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Project Gutenberg's Der Held unserer Zeit, by Michail Jurjewitsch Lermontow This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Der Held unserer Zeit Kaukasische Lebensbilder Author: Michail Jurjewitsch Lermontow Translator: August Boltz Release Date: May 5, 2012 [EBook #39623] Language: German Character set encoding: ISO-8859-1 *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HELD UNSERER ZEIT *** Produced by Jens Sadowski, based on scans obtained from Bayerische Staatsbibliothek München Anmerkungen zur Transkription Die fünfte Novelle, die zu vollständigen Ausgaben dieses Buches gehört (Der Fatalist), findet sich nicht in dieser deutschen Erstausgabe. Im Original g e s p e r r t hervorgehobene Passagen wurden _kursiv_ wiedergegeben. Die im Originaltext verwendete -- heute ungebräuchliche -- Transliteration von russischen Worten und Eigennamen wurde belassen. Hinzu kommt die gelegentliche -- inkonsequente -- Verwendung von Akzenten als Betonungszeichen. Oft kommen beide Formen vor, wie Petschórin und Petschorin. Dies wurde ebenfalls belassen wie im Original. Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert. Die oft inkonsistente Setzung von Anführungszeichen und Kommata wurde in allen anderen Fällen belassen wie im Original. Der Held unserer Zeit.

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  • Project Gutenberg's Der Held unserer Zeit, by Michail Jurjewitsch Lermontow

    This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and withalmost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away orre-use it under the terms of the Project Gutenberg License includedwith this eBook or online at www.gutenberg.org

    Title: Der Held unserer Zeit Kaukasische Lebensbilder

    Author: Michail Jurjewitsch Lermontow

    Translator: August Boltz

    Release Date: May 5, 2012 [EBook #39623]

    Language: German

    Character set encoding: ISO-8859-1

    *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HELD UNSERER ZEIT ***

    Produced by Jens Sadowski, based on scans obtained fromBayerische Staatsbibliothek Mnchen

    Anmerkungen zur Transkription

    Die fnfte Novelle, die zu vollstndigen Ausgaben dieses Buches gehrt(Der Fatalist), findet sich nicht in dieser deutschen Erstausgabe.

    Im Original g e s p e r r t hervorgehobene Passagen wurden _kursiv_wiedergegeben.

    Die im Originaltext verwendete -- heute ungebruchliche -- Transliterationvon russischen Worten und Eigennamen wurde belassen. Hinzu kommt diegelegentliche -- inkonsequente -- Verwendung von Akzenten alsBetonungszeichen. Oft kommen beide Formen vor, wie Petschrin undPetschorin. Dies wurde ebenfalls belassen wie im Original.

    Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.

    Die oft inkonsistente Setzung von Anfhrungszeichen und Kommata wurdein allen anderen Fllen belassen wie im Original.

    Der Held unserer Zeit.

  • [CYRILLIC: Vot` tam`, za rkoyu, Sred' roshkoshi, bleska, I starost', i mladost', Tolpitsya, kruzhitsya, Skol'zit` no parketu Pod` gromy orkestra.

    I zavist', zloslov'e, Kovarstvo, pritvorstvo, Soblazn', sladostrast'e Pod` maskoyu mrno, Nevol'no, bez`umno, Za nimi nesutsya.

    Knyaz' M. Golittsyn`.]

    DerHeld unserer Zeit.

    Kaukasische Lebensbilder

    von

    Michal Lrmontoff.

    Aus dem Russischen bersetztvonAugust Boltz.

    Berlin.Druck und Verlag von Carl Schultze's Buchdruckerei.1852.

    DerFrau Ober-InspektorinSophie Knoth, geb. Schultein Dortmundals Zeichen dankbarer VerehrunggewidmetvomUebersetzer.

    Vorwort.

    Der vorliegende Roman wird zu den besten, in russischer Sprachegeschriebenen, gezhlt. Ich glaube, auch fr den deutschen Leser wird er,obgleich in minder vollendeter Form wiedergegeben, nicht ganz ohne

  • Interesse sein, da kaukasische Lebensbilder und so meisterhafteNaturschilderungen, wie sie hier geboten werden, noch keinesweges bei unszu den Alltglichkeiten gehren drften.

    Welchen Werth brigens die Leistungen Lermontoff's haben, beweist derUmstand, da einer unserer stilgewandtesten, berhmtesten Schriftsteller,Hr. Bodenstedt, in jngster Zeit den I. Band einer hchst elegantenUebersetzung von Lermontoff's poetischem Nachlasse verffentlicht hat,deren Fortsetzung alle Freunde der russischen Literatur mit Wunsch undFreude entgegensehen. In demselben Werke theilt Hr. Bodenstedt Aufschlsseber Lermontoff's Leben und literarische Stellung mit, was mich jederferneren Bemerkung hierber enthebt.

    Als nicht unwesentlich drfte noch der interessante Umstand hervorzuhebensein, da der Held der nachstehenden Erzhlungen, Petschorin, Niemandanders, als der nach dem Kaukasus verbannte Dichter selbst ist, und dasein frhes Ende ihn auf dieselbe Weise ereilte, wie er es (S. 227),freilich in Bezug auf eine andere Person, todesahnend niedergeschriebenhatte.

    August Boltz.

    Bela.

    Ich fuhr mit Postfuhrwerk aus Tiflis. Die ganze Ladung meiner Telga[A]bestand aus einem kleinen Koffer, welcher zur Hlfte mit Reisenotizen berGrusien vollgestopft war. Zu Ihrem Glcke ist der grte Theil derselbenverloren gegangen, der Koffer hingegen mit den brigen Sachen blieb zumeinem Glcke unversehrt.

    Die Sonne fing bereits an sich hinter den Eisrcken der Berge zuverstecken, als ich in das Koischaurskische Thal hineinfuhr. MeinPostillon, ein Ossete, trieb unermdlich die Pferde an, um noch vor Nachtden Koischaur-Berg zu erreichen, und sang aus voller Kehle Lieder dazu.Welch' herrlicher Ort ist dieses Thal! Von allen Seiten unersteigbareBerge, rthliche Felsen mit grnendem Epheu umhngt und von Gruppen desorientalischen Ahorns gekrnt; vergelbte Fragmente ausgesphlterAnschwemmungen, und dort, in lustiger Hhe, die goldige Franse derSchneemassen, und in der Tiefe die Aragwa, die im Verein mit einem andernnamenlosen Flchen sich mit Gerusch aus der tiefen Finsterni einer Kluftherauswindet, dann, einem Silberfaden gleich, sich dahinzieht und wie eineSchlange im Glanze ihrer Schuppen schimmert.

    [Funote A: Ein leichter Bauer- (Post-) wagen, der nicht in Federn hngt.]

    Am Fue des Koischaur angelangt, hielten wir an einem Duchan[A] still.Einige zwanzig Grusier und Gorzen[B] trieben sich dort lrmend umher; nichtweit davon hielt eine Karawane Kameele zum Nachtlager. Hier sagte man mir,da ich Ochsen zum Vorspann nehmen msse, wenn ich meinen Wagen diesenverwnschten Berg hinaufschaffen wollte, denn es war bereits um dieHerbstzeit und viel Glatteis, -- und der Berg hat eine Lnge von ungefhrzwei Werst.[C] --

    Es blieb mir nichts weiter brig; ich miethete sechs Ochsen und einigeOsseten. Einer von ihnen nahm meinen Koffer auf die Schultern und dieandern fingen an den Ochsen, wenn auch fast nur durch bloes Schreien, zuhelfen.

    Hinter meiner Telga zogen vier Stiere eine andere ber und bervollgepackte, mit einer Leichtigkeit herauf, da es eine Freude war sie

  • anzusehen. Dieser Umstand erregte meine Verwunderung. Hinter dem Wagenfolgte dessen Eigenthmer, aus einem kleinen Kabardinerpfeifchen, das mitSilber beschlagen war, rauchend. Er trug einen Offiziersrock ohneEpaulettes, und eine verbrmte Tscherkessenmtze. Er mochte in denFnfzigern sein; seine dunkle Gesichtsfarbe zeigte ganz klar, da er schonseit langer Zeit mit der kaukasischen Sonne bekannt war; sein zu frhergrauter Schnurrbart entsprach nicht seinem festen Gange und seinemrstigen Aussehen. Ich ging an ihn heran und begrte ihn; er erwiederteschweigend meine Verbeugung und blies eine ungeheure Rauchwolke in dieLuft.

    [Funote A: _Duchan_ persisch, Dorf, Station.]

    [Funote B: _Gorz_, Bergvlker, gewhnliche Benennung aller Kaukasier.]

    [Funote C: 7 Werst = 1 deutsche Meile.]

    Es scheint da wir Reisegefhrten sind?

    Er antwortete abermals durch eine stumme Verbeugung.

    Sie gehen wahrscheinlich nach Stawropol? . . .

    -- So ist's . . . mit Kronssachen.

    Bitte, sagen Sie mit doch, woher kommt es, da Ihren schwerbeladenen Wagenvier Ochsen spielend ziehen, whrend sechs dieser Thiere bei aller Hlfeder Osseten mit meinem leichten Wgelchen kaum von der Stelle kommen?

    Er lchelte verschmitzt und warf einen bedeutungsvollen Seitenblick aufmich. --

    -- Sie sind wahrscheinlich noch nicht lange im Kaukasus?

    Seit einem Jahre, antwortete ich.

    Er lchelte abermals.

    Nun, und wozu das?

    -- Nun, so! Es sind infame Bestien, diese Asiaten! Sie glauben wohl, diehelfen mit ihrem Schreien? Der Teufel mag entziffern, was sie schreien; soviel ist gewi, da die Ochsen sie verstehen; und wenn Sie deren zwanzigvorspannten, -- fangen die Kerls einmal an auf ihre Art zu schreien, sorhren sie sich nicht vom Flecke . . . . Infame Spitzbuben! Aber was fngtman mit ihnen an? . . Sie suchen die Reisenden um ihr Geld zu bringen,. . . und man hat die Schelme auch verdorben! Sie werden sehen, da sienoch zu Ihnen kommen und Trinkgeld fordern. Ich kenne sie schon, michfhren sie nicht an!

    Sie dienen wohl schon lange hier?

    -- Ja wohl, ich diente hier schon unter Aleksi Petrwitsch,[A] antworteteer, indem er sich in die Brust warf. Als er hierher in die Linie kam, warich Seconde-Lieutenant -- fgte er hinzu -- und unter ihm habe ich zweifernere Grade im Kriege gegen die Gorzen erhalten.

    Und jetzt sind Sie . . .?

    -- Jetzt gehre ich zum dritten Linien-Bataillone. Und Sie, wenn ich fragendarf?

    Ich sagte es ihm.

  • Hiermit brach unser Gesprch ab, und wir setzten unsern Weg schweigendneben einander fort. Auf der Hhe des Berges fanden wir Schnee. Die Sonnewar untergegangen und die Nacht dem Tage ohne Abenddmmerung gefolgt, wiedies gewhnlich im Sden der Fall ist; doch konnten wir beim Wiederscheineder Schneemassen den Weg ganz leicht erkennen, der sich noch immer berganzog, obgleich nicht mehr so steil wie bisher. Ich lie meinen Koffer aufdie Telga packen, befahl die Ochsen gegen Pferde umzuwechseln, und warfnoch einen letzten Abschiedsblick hinunter in das Thal; allein ein dichterNebel, der in strmenden Wogen aus den Felsklften quoll, verdeckte esvollkommen, und kein einziger Laut berhrte von dorther mehr unser Ohr. DieOsseten strmten lrmend an und forderten Trinkgeld; allein derStabskapitain schrie sie so zornig an, da sie sich im Augenblicke aus demStaube machten. -- Das ist ein Volk! sagte er nicht _Brod_ knnen sieauf russisch sagen, aber sie wissen recht gut, wie Offizier, giebTrinkgeld heit! Nein, da ziehe ich mir noch die Tataren vor, das sinddoch wenigstens keine Trinker . . . .

    [Funote A: Dem General Grafen Jermloff.]

    Bis zur Station hatten wir noch ungefhr eine Werst zurckzulegen. Rundumwar es still, so still da man dem Fluge einer Mcke nach ihrem Summenhtte folgen knnen.

    Links lagen tiefe, dunkle Felsenklfte; hinter ihnen und vor uns zeichnetensich die dunkelbraunen Spitzen der Berge, mit Runzeln und Schneelagernbedeckt, gegen das blae Himmelsgewlbe ab, an welchem der letzte matteWiederschein des Abendrothes dahinstarb. Am dunkeln Himmel fingen dieSterne an zu schimmern, und, -- sonderbar, es schien mir als ob sie hierhher hingen als bei uns im Norden. An beiden Seiten des Weges starrtenacktes, schwarzes Gestein empor; dann und wann guckte ein Gestruch ausdem Schnee hervor, doch kein einziges vertrocknetes Blttchen regte sichund es that einem wohl, inmitten dieses Todesschlafes der Natur dasSchnauben der ermdeten Troika[A] zu vernehmen, so wie das unregelmigeGebimmel des russischen Wagenglckchens.

    Morgen wird herrliches Wetter sein! sagte ich. Der Stabskapitainantwortete kein Wort, sondern zeigte nur mit dem Finger nach einem hohenBerge, der sich grade vor uns erhob.

    Was ist da? fragte ich.

    -- Der Gudberg.

    Nun, und was ist mit dem?

    -- Sehen Sie nur, wie er raucht.

    In der That rauchte der Gudberg; an seinen Abhngen krochen leichteWolkengebilde dahin, aber auf seinem Gipfel lagerte ein schwarzes Gewlk,so schwarz, da es gegen den dunkeln Himmel wie ein schwarzer Fleckabstach.

