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Albrecht Behmel

Homo sapiensBerliner Art

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Szene-Bücher

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Vollständige E-Book-Ausgabe des in der Schenk Verlag GmbH erschienen Werkes.

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie;

detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

ISBN 978-3-944842-79-0

© Schenk Verlag GmbH, Passau, 2010

Umschlaggestaltung: Frank GerdesSatz: Tibor Stubnya

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist

ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung

und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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Chapter 1

Das Pompei-Gefühl

Wenn ich je den Trottel treffe, der die E-Mails erfunden hat, dann weiß ich ganz genau, was ich zu ihm sagen werde. Nämlich: »Mann, ist dir eigentlich klar, was du damit angerichtet hast?«

Ich hatte nämlich eine Mail gekriegt, und die ging so:> Wo warst Du in Dreiteufelsnamen?

Auf der anderen Seite: Spam find ich gut. Zum Beispiel Wer-bung für absolut überzeugend unechte Rolexuhren, oder wenn die mich zum virtuellen Poker nach Las Vegas einladen, ohne dass ich selber hin muss – das find ich gut, weil ich Berlin Mitte so ungern verlasse – aber private E-Mails an mich mit persönli-chen Nachrichten drin, bei denen es auch noch um mich geht?

Schrecklich! Besonders, wenn sie von meiner Schwester Feli-zitas kommen. Felizitas ist so eine Art Mischung aus Kannibalin und Reporterin, und das Einzige, was sie im Prinzip macht, ist, Prominenten in Interviews zu nahe zu treten und sie dann im Morgengrauen in radioaktiven Society-Artikeln hinzurichten, ohne Augenbinde oder letzten Wunsch.

Und das Verrückte an der Sache ist: Ihre Promis sind alle total heiß drauf, stehen Schlange und holen sich einer nach dem ande-ren ihre Portion Strychnin auf Eis ab.

Ich sag es mal so: Wer von Felizitas noch nicht öffentlich erle-digt worden ist, der gehört offenbar einfach nicht dazu.

Manchmal denke ich, wenn sie je aus ihrem Job entlassen wer-den sollte, von der Redaktion oder so, weil zu viele Leser den grauen Star bekommen haben, weil ein Interview wieder zu viel rhetorisches Senfgas enthalten hat, dann könnte sie immer noch in die Automobilindustrie gehen und mit ihrer Stimme Bleche für Kotflügel zuschneiden.

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Deswegen habe ich erst mal eine halbe Stunde überlegt und folgende geschliffene Antwort an sie zurückgemailt:> wie jetzt?

Es ist nämlich so: Meine Familie und in vorderster Front meine Schwester halten mich alle für einen Blindgänger, spätestens seit-dem ich aus der Uni geflogen bin und mich von meiner Freun-din getrennt habe. Das heißt, eigentlich hat Kati sich von mir getrennt, aber im Rückblick ist das für mich alles nicht mehr so ganz eindeutig, irgendwie muss mein Gedächtnis sich bei der Ge-schichte verknotet haben, und jetzt warte ich darauf, dass es sich wieder entknotet.

Alle haben sie mir gesagt: »Albrecht, das ist die Frau für dich, so eine findest du nie mehr, also versau es bitte nicht wieder!« Tja, und dann kam alles anders. Und dann haben sie alle zu mir gesagt: »Siehst du, was haben wir gesagt? Schon wieder!«

Mein Rechner unterbrach mich beim Nachdenken mit einem seiner Signaltöne, die so klingen, wie wenn man eine Flasche mit was Sprudelndem drin aufmacht. Das kann man in den System-einstellungen einstellen, wenn man will. Das klingt dann unge-fähr wie: »Plopp!«

Das ist mein Signal dafür, dass neue E-Mails da sind, und schon ist es wieder Zeit für eine Familienpackung Cialis oder kosten-loses Lotto gegen einen supergünstigen Monatsbeitrag. Die lese ich immer, weil ich dann immer das Gefühl habe: Da draußen irgendwo in der Datenwelt, da sind Leute, die es gut mit mir mei-nen und die sich um mich kümmern.

Es machte: »Plopp!«Aber es war von Felizitas – und damit eher zu vergleichen mit

einer Einladung zu einer Runde russisches Roulette mit halbau-tomatischen Waffen. Meine Festplatte fing sofort an zu pfeifen und drei Hilfsprogramme hängten sich freiwillig auf, was ich ganz gut verstehen kann.

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Felizitas hatte nämlich geantwortet:>> wie jetzt?> Sag mal, willst Du mich verarschen?

Die anderen Signaltöne, die auf meinem Mac zur Auswahl ste-hen, klingen entweder so wie das Sonar-Bing im U-Boot oder wie eine Ente mit gebrochenem Herzen, die ihren ganzen Schmerz mit einem einzigen »Quak« ausdrückt, oder, noch eine Option, die mir gefällt, eine Badewanne, die sich selbst austrinkt. Aber ich bleibe erst mal beim »Plopp!«, weil: Das passt im Moment irgendwie zu mir. Es machte: »Plopp!« Ich holte tief Luft durch die Nase und sagte mir, dass es mir jeden Tag besser und besser geht, und dann hab ich zurückgetippt. Mit einem Finger, denn mit den anderen Fingern musste ich grade Kaffee trinken und gleichzeitig rauchen. Ich schrieb:>>> wie jetzt?>> Sag mal, willst Du mich verarschen?> reden wir besser nicht über mine wunschträume._ was meinstdu, »wo warst du?« bist du irgnedwie sauer?

Eine ganz lächerliche Frage an sich, denn die Felizitas, die ist immer irgendwie sauer auf jemanden, und das war schon früher so, als wir noch klein waren. Stell dir einfach eine Frau wie ein plötzliches Hochwasser vor, und du hast ungefähr ein Bild in Far-be von meiner Schwester.>>>> wie jetzt?>>> Sag mal, willst Du mich verarschen?>> Reden wir besser nicht über meine Wunschträume. Was meinst du, »wo warst du?!« Bist du irgendwie sauer?> JA!!!!!

