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Page 1: Web viewUnterdessen gibt es zahlreiche Ansätze, Methoden und Modelle, wie autonomes und schülergesteuertes Lernen im Unterricht ganz allgemein umgesetzt werden kann

Eva Ronellenfitsch and Grace Schatz

PH Thurgau / Studiengang Sekundarstufe II

Teaching Literature in the Language Class

GROUP DISCUSSIONS AND DISCUSSION GROUPS

An approach to collaborative and autonomous learning

through student-directed group discussions

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1. Die Methode der Group Discussions und der Literature Circles

Autonomes und schülergesteuertes Lernen stellt in der Bildungsdiskussion seit den 1990er

Jahren und vor allem im Zusammenhang mit der konstruktivistischen Didaktik einen

zentralen Begriff dar, der in vielen Kontexten jedoch durchaus unterschiedlich verwendet

wird. In dieser Arbeit soll unter diesem Begriff in erster Linie das selbständige Lernen der

Schüler/innen und das Übernehmen von Verantwortung durch die Schüler/innen verstanden

werden. In diesem Sinne werden die Schüler/innen zu den Hauptakteuren ihres

Lernprozesses und bestimmen diesen weitgehend selbst.

Unterdessen gibt es zahlreiche Ansätze, Methoden und Modelle, wie autonomes und

schülergesteuertes Lernen im Unterricht ganz allgemein umgesetzt werden kann. Gross ist

auch das Angebot solcher für den fremdsprachlichen Unterricht, denken wir nur an die Flut

von Ideen für Projektarbeiten, Werkstattunterricht, Gruppenpuzzles, etc. für viele

Lerninhalte im Fremdsprachenunterricht.

Der Literaturunterricht in der Oberstufe hingegen scheint diese didaktische Strömung

verschlafen, zumindest aber nicht erst genommen zu haben. In vielen Schulen dominiert und

bestimmt immer noch der Frontalunterricht den Literaturunterricht, in dem die Weltliteratur

den Schüler/innen kursorisch im Sinne von Lehrervorträgen vermittelt wird.

Aus diesem Grund haben wir nach einer geeigneten Methode gesucht, wie der

Literaturunterricht am Gymnasium autonomer und schülerzentrierter gestaltet werden

kann. An der Impulstagung: "Lernstrategien - mit List zur Lust?" am 25. Februar 2009 in Bern,

stiessen wir schliesslich auf einen interessanten Ansatz, nämlich Group Discussions. Eine

junge Lehrerin erzählte uns, wie sie autonomes Lernen durch schülergesteuerte

Diskussionen in Kleingruppen in ihren englischen Literaturunterricht integriert hat. Das

Prinzip dieser Discussion Groups ist simpel: Das Verstehen und Interpretieren der

Klassenlektüre übernehmen ihre Schüler/innen selbst, d.h. die Verantwortung liegt ganz in

ihren Händen. Sie selbst gibt ihren Schüler/innen nur die „Golden Lines“ (die groben

Lernziele) vor, die dann ausschliesslich von den Schüler/innen in Kleingruppen selbst

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erarbeitet werden, jeder in einer spezifischen Rolle, vom Diskussionsleiter hin bis zum

Protokollführer.

Inspiriert von ihrer Idee, haben wir anschliessend nach nützlicher Literatur, d.h. nach der

Theorie zur Praxis, gesucht und sind auf das Buch von Harvey Daniels, Literature Circles:

Voice and Choice in the Student-Centered Classroom1, gestossen. Wie wir hatte auch Daniels

nach einer geeigneten Methode gesucht und diese 1993 gefunden. Er nannte sie Literature

Circles. In seinen Literaturzirkeln2 wird, ähnlich wie bei den Group Discussions, die

Erarbeitung der Literatur (ob Roman, Kurzgeschichte oder Gedicht) gänzlich den

Schüler/innen überlassen, mit ganz eindrücklichem Resultat, wie das folgende Zitat Daniels

beweist:

„Using a variety of different structures and procedures that matched

our grade levels, we’d been dazzled by what the kids could do when

given choices, time, responsibility, a little guidance, and a workable

structure. Our students were reading lots of good books, thinking

deeply about them, writing notes and journal entries, and joining in

lively, informed literature discussions. They shared responses with

peers, listened respectfully to one another, sometimes disagreed

vehemently, but dug back into the text to settle arguments or validate

different interpretations. In short, our kids were acting like real

readers”3.

Anders als im traditionellen lehrerdominierten Literaturunterricht, in dem die Schüler die

Ausführungen und Interpretationen des Lehrers unreflektiert übernehmen, wird bei dieser

Methode das Augenmerk also ausschliesslich auf die Schülerdiskussion, die Schülerbeiträge

und die Zusammenarbeit in der Gruppe gelegt.

Der Nutzen für den Unterricht ist offensichtlich und wir wollen an dieser Stelle die folgenden

wichtigsten Vorteile aufzeigen:

1 Daniels, H. (1994). Literature Circles: Voice and Choice in the Student-Centered Classroom. Markham: Pembroke Publishers Ltd.2 Nebst Harvey Daniels hat auch Katherine L. Schlick Noe viel über diese Methode geschrieben. 3 Daniels, H. (1994), S. 1

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Die Vorteile des kooperativen Lernens und des autonomen/schülergesteuerten

Lernens werden gekoppelt.

Der Fokus wird auf die Schülerdiskussion und die Schülerbeiträge gelegt. Die

Diskussion in der Gruppe ermöglicht es den Schüler/innen, sich unter

Berücksichtigung von Gesprächsregeln mit anderen über kontroverse Fragen und

Probleme auszutauschen und eine oder mehrere Lösungsmöglichkeiten zu finden.

Darüberhinaus lernen die sie, Spannungen untereinander zu ertragen, eigene

Standpunkte zu vertreten, sachlich zu argumentieren und Konflikte demokratisch zu

lösen.

Es wird also nicht nur die Diskussionsfähigkeit der Schüler/innen verbessert, sondern

auch ihre Sozial- und Methodenkompetenz.

