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9. AUGUST 2020 WELT AM SONNTAG NR. 32 KULTUR 47 SEIT 50 JAHREN DREHT SIE. JETZT WIRD SIE 70. „NICHT TOT ZU KRIEGEN“ HEISST IHR NEUER FILM. SO SOLL ES SEIN natürlich glaub ich nicht, was ich sehe. Also nicht alles. Dass Sie sich des Abends hinsetzen zum Beispiel, begleitet nur von einem Sektkühler und einer Flasche Rosé-Sekt, und sich Ihre Filme anschau- en. Und ganz gerührt sind von sich selbst, wie Sie da so jung sind im Fernse- her. Oder dass Sie unterwegs zum Rosé- Sekt-Regal mit Pelzmantel und Sonnen- brille durch den Supermarkt wehen als fleischgewordenes Diven-Klischee. Das tut ja bloß Simone Mankus, die Frau, die Sie sind im Fernsehfilm fürs ZDF. Den Nina Grosse Ihnen – als Hom- mage, als Menetekel vielleicht auch – geschrieben und um Sie herum insze- niert hat. In dem Sie sein dürfen, wie Sie sein könnten. Und wie Sie sind. Kann man sich aussuchen. Das könnte man sich jedenfalls denken. Kann man sich natürlich nicht. Simo- ne Mankus und Sie haben eine sozusa- gen spielerische Schnittmenge: Karriere seit fünfzig Jahren (die Filme bei Nina Grosse sind selbstverständlich alles ori- ginale Berbens), Sohn mit unbekann- tem Vater, Vergangenheit in der Schwa- binger Freiheit der späten Sechziger. Sie waren allerdings – das unter- scheidet Sie dann neben der Einsam- keit und dem Hauptwohnsitz in Mün- chen vielleicht am meisten von Simone Mankus – nie weg. Es gibt kaum eine Schauspielerin, Senta Berger und eine Handvoll andere vielleicht ausgenom- men, deren Film- und Fernsehkarriere in mehr als fünfzig Jahren (rechnen wir den Experimentalfilm „Noch und Nö- cher“ von 1965 dazu) so bruchlos ver- laufen ist. Die eigentlich keine Angst haben musste, nicht mehr dazuzugehö- ren. Und diese Angst (wie wir alle) na- türlich immer hatte. Die es aber immer wieder schaffte, sich zu häuten, sich infrage zu stellen, neu aufzustellen, gierig aufs Neue zu bleiben. Sich zu emanzipieren von je- nem Bild, das die Öffentlichkeit sich von Ihnen gemacht hatte. Und an dem Sie, haben Sie mal gesagt, zumindest am Anfang nicht ganz unschuldig wa- ren – am Äußeren orientiert, an dem, was man in Deutschland für Divenhaf- tigkeit hält. Darüber sind Sie natürlich längst hi- naus. Sie spielen damit – selbstironisch inzwischen wie eigentlich keine Ihrer Kolleginnen. Es ist Teil eines immer noch stetig wachsenden Iris-Berben-Re- pertoires an Gesten und Tönen. Die ei- ner absoluten Reduktion zum Beispiel in Nina Grosses Miniserie „Die Proto- kollantin“. Die Geschichte einer Frau wie eine Gefängniswand, die bei Verhö- ren immer dabei ist, sich unsichtbar macht. In der sich ansammelt, was sie protokollieren soll, in der die Gewalt wächst. Die eines Tages ausbricht. Ein ganz feines Drama. Alles drin ist vor allem in Ihrer Stim- me. Die ganzen Register, zwischen de- nen Sie springen, die Sie einsetzen kön- nen wie ein Eine-Frau-Orchestrion. Tö- ne, die Ihnen alle irgendwie zugewach- sen sind über die Jahre. Das Balsami- sche fürs Balzen. Das Naive, die Reste unschuldiger Jungmädchenhaftigkeit. Die der Angst abgetrotzte Abgeklärt- heit. Die Rotzigkeit, die sich unvermit- telt Bahn bricht, wenn Sie es brauchen. Man möchte Sie, wenn man Sie so hört wie in Nina Grosses Film, nicht unbe- dingt zum Feind haben. Wem immer Sie – wie Simone Mankus es tut – „Arsch- loch“ hinterherrufen, nimmt die Beine in die Hand und rennt. Simone Mankus wäre allerdings nie- mals Präsidentin der Filmakademie ge- worden. Hätte sich niemals in die #Me- Too-Debatte eingemischt. Wäre nicht mit der Lyrik der von den Deutschen im Holocaust ermordeten Dichterin Selma Meerbaum-Eisinger über die Dörfer ge- zogen. Hätte