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WERKSTOFFKUNDE, SCHWEISSTECHNIK UND SPANLOSE FORMGEBUNGSVERFAHREN PROF. DR. H. CERJAK Werkstoffkunde Laborübung (303.004) HÄRTBARKEIT UND AUSHÄRTUNG 3-17 3.4 Wärmebehandlung von Stahl Bei allen Glühverfahren werden die Werkstücke langsam und durchgreifend erwärmt. Die Verfahren unterscheiden sich nach: Glühtemperatur Glühdauer Art der Abkühlung Abfolge von unterschiedlichen Wärmebehandlungsschritten Sie dienen dazu, entweder gewünschte Werkstoffeigenschaften für den Gebrauch einzustellen (Gebrauchseigenschaften) oder einen nachfolgenden Verarbeitungsprozess (Umformen oder Zerspanen) vorzubereiten (Verarbeitungseigenschaften). Bei einem Teil der Verfahren spielt die α-γ-Phasenumwandlung eine wichtige Rolle, z.B. Normalglühen oder Härten. Bild 3-1: Temperaturbereiche der wichtigsten Glühverfahren

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WERKSTOFFKUNDE, SCHWEISSTECHNIK UND SPANLOSE FORMGEBUNGSVERFAHREN PROF. DR. H. CERJAK

Werkstoffkunde Laborübung(303.004)

HÄRTBARKEIT UND AUSHÄRTUNG 3-17

3.4 Wärmebehandlung von Stahl Bei allen Glühverfahren werden die Werkstücke langsam und durchgreifend erwärmt. Die Verfahren unterscheiden sich nach:

Glühtemperatur

Glühdauer

Art der Abkühlung

Abfolge von unterschiedlichen Wärmebehandlungsschritten

Sie dienen dazu, entweder gewünschte Werkstoffeigenschaften für den Gebrauch einzustellen (Gebrauchseigenschaften) oder einen nachfolgenden Verarbeitungsprozess (Umformen oder Zerspanen) vorzubereiten (Verarbeitungseigenschaften).

Bei einem Teil der Verfahren spielt die α-γ-Phasenumwandlung eine wichtige Rolle, z.B. Normalglühen oder Härten.

Bild 3-1: Temperaturbereiche der wichtigsten Glühverfahren

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3.4.1 Diffusionsglühen Ziel: Konzentrationsunterschiede (z.B. Kristallseigerungen) im Werkstück bzw. Gefügehetero-genitäten beseitigen oder verringern.

Prinzip: Hohe Temperaturen erleichtern die Diffusion.

Das Glühen erfolgt zwischen 1000° und 1200°C, die Temperatur muss lange gehalten werden (bis zu 50 h).

Es können aber nur Kristallseigerungen und Konzentrationsunterschiede von direkt benachbarten Kristallen zum Teil ausgeglichen werden.

Nachteile:

Kornvergröberung tritt auf.

diese kann durch nachfolgendes Normalglühen wieder beseitigt werden.

Gefahr von Verzunderung und Entkohlung.

teuer

Bild 3-2: Diffusionsglühen

3.4.2 Grobkornglühen Ziel: Kornvergröberung, um den Stahl besser spanbar zu machen.

Prinzip: Hohe Temperaturen führen zu Kornwachstum.

Das Glühen erfolgt zwischen 950° und 1100°C, die Haltezeit beträgt ein bis zwei Stunden. Um die Eigenspannungen klein zu halten, wird meist zunächst langsam (Ofenabkühlung) und danach rascher (Luft) abgekühlt.

Nachteil: Grobes Korn vermindert die Festigkeit und Zähigkeit. Zur Beseitigung des groben Kornes kann anschließendes Normalglühen, Härten oder Vergüten erfolgen.

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Bild 3-3: Grobkornglühen

3.4.3 Normalglühen Ziel: Feinkörniges, gleichmäßiges Gefüge mit feinlamellarem Perlit.

Prinzip:Durch die zweimalige α-γ-Umwandlung (Erwärmen, Abkühlen) kommt es zu einem feinen Korn.

