zusammenfassung klassiker vorlesung

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Marx Entfremdung als: 1) Gestörtes Identifikationsverhältnis 2) Machtverlust, Heteronomie-Erfahrung Entfremdung und Emanzipation „Die erste Voraussetzung aller Menschengeschichte ist natürlich die Existenz lebendiger menschlicher Individuen. Der erste zu konstatierende Tatbestand ist also die körperliche Organisation dieser Individuen […] Alle Geschichtsschreibung muß von diesen natürlichen Grundlagen und ihrer Modifikation im Lauf der Geschichte durch die Aktion der Menschen ausgehen.“ Freiheitliche Praxis als ein Tätigsein Sozial geformte materielle Welt als Spiegel des Subjekts „prometheisch-expressivistisches“ Verständnis von Anerkennung (Charles Taylor) Prometheus als Sinnbild der Marxschen Theorie: Zentralität der Arbeit Anthropologie der Arbeit: „prometheisch-expressive“ Subjekt als Modell menschlicher Emanzipation Materialismus als Produktivismus/Tätigkeit: Arbeit als Grundlage der Gesellschaftstheorie Der „gefesselte Prometheus“ als Metapher für den Mensch in der kap. Ökonomie Entfremdung bei Marx „… dass Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, dass er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und weil er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen. […] Es kömmt daher zu dem Resultat, dass der Mensch (der Arbeiter) nur mehr in seinen tierischen Funktionen, Essen, Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck etc., sich als freitätig fühlt und in seinen menschlichen Funktionen nur mehr als Tier. Das Tierische wird das Menschliche und das Menschliche das Tierische.“ Kritiken am Entfremdungsbegriff bei Marx Kritik an der mangelnden Berücksichtigung von Alterität – gehen Entfremdung und Fremdbleiben (Rahel Jaeggi) zusammen? Kritik an der Anthropologie der Arbeit – was ist mit Arbeit, die keine Gegenstände herstellt, z.B. Hausarbeit (feministische Kritik)? Kritik am Freiheitsbegriff – was ist z.B. mit den unbewussten Regungen und Entscheidungen?

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Zusammenfassung Klassiker Vorlesung

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Page 1: Zusammenfassung Klassiker Vorlesung

MarxEntfremdung als:

1) Gestörtes Identifikationsverhältnis2) Machtverlust, Heteronomie-Erfahrung

Entfremdung und Emanzipation„Die erste Voraussetzung aller Menschengeschichte ist natürlich die Existenz lebendiger menschlicher Individuen. Der erste zu konstatierende Tatbestand ist also die körperliche Organisation dieser Individuen […] Alle Geschichtsschreibung muß von diesen natürlichen Grundlagen und ihrer Modifikation im Lauf der Geschichte durch die Aktion der Menschen ausgehen.“ Freiheitliche Praxis als ein TätigseinSozial geformte materielle Welt als Spiegel des Subjekts„prometheisch-expressivistisches“ Verständnis von Anerkennung (Charles Taylor)

Prometheus als Sinnbild der Marxschen Theorie: Zentralität der Arbeit• Anthropologie der Arbeit: „prometheisch-expressive“ Subjekt als Modell menschlicher Emanzipation• Materialismus als Produktivismus/Tätigkeit: Arbeit als Grundlage der Gesellschaftstheorie– Der „gefesselte Prometheus“ als Metapher für den Mensch in der kap. Ökonomie

Entfremdung bei Marx„… dass Arbeit dem Arbeiter äußerlich ist, d.h. nicht zu seinem Wesen gehört, dass er sich daher in seiner Arbeit nicht bejaht, sondern verneint, nicht wohl, sondern unglücklich fühlt, keine freie physische und geistige Energie entwickelt, sondern seine Physis abkasteit und seinen Geist ruiniert. Der Arbeiter fühlt sich daher erst außer der Arbeit bei sich und in der Arbeit außer sich. Zu Hause ist er, wenn er nicht arbeitet, und weil er arbeitet, ist er nicht zu Haus. Seine Arbeit ist daher nicht freiwillig, sondern gezwungen, Zwangsarbeit. Sie ist daher nicht die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern sie ist nur ein Mittel, um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen. […] Es kömmt daher zu dem Resultat, dass der Mensch (der Arbeiter) nur mehr in seinen tierischen Funktionen, Essen, Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck etc., sich als freitätig fühlt und in seinen menschlichen Funktionen nur mehr als Tier. Das Tierische wird das Menschliche und das Menschliche das Tierische.“

Kritiken am Entfremdungsbegriff bei Marx• Kritik an der mangelnden Berücksichtigung von Alterität – gehen Entfremdung und Fremdbleiben (Rahel Jaeggi)

zusammen?• Kritik an der Anthropologie der Arbeit – was ist mit Arbeit, die keine Gegenstände herstellt, z.B. Hausarbeit

(feministische Kritik)?• Kritik am Freiheitsbegriff – was ist z.B. mit den unbewussten Regungen und Entscheidungen?

Ökonomie als Fetischismus„Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ungeheure Warensammlung, die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware“

Was ist ein Wert?„Wert ist, wie jeder weiß, ein Preis. Aber er ist gleichzeitig viel mehr als ein Preis. Er analysiert fundamentale Annahmen darüber, warum unterschiedlichste Dinge vergleichbar sind. Noch extravaganter, inwiefern diese Vergleichbarkeit auf eine Zahl reduziert werden kann. Unüberbrückbare Gegensätze werden im Säurebad des Marktes aufgelöst: unterschiedliche Bewußtseine, unterschiedliche Dinge, unterschiedliche zeitliche, kulturelle und geographische Herkunft... alles wird gegenüber gestellt und als Ausdruck des gleichen Wertes behandelt“

Ökonomie als Beziehung von Dingen„Jedes Ding ist ein verzauberter Mensch“

(1) Soziale Beziehung als ein Verhältnis von Dingen: Ware als „soziale Hieroglyphen“(2) Soziale Beziehung als ein Verhältnis von Werten: Abstraktion

Vergleich: Tausch bei Adam Smith und Karl Marx

Page 2: Zusammenfassung Klassiker Vorlesung

• Adam Smith: Tausch als Art sozialer Aushandlung, Medium der Kooperation• Karl Marx: Tausch als verdinglichte und entfremdete Sozialität. Soziale Beziehungen werden darin verkannt und zu

NaturgesetzenÖkonomie als Fetischismus

• „Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt“

• Die sozialen Beziehung erhalten eine „mit eigenem Leben begabte“ Gestalt:- Heteronom und Intransparent- Regiert von der Abstraktion des Wertes

Fetischismus als Heteronomie• „Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eigenem Leben begabte, untereinander und mit den

Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten“ (Marx)• „Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eigenem Leben begabte, untereinander und mit den

Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten“ (Marx)• In der Tat wird der Wert hier das Subjekt eines Prozesses. […] Er hat die okkulte Qualität erhalten, Wert zu setzen,

weil er Wert ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldene Eier“ (Marx) ein „selbstverwertender Wert“ (Marx)Zwei Abläufe des Tausches:

• W-G-W• G-W-G‘

„Der Kapitalist weiss, dass alle Waren, wie lumpig sie immer aussehn oder wie schlecht sie immer reichen, im Glauben und in der Wahrheit Geld sind.“ (Marx)«Geld heckendes Geld»„Die einfache Warenzirkulation – der Verkauf für den Kauf – dient zum Mittel für einen außerhalb der Zirkulation liegenden Endzweck, die Aneignung von Gebrauchswerten, die Befriedigung von Bedürfnissen. Die Zirkulation des Geldes als Kapital ist dagegen Selbstzweck, denn die Verwertung des Werts existiert nur innerhalb dieser stets erneuerten Bewegung. Die Bewegung des Kapitals ist daher maßlos“ (Marx)Zirkulation des Geldes als Kapital als Selbstzweck Aristotelische Kritik der Maßlosigkeit

– Chrematistik vs. Ökonomie: Die Kunst, Geld zu machen vs. Die Produktion von Gebrauchswerten

Marxismus und PostmarxismusWohin geht die „Post“? – Zum „Post“ im Postmarxismus

• Nicht einfach eine Zäsur zwischen einem Vorher und Nachher• Das Vorher wirkt im Nachher nach

Beispiel der „Postmoderne“ (Jean-Francois Lyotard), die der Moderne in der Bewegung des „Darüber-hinaus-Gehens“ verhaftet bleibt.