Felizitas hat die Angewohnheit, meine E-Mails zu korrigieren und dann an mich zurückzuschicken. Vielleicht eine Berufs-krankheit, aber ich finde jedenfalls: Das sagt schon eine Menge aus über einen Menschen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Felizitas auch mich selbst am liebsten korrigiert wieder zurück-schicken würde.

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Die Frage ist nur: wohin? Und wer übernimmt das Porto?Ich mailte mailwendend zurück:

>> JA!!!!!> hä?

Inzwischen hatte ich bestimmt schon drei Pfund abgenommen, aber das kann man ja nicht sehen, wenn man seinen Laptop auf dem Schoß hat, weil dir die Hosen nicht rutschen können. Warm wird’s trotzdem, und es machte: »Plopp!« Schon wieder!>>> JA!!!!!>> hä?> SPINNST DU? Weil wir alle auf Dich gewartet haben, Du Versager! Ich wette, Du warst wieder betrunken und hast »vergessen«, dass wir Onkel Georg zu mir eingeladen hatten. Wenn Du Dich doch bloß ein bisschen mehr um die Familie kümmern könntest! Aber was sol’s …> Und bevor Du fragst: Ja, er hatte wirklich schon wieder Ge-burtstag (wie je-des Jahr am glei-chen Tag!), und: JA, wir haben fest mit Dir gerechnet und ja, keine Sorge, ich hab Dei-nen Anteil für das Geschenk ausgelegt und allen gesagt, dass Du nur wahrscheinlich wieder im Gefängnis sitzt und nichts dafür kannst. Du schuldest mir damit übrigens weitere 37,40 Euro. Du kennst die Gesamtsumme. TU ENDLICH WAS!Ich komme morgen kurz vorbei, wenn es Dir nichts aus-macht.kein lieber Gruss von Felizitas

Es stimmt: Ich hatte den Geburtstag tatsächlich vergessen, ist einfach irgendwie so passiert, und das tat mir leid, weil der Onkel Georg mein Lieblingsonkel ist, uralt, schwerhörig und so faltig wie eine Dörrpflaume im Ruhestand. Das kommt daher, dass er lange in den Tropen gelebt hat, dort wird man ja bekanntlich viel faltiger, als das hier bei uns je möglich wäre.

Dazu muss ich aber noch sagen: Ich hatte damals einen neuen Mitbewohner, den Chris, weil: Als die Kati ausgezogen war, ist

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mir die Wohnung auf einmal zu groß vorgekommen, weil die Kati so viel Platz brauchte wie eine Herde Bisons in der Regen-zeit. Und als sie ausgezogen ist, da hat sie alle Möbel und Sachen mitgenommen, und deswegen war sogar noch mehr Platz da als davor. Es war alles so leer, dass sogar das Echo sich einsam gefühlt hat. Das heißt, einen Löffel hatte sie dagelassen, diesen einen Kit-schigen mit Neuschwanstein drauf, denn den konnte sie sowieso nie leiden. Ja, und da lag eben der Löffel in der Küche auf dem Boden und hat auf den Rost gewartet.

Egal.Der Punkt ist: Erst mal war das ein ganz schöner Schock, keine

Möbel mehr zu haben und kein Geschirr und nix, aber so nach und nach sieht man auch die Vorteile. Ich hatte auf einmal viel mehr Platz in der Wohnung, überall da, wo die Dreckränder wa-ren, sind neue Flächen dazugekommen, das konnte man genau ablesen, da war Zuwachs an Lebensraum.

Aber so richtig lange ist es bei mir nicht leer geblieben, ers-tens haben nämlich sofort fast alle Leute, die ich kenne, mir ir-gendwelche Möbel gebracht und die ganz gegen meinen Willen überall aufgestellt. Das meiste davon hab ich aber wieder raus-geworfen. Und dann ist es so weitergegangen: Da hab ich dann eine Anzeige aufgegeben, und eine Bisonherde namens Chris ist eingezogen.

Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber früher, wenn ich den Namen ‚Chris‘ gehört habe, da hab ich immer an einen mittelgro-ßen blonden Surfer-Typ mit dicken Oberarmen und einem ge-winnenden Lächeln gedacht. So einer, der Werbung für Vanille-Eis machen kann.

Aber jetzt, da ich meinen persönlichen Chris bekommen habe, denke ich bei dem Namen an eine übergewichtige Mischung aus Wikipedia und einem Buddha mit Bart. Aber obwohl er so riesig ist wie ein Viech aus der Urzeit, muss man trotzdem keine Angst vor ihm haben, weil: Er besteht fast nur aus Güte, Liebe und Fett, der Rest sind wahrscheinlich Farb- und Konservierungsstoffe.

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Und er sitzt immer in der Küche. Ich ging zu Chris in die Kü-che und sagte: »Chris, meine Schwester ärgert sich, und zwar über mich und per E-Mail. Es macht ständig: »Plopp!« Wenn du verstehst, was ich meine. Das ist keine Werbung, das ist Poli-tik, was ich da kriege. Die Alte spammt mich voll zu, Mann!«

Der Chris hat kurz in seinem Buch hin und her geblättert und dann was vorgelesen.

»Nichts ist beglückender, als einen Menschen zu finden, den man den Rest seines Lebens ärgern kann, Albrecht.«

Solche Sprüche kriegt man von ihm eigentlich ständig vors Kinn. Und dabei hat er so verträumt in sich reingeschaut, dass er fast geleuchtet hätte vor lauter Weisheit.

Ich sagte: »Noch mal, bitte?« Weil: Ich hatte nicht mit so was gerechnet und deswegen nicht

so genau zugehört.Er sagte: »Nun, ich habe lediglich die Schriftstellerin Agatha

Christie zitiert; sie hat ihrer Ansicht Ausdruck verliehen, dass der Ärger, selbst wenn er auf der einen Seite unangenehme, beun-ruhigende Gefühle mit sich bringen mag, auf der anderen Seite jedoch zuweilen entgegengesetzte Regungen als Ursprung hat, nämlich etwa Zuneigung.«

»Was issn das da?«»Mein Zitatenschatz.«Und er zeigte mir das Buch, in dem er die ganze Zeit immer

liest. Es heißt: Worte der Weisheit Band Drei und der Einband hat so mental gestörte Wolken drauf. Jedenfalls habt ihr da mei-nen Mitbewohner in Kurzfassung: redet wie ein Quirl im Koka-inrausch und zitiert Dingserida.

