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Zufrieden anders. Anders zufrieden. Dillen Steinbrück: Leben mit dem Asperger-Syndrom s

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Zufrieden anders.Anders zufrieden.

Dillen Steinbrück:Leben mit dem Asperger-Syndrom

s

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Typisch Asperger?s Dillen Steinbrück wird zur Besprechung im Büro

von Brüggli Wohnen erwartet. Er war noch nie in die-

sem Büro. Seine Betreuerin hat ihm den Weg beschrie-

ben und erklärt, das Wohnen-Büro sei in einem blauen

Haus zu finden. Doch Dillen Steinbrück kommt und

kommt nicht. Per Mobiltelefon stellt sich heraus: Er ist

am Haus vorbeigelaufen und an einem anderen Ort

gelandet. «Das ist kein blaues Haus. Es ist türkis», sagt

er. «Hätten Sie mir gesagt, das Haus sei türkis, hätte ich

es natürlich gefunden.»

Blau oder Türkis? Das liegt im Auge des Betrachters. Der

eine sieht es so, der andere so. Und da wären wir bei

einem der Merkmale des Asperger-Syndroms: Betroffene

haben Schwierigkeiten, sich in Andere hineinzuverset-

zen. Sie tun sich schwer, die Dinge zu interpretieren,

weshalb sie auf klare Worte angewiesen sind. Und nicht

zuletzt verwenden auch sie selbst klare Worte – was

schon mal zu Missverständnissen in zwischenmenschli-

chen Kontakten führt.

Das sind nur einige Aspekte. Es gibt viele Weitere. Die-

ses Büchlein gibt einen Einblick: Dillen Steinbrück

öffnet uns die Tore in seine Welt – von der schwierigen

Schulzeit bis hin zu seiner kaufmännischen Ausbildung

bei Brüggli.

Er lehrt uns das Asperger-Syndrom besser zu verstehen.

Und er lehrt uns das Verbindende mehr zu sehen als das

Trennende.

«Für Menschen mit Autismus erfordern oft Kleinigkeiten eine monate- bis jahrelange innerliche Vorbereitung. Wie etwa Folgendes:

Wie stellt man jemandem eine Frage? Wie telefoniert man? Wie geht man zum

Bäcker und bestellt Brot?»

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Asperger, was ist das?s Das Asperger-Syndrom ist eine Form von Autismus.

Betroffene fallen häufig durch überdurchschnittliche

Intelligenz auf. Sie sind fähig, kleinste Details zu

erkennen und sich für gewisse Themen in einem für

Aussenstehende verblüffenden oder irritierenden Mass

zu interessieren. «Es ist eine qualitativ andere Art der

Wahrnehmungsverarbeitung, die sich auch in der so-

zialen Interaktion zeigt», erklärt Matthias Huber, Asper-

ger-Experte und selbst Betroffener, der eng mit Brüggli

zusammenarbeitet. Eine ausgeprägte Kontakt- und

Kommunikationsstörung ist ebenso ein Merkmal wie

das ausgeprägte Bedürfnis, detaillierte Infos zu erhalten,

bevor Neues eintritt.

Die Organisation Autismus Schweiz führt diese Merkmale als typisch an:» Beeinträchtigung des sozialen Verhaltens

» Sprach- und Sprechauffälligkeiten

» Auffälligkeiten in der nonverbalen Kommunikation

» Ausgeprägte Interessen, die viel Zeit beanspruchen,

repetitiv ausgeübt werden und oft einen eher

technischen Charakter haben

» Schwierigkeiten, sich auf Neues einzustellen

» Oft auch: überempfindliche Reaktion auf grelles Licht,

spezielle Geräusche, Gerüche oder Berührungen

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ZÜberbegabt? Unstrukturiert? Überfordert?s Kleinkinder lernen das Sprechen üblicherweise in

Schritten: Es beginnt mit kurzen Lauten, denen einfache

Worte wie Mama, Papa oder Ball folgen, ehe sie zu den

ersten Sätzen geformt werden. Dillen Steinbrück nahm

eine Abkürzung. Seine Mutter Regina erinnert sich

lebhaft: Im Alter von zwei Jahren und einem Monat

kommt er aus dem Zimmer und verblüfft mit dem Satz:

«Endlich kann ich reden.»