• Postmodern, Poststrukturalistisch und Postmarxistisch: Hegemonie und radikale Demokratie: zur Dekonstruktion des Marxismus (1985) von Chantal Mouffe und Ernesto Laclau

• Frage• An welche Stränge des marxistischen Denkens knüpft der Postmarxismus an und wie revidiert er sie in ihrer

Fortsetzung? • These• Marxismus und Postmarxismus teilen eine Problemkonstellation:• 1) Wie werden gesellschaftliche Transformationen gedacht?• 2) Welche Rolle spielen soziale Kämpfe?• 3) Welche Bedeutung kommt der Politik im Unterschied zur Ökonomie zu?•

„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“

Page 3: Zusammenfassung Klassiker Vorlesung

• Kämpfe als Motor der Geschichte• Kämpfe als Kämpfe zwischen ökonomischen Akteuren: Klassen• Klassen als historische Akteure, die sich in Abhängigkeit von der jeweiligen Produktionsweise formieren

Grundlegend für die Gesellschaftsstruktur ist die ProduktionsweiseProduktion und Produktionsweise bei Marx

„[Die Menschen] fangen an, sich von den Tieren zu unterscheiden, sobald sie anfangen ihre Lebensmittel zu produzieren … Indem die Menschen ihre Lebensmittel produzieren, produzieren sie indirekt ihr materielles Leben selbst.“ „[Die] Weise der Produktion ist … eine bestimmte Art [der Individuen] ihr Leben zu äußern, eine bestimmte Lebensweise derselben. Wie die Individuen ihr Leben äußern, so sind sie. Was sie sind, fällt also zusammen mit ihrer Produktion, sowohl damit, was sie produzieren, als auch damit, wie sie produzieren.“

Produktionsweise1. Produktivkräfte

1.a. Produktionsmittel (z.B. Webstuhl, Fließband, Mikroprozessor, …)1.b. Arbeitskraft

2. Produktionsverhältnisse (z.B. Sklavenhalter-Sklave; Lehnsherr-Leibeigene; Kapitalist-Arbeiter)

Gesellschaftsstruktur:Basis-Überbau

Überbau (Ideologie)PolitikRechtReligionWissenschaftBasis (materielles Sein)Produktionsweise: Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse

Marx als Postmarxist:Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte

Analyse der französischen Revolution von 1848ff. vor dem Hintergrund der Revolution von 1789ff. – These: 1848 wiederholt 1848 „als Farce“.Die französische Revolution von 1789ff. erfüllt die „Aufgabe ihrer Zeit“:„Die einen schlugen den feudalen Boden in Stücke und mähten die feudalen Köpfe ab, die darauf gewachsen waren. Der andere schuf … die Bedingungen, worunter erst die freie Konkurrenz entwickelt, das parzellierte Grundeigentum ausgebeutet, die entfesselte industrielle Produktivkraft der Nation verwandt werden konnte“ 1848 – Die nächste Stufe zur klassenlosen Gesellschaft?Ganz und gar nicht! Durch die „Volte eines falschen Spielers“ verläuft die Geschichte nicht nach vorne, sondern in der Wiederholung der Ereignisse von 1789 rückwärts!1. Phase: Vertreibung des „Bürgerkönigs“ Louis-Philippe – Die Republik „schien sich … von selbst zu verstehen. Jede Partei deutete sie in ihrem Sinn“. Eine offene revolutionäre Situation.2. Phase: Schließung des offenen Situation – statt einer proletarischen Revolution (Niederschlagung der Juniaufstände mit 3000 Toten) konsolidiert sich eine bürgerliche Republik unter einem breiten Bündnis.3. Phase: Herrschaft des „Narrenkönigs“ Bonaparte (dem Neffen) – Wahl durch das Bürgertum im Dezember 1848; Staatsstreich 1851, Kaiserkrönung 1852.

Wen repräsentiert Louis Bonaparte?Weder Bürgertum noch Proletariat: Das „Lumpenproletariat“ betritt die Bühne - der „Auswurf, Abfall, Abhub aller Klassen“, und damit für Marx keine Klasse im vollen Sinne.Eine Anomalie? Oder der kontingente Eigensinn des Politischen?

Page 4: Zusammenfassung Klassiker Vorlesung

„[Bonaparte] was nothing, he signified everything.“ (Peter Stallybrass, Marx and Heterogeneity) Das heißt: Bonaparte als „leerer Signifikant“ im Sinne Laclaus?„Ordnung“ gegen „Anarchie“ – Das Politische als Antagonismus?

Das Politische als Antagonismus„Alle Klassen und Parteien haben sich während der Junitage zur Partei der Ordnung vereint gegenüber der proletarischen Klasse, als der Partei der Anarchie, des Sozialismus, des Kommunismus. Sie hatten die Gesellschaft ‚gerettet‘ gegen ‚die Feinde der Gesellschaft‘.“

Laclaus Postmarxismus: Theoretische Umstellung• Sprachphilosophie: Diskurs als Leitkonzept• Dekonstruktion: der Antagonismus gegenüber einem konstitutiven Außen• Psychoanalyse: der leere Signifikant als Knotenpunkt des Diskurses

1. Ontologie des Diskurses• Basis/Überbau Diskurs• „Discourse is the primary terrain of the constitution of objectivity as such.“ (Laclau)• Statt Diskurs und materielle Praxis: diskursive Praxis Beispiel: Mauerbau – Diskurs als Verknüpfung sprachlicher

und praktischer Sequenzen• „The basic hypothesis of a discursive approach is that the very possibility of perception, thought and action

depends on the structuration of a certain meaningful field which pre-exists any factual immediacy.“ (Laclau)

2. Dekonstruktion: Differenz ist konstitutiv für Identität• Jede Identität hängt konstitutiv von der Differenz zu einem Anderen ab. Deshalb – so die dekonstruktivistische

Pointe – gibt es kein identisches Sein für sich: Jede Identität trägt die „Spur des Anderen“ (Jacques Derrida)!• Beispiel Hautfarbe (Stuart Hall): Die Identität des „Weißen“ hängt vom „Schwarzen“ ab, d.h. nicht nur weiß „der

Weiße“ ohne „den Schwarzen“ nicht, wer er ist; „der Weiße“ trägt immer schon die Spur „des Schwarzen“.

2. Dekonstruktion: differentielle Identitäten und antagonistischer Diskurs• Differenz #1: Identitäten als Differenzen innerhalb eines Diskurses

der politische Diskurs als Verknüpfung von Identitäten• Differenz #2: Die Differenz des Diskurses gegenüber einem konstitutiven Außen („Exklusion“) – jeder Diskurs

bedarf für Laclau einer Grenze zwischen Innen/Außen der politische AntagonismusBeispiel (Marx): Der Bonapartismus als Herrschaft im Namen der „Ordnung“ gegen die Kräfte der

„Anarchie“. Die Abgrenzung gegen die „Anarchie“ als konstitutives Außen erlaubt die Formierung eines Bündnisses.

2. Dekonstruktion: antagonistischer Diskurs• Die antagonistische Beziehung zu einem konstitutiven Außen ist zugleich Bedingung der Möglichkeit und der

Unmöglichkeit der diskursiven Schließung.Beispiel: Amerika in der McCarthy-Ära: Amerika ist alles, was nicht „rot“ ist – und deshalb wird die

amerikanische Identität vom Kommunismus heimgesucht. Plötzlich werden „Kommunisten“ im Innersten des amerikanischen System „entdeckt“.

• Antagonismus: Weder dialektischer Widerspruch (Aufhebung in einer Einheit) noch Widerstand (positives Kräfteverhältnis)

Negativität der Beziehung zu einem konstitutiven Außen

3. Leerer Signifikant – Definition• Zeichentheorietisch: Signifikant und Signifikat bilden zwei Seiten eines Zeichens: Lautbild und Konzept,

Bezeichnendes und Bezeichnetes. Ein leerer Signifikant ist demnach: Ein Signifikant, der nicht distinkt bezeichnet.• Diskurstheoretisch: Eine partikulare Identität, die sich so weit semantisch entleert, dass Sie den Diskurs in seiner

unmöglichen Totalität repräsentiert

Page 5: Zusammenfassung Klassiker Vorlesung

die „hegemoniale Operation“ (Laclau): Der leere Signifikant „vernäht“ ein Feld von Differenzen gegenüber einem konstitutiven, antagonistischen Außen, d.h. er setzt die Differenzen äquivalent – Instabilität jedes Diskurses!

Beispiel: „Eine andere Welt ist möglich“ – der Slogan der Anti-Globalisierungsbewegung

3. Leerer Signifikant - Merkmale• Perfomative Wirkungskraft: Der leere Signifikant beschreibt keine bereits existierende Konstellation, er stellt sie

im Akt der Benennung in spezifischer Weise her.Beispiel (Zizek): „It is not that Malboro expresses American identity, but that the latter is constructed

through the recognition of America as a Malboro country.“ Poststrukturalismus: „Ein Strukturelement [wird] mit einem Wert [versehen], der nicht aus seinem Platz in

der Struktur hervorgeht.“ (Laclau)• Affektive Wirkungskraft: Ein „radical investment“ des „Partialobjekts“ ( Psychoanalyse) – der leere Signifikant

animiert die Hoffnungen, Ängste, Träume etc.Beispiel: Obamas „Change“

Emile Durkheim: Anti-Utilitaristische Soziologie

Ausgangspunkt: ÖkonomismusÖkonomismus bezeichnet die Dominanz ökonomischer Determinanten in der Erklärung von sozialer Ordnung

Ökonomismus des Liberalismus«Wenn man Ihnen [den Ökonomen] folgt, gibt es in der Gesellschaft nichts Wirkliches außer dem Individuum: aus ihm geht alles hervor, und zu ihm kehrt alles zurück…Das Individuum ist die einzig greifbare Realität, die der Beobachter ausfindig machen konnte…Die ökonomischen Gesetze wäre nur logische Konsequenzen, die er aus der Definition ableitet…Wenn dieses Konzept vom Individuum, das ausersehen ist, in sich die gesamte Wissenschaft zu enthalten, wenigsten der Wirklichkeit entsprechen würde! Aber die Ökonomen haben die Realität eingeengt»

Gegen den Utilitarismus im ökonomischen DenkenUtilitarismus: Kalkulationen von Kosten und Nutzen und die Erreichung des größtmöglichen Nutzens wird zum Maßstab für Rationalität und « natürliche » OrdnungDurkheim begründet die Soziologie als Anti-UtilitarismusIn den 1980s Jahren wird die Bewegung »M.A.U.S.S.« von Alain Caillé und Gérald Berthoud gegründet.Mouvement Anti-Utilitariste en Sciences Sociales,

