht die Umstände an sich über Glück

und Unglück entscheiden. Als Nelson Mandela nach Jahrzehnten aus

dem Gefängnis entlassen werden sollte, erbat er sich ein paar Tage

mehr in seiner Zelle. Er wollte erst noch das Manuskript zu Ende

bringen, an dem er gerade arbeitete. Die Anekdote zeigt, dass auch

im Gefängnis Selbstbestimmung und Selbstherrschaft möglich sind.

Der eine ist mit wenig glücklich, der andere will immer mehr. Jeder

kann nur für sich selbst beurteilen, was und wie viel er braucht, um

glücklich zu sein. Was für den einen zu wenig ist, ist für den anderen

mehr als genug und umgekehrt. Aber einen ersten Schritt hin zu

mehr Glück und Zufriedenheit können wir alle auf der Stelle tun:

Machen wir uns bewusst, wie reich an materiellen und immateriellen

Gütern wir sind. Wie viele Dinge und Eigenschaften wir besitzen, die

Page 38: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 37

für unser Leben förderlich sind und zu unserem Wohlbefinden bei-

tragen. Der größte Schatz sind dabei unsere Freunde, unsere Schwes-

tern und Brüder im Geiste.

Unser Glas ist halb voll, nicht halb leer – wer das erkennt, hat den

ersten Schritt geschafft. Voll bis zum Rand kann es ohnehin nicht

bleiben, auch darüber sollten wir uns klar werden. Alles fließt, alles

ändert sich in jedem Augenblick. Wer etwas festhalten will, scheitert

unweigerlich. Die Konsummöglichkeiten sind eine große Quelle für

Gewinn an Wohlbefinden, allerdings nur kurzfristig. Wer sich also

nicht selbst disziplinieren kann, wer sich von seiner Gier statt von

seinen Bedürfnissen leiten lässt, der hat immer zu wenig! Egal, wie

viele Millionen jemand auf dem Konto hat: Wer dem Wahn verfällt,

immer mehr haben zu müssen, um glücklich zu sein, der wird sein

Ziel niemals erreichen und bis an sein Lebensende arm sein. Wer da-

gegen nur ein paar Euro in der Tasche hat und sich über eine Tasse

Tee freuen kann, der ist reich.

Arm ist, wer mehr will, als er hat. Und reich ist, wer mehr hat, als er

will. Ob ich mich als arm oder reich empfinde, ist also völlig unab-

hängig davon, was ich objektiv tatsächlich besitze. Wer nicht zu ge-

nießen vermag, was er hat, ist arm. Und genießen können wir nur in

der kurzen Spanne der Gegenwart. Wer ein Ziel anstrebt, sollte des-

halb nie versäumen, zu feiern, wenn er es erreicht hat.

Es gilt also, unser Bewusstsein in zweifacher Hinsicht zu schärfen.

Machen wir uns klar, dass wir selbst unsere Handlungen wählen und

die Verantwortung für unser Tun tragen. Und führen wir uns immer

wieder vor Augen, was wir schon besitzen oder was wir bereits er-

reicht haben.

Page 39: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 38

Dieses Leben ist schließlich kein Probedurchlauf. Es fängt nicht erst

in Zukunft an. Wir leben jetzt, in diesem Augenblick. Nutzen wir un-

sere Chance.

Wie wir glücklich werden

In den voranstehenden Abschnitten habe ich erläutert, warum wir

handeln, was uns motiviert und worin der Nutzen einer Handlung

besteht. Nun soll es um die Frage gehen, wie wir diesen Nutzen, also

unser Wohlbefinden, steigern können. Diese Frage müsste der Aus-

gangspunkt jeder ökonomischen Theorie sein, damit die Wirtschaft

dem Menschen dient und nicht umgekehrt.

Es gibt vier Bereiche, in denen wir unser Wohlbefinden positiv beein-

flussen können:

Vorfreude

Handlungsfreude

Leiderwartung

Handlungsleid

Obwohl unsere Handlungsmöglichkeiten immer eingeschränkt sind,

können wir unseren Gewinn an Vorfreude durch bewussteres und

selbstbestimmteres Wählen steigern. Indem wir Leistungen und Be-

dürfnisse „aufsparen“, können wir stetig an Vorfreude gewinnen. Bei

den aufgesparten Leistungen kann es sich um Wissen oder Können

handeln, um Geschenke an Freunde und Fremde, Erinnerungen an

schöne Erlebnisse, um Güter, Geld, Forderungen und vieles mehr.

Page 40: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 39

Auch die Handlungsfreude lässt sich durch „Aufsparen“ steigern,

also durch bewusstes Hinauszögern der Bedürfnisbefriedigung noch

während der Handlung selbst, sowie durch rechtzeitige Beendigung

des Handlungszyklus – getreu der Volksweisheit, man solle aufhören,

wenn es am schönsten ist. Auch durch achtsameres und respektvolle-

res Handeln – vor allem gegenüber unserem Körper, unseren Mit-

menschen und unserer Umwelt – können wir unsere

Handlungsfreude erhöhen.

Leiderwartungen können wir auf vielerlei Weise senken. Erstens,

indem wir möglichst wenig fremdschädigend handeln. Zweitens, in-

dem wir uns freimachen von (äußerer und verinnerlichter) Fremdbe-

stimmung: Wir sollten die Meinung anderer respektieren, aber unser

Handeln nicht danach ausrichten. Und wir sollten alle Menschen

respektieren, weil sie Menschen sind, aber nicht, weil sie in irgendei-

ner Hierarchie höherstehen als wir. Alle Menschen sind gleichwertig

als einzigartige unvollkommene Schöpfer ihrer jeweils eigenen Welt.

Wir sind alle gleich – anders!

Drittens können wir Leiderwartung senken, indem wir die Angst vor

dem Tod überwinden. Machen wir uns klar: Aller Gewinn an guten

Gefühlen entspringt aus der Begrenzung – wie könnte das bei unse-

rem Leben als Ganzem anders sein? Schon der Philosoph Arthur

Schopenhauer erkannte im 19. Jahrhundert: Der Tod geht uns nichts

an. Bin ich da, ist er nicht da. Ist er da, bin ich nicht da. Wir treffen

den Tod nur in unserer Fantasie.

Page 41: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 40

Handlungsleid können wir verringern, indem wir eine schmerzhaf-

te Handlung schnellstmöglich beenden. Um Krankheiten und Verlet-

zungen kümmern wir uns in der Regel dann, wenn unser Körper sie

nicht allein heilen kann oder wenn die Schmerzen unser Wohlbefin-

den zu sehr beeinträchtigen. Wann dieser Punkt gekommen ist, kann

jeder Mensch nur für sich allein in der konkreten Situation entschei-

den. Bei schweren Erkrankungen sollten wir immer mehrere Mei-

nungen einholen, nur so können wir die für uns optimale

Entscheidung treffen. Mit wachsender Übung nimmt auch das Ver-

trauen in die eigene Meinung zu.