Er spricht schon als kleiner Bube eloquent und bedäch-

tig wie ein Älterer. Seine Kindergärtnerin fragt er: «Darf

ich Sie um Erlaubnis bitten, auf die Toilette zu gehen?»

Regina Steinbrück erinnert sich, wie die Kindergärtne-

rin ihr eines Tages sagt, sie verstehe den Buben zuwei-

len kaum.

Dillen Steinbrück spielt im Kindergarten am liebsten

alleine und lernt selber lesen und schreiben. Seine

Zurückgezogenheit wird ihm als mangelnde Sozial-

kompetenz ausgelegt, was zu einer Wiederholung des

Kindergartens führt. «Das war ein blöder Fehler»,

sagt Regina Steinbrück.

Lesen gegen die IsolationDillens Leidenschaft fürs Lesen flammt in der ersten

Klasse noch mehr auf. Während andere Buben Fangen

spielen, dem Ball nachrennen oder den Mädchen davon-

laufen, sitzt er in einer ruhigen Ecke und liest «Harry

Potter». Am Ende der zweiten Klasse verweigert er die

Schule. Er ist zum Aussenseiter geworden. Der schul-

psychologische Dienst nimmt eine Abklärung vor und

attestiert ihm eine Sonderbegabung.

Er überspringt die dritte

Klasse und tritt direkt in

die vierte ein. Wegen

seiner Begabungen und Interes-

sen wird Dillen Steinbrück mit

Philosophie- und Literaturkur-

sen speziell gefördert. Er ver-

bringt viel Zeit in Bibliotheken. Und

er widmet sich anderen Sprachen:

Sein Englisch kultiviert er, indem

er innert vier Tagen einen «Era-

gon»-Band auf Englisch liest. «Da-

nach sprach er fliessend englisch»,

erinnert sich Regina Steinbrück.

«Ich habe den Eindruck, mir fehlt der Speicher für soziale Situationen

im Gehirn. Immer wieder ist alles neu.»

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Sieger im SchreibwettbewerbIn der sechsten Klasse schafft er den Übertritt ins Pro-

gymnasium. Er gewinnt den Schreibwettbewerb «Club

der jungen Dichter», den die Luzerner Zeitung ausge-

schrieben hat. Zusammen mit anderen Schülern aus

dem Literaturkurs schreibt er ein kleines Buch mit dem

Titel «Unglaublich».

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Im Progymnasium, im Alter von etwa 15 Jahren, hat

Dillen Steinbrück zusehends Probleme mit seinen

Mitschülern. Er wird gemieden und gemobbt und, so

erklärt er’s, im stressigen Schulalltag von anderen als

Ventil genutzt, um Dampf abzulassen. Er widmet sich

Mythologien, Religionen und Fantasy-Themen. Abklä-

rungen des kinderpsychiatrischen Dienstes ergeben:

Er hat das Asperger-Syndrom.

Die befreiende DiagnoseAsperger-Syndrom: Endlich eine Diagnose.

Endlich hat seine Andersartigkeit einen

Namen, lässt sich greifen, einordnen,

benennen. Eine Befreiung? «Ja, von da

an konnte ich sagen: Das ist es. Vorher

war alles immer so vage.» Auch für

seine Mama ist die Diagnose eine

Erleichterung. Sie erzählt von

der überforderten Primar-

lehrerin, die unterstellt

hatte, der Junge sei hoch-

depressiv. Sie blickt auf Besuche beim Kinesiologen und

zahllose Sitzungen bei drei verschiedenen Psychiatern

zurück. Und sie erinnert sich an Schulkameraden, die

Dillen als Obskurität und Freak bezeichneten: All dies

wiegt in der Rückschau nicht mehr so schwer, weil die

Ursachen erklärbar sind. «Die

Diagnose Asperger half

uns Eltern und auch

anderen Leuten,

unser Kind besser

zu verstehen.»

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Als 18-Jähriger wechselt Dillen Steinbrück ein weiteres

Mal die Schule. Auf Anraten seiner IV-Berufsberaterin

tritt er ins Gymnasium der Bildungsinstitution AKAD

in Zürich ein. Hier erarbeiten die Schüler einen grossen

Teil des Lernstoffes in eigener Regie, mit viel Eigenver-

antwortung. Er hat einen guten Start, doch das hohe

Arbeitstempo und seine schlechten Organisationsfähig-

keiten passen nicht zueinander.