niemals Shitstorm um Shitstorm auf sich gezogen – mit der Verteidigung der Demokratie, des von Feminismus und den späten Sechzigern Erreichten und dem gleichzeitigen In- fragestellen der Ideologie gewordenen politischen Korrektheit. Schade eigent- lich übrigens, dass wir den Scherz mit der 68-jährigen Achtundsechzigerin nicht mehr machen können, über den wir noch herzlich gelacht haben vor zwei Jahren. „Nicht tot zu kriegen“ heißt Nina Grosses Film. Das wünschen wir uns jetzt. Und Ihnen. Lassen Sie sich feiern. Lassen Sie nicht nach. Es gratuliert sehr herzlich Ihr Elmar Krekeler BRIEF AUS DEM FEUILLETON Liebe Iris Berben, PICTURE ALLIANCE/DPA/BRITTA PEDERSEN E in Gedicht ist kein Geschäft. „Meine Geschichten möchte ich nicht mehr verkaufen/ Hört auf, drängt mich nicht/ Manche Geschichten sind nicht dafür da, ver- kauft zu werden/ Manche Worte soll- ten nie gesagt werden“, heißt es in „Salamander“ von Lana Del Rey. Die schwermütige Sängerin aus Kalifor- nien wird im September ihren ersten Lyrikband veröffentlichen. Hören kann man die Poeme schon, von ihr gelesen und behutsam musikalisch untermalt, als Hörbuch mit einem Orangenbaum in Wasserfarben auf dem Einband. VON MICHAEL PILZ „Violet Bent Backwards Over the Grass“ ist wie ein längeres Telefonat mit einer fernen Freundin. Etwas geistesabwesend geht sie die The- men durch, die sie bewegen. „Paradi- se Is Very Fragile“ heißt ihre poeti- sche Verarbeitung des Klimawandels und der Präsidentschaft Donald Trumps. In „L.A. Who Am I To Love You“ geht es wiederum um Geld: „Hört zu/ Sie sagen, ich sei nur we- gen des Geldes hier/ Und dass ich keines hatte/ Wie ich keine Liebe hatte/ Das ist ungerecht!“ Lana Del Rey spricht aber auch darüber, wie sie sich als Frau verwirklicht. Sie lernt Segeln und nimmt Flugstun- den. Man denkt dabei an ihren feminis- tischen Essay auf Instagram im Frühjahr, in dem sie sich gegen ande- re Sängerinnen wandte, die mit ihrer selbstbestimmten Sexualität hausie- ren gingen und ihr damit vorschrie- ben, wie sie als Frau zu sein habe: „Es ist erbärmlich, dass meine klei- nen lyrischen Ausflüge in meine manchmal unterwürfige oder passive Rolle in Beziehungen die Leute sa- gen lässt, dass ich Frauen um Hun- derte Jahre zurückversetzen würde.“ Immer wieder hat sie über Sylvia Plath gesungen, die tragische Dichte- rin der Nachkriegsjahre und der de- pressiven Weiblichkeit, und daran ihre eigene Poesie geschult. „Summertime Sadness“ von Lana Del Rey war gar kein Popsong, son- dern ein begleitetes retroromanti- sches Gedicht. Ihr Lyrikbändchen ist reine Romantik. Es handelt von einer Welt, die nie so war und sein wird, wie sie sein sollte, vom Leiden an der Gegenwart und an so überschätzten Werten wie Geschlecht, Geschäft und Geld. Das Geld für die 14 Ge- dichte ihres Hör- und Lesebuches will sie spenden, die Navajo in der Wüste brauchen Wasser. Das Paradies ist nicht mehr, was es einmal war Lana Del Rey schreibt jetzt auch Gedichte Sylvia Plath des 21. Jahrhunderts: Lana Del Rey GETTY IMAGES/MAT HAYWARD K ann unsere Gesell- schaft noch Satire? Hält sie uneigentliches Sprechen aus? Oder muss heute alle Kunst die richtige Haltung haben? Von all diesen Fragen erzählt der Fall Lisa Eckhart. Die österreichische Kabarettistin, geboren 1992, ist noch keine dreißig, aber eine der markantesten Figuren der deutsch- sprachigen Unterhaltungskunst. Sie be- spielt Säle und Fernsehformate. Seit dieser Woche ist sie das jüngste Opfer der „Cancel Culture“. Eckhart war für September beim Hamburger Literatur- festival Harbourfront eingeladen und mit ihrem nächste Woche erscheinen- den Roman „Omama“ für einen Nach- wuchspreis nominiert. Doch weil