zusammenhänge zwischen struktur und bittergeschmack bei aminosäuren und peptiden

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Z. Lebensm. Unters.-Forseh. 159, 65--72 (1975) © by J. F. Bergmann, Mfinchen 1975 Originalarbeiten Zusammenh/inge zwischen Struktur und Bittergeschmack bei Aminos/iuren und Peptiden I. Aminos/~uren und verwandte Verbindungen Herbert Wieser und Hans-Dieter Belitz* Deutsche Forschungsanstalt ffir Lebcnsmittelchemie, Mfinchen und Institut fiir Lebensmittel- chemic der Technischen Universit£t Mfinchen (BRD) Eingegangen am 27. M~rz 1975 Relations between Structure and Bitter Taste of Amino Acids and Peptides. I. Amino Acids and Related Compounds S~mmary. About 60 amino acids, amino acid esters, N-acyl amino acids, amines, and other related compounds were tested for bitter taste. The recognition thresholds are in the range from 100 txMol/ml (L-2-amino butyric acid) to 0.8 ~Mol/ml (benzamide). Essential structural require- ments for bitter compounds are a polar (electrophilie) group and a hydrophobic one, which must be arranged in a defined manner. The results are summarized in a model which shows the zones of contact between bitter compound and receptor. Zusamqnenfassung. Etwa 60 Aminos~uren, Aminos~ureester, N-Aeylaminosi~uren, Amine und andere verwandte Verbindungen wurden auf bitteren Geschmack getestet. Die Schwellenwerte liegen im Bereich yon 100 tzMol/ml (L-2-Aminobutters~ure) und 0,8 ~zMol/ml (Benzamid). Als essentielle Bestandteile der Struktur bitterer Verbindungen erwiesen sich eine polare (elektro- phile) und eine hydrophobe Gruppe, die in bestimmter Weise angeordnet sein mfissen. Die Ergebnisse werden in einem Modell zusammengefaBt, das die Wechselwirkung zwischen Bitter- stoff und Rezeptor sehematiseh wiedergibt. Einleitung ~ber den bitteren Geschmack von Aminos£uren und einigen Derivaten liegen verschiedene Arbeiten vor [1--6], in denen qualitative und auch einige quantitative Angaben (Relativwerte und Sehwellenwerte) gemacht werden. Trotz gcwisser Unterschiede in der Einordnung der einen oder anderen Aminosiiure stimmen diese Arbeiten doch darin fibercin, dab L-Konfiguration und eine hydrophobe Seitenkette Voraussetzungen ffir das Auftreten yon bitterem Geschmack sind. Wir haben friihere Arbeiten [6] mit der Bestimmung der Geschmackssehwellenwerte einer grSBeren Zahl yon Aminos~uren, Aminos/£urederivaten und verwandten Verbindungen fortge- setzt, da uns diese Verbindungsklasse ganz geeignet erschien als Ausgangspunkt zur Entwick- lung ~hnlicher Strukturmodelle fiir bittere Verbindungen, wie sic fiir sfiBe Verbindungen bereits vorliegen [7, 8]. Experimentelle Angaben Material Calbiochem: Nr. 23; Cyclo Chemical: Nr. 41, 43, 45; Fluka: Nr. 2, 19, 34, 37, 47, 48, 57, 64---67; Mann: Nr. 3--5, 9--15, 17, 21, 24, 25, 27--30; Merck: Nr. 1, 7, 16, 18, 20, 22, 54--56, 60--62; Roth: Nr. 59; Sehuchardt: Nr. 53; Serva: Nr. 8, 51; Sigma: Nr. 6, 31--33, 36, 39, 40, 44, 46, 49, 50, 52, 63. Vgl. die entsprechcnden Nr. der Tab. 1--3. Substanzcn mit starkcm Beigesehmack, die nicht einwandfrei sensorisch zu analysieren sind, fiber Dowex 50 W X 2 (Elution mit Pyridin-Acetat-Puffer) oder fiber Sephadex G 10 (Elution mit Wasser) in der in [9] ffir Peptide beschriebenen Weise reinigen. Derivatisierung yon Aminosgiuren Aminos£uren mit methanolischer HC1 nach [10] verestern bzw. mit Aeetanhydrid nach [11] acetylieren. Geschmacksanalyse Alle sensorischen Untersuehungen wurden yon einer Gruppe durchgeffihrt, die fiber mehr- jKhrige Erfahrungen verffigte. Zur ~J-berpriifung der Empfindliehkeit bei Beginn jeder senso- risehen Untersuchung einen verschlfisselten Test mit 0,025%iger CoffeinlSsung durchfiihren, der * Fiir die Mitwirkung bei den Geschmacksanalysen danken wir Herrn Dr. D. Sparrer und Frau Fricda Lyncn. Weiterhin dankcn wir ffir die F6rderung unserer Arbeiten durch die Deutsche Forschungsgemeinsehaft und die Dr. Otto RShm-Gediichtnis-Stiftung. 5 z. Lebensmitt.-Untersuch., Band 159