Ein weiteres Mal am ScheidewegNach drei Semestern an der AKAD sind seine Leistun-

gen unzureichend und seine Nerven überstrapaziert.

«Ich musste mir zugestehen, dass mir die organisatori-

schen Fähigkeiten fehlen, um den Lernstoff effizient zu

strukturieren.»

So kommt 2012 ein weiterer Abbruch. Und etwas

Neues beginnt: Dillen Steinbrück kommt mit Brüggli

in Kontakt.

Wer sich mit Spezialinteressen beschäftigt, erlebt Selbstwirksamkeit. Selbstwirksamkeit zu empfinden, ist

überlebenswichtig.

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Zs Dillen Steinbrück lernt 2012 bei Brüggli den Beruf

des Kaufmanns näher kennen. Während der Probezeit

im Finanz- und Rechnungswesen zeigt sich, dass ein

Vorbereitungsjahr sinnvoll ist. So kommt er in den

Bereich Verkauf, wo er sich auf den Einstieg in die Aus-

bildung vorbereitet. Eine besondere Herausforderung

ist seine stetige Müdigkeit am Arbeitsplatz. Auch mit

der Pünktlichkeit hat er es nicht – ein weiteres typisches

Merkmal für das Asperger-Syndrom.

Ein Asperger unter Tauben?2013 stehen die Zeichen gut: Dillen Steinbrück steigt in

die kaufmännische Ausbildung mit Profil E bei Brüggli

ein. Die Berufsschule besucht er bei der Berufsschule

für Hörgeschädigte BSFH in Zürich. Ein Asperger unter

Tauben? Das mag erstaunen, ist aber verbreiteter als

man denken mag. Und es funktioniert gut. Denn an

der BSFH kann Dillen Steinbrück in einer Kleinklasse

lernen, wo eine enge Zusammenarbeit zwischen Schüler

und Lehrer möglich ist.

Wie geht es ihm bei Brüggli?Struktur und LogikWie gefällt es ihm in der Ausbildung

bei Brüggli? Dillen Steinbrück

denkt etwa zehn Sekun-

den nach, seine Augen

wandern von links

nach rechts und dann

zurück. Er sammelt seine

Worte, rückt die Gedanken

zurecht, bündelt sie, als läge das

Gewicht der Welt in ihnen. «Ich muss

überlegen, wie ich das formulieren soll»,

sagt er. «Die Struktur der Arbeiten liegt

mir. Die Logik, der konkrete Ablauf gefällt

mir.» Und wie kommt er mit den anderen Ler-

nenden klar? «In zwischenmenschlichen Bezie-

hungen bin ich nicht so gut», sagt er. Aber doch,

er verstehe sich mit vielen Leuten ganz gut. «Es

funktioniert, weil alle Respekt voreinander haben.»

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Zwischen den WeltenUnd was gefällt ihm weniger? «Im Kaufmännischen ist es eben manch-

mal wenig kreativ», sagt er. Doch gebe es ja andere Möglichkeiten,

die Kreativität auszuleben: im Schreiben von Kurzgeschichten zum

Beispiel. Und in Dingen, «die ausserhalb des Verständnisses des Men-

schen sind». Welten, wie sie eigentlich nicht existieren können: Die

faszinieren ihn. Auch die Religionen fesseln ihn seit der Kindheit. «Ich

bevorzuge Religionen und Mythologien, die keinen monotheistischen

Gott haben, sondern mehrere Götter, die auch Fehler haben dürfen.»

Eine typische Episode aus Dillen Steinbrücks Primarschulzeit: Ein Schüler fordert ihn auf:

«Sag es laut: Alle Mädchen sind blöd!» Doch Dillen antwortet unverhofft: «Unsere Mütter waren auch mal

Mädchen. Sind sie alle auch blöd?»

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s Seit jeher ist das Lesen ein Teil von Dillen Steinbrücks Leben. Zu-

sammen mit seiner Betreuerin Gudrun Knab-Topka, die bei Brüggli

für die Wohngruppen verantwortlich ist, widmet er sich zum Beispiel

dem «Kleinen Prinzen». Er liest vor und dann diskutieren beide über

den Inhalt.