der Veranstaltungsort, in einem eher linken Hamburger Kiez gelegen, eine „Spren- gung“ des Abends durch Randale gegen die „kontroverse“ Lisa Eckhart befürch- tete, wurde sie ausgeladen – oder, in der politischen Sprache der Gegenwart: ge- cancelt. Zuvor hatte man Eckhart gebe- ten, von sich aus auf die Teilnahme zu verzichten. Lisa Eckhart lebt in Leipzig, wo wir uns in einem Café treffen. Es ist noch kurz vor dem jüngsten Skandal, aber in- stinktiv kreist das Gespräch schon um das Thema. Lisa Eckhart sieht aus wie im Fernsehen. Sie kommt nicht in Zivil, sie steckt in einer ihrer exzentrischen Goldroben und hat Raubkatzen-Nails und Wimpern angelegt. „Mein Kostüm trage ich grundsätzlich in der Öffent- lichkeit. Die Bühnenfigur ist da, sobald ich das Haus verlasse. Weil: Das ist Zivi- lisation, die anderen nicht mit seinem Selbst zu belästigen.“ S ie bestellt gespritzten Weißwein, den sie für die deutsche Kellne- rin mit „Weinschorle“ übersetzt, und dreht sich mit ihren langen Fin- gern, die jedem Gemälde von Matthias Grünewald zur Ehre gereichen würden, eine Zigarette. Ihr österreichischer Ak- zent ist mild, im Vergleich zu dem von Arnold Schwarzenegger, der ebenfalls aus der Steiermark stammt, sogar rei- nes Hochdeutsch. Die Unterhaltung läuft ohne jedes Meta-Geplänkel, wie man es von Comedians in Talkshows kennt: „Ich bin zwar Satirikerin, aber ich setze mich jetzt nicht ins Café und erzähle Witze. Wer Satire will, muss schon in meine Shows kommen.“ In ihren Programmen sagt Eckhart Sätze wie: „Zeigen Sie mir den Mann in der Kabarettszene, mit dem ich mich nicht runterschliefe.“ Auf der Bühne strotzt sie vor Selbstbewusstsein. „Ar- roganz ist das Medium der Kunst. Hu- mor ist per se arrogant, er stellt sich über die Genarrten, ihm ist Arroganz eingeschrieben“, sagt sie. Thematisch arbeitet sie sich am Zeitgeist der Politi- cal Correctness ab. Das macht Auftritte wie in Hamburg schwieriger. Lisa Eckhart eckt an. Sie empört. Nicht nur unter Leuten, die sich von Be- rufs wegen empören, wurden im Mai dieses Jahres Antisemitismus-Vorwürfe gegen sie laut, mit einer Verzögerung von bald zwei Jahren – aber Gegenwart ist, wenn es bei Facebook oder Twitter heißläuft: Im September 2018, auf dem Höhepunkt des MeToo-Skandals, war Eckhart in der WDR-Sendung „Mitter- nachtspitzen“ aufgetreten. In ihrer Büh- nenrolle stellte sie die Frage, ob die Me- Too-Bewegung nicht antisemitisch sei. Immerhin seien Harvey Weinstein, Woody Allen und Roman Polanski Ju- den. „Am meisten enttäuscht es von den Juden, da haben wir immer gegen den Vorwurf gewettert, denen ginge es nur ums Geld, und jetzt plötzlich kommt raus, denen geht’s wirklich nicht ums Geld, denen geht’s um die Weiber, und deshalb brauchen sie das Geld.“ Klar, hier muss man schlucken. Führt Lisa Eckhart mit solchen Sätzen Vorurteile gegenüber den Juden nur entlarvend vor, oder stellt sie sie auch aus? Einige, darunter auch der Antisemitismus-Be- auftragte der Bundesregierung Felix Klein, fanden das problematisch und kritikwürdig. Henryk M. Broder vertei- digte Lisa Eckhart in der WELT, ebenso Gerhard Haase-Hindenberg in der „Jü- dischen Allgemeinen“ und der WDR. Satire hat auch ein Recht darauf, im Kontext verstanden zu werden. Sie fin- det innerhalb eines künstlerischen Pro- gramms statt, was bei Shitstorms in den seltensten Fällen zur Kenntnis genom- men wird. Lisa Eckhart macht im glei- chen Stil Witze über Schwarze, Musli- me, alle möglichen Minderheiten. „Min- derheiten sind in meinen Programmen nur Statisten für unseren Umgang mit Minderheiten.“ Ihre MeToo-Nummer von 2018 sei nichts anderes gewesen als ein Fingerzeig auf die Frage: „Was ist, wenn Opfer sich an einem Opfer ver- greifen?