    Schon konnten wir die Poststation und die Dcher der sie umringenden Httenerkennen, aus denen einladende Feuer uns entgegenblinkten, als sich einfeuchter, kalter Wind erhob, die Felsenklfte zu heulen anfingen und einfeiner Regen herabfiel. Kaum hatte ich Zeit gehabt mir meine Burka[B]umzuwerfen, als auch, schon Schnee fiel. Mit Ehrfurcht blickte ich auf denStabskapitain.

    -- Jetzt bleibt uns nichts anderes brig als hier zu bernachten, sagte erverdrielich: in einem solchen Schneegestber kann man diese Berge garnicht passiren. Sag' mal, sind am Kreuzberge schon Lawinen gestrzt, fragteer den Postillon.

  • [Funote A: Dreigespann.]

    [Funote B: Ein kurzer zottiger Filzmantel, vorzglich bei den im Kaukasusstehenden Kosaken im Gebrauch.]

    Noch nicht, Herr antwortete der Ossete, aber es hngt viel, viel.

    In Ermangelung eines Passagierzimmers theilte man uns ein Nachtlager ineiner rucherigen Htte zu. Ich lud meinen Reisegefhrten zu einem GlaseThee ein, denn ich fhrte meine eiserne Theemaschine -- mein einzigesLabsal auf meinen kaukasischen Reisen -- immer mit mir. Die Htte (hierSaklja genannt) lehnte sich von der einen Seite an den Felsen; dreischlpfrige, feuchte Stufen fhrten zu ihrer Thre. Tappend ging ich voranund stie auf eine Kuh (der Viehstall vertritt bei diesen Leuten die Stelledes Bedientenzimmers). Ich wute nicht wohin ich mich wenden sollte: dablcken Schafe, dort knurren Hunde. Zum Glcke schimmerte an der Seite eintrber Lichtstrahl durch und half mir eine andere thrhnliche Oeffnungfinden. Ein ziemlich interessantes Bild erffnete sich vor uns: Dieumfangreiche Htte, deren Dach sich auf zwei verrucherte Pfeiler sttzte,war mit Menschen angefllt. In der Mitte flackerte ein Feuer, das auf demFuboden angemacht war, und dessen Rauch, da er vom Winde aus der Oeffnungim Dache wieder zurckgetrieben wurde, sich rundum gleich einer so dichtenHlle ausbreitete, da ich lange nichts zu unterscheiden vermochte; amFeuer saen zwei alte Weiber, eine Menge Kinder und ein abgemagerterGrusier, alle in Lumpen. So blieb uns weiter nichts brig; wir nisteten unsgleichfalls am Feuer ein, rauchten unser Pfeifchen und bald kochte dieTheemaschine auf die einladendste Weise.

    Was fr ein jmmerliches Volk! sagte ich zum Stabskapitaine, indem ichauf unsere schmutzigen Wirthsleute wies, die uns schweigend und in einerArt von Erstarrung anblickten.

    -- Und ein erzdummes Volk! antwortete er. Wollen Sie wohl glauben, da siedurchaus nichts knnen, da sie keiner Art von Bildung fhig sind! Da lobeich mir doch unsere Kabardiner oder die Tschetschiner! Es sind zwar auchRuber und Halsabschneider, aber ganz verzweifelte Tollkpfe; diesehingegen nehmen nicht einmal gern ein Gewehr zur Hand: einen anstndigenDolch findet man bei keinem einzigen. Und nun gar erst die Osseten!

    Sie waren also lange in Tschetschen?

    -- Ja gewi, ich lag wohl an die zehn Jahre mit einer Kompagnie in einerFestung, da bei Brckburg, -- wissen Sie?

    Ich habe davon gehrt.

    -- Nein, mein Bester, was diese Hndelmacher mir zu schaffen gemacht haben!Jetzt, Gott sei Dank, ist's da weit ruhiger; aber frher, Gott bewahre!frher brauchte man nur hundert Schritt vom Walle abzugehen, und so einzottiger Teufel sa wahrhaftig auf der Lauer: kaum hatte man ausgeghnt, sosa einem auch schon eine Schlinge um den Hals oder eine Kugel im Nacken.Aber tapfere Jungens! . . .

    Ei, da mssen Sie ja wahrhaftig recht viele Abentheuer erlebt haben?sagte ich, vor Neugierde brennend.

    -- Wie denn nicht! wahrhaftig.

    Hier begann er seinen linken Schnurrbart zu flattiren, lie den Kopf aufdie Brust sinken und verfiel in Nachdenken. Ich htte ihm gar zu gernirgend ein Geschichtchen abgelockt, -- ein Wunsch, der brigens allenVerfassern von Reisememoiren und allen Volksschriftstellern mit mir eigenist. Unterdessen war der Thee fertig geworden; ich zog aus meinem Kofferzwei Feldbecher, schenkte sie voll und stellte einen derselben hin: Ja,

  • wahrhaftig! Dieser Ausruf gab mir groe Hoffnungen. Ich wei nur zu gut,wie sehr die alten Krieger im Kaukasus zu sprechen und zu erzhlen lieben;es wird ihnen auch so selten geboten: wie mancher steht da fnf Jahre langin irgend einem abgelegenen Winkel mit seiner Abtheilung, und hrt dieganzen fnf Jahre ber kein einziges Guten Tag, weil der Feldwebel ihnnur mit Ich wnsche Ihnen Gesundheit[A] begrt. Und was wten sie nichtalles zu erzhlen! Rundum ein wildes, interessantes Volk, jeden Tag eineGefahr; was fr wunderbare Flle kommen da nicht vor! Hier bedauert manunwillkhrlich da bei uns so wenig geschrieben wird.

    Wollen Sie nicht ein wenig Rum hinzufgen? fragte ich meinenReisegefhrten, ich habe weien, aus Tiflis; es ist jetzt kalt.

    [Funote A: Die vorgeschriebene Begrungsformel fr Untergebene, _welchesRanges sie auch sein mgen_, gegen ihre Vorgesetzten.]

    -- Nein, ich danke, ich trinke nicht.

    Wie so?

    -- Je nun, so. Ich habe mir das Wort gegeben. Einmal, als ich nochSecondelieutenant war, mssen Sie wissen, und wir uns untereinander einmalrecht etwas zu Gute gethan hatten, wird des Nachts pltzlich Alarmgeschlagen; wir, angerissen wie wir waren, hinaus; ja, das wre uns baldgut bekommen als Alexi Petrwitsch es erfuhr -- Gott soll mich bewahren,wie er bse wurde! Es fehlte nicht viel, so htte er uns vor einKriegsgericht gestellt. Und so geschieht's jedesmal: zu einer andern Zeitlebt man das ganze Jahr hindurch und sieht keine Menschenseele; nimmt manaber einmal ein Glschen zu viel, so ist man auch ein verlorner Mensch!

    Bei dieser Erzhlung verlor ich fast wieder alle Hoffnung.

    -- Nun nehme man aber gar erst die Tscherkessen, fuhr er fort, wenn diesich erst bei Hochzeits- oder Begrbnigelagen in Busa[A] betrinken, dannkommt's auch gleich an's Einhauen. Ich war einmal mit Gewalt und noch dazubei einem friedlichen Frsten[B] zu Gaste gezogen worden.

    So? Wie war denn das zugegangen?

    -- Sehen Sie . . . (er stopfte sich eine Pfeife, that ein paar tchtigeZge und begann zu erzhlen) sehen Sie also, ich stand damals mit einerKompagnie in einer Festung jenseits des Tereks, -- es wird nun bald an diefnf Jahre sein. Da kam einmal um die Herbstzeit ein Transport mit Proviantan, und bei diesem Transporte befand sich ein Offizier, ein junger Menschvon ungefhr fnf und zwanzig Jahren. Er stellte sich mir in voller Uniformvor und erffnete mir, da er die Ordre erhalten habe bei mir in derFestung zu bleiben. Er war so zart, so wei, seine Uniform war so neu, daich sogleich errieth, er sei erst unlngst nach dem Kaukasus gekommen.

    [Funote A: Getrnk aus Buchweizenmehl.]

    [Funote B: Der Rulands Oberhoheit anerkannt hatte.]

    Sie sind wahrscheinlich aus Ruland hierherversetzt worden? fragte ichihn. -- Zu befehlen, Herr Stabskapitain, war seine Antwort. Ich fate ihnbei der Hand und sagte: Sehr erfreut, sehr erfreut; nur wird es Ihnen hierein Bischen langweilig vorkommen . . . nun, wir wollen schonfreundschaftlich mit einander leben. Indessen bitte ich Sie, nennen Siemich nur ganz einfach Maksim Maksimitsch und dann -- wozu denn diese volleUniform? Kommen Sie nur immer in der Feldmtze zu mir. -- Man wies ihmeine Wohnung an, und so setzte er sich denn in der Festung fest.

    Und wie hie er? fragte ich Maksim Maksimitsch.

  • -- Er hie . . . Grigr Alexndrowitsch Petschrin. Ein feiner Junge, daskann ich Ihnen versichern; nur etwas Sonderling. So konnte er sich z. B. imRegen und Frost den ganzen Tag auf der Jagd umhertreiben: alle Anderen sinddurchgefroren und abgemattet, aber ihm thut das nichts. Ein anderes Malsitzt er am Fenster in seinem Zimmer; der Wind blt ein Bischen und erversichert einem, da er sich erkltet habe; oder die Fensterlade schttertetwas und er fhrt zusammen und erbleicht, und doch habe ich ihn ganzallein gegen einen Eber angehen sehen; manchmal kriegte man Stundenlangkein Wort aus ihm heraus, fing er aber erst einmal an zu erzhlen, ja damute man sich den Bauch vor Lachen halten . . . Ei ja, ein groerSonderling, und er mu auch reich gewesen sein, denn was hatte er alles frkostbare Schelchen! . . .

    Blieb er denn lange bei Ihnen? fragte ich weiter.

    -- Wohl ein Jahr; dafr wird mir aber auch dieses Jahr ewig im Gedchtnibleiben! Hat der mir zu schaffen gemacht, nein, das kann ich Ihnen garnicht sagen! Sehen Sie, es giebt wahrhaftig solche Leute, denen es schon inder Wiege bestimmt ist, da ihnen ganz auergewhnliche Dinge widerfahrenwerden!

    Auergewhnliche Dinge? rief ich mit Neugierde aus, indem ich ihm Theeeinschenkte.

    -- Ja, ich werde Ihnen gleich erzhlen. In der Entfernung von ungefhrsechs Werst von der Festung lebte ein friedlicher Frst. Sein Sohn, einJunge von fnfzehn Jahren, hatte sich angewhnt jeden Tag zu uns herber zureiten, bald nach diesem bald nach jenem, und Grigrii Alexndrowitsch undich, wir hatten ihn auch wirklich ganz verwhnt. Es war aber auch einwackrer Junge, der alles machen konnte, was er nur wollte; im vollenCarriere hob er eine Mtze von der Erde auf oder feuerte ein Gewehr ab.Eins war nicht hbsch an ihm: er war ungeheuer auf's Geld versessen. Einmalversprach ihm Grigrii Alexndrowitsch zum Spae ihm einen Dukaten zuschenken, wenn er den schnsten Bock aus seines Vaters Heerde stehlenknne; und was meinen Sie? am andern Abend bringt er ihn bei den Hrnernherangeschleppt. Kam es einmal vor, da wir ihn foppen wollten -- gleichunterliefen seine Augen mit Blut und er griff nach dem Dolche. Ei, Asamat,man thut Dir ja nichts zu Leide, pflegte ich dann zu sagen, Dein tollerSinn wird Dich noch ins Verderben strzen!

    -- Einst kam der alte Frst selbst zu uns herber, um uns zur Hochzeiteinzuladen; er verheirathete seine lteste Tochter und wir standen mit ihmin Gastfreundschaft; na, da konnten wir ihm doch nicht absagen, ob er schonein Tatar war. Wir machen hin. Im Ale[A] kam uns ein ganzer Rudel Hundemit lautem Gebell entgegen; die Weiber versteckten sich bei unsermAnblicke; diejenigen, deren Gesichter wir etwa sehen konnten, waren nichtsweniger als schn. Ich hatte eine weit bessere Meinung von denTscherkessinnen, sagte Grigrii Alexndrowitsch zu mir. -- Warten Sie nur!antwortete ich ihm, indem ich lchelte. Ich hatte schon die Meinige imSinn.

    [Funote A: Al, Dorf der kaukasischen Vlkerschaften.]

    -- Bei dem Frsten hatte sich bereits eine Masse Volk in der Htteversammelt. Sie wissen, da es bei den Asiaten Gebrauch ist alle diejenigenzur Hochzeit einzuladen, denen man begegnet oder die am Hause vorbergehen.Man empfing uns mit allen nur mglichen Ehrenbezeugungen und fhrte uns insGastzimmer. Ich bersah es indessen nicht aufzupassen, wohin sie unserePferde brachten, wissen Sie, fr einen unvorgesehenen Fall.

    Wie begehen sie denn die Hochzeitsfeier? fragte ich den Stabskapitain.