Der Individualisierung kann Rechnung getragen werden. Leistungsstarke

Schüler/innen können gezielt gefördert werden, leistungsschwächere Schüler/innen

zweckmässig unterstützt werden.

Durch erhöhte Selbsttätigkeit und aktivem Mitwirken arbeiten die Schüler/innen

motivierter.

Die Arbeit in der Gruppe (peer groups) erhöht den Lernwillen und wirkt bestärkend.

Die Lust am Lesen und Diskutieren wird geweckt und kann über längere Zeit

beibehalten werden.

Zudem eignen sich Gruppendiskussionen besonders dazu, Gruppendynamiken zu studieren

und die Problemlösungsprozesse der Schüler/innen zu analysieren. Für die Lehrperson ist es

sicherlich interessant zu erfahren, wie sich Meinungen bilden oder wie die Gruppen mit nicht

geteilte oder gar extreme Ansichten umgehen.

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2. Die Rollen in der Group Discussion

2.1. Die Rolle der Lehrperson

Die Rolle der Lehrperson im auf Group Discussions basierten Literaturunterricht kann auf

den ersten Blick ungewohnt erscheinen, da sie dem traditionellen Bild des Lehrers als

Wissensaufbereiter und –vermittler, aber auch „Mehrwisser“ wenig entspricht. Nur während

der Planung nimmt er diese klassische Rolle ein, indem er die Unterrichtseinheit sorgfältig

plant, auf die Vielfalt und Effizienz der Aufgaben achtet, das Zeitmanagement gründlich

durchdenkt, etc.

Um der Heterogenität der Schüler/innen im Unterricht gerecht zu werden und der

Individualisierung Rechnung zu tragen, d.h. ihre Stärken zu fördern und ihre Schwächen

auszugleichen, ist es die Aufgabe der Lehrperson – als Impulsgeber und Lernszenariobereiter

- geeignete Impulse und „Golden Lines“ für die Group Discussions zu finden, die zum

angestrebten Lernerfolg führen. Sie ist also bestrebt, im Vorfeld geeignete Lernimpulse und

Lernszenarien einzuplanen und sorgfältig aufzubereiten. Überdies konzipiert und formuliert

sie passende „Werkstücke“, die von den Schüler/innen als Leistungsnachweis erarbeitet bzw.

erbracht werden müssen. Schliesslich ist es die Aufgabe der Lehrperson, Verbindlichkeiten

zu schaffen und diese klar zu kommunizieren, sowie die Eigen- und Gruppenverantwortung

der Schüler/innen zu fördern.

Sind die Group Discussions in Gange, tritt die Lehrperson in den Hintergrund. Sie ist

angehalten, möglichst wenig Input oder Instruktionen zu geben, dafür aber möglichst direkt

in die Gruppenlernphase überzuleiten. Sie ist Lerncoach und Lernbegleiter, d.h. sie

beobachtet und geht bei Bedarf individuell auf einzelne Schüler/innen bzw. Gruppen ein. Sie

hilft, wenn sie gebraucht wird. Die Lehrperson ist also weniger ein Wissensexperte, als

vielmehr ein Lernexperte, der die Schüler beim Lösen von Problemen unterstützt und ihnen

gegebenenfalls weiterhilft. Diese Rolle der Lehrperson baut stark auf symmetrischen

Beziehungen auf. Es erfordert von der Lehrperson ein hohes Mass an Beziehungs- und

Kommunikationsfähigkeit, an Hilfs- und Unterstützungsbereitschaft, sowie an Flexibilität und

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Geduld. Da die Gruppen häufig ungleich schnell arbeiten und/oder verschiedene Aufgaben

erarbeiten, darf die Lehrperson überdies den Überblick nicht verlieren.

2.2. Die Rollen der Schüler/innen

Je nach Klassengrösse, Wahl der Lektüre, Alter und Fertigkeiten/Kompetenzen der

Schüler/innen können die Diskussionsgruppen grösser oder kleiner gestaltet werden. Jedes

Gruppenmitglied hat eine klar definierte Rolle und an diese geknüpfte Aufgaben zu erfüllen.

Die Aufteilung der Rollen in der Gruppe erfolgt von den Schüler/innen selbst, wobei aber

eine Wechselfolge der einzelnen Rollen vorgesehen wird. So kann jedes Gruppenmitglied

jede definierte Rolle wenigstens einmal während der ganzen Laufzeit der Groups Discussions

einnehmen.

Für die Gruppendiskussion im Literaturunterricht sind die folgenden Rollen denkbar, wobei

wahlweise bzw. bedarfsweise die eine oder andere Rolle auch weggelassen oder zwei Rollen

zusammengezogen werden können:

The Question Finder (The Discussion Facilitator)

Der Question Finder sucht nach geeigneten Diskussionsfragen (über Inhalt oder

Interpretation) und fertigt eine Liste von Fragen an, die er seinen Gruppenmitglieder vor

dem Gruppentreffen zukommen lässt. Die Fragen beziehen sich jeweils auf die zu lesenden

Kapitel und sollten so gestellt sein, dass sie eine lebhafte Diskussion begünstigen. Offene

Fragen sind also erstrebenswerter als simple Ja/Nein-Fragen. Eine gute Frage könnte sein:

"What was going through your mind when you read this passage?" oder "How did the main

character change as a result of this incident?".

The Discussion Leader

Der Discussion Leader leitet die Diskussion und ermuntert seine Gruppenmitglieder zur

aktiven Teilnahme an der Diskussion. Seine Aufgabe ist es, die Diskussion in Schwung zu

halten, wobei die Kunst darin besteht, schüchterne Redner zu integrieren und starke Redner

zu bremsen. Auch muss er auf das Zeitmanagement achten, d.h. eine Sinn dafür entwickeln,

Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Nach der Diskussionsrunde hält er den

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Diskussionsinhalt schriftlich fest und verfasst ein Diskussionsprotokoll, das er seinen

Gruppenmitgliedern zur nächsten Sitzung mitbringt.