Ich schaute ihn mir ganz genau an und sagte: »Hä? Meinst du, das hilft mir jetzt oder was?«

Denn es ist ja so: Der Chris ist die Fleisch gewordene Weisheit und zwar mit exakt ebenso viel Weisheit wie Fleisch – absolut raue Mengen! Und dass er wahnsinnig fett war, reichte ihm of-fenbar nicht; er musste sich auch noch so ausdrücken, dass die

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Kalorien aus jedem Wort einfach nur so herausquollen wie sei-ne dreifaltigen Hüften aus dem Hosenbund. Ein sehr nahrhafter Mensch, wenn ihr versteht, worauf ich hinauswill … In dieser Hinsicht ist er übrigens genau das Gegenstück zu meiner Schwes-ter Felizitas, die ist erstens reitgertenschlank und zweitens sind ihre Wortbeiträge laut Gesundheitsamt nicht zum allgemeinen Verzehr geeignet.

Ich sagte: »Hast du eigentlich schon immer so geredet, Chris?«

Das fragte ich ihn, weil ich mich wirklich oft gefragt habe, wie das kommt, dass der so redet; ich meine, das kann doch nicht sein, dass er immer schon so geredet hat.

Er schwieg und dachte nach.Ich sagte: »Also, was ist? Hast du?«Chris hob seinen Bauch mit beiden Händen an und sprach fol-

gende Worte in meine Atemluft hinein: »Die autobiographisch korrekte Antwort müsste natürlich auf ein ‚Nein‘ hinauslaufen, wenn man berücksichtigt, dass der frühkindliche Spracherwerb in einem durchschnittlich entwickelten Kind, wie ich ohne Zwei-fel eines war …«

Was ich die ganze Zeit sagen will, ist: Er hätte ja auch einfach sagen können: »Klar!« oder: »Quatsch!«, aber so ist er eben nicht unterwegs, der Chris.

Ich sagte: »Schon gut! Vergiss es! Pass auf, ich hab ein Prob-lem. Ich hab den Geburtstag von meinem Onkel Georg verges-sen, und Felizitas ist sauer, weil …«

Und ich gab ihm den Nachrichtenüberblick. Der Chris nickte, zog die Augenbrauen zusammen und versank in einem seiner me-ditativen Zustände, bei dem er alles um sich herum vergisst und in den weiten Prärien seines Geistes in den Sonnenuntergang rei-tet. Und das kann richtig lange dauern, weil die echt riesig sind, diese Prärien.

Und der Punkt ist doch: Man will ja nicht ungemütlich sein oder jemanden stören, der sich gerade anschickt, in den Sonnen-

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untergang zu reiten, ohne die Küche zu verlassen, aber als ich eine Weile zugesehen hatte, wie sich seine Mimik entspannte wie ein Marshmallow in der Mikrowelle, da hat es mir wieder für eine Weile gereicht.

Ich sagte: »Ich brauch jetzt erst mal ein Kaffee. Willst auch einen?«

Er nickte noch einmal voller Würde. Ich wette: Er wäre ein tol-ler Ministerpräsident von irgendwas geworden, aber irgendwie schien ihm nichts auf der Welt so wichtig zu sein wie sein innerer Frieden …

Dann hab ich mich umgeschaut. Meine Wohnung war echt leerer als der Weltraum, wenn man sich die Planeten wegdenkt, weil: Die Kati hatte sogar die Spinnweben hinter der Wasch-maschine mitgenommen, deswegen improvisieren wir eben ein bisschen, der Chris und ich, wenn wir was kochen wollen. Und langsam ziehen die ersten Gegenstände schon wieder bei uns ein, jedenfalls Kaffee geht schon wieder.

Ich setzte mich kurz an den Rechner, um ein bisschen zu trai-nieren, weil: Ich übe zur Zeit dieses Superspiel; es heißt Crazy Turtles Race, und du bist eine Schildkröte auf einer Rakete, die durch eine Marslandschaft fliegt und andere Schildkröten aus dem Rennen schlagen muss.

Die Geschichte ist nämlich, dass du aus dem Gefängnis für Schildkröten geflohen bist, und jetzt suchen sie dich überall im Weltraum. Macht einen Heidenspaß! Man kann zum Beispiel Schildkröteneier abfeuern, das bringt die anderen dann zum Schleudern und sie knallen gegen riesige Säulen, wenn man Glück hat; aber für den Highscore hat es bei mir noch nicht gereicht. Es fehlen noch zwanzigtausend Punkte.

Nur, damit man sich das vorstellen kann: Ein Volltreffer bringt grade mal fünf Punkte. Jedenfalls, ich war gerade in Runde Drei, da machte der Computer wieder eine Flasche auf: »Plopp!« Und eine leere Wohnung hat ein ziemlich deutliches Echo. Da stand:

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> Kannst Du Dich nicht wenigstens mal entschuldigen? Vom Bedanken will ich ja gar nicht reden.> Felizitas

In der Küche brodelte das Wasser schon, und Chris machte uns einen Mokka. Bislang wusste ich gar nicht so genau, was ein Mok-ka eigentlich ist, aber seit wir gelesen haben, dass das die einfachs-te Art ist, einen Kaffee zu machen, machen wir das auch so. Geht wirklich ganz einfach: Man brüht das Pulver direkt in der Tasse auf und fertig, genauso wie Nescafé, nur dass man eben richtigen, gemahlenen Kaffee nimmt. Und dann wartet man bisschen ab, es sei denn, man möchte unbedingt Kaffeepulver zwischen den Zähnen haben: In diesem Fall trinkt man etwas früher, so wie der Chris.