    -- Ja, ganz gewhnlich. Zuerst liest ihnen der Mulla etwas aus dem Koranvor, dann werden die jungen Leutchen und ihre Verwandten beschenkt, man

  • it, trinkt Busa und endlich beginnt die Dschigitffka,[A] in welcher immerirgend ein abgerissener, schmieriger Hanswurst auf einer elenden, lahmenMhre herumpojatzt und die verehrliche Gesellschaft belustigt. Zuletzt,gegen die Dmmerung, beginnt im Gastzimmer was wir einen Ball nennenwrden. Irgend ein armer Greis kratzt auf einer dreisaitigen -- ich weinicht mehr, wie sie das Ding nennen, -- nun im Genre unserer Balalika;[B]-- die Mdchen und die jungen Burschen stellen sich in zwei Reihen einandergegenber, klatschen in die Hnde und singen dazu. Dann tritt ein jungesMdchen und ein Bursche in die Mitte und fangen da an einander in Versenzuzusingen, was ihnen grade in den Kopf kommt, und die brigen fallen imChorus ein. Petschrin und ich nahmen die Ehrenpltze ein; pltzlichschritt die jngste Tochter unseres Wirthes, ein Mdchen von sechszehnJahren, auf ihn zu, und sang ihm . . wie soll ich doch sagen? . . sang ihmeine Art von Kompliment zu.

    [Funote A: Kaukasischer Nationaltanz.]

    [Funote B: Eine jmmerliche Nachbildung der Guitarre.]

    Erinnern Sie sich noch dessen, was sie sang? fragte ich.

    -- Ja, ich glaube es war ungefhr so: Wohl anzusehn, frwahr, sind unserejungen Dschigiten, Und ihre Kftane mit Silber ausgenht, Doch schmuckernoch als sie ist dieser junge Russenheld, In purem Golde blitzt seinreichbetreter Waffenrock. Wie eine Pappel steht er zwischen ihnen prchtigda, In unserm Garten leider wchst sie nicht und blht sie nicht.

    -- Als sie von uns zurcktrat, raunte ich Grigrii Alexndrowitsch ebenin's Ohr: Nun, wie gefllt Ihnen die? -- Wunderbar, wunderbar!antwortete er: wie heit sie? -- Sie wird Bela genannt entgegnete ich.

    -- Und wahrlich, sie war schn: hoch und schlank, und hatte schwarze Augenwie die der Berggemse, mit denen sie einem bis in die Seele hineinblickte.Petschrin verwandte, in Gedanken versunken, kein Auge von ihr, und auchsie blickte fter verstohlen nach ihm hin. Indessen war Petschrin nichtder einzige, der die liebliche Frstin mit Wohlgefallen betrachtete: auseinem Winkel des Zimmers blickten sie zwei bewegungslose, glutvolle Augenan. Ich sah genauer zu, wer es war, und erkannte meinen alten BekanntenKsbitsch. Er war, wissen Sie, eigentlich weder einer von den friedlichennoch von den nichtfriedlichen. Es ruhte wohl so mancher Verdacht auf ihm,ob er gleich nie bei irgend einem Unfug war betroffen worden. Er brachteuns fters Schafe in die Festung zum Verkauf und war immer sehr billigdamit, lie aber niemals mit sich handeln; was er forderte, mute mangeben, denn eher htte er sich in Stcke hauen lassen, als das Geringstevon seinem Preise abzulassen. Das Gercht ging von ihm, da er sichjenseits des Kbans mit den Abrken, einem feindlichen ruberischenVlkerstamme, herumtrieb, und die Wahrheit zu gestehen, sah er auch ganzdarnach aus, kurz, trocken, breitschultrig, eine rechte Rubergestalt. . . Aber gewandt, gewandt, wie der Teufel! Sein Beschmt[A] war immerzerrissen und mit Flicken besetzt, aber sein Gewehr mit Silber ausgelegt;sein Pferd war in der ganzen Kabarda berhmt, -- und wahrhaftig einschneres Thier kann man sich gar nicht vorstellen. Nicht umsonstbeneideten ihn alle Raubreiter darum und bemhten sich mehr als einmal esihm wegzustehlen, was ihnen indessen nicht gelang. Ich sehe dies edle Thierordentlich vor mir stehen: Schwarz wie Pech, Fe wie Saiten, und Augennicht schlechter wie Bela's Augen. Und was, fr eine Kraft! Funfzig Werstin vollem Trabe; dabei war es so zahm, da es wie ein Hund hinter seinemHerrn drein lief; sogar seine Stimme kannte es! Und wie oft geschah es, daer es gar nicht anband. So ein rechtes Ruberpferd! . . .

    [Funote A: Kurzes enganliegendes Unterkleid der tatarischenVlkerschaften.]

    -- An diesem Abend war Ksbitsch finstrer als sonst und ich bemerkte, da

  • er unter dem Beschmt ein Panzerhemd an hatte. Nicht umsonst hat er diesPanzerhemd an, dachte ich, er fhrt gewi irgend was im Schilde.

    -- Es war schwl in der Htte, und ich trat hinaus, mich an der Luft zuerfrischen. Nacht lag schon auf den Bergen und Nebel strich an denFelsklften hin.

    -- Ich lie mir einfallen, mich unter das Wetterdach zu begeben wo unserePferde standen, um nachzusehen ob sie Futter htten, und weil berdiesVorsicht nie schaden kann: ich hatte ein herrliches Pferd mit, und schonmehr als Ein Kabardinzer hatte es wohlgefllig in's Auge gefat, und dabeiausgerufen: Jakschi tsche, tschek jakschi![A]

    -- Ich ducke mich lngs des Plankenzaunes hin, und pltzlich hr' ichStimmen; die eine Stimme erkannte ich sogleich: das war der WildfangAsamat, der Sohn unseres Wirthes; die andere sprach seltener und leiser.Wovon schwatzen die da wohl? dacht' ich: doch wohl nicht gar von meinemPferde? Da kauerte ich mich bei dem Zaune nieder, und fing an zu horchen,bemht, da kein einziges Wort mir entginge. Doch der Lrm der Gesnge unddas Gewirr der Stimmen, die aus der Htte herausschallten, verschlangenbisweilen das mir so interessante Gesprch. --

    [Funote A: Worte des Beifalls in tatarischer Sprache.]

    -- Du hast ein herrliches Pferd! sagte Asamat, wre ich Herr im Hauseund htte eine Herde von dreihundert Stuten, so gbe ich wohl die Hlftefr Deinen Renner, Ksbitsch!

    -- Aha, Ksbitsch! dachte ich und erinnerte mich des Panzerhemdes.

    -- Ja, antwortete Ksbitsch nach einigem Schweigen, in der ganzenKabrda findet man kein solches. Einstmals, -- das war jenseits des Treks-- zog ich mit den Abrken aus, russische Pferdeherden wegzunehmen; esglckte uns nicht, und wir wurden versprengt, der eine dahin, der anderedorthin. Hinter mir her waren vier Kosaken schon hrte ich das Geschrei derGiauren und vor mir war ein dichter Wald. Da duckte ich mich in den Sattel,bergab mich dem Allach und zum erstenmal im Leben beleidigte ich das Pferddurch einen Schlag mit der Peitsche. Wie ein Vogel streifte es zwischen denZweigen dahin; scharfe Stechpflanzen zerrissen meine Kleidung, drre Aestevon Zwergrstern schlugen mir im Gesicht herum. Mein Pferd setzte ber dieBaumstumpfe und ri mit der Brust das Gestruch auseinander. Ich httebesser gethan das Pferd am Saume des Waldes laufen zu lassen, mich selbstaber zu Fu im Walde zu verstecken, es that mir aber leid mich von ihm zutrennen. Und der Prophet belohnte mich. Einige Kugeln sausten ber meinenKopf dahin, ich hrte schon die heiverfolgenden Kosaken dicht hinter mir. . Pltzlich ghnt vor mir eine tiefe Wasserschlucht; mein Renner stutzte-- und sprang. Seine Hinterhufe glitten von dem jenseitigen Uferrande ab,und er hing an den Vorderfen; ich warf die Zgel weg, und flog in dieSchlucht hinab; dies rettete mein Pferd: es sprang hinauf. Die Kosakensahen alles mit an, doch keiner von ihnen lie sich hinab, mich zu suchen:sie dachten wohl ich msse den Hals gebrochen haben, und ich hrte, wie siesich in Bewegung setzten mein Pferd aufzufangen. Das Blut stockte mir imHerzen, ich kroch im tiefen Grase lngs der Schlucht hervor, -- ich sehe:der Wald war zu Ende, einige Kosaken reiten aus ihm auf die Haide heraus,und siehe! mein Karags sprengt grade auf sie los; alle warfen sich mitGeschrei hinter ihm her; lange, lange verfolgten sie ihn, besonders einerwar zweimal nahe daran, ihm die Schlinge ber den Hals zu werfen; icherbebte, senkte die Augen, und fing an zu beten. Nach einigen Augenblickenerhebe ich sie wieder -- und siehe da! mein Karags fliegt mit wehendemSchweife, dem freien Winde gleich, daher; die Giauren hingegen schleppensich, einer weit hinter dem andern, auf den abgequlten Pferden durch dieSteppe. Beim Allach! es ist wahr, es ist wahrhaftig wahr! Bis zur sptenNacht sa ich in meiner Schlucht. Pltzlich, was denkst Du wohl, Asamat? inder Finsterni hr' ich, da am Rande der Schlucht ein Pferd luft,

  • schnaubt, wiehert und mit den Hufen auf die Erde stampft; ich erkannte dieStimme meines Karags das war er, mein Gefhrte! . . . Von der Zeit anblieben wir unzertrennlich.

    Und man konnte hren, wie er mit der Hand den glatten Hals seines Rennerssanft klopfte, indem er ihm verschiedene zrtliche Benennungen gab.

    -- Wenn ich eine Herde von tausend Stuten htte, sagte Asamat, ich wrdesie Dir ganz fr Deinen Karags hingeben!

    Jok, ich gb' ihn nicht dafr, antwortete Ksbitsch gleichgltig.

    -- Hre, Ksbitsch, sagte schmeichelnd Asamat zu ihm, Du bist ein guterKerl, Du bist ein tapferer Dschigit; mein Vater aber frchtet die Russen,und lt mich nicht in die Berge; berla mir Dein Pferd, und ich willalles thun, was Du nur verlangst, ich stehle fr Dich meinem Vater seinenbesten Karabiner, seine beste Schschka,[A] was Du nur wnschest, -- seineSchschka ist eine chte Grda: Du brauchst nur die Schneide an die Hand zulegen, so saugt sie sich von selbst in's Fleisch; und sein Panzerhemd istmindestens so gut wie Deines.

    -- Ksbitsch schwieg.

    -- Das erstemal, als ich Dein Pferd sah, fuhr Asamat fort, als es unterDir sich im Kreise drehte und mit aufgeblasenen Nstern dahinsprang, undunter seinen Hufen hervor die Steine in Funken stoben, da ging in meinerSeele etwas Unbegreifliches vor, und von der Zeit wurde mir alles anderezuwider: auf die besten Renner meines Vaters sah ich mit Verachtung; ichschmte mich auf ihnen mich zu zeigen, und Traurigkeit bernahm mich ganz;und harmvoll versa ich auf einem Felsen ganze Tage, und in jedemAugenblicke erschien mir in Gedanken Dein schwarzer Renner mit seinem edlenGange und seinem glatten, pfeilgraden Rcken; er blickte mich mit seinenmuntern Augen an, als ob er sprechen wollte. Ich werde sterben, Ksbitsch,wenn Du mir ihn nicht berlssest! sagte Asamat mit zitternder Stimme.

    [Funote A: Schschka heit der krumme Sbel der Tscherkessen und Kosaken.]

    Ich glaubte zu hren, da er zu weinen anfing: dabei mu ich Ihnen sagen,da Asamat ein erztrotziger Bube war, dem man bisher mit nichts Thrnenabzudringen vermocht hatte, sogar als er noch ganz jung war.

    -- Zur Antwort auf seine Thrnen war nur eine Art Hohngelchter vernehmbar.

    -- Hre! sagte Asamat mit fester Stimme, ich bin zu Allem entschlossen.Willst Du, da ich fr Dich meine Schwester stehle? Wie tanzt sie schn!und wie sie singt! auch nhet sie in Golde aus, wundervoll! Solch eineGenossin hat wohl der trkische Padischa kaum . . . Willst Du? Erwarte michmorgen in der Nacht dort, in der Schlucht, wo der Wildbach fliet: ichwerde mit ihr zum benachbarten Ale vorbergehen, -- und sie ist Dein. Istdenn wohl Bela nicht Deinen Renner werth?

    -- Lange, lange schwieg Ksbitsch; endlich, anstatt der Antwort, stimmte ermit halber Stimme ein altes Liedchen an:

    Schnheiten giebt's hier im Ale gar viel, Sternen gleich funkelt des Augenpaars Spiel. S, sie zu lieben -- ein Loos zu beneiden; Heit'rer noch, nie von der Freiheit zu scheiden. Gold schafft der Frauen mir drei oder vier, Doch solch ein Ro, sagt, wo schaff' ich es mir? Rasch durch die Stepp', wie der Wind, eilt's im Fluge, Fern jedem Wechsel, fern jedem Truge.

    Vergebens bat ihn Asamat wiederholentlich, einzuwilligen, und weinte und

  • schmeichelte ihm und schwur; endlich unterbrach ihn Ksbitsch ungeduldig:

    -- Geh fort, thrigter Junge! Wo willst Du wohl auf meinem Pferde reiten?Bei den ersten drei Schritten wirft es Dich ab, und Du zerschlgst Dir dasGenick auf den Steinen.

