67. allgemeine onkologie des mammacarcinoms

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Freitag, 12. Mai 1972 Halle 19, 8.30--10.40 Uhr 11. Brustkrebs Langenbecks Arch. Chir. 332 (Kongrel3bericht 1972) © by Springer-Verlag 1972 67. Allgemeine Onkologie des Mammacarcinoms Gerhard Ott Chirurgische Abteilung des Evangelischen Krankenhauses Bonn-Bad Godesberg General Oncology of the Carcinoma of the Breast Summary. The sphinxlike and multifacetted clinical picture of these tumors have so far prevented a standardized mode of therapy based on optimal curability in selected cases. Two out of three women with breast cancer miss their optimal chance of cure through early diagnosis. In the absence of axillary metastasis three out of four women may be cured nowadays through radical mastectomy alone, whereas in the presence of such metastasis the chance is less than 50°/0. Radiation therapy, hormones and cytotoxic agents do not improve the rate of cure but make the remaining life span of those not cured by operation more worth- while or less miserable. Geographic differences are shown in different age groups and in so far nnexplicable increase in the rate of affliction. In the BRD there are about 160000 women operated on breast cancer. Here we have yearly 20000 new cases. The rate of affliction increases with age. The site (localisation) of the primary tumor, its histology and the age of the patient are irrelevant to the prognosis. In addition to the operation only the degree of spreading at the time of therapy begin is determinant. This is defined in the TNM Classification, which requires renewed classification in the form of TCNCMC- Formula, based on all diagnostic information using the so-called Diagnosis-Certainty Classification (Diagnose-Sicherungsschlfissel) "C-Classification". The objective of clinical oncology should be standardizing the fight against cancer and to set up interdisciplinary units for clinical oncology in the sphere of existing large hospital- centers. Zusammen]assung. Das sphinxhafte, vielgesichtige Erscheinungsbild dieser Geschwiilste hat bislang ,,standardisierte Behandlungsrichtlinien" verhindert, welche auf optimalen Heilchancen bei bestimmbaren Ausgangssituationen basieren. Von 3 brustkrebskranken Frauen vers~umen 2 ihre optimalen Heilchancen einer Frfihdiagnostik. Bei fehlenden axill/~ren Metastasen werden heute 3 yon 4 Frauen geheilt, bei hier nachgewiesenen Absiedelungen nicht einmal mehr jede zweite, allein durch die Radikaloperation. Strahlenbehandlung, Hormone und Cytostatica verbessern nicht die Heilquoten, sic machen aber bei nicht operativ Geheilten die verhleibende Lebensspanne lebenswiirdiger. Geographische Unterschiede sind be-

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Freitag, 12. Mai 1972

Halle 19, 8.30--10.40 Uhr

11. Brustkrebs

Langenbecks Arch. Chir. 332 (Kongrel3bericht 1972) © by Springer-Verlag 1972

67. Allgemeine Onkologie des Mammacarcinoms

G e r h a r d O t t

Chirurgische Abteilung des Evangelischen Krankenhauses Bonn-Bad Godesberg

Genera l O n c o l o g y of t he C a r c i n o m a of t h e B r e a s t

Summary. The sphinxlike and multifacetted clinical picture of these tumors have so far prevented a standardized mode of therapy based on optimal curability in selected cases.

Two out of three women with breast cancer miss their optimal chance of cure through early diagnosis.

In the absence of axillary metastasis three out of four women may be cured nowadays through radical mastectomy alone, whereas in the presence of such metastasis the chance is less than 50°/0.

Radiation therapy, hormones and cytotoxic agents do not improve the rate of cure but make the remaining life span of those not cured by operation more worth- while or less miserable. Geographic differences are shown in different age groups and in so far nnexplicable increase in the rate of affliction. In the BRD there are about 160000 women operated on breast cancer. Here we have yearly 20000 new cases.

The rate of affliction increases with age. The site (localisation) of the primary tumor, its histology and the age of the

patient are irrelevant to the prognosis. In addition to the operation only the degree of spreading at the time of therapy begin is determinant. This is defined in the TNM Classification, which requires renewed classification in the form of TCNCMC- Formula, based on all diagnostic information using the so-called Diagnosis-Certainty Classification (Diagnose-Sicherungsschlfissel) "C-Classification". The objective of clinical oncology should be standardizing the fight against cancer and to set up interdisciplinary units for clinical oncology in the sphere of existing large hospital- centers.

