zum vollzug des art. 20a gg

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Die Anwendung des Art. 20a GG ist in Rechtsprechung und Lite- ratur eher durch Fragen als durch Antworten gekennzeichnet. 1 In der Alltagswelt ist indes evident, dass die Aufnahme dieses Staatsziels in die Verfassung 2 dem Verbrauch natürlicher Ressourcen keineswegs Einhalt geboten hat. 3 Es wird de facto – bewußt oder unbewußt – nach dem Motto gelebt: „Nach uns die Sintflut.“ Es ist daher nahe- liegend, das Verfassungsgebot 4 insbesondere hinsichtlich der Vorga- ben zu prüfen, die der Praxis weiterhelfen können. Dabei zeigt sich, dass Art. 20a GG bald tastend, bald strikt ins Werk zu setzen ist. Dr. jur. Erich Gassner, Rechtsanwalt, Ministerialrat a. D., Bonn, Deutschland Der Verfasser ist Ministerialrat im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie jahrelang als Rechtsanwalt tätig gewesen. 1. Der generelle Verfassungsauftrag 1.1 Ein Staatsziel in Anknüpfung an Art. 20 Abs. 1 bis Abs. 3 GG Die Nähe des Art. 20a GG zu den vorgenannten verfas- sungsrechtlichen Grundprinzipien ist in doppelter Hin- sicht bedeutsam. In formaler Hinsicht wird – zielfüh- rend – auf die Entscheidungen des einfachen Gesetzgebers Denn es würde wenig Sinn machen, den Rechten des Nach- barn im Rahmen des Abwehranspruchs aus § 1004 BGB den Vorrang einzuräumen und eine Duldungspflicht des Eigen- tümers zu bejahen, ihm dann aber über den Ausgleichsan- spruch sämtliche Vorteile wieder zu entziehen und so das zuvor festgestellte Abwägungsergebnis praktisch aufzuheben. Demnach sollte der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch so bemessen werden, dass der Grundeigentümer zwar wegen der Vereitelung eigener Nutzungsmöglichkeiten eine Ent- schädigung erhält, dass aber soweit als möglich auch die Ren- tabilität des Anlagenbetriebs erhalten bleibt. Zu bedenken bleibt, dass die bisherigen Ergebnisse maß- geblich auf der Anwendung bloßen Richterrechts beruhen und daher mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind. Um die Rechtssicherheit zu erhöhen, besteht für den Betreiber ei- ner geothermischen Anlage, die voraussichtlich auch Nach- bargrundstücke thermisch beeinflusst, lediglich die Mög- lichkeit, mit den Eigentümern der betroffenen Grundstücke privatrechtliche Vereinbarungen über die Duldung des un- terirdischen Wärmeentzugs bzw. -zuflusses zu schließen und diese Duldungspflicht durch Eintragung einer Grunddienst- barkeit (§ 1018 BGB) dinglich abzusichern. Im Gegenzug wird sich der Anlagenbetreiber aber regelmäßig zur Leistung einer Nutzungsentschädigung vergleichbar dem nachbar- rechtlichen Ausgleichsanspruch verpflichten müssen. 5. Fazit Zukünftig drohende Nutzungskonflikte bei der Gewin- nung von Erdwärme lassen sich anhand des zivilrechtli- chen Nachbarrechts angemessen lösen, bedürfen aber stets einer einzelfallbezogenen Betrachtungsweise. In dem hier vorrangig behandelten Fall des Aufeinandertreffens berg- rechtlich nicht bewilligungsbedürftiger Nutzungen steht dem Eigentümer gegen die thermische Beeinflussung sei- nes Grundstücks durch den Betrieb einer benachbarten Erdwärmeanlage tatbestandlich ein Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB zu, wenn er ein hinreichend konkretes eigenes Nutzungsinteresse an der Erdwärme geltend ma- chen kann. Wird die eigene Erdwärmenutzung aber nur unwesentlich beeinträchtigt, ist der Eigentümer gemäß § 906 Abs. 1 BGB zur entschädigungslosen Duldung des nachbarlichen Anlagenbetriebs verpflichtet. Handelt es sich um eine wesentliche Störung der Grundstücksnutzung, be- steht u. U. eine Duldungspflicht kraft nachbarlichen Ge- meinschaftsverhältnisses. Eine besondere Rücksichtnah- mepflicht des Grundeigentümers kann sich danach ergeben, wenn das gesetzliche Nachbarrecht keine angemessene Lö- sung bereithält und eine Duldung der bereits ausgeübten Erdwärmenutzung aus Gründen des Bestands- und Investi- tionsschutzes sowie mit dem Ziel einer optimalen Ausnut- zung der Erdwärmeressourcen geboten erscheint. Sofern eine Duldungspflicht im Einzelfall zu bejahen ist, kommt als Entschädigung für die entgangene Nutzungsmöglich- keit ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in Betracht. Ursache der aufgezeigten zivilrechtlichen Probleme ist vornehmlich die Regelung des § 4 Abs. 2 Nr. 1 BBergG, aus der sich ein über §§ 903 ff., 1004 BGB geschütztes Aneig- nungsrecht des Grundeigentümers ableiten lässt. Eine Strei- chung dieser Vorschrift würde zwar den eigentumsrecht- lichen Schutz beseitigen, hätte aber zugleich die negative Konsequenz, dass jegliche Erdwärmenutzung bergrecht- lich genehmigungsbedürftig wäre. Vorzugswürdig ist daher die Aufnahme einer Regelung ins BBergG, die die Gewin- nung oberflächennaher Erdwärme explizit von der berg- rechtlichen Zulassungspflicht ausnimmt. Dies hätte eine der Grundwassernutzung vergleichbare Rechtslage zur Folge: für die Errichtung und den Betrieb einer Erdwärmeanlage müsste regelmäßig nur eine wasserrechtliche Erlaubnis ein- geholt werden; zivilrechtliche Folgeprobleme würden sich nicht stellen, da die Erdwärme dem Grundeigentum entzo- gen bliebe und das Eigentum durch benachbarte Nutzun- gen daher nicht beeinträchtigt werden könnte. Die Bewirt- schaftung der oberflächennahen Erdwärmeressourcen läge dann weitestgehend in der Hand der Wasserbehörden. Sie wären dazu berufen, durch zukunftsgerichtete Bewirtschaf- tungskonzepte eine gerechte Verteilung der geothermischen Ressourcen sicherzustellen. Da im Zuge der Energiewende mit einem steigenden Bedarf an der Nutzung des untertä- gigen Raumes zur Speicherung von Energie aus fluktuie- render Windkraft und Photovoltaik sowie zur Gewinnung geothermischer Energie zu rechnen ist, könnte in diesem Zusammenhang auch die Schaffung einer unterirdischen Raumordnung eine wichtige Rolle spielen. DOI: 10.1007/s10357-014-2669-5 Zum Vollzug des Art. 20a GG Erich Gassner © Springer-Verlag 2014 Gassner, Zum Vollzug des Art. 20a GG 123 482 NuR (2014) 36: 482–486 1) Vgl. nur Vosskuhle, Umweltschutz und Grundgesetz, NVwZ 2013, 1. 2) Gesetz vom 27. 10. 1994, BGBl. I 3146. 3) Vgl. hierzu Gassner, Landschaftsschutzrecht (2012), S. 30 ff. 4) Vgl. dazu Lepsius, Besitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht (2002), 443.