The Passage Picker

Der Passage Picker sucht nach signifikanten Passagen im Buch, die zum Nachdenken anregen

oder einfach nur lustig, interessant, störend oder speziell aussagekräftig sind. Er schreibt die

gefundenen Zitate sorgfältig auf (mit genauen Seitenangaben) und übergibt jedem Mitglied

eine Kopie seiner Zitate. In der Diskussionsrunde kann der Passage Picker seine Zitate selbst

den anderen laut vorlesen oder diese von seinen Gruppenmitgliedern vorlesen lassen. Es

wird jeweils genügend Zeit in der Diskussionsrunde eingeplant, um über diese Passagen zu

sprechen und diese zu kommentieren.

The Illustrator

Der Illustrator hat die Aufgabe, die gelesenen Kapitel bildlich festzuhalten, d.h. ein Bild

davon zu zeichnen, eine Collage anzufertigen, Symbole zu finden, oder gar die Szenen

nachzuspielen. Es geht darum, das Gelesene für die anderen Gruppenmitglieder zu

visualisieren.

The Connection Finder (The Connector)

Der Connection Finder hat die Aufgabe, den emotionalen Link zum Gelesenen herzustellen,

und den Zusammenhang zwischen Fiktion und Realität aufzuzeigen. Er versucht, wichtige

Hintergrund- oder Zusatzinformationen zu vermitteln oder unklare Passagen im Text

aufzuklären, indem er Fotos, Stadtpläne, geschichtliche Daten, Biografien, Darstellungen,

Abbildungen, Musikstücke, etc. zum Gruppentreffen mitbringt. Fühlen sich die Mitglieder in

der jeweiligen Gruppe wohl, kann der Connection Finder auch Brücken zu ganz persönlichen

Erlebnissen schlagen.

The Summarizer

Der Summarizer fasst das Gelesene (die jeweiligen Kapitel) kurz zusammen und listet die

wichtigsten Ereignisse oder Inhalte als Gedächtnisstütze für seine Gruppenmitglieder auf. In

diese Zusammenfassung können/sollten auch Personenbeschreibungen und

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Charakterisierungen und Gedanken zur Symbolik einzelner Passagen einfliessen.

Idealerweise wird die Zusammenfassung jeweils zu Beginn der Diskussionsrunde vom

Summarizer vorgetragen und nicht abgelesen. Jedoch erhält jedes Mitglied eine Kopie der

schriftlichen Zusammenfassung. Gute Zusammenfassungen helfen den Schüler/innen, das

Gesamtbild besser zu sehen.

The Word Master (The Word Wizard or The Vocabulary Enricher)

Der Word Master halt wichtige Vokabeln des gelesenen Abschnittes fest. Dies können

unbekannte, ungewöhnliche, ausgefallene, interessante oder besonders bedeutsame Wörter

sein. Er listet diese Wörter mit der genauen Seitenangabe auf, versieht sie mit einer kurzen

Definition oder schreibt das jeweilige Synonym/Antonym auf. Die Wörterliste, die jedes

Gruppenmitglied in Kopie erhält, kann gehemmteren Schüler/innen eine grosse Hilfe

während der Diskussion sein. Zudem ermöglicht es fleissigen Schüler/innen, ihr Wortschatz

gezielt zu erweitern und Vokabeln auch ausserhalb der Gruppentreffen zu lernen.

The Travel Tracer

Der Travel Tracer hält alle wichtigen Handlungsabläufe, Orts- und Zeitwechsel und

Veränderungen der Charaktere fest, die im jeweiligen Abschnitt passieren. Er erfasst diese

auf einem Zeitstrahl oder in einer Mind Map, oder stellt sie in einer anderen anschaulichen

und strukturierten Form dar. Seine Hauptaufgabe ist es, die die Kulisse zu veranschaulichen

und das Handlungsschema aufzuzeigen.

The Investigator

Der Investigator versucht, hinter die Kulisse der Lektüre zu blicken und den Bogen zur

Literaturgeschichte bzw. Literaturepoche und der literarischen Gattung zu schlagen, sowie

literarische Mittel zur Charakterisierung der Figuren und zur Entwicklung der Handlung sowie

Besonderheiten der Erzähltechnik aufzuzeigen. Falls er sich Definitionen und Informationen

aus dem Internet oder Sachbüchern bedient, so müssen seine Ausführungen mit korrekten

Quellenangaben versehen sein.

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The Language Finder

Der Language Finder ist bestrebt, Besonderheiten der Sprache und Semantik zu erläutern

und seinen Gruppenmitgliedern Vergleiche, Metaphern, Hyperbeln, Redensarten, etc. im

Text zu erklären. Seine Erklärungen können die Gruppe sehr bereichern und angeregte

Diskussionen über die Absichten des Autors auslösen: Warum hat der Autor gerade diese

Metapher benutzt? Was steckt hinter seiner Wortwahl? Das selbständige Herausfinden von

Erklärungen ist oft relevanter und einprägsamer für die Schüler/innen als eine aus dem

Kontext gerissene Ausführung der Lehrperson.

3. Vorgehensweise und empfohlener Diskussionsverlauf

Die Methode der Literature Circles sowie die daraus abgeleitete Methode der Discussion

Groups verbinden das kooperative Arbeiten (i.e. Gruppenarbeit) mit dem autonomen und

schülergesteuerten Lernen (i.e. Selbsttätigkeit, -verantwortung und -steuerung). Die

Anwendung dieser Methoden im Unterricht kann nach den folgenden, von Daniels

definierten 11 Hauptmerkmalen4 erfolgen, wobei aber „some of the defining ingredients of

literature circles may be intentionally omitted or even modified“5:

1. Die Schüler/innen wählen selbständig ihre Lektüre.

2. Sie formieren sich aufgrund ihrer Bücherwahl in kleine Gruppen.

3. Verschiedene Gruppen lesen zeitgleich also verschiedene Bücher.

4. Es werden regelmässige Treffen vereinbart bzw. Zeitfenster im Regelunterricht für die

Gruppendiskussionen eingeplant.