“ Eckharts großes Thema ist die Frage, in welche moralischen Dilemma- ta eine Gesellschaft gerät, die sich ins Korsett der identitätspolitischen Parti- kularinteressen zwängen lässt. Eckhart tritt an gegen die Wokeness, also diese gesteigerte Form des wachen und wach- samen Moralismus, der zunehmend die Diskurse bestimmt. „Kann man mich überhaupt kritisie- ren? Ich bin eine Frau. Es gibt wenig Frauen im Kabarett. Ist also jede Kritik an mir per se sexistisch?“ Das Dilemma der Identitätspolitik. Sie zeigt, wie libe- rale Milieus hantieren, wenn sie für be- stimmte Gruppen sprechen: paternalis- tisch und bevormundend. Und wie sich aus Identitäten sofort Hierarchien ab- leiten: „Drag hat Konflikte mit Trans. Body Positivity wird von links gegen Transgender ausgespielt. Von wegen: Wer sich operieren lässt, unterwirft sich einem Diktat der Schönheitsindustrie. Entsolidarisierung allenthalben. Die Re- volution frisst laufend ihre Kinder. Ich will keine Antworten liefern. Ich will nur zeigen: Das, was ihr da macht, ist problematisch. Euer moralisch-hierar- chisches Korsett.“ N atürlich seien auch viele ihrer Nummern problematisch: „Die Gefahr, dass ich, wenn ich die Linken kritisiere, Beifall von rechts be- komme, sehe ich. Nur, was ist die Alter- native? Ich weiß auch keine optimale Antwort. Es ist schwierig. Überall wird Eindeutigkeit gefordert. Die Toleranz für Ambiguität ist so gering. Alle wer- den ständig ermahnt, Haltung zu zei- gen.“ Und wenn Lisa Eckhart „Haltung“ sagt, klingt selbst ihr weich-melodi- sches Österreichisch einen Moment lang härter, preußischer. „Die Haltung ist aber so eine Prêt-à- porter-Haltung. Die kost’ nix. Die ist schnell angelegt. Aber wenn ich auf den ersten Blick erkennbar sein und immer eindeutige Botschaften vermit- teln muss, wird’s schwierig mit Kunst.“ Dass es Lisa Eckhart um Kunst geht und dass sie – als ganze Figur – Kunst ist, daran lässt sie keinen Zwei- fel. Ihr großes Vorbild ist der englische Dandy Quentin Crisp, eine Oscar-Wil- de-Figur, extrem durchstilisiert. Gleichzeitig geht ihr Distinktionsge- baren gegen null. Sie wuchs auf dem Dorf auf, bei den Großeltern. Darum geht es auch in ihrem ersten Roman „Omama“. Man kann mit ihr in einer Stunde über die „Ideologie des Diver- sen“, Byung-Chul Han, die Postmoder- ne und „das Recht, nicht besonders zu sein“, reden. Und sonst so? Elfriede Jelinek ist eine Heldin. „Jelinek lehrt einen so gut wie keine andere, dass man Sprache nie komplett unter Kontrolle hat. Nicht man selbst spricht, die Sprache spricht einen.“ Jelinek vermittle Gelassenheit gegen die Sprachregulierungswut: Das Binnen-I ist für Lisa Eckhart „ein ortho- grafischer Strap-on“. Ihr letztes Programm hieß „Die Vor- teile des Lasters“, nach dem Marquis de Sade, überhaupt ist Sadomaso eine ständige Metapher: „Beides ist kontrol- liert, erzeugt Lust durch Schmerz in ei- nem gesicherten Rahmen. Der Schmerz kommt dosiert, aber es ist Sinn der Sa- che, dass es schmerzt.“ Ihr linkslibera- les Publikum soll solche Lustschmerzen empfinden: „Ich sage nicht, dass es nicht auch notwendig wäre, gegen rechts anzugehen. Aber der Markt ist gesättigt. Es ist für mich keine sonderli- che Herausforderung, gegen rechts zu sein. Ich möchte ein Publikum be- schimpfen, das mich danach trotzdem noch liebt. Und das ist auch eine Form von Sadomaso.“ Sadomasochstin der deutschen Comedy: Lisa Eckhart PAULA WINKLER Die Aneckerin Lisa Eckhart ist eine der provokantesten Kabarettistinnen unserer Zeit. Diese Woche wurde sie von einem Literaturfestival ausgeladen – aus Angst vor eskalierenden Protesten. Eine Begegnung in Leipzig VON MARC REICHWEIN