Zudem empfiehlt es sich, auf den Konsum schlechter Nachrichten

möglichst zu verzichten, es sei denn, sie betreffen unsere eigenen

Handlungen. Wir sollten immer daran denken, dass unser Unterbe-

wusstsein zwischen Wahrnehmungen, Erinnerungen und Erwartun-

gen nur schlecht unterscheiden kann. Deshalb bewertet es die

Situationen, in denen sich andere Menschen befinden, so als ob sie

uns selbst betreffen würden, nur weniger intensiv. Mit unseren Mit-

menschen sollten wir daher mitfühlen, wenn wir ihnen konkret hel-

fen können, aber nicht mit anderen mitleiden, nur weil wir

annehmen, dass sie leiden. Empathie ist eine wichtige Fähigkeit, je-

doch nur dann, wenn wir mit ihrer Hilfe unser Wohlgefühl steigern

und anderen dabei helfen können.

Aus den bisherigen Ausführungen lassen sich einige weitere Überle-

gungen mit Nutzengewinn ableiten:

Wähle deine Handlungen bewusst und orientiere dich an dem, was

dich wirklich glücklich macht. Lerne dabei aus deinen Erfahrungen.

Page 42: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 41

Wenn du deiner Handlung keinen Sinn beimessen kannst, verringert

das dein Wohlbefinden. Tue also nur, was für dich sinnvoll ist. Über-

nimm die Verantwortung für dein Handeln. Es macht einen großen

Unterschied in der Handlungsfreude, ob man etwas muss oder etwas

will. Du selbst entscheidest, was du tust.

Erkenne, was du hast, und genieße es. Denn das Hier und Jetzt ist

dein Leben. Es lässt sich nicht auf später vertagen. Nimm die Dinge,

die du besitzt, bewusst wahr und schaue auf das, was du schon er-

reicht hast.

Mit dem Begriff „Wohlfühlökonomie“ und dem Titel dieses Essays,

Verwöhnt euch!, wird nicht etwa dazu aufgerufen, so viel zu nehmen,

wie man kriegen kann, und unersättlich dem Genuss zu frönen. Im

Gegenteil: Erst die Beschränkung, die Selbstdisziplin und die Fähig-

keit, auch das scheinbar Geringe zu schätzen, führen zu einem glück-

lichen Leben. Wie schon gesagt: Nicht nur das Sparen von Gütern

und Geld ermöglicht einen Gewinn an Vorfreude, sondern auch das

Sparen von Bedürfnissen. Wir sollten diese Möglichkeit häufiger nut-

zen, auch wenn es anfangs schwerfällt.

Erkenne, dass kein Genuss unendlich sein kann, und wähle zur rech-

ten Zeit eine neue Handlung. Unser Wohlbefinden sinkt in jedem

Augenblick der Bedürfnisbefriedigung (Gossen‘sches Gesetz). Es gilt

also, ein gutes Maß zu finden, wann der richtige Zeitpunkt gekom-

men ist, um eine Handlung abzubrechen. Das erhöht die Handlungs-

freude, bewahrt vor Handlungsleid und steigert nachhaltig die

Zufriedenheit.

Wenn wir die Bedürfnisbefriedigung aufschieben, können wir zwar

die Vorfreude steigern, aber gleichzeitig sinkt dadurch die Hand-

lungsfreude. Wir sollten daher die Befriedigung nur solange hinaus-

zögern, wie die Vorfreude das durch die Verzögerung erzeugte

Page 43: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 42

Handlungsleid übersteigt. Der richtige Zeitpunkt ist nicht leicht zu

treffen, weil sich alle Bedingungen laufend verändern. Auch dieser

Zusammenhang zeigt, warum Paternalismus, Hierarchien und jede

noch so gut gemeinte Erziehung und Fremdbestimmung fast zwangs-

läufig zu Verlust an Freude führen. Gut gewollt ist noch lange nicht

gut gemacht. (Hierzu mehr im nächsten Abschnitt.)

Glück ist nicht nur im Konsum zu finden, sondern auch – und nach-

haltiger – im produktiven Handeln. Menschen erleben die höchste

Zufriedenheit, wenn sie in einer Tätigkeit aufgehen und sich dabei

selbst vergessen. Dieser Zustand wird als „Flow“ bezeichnet und ent-

steht während der Konzentration auf eine uns sinnvoll erscheinende

Tätigkeit. Hier erzielen wir durch selbstbestimmtes Wählen und

achtsames Handeln so viel Gewinn an Freude, dass wir uns nachhal-

tig im Wohlfühlbereich bewegen.

Etliche psychologische Studien legen die Schlussfolgerung nahe, dass

es Lebensziele gibt, die zu erreichen uns glücklich macht – und ande-

re, auf die das nicht oder nur sehr eingeschränkt zutrifft. Wer allein

finanziellen Erfolg, gutes Aussehen, Anerkennung, Geld und Macht

anstrebt, wird weniger glücklicher sein als jemand, der nach einer

wohlwollenden Grundeinstellung zu seinen Mitmenschen und nach

individueller Entwicklung strebt.

Wir können zwar das Glück anderer Menschen nicht direkt steigern,

sondern immer nur unser eigenes, aber wir können anderen dabei

helfen, indem wir achtsam handeln und respektvoll unsere Leistun-

gen zum Tausch anbieten. Unseren Mitmenschen dabei zu helfen,

Gewinn an Wohlbefinden zu erzielen, ist besonders sinnvoll, weil es

uns selbst gleichfalls einen Gewinn an Zufriedenheit bringt. Berück-

sichtige auch das Wohl der anderen und du wirst selbst zufriedener

Page 44: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 43

sein. Zusammenarbeit und Leistungstausch sind die beste Methode,

das Gemeinwohl zu steigern.

Von der Schwierigkeit, Gutes zu tun

Der Begriff „Wohlfühlökonomie“ hat ebenso wie der Titel dieses Es-

says eine doppelte Bedeutung. Zum einen geht es um die bewusste

Gestaltung des eigenen Lebens, darum, das persönliche Wohlbefin-

den direkt zu erhöhen. Daneben ist jedoch auch das Wohlbefinden

der anderen und unser Anteil daran gemeint. Was kann ich tun, um

meinen Mitmenschen das Leben angenehmer zu machen? Wie kann

ich das Gemeinwohl steigern? Wenn ich anderen Menschen helfe,

glücklicher zu werden, erhöht das wunderbarerweise auch mein eige-

nes Wohlbefinden – und sogar nachhaltiger als materieller Wohl-

stand und Konsum. Anderen Menschen zu helfen, glücklicher zu

werden, ist allerdings gar nicht so einfach.

Letztlich haben wir ja nur uns selbst. Da unsere Wahrnehmung ein-

geschränkt ist, besteht auch unsere Welt immer nur aus einem klei-

nen Ausschnitt, und den haben wir auch noch größtenteils

konstruiert. Was ein anderer Mensch empfindet, fühlt oder denkt,

kann ich immer nur indirekt erschließen – wenn überhaupt. Schon

vieles von dem, was ich über mich selbst zu wissen glaube, ist falsch

oder zumindest unvollständig. Über meine Mitmenschen weiß ich

noch sehr viel weniger. Doch das ist kein Grund zur Verzweiflung,

sondern sollte uns veranlassen, noch achtsamer mit anderen Men-

schen umzugehen.