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Z. Lebensm. Unters.-Forseh. 159, 65--72 (1975) © by J. F. Bergmann, Mfinchen 1975

Originalarbeiten Zusammenh/inge zwischen Struktur und Bittergeschmack

bei Aminos/iuren und Peptiden I. Aminos/~uren u n d verwandte Verb indungen

Herber t Wieser u n d Hans-Die ter Belitz*

Deutsche Forschungsanstalt ffir Lebcnsmittelchemie, Mfinchen und Institut fiir Lebensmittel- chemic der Technischen Universit£t Mfinchen (BRD)

Eingegangen am 27. M~rz 1975

Relat ions between Structure and Bi t ter Taste of Amino Acids and Peptides. I. Amino Acids and Rela ted Compounds

S~mmary. About 60 amino acids, amino acid esters, N-acyl amino acids, amines, and other related compounds were tested for bitter taste. The recognition thresholds are in the range from 100 txMol/ml (L-2-amino butyric acid) to 0.8 ~Mol/ml (benzamide). Essential structural require- ments for bitter compounds are a polar (electrophilie) group and a hydrophobic one, which must be arranged in a defined manner. The results are summarized in a model which shows the zones of contact between bitter compound and receptor.

Zusamqnenfassung. Etwa 60 Aminos~uren, Aminos~ureester, N-Aeylaminosi~uren, Amine und andere verwandte Verbindungen wurden auf bitteren Geschmack getestet. Die Schwellenwerte liegen im Bereich yon 100 tzMol/ml (L-2-Aminobutters~ure) und 0,8 ~zMol/ml (Benzamid). Als essentielle Bestandteile der Struktur bitterer Verbindungen erwiesen sich eine polare (elektro- phile) und eine hydrophobe Gruppe, die in bestimmter Weise angeordnet sein mfissen. Die Ergebnisse werden in einem Modell zusammengefaBt, das die Wechselwirkung zwischen Bitter- stoff und Rezeptor sehematiseh wiedergibt.

Einleitung ~ber den bitteren Geschmack von Aminos£uren und einigen Derivaten liegen verschiedene

Arbeiten vor [1--6], in denen qualitative und auch einige quantitative Angaben (Relativwerte und Sehwellenwerte) gemacht werden. Trotz gcwisser Unterschiede in der Einordnung der einen oder anderen Aminosiiure stimmen diese Arbeiten doch darin fibercin, dab L-Konfiguration und eine hydrophobe Seitenkette Voraussetzungen ffir das Auftreten yon bitterem Geschmack sind.

Wir haben friihere Arbeiten [6] mit der Bestimmung der Geschmackssehwellenwerte einer grSBeren Zahl yon Aminos~uren, Aminos/£urederivaten und verwandten Verbindungen fortge- setzt, da uns diese Verbindungsklasse ganz geeignet erschien als Ausgangspunkt zur Entwick- lung ~hnlicher Strukturmodelle fiir bittere Verbindungen, wie sic fiir sfiBe Verbindungen bereits vorliegen [7, 8].

Experimentelle Angaben Material

Calbiochem: Nr. 23; Cyclo Chemical: Nr. 41, 43, 45; Fluka: Nr. 2, 19, 34, 37, 47, 48, 57, 64---67; Mann: Nr. 3--5, 9--15, 17, 21, 24, 25, 27--30; Merck: Nr. 1, 7, 16, 18, 20, 22, 54--56, 60--62; Roth: Nr. 59; Sehuchardt: Nr. 53; Serva: Nr. 8, 51; Sigma: Nr. 6, 31--33, 36, 39, 40, 44, 46, 49, 50, 52, 63. Vgl. die entsprechcnden Nr. der Tab. 1--3.