5. Die Diskussionsinhalte und –themen werden von den Schüler/innen selbst festgelegt.

6. Die Schüler/innen halten ihre Diskussionsinhalte schriftlich oder bildlich fest (i.e.

Zusammenfassungen, Mind Maps, Reflexionen, etc.). Sie haben in den Gruppen

spezifische Rollen zu erfüllen und erledigen jeweils Aufgaben für das darauffolgende

Treffen.

4 Daniels, H. (1994), S. 185 ebd.

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7. Die Gruppendiskussionen sollten möglichst natürlich ablaufen (“natural conversations“).

So dürfen die Schüler/innen auch zeitweise vom Thema abschweifen und eine auch

nicht themenbezogene Frage eingehend diskutieren.

8. Die Lehrperson soll so wenig wie möglich in die Schülerdiskussionen eingreifen, sondern

diese vielmehr beobachten und bei Bedarf unterstützend einwirken. Sie bietet

genügend Hilfe, damit die Schüler/innen ihre Rollen und Aufgaben ausreichend erfüllen

können.

9. Die Beurteilung erfolgt durch die Beobachtungen seitens der Lehrperson und seitens der

Schüler/innen selbst (self-evaluation). Ebenso werden geleistete Arbeiten (sogenannte

Werkstücke) bewertet.

10. Im Klassenzimmer herrscht ein Klima der Freude und Lockerheit.

11. Werden neue Bücher gelesen, werden auch neue Gruppen gebildet.

Die Gruppendiskussion kann (muss aber nicht) nach dem folgenden Schema verlaufen:

Schritt I: Vorbereitung auf die Diskussionsrunde

Die Schüler/innen bereiten sich auf ihre Rollen und die damit verbundenen Aufgaben vor.

Schritt II: Die Diskussion wird eröffnet

Der Diskussion Leader eröffnet die Sitzung und fordert die Gruppenmitglieder nacheinander

auf, ihre Aufgaben zu präsentieren. Der Summarizer gibt eine kurze Zusammenfassung der

gelesenen Kapitel, der Connection Finder zeigt und kommentiert seine mitgebrachten

Zusatzinformationen, etc.

Schritt III: Diskussion, Besprechung und Interpretation

Der Question Finder informiert seine Gruppenmitglieder über den Ablauf der Diskussion und

teilt die zu besprechenden Fragen aus. Die Diskussion beginnt und die Gruppenmitglieder

sind bestrebt, sich aktiv daran zu beteiligen, gute Beiträge zu leisten, etc. Der Discussion

Leader leitet, moderiert und überwacht die Diskussion. Er strukturiert die Wortmeldungen,

ist um eine faire Aufteilung der Redezeiten bemüht und achtet darauf, dass die

Diskussionsregeln respektiert werden.

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Schritt IV: Reflexion, Feedback und Rollenneuverteilung

Am Ende der Diskussion erhalten alle Teilnehmer die Gelegenheit, ihre Beobachtungen,

Gefühle und Eindrücke zu äussern und Verbesserungsvorschläge sowie sonstige Anträge

anzubringen. Vorgeschlagene Optimierungsmassnahmen werden eingehend diskutiert.

Werden sie für gut befunden, werden sie von der Gruppe verabschiedet und umgesetzt.

Ganz zum Schluss werden die Rollen und Aufgaben für die nächste Sitzung neu verteilt.

4. Tipps für die erfolgreiche Umsetzung

Da wir die Methode der Group Discussions bereits einmal im Literaturunterricht auf der

Oberstufe6 erprobt haben, möchten wir an dieser Stelle gerne einige Tipps zur Umsetzung

anfügen bzw. mögliche Stolpersteine vorab aus dem Weg räumen.

Die Lehrperson von heute muss vielen Ansprüchen und Anforderungen gerecht werden. Die

Verbindlichkeiten der kantonalen, schulinternen und fachspezifischen Lehrpläne müssen

erfüllt und diverse andere Verpflichtungen in den Unterricht integriert werden. So sieht sich

die Lehrperson bedauerlicherweise häufig gezwungen, auf die Mitbestimmung und

Mitwirkung der Schüler/innen bei der Gestaltung des Unterrichts zu verzichten, da ja selbst

sie nicht ganz frei in der Wahl der Lerninhalte ist. Aber auch mit einer gemeinsamen

Klassenlektüre kann die Methode der Group Discussions hervorragend umgesetzt werden.

Zudem empfehlen wir Neueinsteigern, d.h. Lehrpersonen, die diese Methode zum ersten

Mal in ihrem Literaturunterricht anwenden, unbedingt mit nur einer Klassenlektüre zu

beginnen. Werden zeitgleich verschiedene Bücher in verschiedenen Gruppen gelesen, kann

die Lehrperson leicht den Überblick verlieren. Ihre Première wird entschieden erfolgreicher,

wenn alle Gruppen das gleiche Buch besprechen. Mit genügend Know-how kann sie sich

dann mutig an die Herausforderung vieler Bücher wagen.

Während der Konzeptionierung und Planung der besagten Unterrichtseinheit gemäss der

Methode der Group Discussions waren wir uns sicher, dass die (eher) extrovertierten und

aktiven Schüler/innen viel Spass und Freude am Programm finden werden, da ein solcher

6 Im Erfahrungspraktikum am Liechtensteinischen Gymnasium hat Grace Schatz die Methode der Discussion Groups mit zwei Klassen erprobt und jeweils eine Unterrichtseinheit von vier Wochen gemäss dieser Methode konzipiert.