Emile Durkheim – die Soziologie der StrafeEs gibt “eine Menge Handlungen, die als kriminell angesehen wurden und noch immer angesehen werden, ohne dass sie an sich für die Gesellschaft schädlich wären“ Der Mord gilt als größtes Verbrechen und ruft das höchste Strafmaß hervor. „Trotzdem können aber eine ökonomische Krise, ein Börsenkrach, sogar ein Konkurs einen soziale Körper viel ernsthafter desorganisieren als einen einzelnen Mord...Was bedeutet schon ein Mensch weniger in der Gesellschaft“ (Emile Durkheim, Soziale Arbeitsteilung, S.120, ff)

Emile Durkheim als Anti-Utilitarist• Gesellschaft ist eine Ordnung, die sich nicht aus Nutzenkalkulationen ableiten lässt.• „Qu’on le veuille ou non, qu’elles soient un bien ou un mal, les sociétés existent. C’est au sein de sociétés

constituées que se manifeste l’activité économique“ (Durkheim 1886a: 208). • Gesellschaft als Realität sui generis ist der ökonomischen Ordnung und Rationalität vorgängig

Emile Durkheim als Begründer der Soziologie„Beauftragt, eine Wissenschaft zu lehren, die erst kürzlich geboren wurde…würde es von Verwegenheit meinerseits zeugen, wäre ich nicht vor der Schwierigkeit der Aufgabe erschrocken“ (Eröffnungsvorlesung 1887)

Das anti-utilitaristische Programm Durkheims

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Durkheims Werk ist in zwei Phasen aufgeteiltI. Arbeitsteilung, organische Solidarität, Anomie

Über die soziale Arbeitsteilung (1893), Die Regeln der Soziologischen Methode (1895), Der Selbstmord (1897)I. Kollektive Vorstellungen, Klassifikationssysteme, Religion

Die Elementaren Formen des Religiösen Lebens (1912)Jenseits des Ökonomismus I: Arbeitsteilung und Anomie

• Arbeitsteilung als soziale/moralische Tatsache– Weder Interesse, Nützlichkeit, Tausch, Produktivität sind entscheidend– „Die wahre Funktion der Arbeitsteilung besteht darin, zwischen zwei, drei oder mehreren Personen ein Gefühl der

Solidarität herzustellen“ (Durkheim, Arbeitsteilung, S. 102). • Ehe und sexuelle Arbeitsteilung als paradigmatisches Beispiel

Begründung für die Vorrang der sozialen Ordnung– Individuelles Interesse ist nicht beständig, keine Grundlage von Ordnung– «nicht-vertraglichen Grundlagen des Vertrags»: Verbindlichkeit wird durch soziale Normen bereitgestellt– Unähnlichkeit wird zum Dreh- und Angelpunkt sozialer Verbindung und Verbindlichkeit– Vertragssolidarität als Modell der Verbindlichkeit

SolidaritätsformenMechanische Solidarität

• Ähnlichkeit• Segmentär• Konformismus• Schwächere Bindung• Indikator: Strafrecht

Organische Solidarität• Unterschiedlichkeit• Arbeitsteilung• Freiheitsgrade• Stärkere Bindung• Privatrecht

Jenseits des Ökonomismus I: Arbeitsteilung und Anomie• Die Ableitung der organischen Solidarität aus der Arbeitsteilung gelingt nur ex negativum: Als Krisendiagnose

einer fehlenden Moral• Anomie als ein Zustand der Regellosigkeit– „Nun existiert...diese Regelung entweder gar nicht, oder sie steht nicht im Einklang mit dem Entwicklungsgrad der

Arbeitsteilung“ (Durkheim, Arbeitsteilung, S. 435). Soziologie als MoralwissenschaftPraktisches Interesse der Soziologie Durkheims:

– Aufklärung über die einer bestimmten sozialen Ordnung angemessene Moral– «Anstatt die Moral nach unserem persönlichen Ideal zu konstruieren, werden wir sie wie ein System natürlicher

Phänomene beobachten, die wir unserer Analyse unterwerfen und deren Ursache wir suchen werden» (1887)Jenseits des Ökonomismus I:

Der Selbstmord• Egoistischer Selbstmord – Das Individuum erkennt nichts höheres als sich Selbst• Altruistischer Selbstmord – Das Individuum zählt nichts in einer Gemeinschaft• Anomischer Selbstmord – Das Individuum verliert sich im Zustand der Regellosigkeit• Fatalistischer Selbstmord – Das Individuum wird von zu vielen und zu engen Regeln in die Ausweglosigkeit

gedrängtDer anomische Selbstmord

• Anomischer Selbstmord als Effekt von mangelnden, effektiven und legitimen Begrenzungen/Regeln

Page 7: Zusammenfassung Klassiker Vorlesung

• Leiden am „Unendlichen“• Individuum kann Grenzen nicht selbst setzen, nur gesellschaftliche Autorität

Soziale Ordnung jenseits der Ökonomie: Moralische Tatsachen„Der Mensch wird nicht eine Beschränkung seiner Begierden zustimmen, wenn er sich berechtigt glaubte, die ihm gesetzten Grenzen zu überschreiten...eine Autorität muss sie ihm vorschreiben, die er respektiert und vor der er sich spontan verneigt. Nur die Gesellschaft ist in der Lage, diese mäßigende Rolle zu spielen...Denn sie ist die einzige dem einzelnen übergeordnete moralische Kraft, deren Überordnung er auch anerkennt. Sie hat als einzige die nötige Autorität, Recht zu sprechen und den Begierden Schranken zu setzen (Durkheim, Selbstmord 283, 236)

• Soziale Ordnung ist eine moralische Tatsache– „Moralisch ist ...alles, was den Menschen zwingt mit dem anderen zu rechnen, seine Bewegung durch etwas

anderes zu regulieren als durch die Triebe seines Egoismus, und die Moralität ist umso fester, je zahlreicher und stärker die Bande sind“ (aus Durkheim, Arbeitsteilung, S. 468).

Soziologie als Moralwissenschaft• Die Soziologie untersucht die wesentlichen Züge, die die Moralregeln einer bestimmten Gesellschaft oder eines

bestimmten sozialen Typus wirklich besitzen• Wissenschaft von der Moral als einem Faktum sozialen Lebens

Jenseits des Ökonomismus II: Kollektive Repräsentationen„Das allgemeine Ergebnis des Buches ist, dass die Religion eine eminent soziale Angelegenheit ist. Die religiösen Vorstellungen sind Kollektivvorstellungen, die Kollektivwirklichkeiten ausdrücken; die Riten sind Handlungen, die nur im Schoß von versammelten Gruppen entstehen können und die dazu dienen sollen, bestimmte Geisteszustände dieser Gruppen aufrechtzuerhalten oder wieder herzustellen“ (Durkheim, Elementare Formen)

• Religion wird definiert durch die Unterscheidung von Heilig/Profan- „Heilige Dinge sind, was die Verbote schützen, profane Dinge, worauf sich die Verbote beziehen“- Markiert eine absolute Andersartigkeit, mehr als hierarchische Anordnung von Dingen- Das Heilige als Kraft und Autorität• Religion wird definiert als ein Klassifikations- und Begriffssystem- Vermittelt eine Vorstellung der Ordnung als Totalität (Kosmologie) und ihrer inneren Gliederung- Ein System der Symbole, durch die die Gesellschaft ihrer selbst bewusst wird.- Klassifikation ist ein autoritatives und über-individuelles Ordnungssystem für Natur und Kultur• Religion wird definiert als rituelle Praxis, in der Gemeinschaft erfahrbar wird (Kult, Riten)- Vorstellungen des Ganzen wird zu einer unmittelbaren Erfahrung- Idealisierung/Vorstellung des Kollektivs als Steigerung von Gefühlen und Bewusstwerdung• Gesellschaft als Religion – Religion als Gesellschaft- Soziale Ordnung durch Sakralisierung von Autorität- Soziale Ordnung als Klassifikationssystem von Rollen und Erfahrungen- Soziale Ordnung als Effekt von rituellen Praktiken der Vergemeinschaftung

Das Erbe Durkheims• Anti-Utilitaristische Soziologie• Sozialität der Normen• Konstitutive Rolle kollektiver Vorstellungen über Gesellschaft: Kultursoziologie, Wissenssoziologie und

Religionssoziologie als Erbe Durkheims• Unfähig eine normfreie Sozialität zu denken• Anti-Ökonomismus der Soziologie als Entgegensetzung von Moral und ökonomischer Logik bestimmt• Grundbegriffe Durkheims unterschätzen Macht, Konflikt und das Politische• Metapher des Organismus beschwört das Bild einer harmonischen Ordnung

Durkheims Erbe – Mary Douglas und die Kultursoziologie des RisikosVon Durkheim ausgehend: Der Weg zur Kultursoziologie des Risikos – Überblick

Page 8: Zusammenfassung Klassiker Vorlesung

1. Durkheims Religionssoziologie als Soziologie der Klassifikation – Vertiefung in die Soziologie der Kollektivvorstellungen und Rituale

2. Mary Douglas‘ Purity and Danger – Ein ethnologisches Grundlagenwerk der Gefahrensoziologie im Geiste Durkheims

3. Risk and Culture – Eine Kulturtheorie des Risikos als Weiterführung der religionsethnologischen Arbeiten der 1960er

Die elementaren Formen des religiösen Lebens (1912):+++

Was macht dieses Spätwerk Durkheims aus der Frühphase der Soziologie zu einem soziologischen Werk?