    -- Ich! schrie Asamat in Wuth, und das Eisen des Knabendolches erklirrteauf dem Panzerhemde. Eine krftige Hand warf ihn zurck und er schlug sichan den geflochtenen Zaun so heftig, da dieser wankte. Das gibt einenschnen Spa, dachte ich, eilte zum Stalle, zumte unsere Pferde auf, undfhrte sie nach dem hinteren Hofe. Binnen zwei Minuten schon war in derHtte ein frchterliches Getse. Es hatte sich folgendes ereignet: Asamatwar mit zerrissenem Beschmt dort hineingerannt, vorgebend, Ksbitsch wolleihn ermorden. Alle sprangen herbei, griffen zu den Waffen, und der Spaging los. Geschrei, Lrm, Schsse; doch Ksbitsch war schon zu Pferde undbrach wie ein Teufel durch die Menge in die Strae, indem er die Schschkavertheidigend schwang. Ein schlimmer Handel in fremder Schmauserei dieNachwehen der Trunkenheit, sagte ich zu Grigrii Alexndrowitsch, indemich ihn bei der Hand ergriff; thten wir nicht besser, uns eiligstdavonzumachen?

    -- Aber warten Sie doch, wie es endigen wird.

    -- Es wird wahrscheinlich schlecht endigen; bei diesen Asiaten ist es immerso: sie betrinken sich in Busa, und das Gemetzel geht los! Wir saen aufund ritten spornstreichs nach Hause.

    Was wurde denn aus Ksbitsch? fragte ich den Stabskapitain mit Ungeduld.

    -- Was kann man wohl einem solchen Kerl anhaben! antwortete er, indem ersein Glas Thee bis auf die Neige austrank; er entschlpfte!

    Und wurde nicht verwundet? fragte ich.

    -- Ja, das wei Gott! Diese Spitzbuben haben ein zhes Leben! Ich hab siewohl manchmal im Gefecht gesehen, sehen Sie, ganz zerhauen und vonBajonetten einem Siebe gleich durchlchert, und doch wirthschaftet so einKerl noch immer mit der Schschka herum. -- Der Stabskapitain schwieg eineWeile, dann fuhr er, mit dem Fu auf die Erde stampfend, fort:

    -- Eins werde ich mir nie verzeihen: da mich der Bse zupfte, dem GrigriiAlexndrowitsch Alles wieder zu erzhlen, als wir nach der Festungzurckritten, was ich hinter dem Zaune gehrt hatte; er lchelte fein, derSchlaufuchs -- und dachte sich sein eigenes Stckchen aus.

    -- So? Was denn fr eins? Bitte, erzhlen Sie doch.

    -- Ja freilich, jetzt ist nichts mehr zu machen! Habe ich einmal angefangenzu erzhlen, so mu ich auch weiter fortfahren. Nach etwa vier Tagen kommtAsamat in die Festung. Nach seiner Gewohnheit ging er zu GrigriiAlexndrowitsch, der ihn mit Nschereien zu fttern pflegte. Ich befandmich ebenfalls dort. Die Rede kam auf die Pferde, und Petschrin fing an,den Renner unseres Ksbitsch herauszustreichen; so ein muthiges,prachtvolles Pferd, gerade wie eine Gemse -- na, mit einem Worte, nachseiner Meinung gab es kein zweites solches Ro auf Gottes weitem Erdboden.

    -- Unserm kleinen Ttaren funkelten die Augen, aber Petschrin thut, als ober gar nichts merkt; ich versuche das Gesprch auf etwas anderes zu lenken;er aber, hast Du nicht gesehen, bringt es gleich wieder auf Ksbitsch'Pferd zurck. Diese Geschichte wiederholte sich, so oft Asamat zu unsherber kam. Nach ungefhr drei Wochen bemerkte ich, da Asamat ganz blaund abgezehrt aussah, wie das wohl in Romanen von der Liebe geschieht. WasWunder auch?

  • -- Sehen Sie wohl, ich habe erst spter die ganze Geschichte erfahren:Grigrii Alexndrowitsch hatte ihn dermaaen aufgereizt, da er sich htteins Wasser strzen knnen. Einstmals nun sagte er zu ihm: Ich sehe,Asamat, da Dir dieses Pferd ber Alles geht, und doch wird es eben sowenig Dein werden, als Du Deines Nackens ansichtig werden kannst. Nun sag'einmal, was wrdest Du wohl Dem geben, der es Dir zum Geschenk machte?. . .

    -- Alles, was er nur will, antwortete Asamat.

    In dem Falle will ich Dir's verschaffen, nur unter einer Bedingung . . .Du schwrst mir, da Du sie erfllst . . .

    -- Ich schwre . . . schwre auch Du!

    Gut! Ich schwre Dir zu, Du sollst das Pferd haben; nur mut Du mir DeineSchwester Bela dagegen ausliefern. Den Karags will ich Dir als Morgengabeliefern. Ich hoffe, der Handel ist vortheilhaft fr Dich.

    -- Asamat schwieg.

    Du willst nicht? Auch gut. Ich hielt Dich fr einen Mann, sehe aber, daDu noch ein Kind bist; es ist noch zu frh fr Dich zu reiten . . .

    -- Asamat entbrannte . . . Aber mein Vater? sagte er.

    Sollte denn der sich niemals entfernen?

    -- Es ist auch wahr . . .

    Also abgemacht? . . .

    -- Abgemacht, flsterte Asamat, bleich wie der Tod. Wann?

    Sobald Ksbitsch wieder herkommt; er hat versprochen, ein Zehn Hammelherzutreiben; das Uebrige ist meine Sache. Sieh wohl zu, Asamat!

    -- Ja, so haben sie die Sache zu Stande gebracht . . . Die Wahrheit zugestehen, eine recht hliche Sache. Ich habe das auch spter zu Petschringesagt, der antwortete mir aber, da das wilde Tscherkessenkind sichglcklich schtzen knne, einen so netten Mann zu haben, denn nach ihrenGebruchen ist er immerhin ihr Mann, und was Ksbitsch anginge, so wre derein Ruber, den man bestrafen msse. Nun urtheilen Sie selbst, was ich ihmdarauf antworten konnte? . . . Damals aber wute ich noch nichts von ihrerVerabredung; da kommt denn einmal der Ksbitsch bei uns vor und frgt an,ob wir nicht Hammel und Meth brauchten? Ich befahl ihm, beides den nchstenTag herzuschaffen. Asamat! sagte Grigrii Alexndrowitsch, morgen istder Karags in meinen Hnden, bringst Du mir Bela diese Nacht nicht her, sokriegst Du das Pferd nicht zu sehen . . .

    -- Gut! sagte Asamat und sprengte im Galopp nach dem Ale. Als der Abendgekommen war, legte Grigrii Alexndrowitsch seine Waffen an und verliedie Festung. Wie sie nun die Sache ausgefhrt haben, wei ich nicht, --aber des Nachts waren sie Beide zurckgekommen und die Schildwache hattegesehen, da ber den Sattel Asamats ein Frauenzimmer lag, deren Hnde undFe gebunden waren, whrend ihr Kopf mit einem Schleier verhllt war.

    -- Aber das Pferd? fragte ich den Stabskapitain.

    -- Gleich, gleich. Den nchsten Tag kommt Ksbitsch des Morgens frh undbrachte ein Zehn Hammel zum Verkauf. Nachdem er sein Pferd an denPlankenzaun gebunden hatte, kam er zu mir; ich traktirte ihn mit Thee,denn, wenn er schon ein Ruber war, so war er doch auch mein Gastfreund.

  • Wir plauderten von diesem und jenem . . . Pltzlich sehe ich, wie Ksbitschmit vernderten Gesichtszgen auffhrt und nach dem Fenster strzt, welchesaber leider nach dem Hinterhofe fhrte. -- Was ist Dir denn? fragte ichihn.

    -- Mein Pferd! . . . Pferd! sagte er, am ganzen Leibe erzitternd.

    -- Wirklich hrte ich in diesem Augenblicke das Schlagen von Hufen: Dasist wahrscheinlich irgend ein angekommener Kosak . . .

    -- Nein! Uru-Jaman, Jaman![A] fing er an zu brllen und strzte berHals und Kopf davon, wie ein wilder Panther. Mit zwei Sprngen war er aufdem Hofe; an dem Thore der Festung versperrte ihm die Schildwache mit demausgestreckten Gewehre den Weg; er sprang darber hinweg und fing an ausallen Krften zu laufen . . . In der Ferne wirbelte Staub . . . Asamatsprengte auf dem feurigen Karags dahin; mitten im Laufe ri Ksbitsch seinGewehr aus dem Ueberzuge und feuerte los. Eine Minute stand er unbeweglichstill, bis er sich berzeugt hatte da er einen Fehlschu gethan hatte;dann fing er an entsetzlich zu heulen, zerschlug sein Gewehr gegen dieSteine, da es in tausend Stcke flog, wlzte sich auf der Erde herum undsthnte wie ein Bube . . . Nicht lange, so versammelte sich eine MengeLeute aus der Festung um ihn -- er sah Niemanden; sie standen da herum undsprachen ein Langes und Breites und gingen endlich wieder fort; ich liedas Geld fr die Hammel neben ihn hinlegen -- er rhrte es aber nicht an,sondern lag mit dem Gesicht auf der Erde, wie ein Todter. Wollen Sie wohlglauben, da er bis tief in die Nacht und die ganze Nacht hindurch sogelegen hat? Erst am andern Morgen kam er in die Festung und bat, da manihm den Ruber nennen wolle. Die Schildwache, die gesehen hatte, wie Asamatdas Pferd abband und auf ihm davonjagte, hielt es nicht fr nthig, ihm einGeheimni daraus zu machen. Bei diesem Namen funkelten Ksbitsch' Augen under begab sich nach dem Ale, wo Asamats Vater wohnte.

    [Funote A: Russischer Verrath, Verrath!]

    Wie ergings dem Vater?

    -- Ja das ist ja eben der Witz, da Ksbitsch ihn nicht zu Hause traf; erwar irgend wohin auf ein Tager Sechs verreist; wre es denn sonst wohlAsamat gelungen, seine Schwester zu entfhren?

    -- Als nun der greise Vater zurckkehrte, da fand er weder Tochter nochSohn; denn der Schlaukopf hatte wohl bedacht, da er seinen Kopf nichtdavon bringen wrde, wenn er jemals dem Ksbitsch unter die Hnde fiele. Sowar er denn seit jener Zeit verschwunden; wahrscheinlich hatte er sich zueiner Bande Abrken geschlagen, oder er hatte jenseits des Treks oderKbans sein unruhiges Haupt irgendwo niedergelegt. Dort kommt man leichtgenug dazu!

    -- Nun mu ich gestehen, da auch mich die Sache etwas anging. So wie icherst erfahren hatte, da die Tscherkessin bei Grigrii Alexndrowitsch war,legte ich meine Epauletten an, steckte den Degen ein und begab mich zu ihm.

    -- Er lag im Vorderzimmer auf dem Bette, die eine Hand unter dem Nackengeschlagen und mit der andern die ausgegangene Pfeife haltend; die Threnach dem zweiten Zimmer war verschlossen und der Schlssel abgezogen. Ichbemerkte dies Alles im Nu . . . Ich fing an mich zu ruspern und mit denAbstzen an der Schwelle zu scharren -- er that aber, als hrte er nichts.

    -- Herr Lieutenant! sagte ich so streng wie mglich, sehen Sie dennnicht, da ich zu Ihnen gekommen bin?

    Ach, guten Tag, Maksim Maksimitsch! Ist Ihnen eine Pfeife gefllig?antwortete er, ohne auch nur aufzustehen.

  • -- Ich bitte um Entschuldigung! Ich stehe jetzt nicht als MaksimMaksimitsch, sondern als Stabskapitain vor Ihnen!

    Das ist ja einerlei. Wollen Sie eine Tasse Thee? Ach, wenn Sie wtenwelche Sorge mich jetzt drckt . . .

    -- Ich wei Alles, entgegnete ich ihm, an sein Bett tretend.

    Desto besser, ich bin gar nicht aufgelegt, viel zu erzhlen.

    -- Herr Lieutenant, Sie haben sich eines Vergehens schuldig gemacht, frdas auch ich zur Verantwortung gezogen werden kann . . .

    Nun hren Sie doch auf! Was ist denn daran gelegen? Als ob nicht schonlngst zwischen uns alles zur Hlfte ginge!

    -- Ei was fr Spe! Ich bitte um Ihren Degen.

    Mitka! den Degen!

    Mitka brachte den Degen. Als ich nun so meiner Pflicht gengt hatte, setzteich mich zu ihm aufs Bett und sagte: Hre, lieber GrigriiAlexndrowitsch, gestehe selbst, da es nicht hbsch war.

    _Was_ nicht hbsch?

    -- Je nun, da Du die Bela entfhrt hast . . . Ach diese Bestie vonAsamat! . . . Nun, gestehe selbst, sagte ich zu ihm.

    Ja, wenn sie mir nun einmal gefllt?

    -- Nun bitte ich Sie, was sollte ich ihm hierauf antworten? Ich war ganzverdutzt. Indessen sagte ich ihm nach einem kurzen Schweigen, da, wenn ihrVater sie wieder fordern sollte, man doch genthigt sein wrde, sieherauszugeben.

    Ist durchaus nicht nthig.

    -- Ja, wenn er nun aber erfhrt, da sie hier ist?

    I, wie soll er denn das erfahren?

    Ich war abermals festgefahren. -- Hren Sie, Maksim Maksimitsch, begannPetschorin endlich, indem er sich erhob: Sie sind ein guter Mensch, --bedenken Sie selbst, da, wenn wir diesem Wilden seine Tochter wiedergeben,er sie entweder umbringt oder verkauft. Die Sache ist nun einmal geschehen,es kommt also blo darauf an, da wir sie nicht muthwillig selbstverderben; lassen Sie sie also bei mir und meinen Degen bei Ihnen . . .

    -- So zeigen Sie mir sie wenigstens, sagte ich.