Ich sagte: »He, Chris, wir haben keine Zigaretten mehr, wie soll man denn da mit dem Rauchen aufhören?«

Das ist nämlich zur Zeit einer meiner Lieblingswitze. Aber der Chris hat mich nicht gehört, weil er wieder seine Atemübungen machte. Außerdem kann er seine Ohren abschalten, jedenfalls glaub ich das. Weil: Es sieht einfach so aus. Ich ging wieder rü-ber zu meiner Korrespondenz aus dem Reich der Finsternis und schrieb zurück:

»Liebe Felizi …« Nein, dazu konnte ich mich nicht überwin-den und hab das noch mal gelöscht, war einfach zu verlogen, wenn ihr versteht, was ich meine. »Hi, Feli!« … hm, nee, das war mir zu Dingenskirchen, und ich hab mir gedacht, das erste Wort in der E-Mail muss immer das beste sein. »Felizitas!«, schrieb ich, aber das hat mir auch nicht gefallen, zu nett. Dann schrieb ich weiter und wieder musste ich mich überwinden, streichen und kürzen. Was am Ende übrig blieb, war folgende perfekt for-mulierte Kurzmeldung:> Sorry!

Mir war natürlich klar, dass jetzt irgendwo in Charlottenburg bei Felizitas in ihrem Führerbunker, oder wo sie war, die auto-matischen Feuersprenkler anfingen, alles unter Wasser zu setzen,

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denn wenn es eine Sache gibt, die Felizitas auf den Fikus bringt, dann sind es einsilbige Entschuldigungen. Sie stellt sich vielmehr eher etwas vom Umfang der Brüder Karamasow vor – das ist ein Buch, das ich mal gelesen habe, und das ich jetzt dazu verwen-de, die Tür zur Abstellkammer geschlossen zu halten, weil das Schloss kaputt ist. Ein richtiger Wälzer, diese Brüder Karama-sow! Es geht um eine Familie, und da sind jede Menge Brüder, die alle Karamasow heißen. Das ist der Kern sozusagen. Meine Lieblingsstelle ist die, wo der eine von denen nicht einschlafen kann. Sehr lange Geschichte alles in allem, und dann gibt es dazu noch einen Vater, der die Sache erst noch so richtig kompliziert macht. Heißt auch Karamasow. Das ist aber unrealistisch, weil: Hast du schon mal von einem Vater gehört, der irgendwas kom-pliziert macht? Ich bin der Ansicht, wenn es irgendwo kompli-ziert wird, steckt im Endeffekt immer eine Schwester dahinter. Aber Schwestern kommen, glaube ich, nicht drin vor; das Buch kann ich nur empfehlen. Die Tür ging auf.

»Ah, Chris, was gibt’s?«Chris kommt immer rein, ohne anzuklopfen.»Könnte nicht der Schlüssel zur Lösung des Konflikts zwischen

dir und deiner Schwester Felizitas darin liegen, ihren beruflichen Hintergrund für deine Zwecke einzusetzen?«

»Wie jetzt?«»Mir kam lediglich der Gedanke, dass deine Schwester in ihrer

Eigenschaft als Journalistin wahrscheinlich beständig auf der Su-che nach dem ist, was man eine ‚Story‘ nennt.«

»Ja, und sie sucht auch ständig nach neuen Todesarten.«Aber den Chris kann man nicht aus dem Konzept bringen.»Wäre, so habe ich mich gefragt, der Hintergrund deiner ge-

genwärtigen Lebenslage nicht eine ebensolche ‚Story‘, die man unter Umständen sogar für ein geringes oder auch mittleres Ho-norar deiner Schwester Felizitas zur Verfügung stellen könnte?«

Ich wartete ab, bis seine Wörter aufgehört hatten, in mein Ge-hirn zu regnen, dann sagte ich: »Chris?«

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»Ja?«»Ich soll meine Story verkaufen? An Felizitas? Welche Sto-

ry?«»Nun …«»Schwachsinn, Chris!«Weil: Dann würde ich ja mit ihr reden müssen und das war ge-

nau das, was ich auf keinen Fall wollte. Und dann auch noch die Wahrheit sagen? Das ging zu weit.

Der Chris sagte: »Jedenfalls wären …«»Sie würde mich für den Rest meines Lebens erpressen.«Chris schaute mich mit seinen blauen Augen an, richtete sei-

nen massigen Körper auf und sprach die folgenden Worte: »Ein Umstand, den es abzuwenden gilt.«

»Oder für den Rest ihres Lebens!«»Ein Umstand, den es ebenso sehr abzuwenden gilt.«»Du sagst es, Chris, ganz genau! Ein Umstand, den es ver-

dammt noch mal abzuwenden gilt und zwar: koste es, was es wol-le, sag ich dir! Neenee, vergiss es, das läuft nicht!«

Wie der redet! »Ein Umstand, den es auf jeden Fall abzuwen-den gilt.« Ich nahm mir vor, mir diesen Satz unbedingt zu mer-ken: »Ein Umstand, den …« Sehr gut! Dann sagte er: »Ich wer-de aller Voraussicht nach heute über Nacht nicht zu Hause sein können, da ich …«

»Nein, du hast falsch verstanden; die Felizitas kommt erst morgen.«

Ich nahm mir ganz ehrlich vor, den Chris künftig öfter aus-reden zu lassen und ihm nicht dauernd ins Wort zu fallen. Das mach ich nämlich ständig, und das ärgert mich dann selbst hin-terher immer.

»Das wäre ebenfalls zu bedenken. Aber gerade heute …«»Moment Chris, stopp! Du kannst machen, was du willst, du

bist ein freier Mann, ein freier Chris, und musst dich vor nieman-dem rechtfertigen. Geh, wohin immer dich der Weg der Weisheit führt, wie?«

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Auch kein schlechter Satz, oder? Der Chris wogte seinen Bauch in meine Nähe.

»Doch da wir freilich derzeit leider nur über einen einzigen Hausschlüssel verfügen …«

»Weil du deinen verschlampert hast.«Chris schaute betrübt zu Boden. Mist! Schon wieder unterbro-

chen! Es schmerzt mich immer, wenn ich ihn so sehe, also hab ich ganz schnell weitergeredet. Das mach ich immer so, wenn ich nicht weiß, was ich sagen soll.