Die Soziologie als „Abstandnahme“Die Soziologie „sucht das Handeln nicht durch Annäherung, sondern durch Abstandnahme, nicht in kongruenter Einstellung, sondern durch Anlegung inkongruenter Perspektiven zu erkennen. Ein solches Programm ist augenscheinlich absurd – und gerade darum erfolgreich.“Niklas Luhmann, Politische Soziologie, S. 12 Statt zu fragen, ob religiöse Überzeugungen wahr oder falsch sind, fragt Durkheim nach der gesellschaftlichen Funktion der Religion!

1. Religion bei Durkheim„Die religiösen Vorstellungen sind Kollektivvorstellungen, die Kollektivwirklichkeiten ausdrücken; die Riten sind Handlungen, die nur im Schoß von versammelten Gruppen entstehen können und die dazu dienen sollen, bestimmte Geisteszustände dieser Gruppen aufrechtzuerhalten oder wieder herzustellen.“ Emile Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens

„Die Bildung eines Ideals … ist ein … Produkt des gesellschaftlichen Lebens. Damit die Gesellschaft sich ihrer bewusst werden kann und dem Gefühl, das sie von sich hat, den nötigen Intensitätsgrad vermitteln kann, muss sie versammelt und konzentriert sein. Dann bewirkt diese Konzentration eine Überschwänglichkeit des moralischen Lebens, die sich in einer Summe von idealen Vorstellungen äußert, in denen sich das neue Leben abzeichnet, das damit erwacht ist. … Eine Gesellschaft kann nicht entstehen, noch sich erneuern, ohne gleichzeitig Ideales zu erzeugen. Diese Schöpfung ist für sie nicht irgendeine Ersatzhandlung, mit der sie sich ergänzt, wenn sie einmal gebildet ist, es [sie?] ist der Akt, mit dem sie sich bildet und periodisch erneuert.“Emile Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens

Kollektivvorstellungen- Kollektive Vorstellungen des Kollektivs- Klassifikationen des gesellschaftlichen Ganzen als Totalität

Klassifikation in heilig/profan Ordnung in soziale Gruppen (z.B. Clans) Ordnung der Zeit Ordnung des Raums Ordnung der Kausalität

Religion erzeugt durch Kollektivvorstellungen und Klassifikationen - einen „moralischen Konformismus“ (i.S.v. verbindlichen Regeln)- einen „logischen Konformismus“ (i.S.v. „Denknormen“)

„Darum fühlen wir, wenn wir uns im innersten von diesen Grundbegriffen zu befreien suchen, dass wir nicht ganz frei sind, dass etwas in uns widersteht, in uns und außer uns. Außer uns ist die Meinung, die über uns urteilt. Da aber die Gesellschaft auch in uns vertreten ist, widersetzt sie sich auch in uns gegen diese revolutionären Neigungen. Wir haben den Eindruck, dass wir uns ihnen nicht hingeben können, ohne dass unser Denken aufhört,

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wirklich menschliches Denken zu sein. … Es ist diese Autorität der Gesellschaft selbst, die sich in bestimmten Denkweisen niederschlägt, die ihrerseits die unentbehrlichen Bedingungen jeder gemeinsamen Handlungen sind.“Emile Durkheim, Die elementaren Formen des religiösen Lebens

1. Religion dient der begrifflichen, d.h. wesentlich unpersönlich Erfassung der Welt„Im Wort verkörpert sich … ein Wissen, an dem ich nicht mitgearbeitet habe, ein mehr als nur individuelles Wissen“ heute: Wissenschaft?

2. Religion entwickelt Klassifikationen und versieht sie mit Geltung durch Sanktionen heute: Recht?

3. Religion erweckt Kollektivgefühle zum Leben heute: Politik? Oder Sport?

2. Reinheit und Gefährdung„Organising requires classifying, and … classification is at the basis of human coordination.“Mary Douglas, Purity and Danger, xvii„ The moral order is infused into our structuring of reality with categories and classifications such that sorting, tidying, cleaning, and putting things in their place … act to reinforce ritually both the structure of social reality and the larger moral order itself. … There is a moral component in assigning reality to different categories and relationships, that becomes particularly apparent when things get out of place.“Albert James Bergesen, Review zu Purity and Danger

1. Herausragende Bedeutung der Klassifikation in verschmutzt und rein, dreckig und sauber.2. Jede Klassifikation erzeugt das Unklassifizierbare: jede Ordnung das Unordentliche, jede moralische Norm die ihr

gemäße Anomaliez.B. Ambivalenzen von „Zwischenpositionen“, die dann durch Riten kontrolliert werden (Initiationsriten, Sterberiten, Geburtsriten, …)

„Any given system of classification must give rise to anomalies, and any given culture must confront events which seem to defy its assumptions. It cannot ignore anomalies which its scheme produces … This is why, I suggest, we find in any culture worthy of the name various provisions for dealing with ambiguous or anomalous events.” (Purity and Danger, S. 48)

„if uncleanness is a matter out of place, we must approach it through order. Uncleanness or dirt is that which must not be included if a pattern is to be maintained. To recognize this is the first step towards insights into pollution. It involves us in no clear-cut distinction between sacred and secular.” (PD, S. 50)

Verschmutzungsvorstellungen als Vehikel, um Kollektivideal von sozialer Ordnung auszudrücken und mit Geltungskraft zu versehen

Nichts ist „an sich“ schmutzig; Schmutz ergibt sich in relational aus einer klassifikatorischen Ordnung„[D]irt as a matter out of place … implies two conditions: a set of ordered relations and a contravention of that order. Dirt, then, is never a unique, isolated event. Where there is dirt, there is system.” (PD, S. 44)

Wechselseitiges Konstitutionsverhältnis: Die Verschmutzungsvorstellung zeitigt einen ordnungsbildenden Effekt, während die soziale Ordnung umgekehrt ihren spezifischen Schmutz hervorbringt

Schmutz als eine „Grenzphänomen“:a) Schmutz außerhalb des Systems: „Othering“ Ausschluss und Kohäsion!b) Schmutz im System: Ambivalenzen Soziale Kontrolle!

Grenzen des Körpers und der Gesellschaft: „Even more direct is the symbolism worked upon the human body. The body is a model which can stand for any

bounded system. Its boundaries can represent any boundaries which are threatened or precarious. The body is a

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complex structure. The functions of its different parts and their relation afford a source of symbols for other complex structures.”

(Purity and Danger, S. 150) Grenzen des Körpers und der Gesellschaft: „[A]ll margins are dangerous. (…) We should expect the orifices of the body to symbolize its specially vulnerable

points. Matter issuing from them is marginal stuff of the most obvious kind. Spittle, blood, milk, urine, faeces or tears by simply issuing forth have traversed the boundary of the body. The mistake is to treat bodily margins in isolation from all other margins.”

(Purity and Danger, S. 142)3. Kultursoziologie des Risikos

risk asessment und risk management als unsoziologische Beobachtungsweisen des RisikosAnnahmen: Risiken sind objektiv in der Welt und müssen nur als solche erkannt werden; Risiken sind objektiv berechenbar, und zwar als Produkt von Eintrittswahrscheinlichkeit und SchadensgrößeWissenssoziologie des Risikos (Ian Hacking; Francois Ewald): Anhand welcher kalkulatorischer Verfahren wird Zukunftswissen erzeugt? (Orakel, Spieltheorie, Wahrscheinlichkeitsprognose, Szenariotechnik, … - andere Technik anders Wissen)Beobachtertheorie des Risikos (Niklas Luhmann): Risiken sind Ausfluss einer Entscheidung, ansonsten wird das gleiche Ereignis als Gefahr beobachtet. D.h. nur für Raucher ist Krebs ein Risiko. Potentiell konfliktuös: Warum sollten andere die Gefahren akzeptieren, die aus riskanten Entscheidungen resultieren?Kulturtheorie des Risikos (Mary Douglas): …

• Es ist nicht wichtig, ob Risiken wirklich riskant sind. Stattdessen: Welche Form der Sozialität entsteht, wenn Gesellschaften sich im Spiegel spezifischer Risiken betrachten? Welche Formen der moralischen Vergesellschaftung (Durkheim) werden durch spezifische Risiken forciert?

• Risiken als „unser“ Gefahrenvokabular:

„the word risk now means danger; high risk means a lot of danger.“ „ The idea of risk could have been custom-made. It’s universalizing terminology, its power of condensation, its scientificity, its connection to objective analysis, make it perfect.“

- Was als Risiko gilt, ist kulturell vermittelt: Klassifikationsschemata Die Selektion von Risiken ist damit im weitesten Sinne politisch – zu glauben, man sähe die Risiken objektiv, ist naiv:„the innocent view of culture is that we don‘t have it at home.“

- Risiken korrespondieren mit Verschmutzungsvorstellungen Purity and Danger

- Risiko dient als „forensisches Vokabular“ : „[A] culture needs a common forensic vocabulary with which to hold persons accountable.” Wer ist für welche Unglücksfälle wieso verantwortlich? Forensische Vokabulare etablieren eine gesellschaftliche Ordnungen der kausalen Zuschreibung von Verantwortlichkeit – „Who is to blame?“

1. Religiöse Forensik der Sünde: Der Ehebruch als tabuisierte Sünde schützt die gesellschaftliche Institution der Familie; die Vorstellung, dass der Ehebruch zum Kindstod führt wirkt sowohl präventiv in Zukunft als auch retroaktiv in die Vergangenheit

2. Die Forensik des Risikos wirkt funktional äquivalent: „[R]isk provides secular terms for rewriting scripture: not the sins of the fathers, but the risks unleashed by the fathers are visited on the heads of their children, even to the nth generation.”