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Page 1: Abgezeichnet von: AMS Dir W AMS /W 1 /WSBE-VP Chef vom … · 2020. 8. 11. · AMS_Dir W AMS /W 1 /WSBE-VP 09.08.20 1 / ul3 /K 1 OCIEM AK 5% 25% 50% 75% 95% Abgezeichnet von: ector

WAMS_Dir/WAMS/WSBE-VP109.08.20/1/Kul3 AKOCIEM1 5% 25% 50% 75% 95%

Abgezeichnet von:

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ChefredaktionAbgezeichnet von:

Chef vom Dienst

47 09.08.20 9. AUGUST 2020 WSBE-VP1BELICHTERFREIGABE: --ZEIT:::BELICHTER: FARBE:

9. AUGUST 2020 WELT AM SONNTAG NR. 32 KULTUR 47

SEIT 50 JAHREN DREHT SIE. JETZT WIRD SIE 70. „NICHT TOTZU KRIEGEN“ HEISST IHR NEUER FILM. SO SOLL ES SEIN

natürlich glaub ich nicht, was ich sehe.Also nicht alles. Dass Sie sich des Abendshinsetzen zum Beispiel, begleitet nurvon einem Sektkühler und einer FlascheRosé-Sekt, und sich Ihre Filme anschau-en. Und ganz gerührt sind von sichselbst, wie Sie da so jung sind im Fernse-her. Oder dass Sie unterwegs zum Rosé-Sekt-Regal mit Pelzmantel und Sonnen-brille durch den Supermarkt wehen alsfleischgewordenes Diven-Klischee.

Das tut ja bloß Simone Mankus, dieFrau, die Sie sind im Fernsehfilm fürsZDF. Den Nina Grosse Ihnen – als Hom-mage, als Menetekel vielleicht auch –geschrieben und um Sie herum insze-niert hat. In dem Sie sein dürfen, wieSie sein könnten. Und wie Sie sind.Kann man sich aussuchen. Das könnteman sich jedenfalls denken.

Kann man sich natürlich nicht. Simo-ne Mankus und Sie haben eine sozusa-gen spielerische Schnittmenge: Karriereseit fünfzig Jahren (die Filme bei NinaGrosse sind selbstverständlich alles ori-ginale Berbens), Sohn mit unbekann-tem Vater, Vergangenheit in der Schwa-binger Freiheit der späten Sechziger.

Sie waren allerdings – das unter-scheidet Sie dann neben der Einsam-keit und dem Hauptwohnsitz in Mün-chen vielleicht am meisten von SimoneMankus – nie weg. Es gibt kaum eineSchauspielerin, Senta Berger und eineHandvoll andere vielleicht ausgenom-men, deren Film- und Fernsehkarrierein mehr als fünfzig Jahren (rechnen wirden Experimentalfilm „Noch und Nö-cher“ von 1965 dazu) so bruchlos ver-laufen ist. Die eigentlich keine Angsthaben musste, nicht mehr dazuzugehö-ren. Und diese Angst (wie wir alle) na-türlich immer hatte.

Die es aber immer wieder schaffte,sich zu häuten, sich infrage zu stellen,neu aufzustellen, gierig aufs Neue zubleiben. Sich zu emanzipieren von je-nem Bild, das die Öffentlichkeit sichvon Ihnen gemacht hatte. Und an demSie, haben Sie mal gesagt, zumindestam Anfang nicht ganz unschuldig wa-ren – am Äußeren orientiert, an dem,was man in Deutschland für Divenhaf-tigkeit hält.

Darüber sind Sie natürlich längst hi-naus. Sie spielen damit – selbstironisch

inzwischen wie eigentlich keine IhrerKolleginnen. Es ist Teil eines immernoch stetig wachsenden Iris-Berben-Re-pertoires an Gesten und Tönen. Die ei-ner absoluten Reduktion zum Beispielin Nina Grosses Miniserie „Die Proto-kollantin“. Die Geschichte einer Frauwie eine Gefängniswand, die bei Verhö-ren immer dabei ist, sich unsichtbarmacht. In der sich ansammelt, was sieprotokollieren soll, in der die Gewaltwächst. Die eines Tages ausbricht. Einganz feines Drama.

Alles drin ist vor allem in Ihrer Stim-me. Die ganzen Register, zwischen de-nen Sie springen, die Sie einsetzen kön-nen wie ein Eine-Frau-Orchestrion. Tö-ne, die Ihnen alle irgendwie zugewach-sen sind über die Jahre. Das Balsami-sche fürs Balzen. Das Naive, die Resteunschuldiger Jungmädchenhaftigkeit.Die der Angst abgetrotzte Abgeklärt-heit. Die Rotzigkeit, die sich unvermit-telt Bahn bricht, wenn Sie es brauchen.Man möchte Sie, wenn man Sie so hörtwie in Nina Grosses Film, nicht unbe-dingt zum Feind haben. Wem immer Sie– wie Simone Mankus es tut – „Arsch-

loch“ hinterherrufen, nimmt die Beinein die Hand und rennt.

