wenn ozzy und charles denselben spot sehen

4
planung & analyse Zeitschrift für Marktforschung und Marketing SONDERDRUCK 4/2016 D11700F Eine Marke der dfv Mediengruppe Frauke Stockmann und Manfred Tautscher Wenn Ozzy und Charles denselben Spot sehen

Upload: dangdan

Post on 11-Feb-2017

233 views

Category:

Documents


6 download

TRANSCRIPT

Page 1: Wenn Ozzy und Charles denselben Spot sehen

planung&analyseZeitschrift für Marktforschung und Marketing

Sonderdruck

4/2016 d11700F

eine Marke derdfv Mediengruppe

Frauke Stockmann und Manfred Tautscher

Wenn Ozzy und Charlesdenselben Spot sehen

Page 2: Wenn Ozzy und Charles denselben Spot sehen

2 planung&analyse 4/2016 Sonderdruck planung&analyse 4/2016 43

Würde jemand auf die Idee kommen, OzzyOsbourne und Prinz Charles mit demselbenWerbespot über identische Kanäle anzu-sprechen – die meisten Mediaplaner undWerbetreibende wären sofort skeptisch.Warum ist das so? Wird die Zielgruppe sodefiniert, dass der Spot Männer ab 60 Jahre,

mit großer Kaufkraft oder hohem Einkom-men und Familie ansprechen soll, landenCharles und Ozzy in einer Zielgruppe.Schaut man sich hingegen ihre Werteorien-tierung, ihren Lifestyle und ihre ästheti-schen Präferenzen an, ist klar: Selbst wenn esum das gleiche Produkt geht, müssen beideunterschiedlich angesprochen werden. Dasist die Philosophie, mit der Sinus seit über 30Jahren arbeitet: Zielgruppen rein soziode-mographisch zu definieren, stößt schnell anseine Grenzen. Dies gilt vor allem bei derEntwicklung von Kommunikationsstrate-gien sowie Werbemaßnahmen und ist daherein wichtiger Faktor bei der Messung derWerbewirkung.

Für unterschiedliche Marketingziele undKommunikationsstrategien haben sich dieSinus-Milieus vor allem in Deutschland alseine breit genutzte Währung für Werbetrei-bende und Mediaplaner etabliert: Durch dieVerfügbarkeit in unterschiedlichen Markt-

Gezielte Werbewirkung durch SINUS-MILIEUS mit einer Kombination aus qualitativem und quantitativem Zielgruppenverständnis

elbst bei neueren Marketing-und Werbeformen, wie So-cial-Media- oder Content-Marketing, gilt: Gefälligkeit

und Branding sind Kategorien, die überErfolg oder Misserfolg von Maßnahmenentscheiden. Durch die Verknüpfung mitden Sinus-Milieus können Zielgruppen-effekte deutlich gemacht werden. FraukeStockmann und Manfred Tautscher vomSinus-Institut stellen den Sinus:Total-Scorevor, mit dem schnell und effizient Wegeaufgezeigt werden können, um das Poten-zial optimal auszuschöpfen.

SFrauke Stockmann, Diplom-Soziolo-gin, ist als Studienleiterin der Marke-tingforschung beim Sinus-Institut tätig.

[email protected]

Manfred Tautscher ist Gründer undGesellschafter der Integral Markt- undMeinungsforschung GmbH in Wien.Seit 2009 ist er Gesellschafter undGeschäftsführer von Sinus.

[email protected]

FOT

O: JE

NS N

IER

ING

/ PIC

TU

RE

AL

LIA

NC

E; M

ON

TAG

E: P

LA

NU

NG

&A

NA

LYSE

Haben verschiedeneWerte: Ozzy Osbourneund Prinz Charles

Wenn Ozzy und Charles

denselben Spot sehen

DieAutoren

Page 3: Wenn Ozzy und Charles denselben Spot sehen

3 planung&analyse 4/2016planung&analyse 4/201644

wissen&forschung thema

Media-Studien lassen sich Informationenüber das Mediennutzungsverhalten der Mi-lieus gewinnen. Speziell zur Fernsehnut-zung gibt es eindeutige Insights: WelchesMilieu schaut wann auf welchem Senderwelche Programme? Jedoch ist der bestplat-zierte Spot verschenktes Mediabudget,wenn er die Zielgruppe emotional, ästhe-tisch und inhaltlich nicht erreicht. Das heißt,die Sinus-Milieus können nicht nur heran-gezogen werden, um Antworten auf das„Wann“ und „Wo“ zu geben, sondern vielwichtiger: Auch auf das inhaltliche und äs-thetische „Was“, „Wie“ und „Warum“. Wieschauen unterschiedliche Zielgruppen fern?Wie rezipieren sie Werbung? Warum gefälltder einen Gruppe eine bestimmte Werbungund den anderen nicht? Es ergibt sich somitein integrativer Prozess, der nicht erst bei derMediaplanung einsetzt, sondern auch beivorgelagerten Prozessschritten, von Werbe-entwicklung bis -qualifizierung, um ganz-heitliches Marketing erfolgreich planen,entwickeln und umsetzen zu können.