Page 45: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 44

Eine gute Absicht macht noch keine gute Tat. Das meiste Leid in der

Geschichte ist wohl aus gutem Willen entsprungen. Wer einen (ver-

meintlich) guten Zweck verfolgt, geht oft besonders rigide vor. Hüten

wir uns vor der Zwangsbeglückung unserer Mitmenschen!

Wer andere durch seine Taten schädigt, hat oftmals nur die Folgen

seines Handelns nicht bedacht oder zumindest falsch eingeschätzt.

Hüten wir uns also genauso davor, ihm böse Absichten zu unterstel-

len. Und ziehen wir daraus die Lehre, mit unseren eigenen Aktionen

stets vorsichtig zu sein, die Reaktionen unserer Mitmenschen ernst

zu nehmen und zu respektieren.

Gemeinwohl steigern

In Abschnitt über „Bewussteres Handeln“ habe ich darauf hingewie-

sen, dass die Entwicklung unserer Spezies erst durch die Beherr-

schung unserer Triebe möglich geworden ist. Was bedeutet diese

Fähigkeit für unser gesellschaftliches Zusammenleben?

Unter dem Gemeinwohl verstehe ich die abstrakte Summe des Ge-

winns an individuellem, aktuellem Wohlbefinden aller Menschen. Je

mehr Menschen ihr Glück jetzt steigern können, desto größer das

Gemeinwohl.

Zur besseren Verständlichkeit gliedere ich das Gemeinwohl in drei

Aspekte, auch wenn diese in der Realität wohl selten so genau unter-

schieden werden.

Page 46: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 45

Der erste und wichtigste Aspekt ist der Gewinn an Wohlbefin-

den, den wir selbst in jedem Augenblick durch Wahl und Ausführung

von Gedanken und Taten erzielen. Davon war schon ausführlich die

Rede. Nur diesen Teil des Gemeinwohls können wir direkt beeinflus-

sen. Das Wohlbefinden anderer Menschen vermögen wir nicht zu

steigern, aber wir können ihnen dabei helfen oder sie umgekehrt da-

bei behindern. Achtsamkeit und Respekt anderen Menschen gegen-

über ist daher oberstes Gebot.

Der zweite Aspekt des Gemeinwohls besteht aus dem Gewinn

an Wohlbefinden, den wir unseren Mitmenschen durch direkte Zu-

sammenarbeit, durch direkten Austausch ermöglichen. Dabei tau-

schen wir, wie gesagt, keine Werte, sondern ausschließlich

Leistungen aus – Informationen, Arbeit, Produkte, Geld, Kredit etc.

Der Irrtum der herkömmlichen ökonomischen Theorien besteht da-

rin, dass sie nur die Leistungsebene, nicht aber die Motivebene be-

trachten. Dabei sind es allein unsere subjektiven Motive, die uns zur

Wahl und Ausführung einer Tat bewegen.

Ohne Motiv (Gewinn an Vorfreude) keine Tat, ohne sorgfältig aus-

geführte Tat (Gewinn an Handlungsfreude) keine Wirkung, also

Leistung, und ohne Leistung schließlich auch kein Leistungstausch

mit Gewinn an Wohlbefinden für beide Akteure.

Es sei noch einmal daran erinnert, dass natürlich nur echte Leistun-

gen genutzt und konsumiert werden können – nicht aber ein Leis-

tungsersatz, sei es ein Versprechen, eine Verpflichtung, ein

Geldbetrag oder Kredit. Deshalb lodert Wirtschaftswachstum auf

Pump stets nur wie ein Strohfeuer auf und erlischt nach kurzer Zeit-

wieder. (Hierauf komme ich im Abschnitt „Entspannt euch“ noch

ausführlicher zu sprechen.)

Page 47: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 46

Der dritte Aspekt des Gemeinwohls ist der Gewinn an Wohlbe-

finden, den wir fremden Menschen ermöglichen. Er wird durch die

Globalisierung erheblich gesteigert. Das ist der Teil des gesellschaftli-

chen Mehrwerts, den die Makroökonomen betrachten. Dabei überse-

hen sie leider meist, dass das Erbringen, Verkaufen und Verbrauchen

von Produkten nur Mittel zum Zweck sein kann. Ein Mehr an Gütern

und Austausch bedeutet nicht automatisch auch einen Gewinn an

Wohlbefinden – vor allem dann nicht, wenn die Handlungen und

Leistungen nicht freiwillig und selbstbestimmt erbracht wurden.

Alle drei Aspekte des Gemeinwohls setzen voraus, dass wir uns selbst

beherrschen und Situationen, in denen wir stärker als andere sind,

nicht allein zu unseren Gunsten ausnutzen. Nur wenn wir respektvoll

miteinander umgehen, können wir uns gesellschaftlich gegenseitig

bereichern. Was bedeutet das konkret?

Wir müssen anerkennen, dass die Menschen grundverschieden sind

und jeder Einzelne andere Fähigkeiten und Erfahrungen als ich selbst

und alle anderen hat. Erst dadurch wird er für mich wertvoll – und

ich für ihn. Jeder sollte seine individuellen Leistungen in die Gesell-

schaft einbringen können (was allerdings in Deutschland bei einem

Dickicht von ca. 240 000 Gesetzen und staatlichen Vorschriften nicht

immer ganz einfach ist). Dadurch erhöht sich die Vielfalt des Ange-

bots und der Tauschmöglichkeiten auf natürliche Weise. Was der ei-

ne nicht kann, kann vielleicht der andere. Und der Dritte mag eine

Fähigkeit haben, deren Bedeutung sich erst noch zeigen wird. Viel-

leicht ist er (so wie ich) ein „Spinner“, der in der Zukunft eine bahn-

brechende Erfindung machen wird. Wer hätte an das Automobil

Page 48: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 47

geglaubt, bevor die ersten Motorvehikel tatsächlich auf der Straße

fuhren?

Manch einer hat sein ganzes Leben in die Entwicklung von etwas

Neuem investiert, dessen großer Wert für die Gesellschaft sich erst

viel später gezeigt hat. Aber genauso haben zahllose Erfinder und

Tüftler ihr Leben lang an Kreationen gearbeitet, die sich im Wett-

streit der Ideen und Innovationen nicht durchsetzen konnten oder

deren Zeit vielleicht erst noch kommen wird. Weil niemand vorher

wissen kann, welche neue Erfindung sich als wertvoll erweisen wird,

müssen wir Vielfalt und Verschiedenheit möglichst breiten Raum ge-

ben. Dafür ist es notwendig, dass wir nicht vorschnell abwerten, was

andere Menschen tun.

Zum einen sollten wir also andere Menschen so wenig wie möglich

einschränken und behindern. Vollständig können wir das nie verhin-

dern, da allein schon unser Vorhandensein für unsere Mitmenschen

eine Einschränkung bedeutet. Wo ich bin, kann niemand anderes

sein. Mit jedem Schritt töte ich Kleinstlebewesen, die ich mit bloßem

Auge nicht einmal sehen kann. Ganz ohne zu stören und zu schaden

kann niemand leben, und wir sollten auch nicht versuchen, uns klei-

ner zu machen, als uns gut tut. Wer sich beherrschen lässt von der

Angst, andere zu schädigen und zu stören, tut sich und anderen kei-

nen Gefallen und erzielt laufend Verlust an Wohlbefinden. Aber wir

können den Schaden minimieren, indem wir anderen Menschen

nichts aufzwingen oder vorschreiben. Dadurch steigern wir unser ei-

genes Wohlbefinden und vermeiden es, das Wohlbefinden anderer

Menschen über das Unvermeidliche hinaus zu beeinträchtigen.