Zusammen]assung. Das sphinxhafte, vielgesichtige Erscheinungsbild dieser Geschwiilste hat bislang ,,standardisierte Behandlungsrichtlinien" verhindert, welche auf optimalen Heilchancen bei bestimmbaren Ausgangssituationen basieren. Von 3 brustkrebskranken Frauen vers~umen 2 ihre optimalen Heilchancen einer Frfihdiagnostik. Bei fehlenden axill/~ren Metastasen werden heute 3 yon 4 Frauen geheilt, bei hier nachgewiesenen Absiedelungen nicht einmal mehr jede zweite, allein durch die Radikaloperation. Strahlenbehandlung, Hormone und Cytostatica verbessern nicht die Heilquoten, sic machen aber bei nicht operativ Geheilten die verhleibende Lebensspanne lebenswiirdiger. Geographische Unterschiede sind be-

598 G. Ott:

griindet durch die unterschiedliche Altersverteilung und durch eine bislang nicht erkl~rbare zunehmende Gef~hrdung. In der BRD leben etwa 160000 an Brustkrebs operierte Frauen, 20000 Neuerkrankungen kommen Jahr ffir Jahr hinzu. Die Gef~hr- dung steigt mit dem Alter. Die Lokalisation der Prim/irgesehwulst, Histologie und Alter scheinen ohne Belang ffir die Prognose. Entscheidend ist neben der Operation allein der Ausbreitungsgrad zu Behandlungsbeginn. Dieser wird nach dem TNM- System klassifiziert und erfordert eine nochmalige Klassifizierung in einer,,TCNCMC- Tumorformel", basierend auf allen diagnostischen Informationen unter Verwendung des sog. Diagnose-Sicherungsschlfissels (C-Schliissel). Ziel der klinisehen Onkologie mull eine ,,Standardisierung der Krebsbek~mpfung" sein, wofiir sich ,,interdiszipli- n£re Arbeitskreise ffir klinische Onkologie" im Bereich bestehender Grollkliniken empfehlen.

Schon am ersten Tag seines Lebens fasziniert den Menschen die weibliche Brust. Schon immer weckte sie Sehnsfichte, Phantasie und Wfinsche, inspirierte Mythen, Kunst, Mode und Wissenschaft. Ihr Bild dient heute der Werbung. In der sozialen Revolution ist sie Schritt- macher der Emanzipation der Frauen.

Auch in der klinischen Onkologie wurden und werden bis heute Fort- schritte und Erkenntnisse vorrangig beim Brustkrebs gewonnen. Das Besondere am Brustkrebs ist seine Vielgesiehtigkeit. Auch bei anderen Organtumoren kennen wir eine Variabilit/it der Histologie, Sp/itrezidive und Sp~tmetastasen, unterschiedliche Ansprechbarkeit auf Strahlen, Hormone und Cytostatica, verschiedene Wuchsformen, Metastasierungs- wege und -formen, Unterschiede in der Prognose u. a. Im Vergleieh zu diesen hat der Brustkrebs keine qualitativen, wohl aber erhebliche quantitative Unterschiede.

Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs. Das sphinxhafte Erschei- nungsbild dieser Krebsgeschwfilste ist kaum berechenbar. Letzlich deshalb konnten wir bis heute keine ,,standardisierten Behandlungsrichtlinien" vorweisen, welche auf optimalen Heilchancen bei bestimmbaren Aus- gangssituationen basieren. Deshalb wissen wir trotz fiber 70 Jahre Strahlentherapie nicht, wann diese etwas nfitzt. Deshalb wissen wir nicht die verbindliche Indikation zur hormonellen Therapie, obgleich die Ovariektomie beim Brustkrebs yon Schinzinger erstmals 1889 auf dem Deutschen ChirurgenkongreB empfohlen wurde. Deshalb wissen wir nicht, wie wir einen Brustkrebs im Einzelfall operieren sollen, ob- wohl uns J~rzten der Brustkrebs seit 4000 Jahren bekannt ist.

