ahnen simona deflorin ahnen · 2017. 8. 6. · jorge luis borges, gesammelte werke in 9 bänden...
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AhnenSimona DeflorinAhnen
1. Auflage 2014: 150 Exemplare
ISBN 978-3-940576-70-5
Ahnen
36. Ausstellung in der Galerie per-seh
Kantplatz 3
30625 Hannover
www.per-seh.de
30. Juli - 18. Oktober 2014
Textzitat:
Jorge Luis Borges, Gesammelte Werke in 9 Bänden
©1982 Carl Hanser Verlag, München
Herausgegeben von
Frank Buchholz, Hannover
Textbeiträge von
Andrea-Silvia Végh
Fotos von
Rinaldo Barabino
Frank Buchholz
Denmark
Yakup Zeyrek
Gestaltung + Produktion
typo.text.trix. Frank Buchholz, Garbsen
Feinbuchbinderei Vehse, Hannover
Auch ich bin nicht;
ich habe die Welt geträumt,
wie du dein Werk … geträumt hast,
und unter den Gestalten meines
Traums bist du,
der du wie ich viele bist
und niemand.
Jorge Luis Borges
Unter einem Glas ist ein Objekt luftdicht
verschlossen. Viele kleine Stoffteile, deren
Herkunft und Geschichte Simona Deflorin
meist kennt, sind zu zahlreichen 2 bis 3 cm
kleinen Bollen – Pompons – zusammenge-
näht. Pompons an der Kleidung kamen in
den 1940er Jahren auf. Darunter sind auch
solche aus schwarzem gekrausten Fell, dem
so genannten Persianerfell oder Breit -
schwanz, deren Gewinnung nicht nur für
Tier schüt zer Innen auf ein grausames Pro -
cedere zu rückzuführen ist. Fest sind die
Bollen in ein Glas aus der Biedermeierzeit
gepresst. In einem der vier Glasstürze
befindet sich ein Spielzeugkrokodil. Es ist
doppelt geschützt, durch die Stoff- und
Fellbollen und durch das Glas. Kommu ni -
ziert soll es werden, dies passiert durch die
Radiographie, die in ei nem Schaukasten
ausgestellt ist. Der wohl bekannteste Ver -
treter der Arte Povera Mario Merz hat in
seinem Werk „Crocodilus Fibonacci“ 1991
die Haut einer Echse verwen det. Echsen
sind entwicklungsgeschichtlich Millionen
Objekte, Ahnen und das Selbstporträt
Selbstportrait mit Fechtmaske
89 x 70 cmÖl auf Leinwand
2014
Jahre alt. Es sind Tiere, die ihre Lebens -
funktionen auf ein Mini mum reduzieren
können, die stundenlang ruhig daliegen
können, dann aber von einer Sekunde auf
die andere in Bewegung geraten, zum Bei -
spiel nach Beute fassen. Diese Eigen schaft
erinnert die Künstlerin auch daran, dass sie
selber Rückzug benötigt, um sich nach
einer Zeit des Ruhens und Stillstehens wie-
der an die Gestaltung des nächsten Kunst -
werks zu machen. Daraus kann eine Serie
von Gemälden entstehen, ein Objekt wie
dieses zweiteilige „caprice de Dieu“, aber
auch der abgeschlossene Zyklus der Ahnen.
Der Zyklus der zwölf Ahnen zeigt sich aus-
nahmslos unter einer Glasglocke, mal kom-
plett abgeschlossen, meist jedoch mit einem
– wenn auch geringen – Luftraum. „Für
den, der eingezwängt und wie ein totes
Baby in der Glasglocke hockt, ist die Welt
selbst der böse Traum“, äußerte Silvia Plath
Gina(aus dem Zyklus „Ahnengalerie“)80 x 60 cmÖl auf Leinwand2013
après Paris(aus dem Zyklus „Ahnengalerie“)
80 x 60 cmÖl auf Leinwand
2013
behütet(aus dem Zyklus „Ahnengalerie“)80 x 60 cmÖl auf Leinwand2013
1953 in ihrem Roman „Die Glasglocke“. Die
Malerei von einem Kopf im Glas durch
Simona Deflorin jedoch zeigt lebendigen
Aus druck an erwachsenen Köpfen. Schauend
und fühlend sei überprüft, wie viel sie über
Bewusstseinszustände unserer Gesellschaft
heute aussagen.
phische Bedeutung, so wurde dieser bei
Rembrandt und Umkreis als Charakter- und
Ausdruckskopf gemalt. Es genügte das
Gesicht eines lachenden (unbekannten)
Mannes oder Kindes, das seine Zähne ent-
blößt. An diese Tradition knüpft Marlene
Dumas seit den 1980er Jahren an, und in
Vorab ein kurzer Rückblick in die Kunst -
geschichte der Niederlande vom 17. bis in
das 21. Jahrhundert mit der Darstellung der
Tronies.1 In der Malerei bezeichnete ein
Tronie eine eigene und selbständige Bild -
form. War ein Tronie erst allgemein ein
Kopf ohne exakt festzulegende ikonogra-
Darling(aus dem Zyklus „Ahnengalerie“)80 x 60 cmÖl auf Leinwand2013
diese Tradition sei Simona Deflorin gestellt.