Wenn wir andere Menschen bestehlen, behindern oder nötigen,

schaden wir nicht nur ihnen, sondern vor allem und zuerst uns selbst.

Wer fremdschädigend handelt, indem er seine Triebe rücksichtslos

Page 49: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 48

auslebt, schadet hauptsächlich seinem eigenen Wohlbefinden. Durch

Diebstahl wird ein Bedürfnis schnell befriedigt, doch der nachhaltige

Verlust an Wohlbefinden kann gar nicht hoch genug eingeschätzt

werden. Der Dieb schadet dem Bestohlenen, senkt den Gewinn an

Gemeinwohl und schadet damit auch sich selbst, weil er das Klima

der Gesellschaft vergiftet und selbst immer misstrauischer wird. Er

rechnet bei allen Menschen mit einem ähnlich fremdschädigenden

Handeln, wie er selbst es an den Tag legt. Das führt bei ihm zu einer

– meist unbewussten – Leiderwartung und dieser laufende Verlust

an Vorfreude senkt dauerhaft Zufriedenheit und Glück.

Es bedarf der Selbstbeherrschung, nicht zu stehlen oder Macht über

Schwächere auszuüben. Aber nur dadurch können wir kooperieren,

frei unsere Leistung tauschen und unsere Würde bewahren. Diese

Fähigkeit macht uns als Menschen aus und bereichert uns im Zu-

sammenleben. Deshalb handeln die wenigsten Menschen willentlich

fremdschädlich.

Freitausch erhöht das Gemeinwohl

Handlungen, die durch andere Menschen erzwungen oder einge-

schränkt werden, empfinden wir als fremdbestimmt. Die klassische

Form eines fremdbestimmten und eingeschränkten Lebens führen

Beamte in staatlichen Behörden. Sie bieten keine selbst erbrachten

Leistungen an, sondern sorgen dafür, dass Gesetze umgesetzt und

ausgeführt werden. Dabei können sie nicht scheitern und haben folg-

lich einen sicheren Job. Aber Freude können sie so nicht gewinnen:

Ihre Arbeit besteht ja darin, ihre Mitmenschen durch gesetzliche Re-

geln und bürokratische Hindernisse einzuschränken, wodurch sie

Page 50: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 49

nichts als Unzufriedenheit hervorrufen können. Deshalb ist das Kli-

ma in Beamtenstuben auch oft wenig freudvoll.

Eigene Leistungen zu erbringen und frei anzubieten ist dagegen sehr

viel beglückender. Allerdings muss ich es dann auch akzeptieren,

wenn jemand meine Leistung nicht haben möchte. Ich biete etwas

zum Tausch an, und der andere ist frei, mein Tauschangebot anzu-

nehmen oder abzulehnen. Bei einem solchen freien Tausch sind bei-

de Akteure Gewinner, denn beide haben etwas bekommen, das sie

höher schätzen als das, was sie gegeben haben.

Ob es sich um Käufer und Verkäufer oder um Schenkende und Be-

schenkte handelt – hier wie dort haben beide Beteiligten durch einen

freien Tausch das Gemeinwohl erhöht. Sie haben selbst einen Mehr-

wert erzielt und auch dem anderen ermöglicht, sein Wohlbefinden zu

erhöhen. Obwohl auf der Leistungs-, Güter- und Geldebene durch ei-

nen solchen Tauschakt nichts hinzukommt, erzielen beide einen Ge-

winn an Wohlbefinden. Adam Smith, wie gesagt, konnte dieses

wunderbare Phänomen nicht anderes erklären als durch die meta-

phorische „unsichtbare Hand“ des Marktes, hinter deren Wirken er

Gott vermutete.

Auch wenn wir eine Leistung tauschen, wählen wir eine Handlung

zur Gefühlsoptimierung und führen sie aus. Insofern handelt es sich

um eine Handlung wie jede andere, mit der wir unser Wohlbefinden

steigern können – nur dass uns in diesem Fall ein Mitmensch hilft,

Gewinn an Vorfreude (Wahl) und Handlungsfreude (Ausführung) zu

erzielen.

Bei einem Kauf wägen wir zwischen den Genusserwartungen ab.

Wenn wir beispielsweise vorhaben, ein Café aufzusuchen, überlegen

wir vielleicht, ob uns ein Fruchtsaft mehr Freude schenken wird oder

vielleicht eine Tasse Kaffee mit einem Stück von dem lecker ausse-

Page 51: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 50

henden Kuchen. Oder vielleicht behalten wir unser Geld und sparen

für etwas anderes? Der Entscheidungsprozess kann unbewusst und

sehr schnell ablaufen. Doch erst wenn die Freude auf Kaffee und Ku-

chen alle anderen Alternativen übersteigt, wenn also in diesem Au-

genblick keine andere Handlung verfügbar ist oder uns einfällt, die

mehr Gewinn an Vorfreude verspricht, tauschen wir unser Geld ge-

gen die gewählte Köstlichkeit. Wir wägen ab, was sie uns wert ist, und

bezahlen den geforderten Preis, wenn in diesem Moment die Vor-

freude auf Kaffee und Kuchen größer ist als auf jede andere mögliche

Verwendung des Betrags. Dadurch erzielen wir einen Gewinn an Vor-

freude, der unser Wohlbefinden sofort steigert.

Für unseren Tauschpartner, den Verkäufer oder Bäcker, stellt sich

die Tauschhandlung im Prinzip nicht anders dar. Er erwartet sich

von keiner anderen Verwendung des angebotenen Kaffees einen grö-

ßeren Gewinn an Wohlbefinden. Seine Kaffeekanne und sein Ku-

chenblech sind voll, in seiner Kasse dagegen ist noch reichlich Platz.

Also nimmt er gerne den gezahlten Betrag für eine Tasse Kaffee und

ein Stück Kuchen. Damit haben beide einen Gewinn an Wohlbefin-

den erzielt. Der eventuelle Geldgewinn des Verkäufers ist dabei nur

Mittel zum Zweck.

Genauso verhält es sich, wenn wir einem anderen Menschen anbie-

ten, ihm bei etwas zu helfen. Vielleicht befindet er sich in Schwierig-

keiten, die wir beheben können, indem wir ihm beispielsweise beim

Umzug, beim Aufräumen oder Kochen helfen. Auch das ist ein Leis-

tungstausch: Der eine bietet freiwillig seine Leistung an, die der an-

dere frei annehmen oder ablehnen kann. Ein solcher Freitausch ist

egoistisch und altruistisch zugleich. Es steigert unser Wohlbefinden

wenn wir erleben, wie jemand durch uns glücklicher wird.