Substanzcn mit starkcm Beigesehmack, die nicht einwandfrei sensorisch zu analysieren sind, fiber Dowex 50 W X 2 (Elution mit Pyridin-Acetat-Puffer) oder fiber Sephadex G 10 (Elution mit Wasser) in der in [9] ffir Peptide beschriebenen Weise reinigen.

Derivatisierung yon Aminosgiuren Aminos£uren mit methanolischer HC1 nach [10] verestern bzw. mit Aeetanhydrid nach [11]

acetylieren. Geschmacksanalyse

Alle sensorischen Untersuehungen wurden yon einer Gruppe durchgeffihrt, die fiber mehr- jKhrige Erfahrungen verffigte. Zur ~J-berpriifung der Empfindliehkeit bei Beginn jeder senso- risehen Untersuchung einen verschlfisselten Test mit 0,025%iger CoffeinlSsung durchfiihren, der

* Fiir die Mitwirkung bei den Geschmacksanalysen danken wir Herrn Dr. D. Sparrer und Frau Fricda Lyncn. Weiterhin dankcn wir ffir die F6rderung unserer Arbeiten durch die Deutsche Forschungsgemeinsehaft und die Dr. Otto RShm-Gediichtnis-Stiftung. 5 z. Lebensmitt.-Untersuch., Band 159

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positiv ausiallen muB. AIs LSsungsmittel frisches Leitungswasser verwenden, bei Sehwellenwerts- bestimmungen LSsungen nStigenfalls auf pH 6--7 einstellen; 1 ml L6sung (ca. 22 ° C) mit Hilfe eines kleinen Uhrglases (g = 5 cm) auf die Zunge bringen, Zunge gegen den Gaumen pressen und bewegen. Ein Gesehmackseindruck tritt 1--2 see nach dem Aufbringen auf und hiilt 5--10 sec bei Konzentrationen im Bereieh des Sehwellenwertes, ~ 30 sec bei hSheren Konzentrationen an. Zur Bestimmung der Gesehmaeksrichtung maximal 100 ~zMol Substanz 16sen, zur Bestim- mung des Sehwellenwertes in einer Verdfinnungsreihe diejenigen Substanzkonzentration ermit- teln, die gerade noch als bitter (recognition threshold) zu identifizieren ist. Alle Proben versehliis- self im Dreieekstest mit zwei Wasserproben [12] prfifen. Bei Verbindungen mit Beigesehmack den Sehwellenwert zun~ehst unverschliisselt bestimmen; darm zur Uberprfifung verschiedene Proben mit Konzentrationen im Bereich des Sehwellenwertes versehlfisselt auf Bitterkeit ana- lysieren. Alle Untersuehungen mindestens einmal zu einem anderen Zeitpunkt wiederholen.

Ergebnisse

I n den folgenden Tabel len sind die Ergebnisse der sensorischen Unte r suchung yon Amluos~uren (Tab. 1), Aminos£ureder ivaten (Tab. 2) und verwandten Verb indungen (Tab. 3) zusammengefaBt. Angegeben ist die Geschmacksrichtung (bei mehreren wahr- nehmbaren Geschmacksrich~ungen in der Relhenfolge der In tens i t~ t ) u n d bei b i t te ren Verb indungen der Schwellenwert bzw. ein Schwellenwertsbereich. Alle Schwellen- werte wurden mehffach zu verschiedenen Zeiten bestimm%; die Reproduzierbarkei t war gut.

Aus den Da ten l~Bt sich der EinfluB verschiedener S t rukture lemente auf den Ge- schmack erkennen:

Die Konfiguration an C ~ ist ffir die Geschmacksrichtung yon Bedeutung. Bei Amlnos£uren t r i t t Bit tergeschmack nu r in der L-Reihe auf. D-Aminos~uren sind mi t wenigen Ausnahmen (Asparaginsiiure, Glutamins£ure, Arginin) sfiB [13]. N-Acyherung

Tabelle 1. Gesehmack yon AminosEuren

/qr. Verbindung Geschmaeksrichtung Sehwellenwert b (g£VIol/ml)

1 L-Alanin siiB - - 2 L-2-Aminobutters~ure sfiB/bitter 95--100 3 T.-Arginin bitter 70--80 4 L-Asloaragin neutral - - 5 L-Asparagins~ure sauer/neutral - - 6 Cycloleucin siiB/bitter 95--100 7 L-Cystein schwefelartig - - 8 L-3,4-Dihydroxyphenylalanin bitter 7--9 9 L-Glutamin neutral - -