Simone Mankus wäre allerdings nie-mals Präsidentin der Filmakademie ge-worden. Hätte sich niemals in die #Me-Too-Debatte eingemischt. Wäre nichtmit der Lyrik der von den Deutschen imHolocaust ermordeten Dichterin SelmaMeerbaum-Eisinger über die Dörfer ge-zogen. Hätte niemals Shitstorm umShitstorm auf sich gezogen – mit derVerteidigung der Demokratie, des vonFeminismus und den späten SechzigernErreichten und dem gleichzeitigen In-fragestellen der Ideologie gewordenenpolitischen Korrektheit. Schade eigent-lich übrigens, dass wir den Scherz mitder 68-jährigen Achtundsechzigerinnicht mehr machen können, über denwir noch herzlich gelacht haben vorzwei Jahren.

„Nicht tot zu kriegen“ heißt NinaGrosses Film. Das wünschen wir unsjetzt. Und Ihnen. Lassen Sie sich feiern.Lassen Sie nicht nach.

Es gratuliert sehr herzlich Ihr Elmar Krekeler

BRIEF AUS DEM FEUILLETON

LiebeIrisBerben,

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E in Gedicht ist kein Geschäft.„Meine Geschichten möchteich nicht mehr verkaufen/

Hört auf, drängt mich nicht/ MancheGeschichten sind nicht dafür da, ver-kauft zu werden/ Manche Worte soll-ten nie gesagt werden“, heißt es in„Salamander“ von Lana Del Rey. Dieschwermütige Sängerin aus Kalifor-nien wird im September ihren erstenLyrikband veröffentlichen. Hörenkann man die Poeme schon, von ihrgelesen und behutsam musikalischuntermalt, als Hörbuch mit einemOrangenbaum in Wasserfarben aufdem Einband.

VON MICHAEL PILZ

„Violet Bent Backwards Over theGrass“ ist wie ein längeres Telefonatmit einer fernen Freundin. Etwasgeistesabwesend geht sie die The-men durch, die sie bewegen. „Paradi-se Is Very Fragile“ heißt ihre poeti-sche Verarbeitung des Klimawandelsund der Präsidentschaft DonaldTrumps. In „L.A. Who Am I To LoveYou“ geht es wiederum um Geld:„Hört zu/ Sie sagen, ich sei nur we-gen des Geldes hier/ Und dass ichkeines hatte/ Wie ich keine Liebehatte/ Das ist ungerecht!“ Lana DelRey spricht aber auch darüber, wiesie sich als Frau verwirklicht. Sielernt Segeln und nimmt Flugstun-den.

Man denkt dabei an ihren feminis-tischen Essay auf Instagram imFrühjahr, in dem sie sich gegen ande-re Sängerinnen wandte, die mit ihrerselbstbestimmten Sexualität hausie-ren gingen und ihr damit vorschrie-ben, wie sie als Frau zu sein habe:„Es ist erbärmlich, dass meine klei-nen lyrischen Ausflüge in meinemanchmal unterwürfige oder passiveRolle in Beziehungen die Leute sa-gen lässt, dass ich Frauen um Hun-derte Jahre zurückversetzen würde.“Immer wieder hat sie über Sylvia

Plath gesungen, die tragische Dichte-rin der Nachkriegsjahre und der de-pressiven Weiblichkeit, und daranihre eigene Poesie geschult.

„Summertime Sadness“ von LanaDel Rey war gar kein Popsong, son-dern ein begleitetes retroromanti-sches Gedicht. Ihr Lyrikbändchen istreine Romantik. Es handelt von einerWelt, die nie so war und sein wird,wie sie sein sollte, vom Leiden an derGegenwart und an so überschätztenWerten wie Geschlecht, Geschäftund Geld. Das Geld für die 14 Ge-dichte ihres Hör- und Lesebucheswill sie spenden, die Navajo in derWüste brauchen Wasser.

Das Paradies istnicht mehr, wases einmal warLana Del Rey schreibtjetzt auch Gedichte

Sylvia Plath des 21. Jahrhunderts:Lana Del Rey

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K ann unsere Gesell-schaft noch Satire?Hält sie uneigentlichesSprechen aus? Odermuss heute alle Kunstdie richtige Haltunghaben? Von all diesen

Fragen erzählt der Fall Lisa Eckhart. Dieösterreichische Kabarettistin, geboren1992, ist noch keine dreißig, aber eineder markantesten Figuren der deutsch-sprachigen Unterhaltungskunst. Sie be-

spielt Säle und Fernsehformate. Seitdieser Woche ist sie das jüngste Opferder „Cancel Culture“. Eckhart war fürSeptember beim Hamburger Literatur-festival Harbourfront eingeladen undmit ihrem nächste Woche erscheinen-den Roman „Omama“ für einen Nach-wuchspreis nominiert. Doch weil derVeranstaltungsort, in einem eher linkenHamburger Kiez gelegen, eine „Spren-gung“ des Abends durch Randale gegendie „kontroverse“ Lisa Eckhart befürch-tete, wurde sie ausgeladen – oder, in derpolitischen Sprache der Gegenwart: ge-cancelt. Zuvor hatte man Eckhart gebe-ten, von sich aus auf die Teilnahme zuverzichten.