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Page 1: Zum Vollzug des Art. 20a GG

Die Anwendung des Art. 20 a GG ist in Rechtsprechung und Lite-ratur eher durch Fragen als durch Antworten gekennzeichnet. 1 In der Alltagswelt ist indes evident, dass die Aufnahme dieses Staatsziels in die Verfassung 2 dem Verbrauch natürlicher Ressourcen keineswegs Einhalt geboten hat. 3 Es wird de facto – bewußt oder unbewußt – nach dem Motto gelebt: „Nach uns die Sintflut.“ Es ist daher nahe-liegend, das Verfassungsgebot 4 insbesondere hinsichtlich der Vorga-ben zu prüfen, die der Praxis weiterhelfen können. Dabei zeigt sich, dass Art. 20 a GG bald tastend, bald strikt ins Werk zu setzen ist.

Dr. jur. Erich Gassner, Rechtsanwalt, Ministerialrat a. D., Bonn, Deutschland

Der Verfasser ist Ministerialrat im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit sowie jahrelang als Rechts anwalt tätig gewesen.

1. Der generelle Verfassungsauftrag

1.1 Ein Staatsziel in Anknüpfung an Art. 20 Abs. 1 bis Abs. 3 GG

Die Nähe des Art. 20a GG zu den vorgenannten verfas-sungsrechtlichen Grundprinzipien ist in doppelter Hin-sicht bedeutsam. In formaler Hinsicht wird – zielfüh-rend – auf die Entscheidungen des einfachen Gesetzgebers

Denn es würde wenig Sinn machen, den Rechten des Nach-barn im Rahmen des Abwehranspruchs aus § 1004 BGB den Vorrang einzuräumen und eine Duldungspflicht des Eigen-tümers zu bejahen, ihm dann aber über den Ausgleichsan-spruch sämtliche Vorteile wieder zu entziehen und so das zuvor festgestellte Abwägungsergebnis praktisch aufzuheben. Demnach sollte der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch so bemessen werden, dass der Grundeigentümer zwar wegen der Vereitelung eigener Nutzungsmöglichkeiten eine Ent-schädigung erhält, dass aber soweit als möglich auch die Ren-tabilität des Anlagenbetriebs erhalten bleibt.

Zu bedenken bleibt, dass die bisherigen Ergebnisse maß-geblich auf der Anwendung bloßen Richterrechts beruhen und daher mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind. Um die Rechtssicherheit zu erhöhen, besteht für den Betreiber ei-ner geothermischen Anlage, die voraussichtlich auch Nach-bargrundstücke thermisch beeinflusst, lediglich die Mög-lichkeit, mit den Eigentümern der betroffenen Grundstücke privatrechtliche Vereinbarungen über die Duldung des un-terirdischen Wärmeentzugs bzw. -zuflusses zu schließen und diese Duldungspflicht durch Eintragung einer Grunddienst-barkeit (§ 1018 BGB) dinglich abzusichern. Im Gegenzug wird sich der Anlagenbetreiber aber regelmäßig zur Leistung einer Nutzungsentschädigung vergleichbar dem nachbar-rechtlichen Ausgleichsanspruch verpflichten müssen.

5. Fazit

Zukünftig drohende Nutzungskonflikte bei der Gewin-nung von Erdwärme lassen sich anhand des zivilrechtli-chen Nachbarrechts angemessen lösen, bedürfen aber stets einer einzelfallbezogenen Betrachtungsweise. In dem hier vorrangig behandelten Fall des Aufeinandertreffens berg-rechtlich nicht bewilligungsbedürftiger Nutzungen steht dem Eigentümer gegen die thermische Beeinflussung sei-nes Grundstücks durch den Betrieb einer benachbarten Erdwärmeanlage tatbestandlich ein Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB zu, wenn er ein hinreichend konkretes eigenes Nutzungsinteresse an der Erdwärme geltend ma-chen kann. Wird die eigene Erdwärmenutzung aber nur unwesentlich beeinträchtigt, ist der Eigentümer gemäß § 906 Abs.  1 BGB zur entschädigungslosen Duldung des

nachbarlichen Anlagenbetriebs verpflichtet. Handelt es sich um eine wesentliche Störung der Grundstücksnutzung, be-steht u. U. eine Duldungspflicht kraft nachbarlichen Ge-meinschaftsverhältnisses. Eine besondere Rücksichtnah-mepflicht des Grundeigentümers kann sich danach ergeben, wenn das gesetzliche Nachbarrecht keine angemessene Lö-sung bereithält und eine Duldung der bereits ausgeübten Erdwärmenutzung aus Gründen des Bestands- und Investi-tionsschutzes sowie mit dem Ziel einer optimalen Ausnut-zung der Erdwärmeressourcen geboten erscheint. Sofern eine Duldungspflicht im Einzelfall zu bejahen ist, kommt als Entschädigung für die entgangene Nutzungsmöglich-keit ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch in Betracht.