10 L-Glutamins~iure sauer/nach Glutamat - - 11 Glycin s~B - - 12 L-I-Iistidin bitter 45--50 13 n-4-ttydroxyprolin sfiB - - 14 L-]soleucin bitter 10--12 15 L-Leucin bitter 11--13 16 L-Lysin bitter/siiB 80--90 17 L-Methionin schwefelartig - - 18 L-~orleucin bitter 18--22 19 L-Iqorvalin bitter 45--50 20 n-Ornithin sfiB - - 21 L-Phenylalanin bitter 45--7 22 L-Phenylglycin bitter 14--17 23 L-Pipecolins~ure bitter 25--30 24 L-Prolin sfiB/bitter 25--27 25 L-Serin siiB - - 26 L-Theanin neutral - - 27 L-Threonin siiB - - 28 L-Tryptophan bitter 4---6 29 T,-Tyrosin bitter 4---6 a 30 L-Valin bitter 20--22

a Bei 30 ° C getestet. ~ Bittergeschmaek

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Tabelle 2. Geschmaek yon Aminos~iurederivaten

l~r. Verbindung Geschmaeksriehtung Sehwellenwert a (~o l /ml )

31 N-Benzoyl-L-alanin sauer/bitter 4 6 32 N-Benzoyl-n-alanin sauer/bitter 4 6 33 N-Benzoyl-glycin sauer/bitter 4 6 34 L-Histidin-methylester bitter 25--30 35 N-Aeetyl-L-leucin sauer/bitter - - 36 N-Acety]-D-leucin sauer/neutral - - 37 L-Leucin-[ithylester bitter 6--8 38 N-Aeetyl-L-leucin-methylester bitter 3--4 39 N-Aeetyl-L-phenylalanin sauer/bitter 10---12 40 N-Acetyl-D-phenylalanin sauer/neutral - - 41 D-Phenylalanin-amid bitter 2--3 42 L-Phenylalanin-methylester bitter 3--5 43 D -Phenylalanin-methylester bitter 3---4 44 N-Acetyl-L-phenylalanin-i~thylester bitter 1,5--2,0 45 Iq-Aeetyl-D-phenytalanin-methylester bitter 1,5---2,5 46 N-Acetyl -L-tryptophan sauer/bitter 10--12 47 L-Tryptophan-~thylester bitter 1--2 48 ~-Tyrosin-~thylester bitter 4--5 49 L-Tyrosin-amid bitter 4,0--4,5 50 N-Acetyl-L-tyrosin-~thylester bitter 2,5--3,0

a Bittergesehmack

Tabelle 3. Gesehmack yon Aminen und anderen verwandten Verbindungen

Nr. Verbindung Geschmacksriehtung Schwellenwert ~ (~Mol/ml)

51 4-Aminobutters~ure neutral - - 52 6-Aminoeaprons~ure bitter 28--32 53 Benzamid bitter 0,8--1,0 54 n-Butanol stiB - - 55 i-Butanol sfiB - - 56 Capronsaure sauer/Beigeschmack - - 57 I-Iistamin bitter 10--20 58 L-Histidinol bitter 50--60 59 D, L-2-Hydroxycaprons£ure sauer/neutral - - 60 i-Pentylamin bitter 3--4 61 Piperidin bitter 8--10 62 Pyrrolidin bitter/Beigeschmack - - 63 Salicylamid bitter 10--12 64 Tryptamin bitter 2,0--2,5 65 Tyramin bitter 2,0--2,5 66 L-Tyrosinol bitter 5--7 67 Valeriansaure sauer/Beigeschmaek - -

Bittergeschmack

yon Aminos/ iuren 16seht in der D-Reihe den sfiBen Geschmack (Nr. 36, Nr. 401) und k a n n b i t t e r en Gesehmaek hervor rufen (Nr. 32), beeinfluBt aber den b i t t e r en Geschmaek der L-Verbindungen n ieht (Nr. 35, Nr . 39). D-/~minos/~ureester s ind m i t den L-Estern i sob i t t e r (Nr. 42/43, Nr . 44/45). Auch D-Pheny la lan inamid i s t b i t t e r (Nr. 41).