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Unterricht ihnen die Möglichkeit bietet, ihre gerne eingenommene Leaderposition

bewusst(er) auszuleben und sich zielgerichteter einzubringen. Gleichzeitig hatten wir grosse

Bedenken für die (eher) introvertierten Schüler/innen, lag doch die Vermutung nahe, sie zu

etwas zu zwingen, das ihnen schwer fällt, ja gar völlig missfällt, da sie sich weder gerne aktiv

am Unterricht beteiligen (i.e. sich von sich aus melden und äussern) noch unbedingt in

Gruppen arbeiten (i.e. sich mehr als nötig mitteilen wollen). Die Erfahrung hat jedoch

gezeigt, dass diese Methode gerade den (eher) schüchternen Schüler/innen die Möglichkeit

verschafft, ihre Schüchternheit und Unsicherheit zu überwinden, da sie ihre Antworten und

Lösungen zuerst in kleinen und überschaubaren Gruppen diskutieren und validieren können,

in denen sie sich wohlfühlen, bevor sie sich vor der ganzen Klasse äussern müssen. Die

Gruppendiskussion gab ihnen die Zuversicht, etwas Richtiges und für alle Wertvolles

beizutragen, was dazu führte, dass sie sich vermehrt aktiv am Unterricht beteiligten und sich

oft sogar von sich aus meldeten und Beiträge lieferten.

Sind die Schüler/innen mit dieser Methode noch wenig vertraut sind, so empfehlen wir, dass

die Lehrperson die Rolle des Question Finders anfangs selbst übernimmt, d.h. die „Golden

Lines“ für die Diskussionsrunden vorgibt. Die Erfahrung zeigt, dass die Question Finders oft

völlig überfordert sind, einen roten Faden für die Gruppendiskussion zu finden sowie gute –

also offene und tiefgründige – Fragen zu formulieren. Es kann aber auch in Betracht gezogen

werden, die Fragen für die Diskussionsrunden mit den Schüler/innen zusammen zu finden,

zum Beispiel mithilfe eines Brainstormings an der Tafel, bei dem anschliessend die

gesammelten Fragen vom speziellen zum allgemeinen hin geordnet werden. Dabei können

sie in bestimmte Kategorien gegliedert werden. So ist denkbar, zuerst eine Eröffnungsfrage

zu definieren, darauf eine ins Thema einführende Übergangsfrage zu stellen, gefolgt von

einigen Hauptfragen, die den Fokus der Diskussion bilden und zum Ende noch eine offene

Abschlussfrage zu formulieren, die zum Nachdenken anregt.

Wichtig für das Gelingen von Diskussionen ist auch das Vereinbaren von gemeinsamen

Diskussionsregeln, die für alle Gruppenmitglieder verbindlich sind. So sollten sich die

Schüler/innen mit Ehrlichkeit und Offenheit gegenübertreten, einander ausreden lassen,

andere Meinungen akzeptieren und annehmen, sachlich argumentieren und vielmehr

überzeugen statt überreden.

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Das Ziel, einen möglichst natürlichen Redefluss – und zwar in der Zielsprache – zu

gewährleisten, ist nicht immer einfach, vor allem wenn sich die Schüler/innen nicht gewohnt

sind, umfangreichen mündlichen Output zu leisten (also mehr als nur eine Antwort auf eine

gestellte Frage zu geben). Geht man von einer Klasse von 20 Schülern und einer 45

minütigen Lektion aus, so stehen im Regelunterricht jedem Schüler gerade mal 2,25 Minuten

zur Verfügung. In einem auf der Group Discussions Methode basierten Unterricht empfinden

es die Schüler/innen anfänglich oft sehr befremdend, so viel aktiver und produktiver

gefordert zu sein, und tendieren dazu, die angestrebte Zielsprache zu umgehen. Setzt man

diese Methode das erste Mal im Literaturunterricht um, so ist es leider gut möglich, dass sich

die Schüler/innen noch sehr stark der Muttersprache bedienen. Und auch wenn wir keine

grossen Fans von Sanktionen sind, so hat es sich in der Praxis doch gut bewährt, dieser

Tendenz mit Androhung von negativen Konsequenzen entgegenzuwirken. Denn wird den

Schüler/innen bewusst gemacht, dass die Anwendung der Zielsprache in den

Gruppendiskussionen nicht nur das angestrebte Ziel sondern auch Pflicht ist, geben sie sich

mehr Mühe und bringen der gestellten Aufgabe mehr Ernsthaftigkeit entgegen.

Darüber hinaus muss klargestellt werden, dass Group Discussions nicht nur Spass, sondern

auch Arbeit bedeuten. Es ist die Aufgabe der Lehrperson, die Verbindlichkeit der Rollen und

der daran geknüpften Aufgaben und Pflichten klar aufzuzeigen und die Konsequenzen bei

Nichterfüllung deutlich zu kommunizieren. Die angestrebten Group Discussions können nur

funktionieren, wenn alle Beteiligten ihre Aufträge verlässlich erledigen. Dies beinhaltet, die

abgemachten Kapitel/Ausschnitte zu lesen, die eigene Aufgabe zu erledigen und genügend

Kopien davon an alle Gruppenmitglieder abzugeben. Die Verbindlichkeit der Aufgaben sollte

soweit geklärt sein, dass die Arbeit auch unter unvorgesehenen Bedingungen erledigt wird.

So haben wir unsere Schüler/innen angewiesen, auch bei Krankheit, Unfall oder sonstigen

Umständen, die zum Fehlen im Unterricht führten, ihre jeweiligen Arbeiten an ihre

Gruppenmitglieder weiterzuleiten. Da heutzutage fast jeder zuhause über einen Zugang ins

Internet verfügt, befolgten die Schüler diese Weisung.

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Die von den Schüler/innen in den Diskussionsgruppen anzufertigenden Werkstücke -

denkbar sind eine Gruppen-Mind Map7, ein Zeitungsartikel oder ein kurzes Hörspiel –

müssen von der Lehrperson gut durchdacht und geplant werden. Auch die dazu zur

Verfügung stehende Zeit muss grosszügiger als im Regelunterricht angesetzt werden, da

umfangreiche Gruppenarbeiten mehr Zeit in Anspruch nehmen als eng gesteckte

Einzelarbeiten. Der Kreativität und Originalität sollten jedoch weder in der Planung durch die

Lehrperson noch in der Durchführung durch die Schüler/innen Grenzen gesetzt werden.