Lisa Eckhart lebt in Leipzig, wo wiruns in einem Café treffen. Es ist nochkurz vor dem jüngsten Skandal, aber in-stinktiv kreist das Gespräch schon umdas Thema. Lisa Eckhart sieht aus wieim Fernsehen. Sie kommt nicht in Zivil,sie steckt in einer ihrer exzentrischenGoldroben und hat Raubkatzen-Nailsund Wimpern angelegt. „Mein Kostümtrage ich grundsätzlich in der Öffent-lichkeit. Die Bühnenfigur ist da, sobaldich das Haus verlasse. Weil: Das ist Zivi-lisation, die anderen nicht mit seinemSelbst zu belästigen.“ S ie bestellt gespritzten Weißwein,

den sie für die deutsche Kellne-rin mit „Weinschorle“ übersetzt,

und dreht sich mit ihren langen Fin-gern, die jedem Gemälde von MatthiasGrünewald zur Ehre gereichen würden,eine Zigarette. Ihr österreichischer Ak-zent ist mild, im Vergleich zu dem vonArnold Schwarzenegger, der ebenfallsaus der Steiermark stammt, sogar rei-nes Hochdeutsch. Die Unterhaltungläuft ohne jedes Meta-Geplänkel, wieman es von Comedians in Talkshowskennt: „Ich bin zwar Satirikerin, aberich setze mich jetzt nicht ins Café underzähle Witze. Wer Satire will, mussschon in meine Shows kommen.“

In ihren Programmen sagt EckhartSätze wie: „Zeigen Sie mir den Mann inder Kabarettszene, mit dem ich michnicht runterschliefe.“ Auf der Bühnestrotzt sie vor Selbstbewusstsein. „Ar-roganz ist das Medium der Kunst. Hu-mor ist per se arrogant, er stellt sichüber die Genarrten, ihm ist Arroganzeingeschrieben“, sagt sie. Thematisch

arbeitet sie sich am Zeitgeist der Politi-cal Correctness ab. Das macht Auftrittewie in Hamburg schwieriger.

Lisa Eckhart eckt an. Sie empört.Nicht nur unter Leuten, die sich von Be-rufs wegen empören, wurden im Maidieses Jahres Antisemitismus-Vorwürfegegen sie laut, mit einer Verzögerungvon bald zwei Jahren – aber Gegenwartist, wenn es bei Facebook oder Twitterheißläuft: Im September 2018, auf demHöhepunkt des MeToo-Skandals, warEckhart in der WDR-Sendung „Mitter-nachtspitzen“ aufgetreten. In ihrer Büh-nenrolle stellte sie die Frage, ob die Me-Too-Bewegung nicht antisemitisch sei.Immerhin seien Harvey Weinstein,Woody Allen und Roman Polanski Ju-den. „Am meisten enttäuscht es von denJuden, da haben wir immer gegen denVorwurf gewettert, denen ginge es nurums Geld, und jetzt plötzlich kommtraus, denen geht’s wirklich nicht umsGeld, denen geht’s um die Weiber, unddeshalb brauchen sie das Geld.“ Klar,hier muss man schlucken. Führt LisaEckhart mit solchen Sätzen Vorurteilegegenüber den Juden nur entlarvendvor, oder stellt sie sie auch aus? Einige,darunter auch der Antisemitismus-Be-auftragte der Bundesregierung FelixKlein, fanden das problematisch undkritikwürdig. Henryk M. Broder vertei-digte Lisa Eckhart in der WELT, ebensoGerhard Haase-Hindenberg in der „Jü-dischen Allgemeinen“ und der WDR.