Die zwölf Gesichter mögen ins Glas ge -
zwängt sein, (un)bekannte Vorbilder aus
Fotografien haben, doch allesamt schauen
sie „aus Fleisch und Knochen“ zum An -
fassen lebendig höchstpersönlich durch ihre
Glaswand. Zwar ist dieses Glas über den
Kopf gestülpt, verdeckt diesen „behütet“
mindestens vom Scheitel bis zum Mund,
aber auch bis über die zumeist schmalen
Schultern. Die Ahnen blicken uns Be trach -
tende selten an, umso mehr können sie
angeblickt werden und sind unter dem Glas -
sturz unseren beharrlichen Blicken ausge-
setzt. Die Oberfläche ihrer Gesichter ist
vielschichtig, vielfarbig und lässt so tief in
das Innere ihrer spezifischen Bewusst seins -
zustände blicken. Allen Köpfen gemein ist
ihre Verletzlichkeit. Sie kommt stark in den
Blicken zum Ausdruck. Seien diese in eine
unbestimmt Ferne gerichtet: „Gina“. Oder
Der kleine Strolch(aus dem Zyklus „Ahnengalerie“)
80 x 60 cmÖl auf Leinwand
2013
Joao(aus dem Zyklus „Ahnengalerie“)
80 x 60 cmÖl auf Leinwand
2013
Miss Krypta(aus dem Zyklus „Ahnengalerie“)80 x 60 cmÖl auf Leinwand2013
an und auf etwas neben dran gerichtet
„Joao“. Auch mit halbgesenkten Lidern nach
unten, „unsagbar“ erzählen sie Be trach ten -
den aus ihrer Geschichte. Und er greifen uns
dabei, sofern auch wir unsere Sinne für sie
öffnen. Denn nicht nur ihrer Schöpferin
Simona Deflorin muss ein Por trät sympa-
thisch sein, um weiter daran zu arbeiten,
auch Betrachtende bedürfen mindestens
eines Entleerens vom alltäglichen Blick.
Technisch erreicht die Malerin diese Fähig -
keit durch das Gestalten des Bild trägers. Er
muss grundiert, aus sich heraus wachsend
gleichsam mit Farbe und Pinsel gebaut
werden. Auf Stirn-, Wangen-, Nase- und
Kinnpartien sind oft kleinflächige bis
abstrakte Farbflecken gesetzt, die Konturen
um Augen, Nase und Mund zeichnerisch
gezogen und malerisch geformt. So werden
Münder geschlossen dargestellt, mit Lippen,
die einander sanft berühren, einen Hauch
Monument für Miss Anton(aus dem Zyklus „Ahnengalerie“)
80 x 60 cmÖl auf Leinwand
2013
voneinander entfernt sind oder wie „Der
kleine Strolch“ und „Monument für Miss
Anton“ eine kleine Öffnung zeigen, aus der
die Zunge oder auch ein Ton entfliehen
möchte. Die Nase sitzt mitten im Gesicht,
gerade, leicht schräg oder auch durch ein
weißes Etwas an den Nasen löchern und der
rechten Wand verhüllt „Nr. 12“. Um Hälse
legen sich helle und dunkle geschmückte
Krägen, windet sich auch mal eine zarte
Schlange „Darling“. Und immer wieder ver-
decken Streifen das Gesicht, setzen sich
ver tikal, horizontal und diagonale Schlie -
ren zwischen Glas und Kopf.
Die verschiedenen Dichtezustände geschaf-
fener Physis unter der Glaswand sind nicht
immer auseinander zu halten. Und es ist
auch nicht leicht, gewordene Hautpartien
mit dem Darunter zu malen.
Immer von Nöten ist ein genaues Betrach -
ten, auch wenn Widersprüche dabei zu
Nr. 12(aus dem Zyklus „Ahnengalerie“)80 x 60 cmÖl auf Leinwand2013
Von der Wichtigkeit des Umtopfens(aus dem Zyklus „Ahnengalerie“)80 x 60 cmÖl auf Leinwand2013
unsagbar(aus dem Zyklus „Ahnengalerie“)80 x 60 cmÖl auf Leinwand2013
toben beginnen. Diese zwölf Porträtköpfe
zeigen Charaktere und erzählen aus Ge -
schich ten von Individuen, die die Be trach -
tenden selbst an den Schicksalen, und was
diese einem Gesichte antun, teilhaben las-
sen. Unsagbar großer Schmerz verlangt Ab -
stand.