    Sie ist hinter jener Thr; indessen habe ich mich heut selbst vergebensbemht, sie zu sehen; sie sitzt, in ihren Schleier gehllt, in einem Winkelund spricht nicht und rhrt sich nicht; sie ist scheu wie eine wilde Gemse.Ich habe unsere Marketenderin in Dienst genommen: die versteht tatarischund wird sie an den Gedanken gewhnen, da sie mein ist, denn sie sollNiemandem anders gehren als mir, fgte er hinzu, indem er mit der Faustauf den Tisch schlug. -- Ich lie ihn auch hierin gewhren . . . Was sollman machen? Sehen Sie, es giebt Leute, denen man durchaus ihren Willen thunmu.

    -- Hat er sie denn wirklich fragte ich Maksim Maksimitschen, so weitgebracht, oder verkam sie in der Gefangenschaft vor lauter Heimweh?

  • -- Ja warum denn vor Heimweh, ich bitte Sie um Alles. Aus der Festungkonnte man dieselben Berge sehen, wie aus ihrem Ale, -- na, und mehrbrauchen diese Wilden ja nicht. Dann beschenkte sie auch GrigoriiAlexandrowitsch jeden Tag mit etwas Neuem; die ersten zwei Tage wies siedie Geschenke stolz von sich, welche dann der Marketenderin zufielen undderen Beredsamkeit anregten. Ach, die Geschenke! Was thut ein Frauenzimmernicht alles fr einen bunten Lappen! . . . Doch das gehrt jetzt nichthierher! Grigorii Alexandrowitsch kmpfte lange mit ihr, lernte aberunterdessen tatarisch und auch sie fing an, unsere Sprache etwas zuverstehen. Nach und nach gewhnte sie sich an seinen Anblick, obschon sieihn anfnglich nur verstohlen unter den Augenbrauen hervor ansah, und sichimmer hrmte, und ihre Liedchen mit halber Stimme vor sich hin sang, so daes mir wohl auch manchmal recht weh um's Herz wurde, wenn ich sie imNebenzimmer hrte. Niemals werde ich eine Scene vergessen: Ich ging amFenster vorber und schaute hinein: Bela sa auf einem Schemel, mit demKpfchen auf die Brust gesenkt; Grigorii Alexandrowitsch stand vor ihr.Hre, meine Peri, sagte er, siehe, Du weit doch, da Du frh oder sptmein sein mut -- warum mich also so qulen? Vielleicht liebst Du irgendeinen Tschetschiner? Wenn dem so ist, so la ich Dich augenblicklich nachHause gehen. -- Sie fuhr kaum bemerkbar zusammen und schttelte mit demKopfe. -- Oder, fuhr er fort, bin ich Dir so durchaus verhat? -- Sieseufzte leise. Oder verbietet Dir Dein Glaube, mich zu lieben? -- Sieerblate und schwieg. -- Glaube mir, Allach ist fr alle Vlkerstmme einund derselbe, und wenn er mir gewhrt hat, Dich so innig zu lieben, warumsollte er Dir verbieten, mich mit Deiner Gegenliebe zu beglcken? -- Sieblickte ihm scharf in's Gesicht, wie von diesem netten Gedanken getroffen;in ihren Augen malte sich die Unglubigkeit und der Wunsch, sich zuberzeugen. Was fr Augen! Sie leuchteten wahrhaftig wie ein Paar Kohlen.

    -- O hre, se, theure Bela! fuhr Petschrin fort, Du siehst, wie liebich Dich habe; ich will alles fr Dich dahingeben, wenn ich Dich nurerheitern kann; ich mchte Dich so gern glcklich sehen, und wenn Du wiederso traurig sein wirst, werde ich sterben. Sage mir, da Du heiterer seinwillst? -- Sie versank in Nachdenken, ohne ihre schwarzen Augen von ihm zuwenden, lchelte dann milde und nickte bejahend mit dem Kopfe. Er ergriffihre Hand und suchte sie nun zu berreden, ihm einen Ku zu geben, siewehrte sich nur schwach, indem sie mehrmals sagte: Bitte, bitte, nichtnthig, nicht nthig. Er wurde immer zudringlicher; da fing sie an zuzittern und in Thrnen auszubrechen. Ich bin Deine Gefangene, sagte sie,Deine Sklavin; mithin kannst Du mich freilich zwingen, -- und wiederThrnen.

    Grigorii schlug sich mit der Faust vor die Stirn und sprang aus ihrem indas andere Zimmer. Ich begab mich zu ihm; er ging mit gefaltenen Hnden imZimmer finster auf und ab. Nun, mein Lieber? sagte ich zu ihm. -- EinDmon ist sie, aber kein Weib! erwiederte er; ich gebe Ihnen aber meinEhrenwort, da sie mein sein wird . . . Ich schttelte mit dem Kopfe.Wollen Sie pariren? sagte er, in einer Woche! -- Mit Vergngen! --Wir gaben uns die Hnde darauf und trennten uns.

    Am andern Tage sandte er sogleich einen Eilboten nach Kislar umverschiedene Einkufe zu machen; es dauerte nicht lange, so wurde einesolche Menge der verschiedenartigsten persischen Stoffe herbeigeschafft,da man sie nicht berzhlen konnte. -- Was meinen Sie, MaksimMaksimitsch! sagte er zu mir, indem er auf die Geschenke wies, wird wohldie asiatische Schnheit gegen eine solche Batterie Stand halten? --

    -- Sie kennen die Tscherkessinnen nicht, antwortete ich; die sind nicht wiedie Grusierinnen oder die kaukasischen Tatarinnen, durchaus nicht so. Diehaben ihre eigene Weise und sind anders erzogen. Grigorii Alexandrowitschlchelte und fing an einen Marsch zu pfeifen.

    -- Zuletzt zeigte es sich, da ich Recht gehabt hatte: die Geschenke hattennur theilweise gewirkt; sie war etwas freundlicher und zutraulicher

  • geworden -- das war aber auch alles, und so entschlo er sich denn zumletzten Mittel zu greifen. Eines Morgens lie er sein Pferd satteln, zogsich seine Tscherkessenkleider an, bewaffnete sich und ging zu ihr. Bela!sagte er: Du weit, wie lieb ich Dich habe. Ich hatte mich entschlossenDich zu entfhren, in der Hoffnung, da Du mich lieben wrdest, wenn Dumich erst kennen gelernt haben wrdest; ich habe mich geirrt: -- Lebe wohl!Ich berlasse Dir den vollen Besitz alles dessen, was mein ist; wenn Duwillst, kannst Du auch zu Deinem Vater zurckkehren -- Du bist frei. Ichbin in Deinen Augen schuldig und mu mich selbst bestrafen; lebe wohl; ichgehe -- wohin wei ich selbst nicht! hoffentlich werde ich den Kugeln undSbelhieben nicht lange entgehen, dann gedenke meiner und vergieb mir. --Er wandte sich von ihr ab und streckte ihr zum Abschiede die Hand entgegen.Sie nahm die Hand nicht und schwieg. Da ich hinter der Thre stand, sokonnte ich durch eine Spalte ihr Gesicht sehen, und wahrhaftig es ging mirnahe -- eine solche Todtenblsse berzog ihr liebliches Gesichtchen! Da erkeine Antwort vernahm, that Petschrin einige Schritte gegen die Thr; erzitterte -- und soll ich es Ihnen aufrichtig sagen? -- Ich bin berzeugt,er wre im Stande gewesen, das in vollem Ernste auszufhren, was erscherzweise gesagt hatte. Er war ein gar zu sonderbarer Mann, Gott wei!Kaum aber berhrte er die Thre, als sie auf ihn zusprang und sich ihmschluchzend an den Hals warf. Wollen Sie mir's glauben, da ich hintermeiner Thre auch weinte, das heit, wissen Sie, nicht als ob ich geweinthtte, sondern blo so -- aus Dummheit! . . .

    Der Stabskapitain hielt schweigend inne.

    -- Ja, ich gestehe Ihnen ganz offen, sagte er alsdann, seinen Schnurrbartstreichelnd, da es mir damals weh that, von keinem Weibe jemals so geliebtworden zu sein.

    Und war ihr Glck von Dauer? fragte ich.

    -- Ja wohl, und sie gestand uns, da seit dem Tage, an welchem siePetschrin gesehen hatte, er ihr oft im Traume erschienen wre, und danoch nie ein Mann solchen Eindruck auf sie gemacht htte. Ja, sie warenglcklich!

    Ach, wie Schade! rief ich unwillkhrlich aus. In der That hatte ich einetragische Entwickelung erwartet und sah mich nun so pltzlich in meinenHoffnungen getuscht! . . Ist es mglich, begann ich abermals, da derVater nicht errieth, da sie bei Ihnen in der Festung steckte?

    -- Ja, geahnt mag er es wohl haben; indessen erfuhren wir bereits nachwenigen Tagen, da man den Alten ermordet hatte. Das war nmlich sozugegangen . . .

    Meine Aufmerksamkeit wurde auf's Neue rege.

    -- Ich mu Ihnen erst sagen, da Kasbitsch sich einbildete, als habe ihmAsamat mit seines Vaters Einwilligung sein Pferd gestohlen, wenigstensdenke ich mir das so. Einstmals nun lauerte er ihm auf dem Wege auf,ungefhr drei Werst vor dem Ale; der Greis kehrte eben von denvergeblichen Nachsuchungen nach seiner Tochter heim; seine Usdnen(Lehnsleute) waren weit hinter ihm zurck, -- die Dmmerung war bereitseingebrochen -- er ritt, in Gedanken vertieft, langsam voran, als pltzlichKasbitsch wie eine Katze aus dem Gebsch hervortauchte, hinter ihn auf dasPferd sprang, mit einem Dolchstiche ihn zu Boden warf, die Zgel ergriff --und auf- und davon jagte! Einige der Usdnen hatten dies alles von einemHgelchen mit angesehen; sie warfen sich hinter ihm her, aber erreichtenihn nicht mehr.

    Er entschdigte sich fr den Verlust seines Pferdes und rchte sich,begann ich, um meinem Gefhrten seine Meinung darber zu entlocken.

  • -- Ja freilich, nach ihrer Art, erwiederte der Stabskapitain, war ervollkommen in seinem Rechte.

    Unwillkhrlich frappirte mich die Fhigkeit des Russen, sich den Gebruchenaller Vlker anzuschlieen, zwischen welche ihn der Zufall wirft; ich weinicht, ob diese Eigenschaft des Gemthes Lob oder Tadel verdient, indessenist sie ein Beweis fr seine unglaubliche Geschmeidigkeit und fr dasVorhandensein jenes gesunden Menschenverstandes, welcher das Bse berallentschuldigt, wo er dessen Unvermeidlichkeit oder die Unmglichkeit seinerVernichtung einsieht. --

    Unterdessen war der Thee ausgetrunken; die lngst angespannten Pferdestanden durchfroren auf dem Schnee; der Mond erbleichte im Westen und warbereit in seine schwarzen Wolken unterzutauchen, die auf den fernenBerggipfeln hingen, gleich den Fetzen eines zerrissenen Vorhanges. Wirtraten aus der Htte. Trotz der Vorhersagung meines Reisegenossen helltesich das Wetter auf, und versprach uns einen stillen Morgen. Die Reigen derSterne durchschlangen sich in wundersamen Gebilden am fernen Horizonte, undeiner nach dem andern erlosch in demselben Mae, als der blasse Schimmerdes Ostens sich ber das dunkelviolette Himmelsgewlbe ergo, und allmligdie steilen, mit jungfrulichem Schnee bedeckten Bergabhnge beleuchtete.Rechts und links dunkelten schwarze geheimnivolle Abgrnde, und Nebel, diesich gleich Schlangen zusammenknulten und loswanden, krochen ber dieRunzeln der benachbarten Felsen, als ob sie die Annherung des Tagesfhlten und scheuten.

    Still war alles am Himmel und auf der Erde, wie im Herzen des Menschenwhrend des Morgengebets; nur dann und wann kam von Osten her ein khlerWind, der die mit Reif bedeckten Mhnen der Pferde aufwehte. -- Wir machtenuns auf den Weg; mit Mhe schleppten fnf schlechte Mhren unser Fuhrwerkauf der gewundenen Strae den Gudberg hinan; wir gingen zu Fu hinterdrein,und legten Steine unter die Rder, so oft die Pferde erschpft anhielten;es schien als fhrte der Weg in den Himmel, denn so weit das Auge sehenkonnte, ging er immer aufwrts, und verlor sich zuletzt in einer Wolke,welche schon seit vorigem Abend auf dem Gipfel des Gudbergs ausruhte, einemGeier gleich, der auf Beute wartet; der Schnee krachte unter unsern Fen;die Luft wurde so dnn, da das Athemholen schmerzte; das Blut strmteheftig zum Kopf, aber trotz alledem ergo sich ein gewisses trstlichesGefhl durch alle meine Adern, und es machte mir ein besonderes Vergngenso hoch ber der Welt zu sein -- ein kindisches Gefhl, ich will's nichtlugnen; aber wenn wir uns einmal von dem Zwange der Gesellschaft entfernenund der Natur nhern, so werden wir unwillkhrlich wieder Kinder: allesblo Angeeignete fllt von der Seele, und sie gestaltet sich auf's Neue so,wie sie einst gewesen und wahrscheinlich dereinst wieder werden wird. Der,dem es wie mir beschieden war, ber die Bergeseinden hinzuschweifen, undlange, lange sie in ihren wunderlichen Bildungen zu betrachten, und gierigdie belebende Luft einzuathmen, die durch ihre Klfte ausgegossen ist, --der wird meinen Wunsch verstehen, solche zauberhafte Bilder zu berliefern,zu erzhlen, hinzuzeichnen. Endlich waren wir nun den Gudberg hinaufgestiegen, hielten an, und sahen uns um: eine blaue Wolke hing auf ihm,deren kalter Hauch einen nahen Sturm drohte; aber im Osten war alles sohell und golden, da wir, das heit ich und der Stabskapitain, desdrohenden Sturmes ganz vergaen . . . Ja, auch der Stabskapitain, denn: ineinfachen Herzen ist das Gefhl der Schnheit und Erhabenheit der Naturhundertmal strker und lebhafter, als in uns, die wir uns an Worten und aufdem Papiere begeistern.