Die Aminogruppe k a n n n ich t ohne L6sehung des B i t t e rgeschmacks durch - H (Nr. 19/67, Nr. 18/56) oder - O H (Nr. 18159) erse tz t werden. Der Effekt e iner Aey- l ierung h/~ngt s t a rk v o m eingeffihr~en Acy l res t a b : D u t c h Ace ty l i e rung wird der Gesehmack b i t t e re r Amlnos/~uren abgeschw~eht (Nr. 21/39, Nr. 28/46), d u t c h Ben-

1 Die ~umerierung bezieht sich hier trod im folgenden auf die Tab. 1--3. 5*

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zoylierung gehen siiBe Aminos~uren in bittere Derivate fiber (Nr. 11/33, l~r. 1/31/32). Eine ~nderung der Position der Aminogruppe ist mit einer ErhShung des Schwellen- wertes verbunden (Nr. 18/52, Nr. 2/51). Bei Fixierung der Aminogruppe in einem Ring ist im Falle der Pipeeolins£ure (Nr. 23) der Schwellenwert gegenfiber der often- kettigen Verbindung gleieher C-Zahl leieht erh6ht (Nr. 18), im Falle des Prolins (Nr. 24) aber deutlieh erniedrigt (Nr. 19).

Die Schwellenwerte ~ndern sich bei Ersatz der Carboxylgruppe durch - C H 2 0 H nicht wesentlich (Nr. 12/58, Nr. 29/66), bei Decarboxylierung fallen sie dagegen auf etwa ein Drittel (Nr. 12157, Nr. 15/60, Nr. 23/61, Nr. 28/64, Nr. 29/65). Einem ent- sprechend starken Effekt hat aueh die Veresterung yon Aminos~uren und N-Ace- tylaminos~uren (Nr. 12/34, Nr. 15/37/38, Nr. 21/42/44, Nr. 28/47). Auf die dureh Ver- esterung und Amidierung in der D-Reihe zu erzielende Gesehmaeksinversion sfiB- bitter wurde under dem Stichwort Konfiguration bereits hingewiesen.

Der EinfluB der Seitenlcette ]~Bt sich an der homologen Reihe Glycin, L-Alanin, L-2-Aminobut¢ers~ure, L-Norvalin und L-Norleuein erkennen (Tab. 1). Die ersten zwei Glieder sind sfiB, beim dritten tritt Bittergesehmaek neben sfiBem Geschmaek auf, die folgenden sind rein bitter. Der Sehwellenwert ffir Bittergeschmaek f~llt pro CH~-Gruppe mit dem Faktor ca. 0,5. Eine Verzweigung der Kette hat den gleichen verst~rkenden Effek¢ auf die Intensi~¢ des Gesehmacks wie die Verli~ngerung um eine CH~-Gruppe (Nr. 19/30, Nr. 18/15114). Bei einer alieyelischen Seitenkette kann der Schwellenwert gegenfiber der offenen Kette gleicher C-Zahl deutlich erhSht sein (Nr. 18/6). Aromatisehe Substituenten ffihren zu niedrigen Schwellenwerten (Nr. 21/ 28/29).

Die Wirkung hydrophiler Substituenten ist yon der Stellung abh~ngig. In den untersuchten F~llen wird, mit Ausnahme yon Tyrosin und Dihydroxyphenyl- alanin (Nr. 29, Nr. 8), durch NH~- oder OH-Gruppen der Bittergeschmack gesehw~eht oder gelSseht (Nr. 18/16, Nr. 19/20/3, Nr. 2/27, Nr. 24/13, Nr. 53/63). Aueh Carboxyl- und Carboxamidgruppen kSnnen in der Seitenkette sowohl sfil~en als aueh bitteren Geschmaek 15sehen (Nr. 1/5/4, Nr. 2/10/9, Nr. 18/26), haben aber nut einen sehw~ehen- den Effekt, wenn sie welt genug yon der Aminofunktion entfernt sind (Nr. 52).

Der Einilul~ des LSsungsmittels auf den Gesehmack wurde dureh Bestimmung yon Schwellenwerten in 10%iger iithanolischer LSsung geprfift (Tab. 4). Es zeigte sich, dal~ die Schwellenwerte ffir Bittergeschmack um den Faktor 3 - 4 grSBer sind als in wiil3riger LSsung. Salziger Geschmack wird dagegen nieht beeinflul~t.