»Ist schon recht, wann kommst du denn eigentlich wieder? Ich bin auf jeden Fall da und lass dich rein, okay?«

»Das wäre morgen gegen neun Uhr in der Frühe, jedoch kann ich auch einen späteren Zug nehmen oder, sollte es un-zeitig früh sein, noch eine Weile hier und dort spazieren gehen, bis …«

»Kommt überhaupt nicht in Frage, Chris, mach einfach so, wie es für dich gut ist. Wenn du kommst, bist du da …«, sag-te ich und fühlte mich richtig großzügig dabei. Dann ging ich raus. Weil: Spaziergang! Der Chris hatte absolut recht. Ich fin-de: Man muss immer ganz langsam laufen und sollte nieman-den überholen, das gibt dann den besten Spaziereffekt, vor al-lem in Berlin, wo die Leute Probleme damit haben, geradeaus zu gehen.

Berlin ist ja irgendwie anders und passt nicht in die Reihe der anderen Städte, weil: Berlin ist nie ganz fertig und immer ein bisschen ungepflegt, im Grunde genau wie ich, und deswegen liebe ich das wahrscheinlich so, jeden Tag eine Stunde spazieren zu gehen, um zu schauen, ob sich wieder was verändert hat in der Stadt, in Mitte, wo ich wohne. Ich bin die Friedrich lang, vom Oranienburger Tor über die Weidendammer Brücke bis zum Lafayette und dann unterirdisch durch die Passage weiter zum Gendarmenmarkt, wo eine meiner Lieblingsbars ist: das Newton. Die Bar an sich ist ziemlich hässlich, weil überall an den Wänden riesige Frauen ohne Kleider zu sehen sind, die ei-

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nen anschauen, als wollten sie sagen: »Was willst du denn hier, Kleiner? Los, schwirr ab!«

Und die Leute, die da hingehen, sind meistens auch nicht so ganz seriös: Schauspieler, Künstler, Leute mit Perücken und Goldketten, Gesindel in teuren Kleidern. Der Unseriöseste und Schmierigste von allen heißt übrigens Mikki, und er pumpt mich immer an. Und dass die sich da alle ohne Verabredung treffen, einfach so, weil es sie hinzieht, das gefällt mir an der Bar, und ich gehe auch fast jeden Tag hin. Wenn ich dann am Tresen steh, denk ich manchmal an Kati, weil wir oft zusammen dort waren und gemeinsam den ersten Drink genommen haben, bis sie auch eines Tages zu mir gesagt hat:

»Schwirr ab!«Oder so ähnlich war das damals. Sie hat es aber ein bisschen

anders ausgedrückt, nicht ganz so umständlich. Ich stellte mich an den Tresen mit dem Rücken zur Öffentlichkeit und der Nase direkt über dem Spülbecken der Bar. Viele sagen mir, wenn ich so dastehe, dann sehe ich fast so aus wie John Wayne in seiner Stammkneipe im Wilden Westen, kurz bevor die Prügelei an-fängt.

Unten hinter der Theke sah ich den Hinterkopf und den blonden Pferdeschwanz von Susi, die irgendwas aus einem Fach heraus-zerrte, wahrscheinlich Drogen oder frische Servietten.

Ich sagte: »Hi, Susi, na?«Sie erschrak und schaute nach oben. Ich hab ihr zugelächelt

und genickt. Das mache ich immer, wenn ich mit blonden Pfer-deschwänzen konfrontiert werde, und das Leben gibt mir recht! So muss man es machen: nicken und lächeln, bis es einer von bei-den bereut.

Susi richtete sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter fünf-undfünfzig auf – mit ein paar Zentimetern im Zweifel für den Angeklagten unter den Schuhsohlen – und zeigte mir die Faust, weil sie halt schreckhaft ist.

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Aber sie sagte ganz nett: »Hi, na? Wat willste trinken? Wie immer?«

»Ja, aber doppelt!«»Kommt sofort …«»Geht es nicht etwas schneller?«Sie wedelte mir ihre gerümpfte Nase entgegen und drehte sich

weg. Susi ist wirklich ein Schnucki mit ihrer engen Schürze um die Hüften und dem langen, blonden Pferdeschwanz etwas wei-ter oben.

Ich finde ja immer, dass Frauen mit so einer Frisur unglaublich kompetent aussehen. Mein Espresso kam doppelt, und er kam schnell. Fast so gut wie ein Mokko auf Rädern.

Ich wollte gerade darüber nachdenken, wie die Susi wohl nur in Schürze und Pferdeschwanz aussehen würde, und ich war grade an der Stelle angekommen, wo sie nackt unter ein Regal hech-tet, weil die Drogenfahndung grade reinkommt, da hat sich mein Handy geschüttelt, wahrscheinlich aus moralischer Entrüstung über meine Tagträume. Es war eine SMS von Mikki. Wir tele-fonieren oder mailen fast jeden Tag hin und her, und wenn wir eine Weile telefoniert haben, dann wird es uns zu dumm und wir verabreden uns irgendwo, um was zu trinken. Das ist ja immer ganz einfach. Seine SMS lautete sinngemäß:> BIN IM NEWTON KOMM SOFORT HER DU PFEIFE

Ich stutzte. Da war sicher irgendwo ein Fehler im System, weil: Ich war ja selber im Newton, allerdings mit dem Rü-cken zur Öffentlichkeit. Ich schaute mich vorsichtig um. Da saß der Kerl in einem der Ledersessel und studierte mit seinen Glubschaugen die Karte so, als würde er sich ernsthaft überle-gen, etwas anderes als einen Gin Tonic zu bestellen. Weil: Der Mikki trinkt um diese Tageszeit immer nur Gin Tonic. Ich schaute wieder auf das Handy: 18.35 Uhr. Es kam nur Gin Tonic in Frage – kenne doch den Mikki! Nur eine Frage der Zeit, bis er sich einen bestellt. Ich sagte: »Psst, Susi, komm mal her!«

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»Wattn?«»Siehst du den da im Ledersessel?«»Mikki, ja, ick dachte, ihr seid befreundet?«»Ja, ja, sind wir auch; geh zu ihm und sag, dass er jetzt Gin

Tonic bestellen soll, sonst gibt es Hausverbot.«»Habta euch gezankt?«»Sag ihm einfach: neue Hauspolitik für Stammgäste.«»Wat?«»Nur ein Witz, wenn du das machst, schmeiß ich gleich ’ne

Runde.«»Wat? Du?«»Ja sicher, geh!«»Na jut … Aaba den Witz, also det is doch keen Witz …«Sie wippte mit Ihrem Pferdeschwanz kompetent auf den Le-

dersessel zu und beugte sich diskret über Mikkis Sessel. Ich mei-ne: Das ist gar nicht so leicht, sich über was zu beugen, wenn man nicht mal einssechzig ist.