    Sie sind, denk' ich, an diese erhabenen Gemlde schon ganz gewhnt? sagteich zu ihm.

    -- Freilich, sogar an das Pfeifen der Kugeln kann man sich gewhnen, dasheit, sich gewhnen das unwillkhrliche Schlagen des Herzens zu verbergen.

    Ich hrte, im Gegentheil, da fr manche alte Kriegsleute diese Musik

  • sogar angenehm sei.

    -- Versteht sich; wenn Sie wollen, ist sie auch angenehm; indessen nurdarum, da das Herz strker schlgt. Sehen Sie, fgte er hinzu, indem ernach Osten zeigte: Was fr eine Gegend!

    Und gewi, ein solches Panorama wird mir schwerlich noch irgend wiederdargeboten werden: unter uns lag das Koischaurskische Thal, vom Aragwa undeinem andern Flusse wie von zwei silbernen Fden durchschnitten; einblulicher Nebel glitt darber hin, vor den warmen Strahlen des Morgens indie nahen Klfte fliehend: rechts und links durchschnitten sich und dehntensich verschiedene Bergkmme aus, der eine immer hher als der andere,smmtlich mit Schnee und Gestruch bedeckt; in der Ferne immer wiederBerge, aber auch nicht zwei Felsen, die einander hnlich gesehen htten, --und all' diese Schneemassen glhten von rthlichem Glanze so munter undhell, da man hier lebenslang htte verweilen mgen; die Sonne blickte nureben hinter dem dunkelblauen Berge hervor, den ungewohnte Augen kaum vondem drohenden Gewlk unterscheiden konnten; auf der Sonne aber lag einblutiger Streif, welchem mein Gefhrte besondere Aufmerksamkeit widmete.Ich sage Ihnen, rief er aus, da nun ein Unwetter kommen wird; wirmssen uns tummeln, oder es wird uns auf dem Kreuzberge berfallen. RhrtEuch! rief er den Fuhrleuten zu.

    Sie hingen anstatt der Hemmschuhe Ketten unter die Rder, damit diese nichthinunter rollten, faten die Pferde bei den Zgeln und fingen an, sich inBewegung zu setzen. Rechts erhob sich ein Fels, links ghnte ein solcherAbgrund, da ein ganzes Drfchen von Osseten, die in dessen Tiefe wohnten,einem Schwalbenneste nicht unhnlich schien; ich schauderte, wenn ichbedachte, da oft in tiefer Nacht so mancher Courier diesen Weg, wo zweiWagen einander nicht ausweichen knnen, wohl zehnmal des Jahres passirt,ohne von seinem rttelnden, offenen Wagen hinabzugleiten. Einer unsererPostillone war ein russischer Bauer aus Jaroslaw, der andere ein Ossete.Der Ossete fhrte das Hauptpferd mit aller nur mglichen Vorsicht am Zgel,nachdem er die Vorderpferde bei Zeiten abgespannt hatte, -- unser sorgloserRusse hingegen stieg nicht einmal von seinem Sitzbrett herab! Als ich ihmbemerkte da er, wenn auch nur zum Besten meines Koffers, es sich doch einBischen weniger bequem machen knnte, weil ich nicht Lust htte, hinterdiesem drein in den Abgrund zu klettern, antwortete er mir: I, Herr! MitGottes Hlfe fahren wir nicht schlechter wie die da! sind wir doch nichtzum erstenmal dabei! -- und er hatte Recht; wir htten nun freilich auch_nicht_ ankommen knnen, allein, wir kamen doch an, und wenn die Leute nurbesser nachdenken wollten, so wrden sie sich berzeugen, da das Lebennicht werth ist, sich soviel Sorge darber zu machen.

    Aber vielleicht wnschen meine Leser das Ende von Bela's Geschichte zuerfahren? --

    Erstens schreibe ich keine Novelle, sondern Reisenotizen: folglich kann ichauch den Stabskapitain nicht eher erzhlen lassen, als er in der That zuerzhlen anfing. Also warten Sie ein Bischen, oder, wenn Sie wollen,berschlagen Sie einige Seiten, wozu ich Ihnen freilich nicht rathe, weildie Reise ber den Kreuzberg (oder wie ihn der gelehrte Gamba nennt, leMont de St. Christophe) Ihrer Neugierde gewi werth ist. -- Also, wirstiegen vom Gudberg in das Teufelsthal (Tschrtowa-Dolina) . . . Was frein romantischer Name! Sie sehen schon das Nest des bsen Geistes zwischenden unzugnglichen Felsen hngen?! -- mit nichten: der NameTschrtowa-Dolina kommt von dem Worte Tschert (die Grenze) her undnicht von Tschort [der Teufel],[A] denn hier war einstmals die GrenzeGrusiens. Dies Thal nun war von Schneehaufen zugeschneit, die ziemlichlebhaft an Saratoff, Tamboff und andere _liebliche_ Orte unseresVaterlandes erinnerten.

    Da ist der Kreuzberg! sagte der Stabskapitain zu mir, als wir in dieTschrtowa-Dolina gefahren waren, indem er auf eine Anhhe wies, die mit

  • einem Schneegewande bekleidet war; auf seiner Hhe erhob sich ein schwarzessteinernes Kreuz, an welchem ein kaum sichtbarer Weg vorberfhrte, den mannur passirt, wenn der Seitenweg vom Schnee verschttet ist. UnserePostillone versicherten uns, es wren noch keine Lawinen gefallen undfhrten uns, um die Pferde zu schonen, den gewundenen Seitenweg. An einerWendung des Weges stieen wir auf fnf Osseten, die uns ihre Diensteanboten, sich in die Rder warfen und mit vielem Geschrei unsere Wagen baldhemmten, bald vorwrts stieen. Der Weg war in der That sehr gefhrlich;rechts hingen ber unsern Huptern ungeheure Schneemassen, bereit, sich aufden ersten Windsto in die Schlucht hinabzureien; der enge Weg selbst warzum Theil mit Schnee bedeckt, der an einigen Stellen unter unseren Feneinbrach, an andern von den Sonnenstrahlen und dem wiederkehrendenNachtfroste in Eis verwandelt worden war, so da es uns sogar schwer wurdedarber hinwegzukommen. Die Pferde strzten fortwhrend; -- links glnzteeine tiefe Felsenspalte, aus welcher ein Sturzbach hervorstrzte, bald sichunter einer Eisrinde verbergend, bald schumend ber die schwarzen Felsendahin hpfend. In zwei vollen Stunden konnten wir kaum den Kreuzbergherumkommen, -- zwei Werst in zwei Stunden! Unterdessen hatten sich dieWolken gesenkt, es fiel Hagel und Schnee; der Wind, der aus der Schluchthervordrang, heulte und pfiff wie der Ruber Nachtigall, von dem die Sagegeht, seine Pfeife sei von einem Ende Rulands bis zum andern vernehmbargewesen, und bald war das Kreuz von Nebelwolken verdeckt, deren Wogen, dieeine immer dichter und undurchdringlicher als die andere, von Ostenherbeieilten . . . .

    [Funote A: Der erste Vocal dieser beiden Wrter wird, wenigstens vomgemeinen Volke, gleichmig o ausgesprochen.]

    Ueber dieses Kreuz existirt die seltsame doch allgemeine Sage, als habe esPeter der Groe auf seiner Reise durch den Kaukasus errichten lassen; zumErsten aber war Peter nur in Dagestan gewesen, und zum Zweiten war mitgroen Buchstaben auf das Kreuz geschrieben, da es auf Befehl des GrafenJermloff errichtet wurde und zwar im Jahre 1824. Allein die Sage hat sichtrotz dieser Inschrift dermaen eingewurzelt, da man wirklich nicht wei,wem man Glauben schenken soll, um so mehr als wir nicht gewohnt sind denInschriften zu trauen.

    Wir hatten noch ungefhr fnf Werst auf den bereisten Felsen und demmorastigen Schnee zurckzulegen, bevor wir die Station Kobi erreichenkonnten. Unsere Pferde waren erschpft, wir vor Klte erstarrt; dasSchneegestber tobte wilder und wilder; ganz wie unsere nordischeWindsbraut, nur da ihr wildes Geheul trauriger, schwermthiger war. AuchDu, arme Verbannte, dachte ich bei mir selbst, weinst um Deine weiten,offenen Steppen! Dort konntest Du Deine kalten Flgel entfalten; hier aberist es Dir beklommen und eng, wie dem Adler, der mit Schrei gegen daseiserne Gitter seines Kfichs anfliegt.

    -- Das steht schlimm mit uns! sagte der Stabskapitain. Schauen Sie nur,rundum nichts zu sehen als Nebel und Schnee; wir knnen uns nur gewrtigen,da wir in einen Abgrund strzen oder in den Schneemassen stecken bleiben,und dort unten, wahrhaftig, hat sich der Baidar so ausgebreitet, da wirnicht drberweg kommen werden. Ach, dies abscheuliche Asien! Wie dieMenschen so sind auch die Flchen, man kann sich nie auf sie verlassen! --Die Fhrer trieben mit Geschrei und Schelten die Pferde an, die sichgegenstemmten, schnaubten und nicht vom Flecke wollten trotz derBeredsamkeit der Knuten.

    Ew. Gnaden, sagte endlich einer derselben, sehn Sie mal, nach Kobikommen wir heute doch nicht; befehlen Sie nicht vielleicht, da manwenigstens dort links einbiege? Sehen Sie wohl, da, am Abhange, starrtetwas empor, wahrscheinlich ein Felsen: nun, da halten die Reisendengewhnlich zur Zeit eines Unwetters; die Osseten meinen, da wenn Sie einTrinkgeld gben, sie uns hinschaffen wollten.

  • -- Ich wei, mein Lieber, wei es ohne Dich! sagte der Stabskapitain. DieseBestien sind bereit sich in Stcke zu zerreien, wenn sie einem nur einTrinkgeld abnthigen knnen.

    Indessen gestehen Sie selbst, meinte ich, da es uns jetzt ohne sieschlecht ergehen wrde.

    -- 'S ist alles eins; 'S ist alles eins! brummte er vor sich hin. Das sindmir die rechten Fhrer! Sie wittern es, wo sie eine Gelegenheit benutzenknnen. Als ob man ohne sie den Weg nicht finden knnte! . . .

    So wandten wir uns denn links und erreichten mit vieler Noth ein armseligesObdach, aus zwei Sakljen bestehend, die aus Fliesen und Kieselsteinenzusammengemauert waren und um die sich eine eben solche Schutzmauer zog.Die zerlumpten Wirthsleute empfingen uns freundlich. Spter erfuhr ich, dasie von der Regierung bezahlt und ernhrt werden unter der Bedingung, dasie die vom Sturm berfallenen Reisenden aufnehmen.

    Es hat doch alles sein Gutes! sagte ich, mich an's Feuer niedersetzend.Jetzt erzhlen Sie mir Ihre Geschichte von der Bela aus; ich binberzeugt, damit war die Sache noch nicht abgemacht.

    -- Und weshalb sind Sie so berzeugt davon? entgegnete mir derStabskapitain, indem er mich mit einem listigen Lcheln anblinzelte.

    Deshalb, weil es nicht in der Ordnung der Dinge liegt; was auf eineungewhnliche Weise anfing, mu auch ebenso wieder endigen.

    -- Sie haben's getroffen.

    Sehr erfreut.

    -- Sie haben sich gut freuen, mir aber ist es wahrlich sehr traurig zuMuthe, wenn ich dran denke. Es war doch ein herrliches Mdchen, die Bela!Ich gewhnte mich zuletzt so an sie wie an eine Tochter, und sie liebtemich. Ich mu Ihnen nmlich sagen, da ich keine Familie habe; von meinenEltern habe ich seit zwlf Jahren bereits keine Nachricht mehr, und ichhabe nicht frh genug daran gedacht mich mit einer Frau zu versorgen -- na,und jetzt will sich das nicht mehr recht schicken; so war ich denn froh daich irgend wen verzrteln konnte. Da sang sie uns denn so manches Liedchenoder tanzte einen lesghinischen Tanz . . . Ach, und wie sie tanzte! Ichhabe doch auch unsere Frulein aus der Provinz tanzen sehen und war sogareinmal in Moskau in der Adligen-Ressource; es wird wohl an die zwanzigJahre her sein, -- ja, wo denken Sie hin! Durchaus nicht das! . . .Grigorii Alexandrowitsch putzte sie aus wie ein Pppchen und htschelte sieund pflegte sie, und sie gewann so bei uns, da es eine wahre Pracht war!Die Sommersprossen vergingen aus Gesicht und Hnden, auf ihren Wangenglhte der reine Purpur . . . und sie war so aufgelegt, und machte sich,der Schalk, immer ber mich so lustig . . . Gott sei ihr gndig! . . .

    Was sagte sie, als man ihr den Tod ihres Vaters anzeigte?

    -- Wir verhehlten es ihr lange, bis sie sich ganz an ihre Lage gewhnthatte; als wir es ihr endlich mittheilten, weinte sie ein paar Tage unddann war alles vergessen.