Ursache der aufgezeigten zivilrechtlichen Probleme ist vornehmlich die Regelung des § 4 Abs. 2 Nr. 1 BBergG, aus der sich ein über §§ 903 ff., 1004 BGB geschütztes Aneig-nungsrecht des Grundeigentümers ableiten lässt. Eine Strei-chung dieser Vorschrift würde zwar den eigentumsrecht-lichen Schutz beseitigen, hätte aber zugleich die negative Konsequenz, dass jegliche Erdwärmenutzung bergrecht-lich genehmigungsbedürftig wäre. Vorzugswürdig ist daher die Aufnahme einer Regelung ins BBergG, die die Gewin-nung oberflächennaher Erdwärme explizit von der berg-rechtlichen Zulassungspflicht ausnimmt. Dies hätte eine der Grundwassernutzung vergleichbare Rechtslage zur Folge: für die Errichtung und den Betrieb einer Erdwärmeanlage müsste regelmäßig nur eine wasserrechtliche Erlaubnis ein-geholt werden; zivilrechtliche Folgeprobleme würden sich nicht stellen, da die Erdwärme dem Grundeigentum entzo-gen bliebe und das Eigentum durch benachbarte Nutzun-gen daher nicht beeinträchtigt werden könnte. Die Bewirt-schaftung der oberflächennahen Erdwärmeressourcen läge dann weitestgehend in der Hand der Wasserbehörden. Sie wären dazu berufen, durch zukunftsgerichtete Bewirtschaf-tungskonzepte eine gerechte Verteilung der geothermischen Ressourcen sicherzustellen. Da im Zuge der Energiewende mit einem steigenden Bedarf an der Nutzung des untertä-gigen Raumes zur Speicherung von Energie aus fluktuie-render Windkraft und Photovoltaik sowie zur Gewinnung geothermischer Energie zu rechnen ist, könnte in diesem Zusammenhang auch die Schaffung einer unterirdischen Raumordnung eine wichtige Rolle spielen.

DOI: 10.1007/s10357-014-2669-5

Zum Vollzug des Art. 20a GGErich Gassner

© Springer-Verlag 2014

Gassner, Zum Vollzug des Art. 20a GG

123

482 NuR (2014) 36: 482–486

1) Vgl. nur Vosskuhle, Umweltschutz und Grundgesetz, NVwZ 2013, 1.2) Gesetz vom 27. 10. 1994, BGBl. I 3146.3) Vgl. hierzu Gassner, Landschaftsschutzrecht (2012), S. 30 ff.4) Vgl. dazu Lepsius, Besitz und Sachherrschaft im öffentlichen Recht

(2002), 443.

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und nicht auf die Abwägung etwa von Verfassungsprinzi-pien abgestellt. 5

In materieller Hinsicht ist nicht zu bestreiten, dass die natürlichen Lebensgrundlagen nicht weniger bedeutsam sind als die rechtsstaatlichen Fundamente. Art.  20 a GG ist dahingehend auszulegen, dass es auf solche Natur-güter ankommt, die entsprechend bedeutsam sind, d. h. auf welche die künftigen Generationen nicht verzichten können. 6

Prinzipien wie Nachhaltigkeit dürfen nicht darüber hin-wegtäuschen, dass Art. 20 a GG die nicht erneuerbaren Na-turgüter keineswegs ausnimmt, vielmehr auch in Bezug auf diese – grundsätzlich – eine gewisse Generationengerech-tigkeit will. 7 Die dauerhafte Sicherung der natürlichen Le-bensgrundlagen wird auch gemäß § 10 UGB-Kommissi-onsentwurf als (Bedeutungs-)Schwelle verstanden. 8

Art.  20 a GG nimmt den Staat in allen seinen Gliede-rungen in die Pflicht, auch soweit diese – im Rahmen ih-rer Zuständigkeit – supra- bzw. international tätig werden.

1.2 Implizite Maßgaben des Art. 20a GG

Art.  20a GG verpflichtet die Gesetzgebung, die natür-lichen Lebensgrundlagen zu schützen, sagt also nicht, welche Maßnahmen im Einzelnen zu treffen sind. Den-noch impliziert er all das, was notwendig ist, um derar-tige Maßnahmen sachgerecht treffen zu können. Das hat zur Folge, dass gleichsam ein iterativer Prozess der Iden-tifizierung und Justierung einerseits der Fakten und an-dererseits der einschlägigen rechtlichen Gesichtspunkte stattfindet. 9 Zielführend muss folglich die Frage sein, was jeweils – im konkreten, spezifischen Sachzusammen-hang – so bedeutsam ist, dass es für künftige Generati-onen als deren natürliche Lebensgrundlage zu schützen ist. Dabei kommt es nicht darauf an, Generation um Ge-neration abzugrenzen oder gar auf einen praktisch un-endlichen Zeitraum abzustellen. Vielmehr sind die hier inmitten stehenden Naturgüter derart zu schützen, dass nach entsprechenden Planungszeiträumen, die – je nach dem Zustand bzw. der Eigenart der betroffenen Naturgü-ter – festzulegen sind, neu entschieden werden kann, und zwar durch die dann zur Entscheidung berufenen Gene-rationen. Zu entscheiden ist nicht nur, was im Sinne von Versuch und Irrtum auszuloten und gegebenenfalls nach-zubessern ist, sondern auch was in seinen Auswirkungen von vornherein – auf Dauer – als nicht beherrschbar er-scheint, was zu irreversiblen Schäden an den hier in Rede stehenden Naturgütern führen kann, schließlich was end-gültig verbraucht wird, obwohl dies nicht – im Lichte der Generationengerechtigkeit – notwendig wäre. 10 Auch ist in Rechnung zu stellen, dass ein momentaner Vorteil zu Lasten einer langen Kette späterer Generationen gehen kann und dass Art. 20 a GG gerade eine derartige Asym-metrie vermeiden will.