Der Zuhörer wähnt sich in einem Theatersaal mit samtgepolsterten

Sesseln, ausladenden Deckenleuchtern und bleischweren Vorhängen,

die zurückgezogen werden, um die Sicht auf Dillen Steinbrücks Welten

freizugeben. Voller Inbrunst liest er, modelliert Hochs und Tiefs, macht

die Worte zur Melodie, gibt Gefühlen Raum. Man merkt:

Das hier bedeutet ihm viel. Es ist eine wunderbare Mög-

lichkeit, sich auszudrücken und zu verständigen.

Sogar die Unpünktlichkeit, die sonst allgegenwärtig ist, ist kein

Thema, wenn es ums Lesen geht. Diesen Termin verpasst er nie.

Eintauchen in andere Welten

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Was hilft im Umgang mit Aspergern?s Es gibt aktuell keine Therapie, mit der die Ursachen

des Asperger-Syndroms behandelt werden können. Die

Behandlung konzentriert sich auf die Symptome und im

Besonderen darauf, den Betroffenen den

Alltag zu erleichtern. Wir alle können

dazu beitragen, wenn wir Folgendes

beachten:

Genauigkeit in der Sprache: Klare

Worte und keine Ironie, die missver-

standen werden kann. Besser die

Dinge explizit benennen, anstatt sie

zwischen die Zeilen zu packen. Sollte

eine Botschaft nicht klar sein, diese ge-

meinsam eindeutig definieren.

Zeit geben: Einem Betroffenen mehr

Zeit einräumen, damit er genau über-

legen kann, was mit einer Frage

gemeint ist und wie er sie beant-

worten könnte.

Wertschätzung in Details: Auch Kleinigkeiten be-

achten; es kann sein, dass ein Betroffener genau diese

für sehr wichtig erachtet.

Wort halten: Nur versprechen, was man halten kann

– und halten, was man verspricht. Betroffene sind dies-

bezüglich besonders akribisch.

Hilfsmittel einsetzen: Pläne, Listen, visuelle Hilfen

einsetzen, um die Autonomie des Betroffenen zu verbes-

sern, ohne viele Worte brauchen zu müssen.

Behutsam bei Veränderungen: Vorabinfos und re-

gelmässige Erläuterungen helfen in Veränderungsprozes-

sen. Mit Assoziationen arbeiten, um alte und vertraute

Gedanken mit neuen Gedanken verknüpfen zu können.

«Menschen mit Autismus erscheint die sogenannte natürliche Umgebung oft

wie das Balancieren auf einem Hochseil. Kein Mensch ist besonders flexibel oder

kreativ, wenn er auf einem Hochseil entlang gehen muss. Warum? Weil es sich um eine

Extremsituation in nicht-natürlicher Umgebung handelt. Flexibilität könnte

das Leben kosten.»

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s Im Gespräch mit Menschen wie Dillen Steinbrück

sind klare Worte und eindeutige Gesten wichtig. Es hilft

ihm, wenn Aufforderungen nicht zwischen den Zeilen

versteckt oder in Ironie gehüllt sind, sondern direkt

ausgesprochen werden.

Es zieht und ist kalt hier, findest Du nicht auch?

Besser: Bitte schliess das Fenster; es zieht und ist kalt.

Ich brauche Ihren Lebenslauf, damit ich Ihr Dossier

vervollständigen kann.

Besser: Bringen Sie mir bis morgen 10 Uhr Ihren Le-

benslauf auf Papier. Dann kann ich Ihr Dossier vervoll-

ständigen.

Mir ist nicht wohl; ausserdem hat es zu viele Leute hier.

Besser: Lass uns jetzt nach Hause gehen; dort ist es

ruhiger.

In unserer WG-Küche herrscht ein rechtes Chaos.

Besser: Hilfst Du mir bitte beim Aufräumen; lass uns

jetzt den Abwasch machen und das Geschirr versorgen.

Wir treffen uns heute Nachmittag um 14 Uhr für eine

weitere Besprechung.

Besser: Kommen Sie heute Nachmittag um 14 Uhr zu

mir; wir haben dann die nächste Besprechung.

Ich habe Ihnen schon dreimal gesagt, dass die

Rechnung so nicht ausgedruckt werden

kann.

Besser: Machen Sie zuerst die

Korrekturen und zeigen

Sie mir am Bildschirm

die korrigierte Version der

Rechnung.

Du sprichst oft mit Mara und Florian.

Besser: Ich würde auch gerne ein paar Worte mit

Dir wechseln.