Quantitative Ergebnisse mitqualitativen Insights

Das Prinzip unserer Werbewirkungsfor-schung verknüpft zwei Ansätze: Zum einenErkenntnisse aus langjähriger Expertise undqualitativen Milieustudien hinsichtlich Äs-thetik, Lifestyle, Wording in unterschiedli-chen Branchenbereichen. Zum anderen einstandardisiertes Tool mit klassischen Bench-marks. Dadurch ist es möglich, einen Blicküber die reinen Zahlen hinaus zu werfenund zu verstehen, warum eine Werbungbesonders gut oder schlecht bei der Ziel-gruppe ankommt.

Das quantitative Tool, welches wir für dieWerbewirkungsforschung entwickelt ha-ben, macht es möglich, mit wenigen Fragenin rund sieben Minuten Stärken und Schwä-chen von Werbemitteln mit Zahlen zu bele-gen und ihren Werbe-Impact für das bewor-bene Produkt oder die Marke nach Ziel-gruppen zu ermitteln. Dieses Tool lässt sichauf unterschiedliche Werbemittel, alsoFernsehen, Plakat oder Zeitungen und Zeit-schriften, sowie im Post- als auch im Pre-Testing gleichermaßen anwenden. Nebengängigen Dimensionen der Werbefor-schung ist es in Zeiten von Video-on-De-mand (Netflix, Amazon Prime), YouTube,Mediatheken, Livestream-Angeboten rele-vant zu erfassen, welche Zielgruppen über-haupt noch Werbung im Fernsehen rezipie-ren oder wer hauptsächlich online zu errei-chen ist. Geht es um das Post-Testing einesSpots, ist im Sinne einer Erfolgsmessung desWerbedrucks und des Recalls wichtig zu er-fahren, welche Reichweiten der Spot hat:

Haben die Rezipienten den Spot einmaloder mehrere Male gesehen? Der Contenteines Werbemittels ist vom Macher so kon-zipiert, dass er verschiedene Eigenschaftenüber die Marke beziehungsweise das bewor-bene Produkt transportiert. Im Testing gehtes darum zu ermitteln, ob die erwünschtenEigenschaften beim Befragten ankommenoder unerwünschte vermieden werden.Diese und ähnliche Fragen sind relevant,fließen allerdings nicht in unseren finalenSinus:Total-Score ein, der einzelne Werbe-mittel mit der Benchmark vergleicht. Hier-bei geht es um die relevanten und gängigenDimensionen zur Werbewirkung, die sichim Zweifelsfall nicht oder nur sehr schwerdurch einen hohen Werbedruck kompen-sieren lassen.

Die Dimensionen desSinus:Total-Score

Das Instrument ist so konzipiert, dass dieeinzelnen Dimensionen – Branding, Liking,Word-of-Mouth, Image und Message – hie-rarchisch, das heißt entsprechend ihrer Be-deutung gewichtet, in den Score einfließen.Die zwei wichtigsten Dimensionen stellenzum einen das Branding, zum anderen dieGefälligkeit, das Liking, dar: Nur wenn demRezipienten gefällt, was er sieht, behält er esauch im Gedächtnis. Erst dann können alleanderen Faktoren ihre Wirkung entfalten.Mit dem Branding steht und fällt der Wer-beerfolg aus Sicht des werbenden Unter-nehmens. Wenn die Marke des Absendersnicht eindeutig ersichtlich ist, wirbt auch derbeste Spot im Worst Case für die gesamteProduktkategorie und nicht für die eigeneMarke. Eine andere wichtige Dimension imZusammenhang mit der Marke ist die desImages. Ein Spot hat im besten Fall einenpositiven Einfluss auf die Meinung zu einerMarke. Neben diesen Dimensionen geht esim Sinus:Total-Score weiterhin um die Vira-

litätskraft. Das heißt, wie hoch ist die Wahr-scheinlichkeit, mit der die Befragten selbstzu Werbeträgern werden, zum Word-of-Mouth beitragen? In Zeiten, in denen Wer-bung nicht mehr am dafür vorgesehenenOrt und Zeitpunkt konsumiert wird, son-dern oft nicht-linear, kann der richtige Wer-beinhalt ungeahnte Dynamiken abseits derklassischen Kanäle entwickeln, wobei dieRezipienten selbst Treiber dieser Dynami-ken darstellen. Last but not least geht esneben der allgemeinen Gefälligkeit ganzkonkret um die Message des Spots und ihreRelevanz für die Befragten.