1.3 Erarbeitung expliziter Maßstäbe

Die vorstehend skizzierten Entscheidungen sind gemäß Art. 20a GG durch „die Gesetzgebung“ zu treffen, sei es die des Bundes, der Länder oder der Kommunen. Was insoweit leistbar ist, wird durch die Strukturen der Rechtsordnung bestimmt, die bereichsspezifisch ausdifferenziert sind und eine Rechtskonkretisierung intendieren, die durch Sach-nähe und Sachgerechtigkeit gekennzeichnet ist. 11 Das führt zu entsprechenden Entscheidungsstrukturen, die Art. 20a GG voraussetzt, wenn er vollziehende Gewalt und Recht-sprechung. „nach Maßgabe von Gesetz und Recht“ in die Pflicht nimmt.

Je nach Sachbereich wird das, was der Gesetzgeber vor-schreibt, unterschiedlich konkret sein, zumal in dem – hier besonders relevanten – Planungsbereich die Probleme und Konflikte nur im Rahmen weit ausgreifender Verfahren

bewältigt werden können. Art. 20a GG will an all diesen Strukturen nichts ändern. Was er gebietet ist, dass der Ge-setzgeber die Entscheidungen, die gemäß diesen Struktu-ren getroffen werden, in seinem Sinne steuert. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber Maßstäbe bildet und setzt, die sicherstellen, dass die Verpflichtungen gegenüber den künftigen Generationen erfüllt werden können. Derar-tige Maßstäbe werden insbesondere im Normbereich des Art. 14 GG, bei der Konkretisierung, sei es des Inhalts und der Schranken des Eigentums, sei es des Wohls der Allge-meinheit durchschlagen. 12

2. Der spezielle Vollzug

2.1 Begründung des Vorgehens im Einzelnen

Was Art. 20a GG von der Gesetzgebung verlangt, ist nur zu leisten, wenn sich diese auf Faktoren beschränkt, die ei-nerseits ohne allzu großen Aufwand erfassbar, andererseits aber in der Sache fundamental sind.

Die RL 2011/92/EU über die Umweltverträglichkeit bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten stellt in Nr. 14 der Erwägungsgründe darauf ab, dass „die Re-produktionsfähigkeit des Ökosystems als Grundlage allen Lebens zu erhalten“ ist. Damit wird das, was Art. 20 a GG unter natürlichen Lebensgrundlagen versteht, durch einen naturwissenschaftlichen Begriff erschlossen. Dies gestat-tet es, nach den Bedingungen für bestimmte Funktionen von Ökosystemen in concreto zu fragen. Insoweit fällt ins Gewicht, dass Eigenschaften von Systemen (bspw. biolo-gische Eigenschaften) kausale Eigenschaften sind und dass diese Eigenschaften durch die Konfiguration verschiede-ner letztlich physikalischer Eigenschaften bzw. Ausgangsla-gen bedingt sind. Im Lichte derartiger multipler Realisati-onen sind die physikalischen Eigenschaften fundamental. 13 Im Sinne eines solchen Ansatzes soll hier – mit lediglich pragmatischem Anspruch – von den eher erfassbaren abio-tischen Naturgütern ausgegangen werden, nämlich Boden, Grundwasser sowie Klima/Luft/Atmosphäre. Das bedeu-tet nicht, dass die biotischen Naturgüter von sekundärer Bedeutung wären. Art. 20 a GG will nicht weniger als den Schutz der Reproduktionsfähigkeit des Ökosystems als Grundlage allen Lebens.

2.2 Boden

Die Relevanz des Bodens ergibt sich bereits aus § 2 Abs. 2 BBodSchG, wonach der Boden Lebensgrundlage und Le-bensraum für Menschen, Tiere, Pflanzen und Bodenorga-nismen ist und wesentliche Funktionen im Wasser- und Nährstoffkreislauf erfüllt. Die enorme Dauer der Bo-denneubildung sowie die allgegenwärtigen Ansprüche an „Grund und Boden“ erhellen die evidenten Grenzen, die

NuR (2014) 36: 482–486 483Gassner, Zum Vollzug des Art. 20a GG

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5) Vgl. dazu Lepsius (o. Fn. 4), 443 f.6) Näheres dazu bei Gassner, Rechtskonkretisierung zum Schutz

der natürlichen Lebensgrundlagen, NuR 2011, 320; sowie ders., Die Umweltpflichtigkeit nach Art. 20a GG als Pflicht zur Maß-stabsbildung, DVBl. 2013, 547.

7) Dazu Gassner, DVBl, 2013, 549.8) Dazu Lepsius (o. Fußn. 4), 517 f.9) Vgl. zu einem solchen Vorgehen Gassner, UVPG Kommentar

(2006), S. 63.10) Zur Notwendigkeit vgl. Gassner (o. Fußn. 7), 549.11) Zu Systemgerechtigkeit, Folgerichtigkeit und Sachgerechtig-

keit vgl. u. a. Osterloh, in: Sachs, GG, 6.  Aufl. (2011), Art.  3, Rdnr. 98 ff.

12) Vgl. nur BVerfG, Urt. v. 17. 12. 2013, DVBl. 2014, 175 zur Ge-samtabwägung gemäß Art. 14 GG.