Tabelle 4. Abh~ngigkeit der Schwellenwerte ~ yore LSsungsmitgel

Verbindung L6sungsmittel Wasse r )[thanol/Wasser

(9+1)

T.-Leucin 11--13 45--50 L-PhenylManin 5--8 16--20 L-Phenylalanyl-L-leucin 1,2--1,5 5--7 NaC1 0,08--0,09 b 0,09--0,10 b

~ o l / m l , b %

Diskussion

In der Beurteilung der Geschmacksqualiti~t yon einigen Aminos~uren (Valin, Histidin, Arginin, Lysin, Tyrosin, Methionin) sind bei verschiedenen Arbeitskreisen [1-6] Differenzen vorhanden. Aufgrund der eigenen Un~ersuchungen kann ein bit- terer Geschmaek bei Valin, His~idin und Arginin als gesiehert angenommen werden. Lysin hat einen sehr schwachen Bitfergeschmack und einen kaum wahrnehmbaren sfiBen Geschmack. Die gesi~tig~e L6sung yon Tyrosin ist bei Raumtemperatur nicht eindeutig bitter. Methionin hat einen so starken ,,schwefligen" Geschmack, dab even- ~uell vorhandene andere Gesehmaeksqualitiiten nicht erkannt werden kSnnen.

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Aufgrund der in dieser Arbeit ermittelten Schwellenwerte ergibt sich eine etwas andere Reihung der Aminos&uren nach der St/~rke des Bittergeschmacks als bei Solms [4] und Petritschek et al. [6], deren Reihung auf Vergleichen mit isobitteren Standards (Coffein) beruht.

Die von Kirimura et al. [1] und Matoba u. Hata [5] bestimmten Schwellenwerte yon Aminos&uren und einigen Derivaten s~immen mit den eigenen Werten tefls gut fiberein, tells weiehen sie ab.

Die Ergebnisse der sensorischen Analyse lassen einige Sehliisse auf strukturelle Voraussetzungen fiir das Auftreten yon Bittergeschmaek zu. Die Ammoniumgruppe ist bei den bier untersuchten Verbindungen ein ffir bitteren Gesehmack essentielles Strukturelement. Es ist anzunehmen, dab sie mit nucleophilen Gruppen des Rezep- tors in Wechselwirkung tritt .

Im Gegensatz dazu ist die Carboxylgruppe nicht notwendig : Amine shad bitterer als die entsprechenden Aminos/~uren. Die Abnahme der Schwellenwerte in der Reihe

tt3N + - CH(I%) - - COO- = H~N + - CH(R) - - CIt30H > H3N + - CH(R) - - COOR I > HaN--- CH(R) - - t t

l~Bt darauf schliel3en, dub der EinfluB der Carboxylgruppe nicht auf die Ladung und nieht auf sterische Grfinde, sondern auf ihre stark hydrophilen Eigenschaften zurfiek- geht. Darauf deuten auch die Unterschiede zwischen den Schwellenwerten yon Benz- amid (Nr. 53) und einigen Benzoylaminos/~uren (Nr. 31/32/33).

Die Bedeutung der Hydrophobitgt des Molekfils ffir den Bittergeschmack wird deutlich, wenn man die Transferenergien A F~ (~thanol -+ Wasser), die Tanford [14] ffir eine Reihe yon Aminosauren angibt, als MaB ffir die Itydrophobit/it mit den Geschmaekseigenschaften vergleicht. Im Bereich yon A F~ = - 4 0 0 0 cal/Mol bis zJ F t = - 3000 cal/Mol setzt der bittere Geschmack mit Schwellenwerten yon 70 bis 90 ~Mol/ml ein und versti~rkt sich mit zunehmenden zJ F~-Werten, ohne dab allerdings die Folge der zugehSrigen Sehwellenwerte durchweg monoton ist. Offenbar begfin- stigt eine ausgepragte Hydrophobit/it die Ann/~herung der Bitterstoffe an den Re- zeptor. Neben der Hydrophobit/it des Gesamtmolekiils ist der steriscbe Bau der Seitenketten yon Bedeutung. Folgende Ergebnisse sprechen ffir den EinfluB sterischer Faktoren und damit ftir eine Wechselwirkung des Geschmacksstoffes mit hydropho- ben Bindungsstellen des Receptors:

- Arginin mit zJ Ft ---- - 3 9 0 0 eal/1Vfol ist bitter, Alanin dagegen bei gleichem A Ft-Wert nieht. Anscheinend ist ein hydrophober Kontakt mit dem Receptor erst bei R > C2H 5 m6glich.