    -- Vier Monate lang ging alles nach Herzenswunsch. Ich glaube Ihnen schongesagt zu haben, da Grigorii Alexandrowitsch leidenschaftlich die Jagdliebte; frher hatte es ihn denn oft in den Wald auf die Spur der Eber undwilden Bcke getrieben, jetzt aber kam er selten ber den Festungswallhinaus. -- Auf einmal sehe ich denn, wie er wieder nachdenklich wird undmit auf dem Rcken gefalteten Hnden im Zimmer auf- und abspaziert; dann,ohne Jemandem etwas davon zu sagen, ging er prschen, -- der ganze Morgenverstrich damit. Das war einmal so, dann das andere Mal, dann immer

  • hufiger und hufiger. Das ist kein gutes Zeichen, dachte ich, zwischenihnen mu wohl die schwarze Katze vorbeigesprungen sein!

    -- Eines Morgens ging ich auch zu ihnen -- es ist mir, als ob sie noch vormeinen Augen stnde: Bela sa auf dem Bette in einem schwarzseidenenBeschmete, und war so bla und so traurig, da ich zusammenfuhr.

    -- Wo ist Petschorin, fragte ich.

    Auf der Jagd.

    -- Ging er heute aus? -- Sie schwieg, als ob es ihr peinlich gewesen wre,es zu sagen.

    Nein, gestern schon, begann sie endlich, tief aufseufzend.

    -- Es wird ihm doch nichts begegnet sein?

    Ich habe gestern den ganzen Tag gedacht und gedacht, erwiederte sie unterThrnen, und habe mir mancherlei Unglck vorgestellt; bald schien es mir,als habe ein wilder Eber ihn verwundet, bald als htte ein Tschetschinerihn in die Berge geschleppt . . . Aber heute dnkt es mich als habe er michnicht mehr lieb.

    -- Nun wahrhaftig, Liebchen, etwas Schlimmeres httest Du auch nichtausdenken knnen! -- Sie fing an zu weinen und erhob endlich mit stolzerWrde ihr Haupt, wischte die Thrnen ab und fuhr fort:

    Wenn er mich nicht mehr liebt, wer hindert ihm denn mich nach Hausezurckzuschicken? Ich zwinge ihn zu nichts. Wenn das aber so fortgeht, sowerde ich von selbst mich entfernen; ich bin keine Sklavin, ich bin einesFrsten Tochter! . . .

    -- Ich bemhte mich sie zu beruhigen. -- Hre, Bela, siehe, er kann dochnicht immer hier sitzen, als ob er an Deinen Unterrock genht wre: er istein junger Mann, der es liebt, dem Wilde nachzustellen, -- und der da kommtund geht; wenn Du aber so melancholisch sein willst, dann wird er Deinererst recht berdrssig.

    Wahr, wahr, antwortete sie, ich werde heiter sein! -- Und mit lautemLachen griff sie nach ihrem Tamburine, fing an zu singen und zu tanzen undum mich herum zu springen; allein es dauerte nicht lange und sie fielwieder auf ihr Bett und bedeckte ihr Gesicht mit den Hnden.

    -- Was sollte ich mit ihr anfangen? Sie mssen wissen, ich habe mit Damennie Umgang gehabt; ich sann und sann, wie ich sie trsten knnte und sanndoch nichts aus; so schwiegen wir denn alle Beide eine Weile . . . Eineunausstehliche Position! . . .

    -- Endlich sagte ich zu ihr: Willst Du, so gehen wir ein wenig auf demWalle? Das Wetter ist schn! -- Es war im September, und wahrhaftig einwunderschner, heller, nicht zu heier Tag; man konnte die Berge allesehen, als ob sie auf Porzelan gemalt gewesen wren. Wir gingen, undspazierten schweigend auf dem Festungswalle auf und ab. Sie setzte sichendlich auf den Rasen nieder und ich setzte mich neben sie. Wahrhaftig, eskommt mir jetzt recht lcherlich vor, ich lief hinter ihr drein, wie eineWrterin.

    -- Unsere Festung stand auf einem erhabenen Orte und bot eine schneAussicht dar; von der einen Seite lief eine weite Ebene, von Schluchtendurchschnitten, auf einen Wald aus, der sich bis auf den Rcken der Bergehinaufzog; hier und da tauchten die Aule, tauchten die Herden auf; von derandern Seite flo ein kleiner Flu eilig dahin, der das dichte Gestruchbesplte, welches die steinigten Hgel bedeckt, die sich endlich der

  • Hauptkette des Kaukasus anschlieen. Wir saen an einer Ecke der Bastion,so, da wir von beiden Seiten alles berschauen konnten. Auf einmal seheich, wie Jemand auf einem grauen Pferde aus dem Walde immer nher und nherherangeritten kommt, und endlich auf der andern Seite des Flchens ineiner Entfernung von ungefhr 700 Fu von uns stehen blieb und sein Pferdnach allen Seiten herumwarf. Was zum Henker ist das? sagte ich, sieh'doch 'nmal hin, Bela, Du hast bessere Augen als ich, was das fr einDschigit ist und zu wessen Belustigung der gekommen sein mag.

    -- Sie blickte hin und schrie auf: Das ist Kasbitsch!

    -- Der verdammte Kerl! Ist er gekommen um uns zu verhhnen? -- Ich schaueebenfalls hin -- wahrhaftig es ist Kasbitsch, sein schwarzbraunes Gesicht,und zerrissen und zerlumpt und schmierig wie immer. -- Das ist meinesVaters Pferd, sagte Bela, indem sie mich bei der Hand fate; sie zittertewie ein Blatt, ihre Augen funkelten. Schau, schau! dachte ich bei mirselbst: auch in Dir, mein Seelchen, schweigt das Ruberblut nicht!

    -- Komm' mal hierher, sagte ich zur Schildwache, sieh nach Deinem Gewehrund schie mir 'nmal diesen Burschen da herunter -- bekommst einenSilberrubel. -- Zu befehlen Eure hohe Gnaden: er steht nur nicht ganzstill . . . So befiehl es ihm! sagte ich lchelnd . . .

    -- Heda! Gutfreund! schrie ihm der Soldat zu, indem er ihm mit den Armenwinkte: warte doch einmal ein Bischen, was drehst Du Dich denn da wie einKreisel herum? -- Kasbitsch blieb wirklich stehen und hrte zu;wahrscheinlich glaubte er, da man mit ihm in Unterhandlungen treten wolle,-- da kam er gerade recht! . . .

    -- Mein Grenadier legt an . . . Batz! . . . vorbei; -- das Pulver war nurvon der Pfanne abgebrannt; Kasbitsch spornte sein Pferd da es einenSeitensprung that. Dann hob er sich in den Steigbgeln in die Hhe, schrieetwas in seiner Sprache, drohte mit der Nagaika[A] -- und weg war er!

    -- Schmst Du Dich denn nicht! sagte ich zur Schildwache. --

    Ew. hohe Gnaden! Er wird dem Tode doch nicht entgehen, entgegnete dieser,dieses verdammte Volk kriegt man mit Einem Male nicht todt.

    -- Nach einer Viertelstunde kehrte Petschorin von der Jagd zurck; Belawarf sich ihm um den Hals und uerte keine Klage, keinen Vorwurf berseine lange Abwesenheit . . . Dagegen war ich recht bse auf ihn. Nun bitteich Sie, -- sagte ich -- da war Kasbitsch so eben am andern Ufer desFlchens und wir haben auf ihn geschossen; wie leicht htten Sie auf ihnstoen knnen? Diese Gorzen sind ein racheschtiges Volk; glauben Sie etwa,da er nicht lngst errathen habe, da Sie dem Asamat behlflich waren? Undich will wetten, da er Bela heute erkannt hat. Ich wei, da sie ihm voreinem Jahre schrecklich gefiel -- er hat es mir selbst gesagt -- und wenner htte hoffen knnen, eine anstndige Morgengabe zusammenzubringen, sohtte er wahrhaftig auch um sie angehalten . . . -- Hierbei verfielPetschorin in Gedanken.

    Ja, antwortete er; wir mssen vorsichtiger sein . . . Bela! von heute andarfst Du nicht mehr auf dem Festungswalle spazieren gehen.

    [Funote A: Eine Art Reiterpeitsche.]

    Desselbigen Abends hatte ich eine lange Auseinandersetzung mit ihm; es thatmir weh, da er sich gegen das arme Mdchen so verndert hatte; dennauerdem da er den halben Tag auf der Jagd lag, so war sein ganzesBetragen gegen sie kalt, er liebkoste sie selten und sie fing an zusehendsabzumagern, ihr Gesichtchen wurde lnger, ihre groen Augen umwlkt. Wieoft fragte ich sie nicht: Warum seufzest Du, Bela? Bist Du traurig? Nein!Trgst Du nach etwas Verlangen? Nein! Sehnst Du Dich nach Deinen

  • Angehrigen? Ich habe keine Angehrigen. -- Ganze Tage lang konnte manauer Ja und Nein nichts aus ihr herausbringen. -- Nun, dies Allessagte ich ihm denn. Hren Sie mich an, Maksim Maksimitsch, erwiederte er:ich habe einen unglckseligen Charakter; hat mich die Erziehung sogemacht, hat Gott mich so erschaffen, ich wei es nicht; ich wei nur, dawenn ich die Ursache von anderer Leute Unglck bin, ich selbst mich nichtminder unglcklich fhle. Natrlich ist ihnen dies ein schlechter Trost --es handelt sich hier auch nur darum, da Dem so ist. Von meiner erstenJugend an, sobald ich nur der elterlichen Bevormundung entrckt war, gabich mich leidenschaftlich allen Genssen hin, die man fr Geld nur erlangenkann, und natrlich ekelten mich diese Gensse bald an. Dann betrat ich diegroe Welt, und auch die Gesellschaft langweilte mich bald; ich verliebtemich in die Schnen der groen Welt und wurde wieder geliebt, -- alleinihre Liebe reizte nur meine Einbildungskraft und Eigenliebe, das Herz gingleer dabei aus . . . So fing ich an zu lesen, zu studiren -- auch dieWissenschaften wurden mir langweilig; ich sah, da weder der Ruhm noch dasGlck irgendwie an sie gefesselt sind, denn die glcklichsten Menschen sind-- die Unwissenden, und der Ruhm -- ein Glcksfall, zu dessen Erreichungman nur gewandt zu sein braucht. So wurde mir Alles zum Ekel . . . Balddarauf wurde ich nach dem Kaukasus versetzt: das war die glckseligste Zeitmeines Lebens. Ich hoffte, da die Langeweile unter den Kugeln derTschetschiner nicht wohnen wrde -- vergebens; nach einem Monate war ich soan ihr Sausen und an die Nhe des Todes gewhnt, da ich wahrlich dem Flugeeiner Mcke mehr Aufmerksamkeit zuwandte, -- und da wurde mir noch der zuMuthe als je zuvor, denn ich verlor fast die letzte Hoffnung. Als ich Belain meinem Hause sah, als ich sie zum ersten Male auf meinen Knieen hieltund ihre schwarzen Locken kte, da glaubte ich Thor, da sie ein Engelsei, den mir das mitfhlende Schicksal zugesandt habe . . . Ich irrte michabermals: Die Liebe einer Wilden ist nicht viel besser als die einervornehmen Dame; die Unwissenheit und Herzenseinfalt der Einen ist eben solangweilig wie die Koketterie der Andern. Wenn Sie wollen, so liebe ich sienoch; ich bin ihr dankbar fr einige recht se Augenblicke und bereit meinLeben fr sie hinzugeben, -- aber ich langweile mich mit ihr . . . Bin ichein Thor oder ein Bsewicht, ich wei es nicht; das aber ist gewi, da ichdes Mitleids eben so wrdig bin, vielleicht noch mehr als sie; meine Seeleist von der Welt verdorben worden; meine Einbildungskraft eine unstte,mein Herz unersttlich; mir ist alles zu wenig; an den Kummer gewhne ichmich so leicht, wie an den Genu, und so wird mein Leben von Tag zu Tageleerer; mir bleibt nur _ein_ Mittel brig: zu reisen. Sobald es nur angehenwird reise ich ab, -- nur nicht nach Europa, Gott behte! -- Ich gehe nachAmerika, Arabien, Indien! -- Vielleicht trifft mich unterwegs der Tod!Wenigstens bin ich berzeugt, da dieser letzte Trost, mit Hlfe der Strmeund der schlechten Wege, nicht allzulange wird auf sich warten lassen! --

    -- So sprach er noch lange und seine Worte gruben sich mir tief in'sGedchtni, denn es war zum ersten Mal, da ich einen 25jhrigen Menschenalso sprechen hrte, und, gebe es Gott, zum letzten Male! -- Wie seltsam!Sagen Sie selbst, -- fuhr der Stabskapitain fort, indem er sich an michwandte, -- Sie waren, wie es scheint, auch in der Residenz, und nochunlngst; sind denn wirklich die dortigen jungen Leute alle so?

    Ich entgegnete ihm, da es viele Leute gbe, die ebenso redeten und daunter ihnen wahrscheinlich auch solche wren, welche die Wahrheit sprchen;da brigens der Lebensberdru, wie alle Moden, aus den hheren Schichtender Gesellschaft in die niederen bergegangen sei, die ihn nun abtragen,und da in diesem Augenblicke diejenigen, welche sich am meisten undwahrhaft langweilen, sich bemhen dies Unglck wie ein Laster zu verbergen.-- Der Stabskapitain begriff diese Feinheiten nicht, schttelte mit demKopfe und lchelte schlau:

    -- Nicht wahr, die Franzosen haben die Mode der langen Weile aufgebracht?

    Nein, die Englnder.