13) Näheres bei Esfeld und Sachse, Kausale Strukturen, Einheit und Vielfalt in der Natur und den Naturwissenschaften. Suhrkamp Taschenbuch/Wissenschaft, Berlin, 2010.

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der Inanspruchnahme der Ressource Boden durch den Menschen gesetzt sind. Das Problem des Flächenverbrauchs ist praktisch allgegenwärtig und auch von der Gesetzge-bung als Herausforderung begriffen. 14 Die Daten aus der Praxis sind ernüchternd. 15 Der Boden, der erodiert, sowie der Boden, der überbaut wurde, ist im Sinne des Art. 20a GG meist verloren, will man den späteren Generationen nicht unverhältnismäßig hohe Rückholkosten aufbürden, ihnen sozusagen das Naturgut zu einem mehr oder weniger unbezahlbaren Preis hinterlassen.

Art. 20a GG verpflichtet den Staat – auf allen Ebenen der hoheitlichen Disposition über dieses Schutzgut – äu-ßerste Grenzen zu setzen, ohne welche späteren Genera-tionen erforderliche Gestaltungsspielräume und vor al-lem ökologische Entwicklungsmöglichkeiten genommen werden. Dass auch quantitative Vorgaben in diese Rich-tung legislatorisch machbar sind, belegt u. a. § 20 Abs. 1 BNatSchG. Soll Art.  20a GG mehr als nur symbolische Bedeutung haben, dann muss die Gesetzgebung die Li-mitierung der Flächeninanspruchnahme konsequenter als bisher, d. h. strikt ins Werk setzen. Ferner sind die Indika-toren der Grenzüberschreitung zu beachten, die der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) in sei-nem Umweltgutachten 2012 behandelt hat und die vor allem für den Boden Gefahren signalisieren, seien es per-sistente organische Schadstoffe, Schwermetalle oder ra-dioaktive Abfälle. Zusammen mit dem Boden wird ggfs. das Grundwasser kontaminiert und des Weiteren das da-von jeweils abhängige Ökosystem. Der SRU visiert sogar das Erdsystem an.

2.3 Grundwasser

„Das Wasser ist eine der wichtigsten Grundlagen allen menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebens“. 16 Es ist daher gerechtfertigt, die Benutzung des Grundwassers einer vom Oberflächeneigentum getrennten öffentlich-rechtli-chen Ordnung zu unterstellen. „Der Wasserhaushalt selbst ist als Naturvorgang (wie die Luft) einer rechtlichen Rege-lung nicht zugänglich. Jedoch können menschliche Einwir-kungen auf das unterirdische Gewässer allgemein verbind-lichen Vorschriften unterworfen werden.“ 17 Damit ist die herausragende Bedeutung insbesondere des Grundwassers außer Frage gestellt. Da die Ressource Grundwasser be-grenzt ist und Grundwasserneubildung – insbesondere auch wegen der gegenläufigen Wirkfaktoren, wie Bodenversie-gelung, Bodenverdichtung, Drainagen, Gewässeranstau und Verlust von Retentionsflächen – längere Zeiträume beanspruchen kann, 18 ist diese Ressource für künftige Ge-nerationen besonders bedeutsam. Sie ist sowohl in quan-titativer als auch in qualitativer Hinsicht zu schützen. Auf absehbare Zeit ist die Ressource vor allem durch flächen-hafte, diffuse Einträge, wie Stickstoffverbindungen, Wirk-stoffe aus Pflanzenbehandlungsmitteln oder Arzneimittel-wirkstoffe bedroht. 19

§§ 48 und 49 WHG schützen das Grundwasser nach den strengen Maßgaben des Besorgnisgrundsatzes. Ange-sichts der bisherigen Praxis ist verständlich, dass § 48 Abs. 1 Satz 2 WHG dazu ermächtigt, Grenzen für den Eintrag von Schadstoffen – per Rechtsverordnung – festzulegen. Hier ist ein Weg aufgezeigt, Art. 20 a GG zu exekutieren.

Das Grundwasser ist nur eine der Gewässerkategorien. § 23 WHG ermächtigt die Bundesregierung zu Regelun-gen für alle Gewässerkategorien, auch zur Umsetzung bin-dender Rechtsakten der EU. Zudem ist die Sanierung von Gewässerschäden gemäß § 90 WHG generell geschuldet. Das alles kann den prioritären Schutz des Grundwassers flankierend begleiten.

Die Maßstabsbildung im Sinne des Art.  20a GG wird ohne die räumlich-zeitlich angemessen dimensionierte Be-trachtung der jeweils relevanten Hydrosphäre nicht aus-kommen. Nicht zuletzt steht auch der flussgebietsbezogene

Ansatz der Wasserrahmen-Richtlinie (RL 2000/60/EG) einer allzu engen Sichtweise entgegen.

2.4 Klima/Luft/Atmosphäre

Die Atmosphäre ist das umfassende Schutzgut. Es schließt Luft und Klima ein. 20 Diese Lebensgrundlagen weisen – naturgemäß – über die nationale Grenze und auch über den Rahmen der EG hinaus, zumal auch die sich kumulieren-den Effekte der zunehmenden Erderwärmung und des Kli-mawandels globaler Natur sind. 21 Folglich gebietet Art. 20a GG gerade hier eine entsprechende Mitwirkung des Staates an internationalen Bestrebungen, die Schutzgüter langfris-tig zu sichern. Dessen ungeachtet dürfen die örtlich, regi-onal und bundesweit erforderlichen Maßnahmen nicht un-terlassen werden. Was einfach gesetzlich geboten ist, wird insbesondere nach Maßgabe des Immissionsschutzrechts und des gesamträumlichen sowie fachlichen Planungsrechts geleistet. Beispielhaft sei die Erhaltung und Entwicklung der lufthygienischen Ausgleichsfunktionen genannt. 22 Na-turschutzrechtlich wird empfohlen, große „Kernlebens-räume“ zu sichern, die „Tier- und Pflanzenarten Rück-zugsräume in überlebensfähigen Populationen bieten.“ Ansatzpunkte können das kohärente europäische Netz be-sonderer Schutzgebiete (Natura 2000) oder Schwerpunkte sein, die nach Maßgabe der Wasserrahmen-RL zu setzen sind. 23 Zielführend können nicht nur verbindliche Klima-schutzziele zur Verringerung der Treibhausgasemissionen, sondern auch Klimapläne sein. Sie sollen die Maßnahmen zur Erreichung der Klimaschutzziele konkretisieren, wie bspw. diejenigen des Klimaschutzgesetzes NRW. 24