Da hörte ich Mikkis Stimme durch die schmierige Musik hin-durchschneiden. Er hatte seine Lautsprecher aus Versehen auf Schöneberg gestellt und brüllte völlig ungeniert raus, wie es nun mal so seine Art ist.

»Ja, was soll ich denn mit Gin Tonic, Himmel noch mal? Schampus!« Und seine Glubschaugen blähten sich auf.

»Was schreist du so?«, sagte ich und drehte mich auf eine Wei-se um, die mich total an John Wayne erinnert. So aus den Schul-tern heraus. Eine echt coole Bewegung, aber wenn man nicht auf-passt, kann man sich dabei doll verrenken.

Der Mikki brüllte: »Albrecht! Da bist du ja endlich! Was ist? Hast du Rückenschmerzen?«

»Quatsch!«John Wayne hat keine Rückenschmerzen.»Wenigstens hast du dich beeilt!«»Nee, ich war schon da, als du angerufen hast.«»Ja, ja. Egal, das Wichtige ist …«

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Und er ließ seine Froschaugen überall durch den Raum wan-dern, als hätte er einen Schlag mit einem gefrorenen Lachs ins Genick bekommen. Ich kannte diese Symptome nur zu gut: Es war schon das zweite Mal in dieser Woche.

»Mikki, sag, dass das nicht wahr ist! Nicht schon wieder!«»Doch!«»Oh Gott!«»Doch! Was für ein Mädchen, Albrecht! Die ist es! Endlich

hab ich die Frau fürs Leben; wunderbar, intelligent und frisch, und hat diesen herrlichen Sinn für Humor … Ach! Hier, prost! Ich lade dich ein!«

Er machte das internationale Zeichen für zu große Brüste. Ich sagte: »Gut gemacht!«

Der Mikki liebt große Auftritte, und das Interessante an ihm ist, dass er sogar einen Auftritt hinkriegt, ohne dass er dafür auf-stehen muss.

»Susi! Ich schmeiß ’ne Runde; für dich auch!«Susi guckte, rümpfte kurz die Nase und wedelte mich an, aber

sie hat es nett gemeint; das hab ich an der Art und Weise sehen können, wie sie das gemacht hat. Dabei wackelte der blonde Pfer-deschwanz hin und her. Toll!

Ich ließ mich aber nicht lange ablenken, sondern: Ich hab mein Kinn in die Hand genommen und schaute Mikki an wie ein Arzt, der es mit einer berühmten Hautkrankheit zu tun hat, aber von der er sich die Symptome noch mal kurz vergegenwärtigen muss.

Ich sagte: »Und wer ist es heute?«»Albrecht, bitte! Was soll das?«»Entschuldigung, ich meinte: Ähm, wer ist denn die Glück-

liche, kennst du ihren Namen? Habt ihr schon miteinander ge-sprochen?« Das sagte ich so wie derselbe Arzt, wenn man ihm gerade erklärt hat, dass es keine Hautkrankheit ist, sondern ein neues Make-up aus Nordkorea, und als ab dieser Arzt überhaupt keine Ahnung von den Sachen hat, die in der Welt was zählen. Mikki tat so, als hätte er überhaupt nicht zugehört.

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»Sie heißt Charlotte und kommt aus Genf, stell dir vor, sie kann kaum Deutsch, sondern nur Französisch und ein bisschen Englisch, aber das klingt genauso wie ihr Französisch«

Er rülpste ganz ungeniert.»Ja, und?«»Mann, ist die süß! Ich nenne sie mein Zwiebelchen, und sie

sagt dann immer Dswiebölschön! Und schaut mich an wie ein, wie ein …«

Und er lachte sich halb krank, als er das sagte, und als er sich verschluckte, da lachte er einfach weiter, als hätte er überhaupt keine Bronchien. Ich sah ihn mir an, wie er sich wieder einkrieg-te, und schüttelte den Kopf.

»Eine wunderbare Grundlage für eine echt tiefe Beziehung, vor allem, wenn ich daran denke, dass du selbst überhaupt kein Französisch kannst, Mikki.«

»Wieso sagst du denn jetzt so was? Das ist unfair! Es ist doch nicht Charlottes Schuld, wenn ich schlecht in der Schule war.«

»Das stimmt wohl.«»Siehst du, also hack bitte nicht auf dem armen Mädel rum.

Sie ist außerdem Schweizerin.«Mikki ähnelte immer mehr einem Frosch, der sich für was Bes-

seres hält.Ich sagte: »Ist das jetzt ein mildernder Umstand?«»Ja, genau!«»Hübsch?«»Hübsch? Die schönste Frau der Welt, Albrecht! Was für Au-

gen, das Haar! Diese Hände!«»Und der Mund erst?«, riet ich, denn ich kenne ja die Symp-

tome.»Ja! Die Lippen sind wie … Woher weißt du das?«Der Frosch wurde etwas misstrauisch.Ich sagte: »Nur geraten.«»Ah so.«»Ja.«

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Das Gespräch drohte an diesem Punkt zu versanden, aber die Susi kam auf ihre kompetente Art genau im richtigen Moment herbei und brachte Zigaretten auf einem Tablett.

Die Schachtel so halb ausgezogen und die Streichhölzer ele-gant oben in die Klappe reingeklemmt, die Euromünze Restgeld in der durchsichtigen Schürze vorne drin mit dem Adler nach vorn, absolut kompetent, die Susi mit ihrem Pferdeschwanz.