Mein Landsmann und Kollege Friedrich Schiller, junger Revolution~r an der Karlsschule in Stuttgart, sinnierte fiber die hier anstehenden Pro- bleme in seiner zweiten medizinischen Examensarbeit -- mit der ersten blieb er sitzen - - : ,,Wer die launichten Spiele der Natur, die Bildungen mit denen sie stiefmfitterlich bestraft und mfitterlich beschenkt hat, unter Klassen bringen wollte . . . . dfirfte sich sehr in Acht nehmen, dab er fiber der ungeheuren, kurzweiligen Mannigfaltigkeit der ibm vorkom-

Allgemeine Onkologie des Mammacarcinoms 599

Abb.1. Votivplastik eines exulcerierenden Mammacarcinoms (Heiligtiimer der Quellg5ttin Sequana vor 2000 Jahren)

menden Originale nicht selbst eins werde." -- Es bleibt in der klinischen Onkologie aber kein anderer Weg. Erst wenn es uns gelingt, vergleieh- bare ,,Klassen yon Krebspatienten" zu erfassen, kSnnen wir einmal ffir diese verbindliche Behandlungsfolgen mit optimalen Heilehancen fest- legen.

Geschiehte erg£nzt und begrfindet unseren heutigen Standort. Der Brustkrebs war in der Medizingeschichte wieder und wieder Priifstein yon Krebslehren und Lehrmeister der Behandlung.

Aus der Pharaonenzeit wird uns im Papyrus Ebers 1550 v. Ch. ein erstes Sehriftbild fiir die Krankheit Krebs fiberliefert. Im Papyrus Edwin Smith wird uns das Krankheitsbild beim Mann erstmals beschrie- ben.

Der erste abendl~ndische Geschichtsschreiber Herodot beriehtet von der Heilung der geschwiirig zerfallenen Brustgesehwulst der Perser- kSnigin Atossa durch den Griechen Democedes.

Erste kfinstlerische Darstellungen von Krebskrankheiten betreffen die Brust; so bei Steinplastiken aus Griechenland. -- In Mitteleuropa brachte eine Frau vor rd. 2000 Jahren eine Votivplastik eines exuleerier- ten Mammaearcinoms zu den Heiligtiimern der QuellgSttin Sequana am Ursprung der Seine (Abb. 1).

Zahllose Dokumente belegen das Wissen um den Brustkrebs bei den RSmern, Arabern, im friihen Mittelalter und in der MSnchsmedizin.

Die i~lteste Krebsstatistik ist noch keine 100 Jahre alt. Von Wini- warter, Assistent bei Billroth in Wien, ermittelte 1878 eine Dreijahres- Uberlebensziffer yon nur 4,7°/0 . Jede 4. an der Brust operierte Frau erlag der postoperativen Wundinfektion. Den Wandel brachte erst das ausgehende 19. Jahrhundert. Fundierte, wenn aueh auf wenig F~lle

600 G. 0tt:

Morbiditat Brustkrebs(im AIter,z 55-60J.) Erkrankungsfd[le je 100.000 gleichattrige Erauen

Japan I ~ 23.9

Nigeria ~'///////.4 333 SLidafrika Eingeborene v/////////////~ 49.6

I n d i e~, ~'/////////////////a 61 .3

P o I e n [,///////////////////////////4 86.6

F i n n t a n d r///////////////////////////~ 8 £ 1

Deutschland H a m b u r g v/////////////////////////////////////A 115, 2

D 6 n e m a r k r/////////////////////////////////////A 1182

England S c h o t trend r / / /~ / / / / / / / / / / / / / / / / / / /4 122.1

S c h w e d e n ~'///////////////////////////////////////////'~ 138.1

C a n a d a r / / / / / / ~ / / / / / / / / / / / / / / / / / / / 4 142I 9

U S A r//////////////////////////////////////////////////////~ 161.8

Abb. 2

beschrgnkte, morphologische Untersuchungen begrfinden die heute nach wie vor gfiltigen Radikaloperationen mit gleichzeitiger Ausrgumung der axillgren Lymphknoten unter Mitnahme eines Teils der Pectoralismusku- latur. Diese Operationstechniken, Asepsis und Antisepsis allein erm6g- lichen unsere I-Ieilchancen yon rund 50 °/0. Seien wir uns im klaren : alle anderen Behandlungsverfahren, ob Strahlen, Hormone odor Cytostatica, verbessern die Heilchancen nicht; sie machen aber die verbleibende Lebensspanne der nicht Geheilten bisweilen lebenswfirdiger.