  • -- Aha, sehen Sie wohl! . . . erwiederte er, -- das kommt daher, da sieimmer erklrte Trunkenbolde waren!

    Ich erinnerte mich unwillkhrlich einer Moskauer Dame, welche behauptete,da Byron nichts weiter als ein Trunkenbold gewesen sei. Uebrigens war dieBemerkung des Stabskapitains leichter zu entschuldigen: um sich des Weineszu enthalten, gab er sich natrlich Mhe sich zu berreden, da alleUnglcksflle in der Welt nur vom Trunke herrhren. --

    Mittlerweile fhrte er seine Erzhlung folgendermaen weiter:

    -- Kasbitsch lie sich nicht mehr sehen. Indessen wei ich nicht wie eskam, da ich den Gedanken nicht loswerden konnte, als sei er nicht umsonstgekommen und da er etwas Bses im Schilde fhre.

    -- Einstmals berredet mich Petschorin mit ihm auf die Wildschweinsjagd zugehen; ich weigerte mich lange; was lag mir auch an einem solchen wildenSchweine! Indessen schleppte er mich zuletzt doch mit fort. --

    -- Wir nahmen fnf Mann mit und zogen des Morgens frh hinaus. Bis zehn Uhrstrichen wir durch Schilf und Wald umher -- nirgends Wild! Ei was, gehenwir nicht lieber nach Hause zurck? sagte ich. Warum nun gerade daraufbestehen? Es ist klar, da wir heute keinen glcklichen Tag haben! AlleinGrigorii Alexandrowitsch wollte trotz der Sonnenhitze und unserer Ermattungnicht ohne Beute heimkehren . . . So war er nun einmal: was er sich in denKopf gesetzt hatte, das mute er haben; offenbar war er in seinenKinderjahren ein recht verzogenes Muttershnchen gewesen . . . Endlich,gegen Mittag, stieen wir auf einen solchen verwnschten Eber. -- Paff!Paff! verfehlt -- weg war er im Schilfe . . . es war einmal einunglcklicher Tag! So ruhten wir uns denn ein wenig aus und begaben uns aufden Rckweg. --

    Wir ritten neben einander, schweigend, mit losgelassenen Zgeln und warenbereits hart an der Festung, blo da das Gebsch sie uns noch verbarg.Pltzlich ein Schu . . . Wir blickten einander an, derselbe Verdachtdurchzuckte uns . . . Unverzglich sprengen wir nach der Richtung desSchusses, -- wir sehen: auf dem Walle hatte sich ein Haufe Soldatenversammelt, die auf das Feld hinwiesen, auf welchem ein Reiter in vollemCarriere dahinsprengte, etwas Weies vor sich auf dem Sattel haltend.Grigorii Alexandrowitsch schrie nicht schlechter auf als irgend einTschetschiner; das Gewehr aus dem Futterale -- und dahin; ich ihm nach.

    Zum Glcke waren unsere Pferde in Folge der unglcklichen Jagd nichtabgemattet; sie rissen sich unter dem Sattel dahin und wir kamen mit jedemAugenblicke nher und nher . . . und endlich erkannte ich den Kasbitsch,nur konnte ich nicht recht unterscheiden, was er da vor sich hielt. Ichhatte Petschorin gerade eingeholt und schrie ihm zu: Es ist Kasbitsch! Erblickte mich an, nickte mit dem Kopfe und schlug sein Pferd mit derPeitsche.

    -- Endlich hatten wir uns ihm auf Bchsenschuweite genhert; war nun seinPferd bereits abgeqult, oder war es schlechter als die unsrigen, genug, eswollte nicht mehr recht vorwrts. Ich glaube, da er sich in dieser Minuteseines Karags erinnerte.

    -- Ich sehe, da Petschorin im Galopp sein Gewehr anlegt! Schieen Sienicht! schrie ich ihm zu: bewahren Sie den Schu, wir holen ihn auch soein. -- So ist aber die Jugend! immer entbrennt sie zur Unzeit . . . . DerSchu ging doch los und die Kugel zerschmetterte ein Hinterbein desPferdes; dieses machte in der Wuth des Schmerzes noch ein Stcker zehnSprnge, stolperte dann und fiel auf ein Knie. Kasbitsch sprang herunter,und dann sahen wir, da er in seinen Armen ein Frauenzimmer hielt, das ineinen Schleier gehllt war . . . Es war Bela . . . Die arme Bela! . . . Errief uns etwas in seiner Sprache zu und zckte den Dolch auf sie . . . Da

  • galt kein Zgern: ich scho nun auf gut Glck mein Gewehr ab; die Kugel magihm wohl in die Schulter gegangen sein, denn er lie sogleich den Armsinken . . . Als der Dampf sich verzogen hatte, lag auf dem Boden dasverwundete Pferd und neben ihm Bela; Kasbitsch aber, der sein Gewehrweggeworfen hatte, kletterte wie eine Katze an den Gebschen den Felsenentlang: ich htte ihn gern da weggeblasen -- allein es fehlte an einemfertigen Schusse! Wir sprangen von den Pferden und eilten zu Bela heran.Die Arme, sie lag unbeweglich und das Blut flo stromweis aus einer Wunde. . . So ein Bsewicht: htte er ihr noch wenigstens in's Herz gestoen, --nun, wenn es einmal sein sollte, so wre es doch mit Einem Male mit ihrausgewesen, aber so in den Rcken . . . ein rechter Rubersto! Sie warohne Bewutsein. Wir rissen den Schleier ab und verbanden die Wunde so festwir konnten; vergebens kte Petschorin ihre kalten Lippen -- nichts konntesie zu sich bringen.

    -- Petschorin stieg zu Pferde; ich hob sie von der Erde empor und setztesie so gut es gehen wollte zu ihm auf den Sattel; er umfate sie mit einemArme, und wir kehrten zurck. Nach einem minutenlangen Schweigen sagteGrigorii Alexandrowitsch zu mir: Hren Sie, Maksim Maksimitsch, auf dieseWeise bringen wir sie nicht lebendig nach Hause. -- Das ist auch wahr!sagte ich, und wir jagten was die Pferde nur laufen konnten. An demFestungsthore erwartete uns eine Menge Volkes; wir trugen nun dieVerwundete vorsichtig zu Petschorin und schickten nach dem Doktor. Ob ergleich betrunken war, so kam er doch, besichtigte die Wunde und erklrte,da sie lnger als einen Tag nicht leben knne . . . er irrte sich aber. . .

    So wurde sie wieder hergestellt? fragte ich den Stabskapitain, indem ichihn am Arme fate und mich unwillkhrlich freute.

    -- Nein, antwortete er; der Doktor irrte sich nur insofern, als sie nochzwei Tage lebte.

    So erklren Sie mit nur, auf welche Weise Kasbitsch sich ihrer bemchtigthatte.

    -- Das war so zugegangen: trotz Petschorins Verbotes war sie aus derFestung nach dem Flchen gegangen. Es war auch, wissen Sie, sehr hei; siehatte sich auf einen Stein gesetzt und die Fe ins Wasser gehalten. Da kamKasbitsch herangeschlichen, -- schlug seine Krallen in sie, hielt ihr denMund zu und schleppte sie in das Dickicht, woselbst er auf sein Pferdsprang und Reiaus nahm! Unterdessen hatte sie doch zu schreien vermocht;die Wachen machten Lrm, schossen, verfehlten ihn aber -- und so waren wirdenn dazu gekommen.

    Ja, warum wollte Kasbitsch sie denn eigentlich entfhren?

    -- Aber ich bitte Sie! diese Tscherkessen sind ein weltbekanntesSpitzbubenvolk: was schlecht verwahrt liegt, knnen sie nicht liegenlassen; so manches nutzt ihnen gar nichts, sie stehlen's doch . . . hierinbitte ich sie zu entschuldigen! Nun und auerdem gefiel sie ihm ja schonlngst.

    Und Bela starb?

    -- Sie starb; nur qulte sie sich lange und wir qulten uns mit ihr ganzgehrig ab. Gegen zehn Uhr des Abends kam sie wieder zu sich; wir saen anihrem Bette; so wie sie nur die Augen aufschlug, fing sie an Petschorin zurufen. -- Ich bin hier, neben Dir, meine Dschnetschka (was bei uns etwaSeelchen, Herzchen heien wrde), erwiederte er, indem er ihre Handergriff. -- Ich sterbe! sagte sie. -- Wir suchten sie zu beruhigen undsagten ihr, da der Arzt versprochen habe sie unbedingt zu heilen. Sieschttelte das Kpfchen und drehte sich nach der Wand; sie wollte nichtsterben! . . .

  • -- In der Nacht fing sie an zu phantasiren; ihr Kopf brannte; ber ihrenganzen Krper lief bisweilen ein Fieberschauer: sie sprachunzusammenhngende Reden von ihrem Vater, ihrem Bruder; sie wollte in dieBerge zurck, in die Heimath . . . Dann sprach sie auch von Petschorin, gabihm verschiedene zrtliche Benennungen oder warf ihm vor, da er seineDschnetschka aufgehrt habe zu lieben . . . Er hrte ihr schweigend zu,sein Haupt auf die Hnde gesttzt; indessen bemerkte ich die ganze Zeitber in seinen Augenwimpern auch nicht eine Thrne; konnte er in der Thatnicht weinen oder beherrschte er sich dermaen -- ich wei es nicht; wasmich anbetrifft, so habe ich mein ganzes Leben lang nicht etwasJammervolleres gesehen.

    Gegen Morgen lie das Phantasiren nach; wohl eine Stunde lang lag sieunbeweglich, bleich, und so abgemattet, da man kaum bemerken konnte, obsie athmete; dann wurde ihr wohler und sie fing an zu sprechen; aber wasmeinen Sie wohl, wovon? . . . Ein solcher Einfall konnte auch nur einemSterbenden kommen! . . . Sie fing an sich zu bekmmern, da sie keineChristin sei und da in jener Welt ihre Seele mit der des GrigoriiAlexandrowitsch nicht zusammenkommen, da im Paradiese ein anderes Weibseine Genossin sein werde. -- Da kam mir der Gedanke ein, sie vor dem Todenoch zu taufen; sie blickte mich mit Unentschlossenheit an und konnte langekein Wort hervorbringen; endlich antwortete sie, da sie in dem Glaubensterben wolle, in welchem sie geboren worden war. So verging ein ganzerTag. Wie hatte sie sich whrend dieses einen Tages verndert! Die blassenWangen waren eingefallen, die Augen waren gro geworden; die Lippenbrannten. Sie fhlte eine innere Hitze, als ob in ihrer Brust ein glhendesEisen lge.

    -- Die zweite Nacht brach ein; wir schlossen kein Auge und wichen nicht vonihrem Bette. Sie litt frchterlich und sthnte, -- und so oft der Schmerznur ein Bischen nachlie, bemhte sie sich, Grigorii Alexandrowitsch zuberzeugen, da es besser mit ihr gehe, suchte ihn zu bereden sich schlafenzu legen, kte seine Hand und verwandte kein Auge von ihm. VorTagesanbruch begann sie die Todesqualen zu fhlen; sie fing an sichherumzuwerfen, und ri den Verband auf, so da das Blut von Neuem flo. --Nachdem man ihr die Wunde wieder verbunden hatte, wurde sie fr einWeilchen ruhig und bat Petschorin sie zu kssen. Er kniete vor ihr Bettnieder, hob ihren Kopf mit dem Kissen etwas in die Hhe und drckte seinenMund an ihre erkaltenden Lippen; sie umwand seinen Hals fest mit ihrenzitternden Armen, als ob sie ihm in diesem Kusse ihre ganze Seele bergebenwollte . . . Nein, sie hat wohl daran gethan zu sterben! Was wre wohl ausihr geworden, wenn Grigorii Alexandrowitsch sie verlassen htte? Und daswre frher oder spter doch der Fall gewesen . . .

    -- Die Hlfte des andern Tages war sie still, schweigsam und folgsam, wiesehr sie auch unser Arzt mit Umschlgen und Mixturen qulte. Aber ichbitte Sie! sagte ich zu ihm: Sie sagten doch selbst, da sie unbedingtsterben mu, wozu denn also alle diese Prparate? -- Ja, es ist dochbesser, Maksim Maksimitsch, erwiederte er, des ruhigen Gewissens wegen!-- Ein schnes Gewissen!

    Nach zwlf Uhr fing sie an einen brennenden Durst zu fhlen. Wir ffnetendas Fenster, allein auf dem Hofe war es noch heier als im Zimmer; manstellte Eis um's Bett -- es wollte nichts helfen. Ich wute, da dieserunertrgliche Durst ein Zeichen des sich nhernden Endes war und sagte esPetschorin. --

    Wasser, Wasser! sprach sie mit heiserer Stimme, indem sie sich im Betterhob.

    -- Er wurde bleich wie ein Betttuch, ergriff ein Glas, schenkte ein undreichte ihr. Ich hielt mir die Hnde vor die Augen und sagte leise einGebet her, ich erinnere mich nicht mehr, welches . . . Ja, mein Herr, ich

  • habe so manchen in den Hospitlern und auf dem Schlachtfelde sterben sehen,es war aber immer nicht das, durchaus nicht das! . . Nun mu ich gestehen,da mich noch Eins betrbt: sie erinnerte sich vor dem Tode meiner nichtein einziges Mal; und doch habe ich sie wie ein Vater geliebt . . . Nun,Gott sei ihr gndig! . . . Und die Wahrheit zu gestehen: Was konnte ich ihrauch sein, da sie meiner vor dem Tode gedachte?

    -- Kaum hatte sie das Wasser ausgetrunken, so wurde ihr leichter; dreiMinute