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Allerdings: Das Vokabular der Sünde schützt die Gemeinschaft vor dem Einzelnen, das Vokabular des Risikos das Individuum vor der Gemeinschaft.Das forensische Vokabular der Sünde „ties the individual tightly into community bonds and scores on his mind the invisible fences and paths by which the community coordinates its life in common.”“To be „at risk“ is equivalent to being sinned against, being vulnerable to the events caused by others, whereas being ‚in sin’ means being the cause of harm.“ Douglas, Risk as a Forensic Resource, S. 7

Gabriele Tardes Soziologie der Nachahmung

Die Kontroverse zwischen Tarde und Durkheim

Ein Streit, was als Soziologie und was als ihr Gegenstand zu gelten habe: „Eine der beiden Soziologien war zu viel!“ (Bruno Latour, Gabriel Tarde und das Ende des Sozialen)

Tarde bilde „eine Alternative zu dem, was was für ein ganzes Jahrhundert zum vorherrschenden Paradigma in der Soziologie werden sollte. Einhundert Jahre später meldet sich dieser in Vergessenheit geratene Seitenweg nun in seiner ganzen außerordentlichen Frische und Richtigkeit zurück. Wenn er auch im 20. Jahrhundert eine totale Niederlage erdulden musste und keinerlei Bedeutung hatte, nichts wird ihn im 21. Jahrhundert daran hindern, seine ganze Wirkungskraft zu entfalten.“ Bruno Latour, Vorwort zu Monadologie und Soziologie

1. Wie ist das Verhältnis zwischen dem Individuellen und dem Kollektiven zu begreifen?2. Wie lässt sich ein sozialer Tatbestand von einem nicht-sozialen Tatbestand abgrenzen?

I.1. Tarde vs. Durkheim – Das Verhältnis von Individuellem und KollektivemII. „[Soziale Tatbestände] nehmen körperhafte Gestalt, wahrnehmbare, ihnen eigene Formen an und bilden eine

Realität sui generis, die sich von den individuellen Handlungen, in denen sie sich offenbaren, vollständig unterscheidet.“

III. Emile Durkheim, Die Regeln der soziologischen MethodeIV. „Die Kollektivströmungen führen ein Eigenleben. Sie sind als Kräfte genau so wirklich wie kosmische Kräfte, auch

wenn sie von anderer Art sind. Sie wirken auf die einzelnen genauso von Außen ein, wenn auch anders.“V. (Emile Durkheim, Der Selbstmord)

• Tarde über die Vorstellung, das Soziale sei eine separate Realität sui generis: „Halluzination“; „nebulöse Gottheiten“, „Theorie der Emanation“

• Tarde will eine Erklärungslücke schließen: „anstatt (...) das Kleine durch das Große, das Einzelne durch das Ganze zu erklären, erkläre ich die Gesamtgleichheiten durch die Anhäufung kleiner elementarer Tatsachen, also das Große durch das Kleine, das Ganze durch das Einzelne.“ Gabriel Tarde, Die sozialen Gesetze

• Statt einer bloßen Umkehr von Durkheims Blickrichtung wird der Ebenen-Unterschied zwischen „Mikro“ und „Makro“ eingeebnet.

• „In dem ‚Man’ würde man bei noch so gründlicher Untersuchung niemals etwas anderes finden als eine gewisse Anzahl dieser ‚Er’ oder dieser ‚Sie’, die sich bei ihrer Vervielfältigung vermengt und verschmolzen haben.“Gabriel Tarde, Die sozialen Gesetze

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I.2. Tarde vs. Durkheim – Die Abgrenzung des sozialen vom nicht-sozialen Tatbestand„In Wahrheit gibt es in jeder Gesellschaft eine fest umgrenzte Gruppe von Erscheinungen, die sich deutlich von all denen unterscheiden, welche die übrigen Naturwissenschaften [!] erforschen. (...) Mit organischen Erscheinungen sind sie nicht zu verwechseln, denn sie bestehen aus Vorstellungen und Handlungen, ebensowenig mit psychischen Erscheinungen, deren Existenz sich im Bewusstsein des Einzelnen erschöpft.“ Emile Durkheim, Die Regeln der soziologischen Methode„[E]ach social fact [depends] on the mental and vital constitution of the agent and the physical environment, these acts are types of hybrids, sociopsychical or sociophysical facts.“ (Gabriel Tarde)

• „die Übermittlung von etwas Innerem, Geistigen, das von einem der beiden Subjekte zum anderen übergeht, ohne seltsamerweise irgendwie für das erste verloren zu gehen oder vermindert zu werden.“Gabriel Tarde, Die sozialen Gesetze

• Eine „inter-zerebrale“ statt einer „intra-zerebralen“ Psychologie2- Nachahmung als Grundbegriff

Nachahmung als Wiederholungsgeschehen (temporale Bestimmung)Nachahmung als „Fernwirkung eines Geistes auf einen anderen“ (physikalisch-räumliche Bestimmung)Medientechnisches Modell: „Ich verstehe unter Nachahmung jeden Abdruck zwischengeistiger Fotographie, sei sie nun gewollt oder nicht, passiv oder aktiv.“ (Tarde, Gesetze der Nachahmung)

• Hydrostatisches Modell: „Eine Nachahmung betrifft eine Strömung (...), und nicht das Individuum. Nachahmung ist eine Ausbreitung einer Strömung; der Gegensatz ist die Binarisierung von Strömungen; die Erfindung ist eine Vereinigung oder Verbindung von unterschiedlichen Strömungen. Und was ist Tarde zufolge eine Strömung? Eine Überzeugung oder ein Begehren.“ Gilles Deleuze und Félix Guattari, Tausend Plateaus

• „Das soziale wie das lebendige Ding möchte sich hauptsächlich ausbreiten, nicht organisieren. Die Organisation ist nur ein Mittel, dessen Ziel die Ausbreitung und die Wiederholung durch Fortpflanzung [lebendiges Ding] oder Nachahmung [soziales Ding] darstellt.“ Tarde, Gesetze der Nachahmung

• Epidemiologisches Modell: Nachahmung als Ansteckung.• Bei der infektiösen Übertragung müsse „eine substanzielle Abweichung zwischen A und B gegeben sein (...), deren

‚Sog’ erst die Motorik des Ansteckungsvorganges auslöst.“ Sybille Krämer, Medium, Bote, Übertragung

• Hypnotisches Modell: Nachahmung als Somnambulismus.• „Die Illusion des Somnambulen wie des sozialen Menschen ist es, Ideen, die er ausschließlich suggeriert

bekommt, für spontan zu halten.“Tarde, Gesetze der Nachahmung

• Die Frage des Antriebs: Warum ahmen wir nach?• Soziales Handeln erfolgt nicht primär aufgrund von Zwang bzw. Angst vor Sanktionen. • Wir werden vielmehr von Begehren (Neigungen etwas zu wünschen) und Überzeugungen (Neigungen zu glauben)

affiziert!• Begehren und Überzeugungen als „geistige Energien ..., die gleich zwei divergierenden Strömen die

Aktionsgebiete des Ichs, sein Denken und sein Wollen, bewässern.“ (Tarde, Die sozialen Gesetze)„Ist es denn nicht offensichtlich, dass [Begehren und Überzeugung] in ihren verschiedenen Kombinationen, den Leidenschaften und den Absichten, den Lauf der Geschichte beeinflussen und jene Räder antreiben, welche die Mühlen der Politik bewegen? Was führt und treibt die Welt, wenn nicht religiöser oder anderer Glaube, Ehrgeiz und Habgier? Diese angeblichen Erzeugnisse sind vielmehr Kräfte. Sie alleine bringen Gesellschaften hervor, die noch immer von zahlreichen Philosophen als Organismen angesehen werden.“Trade, Monadologie und Soziologie

• Frage: Wie weit reicht Nachahmung?