In den meisten Lgndern zghlt Brustkrebs zu den h/£ufigsten Mall gnomen der Frau. Geographische Unterschiede k6nnen nicht allein durch die unterschiedliche mittlere Lebenserwartung der Bev61kerung erklgrt werden. In Japan, Indien und vielen afrikanischen Lgndern ist die Gefghrdung bestimmter Altersgruppen yon Frauen, an Brustkrebs zu erkranken, markant niedriger als in Amerika und Europa bzw. Deutsch- land (Abb.2). Solche epidemiologischen Untersuchungen sind fiir die Krebsforschung wertvoll. Sie geben erste Anhaltspunkte fiir krebs- begiinstigende Faktoren; beispielsweise beim Brustkrebs auf Geburten- hgufigkeit und Stillgewohnheiten. Die Ergebnisse der Krebsepidemiologie k6nnen Ausgangspunkte ffir krebsverhfitende MaBnahmen werden.

Jede 5. Frau stirbt an Krebs. Der Brustkrebs rangiert bei Frauen an 3. Stelle nach dem Magen- und Genitalkrebs. Jeder 7. bis 8. Krebssterbe- fall ist bei Frauen durch Brustkrebs bedingt. In der Bundesrepublik

Allgemeine Onkologie des Mammacarcinoms 601

Deutschland leben etwa 160000 an Brustkrebs operierte Frauen; 15000 bis 20000 Neuerkrankungen kommen Jahr ffir Jahr hinzu. Ein Pr/idilek- tionsalter ffir diese Erkrankung, wie es seit von Winiwarter in klinischen Statistiken immer wieder zwischen dem 45. und 50. Lebensjahr und in Sterbestatistiken zwischen dem 55. und 65. Lebensjahr angegeben wird, gibt es nicht. Berechnet man n/~mlich die Erkrankungs- und Sterbef&lle pro 100000 gleichaltriger lebender Frauen des gleichen Jahres, so zeigt sich: je/£1ter cine Frau wird, desto gr66er ist die Brustkrebsgef/ihrdung. Dies ist ein gewichtiges Indiz f/Jr die ~tiologie : Das Klimakterium erh6ht das Brustkrebsrisiko nicht. Auch zwischen dem 45. und 55. Lebensjahr finder sich kein erh6htes Brustkrebsrisiko.

Trotz aller Fortschritte in der Medizin crh6hen sich die Erkrankungs- ziffern an Brustkrebs. Dies ist bedingt durch die Bev61kerungszunahme, durch eine zunehmende Lebenserwartung der Frauen und dar/iber hinaus durch cine bislang nicht zu crkl/~rende zunehmende Gef/~hrdung.

Etwa 1 °/0 dcr Erkrankten sind Mitnner. In der Beobachtungsserie der Chirurgischen Universit~tsklinik Heidelberg stehen 1762 Frauen 25 M&nnern gegenfiber. Beim Mann ist die Brustdrfise rudimentitr. Die Mamille hat ausschliel~lich dekorative Bedeutung. Doch fordert auch diese kleine Zierde des Mannes ihren cancerologischcn Tribut. Die Pro- gnose ist eher schlechtcr, sicher nicht besser als bei Frauen. Eine Frfih- diagnostik wird trotz der frfihen und leichten Tastbarkeit meist ver- si~umt.

Prim/trgeschwfilste bevorzugen den oberen /iuBeren Quadranten. Bedingt durch den asymetrischen Bau und das Absinken der Mamille mit dem Alter liegt der gr6Bere Teil dcr Drfise zwangsl/£ufig im oberen /iuBeren Quadranten. Jede Zelle der Brustdrfise hat die gleiche Chance zur malignen Umwandlung. - - Bemerkenswert ffir unsere Diskussion: die Prognose ist unabh/ingig v o n d e r Prim/trlokalisation. Die medial gelegenen Carcinome metastasiercn gleich h/tufig axillar wie die lateral gelegcnen. Die Heilchancen sind f~r beide gleich (Abb. 3).