Satire hat auch ein Recht darauf, imKontext verstanden zu werden. Sie fin-det innerhalb eines künstlerischen Pro-gramms statt, was bei Shitstorms in denseltensten Fällen zur Kenntnis genom-men wird. Lisa Eckhart macht im glei-chen Stil Witze über Schwarze, Musli-me, alle möglichen Minderheiten. „Min-derheiten sind in meinen Programmennur Statisten für unseren Umgang mitMinderheiten.“ Ihre MeToo-Nummervon 2018 sei nichts anderes gewesen alsein Fingerzeig auf die Frage: „Was ist,wenn Opfer sich an einem Opfer ver-greifen?“ Eckharts großes Thema ist dieFrage, in welche moralischen Dilemma-ta eine Gesellschaft gerät, die sich insKorsett der identitätspolitischen Parti-kularinteressen zwängen lässt. Eckharttritt an gegen die Wokeness, also diesegesteigerte Form des wachen und wach-samen Moralismus, der zunehmend dieDiskurse bestimmt.

„Kann man mich überhaupt kritisie-ren? Ich bin eine Frau. Es gibt wenigFrauen im Kabarett. Ist also jede Kritikan mir per se sexistisch?“ Das Dilemmader Identitätspolitik. Sie zeigt, wie libe-rale Milieus hantieren, wenn sie für be-stimmte Gruppen sprechen: paternalis-tisch und bevormundend. Und wie sichaus Identitäten sofort Hierarchien ab-leiten: „Drag hat Konflikte mit Trans.Body Positivity wird von links gegenTransgender ausgespielt. Von wegen:Wer sich operieren lässt, unterwirft sicheinem Diktat der Schönheitsindustrie.

Entsolidarisierung allenthalben. Die Re-volution frisst laufend ihre Kinder. Ichwill keine Antworten liefern. Ich willnur zeigen: Das, was ihr da macht, istproblematisch. Euer moralisch-hierar-chisches Korsett.“N atürlich seien auch viele ihrer

Nummern problematisch: „DieGefahr, dass ich, wenn ich die

Linken kritisiere, Beifall von rechts be-komme, sehe ich. Nur, was ist die Alter-native? Ich weiß auch keine optimaleAntwort. Es ist schwierig. Überall wirdEindeutigkeit gefordert. Die Toleranzfür Ambiguität ist so gering. Alle wer-den ständig ermahnt, Haltung zu zei-gen.“ Und wenn Lisa Eckhart „Haltung“sagt, klingt selbst ihr weich-melodi-sches Österreichisch einen Momentlang härter, preußischer.

„Die Haltung ist aber so eine Prêt-à-porter-Haltung. Die kost’ nix. Die ist

schnell angelegt. Aber wenn ich aufden ersten Blick erkennbar sein undimmer eindeutige Botschaften vermit-teln muss, wird’s schwierig mitKunst.“ Dass es Lisa Eckhart um Kunstgeht und dass sie – als ganze Figur –Kunst ist, daran lässt sie keinen Zwei-fel. Ihr großes Vorbild ist der englischeDandy Quentin Crisp, eine Oscar-Wil-de-Figur, extrem durchstilisiert.Gleichzeitig geht ihr Distinktionsge-baren gegen null. Sie wuchs auf demDorf auf, bei den Großeltern. Darumgeht es auch in ihrem ersten Roman„Omama“. Man kann mit ihr in einerStunde über die „Ideologie des Diver-sen“, Byung-Chul Han, die Postmoder-ne und „das Recht, nicht besonders zusein“, reden.

Und sonst so? Elfriede Jelinek ist eineHeldin. „Jelinek lehrt einen so gut wiekeine andere, dass man Sprache niekomplett unter Kontrolle hat. Nicht

man selbst spricht, die Sprache sprichteinen.“ Jelinek vermittle Gelassenheitgegen die Sprachregulierungswut: DasBinnen-I ist für Lisa Eckhart „ein ortho-grafischer Strap-on“.

Ihr letztes Programm hieß „Die Vor-teile des Lasters“, nach dem Marquis deSade, überhaupt ist Sadomaso eineständige Metapher: „Beides ist kontrol-liert, erzeugt Lust durch Schmerz in ei-nem gesicherten Rahmen. Der Schmerzkommt dosiert, aber es ist Sinn der Sa-che, dass es schmerzt.“ Ihr linkslibera-les Publikum soll solche Lustschmerzenempfinden: „Ich sage nicht, dass esnicht auch notwendig wäre, gegenrechts anzugehen. Aber der Markt istgesättigt. Es ist für mich keine sonderli-che Herausforderung, gegen rechts zusein. Ich möchte ein Publikum be-schimpfen, das mich danach trotzdemnoch liebt. Und das ist auch eine Formvon Sadomaso.“

Sadomasochstin der deutschen Comedy: Lisa EckhartPA

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Die AneckerinLisa Eckhart ist eine der provokantesten

Kabarettistinnen unserer Zeit. Diese Wochewurde sie von einem Literaturfestival

ausgeladen – aus Angst vor eskalierendenProtesten. Eine Begegnung in Leipzig

VON MARC REICHWEIN