Klare Worte, bitte

«Wer sich in einer Welt erlebt, die sich in einem unklaren Dunst

befindet, wird sich auf unbewegte Objekte und Details fixieren, die

genügend Farbe, Intensität oder Eindrücke vermitteln, um erkannt werden

zu können.»

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Eine Modediagnose?s Ein klares Nein von Matthias Huber. Der Asperger-Experte führt

an, dass immer mehr Fachleute über die nötigen Kenntnisse verfügen,

um das Asperger-Syndrom diagnostizieren zu können. «Das klinische

Wissen ist in den letzten zehn Jahren deutlich gewachsen», sagt er,

«und Fachgruppen denken heutzutage früher an die Möglichkeit einer

autistischen Wahrnehmung, wenn die üblichen, traditionellen thera-

peutischen oder pädagogischen Massnahmen nicht greifen».

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s Dillen Steinbrück ist einer von vielen Klienten mit

Asperger-Syndrom, die bei Brüggli eine Ausbildung

machen – unter anderem in der Informatik oder im

Kaufmännischen. Brüggli begleitet die Betroffenen bei

Bedarf weit über die Arbeit hinaus. Dillen Steinbrück,

zum Beispiel, lebt in einer Wohngemeinschaft mit

einem anderen Betroffenen.

Das Asperger-Syndrom bei BrüggliBrüggli setzt sich im Rahmen von Fortbildungen mit

dem Asperger-Syndrom auseinander. Die enge Zusam-

menarbeit mit Experten wie Matthias Huber schärft

den Blickwinkel und befähigt die Betreuerinnen und

Betreuer im professionellen Umgang.

Vertrauen ist der Schlüssels Dillen Steinbrück hat sich zum Ziel gesetzt, die

kaufmännische Ausbildung bei Brüggli erfolgreich

abzuschliessen und darauf aufzubauen. Er habe keinen

spezifischen Traumberuf, denke aber an eine Berufsma-

turität, die ihm neue Wege öffnen könnte.

Mit diesen Worten endet eine weitere Begegnung mit

Dillen Steinbrück. Galant reicht er die Hand und sagt:

«Danke, ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.»

Unnahbar? Unstrukturiert? Ungesellig? Wer mit Dillen

Steinbrück mehr als nur einen flüchtigen Kontakt hat,

merkt: Voreilige Schlüsse greifen zu kurz. Er ist ein

Wartender, Zögernder, vielleicht, dessen Vertrauen man

sich verdienen muss. Man klopft bei ihm an, und wenn

er die Tür öffnet, dann betritt man Schatzkammern

reich an Sprache, Literatur und Philosophie. Wer das

Verbindende sucht, den belohnt er mit aufrechtem Inter-

esse, mit Wertschätzung und mit viel Wissen.

Das Leben blüht abseits des Normierten, Angepassten,

Gemässigten. Dillen Steinbrück und das Asperger-

Syndrom lehren uns die Dinge anders zu betrachten –

vorurteilsfrei, aufgeschlossen, gemeinsam.

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Literatur- und Webtipps

Bücher:

Attwood, Tony: «Ein ganzes Leben mit dem Asperger-Syndrom»; Verlag Trias, 2012

Faherty, Catherine: «Asperger ... was heisst das für mich?», zu beziehen bei

www.autismusverlag.ch

Hawkins, Gail: «Fit für den Arbeitsmarkt. Ein Leitfaden für Menschen mit

Asperger-Syndrom, ihre Familien und Job Coaches», zu beziehen bei www.autismus.ch

Häussler, A., Tuckermann, A., Lausmann, E.:

«Neue Materialien zur Förderung der sozialen Kompetenz»;

Verlag Borgmann Media, 2012

Schneider, Karla & Köpke Vanessa:

«Wenn Bretter vor Köpfen kleben: Und man im Sitzen miteinander gehen kann»;

Verlag Kleine Wege, 2009

Links:

Autismus Deutsche Schweiz: www.autismus.ch

Autismus Schweiz: www.autismusschweiz.ch

Autismusforum: www.autismuslinkforum.ch

Autismusverlag Schweiz: www.autismusverlag.ch

Herausgeber

Brüggli

Hofstrasse 3+5

8590 Romanshorn

www.brueggli.ch

Kst. 2020 // 2500 Ex. // 05.14 sGrafik

Regina Furger

Druck

Brüggli Medien

Konzept/Text

Michael Haller

Bilder

Fotostudio Bühler

Zitate von Matthias Huber, Asperger-Experte