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• Antwort: Bis zur „Geburt einer einzigen Gesellschaft“ durch „universelle Ausdehnung“ – „Das höchste Gesetz der Nachahmung scheint ihr tendenziell unbegrenztes Fortschreiten zu sein.“ (Tarde)

• Konsequenz: „Entnationalisierung“ und „internationale Angleichung“ über die „Gesamtheit der Erdkugel“ – „eine Überschwemmung der meisten ursprünglichen Kulturen durch eine von ihnen [...], deren Strömung sich in ständig größer werdenden Nachahmungsflächen ausbreitet.“ (Tarde)

• Globalisierung als „Wärmetod“ – Doch wie kommt die Differenz in die Welt?• Antwort: Erfindung! a) Die Erfindung wurzelt im Erfindergeistb) Erfindung als Kreuzung und Kombination von Nachahmungsstrahlenc) Erfindung durch Differenz in der Wiederholung

2.1. Nachahmung und Erfindung: ErfindergeistMan habe „von großen Männern gesprochen [...], wo man von großen Ideen hätte sprechen sollen, welche oft in sehr unbedeutenden Menschen aufgestiegen sind, oder wo man sogar von kleinen Ideen sprechen musste, von unendlich kleinen Neuerungen, die ein jeder von uns zu dem gemeinsamen Werke beigetragen hat. [...] Und ebenso, wie ein jeder seine kleine unbewusste oder bewusste Erfindung hat, welche er dem hundertjährigen Vermächtnis der sozialen Dinge hinzufügt, dessen momentaner Bewahrer er ist, so hat er auch seinen Nachahmungsstrahlung in seiner mehr oder weniger begrenzten Sphäre, welche aber dazu genügt, seinen Fund über sein kurzes Dasein zu überdauern und ihn für die zukünftigen Arbeiter aufnehmen zu lassen, welche ihn ins Werk setzen werden.“Tarde, Die sozialen Gesetze

2.2. Nachahmung und Erfindung: Kreuzung und Kombination von Nachahmungsstrahlen

• Die Erfindung als „Verschmelzung“ und „Verdichtung“ früherer Erfindungen: z.B. die Idee des Wagens als Kombination der Idee des Rades und der Idee der Nutzbarmachung von Pferden

• Produktive Interferenz von Begehren: z.B. Liebe unterstützt dichterische oder musikalische Produktion – „Interferenzkombination“ (Tarde)

2.3. Nachahmung und Erfindung: Differenz in der Wiederholung

• „Die Wiederholung gibt es also nur um der Variation willen.“ (Tarde, Gesetze der Nachahmung)• Metaphysik der Differenz: „Existieren heißt differieren.“ (Tarde, Monadologie und Soziologie); „Das Heterogene ist

im Herzen der Dinge.“(Tarde, Gesetze der Nachahmung)

3. Tarde heute – Städte, Massenaffekte und virale Netzwerke

• Die physische Nähe in der Stadt führt dazu, „dass sich eine irgendwo innerhalb eines Gehirns entstandene gute Idee auf alle Gehirne der Stadt unverzüglich übertragen würde.“ (Tarde, Gesetze der Nachahmung)

• Die Masse als Agglomerat körperlicher Kontakte: „a collection of psychic connections produced essentially by physical contacts“ (Tarde, The Public and the Crowd)

Die Massenmedial vermittelte Öffentlichkeit jenseits physischer Ko-Präsenz:„Aber nicht alle Kommunikationen von Geist zu Geist, von Seele zu Seele, haben diese psychische Annäherung zur Voraussetzung. [...] Soziale Bewegungen [...] entstehen nicht mehr auf dem Marktplatz oder auf der Straße. Die Menschen, die sich auf diese Weise anstecken und begeistern [...] berühren sich nicht, sie sehen und hören sich nicht: sie sitzen, über ein großes Territorium verstreut, jeder bei sich zu Hause und lesen dieselbe Zeitung.“ Tarde, The Public and the Crowd

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Bruno Latour und die Dinge

Kritik an der Tradition von Durkheim

„Die Wissenssoziologie ist ein Laboratorium für die Soziologie“ (Latour, Eine neue Soziologie für eine neue Gesellschaft, S. 182)- Und Latour zufolge ist die Soziologie an diesem Testfall gescheitert!

Der Sozialkonstruktivismus ist reduktionistisch.Die soziologische Erklärung gleicht einem „Realitätsabzug“ – einer „Entwirklichung“.

Die Erklärung durch „soziale Faktoren“ ist leer.„Soziale Erklärungen sind in den meisten Fällen einfach nur ein überflüssiger Zusatz“ (Latour)

Die Macht der Normen wird selbst nicht erklärt

Konstruktion vs. soziale KonstruktionKonstruktionRealAddierendObjekte werden zusammengesetztkonstruiert

Soziale Konstruktion

IrrealSubtrahierendSoziale Faktoren ersetzen Objekte„bloß konstruiert“

Glaubst du an die Wirklichkeit?„Darf ich sie etwas fragen?“ sagte er und zog einen zerknitterten Zettel aus seiner Tasche, auf den er einige Stichworte gekritzelt hatte. Er hielt den Atem an: „Glauben sie an die Wirklichkeit?“. „Aber natürlich“, antwortete ich lachend, „was für eine Frage! Ist Wirklichkeit etwas, an das wir glauben müssen“….Er schien erleichtert, denn er hatte deutlich eine negative Antwort erwartet. Er fuhr fort, „Wissen wir denn mehr als früher?“ „Aber natürlich, tausendmal mehr“… Er war ein sehr renommierter Psychologe, und wir waren beider zu einem Treffen eingeladen worden, das aus zwei Dritteln Wissenschaftlern und einem Drittel „Wissenschaftsforschern“ bestand…I ch konnte nicht so einfach über die Fremdheit der Frage hinwegkommen, die mir dieser Mann gestellt hatte… (Latour 2000, 7-9)

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Latours Antwort1. Gegen die Trennungen zwischen Natur und Gesellschaft2. Ein neues Verständnis von Objektivität – als produziert und real

Die Herstellung wissenschaftliche FaktenTatsachen sind Sachen der TatDinge sind Orte der Versammlung (altgermanisch: Ding als Thingstätte)Wahrheit und Objektivität entstehen nicht durch Abbildung, sondern durch Transformation und Verkettung

„Diese Möbel ist eine Theorie: Jedes Fach dieses Regals dient sowohl zum Klassifizieren, als auch zum Konservieren und Benennen“ (Latour, Die Hoffnung der Pandora, S. 47)

Das Soziale erklärt unsere

Vorstellung der Welt

Die Wissensch

aft entdeckt

die Gesetze

der Natur

Objektivität als

Name für mächtige

Interessen

Objektivität als

neutrale Abbildung der Welt, wie sie ist

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„Der Forscher kann die Spezimen hin und her schieben…und in aller Geduld die Blätter auslegen, bis ein pattern vor ihr entsteht, das noch keiner je gesehen hat. Die neue Erkenntnis ergibt sich wie von selbst aus der auf dem Tisch ausgebreiteten Sammlung“ (ebd., S. 50-51)

Objektivität„Es gibt niemals einen scharfen Bruch zwischen den Dingen und den Zeichen, und niemals stoßen wir auf eine Situation, in der willkürliche und diskrete Zeichen einer gestaltlosen und kontinuierlichen Materie aufgezwungen würden…Referenz ist nicht das worauf man mit dem Finger zeigt, es ist nicht ein externer, materieller Garant für die Wahrheit einer Aussage, sondern vielmehr das, was durch eine Serie von Transformationen hindurch konstant gehalten wird…eine Spur die erhalten wird“(Latour, Die Hoffnung der Pandora, S. 69-73).

„Es gibt nicht wahre Aussagen, die einem Sachverhalt entsprechen, und falsche Aussagen, die dies nicht tun, sondern es gibt nur fortlaufende oder unterbrochene Referenz“(Latour, Die Hoffnung der Pandora, S. 117).

Hybridität

- Die Trennung zwischen Natur und Gesellschaft sind irreführend.- Die Wirklichkeit besteht aus hybriden Objekten – menschlich und nicht-menschlich, natürlich und sozial zugleich.

Latours Erkenntnisse aus der Wissenssoziologie- Objekte haben eine aktive Rolle: sie sind Aktanten; ihre Eigenschaften sind Teil der Verkettungen, die die Welt ausmachen.- Fakten sind hybride Konstruktionen.

Wie verbessern diese Erkenntnisse aus der Wissenssoziologie die Soziologie?Oder:Was unterscheidet uns von den Affen?

Kritik an soziologischen Erklärungen„Von keinem Ort kann es heißen, er sei größer als alle anderen, aber von einigen lässt sich sagen, dass sie von weitaus sichereren Verbindungen mit sehr viel mehr Orten profitieren als andere … Nur durch zufügen von Verbindungen kann man die Größenordnung verändern.“ (Latour, Eine neue Soziologie)

„Wenn immer jemand von einem ‚System‘ einer ‚globalen Eigenschaft‘, einer ‚Struktur‘ einer ‚Gesellschaft‘, einem ‚Imperium‘, einer ‚Weltwirtschaft‘, einer ‚Organisation‘ spricht, sollte der erste ANT-Reflex [der Reflex der Akteur-Netzwerk-Theorie] darin bestehen zu fragen: in welchem Gebäude? In welchem Büro? ...Wie zusammengetragen?“(Latour, Eine neue Soziologie)

Latours Ratschlag an die Soziologie

Die Einführung einer konstitutiven Rolle von Dingen – vom Akteur zum AktantenKeine Erklärung durch das Soziale, sondern Beschreibung von heterogenen Assemblagen oder Assoziationen Mikro/Makrounterscheidung ist nicht haltbar Strukturen und Akteure werden nicht erklärt sondern vorausgesetzt

Die Rolle von Objekten

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„Bringing objects back into the normal course of action should appear innocuous enough. After all, there is hardly any doubt that kettles ‚boil‘ water, knifes ‚cut‘ meat…Are those words not designating actions?“...“[We need to] accept as full-blown actors entities that were explicitly excluded from collective existence by more than one hundred years of social explanation“ (Latour, Making Objects Participants in the Course of Action, 69-70).