Histologisch verschiedene Carcinome sind vom Alter unabh/ingig (Abb.4a). Sie stehen in keiner Relation zur Metastasierungsfreudigkeit odcr zu Metastasierungstypcn. Sie sind, aul~er den bevorzugt zentral gelegenen Paget- und Milchgangscarcinomen, yon dcr Lokalisation unab- h/ingig. Die Heilchancen sind ffir alle gleich (Abb. 4b). - - Der Pathologe bietet uns mit seinen Befunden der Prim/irgeschwulst und Lymphknoten keine weiteren Anhaltspunkte auBer ,,benigne" oder ,,maligne", welche ffir Behandlung und Prognose Wert haben. Unser Wunsch therapeutisch relevante ,,Malignitiitsgrade" zu finden, wurde bis heute nicht erfiillt.

Als wichtigster Faktor ffir die Prognose erwies sich der Grad der Tumorausbreitung zu Beginn dcr Behandiung. Erstmals wurde eine Klassifizierung der Ausbreitung beim Brustkrebs konzipiert. Der Stutt-

602 G. Ott:

5-Jahres- Uberlebensziffern und Primi~rlokalisation.

%

0

$

1oO°lo[---~-j I ........ I maximale Uberlebensziffer

0,,/,,~////,/,~ -minimale " ,

Abb.3. Prozentuale Fiinfjahres-~berlebensziffer in bezug auf die Prim~rlokalisa- tion des Brustcarcinoms

garter Chirurg Steinthal kennzeichnete 1905 drei Stadien unterschied- licher Heilchaneen. Seine Klassifizierungsvorschlgge waren zu grob. Viele prognostisch h6chst unterschiedliche F/~lle wurden und werden nach Steinthal klassifiziert und f~lschlich in denselben Topf geworfen, wie Karrer zeigen konnte.

Zun~chst nur fiir den Brustkrebs wurde das sog. , ,T~M-System" zur Beschreibung des pr~therapeutiseh erkennbaren Ausbreitungsgra- des entwiekelt. Erst sp~ter wurde es sinngem~B ffir andere Organtumoren ausgearbeitet. Beim Brustkrebs unterscheiden wir heute start der 3 Stein- thal-Stadien insgesamt 90 mathematisch mSgliehe verschiedene TNM- Tumorformeln.

In diesem System werden Untersehiede der Ausdehnung und des Infiltrationsgrades der Prim~rgesehwtilste als T 1 bis Tt erfaBt. Den Be- fund der axill~ren bzw. supraclaviculgren Lymphknoten kennzeichnen die Gruppen No, N1, N~ und N3. Fehlende oder nachgewiesene Fern- metastasen werden durch M 0 bzw. M 1 erfaBt. Mit nur wenigen zul~ssi- gen Untersuchungsmethoden wie Inspektion, Palpation und RSntgen-

Allgemeine Onkologie des Mammacarcinoms 603

b

Abb.4. a Zahlenm~Bige Verteilung der histologisch unterschiedlichen Carcinom- formen in Abh/ingigkeit vom Alter. b F/infjahres-~berlebensziffern bei ver-

schiedenen Carcinomformen

604 G. 0 t t :

1 0 0 - %

8 0 - . . . . . . -

6 0 - ~/// / / / / /~

40 - "/////////~

2 0 -

o TI-2No Mo TI-2NIMo TI-BNo-gMI-B ette Stodien

5 - J a h r e s - O b e r t e b e n s z i f f e r n mi._tt und ohne St rah lenbehandtung

T1,2N0,1M0 %

100

80

60

40

20

0

S t r ah l en the rap ie mi t ohne

TI-4N0,9Mt %

8O

6O

2O

0

b

S t r a h t e n t h e r a p i e mit " . ohne

Abb. 5 a und b. Ffinfjahres-fJberlebensraten beiBrustkrebs bei verschiedenen Stadien. a Erl~iuterung der TNl~-Klassifikation s. S. 12. Erkl~rung der graphischen D~r- stellung wie in Abb.3. b Ffinfjahres-Crberlebensziffer in 1)rozent mi t und ohne Strahlenbehandlung bei unterschiedlicher Metastasierung. Erkl~rung der graphi-

schen Darstellung wie in Abb. 3

Allgemeine 0nkologie des Mammacarcinoms

5-Jahres-0ber lebenszi f fern mit und ohne antihormonelte Behandlung.