Mikki drehte sich um und schaute ihr ins Gesicht:»Ich bin nämlich frisch verliebt, Susi.«»Na, det ist ja mal ganz wat Neuet, zur Abwechslung mal,

ja?«»Doch ehrlich, diesmal ist es auch die Richtige.«Susi richtete sich auf.»Ick bin froh, dass du so offen zu mir bist, Mikki«, sagte die

Susi und schaute sich um, ob jemand etwas bestellen wollte, aber sie hatte Pech: Keiner wollte was, und sie musste bei uns bleiben.

»Komm, du bist doch nicht etwa noch böse wegen damals? »»Nee! Außerdem hab ick ja selber Schluss gemacht.«»Hast du nicht!«»Hab ick wohl!«»Weißt du, Susi, okay, ich arbeite an mir und versuche, mei-

ne Fehler nicht zu wiederholen. Was? Lach nicht so blöd, Alb-recht!«

Sie sagte: »Aba zum Rauchn müssta hoch in die Lounge.«

So war das immer mit Mikki. Genaoso viel Taktgefühl wie eine Herde Gnus beim Überqueren des Orinoco, oder wo das da ist, wo die Gnus massenhaft durch das Wasser rennen, so dass die Krokodile sich überlegen, ob sie Vegetarier werden oder sich lie-ber gleich freiwillig als Handtasche melden sollen.

»Wollta noch wat trinken, Jungs?«»Ahm, ja, ich nehm Gin Tonic.«Weil: Er trinkt wirklich immer Gin Tonic, der Mikki.»Kann ich einen Mokka haben?«

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»Gibt’s hier nicht, weeste doch!«Und weg war sie, um woanders kompetent zu sein.»Jedenfalls, dachte ich, gehen wir heute abend ins Felix, und

du kommst mit«, strahlte Mikki wie der wachhabende Schein-werfer auf einer Skipiste.

»Oh nein! Sicher nicht! Und: Wer ist wir?«Das wollte ich schon vorher wissen; ich kenne doch Mikki.»Stell dir vor, Charlotte hat gesagt, sie bringt sogar ein paar

Freunde mit.«»Freunde?«»Freundinnen!«»Hast du Freunde gesagt oder Freundinnen?«»Ich hab Freundinnen gesagt!«»Du hast gesagt: Freunde!«»Freundin.«»Ach so …?«Der Mikki hat mir die Hand auf die Schulter gelegt und mir

alles genau erklärt. Dabei hat er mich voll und ganz in seine Al-koholfahne gewickelt.

Er sagte: »Das liegt an dem Sprachfehler, den sie hat, sie ver-schluckt immer die Endungen, sie meinte ganz sicher: Freun-dinnen, ganz viele süße Freundinnen – alle aus der Schweiz! Ich könnte da an deiner Stelle nicht neutral bleiben.«

Dann hat er auf einmal ganz albern angefangen zu kichern.»Was?«»Neutral – Schweiz! Mann, Albrecht, denk doch mal nach,

Mann, die Schweiz! Da könnte ich nicht neutral bleiben …. Ha-hahahahaaha! Gut, was?«

Und er lachte sich kaputt über diesen schlappen Witz. Als er fertig war, begann er damit, in einem vollkommen lächerlichen, nachgemachten französischen Akzent die Wörter »Freunde, Freundin und Freundinnen« so lange auszusprechen und zu vergewaltigen, bis sie wirklich alle drei genau gleich geklungen haben.

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Er sagte: »Siehst du? Was hab ich gesagt? Freundin!«Mikki liebt den Triumph. Aber mir war das nicht so eindeu-

tig …Ich sagte: »Warum hab ich nur schon wieder dieses Gefühl?«

Und ich meinte ganz genau, was ich sagte.»Was denn für ein Gefühl?«»Das Pompei-Gefühl …«»Fang nicht wieder davon an, Albrecht, das bringt Unglück,

weißt du doch!« Seine Glubschaugen traten einen Schritt vor. Manchmal glaube ich, er macht das direkt mit Absicht, nur um mich zu ärgern.

»Doch, ich hab wieder das Pompei-Gefühl.«»Wo sind denn hier die Aschenbecher? He, Wirtschaft!«Die Susi sagte: »Ick hab doch gesagt, zum Rauchen müssta

hochgehn!«

Ich habe nämlich manchmal das Pompei-Gefühl: Das ist, wenn man genau spürt, dass das, was man gleich tun wird, todsicher ganz absolut falsch ist, aber man macht es trotzdem. Das nenne ich das Pompei-Gefühl.

Weil: Das hab ich mal im Fernsehen gesehen, als ich noch ei-nen hatte. In Pompei, da muss das damals so gewesen sein, dass immer wieder mal jemand zu den Einwohnern da gesagt hat:

»Leute, das ist nicht okay, wenn ihr euren Vulkan da ständig anbohrt, nur weil ihr heißes Wasser haben wollt. Schaut mal, ei-nes Tages fliegt uns die ganze Scheiße hier um die Ohren, und dann will es wieder keiner gewesen sein.«

Der Mikki sagte: »Du hast wieder dein komisches Pompei-Gefühl, sagst du?«

»Ja, allerdings!«»Dann hör bitte sofort auf damit. Das ist absoluter Voll-

Quatsch!«So ist es mit dem Mikki fast jedes Mal, und da gibt es nur eins:

Gegenangriff.

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Ich sagte: »Ganz genau wie damals, als du …«»Also, kommst du jetzt mit ins Felix oder nicht?«»Auf gar keinen Fall!«»Och, bitte!«»Vergiss es, Mikki!«»Bitte, bitte, bitte, bitte, es gibt ganz bestimmt viele kleine

Freundinnen aus Genf, und ich brauche einen Wingman.«»Die Antwort lautet Nein! Aus! Ende!«»Oder aus Lausanne! Denk doch nur: Lausanne! Sagt dir das

nichts? Lausanne!« Er bewegte seine Hände wie ein Zauber-künstler, dem rein gar nichts mehr einfällt. Absolut lächerlich!