Aus der Sicht des Art. 20a GG kommt es vor allem da-rauf an, Substanz in die Zukunft zu retten, d. h. ökologisch vielseitig wirkende Naturgüter zu tradierten, bspw. Wald und Grünland. Beide dienen nicht nur dem Klima-, son-dern auch dem Boden-, Grundwasser- und Biotopschutz. Die Sicherung ihrer positiven Langzeitwirkung ist jedoch auf Maßgaben der Gesetzgebung angewiesen. Das aktu-elle Ringen um die gesetzliche Eindämmung des Grün-landumbruchs belegt das Problembewußtsein. 25 Gerade dort, wo massive Interessen auf dem Spiele stehen, muss

Gassner, Zum Vollzug des Art. 20a GG

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484 NuR (2014) 36: 482–486

14) Vgl. insbesondere § 2 Nr. 2 Satz 5 ROG, §§ 1 Abs. 5 sowie 13 a BauGB und § 1 Abs. 5 und Abs. 6 BNatSchG.

15) Gassner, Landschaftsschutzrecht, Rdnr. 80 zur Nationalen Strate-gie zur biologischen Vielfalt sowie Rdnr. 40 ff. zur Entwicklung der Flächeninanspruchnahme.

16) BVerfG, Beschl. v. 15. 7. 1981 – 1 BvL 77/78, BVerfGE 58, 300, 341.

17) BVerfG, Beschl. v. 15. 7. 1981 – 1 BvL 77/78, BVerfGE 58, 300, 339.

18) Einschlägige Parameter sind: Bodenart, Grundwasserflurab-stand, Reliefenergie, Niederschlag sowie der Bewuchs und die Landnutzung – Achim Sander, in: Christina von Haaren, Hrsg., Landschaftsplanung, (2004), 170 sowie 173.

19) Näheres dazu im Sondergutachten des Rates von Sachverständi-gen für Umweltfragen (SRU), BT-Drs. 13/10196 vom 3. 3. 1998.

20) Vgl. nur Jarass, BImSchG (7. Aufl.), § 1, Rdnr. 4. Vgl. auch Na-ture, Vol. 500, 15. 8. 2013, Seite 287: The terrestrial biosphere is a key component oft the global carbon cycle and its carbon balance is strongly influenced by climate. Zum Klima als umweltrechtli-chem Schutzgut vgl. Gärditz, JUS 2008, 324, 326.

21) Vgl. Science, Vol. 341, 2. 8. 2013, Seite 435.22) Michael und Christian Makala, in: Christina von Haaren (Hrsg.),

Landschaftsplanung (2004), S. 339 ff.23) Jessel, Natur und Landschaft, 2008, 311/316.24) Vgl. dazu auch kritisch Thomas, NVwZ 2013, 679.25) Vgl. nur den Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung der Di-

rektzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rah-men von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik, BR-Drs. 82/14 vom 28. 2. 2014 oder die Gesetze/Verordnungen einiger Länder über die Erhaltung eines bestimmten Grünland-anteils.

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sich aber Art.  20a GG bewähren, muss der Gesetzgeber Maßstäbe setzen, die das Versprechen des Verfassungsge-bers nicht Lügen strafen. Auch der Wald ist angesichts der enormen Nachfrage nach Biomasse, die energetisch zu nut-zen ist, in hoher Gefahr kurzfristigen Belangen zuviel Tri-but zu zollen. Die beiden Beispiele erhellen die Brisanz des Art. 20a GG, sie erschöpfen sie aber – selbst in dem spezi-ellen Bereich, der hier thematisiert wird –, keineswegs. Sie stellen jedoch durchaus beantwortbare Fragen.

2.5 Ökologische Schlüsselfunktionen

Art.  20a GG schützt die natürlichen Lebensgrundlagen. Dies bedeutet, wie oben – über der Fußnote 13 – ausge-führt, dass die Reproduktionsfähigkeit des Ökosystems zu erhalten ist. Der abstrakte Begriff des Ökosystems ist der jeweiligen Entscheidungsebene entsprechend auf das je be-troffene Wirkungsgefüge (zwischen den einen Raum prä-genden biologischen Funktionen, Stoff- und Energieflüs-sen sowie landschaftliche Strukturen) zu beziehen, 26 d. h. zu konkretisieren. Ökosysteme sind offene dynamische, nicht lineare, sich ständig wandelnde Systeme. Die Bedeu-tungsschwelle des Art. 20 a GG wird erreicht, wenn prä-gende biologische Funktionen auf dem Spiel stehen, de-ren Reproduktion in Gefahr ist. Was prägend ist, ist von all den Wertungskriterien abhängig, die in der betroffenen Konstellation relevant sein können. Insbesondere wird ins Gewicht fallen, welche Rolle das betroffene Ökosystem in der Hierarchie der ökosystemaren Stufung spielt, ob hö-here Stufen Verluste niederer Stufen kompensieren können, wie elastisch das betroffene System überhaupt ist, wie sich die langfristigen Überlebenschancen der tangierten Öko-systeme – etwa in Ansehung des Klimawandels – darstel-len, etc.. Die Wertung ist zwar in hohem Maße fachlicher Natur. Sie bedarf aber der rechtlichen Durchsetzung und ist deshalb auf Maßstäbe angewiesen, die seitens der Gesetzge-bung zur Verfügung zu stellen sind. 27