Page 52: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 51

Ob wir den anderen durch unsere Leistung wirklich glücklich ma-

chen, ist damit aber noch lange nicht gesagt. Jedes gut gemeinte An-

gebot kann, wie schon erwähnt, unerwartete und unbeabsichtigte

Folgen haben. Wenn ich einer älteren Frau meinen Sitzplatz in der U-

Bahn anbiete, kann es sein, dass sie sich gekränkt fühlt, weil ich sie

anscheinend für gebrechlich halte. Wir sollten Angebote machen.

Aber wir sollten darauf gefasst sein, dass unser Gegenüber nicht so

reagiert, wie wir uns das vorgestellt haben.

Entspannt euch

Soweit also die Grundzüge der Wohlfühlökonomie. Sie basiert auf

meiner Forschungsarbeit zur Genuss-Wirtschafts-Lehre, die Prof. Pe-

ter Nietschke von der Universität Vechta angeregt und betreut hat.

Sicher kommt Ihnen der eine oder andere Zusammenhang, von dem

bisher die Rede war, aus eigener Erfahrung bekannt vor. Das wäre

nicht allzu erstaunlich, denn im Gegensatz zur klassischen Ökonomie

gehe ich bei meiner Wirtschaftstheorie von realen Menschen und ih-

ren tatsächlichen Motiven aus – und nicht von einer Kunstfigur.

Die Frage ist nun aber: Hilft uns der neue ökonomische Ansatz, aktu-

elle gesellschaftliche Probleme besser zu verstehen? Und hilft er uns

womöglich auch, Ursachen und Motive zu entdecken, die bislang

übersehen wurden, und so auch neue Lösungswege zu erkennen?

Meine Antwort auf beide Fragen lautet: Ja! Genau deshalb habe ich

die Werttheorie schließlich entdeckt und mit viel Unterstützung er-

arbeitet. Anhand einiger aktueller „Krisen“, „Katastrophen“ und

sonstiger apokalyptischer Szenarien, die Politik, Medien und daher

Page 53: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 52

auch viele Bürger in Atem halten, soll das Analyse- und Problemlö-

sungspotenzial meines neuen Ansatzes abschließend noch angedeutet

werden.

Soviel schon einmal vorab: Es gibt keine „Großkrise“, die irgendetwas

Erhaltenswertes bedrohen würde. Weder der ökonomische noch der

ökologische Kollaps steht uns bevor. Entspannen wir uns also. Selbst

wenn alles Geld nur noch Altpapierwert hat, alle Sparguthaben,

Staatsanleihen und Geldforderungen gegen Banken „verdampfen“,

gibt es nicht ein Brötchen, einen Computer, ein Auto, Haus oder was

auch immer weniger. Alles, womit Bedürfnisse real befriedigt wer-

den, alle Leistungen und Güter existieren nach wie vor. Allein der aus

dem Nichts geschöpfte Leistungsersatz – Geld und Staatsanleihen –

kehrt ins Nirwana zurück.

Aus nichts kann höchstens Erwartung und Hoffnung entstehen. Die-

se werden aber, wie jeder aus eigener Erfahrung weiß, oftmals ent-

täuscht. Die Täuschung fliegt auf, der (Selbst-)Betrug hat ein Ende.

Das ist die Chance für uns alle zu lernen. Nutzen wir sie, jeder für

sich und gemeinsam.

Unsere individuellen Handlungen passen wir ständig an die Realität

an – anders gesagt: Wir lernen unentwegt dazu. In der Ökonomie

spricht man von der Produktion, die an die Nachfrage angepasst

werden muss. Anders als Sie oder ich sind aber „der Markt“, „der

Staat“ oder „die Wirtschaft“ keine denkenden Lebewesen, die wählen

und lernen können, sondern lediglich abstrakte Begriffe. Wissen-

schaftler und Journalisten verwenden solche Begriffe jedoch oftmals

so, als ob „die Gesellschaft“ oder „die Bevölkerung“ reale Organismen

wären. Auf diese Weise gaukeln sie sich selbst und ihrem gutgläubi-

gen Publikum Zusammenhänge vor, die tatsächlich gar nicht existie-

Page 54: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 53

ren oder zumindest nicht empirisch oder experimentell überprüft

werden können.

Nun also zur praktischen Anwendung meiner Theorie auf Wirtschaft,

Staat und Gesellschaft. Was hier nur in Umrissen skizziert werden

kann, werden die interessierten Leser in meinem derzeit entstehen-

den Grundlagenwerk zur Wohlfühlökonomie ausführlicher darge-

stellt finden (siehe „Über mich“ am Schluss dieses Essays).

Eine Wirtschaftskrise entsteht ganz einfach dadurch, dass die er-

brachten Leistungen und hergestellten Güter nicht zum gewünschten

Preis verkauft werden können. Da niemand weiß, welche Leistung er

morgen erbringen oder kaufen wird, gehören solche „Krisen“ zum

ganz normalen Marktgeschehen. Sofern sie die Wahl haben, kaufen

Menschen eben nur dann, wenn der Preis ihnen einen Mehrwert, ei-

nen Gewinn an Wohlbefinden, ermöglicht. Das gilt für Kooperation

und Leistungstausch genauso wie für jede andere individuell und ak-

tuell gewählte und ausgeführte Handlung.

Können Leistungen nicht ausreichend verkauft werden, dann sollte

der Erzeuger sein Angebot verringern oder ganz einstellen. Geht ihm

das Geld aus, ist die Pleite unausweichlich. Wenn er finanzkräftige

Sponsoren hat, kann er weiter an der Verbesserung seiner Leistung

arbeiten. Dieser Anpassungsprozess kann verlustreich sein, schließ-

lich gehen der Leistungserbringung in der industrialisierten Welt er-

hebliche Investitionen voraus. Die Unternehmer haben in Forschung,

Entwicklung und Industrieanlagen investiert, die Arbeitnehmer ha-

ben Zeit, Energie und teilweise auch eigenes Geld für ihre Ausbildung

aufgewendet – doch ob diese Investitionen den erhofften Mehrwert

erbringen, muss sich auf dem Markt jeden Tag aufs Neue erweisen.

Page 55: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 54

Das zeigt sich aktuell beispielsweise bei der „Absatzkrise“ der Auto-

mobilindustrie in Europa. Wenn Unternehmen wie Opel oder

Renault für ihre Produkte keine Käufer mehr finden, bleibt letztlich

keine andere Möglichkeit, als die Produktionsanlagen stillzulegen.

Damit verlieren auch Tausende Facharbeiter und Ingenieure mit ih-

rem nicht mehr benötigten Spezialwissen ihren Job. Das bedeutet für

die Entlassenen und ihre Familien großes Leid, aber auch eine große

Chance. Allein und mit anderen können sie ihr Kapital – ihr Wissen

und ihre Erfahrungen – weiterentwickeln, anderen anbieten und für

andere Ideen und Leistungen einsetzen. (Wie man dieses Leid ver-

ringern kann, ohne unsinnige Handlungen und Leistung auf Kosten

anderer weiter zu erbringen, stelle ich im Absatz über Arbeitslosig-

keit dar.)