T1,2N0,1M0 % 100

80

60

40

20

0

Antihormonelle Therepie mit, ohne

% 100 -

80-

60-

40-

20

0

TI-4 N0,9 M] Antihormone[te Therapie mit ohne

605

Abb. 5 c. l~iinfjahres-t~berlebensziffer in t)rozent mit und ohne antihormonelle Be- handlung bei unterschiedlicher Metastasierung. Erkliirung der graphischen Dar-

stellung wie in Abb. 3

befund erh/~lt jeder Fall vor der Operation eine ihn kennzeichnende ,,TNM-Tumor/ormel". Noeh ist das TNM-System, seit 1959 internatio- nal empfohlen, nicht Allgemeinwissen geworden, schon ist es erg/~nzungs- bediirftig, besonders ffir unsere operativen Fachdisziplinen. Ich darf dies erl&utern:

l{und die H/~lfte aller pr/~therapeutischen TNM-Klassifizierungen sind naeh unseren Untersuehungen beim Brustkrebs auf Grund der fein- gewebliehen Untersuehungen korrekturbedfirftig. Bei anderen Organ- krebsen sind es 70 bis 80O/o . Jeder dritte pr/~operative axill/~re Lymph- knotenbefundist naeh der histologischen Untersuchung falseh. Jede ffinfte axill/ire Metastase war pr~operativ nieht erkannt. Die Therapie mfissen wit deswegen intra- und postoperativ abet nach den am besten gesieher- ten Informationen auriehten. Hierzu interessiert die vorbeschriebene pr/itherapeutische Klassifikation nicht. Sie ist nut ffir Vergleiche mit nicht operativen bzw. weniger ausgedehnt operierenden Faehdisziplinen nStig. Die daraus resultierenden Probleme 15st die noehmalige Kenn- zeichnung des TNM-Ausbreitungsgrades nach Absehlug der Erstbehand- lung unter Zugrundelegung des gesamten Informationsgehaltes aller Untersuehungen. Dazu hat der ,,Deutsehspraehige TNM-Aussehu6"

606 G. Ott:

einen sog. ,,C-Sehlfissel der Diagnosesicherung" ausgearbeitet. T, N und M werden jetzt unter Angabe der jeweils durehgeffihrten Diagnostik mig hSehstem Sieherungsgrad in einer ,,TCNCMC-Tumorformel" erfal3t.

Bei statistisehen Analysen yon Krebserkrankungen sind verbindliche Klassifikationen auch ffir andere prognostiseh bedeutsame Faktoren, wie Alter und Therapiefolge, unerl/~Blieh. Ffir die Lokalisation haben wir einen solchen Vorschlag ausgearbeitet.

Eine standardisierte Dokumentation, einheitliehe Klassifizierungen und Nomenklatur, sowie eine normierte Auswertung sind unerl/~l~liehe Voraussetzungen, um zu reproduzierbaren und vergleichbaren Resulta- ten zn gelangen. Einer einzigen Klinik sind bei den so zahlreichen, detail- lierten Gruppierungen verbindliehe Aussagen nicht mehr mSglich. Nur umfassende, meist interdisziplin/~re Arbeitskreise kSnnen uns weiter- helfen. Der Computer ist heute zum unentbehrliehen Rfistzeug bei der Analyse medizinischer Erfahrungen geworden.

Bei fehlenden axill/~ren Lymphknotenmetastasen heilen wir yon 4 Frauen 3. Beim histologisehen Naehweis yon axill/~ren Lymphknoten- metastasen heilten wir nicht einmal mehr jede zweite Frau (Abb.5a). Dies ist die Begrfindung daffir, dab wir die Frfihdiagnostik weiter ver- bessern sollten. Wenn Immunologen und Internisten postulieren, axill/~rer Lymphknotenbefall sei ein Zeichen der Oeneralisierung, oder die Ent- fernung der Lymphknoten entferne eine notwendige immunologische Schranke, so kSnnen sie nur sehwerlieh die tausende und abertausende Frauen mit histologisch gesicher~er axill/irer Metastasierung, welche naeh der Radikaloperation rezidivfrei fiber Jahrzehnte lebten und leben, erkl~ren.