Auch wenn gewisse Gruppenwerkstücke zeitaufwändig erscheinen, so lohnt es sich dennoch,

sie zu realisieren. Denn wie sagt der Volksmund doch so schön: Gut Ding will Weile haben.

Ganz allgemein benötigt die Methode der Group Discussions viel Zeit. Wo im traditionellen

Frontalunterricht eine ganze Kurzgeschichte in 45 Minuten besprochen und interpretiert

werden kann, nimmt die schülergesteuerte Group Discussions gut das Doppelte an Zeit in

Anspruch. Das Hinterfragen, Abwägen, Durchdenken, Validieren, Diskutieren, Vernetzen,

Debattieren, Argumentieren, Nachforschen, etc. in der Gruppe ist anspruchsvoll, dafür aber

sicherlich auch scharfsinniger und tiefgründiger, und vor allem auch einleuchtender und

nachvollziehbarer für die Schüler/innen, als das simple und unreflektierte Übernehmen der

Meinung und Einschätzung der Lehrperson.

Abschliessend darf gesagt werden, dass sich die Methode sehr bewährt hat und die

Schüler/innen sehr positive darauf reagiert haben. Auch wenn sie sich anfänglich daran

gewöhnen mussten, die Hauptakteure des Geschehens zu sein und viel Eigeninitiative,

Energie und Fleiss zum Gelingen der Gruppenarbeit beitragen mussten, Spass hat es ihnen

bereitet und ihr Lernwille war gross. Sie waren grösstenteils sehr motiviert, wenig abgelenkt

und meist fleissig und gewissenhaft bei der Arbeit. Wie wir konnte auch Daniels eine sehr

positive Bilanz ziehen: “Sure, there were problems, too: kids who didn’t do the reading, off-

task discussions, and really noisy rooms. But mostly, it was working. (…) Literature circles

were a pretty nifty little invention that we had created all by ourselves”8.

7 Eva Ronellenfitsch und Grace Schatz haben zum Thema Mind Mapping im Fremdsprachenunterricht eine ausführliche Arbeit geschrieben, die speziell im Zusammenhang mit der Group Discussions Methode sehr zu empfehlen ist. Ronellenfitsch Eva & Schatz Grace, „Map your mind or mind the map?, Pädagogische Hochschule Thurgau, 2009. 8 Daniels, H. (1994), S. 1

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5. Beurteilung und Bewertung

Es ist keinesfalls leicht, autonomes und schülergesteuertes Lernen zu bewerten und

beurteilen. Auch der Erfinder der Literature Circles, Harvey Daniels, zermarterte sich damals

den Kopf darüber: „When groups of students are spending large chunks of the day meeting in

literature circles, we often worry. How can I evaluate this activity? How do I know what kids

are learning? What records do I need to keep? How can I give grades?”9.

Da die Leistungen der Schüler/innen im schulischen Kontext zwingend beurteilt und benotet

werden müssen, und für die Pflicht der Notengebung auch beim Unterricht mit neuen

Methoden keine Ausnahme gemacht werden kann, sollen hier Möglichkeiten aufgezeigt

werden, wie Group Discussions, und vor allem die daraus resultierenden Arbeiten bewertet

werden können:

Selbsteinschätzung / Self-Assessment

Die Schüler/innen beobachten und überwachen ihren eigenen Lernprozess. Sie beurteilen

ihre Leistung entweder durch die individuelle Einschätzung der persönlichen

Leistungsentwicklung (i.e. Was habe ich dazugelernt? Was kann ich heute besser?) oder aber

durch den Vergleich mit der Gruppe (i.e. Habe ich gleich viel gelernt/verstanden wie meine

Gruppenmitglieder?). Nebst der Einschätzung der kognitiven Fertigkeiten/Kompetenzen

sollen die Schüler/inne auch ihr eigenes Engagement sowie ihre Sozialkompetenz (Habe ich

mich ausreichend in die Gruppendiskussion eingebracht? War ich ein wertvolles Mitglied der

Gruppe?) und Methodenkompetenz (Wie habe ich meine rollenspezifische Aufgabe gelöst?

Wie bin ich vorgegangen?) beurteilen. Um diese Selbsteinschätzung zu ermöglichen, ist es

die Aufgabe der Lehrperson, den Schüler/innen geeignete Beurteilungsformen zur Verfügung

zu stellen. So ist es denkbar, dass die Lehrperson entsprechende Kompetenzraster oder

Checklisten10 erarbeitet und bereitstellt, die die Schüler/innen fortwährend (also in

regelmässigen Abständen während der ganzen Laufzeit der Group Discussions) ausfüllen.

9 Daniels, H. (1994), S. 18310 Auf die konkrete Ausarbeitung solcher Kompetenzraster bzw. Checklisten wird in dieser Arbeit nicht eingegangen, da dieses Thema aufgrund der Aktualität und des Umfangs Gegenstand einer eigenständigen Arbeit wäre. Jedoch wird darauf hingewiesen, dass das WorldWideWeb eine Fülle an Informationen zu diesem Thema und sogar konkrete Beispiele bereitstellt.

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Diese Verbindlichkeit hilft den Schüler/innen dabei, ihren Lernprozess konsequent zu

überwachen und zu hinterfragen, und bei Bedarf zu regulieren.

Beurteilung durch die Gruppe / Peer Assessment

Es ist auch denkbar und aus unserer Sicht sogar erstrebenswert, dass die Schüler/innen bzw.

Gruppenmitglieder sich gegenseitig beurteilen. Als Teil der Gruppe sind sie häufig besser in

der Lage, ihre Gruppenmitglieder miteinander zu vergleichen und deren Leistung zu

bewerten als die aussenstehende und „nur“ beobachtende Lehrperson. Es ist die Gruppe,

die den Überblick darüber hat, welches Mitglied äusserst sorgfältig und verlässlich gearbeitet

hat, oder wer sich ausserordentlich aktiv an der Gruppendiskussion beteiligt hat. Wie für die

Selbsteinschätzung muss die Lehrperson auch hier geeignete Bewertungsraster ausarbeiten.