- Die Schwellenwerte und A F~-Werte yon Norleucin (18-22 ~Mol/ml, - 1930 cal/ Mol), Leucin (11-13 ~Mol/ml, - 2 2 1 0 cal/Mol) und Isoleucin (10-12 txMol/ml,

- 1690 eal/~ol) zeigen, dab der Schwellenwert bei abnehmender Hydrophobit~t fallen (Norleuein -+ Leucin) oder bei zunehmender Hydrophobit/it gleichbleiben kann (Leu- cin -+ Isoleuein). Hier liegt ein offensichtlicher EinfluB der Struktur der Seitenkette (Verzweigung) auf die Sehwel]enwerte vor, der st/irker ist als Einflfisse der Gesamt- hydrophobit/~t des Molekiils.

- Die Schwellenwerte yon Norleucin und Cycloleucin unterscheiden sich, often- sichtHeh bedingt durch die Cyclisierung der Seitenkette, um einen Faktor von ca. 5, obwohl ffir die beiden Verbindungen aufgrund der gleichen C-Zahl eine /~hnliche I{ydrophobit/~t anzunehmen ist. Auch Pipeeolins/iure und Cycloleucia differieren bei gleicher C-Zahl im Schwellenwert um den Faktor ca. 4, offensichtlieh infolge der un- terschiedlichen Cyclisierung der Seitenketten.

- Die D-Enantiomeren bitterer L-Aminos/~uren sind trotz gleicher Itydrophobit/~t nicht bitter.

- Die Schwellenwerte h&ngen yon der Polarit/it des L6sungsmittels ab (vgl. Tab. 4).

Die Ergebnisse der sensorischen Analyse lassen sich in einem Modell zusammen- fassen, das einen polaren (Ammoniumgruppe) und einen hydrophoben Kontakt (Sei-

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tenkette) der bitteren Verbindung mit einem Receptor annimmt. Ein hydrophober Kon tak t ist erst ab Cr mSglieh (Abb. 1 a, b). Eine ErhShung der Aufenthaltswahr- scheinlichkeit yon C~ gegenfiber der Ammoniumgruppe dureh Kettenverzweigung oder seine Fixierung in dieser Position durch Cyelisierung ist gfinstig ~ (Abb. 1 c, d, e). Eine Erweiterung zum Sechsring ~ndert die Position yon CF und damit auch den Schwellenwert praktisch nicht; CH2-Gruppen links der Verbindungslinie N - C y sind anscheinend bis C r ffir den hydrophoben Kon tak t ohne Bedeutung (Abb. 1 e, f). Eine Verl~ngerung der Ket te fiber C~ hinaus in Richtung dieser Verbindungslinie ver- st~rkt den Kon tak t (Abb. 1 b, c, g), wobei eine Verzweigung aus dem angeffihrten Grund wiederum gfinstig ist (Abb. 1 h, i). Der sehr hohe Schwellenwert des Cycloleu- cins (Abb. l j ) zeigt, dab die Fixierung der Seitenkette in einer Ebene, die ann~hernd

a b[lO0) c(45) d(20) g(18)

h (11) i (10) e (R=H,25) f (25) j (100) n(R=OH)

L I (14) ~

0

o p (80) q (28) m Abb. 1. Geschmacksschwellenwerte und Struktur bei L-AminosEuren (Schwellenwerte in ~Hol/ml fiir Bittergeschmack in Klammern bei den einzelnen Verbindungen).- a Alanin, b 2-Amino- butters~ure, ~ Norvalin, d Valin, e R = H : Prolin, ] Pipecolins~ure, g Norleucin, h Leucin, i Iso- leucin, ~ Cycloleucin, /¢ R = H : Phenylalanin, R----OH: Tyrosin, l Phenylglycin, ~n Threonin, n R-----OH: 4-Hydroxyprolin, o Ornithin, p Lysin, q 6-Aminocaprons~ure, r Arginin.- Zur Kon-

formation yon Aminos~uren vgl. [15] und [16]. O : --l~H3 ÷, O : >NH2 +, • : --COO-

Hier und im folgenden ist ,,giinstig" im Sinne einer Verst~rkung des Bittergeschmacks verwendet.