Seit 70 Jahren werden Mammaeareinome bestrahlt. Bis heute konnte der schlfissige und reproduzierbare Beweis nieht erbraeht werden, dab hierdureh Heflehancen verbessert werden. Unsere Ergebnisse, mit M/~ngeln behaftet, zeigten Heilergebnisse, welche gegen eine prophylakti- sehe postoperative Strahlentherapie spreehen (Abb. 5b). Das ffihrte zur Konfrontation mit den Heidelberger Strahlentherapeuten und schheg- lich zur noehmahgen Uberprfifung der Ergebnisse und Neuorientierung und schlieBlieh zu einer neuen Indikationsstellung und Methode.

Bei der Hormontherapie zeigen unsere Ergebnisse, dab bislang keine Brustkrebspatientin damit geheilt wurde. Die hormonell nut selten erzielten Remissionen yon Weiehtefltumoren, 5fter die h~ufigeren Reealzi- fizierungen osteolytischer Metastasen, sowie die anabolen und analge- tisehen Effekte weisen diesen Behandlungsformen einen bleibenden Standort im Rfistzeug der Therapie beim Brustkrebs zu. Auch hier be- daf t es einer neuen Indikationsstellung, lebensverl/~ngemde Effekte, gemessen an den Ffinf- und Zehnjahresheilziffern, gibt es damit nieht (Abb. 5 e).

Allgemeine Onkologie des Mammacarcinoms 607

Stadienverteilung in Abh~Jngigkeit vom Alter in zwei Jahrzehnten.

1°° F .

60

/.0

20

0 bis4h

II II

45-59 60 u.mJahre

[ 19h5-195z, [ ] Sp~tstodium { T1-sNo.gM1.8) H 1955-1964 [ ] Regionat- (T1-2N1MO) metnstosen

[ ] FrUhstadium ( T1-2NO Mo }

Abb. 6. Prozentuale Anteile der Carcinomstadien zum Zeitpunkt der Diagnosestel- lung bei verschiedenen Altersgruppen mit Gegenfiberstellung der Ergebnisse aus

den Jahren 1945-- 1954 und 1955-- 1964

Wir dfirfen nicht resignieren und auf ein Wundermittel gegen Krebs hoffen. Wir sollten das heute M6gliche verwirklichen. Immer noch kom- men 70°/0 aller Frauen erst in fortgeschrittenen Tumorstadien, mit nach- weisbaren Axilla- oder Fernmetastasen, zur Behandlung. In den letzten Jahren hat sich hier nicht viel ge~ndert (Abb. 6). Von 3 brustkrebskran- ken Frauen vers~umten 2 ihre optimalen Heilchancen durch eine Friih- diagnostik.

Heute mfissen wir eine ,,Standardisierung der Krebsbek~mpfung" anstreben. Wir verstehen unter der, ,standardisierten Krebsbek~mpfung" eine personell, institutionell und organisatorisch gew~hrleistete verbes- serte Selbstbeobachtung durch BevSlkerungsaufkl~rung und Gesund- heitserziehung, eine verbesserte Frfihdiagnostik mR Hilfe yon Vorsorge- untersuchungen, eine optimale standardisierte Behandlung und Rezidiv- behandlung aufgrund reproduzierbarer Ergebnisse, erg~nzt durch eine regelm~Bige Nachsorge, angemessene Rekonvalescenz und falls erforder- lich, berufliche Rehabilitation. Ein solcher Funktionskreis der Krebs- bek~mpfung ist so gut, wie ihr schw~chstes Glied. Ffir diese Aufgabe mfissen wir Organisationsmodelle schaffen.

Zu empfehlen sind nicht isolierte Krebskliniken. Auch zentralisierte Krebsvorsorgestellen sind unrationell. Am sinnvollsten erscheinen uns ,,interdisziplin~re Arbeitskreise fiir klinische Onkologie" im Bereich bestehender GroBkliniken. Solche Arbeitskreise mfissen von erfahrenen

608 G. Ott:

Kl in ikern gemeinsam getragen werden, ergi~nzt mi t Expe r t en aus den

einschl~gigen theoret ischen F~chern. Einen entsprechenden Arbeitskreis

haben wir seit 1966 in Heidelberg.

Krebs ist neben dem Herz infa rk t die hi~ufigste Todesursache unserer

Zeit. Durch einen Ausbau dcr genannten Ansa tzpunktc der Krebs-

bck~mpfung k6nnen wir die Hei lchancen bei vielen Organ tumoren ver-

doppeln. Es ist Zeit, dab wir neben der exper imentel len der klinischen

Onkologie in Deutschland den ihr gebfihrenden Platz einr~umen.