Beobachtung / Observations

Sehr wichtig für die Schülerbeurteilung sind die fortlaufenden Beobachtungen der

Lehrperson. Während die Schüler/innen in ihre Diskussionen und Aufgaben vertieft sind,

kann sich die Lehrperson einen guten Überblick der Schülerleistungen verschaffen, die

Beiträge einzelner Schüler aufmerksam verfolgen, die Bemühungen der Schüler/innen in der

Bewältigung der Aufgaben vergleichen, Einschätzungen validieren oder revidieren, etc. Und

auch wenn „self-evaluation“ und „peer assessment“ heutzutage sehr gross geschrieben

werden, nimmt das Lehrerfeedback immer noch eine entscheidende und wichtige Stellung

ein. Die Schüler/innen wollen wissen, wie der Lehrer/die Lehrerin ihre Leistungen und

Bemühungen einschätzt, genauso wie sie wert auf die Meinung ihrer Eltern legen, auch

wenn sie dies pubertätsbedingt nicht immer gerne zugeben. Das Urteil von Erwachsenen

scheint also ebenso wichtig wie die Meinung der Altersgenossen.

Lehrerrückmeldungen helfen den Schüler/innen, ihre Schwächen und Stärken

wahrzunehmen und so ein realistisches Selbstbild aufzubauen, sowie sich an den

Leistungsvergleich im Berufsleben zu gewöhnen. Zudem unterstreichen die Lehrerfeedbacks

die Wichtigkeit der vereinbarten Verbindlichkeit wie auch die Bedeutung des

Lernfortschritts. Indem die Lehrperson situationsbedingt auf ein Fehlverhalten reagiert,

erhält der Schüler/die Schülerin direkt und umgehend, d.h. ohne Zeitverzögerung und

kontextbezogen, eine Rückmeldung und kann darauf regieren, i.e. sich bessern und/oder

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etwas dazulernen. Aufgrund des unmittelbaren Feedbacks kann er/sie seine/ihre

Lernstrategien und –methoden bei Unzulänglichkeit umgehend zur befriedigenden Erfüllung

der gestellten Aufgabe anzupassen oder sich schlicht mehr Mühe geben, wenn die Leistung

nicht zufriedenstellend bewertet wird. Unmittelbare Feedbacks schaffen Vertrauen und

versprechen nachhaltige Lernwirkung. Zudem wirken sie bestärkend und motivierend.

Um der Objektivität bei der Beurteilung von Schüler/inne Rechnung zu tragen, empfehlen

wir auch hier die Anwendung von Beurteilungsbogen und Bewertungsrastern.

Mündliche Prüfungen

Da die Methode der Group Discussions den Schwerpunkt auf die Sprachfertigkeit der

Schüler/innen, also auf ihre Fähigkeit, sich der Zielsprache bedienen zu können, d.h. sich

einerseits in ihr ausdrücken und andererseits sie verstehen und interpretieren zu können,

setzt, eignen sich auch mündliche Prüfungen zur Leistungsbewertung der Schüler/innen.

Dabei kann eine traditionell konzipierte Prüfung, d.h. Lehrer-Schüler-Gespräch, oder aber

eine „peer conversation“, d.h. eine Schülerunterhaltung, in Betracht gezogen werden. Beide

Varianten ermöglichen es der Lehrperson, die sprachlichen Fertigkeiten/Kompetenzen sowie

das Wissen der Schüler/innen zu bewerten. Die zweite Variante (das Schülergespräch) bietet

der Lehrperson zudem die Möglichkeit, die Diskussionsfähigkeit der Schüler/innen sowie ihre

Sozialkompetenz im Gespräch zu bewerten.

Portfolios

Es bietet sich bei dieser Methode an, die fortlaufenden rollenspezifischen Arbeiten der

Schüler/innen zu kontrollieren (Kontrolle der Verbindlichkeit), aber auch zu bewerten. Oft

fehlt es den Lehrpersonen an objektiven Kriterien, die mündliche Mitarbeit ihrer

Schüler/innen zu bewerten, obwohl diese integraler Bestandteil der Zeugnisnote ist. Fällt

diese schlecht aus und beschweren sich überdies die Eltern der betreffenden Schüler/innen,

so mangelt es der Lehrperson häufig an guten Argumenten, um die schlechte Note zu

rechtfertigen.

Anders ist es im auf Group Discussions basierten Unterricht. Die Nichterfüllung einer

rollenspezifischen und verpflichtenden Aufgabe kann sofort ermittelt und geahndet werden.

Mithilfe einer simplen Aufgabenliste, auf der die Lehrperson fehlende Arbeiten verzeichnet,

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kann sie die Mitarbeit im Unterricht sowie die Verlässlichkeit und das Engagement jedes

Schülers/jeder Schülerin leicht eruieren und schliesslich bewerten. In den Worten Daniels

sind Schülerportfolios "a rich source of insight"11. Die Aufgabenliste spricht für sich und kann

auch noch so vehementen Gegenargumenten seitens der Eltern standhalten.

Frei in der Gestaltung, sammeln die Schüler/innen in ihrem Portfolio sämtliche Arbeiten der

Gruppenmitglieder und fügen ihm die eigenen erarbeiteten Werkstücke hinzu. Es kann

durchaus in Betracht gezogen werden, dass die Schüler/innen ihrem Portfolio eine Reflexion

anfügen, in der ihr eigener Lernprozess selbstregulierend überdacht und erörtert wird.

Jedoch ist es sinnvoll, Kriterien zur Erstellung eines Portfolios zu definieren und diese klar zu

kommunizieren. Nur aufgrund von klaren und nachvollziehbaren Kriterien kann ein

Schülerportfolio durch die Lehrperson objektiv bewertet werden, und die daraus

resultierende Note in die Zeugnisnote einfliessen.