2.5.1 Einschlägige Beispiele2.5.1.1 Gebiete nationaler und transnationaler BedeutungDer Naturschutz hat in Deutschland seit seinen Anfängen wesentlich auf Gebietsschutz gesetzt. Dieses oft allzu enge Mosaik wurde gemeinschaftsrechtlich in weitaus größere und wirksamere Dimensionen hinein erweitert. Das „ko-härente europäische ökologische Netz besonderer Schutz-gebiete“ Natura 2000 will selbst für vordringliche Projekte nur dann Eingriffe zulassen, wenn die globale Kohärenz des Netzes geschützt ist, d. h. auch künftig hin geschützt bleibt. 28 Insoweit existiert also eine Gesetzgebung, die Art. 20 a GG entspricht. Die Praxis nährt jedoch Zweifel, ob diese Vorga-ben durch die vollziehende Gewalt und die Rspr. im Sinne des Staatsziels konsequent genug eingelöst werden. Der EuGH hatte immer wieder Gelegenheit, insoweit auch ge-genüber Deutschland Richtigstellungen vorzunehmen. 29

Der gemeinschaftsrechtliche Habitatschutz bewirkt nicht nur eine herausragende Inwertsetzung der inmitten stehen-den Naturgüter, sondern auch einen Schutz derselben, wie er offenbar national so nicht gewährleistet werden kann. Folg-lich ist der Vollzug des Art. 20a GG – will er effektiv sein – darauf verwiesen, gemäß Art.  3 Abs.  3 FFH-RL zu ver-fahren. Danach werden sich die Mitgliedstaaten bemühen, die ökologische Kohärenz von „Natura 2000“ durch die Er-haltung und gegebenenfalls Schaffung von Landschaftsele-menten zu verbessern, d. h. auch zu erweitern. Derartige Landschaftselemente sind nach Art. 10 FFH-RL Strukturen (z. B. Flüsse mit ihren Ufern oder Gehölze), die für die Wan-derung, die geographische Verbreitung und den genetischen Austausch wildlebender Arten wesentlich sind.

Aus der Sicht des Art. 20a GG geht es nicht nur um die Ergänzung des Natura 2000-Netzwerks. Vielmehr ist auch eigenständiger Gebietsschutz geboten. 30 So fordert Art. 20a GG insbesondere die Nationalparkkategorie heraus. Diese

Kategorie ist vor allem geeignet, Gebiete besonderer Be-deutung für die künftigen Generationen zu bewahren, aber auch massiv in überkommene Besitzstände einzugreifen. Der unvermeidliche Interessenkonflikt manifestiert sich ge-bündelt in der Diskussion des Aufbaus eines Buchenwald-Verbundsystems. Da Deutschland zu den buchenwaldreichs-ten Ländern Europas zähle und für den Schutz dieser Wälder weltweite Verantwortung trage, 31 könne die Gesetzgebung einer Entscheidung im Sinne des Art. 20a GG schwer aus-weichen, wird seitens des Naturschutzes argumentiert.

2.5.1.2 Arten nationaler Verantwortung Deutschlands

Die Existenz einer solchen Verantwortung wird durch § 54 Abs.  1 Nr.  2 BNatSchG anerkannt. 32 Die Wissenschaft gründet diese Verantwortlichkeit auf den Anteil der Po-pulation des Bezugsraums an der Weltpopulation (die über den Anteil an Weltareal geschätzt wird), auf die Bedeutung dieser Population für den Genfluss zwischen Populationen sowie auf die weltweite Gefährdung der Art bzw. des Ta-xons. 33 Für die Farn- und Blütenpflanzen wurden z. B. 150 Taxa der hohen Verantwortlichkeit ermittelt, davon gut 80 Endemiten, d. h. Arten, die nur in Deutschland vorkom-men. 34 Aus fachlicher sowie aus praktischer Sicht ist die Raumbedeutsamkeitsanalyse hervorzuheben. 35

Die nationale Verantwortung knüpft an Kernareale bzw. -bestände in Deutschland an und trägt der Tatsache Rech-nung, dass Art. 20a GG die „Reproduzierbarkeit des Öko-systems“ meint und dass die ökologischen Erfordernisse über die nationalen Grenzen hinausweisen.

Laut Gesetzesbegründung soll § 54 Abs. 1 Nr. 2 BNatSchG den gefährdeten Arten, für die Deutschland in hohem Maße verantwortlich ist, einen Schutzstatus „zuführen, der den europarechtlich geschützten Arten entspricht.“ 36 Art.  20a GG verlangt, dass der Verordnungsgeber von der Ermäch-tigung Gebrauch macht. Die Erläuterungswerke müssen sich derzeit noch mit der Wiedergabe von Vorschlägen der Wissenschaft begnügen.

2.5.1.3 Schlüsselarten, Schlüsselressourcen

Basis eines Ökosystems sind nicht nur dessen abiotische Grundlagen, sondern auch all die anderen Faktoren, die das

NuR (2014) 36: 482–486 485Gassner, Zum Vollzug des Art. 20a GG

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26) Vgl. § 1 Abs.  3 Nr.  1 BNatSchG. Das internationale Überein-kommen über die biologische Vielfalt vom 5. 6. 1992, BGBl. II 1993, S.  1741, versteht unter Ökosystem einen „dynamischen Komplex von Gemeinschaften aus Pflanzen, Tieren und Mikro-organismen sowie deren nicht lebender Umwelt, die als funktio-nelle Einheit in Wechselwirkung stehen“.

27) Vgl. Gassner zur Umweltpflichtigkeit nach Art. 20a GG als Pflicht zur Maßstabsbildung, DVBl. 2013, 547.