Der Sinus:Total-Score besteht somit ausfünf gewichteten Dimensionen, die für je-den Spot addiert und mit der Benchmark,also dem Mittelwert aller von uns getestetenAnzeigen, Plakate oder Spots verglichenwerden – entweder über alle Produktkate-gorien oder innerhalb einer Produktkatego-rie. Dieser Score hat nun zwei Funktionen:Zum einen kann er in direkte Relation zumpotenziellen wirtschaftlichen Erfolg einerKampagne gesetzt werden. Erreicht ein Spotbeispielsweise einen Wert von 70, so lässtsich bei einem eingesetzten Media-Budgetvon einer Million Euro nur einen Return-on-Investment von 700.000 Euro erzielen.

Umgekehrt gilt: Ein Wert von 150 erzieltbei gleichem Media-Budget einen ROI von1,5 Millionen Euro. Dieser Spot ist demnachum 50 Prozent besser als der Durchschnitt.Zum anderen lassen sich die Stärken undSchwächen eines Spots durch die modulareund hierarchische Zusammensetzung desScores ermitteln. Der Gesamtscore kannwieder in seine „Einzelteile“ zerlegt werdenund es können Ansatzpunkte identifiziertwerden, um mit wenig Aufwand den Ge-samtscore nach oben zu ziehen.

Vor kurzem haben wir bei einem Pre-Testing einen Spot mit mittelmäßigemSinus:Total-Score gefunden. Bei der Detail-analyse der Dimensionen wurde deutlich,dass dies vor allem am Branding lag: Wäh-rend im gesamten Spot eine Stimme ausdem Off zu hören war, wurde der Absenderdes Spots am Ende lediglich eingeblendet.Mit kleinen Änderungen konnte dieseSchwäche des Spots behoben werden.

Die Wichtigkeit von Benchmarks– auch innerhalb der Zielgruppe

Werbewirkungsforschung lebt von Bench-marks. Seien sie bevölkerungs-, zielgrup-pen-, kategorie- oder kanalbezogen: OhneBenchmarks weiß man nicht, ob ein Spotzwar gut, aber im Vergleich schlechter alsandere bewertet wird. Wenn man gleich-zeitig mit bestimmten Zielgruppen arbeitet,lässt sich auch feststellen, welche Spots bei

Treiber für Werbewirkung

Quelle: Sinus

Dimensionen des Sinus: Total-Score

planung&analyse 4/2016

Liking

Branding

Message

Image transfer

WOM / Viralität Total Score

SINU

S-MIL

IEU

S® SIN

D E

IN E

ING

ET

RA

GE

NE

S WA

RE

NZ

EIC

HE

N

Page 4: Wenn Ozzy und Charles denselben Spot sehen

4 planung&analyse 4/2016 Sonderdruck

welchen Zielgruppen ankommen bezie-hungsweise bei welcher Zielgruppe ein Spotam besten ankommt. Möchte man eine be-stimmte Zielgruppe von einem Produkt, ei-ner Dienstleistung oder Marke überzeugen,wetteifert man nicht nur mit direkten Kon-kurrenten, sondern einem großen Wettbe-werbsumfeld, das ins Relevant Set dieserZielgruppe gelangen möchte. Deswegengeht es gleichzeitig immer um einen Bezugs-punkt innerhalb einer Zielgruppe, mit demSinus:Total-Score für einzelne Werbemittelverglichen werden.

Auto-Werbespots unter der„Milieubrille“

Im Juli 2014 haben wir dreizehn Auto-Wer-bespots (Produkt- und Image-Spots) getes-tet, die, mit einer Ausnahme, zu diesemZeitpunkt im deutschen Fernsehen liefen.Dank vorverorteter Panellisten im Respon-di-Panel, also Respondenten, von denen unsbereits die Milieukennung bekannt ist,konnten wir die uns interessierenden Mi-lieus schnell und effektiv ansteuern. In die-ser Online-Befragung haben wir insgesamt535 Respondenten im Alter von 16 bis 70Jahren befragt, die vorhaben sich in dennächsten fünf Jahren sicher oder vielleichteinen neuen Pkw anzuschaffen.