Jenseits der Gesellschaft

Durkheims Gesellschaft

eine Totalität Eine moralische Ordnung, i.e. ein System verbindlicher und sanktionierter Denk- und Handlungsweisenerzwingt logische und moralische Konformität (Kult des Individuums in der Moderne)Eine Realität sui generisTranszendiert den Einzelnen

Latours Netze

Eine AssoziationKeine moralische Ordnung, sondern eine Bindung von Menschen und Nicht-MenschenVerkettet heterogene Elemente, die durch Objekte stabilisiert werdenEin HybridVerbindet einzelne Elemente und Akteure

Georg Simmel und die Formen des Sozialen

Soziologie jenseits des Systems: Latour„Vielleicht ist der Kapitalismus eine mit einem ‚Geist’ begabte, schwer zu handhabende Entität, aber der Handelsraum in der Wall Street ist mit der ‚ganzen Welt’ durch die winzigen, aber schnellen Kanäle von Milliarden von Bits Information pro Sekunde verbunden, die, nachdem sie von Händlern verarbeitet worden sind, sofort an die Reuters- oder Bloomberg- Handelsbildschirme weitergegeben werden, die alle Transaktionen registrieren, bevor sie zum ‚Rest der Welt’ (soweit angeschlossen) übermittelt werden, um so den Börsenwert eines Unternehmens zu bestimmen.“ (Neue Soziologie, S. 307)

Durkheims Kritik an Simmel„Es ist unmöglich aus seiner Definition der Soziologie die wichtigsten Unterscheidungen unserer Wissenschaft zu benennen. Es gibt keine Verbindung zwischen den Themen und Fragen, auf die er die Aufmerksamkeit der Soziologien lenkt; es handelt sich um Themen die keinerlei Verbindung zu einem integrierten wissenschaftlichen System haben. Darüberhinaus bestehen Simmels Beweise meistens nur in Beispielen, einige Fakten, von den unterschiedlichsten Disziplinen entliehen, werden genannt, aber nicht kritisch analysiert und er gibt uns keinerlei Mittel deren Qualität zu bestimmen.“(Emile Durkheim über Simmel)

Soziologie jenseits des Systems: Das Fragment„So sind die Kapitel dieses Buches nur Fragmente [...]. Mir schien es angezeigt, die Themata möglichst heterogen zu wählen [...] je weniger das hier Gebotene sich zu einem systematischen Zusammenhang abrundet, je weiter seine Teile auseinander liegen, um so umfassender erscheint der Kreis [...] abschliessende Vollständigkeit wäre mindestens eine Selbsttäuschung.“

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(Georg Simmel, Soziologie, S. 31)

„Mit jedem neuen Aufwachsen synthetischer Gestaltung, jeder Bildung von Parteigruppen, jeder Vereinigung zu gemeinsamen Werk oder in gemeinsamen Fühlen und Denken, jeder entschiedeneren Verteilung von Dienen und Herrschen, jeder gemeinsamen Mahlzeit, jedem Sich-Schmücken für die anderen, wird eben dieselbe Gruppe mehr „Gesellschaft“ als sie es vorher war. Es gibt niemals schlechthin Gesellschaft, derart, dass unter ihrer Voraussetzung sich Verbindungsphänomene bilden“ (Georg Simmel, Soziologie, S. 24)

„In contrast to Durkheim, who viewed society as a ‘system of active forces’ operating upon individuals, Simmel here sees society as constituted by interactional ‘forces’ between individuals. This enables him to reflect upon our experience of society in every single social interaction in which we engage.” (David Frisby, Simmel and Since, S. 14)

• Fragment und Beispiel als begründeter Ausgangspunkt von Simmels Soziologie– Soziologie kann nicht von der abstrakten Einheit der Gesellschaft ausgehen, sondern muss Prozesse der

Vergesellschaftung betrachten!– Moderne Gesellschaft als „fragmentierte Gesellschaft“. Soziale Formen als unterschiedliche Artikulationen von

Gegensätzen bzw. einander widerstrebenden Tendenzen!

Geometrie der Sozialen Formen• Weder die Einheit des Individuums noch der Gesellschaft als Ausgangspunkt, sondern soziale Wechselwirkungen• Relationen kristallisieren sich zu Formen

Soziale Formen• Form als Kristallisation Muster oder Figur, die ein Mindestmaß an Wiedererkennbarkeit garantiert• Gegenüberstellung von Form und Inhalt

Beispiele für soziale Formen: Konkurrenz, Über- und Unterordnung, Nachahmung, Arbeitsteilung, Parteibildung, der Brief, der Schmuck, die Mode

Analyse sozialer Formen• Zahl (Triade als besonders zentral für Vergesellschaftung).• Grade von Nähe und Distanz • Mobilität • Zeitliche Struktur

Soziologie der Formen: Konkurrenz• Zahl: Kampf der durch die Orientierung an einem Dritten bestimmt wird• Synthetische Kraft, weil die Anbindung an den dritten soziale Beziehungen schafft• Fördert die Sachorientierung, die Verwirklichung von Zielen• Macht die Mittel der Auseinandersetzung aufgrund der Anbindung an den Dritten subtiler

Das Moderne „Seelenleben“

Simmels Erkenntnisinteresse:Er will die Formen der modernen Gesellschaft in Bezug zu den Formen der Individualität setzen, die durch sie entstehen

Moderne Individualität und Geld

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• Geld, Tausch und Wert als moderne Beziehungsform• Vergleich zu Marx– „psychologisches Pendant“ (David Frisby)– Ähnliche Begrifflichkeiten in der Beschreibung– Aber unterschiedliche Bewertung von Tauch, Geld und Abstraktion: wird nicht als Fetischismus analysiert

Tausch als soziale Form• „Der Tausch ist ein soziologisches Gebilde sui generis, eine originäre Form und Funktion des interindividuellen

Lebens“ (Simmel)• Beziehung zum Anderen, Wechselwirkung• Objektivierung dieser Form: Geltung eines gemeinsamen Wertes

Das Geld als soziale FormGeld als eine „erstarrte Form des Tausches“

• Unpersönliche, quantifizierende Beziehung• Mobilisierung der Dinge durch Austauschbarkeit• Steigerung der Erreichbarkeit• Ausdehnung und Ausdünnung sozialer Kreise

Der „Bewegungscharakter“ des Geldes„Für den absoluten Bewegungscharakter der Welt gibt es nun sicher kein deutlicheres Symbol als das Geld. Die Bedeutung des Geldes liegt darin, daß es fortgegeben wird; sobald es ruht, ist es nicht mehr Geld seinem spezifischen Wert und Bedeutung nach. Die Wirkung, die es unter Umständen im ruhenden Zustand ausübt, besteht in einer Antizipation seiner Weiterbewegung. Es ist nichts als der Träger einer Bewegung, in dem eben alles, was nicht Bewegung ist, völlig ausgelöscht ist, es ist sozusagen actus.“(Georg Simmel, Philosophie des Geldes, S. 583f.)

Das Geld als soziale Form

Geld als eine „erstarrte Form des Tausches“• Unpersönliche, quantifizierende Beziehung• Mobilisierung der Dinge durch Austauschbarkeit• Steigerung der Erreichbarkeit• Ausdehnung und Ausdünnung sozialer Kreise

Ausdehnung und Ausdünnung sozialer Kreise: die Einbeziehung der Person„Das Geld hat es bewirkt, dass man sich mit Anderen vereinigen kann, ohne etwas von der persönlichen Freiheit und Reserve aufgeben zu brauchen. Das ist der fundamentale unsäglich bedeutungsvolle Unterschied gegen die mittelalterliche Einungsform, die zwischen dem Menschen als Menschen und dem Menschen als Mitglied einer Vereinigung nicht unterschied. […] Die Verhältnisse […waren] früher entschiedenere […], weniger durch Vermittlungen, Mischungen, Vorbehalte undeutlich gewordene, dass es weniger porblmatische und halbe Verhältnisse gab: so stand die Beziehung des Einzelnen zur Assoziation viel mehr unter dem Zeichen des Ganz oder Garnicht, sie duldete nicht eine Zerlegbarkeit […].“ (Simmel, Philosophie des Geldes, S. 373)

Moderne Individualität und Geld• Steigerung der Individualität durch die Verminderung personaler Abhängigkeit (Ausdehnung)• Förderung der Nervosität und Unruhe (Erreichbarkeit)• Förderung der Distanz zu Dingen (Austauschbarkeit)

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• Nivellierung von qualitativen Beziehungen

• Der Zyniker: Umwertung der Werte• Kein Bezug zu Werthierarchien, Effekt der Quantifizierung• Der Blasierte: Indifferenz zu den Dingen• Effekt der Austauschbarkeit• Der Geizhals und der Verschwender• Effekt der Trennung von Mittel und Zweck, Geld selbst wird zum Endzweck

Kritik an Simmel• „modern folk theory of money“: Übersteigerung der Quantifizierung, Abstraktion durch das Geld (Bill Maurer und

Vivianne Zelizer)• Soziologie der Formen neigt zur a-historischen Betrachtungsweise: Mangel an Einsichten in konkrete historische

Formationen von Hierarchie, Ökonomie, Politik etc. . • Kulturpessimismus: Tragödie der Kultur und Kriegsbegeisterung

Individualität und die Kreuzung sozialer Kreise• Sozialer Kreis als räumlich-zeitliche Einheit von Gruppen– Einbeziehung der ganzen Person– Ausschließlichkeit fördert Konformität• Kreuzung sozialer Kreise– Einbeziehung von einzelnen Aspekten der Person– Multiplizierung und Kreuzung von sozialen Kreisen produziert Freiheitsgrade des Individuums– Gesteigerte Individualität durch Überkreuzung unterschiedlichster Kreise

Moderne Individualität – Durkheim versus Simmel• Durkheim: Individualität als angemessene Norm einer modernen Gesellschaft• Effekt einer arbeitsteiligen Gesellschaft• Individualität als einzige gemeinsame Norm • Simmel: Individualität als Effekt einer Beziehungskonfiguration• Effekt der Kreuzung und Heterogenität sozialer Kreise• Keine Norm, sondern formaler Effekt der Anzahl, Kreuzung und Dichte sozialer Kreise. Gegenbeispiel: Zölibat.