Durch gut gemeinte Markteingriffe seitens der politischen Akteure

wird dieser unvermeidliche Schritt höchstens hinausgeschoben und

die „Krise“ künstlich verschlimmert. Die selbst ernannten „Retter“

vermögen in Wahrheit kein Unternehmen und schon gar keinen In-

dustriezweig zu retten, dessen Produkte keine Abnehmer mehr fin-

den. Allenfalls retten sie sich selbst in die nächste Amtsperiode, in

der dann den Bürgern unweigerlich die Rechnung für die sinnlose

„Rettungsaktion“ präsentiert wird.

Einen vermeintlichen Ausweg bietet die Planwirtschaft à la DDR, die

jedem Marktteilnehmer die Abnahme seiner Leistung garantiert. Der

„realsozialistische“ deutsche Staat ist nicht zuletzt deshalb unterge-

gangen, weil dort die individuelle Bewertung seitens der Menschen in

der politischen und wirtschaftlichen Planung weitgehend ignoriert

wurde. So wurde fortlaufend Verlust an Wohlbefinden erzielt, und es

wurden unablässig Leistungen erbracht, die niemand haben wollte.

Page 56: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 55

Die Unmöglichkeit, ohne freien Markt, also ohne Selbstbestimmung

des Handelnden, zu kalkulieren, hat der Wirtschaftstheoretiker Lud-

wig von Mieses bereits vor neunzig Jahren zutreffend beschrieben.

Wird der Preis planwirtschaftlich festgelegt, also fremdbestimmt, so

ist er entweder zu niedrig oder zu hoch. Wenn er zu niedrig ist, wird

das angebotene Produkt zweckentfremdet: Dann werden buchstäb-

lich „Perlen vor die Säue“ geschüttet, also beispielsweise Backwaren

an Schweine verfüttert und somit verschwendet. Ist der Preis dage-

gen zu hoch, lässt sich die Leistung nicht verkaufen.

Deshalb befördert ein per Gesetz festgelegter „großzügiger“ Mindest-

lohn die Arbeitslosenquote, nicht aber den Wohlstand der vermeint-

lich Begünstigten. Mindestlohn verhindert Arbeit und

Leistungstausch, schadet also allen Menschen, besonders aber denje-

nigen, denen geholfen werden sollte. Die Sicherung des Einkom-

mens, die Grundversorgung jedes einzelnen Menschen, egal ob er

augenblicklich ausreichend Leistung verkauft, ist zweifellos ein wich-

tiges und berechtigtes Anliegen. Nur sollte man diese Sicherung und

die Arbeitsplätze voneinander trennen, damit die Empfänger der

Grundsicherung nicht unsinnige Leistungen erbringen müssen und

häufig sogar drangsaliert und überwacht werden.

Die hierzulande bereits existierende Grundversorgung durch „Hartz

IV“ sollte an möglichst wenige Bedingungen geknüpft werden und al-

len Bürgern vor jeder produktiven Handlung zur Verfügung stehen.

So stünde die Bewertung jedes Menschen über seine Leistungen,

Produkte und deren Preise allen anderen Menschen zur Verfügung –

ein Gemeingut, das gar nicht hoch genug geschätzt werden kann.

Und dies alles, ohne dass fremdbestimmt erbrachte, überflüssige

Leistungen und Produkte mit laufendem Verlust an guten Gefühlen

und Gemeinwohl erzwungen würden.

Page 57: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 56

Neben laufendem Verlust an Vorfreude und Handlungsfreude ruft

die planwirtschaftliche – wie jede andere – Fremdbestimmung weite-

re Probleme hervor: Die Menschen arbeiten schlampig, die Umwelt

wird mehr belastet und die Produkte sind von schlechter Qualität.

Auch der Schutz von Unternehmen durch staatliche Monopole, Sub-

ventionen und sonstige Markteingriffe funktioniert nur auf Kosten

von Wohlstand, Wohlbefinden und Gemeinwohl. Diese Gesetzmäßig-

keit lässt sich beispielsweise an der deutschen Solarindustrie studie-

ren, die zunächst mit staatlichen Fördermitteln hochgepäppelt wurde

und gegenwärtig kollabiert, da sie ohne massive Subventionen nicht

konkurrenzfähig ist.

Es gibt jedoch auch andere Wege, um das mögliche Scheitern von In-

dividuen und Unternehmen beim Verkauf der eigenen Leistung abzu-

federn. Darauf komme ich unter dem Stichpunkt „Arbeitslosigkeit“

noch zurück.

Eine Finanzkrise entsteht schlicht dadurch, dass die Gewinnerwar-

tung etlicher Menschen enttäuscht wird. Sie erkennen also die Täu-

schung, der sie aufgesessen waren, und den mehr oder weniger

großen finanziellen Schaden, den sie dadurch erlitten haben. Da wir

alle in verschiedenen Lebenslagen andauernd irgendwelchen Täu-

schungen unterliegen, ist eine „Finanzkrise“, genauso wie die „Wirt-

schaftskrise“, prinzipiell ein normaler und unvermeidlicher

Anpassungsprozess.

Allerdings werden Finanzkrisen durch das staatliche Geldmonopol

extrem verstärkt. Könnten die Menschen frei zwischen verschiedenen

Geldangeboten wählen, so würden sie dem Kreditgeld aus der staatli-

chen Druckerpresse den Rücken kehren und sich für eine Währung

entscheiden, deren Wert (Tauschkraft) durch entsprechende De-

Page 58: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 57

ckung besichert ist. Auch hier wird also durch Fremdbestimmung

enormer Schaden „nachhaltig“ verursacht.

Den Euro zu erhalten und das staatliche Geldmonopol abzuschaffen

wäre die schnellste, einfachste und wirkungsvollste Lösung. Damit

hätten „Finanz- und Bankenkrisen“ ihren Schrecken weitgehend ver-

loren. Die Verluste entstehen ja hauptsächlich dadurch, dass Politiker

und Bürokraten die Geldmenge künstlich aufblähen.

Die gleiche Wirkung haben Staatskredite. Leistungsersatz, also Kre-

dit und Geld, motiviert Menschen nur kurzfristig. Über kurz oder

lang, anhand allgemeiner Preissteigerungen, erkennen sie den Betrug

und ändern ihr Handeln. Bei steigenden Rohstoff- oder Immobilien-

preisen beglückwünschen sich viele Investoren fälschlicherweise zu

ihrer vermeintlich brillanten Anlagestrategie. Dabei kommt die

Preissteigerung meist durch Aufblähung der Geld- und Kreditmenge

zustande, die oftmals zuerst auf den Sachgütermärkten auftritt. Das

gleiche gilt natürlich für steigende Aktienmärkte. So werden die „Er-

folgsmenschen“ im Hamsterrad gehalten und ruinieren ihre Gesund-

heit.

Paradox ist, dass gerade die „linken“ Politiker, ob Sozialisten, Sozial-

demokraten oder Angehörige anderer Parteien, durch die Geld-, Kre-

dit- und Staatsschuldenausweitung kontinuierlich eine Umverteilung

„von unten nach oben“ fördern. Leider ist jedoch nicht zu erwarten,

dass die politische Klasse, die Bürokratie und die privilegierte Grup-

pe der EZB-Banker sich selbst entmachten werden. Dabei schaden sie

sich wesentlich selbst, indem sie sowohl fremdbestimmt als auch

fremdbestimmend, also selbst- und fremdschädigend handeln. Ihre

gesetzlich geschützten Vorteile beim Einkommen und bei der Jobsi-

cherheit sind ein zu hoher Preis.