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senkrecht auf der Ebene des Prolinrings (Abb. 1 e) steht, nur zu sehr schwachen hydrophoben Kontakten ffihrt. Besonders starke Wechselwirkungen erfolgen mit aromatisehen Seitenketten, wobei der Phenylrest ohne signifikante ~nderung des Schwellenwertes dureh den Indolylrest ersetzt werden kann (Phenylalanin, Trypto- phan). Ffir den Phenylrest ist eine Stellung links der Verbindungslinie N-Cr gfin- stiger (Abb. 1 k) als die Stellung rechts (Abb. 11). Der sehr kleine Schwellenwert des Benzamids (Nr. 53) deutet darauf, da$ die Bedingungen ffir eine Wechselwirkung bei planaren Molekfilen besonders gfinstig sind.

Die Benzoylaminos/~uren der Tab. 2 (Nr. 31/32/33) sind bitter, weft ein hydropho- ber Kontakt fiber den Phenylrest mSglich ist. Die im Vergleich zu Benzamid (Nr. 53) hSheren Schwellenwerte lassen sich auf die anwesende Carboxylgruppe zurfiekffihren, die die Gesamthydrophobit/it herabsetzt.

Die LSschung des Bittergeschmacks dureh hydrophile Substituenten an C ~, Cv oder C ~1 (Abb. 1 m, n, o) ist verst/~ndlich, da die Substituenten in dem Bereich ~fir hydrophobe Kontakte stehen. Eine polare Substitution an C ~ ist wieder mit bitterem Geschmaek vereinbar (Abb. 1 p, q). Der bittere Geschmack yon Arginin (polare Sub- stitution an C ~1) ist wahrscheinlich darauf zurfickzuffihren, dal~ der polare Kontakt mit dem Receptor nicht fiber die ~-Ammoniumgruppe, sondern fiber die Guanidinium- gruppe erfolgt (Abb. 1 r). Ein polarer Substituent an C ~2 hat keinen EinfluI~ auf den Schwellenwert (Phenylalanin-Tyrosin).

In Abb. 2 ist das Modell sehematisch wiedergegeben. Etwa 3 ~ yon der polaren Gruppe der bitteren Verbindung entfern¢, die an der nucleophilen Kontaktstelle I des Receptors fixiert ist, beginnt die hydrophobe Kontaktzone II, die sich jeweils min- destens fiber 3/~ in Riehtung der Verbindungslinie N - C v und senkreeht dazu ers~reckt. Da der Bittergeschmack bei Aminos/~uren, aber nicht bei An~nos/iureestern und Aminos/~ureamiden yon der Konfiguration abh/~ngt, ist darfiber hinaus am Receptor eine Zone(III) anzunehmen, die Carboxylgruppen aufgrund der Ladung abstSBt.

Als essentielle Strukturelemente ffir sfil]e Verbindungen werden zwei polare Grup- pen (AH/B-System [7]) und zus/itzlich eine hych'ophobe Gruppe in entsprechender steriseher Anordnung angesehen [8]. Bitterer Gesehmack kann dagegen schon durch Verbindungen mit einer polaren (elektrophilen) Gruppe und einer hydrophoben Grup- pe ausgelSst werden, wenn bestimmte sterische Voraussetzungen efffillt sind.

Die bier an Aminos/iuren und einigen verwandten Verbindungen entwiekelten Vorstellungen dfirften sich auf andere bittere Verbindungen fibertragen ]assen, da diese auch elektrophile und hydrophobe Gruppen enthalten. Eine gewisse Beziehung

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Abb. 2. Schematische Darstellung des Kontak~s bitterer Aminos~uren und vcrwandter Verbin- dungen mit einem Receptor.- I: ~qucleophile Kontaktstelle des Receptors, II: Zone fiir hydro-

phoben Kontakt, III: Zone, die --COO- abstS•t. -- O : elcktrophile Gruppe, @ : --CO0-

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zwischen den Geschmacksqualiti~ten sfil~ und bitter, die sich z. B. bei einigen Ver- bindungen im gleichzeitigen Auftreten beider Geschmacksrichtungen oder im Ge- sehmaeksumschlag nach geringfiigigen strukturellen ~nderungen andeutet , finder ihre Entspreehung in der J~hnlichkeit der zur AuslSsung sfil~en und bi t teren Ge- schmacks essentiellen Gruppen (bipolar/hydrophob und monopolar/hydrophob).

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Dr. H. Wiesner u. Prof. Dr. H.-D. Belitz Institut fiir Lebensmittelchemie Teehnische Universit~t Miinchen D-8000 Mfinchen 2, Lothstr. 17 Bundesrepublik Deutschland