Alle durch vorhergehende Verformungen oder Wärmebehandlung hervorgerufenen Eigenschafts- und Gefügeänderungen werden rückgängig gemacht. Die Glühtemperatur liegt bei untereutektoidem Stahl etwa 30° bis 50°C über Ac3, bei übereutektoiden Stählen oberhalb von Ac1 (über GSK). Nach vollständiger Durchwärmung wird das Werkstück an ruhender Luft abgekühlt.

Nachteil: Nicht möglich bei umwandlungsfreien (ferritischen oder austenitischen) Stählen.

Bild 3-4: Normalglühen

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3.4.4 Weichglühen Ziel: Einformen von lamellarem Perlit zu kugeligen Zementitkörnern, um die Weiterverarbeitung zu erleichtern.

Prinzip: Kugeliger Zementit in ferritischer Grundmasse ist das Gefüge mit dem geringsten Energieinhalt im Fe-Fe3C-System.

Die Standzeiten der Werkzeugschneiden lassen sich dadurch wesentlich erhöhen, da die Schneiden nur noch den Ferrit schneiden und die Zementitkörner entweder zur Seite gedrückt oder herausgerissen werden. Die Temperatur liegt bei untereutektoidem Stahl knapp unter Ac1 (Bild 3-1 und Bild 3-5 Teil 1), bei übereutektoidem Stahl wird eine Pendelglühung um Ac1 oder kurzes Erwärmen über Ac1 mit anschließendem Halten knapp unter Ac1 durchgeführt, da eine Glühung über Ac3 zu einer Kornvergröberung führen würde (Bild 3-1 und Bild 3-5 Teil 2 und 3).

Bild 3-5: Mögliche Zeit-Temperaturzyklen für das Weichglühen

3.4.5 Spannungsarmglühen Ziel: Minimierung innerer Spannungen ohne wesentliche Eigenschaftsänderungen. Spannungen können als Folge einer Kaltverformung oder einer ungleichmäßigen Abkühlung (z.B. nach der Warmumformung, dem Schweißen oder einer Wärmebehandlung) entstehen.

Prinzip: Durch Erwärmen tritt ein Absenken der Streckgrenze des Werkstoffs auf. Die Eigenspannungen werden durch plastische Deformation im Mikrobereich abgebaut.

Die Glühtemperatur liegt meist zwischen 450° und 650°C, jedenfalls aber unter Ac1, um eine Gefügeumwandlung zu vermeiden. Bei Vergütungsstählen muss die Temperatur unter der Anlasstemperatur liegen, um eine unerwünschte Erweichung zu vermeiden.

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Bild 3-6: Spannungsarmglühen

3.4.6 Rekristallisationsglühen Ziel: Die durch Kaltverformen hervorgerufenen Eigenschafts- und Gefügeänderungen sollen rückgängig gemacht werden.

Prinzip: Durch Kornneubildung wird die bei der Kaltverformung gespeicherte Energie freigesetzt.

Bild 3-7: Rekristallisationsglühen

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3.4.7 Härten Ziel: Erhöhen der Festigkeit und des Verschleißwiderstandes.

Prinzip: Aus dem Austenitgebiet wird so rasch abgekühlt, dass die kritische Abkühl-geschwindigkeit überschritten wird und es zur Martensitbildung kommt.

Die Temperatur liegt über GSK(=Ac3). Durch die Art der Abkühlung unterscheidet man Härten, gebrochenes Härten (Wechsel des Abkühlmediums) und Warmbadhärten. Wenn eine besonders harte und verschleißfeste Oberfläche bei zähem Kern gebraucht wird, wird nur die Oberfläche gehärtet (Flamm-, Induktions-, Strahl- oder Tauchbadhärten).

Achtung: Im Kern eines Werkstücks tritt eine geringere Abkühlgeschwindigkeit auf!

Bestimmung der Härtbarkeit eines Stahls mittels Jominy-Versuch (Stirnabschreckversuch).

Bild 3-8: Härten

Vergüten Ziel: Erreichen einer idealen Kombination aus Festigkeit und Zähigkeit.

Unter Vergüten versteht man eine zweiteilige Wärmebehandlung bestehend aus Härten und Anlassen. Zeit und Temperatur sind der jeweiligen Stahlsorte anzupassen. Durch das Anlassen wird die Festigkeit und Sprödigkeit vermindert, die Zähigkeit jedoch erhöht.