Page 59: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 58

Weil die Idee so zwingend einfach ist, aber bisher nicht diskutiert

wird, sei sie hier wiederholt: Euro erhalten und Geldmonopol strei-

chen!

Arbeitslosigkeit ist genauso wie Überproduktion eigentlich ein er-

freulicher Zustand – eben „wie im Schlaraffenland“. Wenn auf dem

Markt mehr Produkte angeboten werden, als die potenziellen Käufer

benötigen, gehen die Preise immer weiter nach unten. Und wenn die

erforderlichen Leistungen von immer weniger Menschen erbracht

werden können, steigt die Zahl der Individuen, die in Freiheit,

Selbstbestimmung und Wohlbefinden leben können.

Leider hat sich diese Erkenntnis hierzulande noch nicht durchge-

setzt. Viel zu viele Menschen glauben noch an das Märchen von

Lohnarbeit und Vollbeschäftigung, die zur „Erfüllung“ des Einzelnen

und für den Wohlstand aller unabdingbar seien. Gleichzeitig leidet

aber eine Mehrheit der Arbeitnehmer unter Fremdbestimmung und

sinnlosem Tun an ihrem Arbeitsplatz.

Wer nicht zur Arbeit ins Büro oder in die Fabrik geht, ist ja trotzdem

„vollbeschäftigt“. Oder geht es Ihnen da anders als mir? Sicher nicht.

Mein Körper und mein Geist sind niemals arbeitslos. Die entschei-

dende Frage ist doch, wie viel Gewinn an Wohlbefinden wir in jedem

Augenblick durch unsere „Vollbeschäftigung“ erzielen. Dass sich die-

ser Gewinn nicht durch fremdbestimmte Handlungen steigern lässt,

sollte mittlerweile klar sein.

Brauchen wir „Vollbeschäftigung“ im herkömmlichen Sinn, um den

angeblich immer wieder mal drohenden „Kollaps des Sozialsystems“

zu verhindern? Offenkundig nicht: Nach amtlicher Statistik sind in

Deutschland derzeit rund drei Millionen Menschen „arbeitsuchend“

Page 60: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 59

– und gleichzeitig sprudeln die Steuerquellen. Haben unsere Politiker

begriffen, was das bedeutet?

Ich fürchte, nein. Politiker und Bürokraten konzentrieren sich eben

mit Vorliebe auf Bereiche, die sie sehen und (extern) messen können.

Zweifellos ist es von Vorteil, wenn wir Leistungen extern messen und

dadurch unsere gefühlte (interne) Bewertung verbessern können.

Nur sollte die äußere niemals die innere Bewertung dominieren oder

gar ersetzen. Das gilt auch für das angebliche „Problem der Arbeitslo-

sigkeit“.

Gebetsmühlenartig erklären Politiker, Gewerkschafter, Sozialverbän-

de und Kirchen, dieses vermeintliche Problem müsse durch die

„Schaffung neuer Arbeitsplätze“ gelöst oder wenigstens gelindert

werden. Doch in diesem Fall ist das angebliche Problem kein Prob-

lem, sondern die Lösung. Und entsprechend sind die geforderten und

mit staatlichen Subventionen geförderten Arbeitsplätze nicht etwa

Medizin, sondern Gift.

Haben die Politiker jemals die Menschen gefragt, ob sie mit Arbeits-

plätzen beglückt werden wollen? Anstatt aus „sozialen“ Gründen Ar-

beitsplätze zu „schaffen“, sollten sie lieber einmal die angeblich

Begünstigten ihrer Politik zu Wort kommen lassen. Wir alle sind

Schöpfer unserer individuellen Welt – Politiker, Beamte und Funkti-

onäre dagegen können gar nichts „erschaffen“, sie sind der Inbegriff

des unschöpferisch, fremdbestimmt und fremdschädigend Tätigen.

Kein Wunder also, dass sie nur immer mehr von der gleichen fal-

schen Medizin verabreichen wollen – ohne zur Kenntnis zu nehmen,

dass sie das Befinden der vermeintlichen Patienten nicht bessert,

sondern massiv verschlechtert. Unter der Fremdbestimmung leiden

nicht nur die „Arbeitsuchenden“, die sich absurden Prozeduren un-

terziehen müssen, sondern mehr noch die Mitarbeiter in den „Job-

Page 61: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 60

centern“. Das entscheidende Problem ist hierbei, dass nicht das wäh-

lende und handelnde Individuum im Mittelpunkt der sicher gut ge-

meinten „Maßnahmen“ steht, sondern der Arbeits-„Platz“, der Ort,

an dem jemand produktiv handeln soll.

Im Abschnitt „Wohlfühl-Handlungstheorie“ habe ich erläutert, dass

jeder Mensch in jedem Augenblick seines Lebens gleichzeitig produk-

tiv und konsumtiv handelt (was überwiegend unbewusst geschieht).

Die alles entscheidende Frage ist also, ob ich als handelndes Subjekt

mit der Wahl und Ausführung meiner produktiven Handlungen ei-

nen Gewinn oder Verlust an Wohlbefinden erziele und anderen er-

mögliche. Die Politiker und Bürokraten dagegen fixieren sich auf

Sekundärfragen, die sich technokratisch lösen lassen: An welchem

Platz soll welche Leistung mit welchen Werkzeugen erbracht werden?

Das Wollen der Menschen spielt bei diesen Zwangsbeglückungsmaß-

nahmen keine Rolle. Ob die Handlungen, die sie ausführen sollen, für

sie sinnvoll sind, ob sie durch ihre Arbeit einen Mehrwert an Zufrie-

denheit erzielen, bleibt für die „Schöpfer der Arbeitsplätze“ erst recht

außer Betracht.

Mein Freund Matthias, geboren und wohnhaft in der ehemaligen

DDR, hat dazu eine klare Meinung: Kommunismus und Kapitalismus

haben beide ein Problem. Im Kommunismus gibt es zu wenige und m

Kapitalismus zu viele Güter. Und jetzt raten Sie mal, welches Prob-

lem er vorzieht.

Das Problem der sozialen Marktwirtschaft ist in Wahrheit kein Prob-

lem, sondern die Lösung. Sobald wir ein staatliches Grundeinkom-

men für alle einführen, können wir sämtliche Privilegien,

Schutzgesetze und Subventionen streichen. Nur noch wenige Men-

schen werden sich dann entwürdigenden Gesetzen und Vorschriften

unterwerfen, um als Staatsknechte nicht mit ihrem Leistungsverkauf

Page 62: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 61

scheitern zu können. Ohne Grundeinkommen für alle bleibt „Büro-

kratieabbau“ jedoch die beliebteste Politikerlüge, da die Bürokratie

gewollt oder ungewollt immer mehr staatliche Arbeitsplätze produ-

ziert, aber auch laufenden Verlust an Gesundheit, Wohlstand und

Gemeinwohl. So kann man Arbeitslosigkeit natürlich auch verrin-

gern, aber zu welchem Preis?