Werkstücke / Extension Projects

Wir empfehlen, die Schüler/innen nicht nur über Literatur diskutieren zu lassen, sondern

auch bestimmte zu erarbeitende Werkstücke in den Unterricht einzuplanen. Erstens fördert

die Erarbeitung eines Gruppen-Werkstücks die Sozialkompetenz der Schüler/innen auf eine

über die Diskussion reichende Ebene. Zweitens können nebst der im Zentrum stehenden

mündlichen Mitarbeit und der aktiven Anwendung der Zielsprache auch andere wichtige

Fertigkeiten und Kompetenzen geschult und verbessert werden. Drittens eignen sich die

Schülerarbeiten (Werkstücke) zur ausgedehnten Beurteilung der Schülerleistung. Nebst den

Beobachtungen während der Group Discussions und den Schülerportfolios, sind es vor allem

die erarbeiteten Werkstücke, die zur ganzheitlichen Beurteilung der Schüler/innen

beitragen. Je nach Klassengrösse, Wahl der Lektüre, dem Alter und der

Fertigkeiten/Kompetenzen der Schüler/innen kann auch die Auswahl der Werkstücke

variieren. Dem Erfindungsgeist und der Kreativität der Lehrperson sollen keinesfalls Grenzen

gesetzt werden.

11 Daniels, H. (1994), S. 164

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Wir zeigen an dieser Stelle nur eine kleine Auswahl an denkbaren und möglichen

Werkstücken, die sowohl individuell als auch in der Gruppe erarbeitet werden können:

Das Erstellen einer Mind Map / Gruppen-Mind Map zu spezifischen Textstellen oder

von der ganzen Lektüre zur Visualisierung des Gesamtbildes und als Gedankenstütze.

Das Malen einer „Picture Story“, d.h. einer Bildergeschichte zur Visualisierung der

wichtigsten Handlungen der Geschichte.

Das Erstellen eines Zeitstrahles zur Visualisierung des Handlungsverlaufs.

Das Visualisieren mithilfe eines „Standbildes“, d.h. die Nachbildung einer spezifischen

Szene mithilfe der Klassenkameraden (als lebendige Puppen).

Das Visualisieren mithilfe von Knete, d.h. das Nachbilden einer spezifischen Szene mit

Knetmasse.

Das Nachspielen einer Szene, die eventuell auch gefilmt wird.

Das Erstellen eines Hörspiels über eine oder mehrere Szenen.

Das Verfassen von Steckbriefen für die Charakterisieren bzw. Typologisieren der

Figuren und Personen der Geschichte.

Das Finden und Ausdenken von Symbolen für die einzelnen Figuren und Personen der

Geschichte.

Das Schreiben eines Essays zu Themen, die in der Lektüre behandelt werden12.

Das themenbezogene Schreiben von Berichten, Zeitungsartikeln, Briefen, Emails, etc.

Das Schreiben eines Tagebucheintrags aus der Sicht des Protagonisten.

Speziell bei Short Stories: Das Spekulieren über den Ausgang der Geschichte.

Internetbasierte Recherchen über den Autor, die literarische Gattung des Textes oder

die Literaturepoche.

Der Transfer vom Text zur eigenen Person bzw. zum eigenen Land via flip chart

Poster, auf dem die Unterschiede, Ähnlichkeiten und Besonderheiten aufgezeigt

werden.

12 Aus eigener Erfahrung empfehlen wir, bei Aufsätzen jeweils mindestens drei verschiedene Themen zu bieten, um den verschiedenen Lerntypen sowie den individuellen Stärken, Schwächen und Neigungen der Schüler/innen gerecht zu werden. So bietet es sich an, eine Zusammenfassung der Lektüre zu offerieren (für all jene Schüler, die grammatikalisch einwandfrei schreiben, denen es aber an Kreativität und Einfallsreichtum fehlt, um einen interessanten und ansprechenden Aufsatz zu schreiben), eine auf die Lektüre bezogene Interpretationsfrage zu stellen (was vernetztes und tiefgründiges Denken voraussetzt und somit speziell leistungsstarke Schüler/innen ansprechen soll), und ein Thema für einen Erlebnisaufsatz zu bieten (was eine anspruchsvolle Transferarbeit von der Fiction zur eigenen Realität erfordert, und hauptsächlich jenen Schüler/innen zusagt, die gerne ihre persönlichen Erlebnisse und Emotionen mitteilen).

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Das Gestalten eines Flyers am Computer, i.e. eines Werbeflyers für das betreffende

Buch/den Film.

Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass die Anwendung verschiedener

Bewertungs- und Beurteilungsformen mit unterschiedlichen Bezugsnormen die

bestmöglichste und zielführendste Lösung ist, da nur dadurch der Lernprozess des Einzelnen

ganzheitlich eingeschätzt und benotet werden kann:

Die Selbsteinschätzung stärkt die Selbstwahrnehmung und ermöglicht es dem

Schüler/der Schülerin zu lernen, sich selbst besser zu verstehen und seine/ihre

Fähigkeiten realistisch(er) zu bewerten.

Die Beurteilung durch die Gruppe gestattet es den Schüler/innen, sich an den

Leistungsvergleich im späteren Berufsleben zu gewöhnen.

Das Lehrerfeedback hilft den Schüler/innen dabei, sich sowohl mit ihren kognitiven

Fertigkeiten/Kompetenzen (i.e. ihrem Fachwissen) wie auch mit ihrer Sozial- und

Methodenkompetenz kontextbezogen auseinanderzusetzen und auf eventuelle

Schwächen zu reagieren.

6. Nützliche Links und Literatur

http://www.literaturecircles.com/

Eine auf Harvey Daniels Buch basierende Website mit vielen hilfreichen Erklärungen.

Daniels Harvey (1994), Literature Circles: Voice and Choice in the Student-Centered

Classroom. Markham: Pembroke Publishers Ltd.

Daniels Harvey (2002), Literature Circles: Voice and Choice in Book Clubs and Reading

Groups. Maine: Stenhouse Publishers.

Schlick Noe, K.L. & Johnson, N.J. (1999). Getting Started With Literature Circles. Norwood,

MA: Christopher-Gordon Publishers, Inc.