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Bild 3-9: Temperatur-Zeit-Verlauf

Anlassen: Die Vorgänge beim Anlassen lassen sich anhand von Dilatometerkurven anschaulich beschreiben:

1.) Tetragonaler Martensit zerfällt in ein haxagonales, instabiles ε-Karbid (Fe2C) und in kubischen Martensit.

2.) Restaustenit klappt in kubischen Martensit um.

3.) Ausscheidung von C aus dem Gitter und weitere Bildung von Fe3C.

4.) Koagulation von Fe3C

Bild 3-10: Dilatometerkurve beim Anlassen

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HÄRTBARKEIT UND AUSHÄRTUNG 3-24

Bild 3-11: Eigenschaftsänderungen des Stahls 50 CrV 4 in Abhängigkeit von der Anlasstemperatur

Jominy-Versuch (Stirnabschreckversuch) Dieser Versuch ist in DIN 50191 genormt.

Bild 3-12: Versuchseinrichtung für den Stirnabschreckversuch

Er dient zur Überprüfung der Härtbarkeit eines Stahles. Damit können ausreichende und reproduzierbare Angaben über den Einfluss der Abkühlgeschwindigkeit auf den Härteverlauf und das entstandene Gefüge in der Probe erhalten werden. Eine Stahlprobe mit genormten Abmessungen wird austenitisiert und anschließend in eine Vorrichtung eingesetzt (Bild 3-12).

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HÄRTBARKEIT UND AUSHÄRTUNG 3-25

Zum Abschrecken wird ein Wasserstrahl auf die Stirnfläche der Probe gelenkt. Der Wärmefluss in der Probe verläuft vorzugsweise in Richtung der Stabachse, so dass die Abkühlgeschwindigkeit mit zunehmender Entfernung von der Stirnfläche stetig abnimmt. Die Jominy-Kurve wird durch Härtemessungen längs des Stabes gewonnen (Bild 3-13).

Bild 3-13: Schematische Darstellung der Stirnabschreckprobe nach Jominy

Die Härte an der abgeschreckten Stirnseite der Probe entspricht derjenigen des vollkommen martensitischen Zustandes. Stähle hoher Härtbarkeit haben auch in einem großen Abstand von der abgeschreckten Stirnfläche noch die volle Martensithärte. Dagegen fallen die Härtekurven von Stählen mit geringer Härtbarkeit unmittelbar nach der Stirnfläche ab (Bild 3-14).

Bild 3-14: Einhärtbarkeit von Vergütungsstählen

Die Aufhärtbarkeit kennzeichnet die höchste beim Härten erreichbare Härte. Sie ist in erster Linie vom Kohlenstoffgehalt abhängig. Die Einhärtbarkeit wird gekennzeichnet durch die Breite der Randschicht eines gehärteten Werkstückes, bis zu der eine bestimmte Härte vorhanden ist. Diese Breite wird als Einhärtetiefe (ET) bezeichnet. Üblicherweise wird sie als der Abstand von der Oberfläche, in dem noch eine Härte von 50HRC bzw. 550 HV vorliegt, definiert. Sie hängt im Wesentlichen von den Legierungselementen ab.

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Werkstoffkunde Laborübung(303.004)

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Bei einfachen Formen wie z.B. langen Rundstäben kann die Abkühlungsgeschwindigkeit aus Wärmeleitfähigkeit und spezifischer Wärme berechnet werden. Durch den Vergleich mit der Jominy-Probe lässt sich voraussagen, welche Gefüge an den verschiedenen Stellen des Werkstücks auftreten werden.

Soweit sich die Abkühlungsgeschwindigkeiten innerhalb des Werkstücks und für Öl- oder Luftabschreckung berechnen lassen, können auch hier die Gefüge direkt aus der Jominy-Probe abgelesen werden.

Bei komplizierten Werkstücken ist oft der umgekehrte Weg einzuschlagen. Dazu wird ein Modell des Werkstücks aus einem Stahl mit bekannter Jominy-Kurve hergestellt. Nach dem Abschrecken wird das Modell zerschnitten und an allen interessierenden Stellen die Härte bestimmt und – falls notwendig – auch das Gefüge untersucht. Durch den Vergleich mit der Jominy-Kurve ergibt sich die jeweilige Abkühlungsgeschwindigkeit.