28) Art. 6 Abs. 4 FFH-RL. § 34 BNatSchG.29) Vgl. nur EuGH, Urt. v. 14. 9. 2006 – C-244/05, NuR 2006, 763;

EuGH, Urt. v. 11. 9. 2001 – C-71/99, Slg. I-5811; EuGH, Urt. v. 17. 9. 1987 – C-412/85, NuR 1988, 53.

30) Vgl. einerseits die Kriterien des Anhangs III der FFH-RL (92/43/EWG) sowie der Vogelschutz-RL (2009/147/EG) – (kodifizierte Fassung) –. Die national zu Vogelschutzgebieten erklärten Ge-biete sind gemäß Art. 7 FFH-RL Teil von Natura 2000 – ande-rerseits § 21 BNatSchG.

31) Panek, Deutschlands internationale Verantwortung: Rotbuchen-wälder im Verbund schützen. Gutachten im Auftrag von Green-peace e. V., Hamburg 2011.

32) Vgl. auch die Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt, Ber-lin 2007.

33) Balzer/Gruttke, Martens, Schippmann, Natur und Landschaft, 2013, 192.

34) Ludwig/May/Otto, Verantwortung Deutschlands für die welt-weite Erhaltung der Farn- und Blütenpflanzen – vorläufige Liste, BfN-Skript 220 (2007).

35) Müller-Motzfeld/Trautner/Bräunicke, in: Gruttke (Bearb.), Ermitt-lung der Verantwortlichkeit für die Erhaltung der mitteleuro-päischen Arten. Reihe Naturschutz und Biologische Vielfalt des BfN. Heft 8/2004), 173.

36) BT-Drs. 16/12274, Seite 71.

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mitkonstituieren, was als natürlicher Lebensraum bzw. Le-bensgemeinschaft bezeichnet wird. In einem Lebensraum sind aber nicht alle Arten gleich wichtig. Die sog. Schlüs-sel-, Schlussstein- oder Schirmarten sind dadurch charakte-risiert, dass sie oft erst die Existenz weiterer Arten ermög-lichen oder dass sie regulierend eingreifen. 37

Beispiele sind Pflanzen, von welchen sich spezialisierte Herbivoren ernähren (insbesondere dann, wenn diese mo-nophage Tierarten sind), ferner die obligaten Bestäuber von Pflanzen sowie die Verbreiter von deren Samen und Früch-ten, ferner die Spitzenprädatoren, die eine explosionsartige Vermehrung der Beutetierpopulationen verhindern oder auch Ökosystemingenieure (z. B. der Biber oder Höhlen-bauer), welche die physikalische Umwelt für andere Orga-nismen maßgeblich gestalten. Auch die Welt der Zersetzer (Destruenten) ist zu erwähnen, die für die Bodenbildung und deren Nährstoffumsatz sorgt.

Im Rahmen des Art. 20a GG kommt es darauf an, ob bzw. inwieweit Schlüsselarten oder Schlüsselressourcen auf dem Spiel stehen, die herausragende Bedeutung haben. Ein negatives Beispiel ist die Bedrohung tradierter, natür-lich vorkommender Lebensgemeinschaften durch invasive Arten, nicht nur in Flüssen. 38 Positive Schlüsselressource kann bspw. die Durchgängigkeit von Wasserläufen für Fi-sche und Krebse insbesondere einer wandernden Art sein, desgleichen der Uferbewuchs mit Erlen (die in vielfacher Hinsicht ökologisch wirksam sind) oder die (ektotrophe) Mykorrhiza, deren Pilzfäden die Leistungskraft von Wald-böden enorm und nachhaltig erhöhen.

Nicht unerwähnt soll ein Schlüsselkriterium bleiben, das darin besteht, dass Populationen eine gewisse Mindest-größe (die minimal viable population) nicht unterschreiten dürfen, sollen sie nicht untergehen.

3. Ausblick

Die in jeder Hinsicht weit ausgreifenden Maßgaben des Art. 20a GG sind auf Maßstabssetzungen seitens der Ge-setzgebung angewiesen.

Erweisen sich Gesetze in Fällen als unzureichend, in welchen natürliche Lebensgrundlagen mit der essenziellen Bedeutung des Art. 20a GG nicht geschützt werden kön-nen, dann können sie – jedenfalls inzidenter – gerichtlicher Kontrolle unterzogen werden. 39

Gerade für die Langzeitperspektive ist zu bedenken, was der SRU zu den schleichenden Entwicklungen sagt. Dies-bezüglich sieht er den kritischen Schwellenbereich dort, wo die Resilienz von natürlichen Systemen (ihre Fähigkeit, sich von Störungen zu erholen) beeinträchtigt wird. Solche Schwellen können allenfalls als „Korridore der Elastizität“ eingegrenzt werden. 40

Schließlich kann vom Schutz der natürlichen Lebens-grundlagen nur solange die Rede sein, als Natur und Land-schaft noch in der Lage sind, der wachsenden Urbanisie-rung genügend Freiräume entgegenzusetzen. 41

Gassner, Zum Vollzug des Art. 20a GG

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486 NuR (2014) 36: 482–486

37) Nentwig/Bacher/Brandl, Ökologie kompakt, 3. Aufl. (2011), Hei-delberg, 294.

38) BT-Drs.  14/4879: Antwort der Bundesregierung auf eine An-frage zur Bedrohung heimischer Biotope durch Invasionspflan-zen; vgl. ferner Fisahn/Winter, Gebietsfremde Organismen als Rechtsproblem, ZUR 2000, 8.

39) Gassner, DVBl. 2013, 550.40) Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 2012.

Verantwortung in einer begrenzten Welt. Berlin 2012, Teil-ziffer 49.

41) Vgl. § 1 Abs. 6 BNatSchG zu den Anforderungen an Freiräume.