Aus der Perspektive der Wohlfühlökonomie gibt es nur wenige Wege,

um Arbeitsplätze zu schaffen, die individuell und gemeinsam Mehr-

wert erzielen. Auf der individuellen Ebene sieht dieser Weg so

aus:

1. Wähle selbstbestimmt eine produktive Handlung.

2. Führe sie achtsam und sorgfältig aus, um eine qualitativ

hochwertige Leistung zu erbringen.

3. Biete deine Leistungen und Produkte respektvoll zu einem

möglichst geringen Preis bzw. einer Gegenleistung (oder sogar

als Geschenk) zum Tausch an.

Damit dieser individuelle Weg zu Selbstbestimmung, Qualität und

Wohlbefinden möglichst für alle Menschen gangbar wird, müssen auf

der institutionellen Ebene etliche Hindernisse aus dem Weg ge-

räumt werden. Insbesondere ist eine materielle Grundversorgung für

alle erforderlich, die an möglichst wenige Bedingungen geknüpft sein

muss. Zudem müssen möglichst viele Gesetze und Vorschriften abge-

schafft werden, die die Selbstbestimmung des Individuums ein-

schränken; das gilt insbesondere für Privilegien und Subventionen

aller Art.

Es genügt vollkommen, das Streben der Individuen nach Respekt vor

Handlung und Leistung durch staatlichen Schutz von Menschenrech-

Page 63: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 62

ten und Eigentum zu ergänzen. Jede Vorschrift, die Menschen

fremdbestimmt und fremdbestimmend handeln lässt, schädigt Wohl-

stand und Gesundheit. Jedes Gesetz, das den Individuen mehr

Selbstbestimmung ermöglicht, steigert dagegen individuelles und all-

gemeines Wohlbefinden dauerhaft.

Verwöhnt euch – jetzt!

Die Wohlfühlökonomie ist ein Appell an die Selbstverantwortung je-

des Einzelnen. Ein Aufruf zum achtsamen und respektvollen Mitei-

nander, das die Freiheit und Selbstverantwortung des anderen

respektiert und fördert, statt sie zu behindern.

Die Wohlfühlökonomie knüpft an alte philosophische Weisheiten

und psychologische Erkenntnisse an. Das Streben nach Glück ist als

Grundmotiv menschlichen Handelns seit Jahrtausenden bekannt –

schon Aristoteles schreibt darüber in der Nikomachischen Ethik. Nur

haben wir über dem Mittel (der Mehrung von Wohlstand) das Ziel

aus den Augen verloren. So haben wir vergessen, dass gerade zwi-

schenmenschliche Beziehungen und gegenseitige Anerkennung, kurz

Freundlichkeit und Freundschaft, die beste Basis für steigendes

Glück sind.

Was die Wohlfühlökonomie beschreibt, ist also nicht neu und doch

revolutionär in einer Zeit, die das Subjekt und seine Emotionen aus-

geblendet hat, weil sie sich der mathematischen Berechnung entzie-

hen. Wir müssen den Menschen endlich ganzheitlich betrachten,

auch wenn das zu Problemen zwischen den verschiedenen Wissen-

schaftsbereichen führt. Die Wohlfühlökonomie hilft uns dabei, die

Page 64: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 63

besseren Handlungen zu wählen. Auch wenn die erwartete Wirkung,

der Erfolg, nicht immer hundertprozentig erreicht wird, können wir

doch in jedem Augenblick einen Gewinn an Wohlbefinden wählen,

erzielen und anderen Menschen ermöglichen und damit dauerhaft

Zufriedenheit, Glück und Gemeinwohl steigern.

Ob es uns gefällt oder nicht, wir sind immer im Mittelpunkt unserer

Welt und müssen in jedem Augenblick wählen und handeln. Selbst-

bestimmt wählen, achtsam handeln und respektvoll unsere Leistung

anbieten und tauschen: Das ist der Weg zum Gewinn an guten Gefüh-

len, individuell und gemeinsam. Nur so steigern wir erfolgreich das

Gemeinwohl.

Warten wir nicht auf den richtigen Zeitpunkt, denn der ist immer

jetzt. Lasst es uns tun, allein und gemeinsam, jetzt, jetzt, jetzt …!

Page 65: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 64

Danke

Eigentlich hätte ich diesen Essay gar nicht in der Ich-Form schreiben

dürfen: Durch ihre Artikel und Bücher haben viele Menschen direkt

und indirekt daran mitgewirkt. Ich kann sie unmöglich alle aufzäh-

len, werde es aber im folgenden Abschnitt „Zum Weiterlesen“ zumin-

dest versuchen.

Auch viele weitere Mitmenschen, die mir hilfreiche Anregungen ge-

geben, technische und sonstige Hilfestellung geleistet haben, müssen

hier leider ungenannt bleiben. Mein besonderer Dank gilt der Dip-

lom-Philosophin Diana Aman aus Berlin: Ohne sie würde es diesen

Essay im wahrsten Sinn des Wortes nicht geben. Und zumindest in

der jetzt vorliegenden Form hätte er nicht das Licht der Öffentlich-

keit erblickt, wenn der Autor und Verleger Dr. Andreas Gößling ihn

nicht mit Engelsgeduld lektoriert hätte.

Über mich

Von der Musikproduktion (Matthias Reim und die polnische Band

Ich Troje) bis zum Flugzeugbau, von Ost-Immobilien bis zur Compu-

terladenkette habe ich als Unternehmer kaum eine Branche ausgelas-

sen. Dass einige Geschäftspartner mich übers Ohr hauten, nahm ich

zum Anlass, auszusteigen und über die wirklich wichtigen Dinge des

Page 66: Alfred Reiman - Verwöhnt euch - satzfertige Fassung 020513ag

Alfred Reimann: Verwöhnt euch! – Seite 65

Lebens nachzudenken. Ein Vierteljahrhundert unternehmerischer

Tätigkeit, mit allen Höhen und Tiefen, bot mir eine solide Basis, um

viele theoretische Annahmen einer Praxisprüfung zu unterziehen. In

den letzten neun Jahren habe ich mich intensiv mit philosophischen

und ökonomischen Grundlagentexten beschäftigt und meine Theorie

der Wohlfühlökonomie entwickelt.

Wer tiefer in die Thematik einsteigen will, kann auf ältere Texte von

mir auf den Internet-Seiten www.ich.io und www.die-freien.de zu-

greifen. Kostenlos, aber nicht umsonst (die Lektüre kostet Augenbli-

cke), stehen sie jedem zur Verfügung, den dieser Essay neugierig

gemacht hat.

Des Weiteren arbeite ich gerade intensiv und genussreich mit meiner

Ko-Autorin Dr. Dr. Maika Korn an dem Grundlagenbuch Wohl-

fühlökonomie. Die Theorie der Freiheit, Gleichheit und Brüderlich-

keit, das 2014 erscheinen soll. Erstmals scheint es zu gelingen, die

Ziele der französischen Revolution durch eine neue Theorie einiger-

maßen widerspruchsfrei zu begründen.

Kann uns die Werttheorie der Wohlfühlökonomie der Erkenntnis des

ökonomischen Naturgesetzes näherbringen? Zumindest kann sie di-

verse Widersprüche zwischen älteren Theorien auflösen.

Zum Weiterlesen

[in Arbeit]