TNM-Klassifikation der Mamma (UICC 1971)

T = Pr imdr tumor

T o Kein Prim~rtumor nachweisbar.

T 1 ])er Tumor miBt in seiner gr5Bten Ausdehnung 2 cm oder weniger; die Haut ist nicht befallen, es sei denn in einem Fall yon Morbus Paget, der sich auf die Brustwarze beschr~nkt; die Brustwarze ist nicht eingezogen; keine Fixierung an der Brustwand.

T 2 Der Tumor mii~t in seiner grSBten Ausdehnung mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 5 cm oder ist nicht vollst~ndig an der Haut fixiert (band- oder griibchenfSrmig) oder die Brustwarze ist eingezogen (bei Subareolar-Tumoren) oder Morbus Paget, der sich fiber die Brustwarze hinaus ausdehnt; keine Fixierung am Brustmuskel; keine Fixierung an der Brustwand.

T 3 Der Tumor mil3t in seiner gr5~ten Ausdehnung mehr als 5 cm, jedoch weniger als 10 cm oder ist vollst~ndig an der Haut fixiert (infiltriert oder ulceriert), oder zeigt,,Orangenhaut" im Tumorbereich oder Fixierung am Brustmuskel * (vollst~ndig oder unvollst~ndig); keine Fixierung an der Brustwand.

• Unvollstiindige Fixierung am Brustmuskel bedeutet, da$ die Kontraktion des Muskels die Beweglichkeit des Tumors einschriinkt. Vollst~ndige Fixierung am Brustmuskel bedeutet, da~ die Kontraktion des Muskels jede Beweglichkeit des Tumors aufhebt.

T 4 Der Tumor mil]t in seiner gr51~ten Ausdehnung mehr als 10 cm oder Befall der Haut oder ,,Orangenhaut", unabh~ngig vom Tumor, jedoch nicht auSerhalb der Mamma, oder Fixierung an der Brustwand*.

• Die Brustwand schlieBt die ]~ippen, Intercostalmuskeln und Musculus serratus anterior ein, jedoch nicht den Pectoralismuskel.

Fehlende Angaben. Ta

N =

N o

N1

Reffionale Lymphkno ten

Der Kliniker sollte vermerken, ob er die palpablen Lymphknoten fiir befallen h~lt oder nicht.

Keine palpablen homolateralen Axillar-Lymphknoten.

Bewegliche, homolaterale Axilla-Lymphknoten. /Via Die Lymphknoten scheinen nicht befallen zu sein. Nlb Die Lymphknoten scheinen befallen zu sein.

N2

Allgemeine 0nkologie des Mammacarcinoms 609

Homolaterale supra- oder infraclavicul~re Lymphknoten, beweglich oder fixiert oder 0dem des Armes*.

* Das 0dem des Armes kann durch lymphatisehe Stauung verursacht wer- den; dann sind die Lymphknoten unter Umst~nden nieht palpabel.

N 9 Fehlende Angaben.

M = F e r n m e t a s t a s e n

M 0 Keine Fernmetastasen nachweisbar.

M~ Fernmetastasen vorhanden.

M 9 Fehlende Angaben.

Diagnosesicherung (C-Schlfissel des ,,Deutschsprachigen TNM-Ausschusses)

0 = Aussage ohne jede Sieherung (nut Verdacht).

1 Aussage ohne Anwendung spezieller klinischer Hilfsmittel (z. B. nur Ana- mnese, Tastbefund usw.).

2 Aussage gestiitzt auf spezielle klinische Hilfsmittel (z. B. RSntgen, Mammo- graphie usw.).

3 Aussage gestiitzt auf Operation, aber ohne histologische Sicherung.

4 Aussage wie 2, aber erweitert durch einen Probeeingriff mit histologischer Untersuchung.

5 Aussage gestfitzt auf Operationsbefund mit histologischer Beurteilung des Operationspr~iparates.

6 Aussage gestfitzt auf Sektionsbefund.

9 Fehlende Aussage. Priv.-Doz. Dr. G. Ott Chir. Abteilung Evangelisches Krankenhaus D-53 Bonn-Bad Godesberg 1 WaldstraBe Deutschland

39 Langenbecks Arch. Chir., Bd. 332 (Kongrel~bericht 1972)