Ich sagte: »Vergiss es!«»Lausanne! Weckt das in dir nicht ein warmes Gefühl

für … ähm, also die Schweiz?«»Leider nicht!«»Ach, jetzt komm doch schon mit!«»Letztes Wort ist: Njet!«»Na gut, dann trinken wir halt hier noch einen …«, sagte Mik-

ki und machte ein verdrießliches Gesicht, aber er hatte auch ei-nen lauernden Ausdruck in seinen Froschaugen. Ich muss sagen, das wirkt ziemlich grotesk, wenn man nicht grade eine Mücke ist: ein Frosch, der dich lauernd anschaut, aber das funktioniert bei mir nicht.

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Chapter 2

Jenny läuft ein

Ein paar Drinks später standen wir vor dem Felix und schauten uns die Schlange an, die sich vor uns an den Türstehern vorbei-schlängelte und im Dunkeln verschwand; wir kamen Schritt für Schritt näher und konnten schon die donnernde Musik hören, das Lachen und das Geräusch von vielen Menschen, die sich durch dunkle Räume schieben lassen und dafür auch noch Geld bezahlt haben.

Man konnte spüren, wie jeder Schritt voran die Spannung grö-ßer werden ließ.

Mikki sog Luft durch die Nase ein und schaute in die unendli-chen Weiten des Weltraums, die aber in Wirklichkeit direkt vor dem Brustbein eines Security-Typen endeten, der so aussah, als würde er jeden Morgen ein paar unendliche Weiten mit Milch übergießen und dann einfach wegfrühstücken.

»Der Duft der Nacht! Tausend jungfräuliche Parfüms, die sich mit Tabakgeruch und süßem Schweiß paaren …«Mikki schnüf-felte herum.

»Was hast du gerade gesagt?«»Oh, und jetzt auch noch billiges Haarspray, hier ganz deut-

lich! Wenn du wüsstest, wie mich das anmacht, Albrecht!«»Mikki, hör auf ! Lass das!«»Ich mein doch gar nicht dich!«»Ach so?«»Du musst nicht immer alles gleich auf dich beziehen, Dumm-

kopf !«»Hm …«»Beziehst immer alles auf dich.«

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»Ja! Vor allem, wenn man mit mir spricht, mich dabei anschaut und anfasst.«

Weil: Der Mikki kann seine Finger nicht für sich behalten. Ich musste mir das Hemd wieder reinstopfen.

Er sagte: »Ich hab dich gar nicht angeschaut.«»Kam mir aber so vor.«»Siehst du, du beziehst immer alles gleich auf dich. Ah, komm,

wir sind drin.«

Es stellte sich heraus, dass zwischen Charlotte und Mikki prak-tisch keine Sprachbarriere bestand, weil die Musik so laut war, dass sie überhaupt nicht hören konnte, was er sagte, und er wuss-te, dass es egal war, was er sagte. Und so waren alle zufrieden: Mikki konnte reden, Charlotte konnte lachen. Von irgendwel-chen Freundinnen war zwar keine Spur, aber ich bin nicht der Typ, der dann beleidigt ist und dem Freund den Abend verhunzt. Stattdessen weiß ich ganz genau, was sich gehört: Ich schob ab und hab mich zu den übrigen Ureinwohnern und Außerirdischen begeben und machte ein arrogantes Gesicht.

Das macht man halt so im Felix. Du musst so ein Gesicht ma-chen, als wärst du im Prinzip überhaupt nicht da, weil: Dann wirst du am Tresen schneller bedient.

Später stand ich oben an der Balustrade und schaute über die Tanzfläche, als ich unten irgendwo ein paar Arme herumwedeln sah. Ich hab sofort gewusst: Das gilt mir! Ich bezieh das gerne auf mich, wenn ich sehe, wie jemand winkt, und so lerne ich oft ganz neue Leute kennen, und nach-paar Tagen führst du schon Bezie-hungsgespräche mit Leuten, die du gar nicht richtig kennst.

Da hat der Mikki schon recht, ich beziehe immer fast alles auf mich, weil ich nun mal in meiner Welt genau in der Mitte der Zielscheibe bin. Deswegen hab ich hingeschaut. Und das war falsch.

Da! Schon wieder! Da waren drei Leute, sie lachten mich an, winkten und hüpften. Ich schaute näher hin.

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Eine Stimme brüllte: »Aaaaalbreeeeeecht!«Vorsichtshalber hab ich mal zurück gewinkt, aber ich hab erst

mal darauf verzichtet, selber etwas zu rufen, weil ich nicht gese-hen habe, um wen es sich da genau gehandelt hat, der da winkte, denn es wurden auf einmal immer mehr Arme, bis schließlich die ganze Tanzfläche für kurze Zeit dieses neue Wedelmotiv auf-nahm und zur Balustrade hoch winkte, bevor eine neue Mode sich durchsetzte und man was anderes tanzte.

Das ist halt so im Felix: Da ist man anfälliger für neue Moden als die ganze Toskana zusammengenommen. Ein südländischer Typ neben mir schaute mich interessiert an.

Er sagte: »Eh. Bis du ’n Prromi oda was?«»Ich? Ach, nur bei den primitiven Leuten, wie denen da un-

ten.«»Ah so …«Es ist gut, wenn man oben ist und die primitiven Leute unten

sind, aber das bleibt ja nie so, wie die Weltgeschichte gezeigt hat. Ich schaute wieder nach unten. Die Leute mit den Armen wa-ren weg, und ich stellte mich wieder an die Balustrade, da kam der Aufprall: Zwei Mädchenarme kamen von hinten um meine Schultern, während zwei weitere Arme versuchten, mir von vor-ne den Kopf abzureißen.

Gleichzeitig schlug mir ein Berggorilla so stark auf die Schul-tern, dass meine Schneidezähne zwei Meter vor meinem Kopf zu klappern anfingen, bevor ich sie wieder einfangen konnte.

Ich sagte: »Moni! Steffi! Tom! Was macht ihr denn hier?«»URLAUB!!«, schrie Moni.»Ich dachte, ihr seid in Freiburg?«»Göttingen!«»Ah, seid ihr nicht in Göttingen?«»Da kommen wir grade her«, schrie Moni.»Was?«»DA KOMM WIR GRADE HER!«, schrie Moni.»Komm, wir trinken erst mal einen, da hinten ist es leiser!«

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