Ahnen werden ja gemeinhin als unsere
Vorfahren verstanden, solche, von denen
wir eine Ähnlichkeit mit uns selber ahnen.
Da ist es nur konsequent, dass Simona
Deflorin ein Selbstporträt zeigt. Sie präsen-
tiert ihr Gesicht en face hinter einer in
flüssige Konsistenz verwandelten Fecht -
maske. Dabei weicht die linke Schulter
leicht zurück. Es handelt sich um das Por -
trät als eine Spiegelung ihrer selbst.
Andrea-Silvia Végh, 2014
1 Die Entwicklung ist auch in der kunstwissenschaftlicheForschung wieder aufgegriffen worden: Hirschfelder Dagmar, 2008
Zellteilung(aus dem Zyklus „Ahnengalerie“)
80 x 60 cmÖl auf Leinwand
2013
für das Glas geboren115 x 75 cmÖl auf Leinwand2014
Krakengazelle 126 x 120 cmÖl auf Leinwand2014
Paul140 x 70 cmÖl auf Leinwand2014
le plongeur 115 x 75 cm
Öl auf Leinwand2014
caprice de Dieu, 2-teilig, Höhe 52 cm, Ø 21 cm, Stoffe, Fell, Sturzglas auf Sockel mit Radiographie, 2013
precipitazione, 2-teilig, 44 x 18,5 x 30 cm, Stoffe, Fell, Brillengläser, Sturzglas auf Sockel mit Radiographie, 2013
salto mortale56 x 28 x 22 cmStoffe, Hutnadel, Sturzglas auf Sockel mit Rehfüßen2013
a simple life, Höhe 28 bzw. 30 cm, Ø 12 cm, Glas, Stoffe, Puppenaugen, eigenes Haar, Biedermeiergläser, 2014
Simona Deflorin
1965
Geboren in Bergamo, Italien
1985 - 1986
Ausbildung an der Schule für
Gestaltung in Basel
Fachklasse für Freies Bildnerisches
Schaffen bei Franz Fedier
seit 1991
Freischaffende Künstlerin in Basel
1997
Atelierstipendium des Kantons Basel-
Landschaft für das Atelier „Carl
Spitteler“ in der Cité Internationale des
Arts in Paris (Juli – Dezember)
seit 2010
Künstlerin der Galerie per-seh,
Hannover
2012
Fontana-Gränacher Preis
2013
Sammlung Kunstkredit, Museum.BL
des Kantons Basel-Landschaft
Einzelausstellungen (Auswahl)
2014
„Ahnen - Simona Deflorin“, Galerie
per-seh, Hannover (Katalog)
2013
„TraumGesichte“, Museum im
Kleihues-Bau, Kornwestheim (Katalog)
„meine, deine und aller Meere Fische“,
Vadian Bank, St. Gallen
2012
Kibousha Gallery, Gifu (Japan)
2011
„ANOMIS-SIMONA DEFLORIN“,
Galerie per-seh, Hannover (Katalog)
2010
„dear visitors“, Gallery Saoh & Tomos,
Tokio
2007
„Fadistas“, Museo Civico di Fondi,
Castello Baronale, Fondi (Italien)
2005
„Meine Frauen“, Galerie Daniel
Tanner, Basel
„fragments“, Gallery Saoh & Tomos,
Tokio
„voyage“, radicalgallery, Zug (Katalog)
Gruppenausstellungen (Auswahl)
2014
„ERNTE“ Neuerwerbungen des
Kantons Basel-Landschaft
„women power“, little house gallery,
Gifu (Japan)
„Packing Imaginations in Traveling
Bags“, little house gallery, Gifu (Japan)
2013
„10 Jahre Fontana-Gränacher
Stiftung“, Villa Meier-Severini,
Zollikon
(Jubiläumsbuch „Beruf(ung) Künstlerin
– 10 Jahre Fontana-Gränacher
Stiftung“)
„Gesichter“, Dreiländermuseum,
Lörrach
2012
„CROSSING and Friends“,
Galerie per-seh, Hannover (Katalog)
„The Chain of Arts 9“, Ikeda (Japan)
2011
CROSSING OVER THE SEA, art space
X, Aichi Prefectural Museum of Art,
Nagoya (Japan)
Uta no naru Kotoba Ten, Field
Museums, Kokin Denju no Sato, Gifu
(Japan)
CROSSING OVER THE SEA, Gifu City
Culture Center, Gifu (Japan)
2010
„über Kopf“, Galerie per-seh,
Hannover (Katalog)
2009
„house full“, radicalgallery, Zug
2008
„Wie du und ich? Menschenbilder“,
Galerie per-seh, Hannover (Katalog)
„ars amor“, Galerie 25, Siselen
2006
„Symphony“, radicalgallery, Zug
2003
„le repas des courtisanes“, Imprimerie,
Basel
Aus dem Gästebuch zur Ausstellung „TraumGesichte“ in Kornwestheim, 2013