Simmel als aktueller Klassiker – Zur Soziologie des Raums

„Raumvergessenheit“ in der Soziologie?„Die Alltagswelt ist räumlich und zeitlich strukturiert. Ihre räumliche Struktur ist für unsere Überlegungen ziemlich nebensächlich. Es genügt vollauf zu sagen, dass auch sie eine gesellschaftliche Dimension hat kraft der Tatsache, dass die Zone meiner Handhabung sich mit den Zonen der Handhabung anderer überschneidet. Wichtiger für uns ist die Zeitstruktur der Alltagswelt.“ Peter Berger/Thomas Luckmann, Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit„While the phenomena of action are inherently temporal … they are not in the same sense spatial.“ Talcott Parsons, Sociological Theory and Modern Society

Die Bedeutung des Raums in der Soziologie – zwei BeispieleSoziologie der Globalisierung (Beispiel #1):

Statt einem Verschwinden eine Multiplikation der Grenzen (Grenzen im „Innern“ der Territorien, z.B. an Flughäfen; exterritoriale Grenzen, z.B. Flüchtlingslager)

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Globalisierung als Soziologie der Mobilität von Dingen und Personen im Raum, z.B. Globale Produktions-/Konsumtionsketten oder auch Migrationsbewegungen.

„Raum der Ströme“ (Manuel Castells)

Soziologie der Stadt (Beispiel #2): Die Stadt als Einsatz einer Soziologie der Sinne (Simmel) Analyse von Formen räumlicher Segregation Architektursoziologie: die symbolische und materielle Bedeutung von Architektur:

a) Marketing von StandORTENb) Kontrolle von Bewegung im Raum

Kurzum: Von einer „Stadtsoziologie ohne Raum“ (Martina Löw) kann heute keine Rede mehr sein!

Simmels Raumsoziologie und die „Klassiker der Soziologie“John Urry („The Sociology of Space and Place“): Simmel leistet unter den „Klassikern“ den wichtigsten Beitrag zur Raumsoziologie

- Marx: Raum wird lediglich im Rahmen der „Freisetzung“ der Produktivkräfte thematisiert, als Lösung von Grund und Boden

- Durkheim: Die Kollektivvorstellungen beinhalten eine Klassifikation des Raums (z.B. heilige und profane Plätze); dennoch ist Raum kein zentrales Thema

- Weber: Raum kommt in der Soziologie des sinnhaften Handelns praktisch nicht vor

„Absolutistische“ und „relativistische“ Raumkonzeption1) „Absolutismus“: Raum besteht unabhängig von den Körpern, er ist „immer schon da“, unbeweglich und

statisch – „Container“-Modell2) „Relativismus“: Räume entstehen erst in bestimmter Form im Zuge der Anordnung von Körpern, Raum ist

dynamisch, in Konstruktion begriffen Doreen Massey argumentiert „that we recognize space as the product of interrelations; as constituted through interactions, from the immensity of the global to the intimately tiny. … ‘Relations’ here … are understood as embedded practices. … Space does not exist prior to identities/entities and their relations. More generally, I would argue that identities/entities, the relations ‘between’ them, and the spatiality which is part of them, are all co-constitutive.” (Massey, For Space, S. 9f.)

Simmel – Ein Absolutist?PRO: „Der Raum bleibt [bei Simmel] ‚an sich wirkungslose Form’, er ist nur Behälter für gesellschaftliche und ‚seelische’ Inhalte.“ (Dieter Läpple, Essay über den Raum, S. 166)

Argument: Simmel ist Kantianer – Raum ist für Kant ein Erkenntnisprinzip a priori. Das heißt, Raum existiert unabhängig von konkreten Erfahrungen als Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis.

CONTRA: Raumwahrnehmung ist für Simmel (erstens) ein kreativer, kompositorischer Akt; Raumwahrnehmung ist für Simmel (zweitens) eine kulturell vermittelte Praxis (Andrea Glauser, Pionierarbeit mit paradoxen Folgen? Zur neueren Rezeption der Raumsoziologie von Georg Simmel)

Lektürestrategie: Simmel im Horizont der Unterscheidung lesen, ohne ihn passend zu machen – die Herausarbeitung seiner Nicht-Passung.

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Frage: Welchen sozialen Status hat der Raum für Simmel? Inwiefern interessiert er sich als Soziologe für den Raum?Hypothese: In Bezug auf die Verräumlichung und die Vergesellschaftung beschreibt Simmel einen zirkulären Prozess –Konfigurierungen des Raums welche auf die sozialen Wechselwirkungen zurückwirken, die den Raum konfigurieren, was auf…

Ausschließlichkeit des Raums

„In dem Maß, in dem ein gesellschaftliches Gebilde mit einer bestimmten Bodenausdehnung verschmolzen oder sozusagen solidarisch ist, hat es einen Charakter von Einzigkeit oder Ausschließlichkeit, der auf andre Weise nicht ebenso erreichbar ist.“ (S. 690)- Nicht alle soziale Verhältnisse beruhen auf räumlicher Ausschließlichkeit- Territorialstaat vs. katholische Kirche

Räumliche GrenzbildungZur Funktion der Grenze: „[D]er Rahmen verkündet, dass sich innerhalb seiner eine nur eigenen Normen untertänige Welt befindet, die in die Bestimmtheiten und Bewegungen der umgebenden nicht hineingezogen ist; indem er die selbstgenugsame Einheit des Kunstwerkes symbolisiert, verstärkt er zugleich von sich aus deren Wirklichkeit und Eindruck.“ (S. 694)

Zur „Grenzbeziehung“ als Grenzfall einer Beziehung: „Jedes der beiden Elemente wirkt auf das andere, indem es ihm die Grenze setzt, aber der Inhalt dieses Wirkens ist eben die Bestimmung, über diese Grenze hin … überhaupt nicht wirken zu wollen oder zu können.“ (S. 697)

Die Grenze als kontingenter Akt:„Jede Grenze ist ein seelisches, näher: ein soziologisches Geschehen; aber durch dessen Investierung in einer Linie im Raum gewinnt das Gegenseitigkeitsverhältnis nach seinen positiven und negativen Seiten eine Klarheit und Sicherheit – freilich oft auch eine Erstarrung –, die ihm versagt zu bleiben pflegt, solange das Sicht-treffen und Sich-scheiden der Kräfte und Rechte noch nicht in eine sinnliche Gestaltung projiziert ist“ (S. 699)„Die Grenze ist nicht eine räumliche Tatsache mit soziologischen Wirkungen, sondern eine soziologische Tatsache, die sich räumlich formt.“ (S. 697)

Lokalisierung im Raum

Die Moderne als Epoche der Delokalisierung? Zum Konzept des „Drehpunkts“: Die Bedeutung des Drehpunkts besteht darin, „ein System von Elementen in einer bestimmten Distanz, Wechselwirkung, gegenseitigen Abhängigkeit“ festzuhalten (S. 708). Der Drehpunkt arrangiert soziale Relationen durch räumliche Fixierungen

Z.B. der Containerhafen, der Arbeitskräfte, Warenströme, Produktionsstätten, Transportunternehmen etc. zueinander ausrichtet

Z.B. die Stadt, die vom Verkehr als Drehpunkt geformt wird – Ausrichtung der Straßensystemen und Adressenordnungen

Z.B. globale Organisationen wie die katholische Kirche – Kapellen und Zentrierungen („Alle Wege führen nach Rom!“)

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Räumliche Nähe und DistanzNähe und Distanz bilden„[e]inen vierten Typus äußerlicher Verhältnisse, die sich in die Lebendigkeit soziologischer Wechselwirkungen umsetzen“ (S. 716).

These: Die Bedeutung sinnlicher Nahverhältnisse verschwindet nicht einfach, vielmehr realisiert die moderne Gesellschaft mehr Nah- und Fernverhältnisse zugleich!

z.B. moderne Wissenschaft – „sachlich-unpersönliche“ Verknüpfung und face to face-Meetings

These: Nähe und Distanz sind nicht einfach feststehende, quasi naturgegebene Größen, sondern durch Kulturtechniken und Medientechniken vermittelt:

Kulturtechnik: Die Fähigkeit zur Distanzierung in den Nahverhältnissen der Großstadt Medientechnik: Schrift, Telefon, Eisenbahn, Internet, z.B. Facebook

„Mir ist, als kämen die Berge und Wälder aller Länder auf Paris zugerückt. Ich rieche schon den Duft der deutschen Linden; vor meiner Haustür brandet die Nordsee.“ (Heinrich Heine, Lutetia)

Bewegung im Raum„[W]ie die Menschheit überhaupt nur durch ihre Beweglichkeit die Existenz, die wir kennen, gewinnt, so ergeben sich aus dem Ortswechsel im engeren Sinne, aus dem Wandern, unzählige besondere Folgen für ihre Wechselwirkungen“ (S. 748)Z.B. „Job-Nomaden“ – Was für Sozialformen entstehen im Verbund mit was für Mobilitätsformen?

SchlussThese:

Die Aktualität Simmels liegt in seiner Konzeption einer zirkulären Konstitution von Raum- und Sozialverhältnissen: Die Wechselwirkungen erfüllen und bilden Raumformen, welche den Wechselwirkungen Halt geben.Damit wird die Grenze zwischen Sozialem und Räumlichen unscharf: Das Sozialverhältnis artikuliert sich räumlich, das Raumverhältnis sozial.