Zwei der getesteten Spots haben mit Per-sonen aus der deutschen Fußballszene alsTestimonial gearbeitet und bieten sich daherfür eine exemplarische Analyse an: Audiwarb zu diesem Zeitpunkt mit Pep Guardio-la und Opel mit Jürgen Klopp. Fassen wir dieSpots kurz zusammen: Im Audi-Spot ist derFokus die meiste Zeit auf Pep Guardiola. Er

spricht zu einer nicht zu benennenden Zu-hörerschaft über Erfolg und Visionen. Alsihm in seiner Motivationsrede das Wort„Vorsprung“ fehlt, springt die Zuhörerschaftein – es ist nicht der FC Bayern München,sondern ein Team von Audi. Der Opel-Spotspielt im Borchards, wo diverse Prominentespeisen. Ein Kellner bittet um Aufmerksam-keit und möchte „den“ Opelfahrer um etwasbitten, woraufhin sich mehrere Personen er-heben. Der Kellner grenzt es auf einen Insig-nia in schwarz ein, sodass nur noch JürgenKlopp übrig bleibt und den Opel „umparkt“.

Während Opel mit seinem Spot einenSinus:Total-Score von über 120 erreicht,kommt der Audi-Spot lediglich auf einenWert von 85. Seine größte Schwäche liegtbeim Image, was gerade bei einem Image-Spot fatal ist. Auch auf Milieu-Ebene wirdersichtlich, dass dieser Spot es nicht schafft,die Milieus von sich zu überzeugen. DasEpizentrum von Audi liegt bei den Perfor-mern, Expeditiven und Liberal-Intellektuel-len, für die ein Audi bei Neuanschaffungeines Pkw in Frage käme. Gerade bei diesenMilieus schneidet der Spot besondersschlecht ab. An diesem Punkt kombinierenwir die harten Fakten der Bewertung mit derlangjährigen, qualitativen Milieuexpertise.Im ersten Moment wirkt der Audi-Spot per-fekt auf die Performer zugeschnitten: Diegrundsätzliche Ästhetik stimmt, Pep Guar-diola als Trainer des Rekordmeisters ver-körpert ein Leistungsprinzip, mit dem sichdieses Milieu identifizieren kann und auchBegriffe wie „Erfolg“, „Visionen“ und „Vor-sprung“ treffen das Wording des Milieus.Was ist also schiefgelaufen? In der gewähltenKameraperspektive ist der Rezipient dieses

Spots gezwungenermaßen Teil der gebann-ten Zuhörerschaft, die Pep Guardiolas Moti-vationsrede lauscht und von ihm belehrtwird. Performer, mit ihrem Selbstverständ-nis als Leistungselite, sehen sich selbst aberauf der anderen Seite – neben Pep Guardiolaoder sogar an seiner Stelle, vor allem abermöchten sie nicht belehrt werden. Sie ver-stehen sich selbst als Menschen, die keineMotivationsreden nötig haben, da sie bereitsintrinsisch zu Leistung aus Leidenschaftmotiviert sind und diese selbst an andereweitergeben.

Der Opel-Spot, mit einem Sinus:Total-Score von 122, hingegen hat bei vielenMilieus einen positiven Eindruck hinterlas-sen. Spannend wird es, wenn man sich diePositionierung der Marke anschaut: Opelkäme bei Neuanschaffung vor allem fürdie Milieus der Mitte oder den traditionellenund teilweise auch unteren Rand der Gesell-schaft in Frage. Besonders gut kommt derSpot auch bei den Milieus der Oberschichtbeziehungsweise Leitmilieus an. Das bedeu-tet in der Konsequenz, dass Opel es durchdiesen Spot, vermutlich durch die gesamte„Umparken-im-Kopf“-Kampagne, geschaffthat, die Marke insgesamt nach oben zu zie-hen, bis zu den Milieus, die Vorbild und„aspirational“ für andere sind. Diese beidenBeispiele zeigen zudem beide Seiten der Me-daille bei der Arbeit mit Testimonials: DieMarke Pep Guardiola hat die Marke Audi imgetesteten Spot kannibalisiert. Im Opel-Spot ergänzen sich hingegen der (damalige)Trainer des wiederauferstandenen PhönixBorussia Dortmund mit der wiederaufer-standenen Marke Opel, die beide plötzlichin einem anderen Licht erscheinen.