weniger symptome, bessere fitness

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Sporttherapie bei Schizophrenie Weniger Symptome, bessere Fitness Fragestellung: Verbessert regelmäßiges körperliches Training verglichen mit Beschäſtigungstherapie bei schizophrenen Patien- ten die Symptomatik und körperliche Gesundheit? Hintergrund: Bei vielen Patienten mit Schizophrenie bestehen unzulänglich behandelbare Negativsymptome, depressive Ver- stimmungen und kognitive Defizite, zudem entsteht krankheits- bedingt oder aufgrund der Behandlung mit atypischen Antipsy- chotika oſt ein metabolisches Syndrom mit Gewichtszunahme und die Patienten sind körperlich inaktiver als gesunde Ver- gleichspersonen. Daraus resultieren erhöhte Morbiditäts- und Mortalitätsraten. Ausdauertraining zusätzlich zur antipsycho- tischen Medikation zeigte bei kleinen Stichproben schizophre- ner Patienten positive Effekte auf das Kurzzeitgedächtnis und globale Symptome sowie eine Zunahme des Hippocampus- volumens. Patienten und Methodik: Die randomisierte, kontrol- lierte erapiestudie umfass- te 63 Schizophreniepatienten, die stabil mit Antipsychotika eingestellt waren. Die Sport- gruppe (n = 31) absolvierte zweimal wöchentlich ein ein- stündiges kardiovaskuläres sowie Muskeltraining, die Kontroll- gruppe eine Beschäſtigungstherapie. Die Interventionen erfolg- ten über sechs Monate. Primärer Endpunkt bezüglich der Sym- ptomatik war der PANSS-Gesamtscore. Sekundäre Endpunkte waren die Scores der Montgomery Asberg Depressionsrating Skala (MADRS) sowie die Camberwell Assessment of Need (CAN) Skala, die klinische und soziale Bedürfnisse misst. Pri- märer Endpunkt bezüglich körperlicher Gesundheit war die kar- diorespiratorische Fitness; sekundäre Endpunkte waren BMI, prozentualer Körperfettanteil und metabolisches Syndrom. Ergebnisse: Die Sporttherapie reduzierte nach Per-Protokoll- Analyse den PANSS-Gesamtscore verglichen mit der Beschäſti- gungstherapie. Dabei verbesserten sich vor allem die Positivsym- ptomatik, Desorganisation, Erregung und emotionale Symptome, während die Negativsymptomatik nur einen Trend aufwies. Auch depressive Symptome und soziale Bedürfnisse verbesserten sich. Die kardiovaskuläre Fitness war in der Sportgruppe besser als in der Gruppe mit Beschäſtigungstherapie. Bezüglich des metabo- lischen Syndroms zeigten sich keine signifikanten Unterschiede. Schlussfolgerungen: Eine bei schizophrenen Patienten zwei- mal wöchentlich durchgeführte Sporttherapie über sechs Mo- nate verbesserte die Symptomatik sowie kardiovaskuläre Fitness und reduzierte insgesamt den Betreuungsbedarf. Scheewe TW, Backx FJG, Takken T et al. Exercise therapy improves mental and physical health in schizophrenia: a ran- domized controlled trial. Acta Psychiatr scand 2013; 127: 464–73 -Kommentar von Andrea Schmitt, München Kostengünstige und nebenwirkungsarme Zusatztherapie Es handelt sich bei dieser Studie um eine der wenigen Untersu- chungen zu körperlichem Training als Add-on-Therapie bei Schizophrenie. Die Studie weist eine große Patientenstichpro- be auf und zeigt die Wirksamkeit einer moderaten Trainings- intensität. Hierbei erfüllt sie jedoch nicht die Kriterien der Ame- rican College of Sports Medicine, die eine Übungsdauer von 150 Minuten pro Woche und eine Übungshäufigkeit von drei- bis fünfmal pro Woche zur Erzielung von körperlicher Fitness emp- fiehlt [1]. Auch ist in der Studie die Art des angewendeten kar- diovaskulären Trainings nicht genau beschrieben. So ist es zum Beispiel aus sportmedizinischer Sicht empfehlenswert, dem Training eine kurze Aufwärmphase voranzustellen und die indi- viduelle Leistungsgrenze im Trainingsverlauf zu adaptieren. Dennoch zeigt die vorliegende Studie Effekte auf die Sympto- matik der Schizophrenie, wenngleich auch keine Verbesserun- gen des metabolischen Syndroms erzielt wurden. In der Zusam- menschau mit der Literatur und der bislang vorliegenden Erkenntnisse bezüglich der Verbesserung von Kognition, Hippo- campusvolumen und neuronaler Funktion [2] ergibt sich die Notwendigkeit weiterer Studien, die ein ausreichend konzipier- tes Ausdauertraining über eine längere Zeitdauer anwenden und sowohl das Ausmaß der Symptomatik, kognitive Verbesse- rungen als auch zugrunde liegende Veränderungen der neuro- nalen Plastizität untersuchen. Tierexperimentell wurden durch Ausdauertraining positive Effekte auch in vorgeschädigten Ge- hirnregionen gezeigt [3]. Dies könnte zukünftig zu neuen Emp- fehlungen bezüglich kardiovaskulärem Ausdauertraining als kostengünstige und nebenwirkungsarme Zusatztherapie bei schweren psychiatrischen Erkrankungen führen. Referenzen 1. Garber CE et al. Med Sci Sports Exerc 2011; 43: 1334–59 2. Pajonk FG et al. Arch Gen Psychiatry 2010; 67: 133– 43 3. Pereira AC et al. PNAS 2007; 104: 5638 – 43 journal club 10 In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2013; 15 (11) Prof. Dr. med. Andrea Schmitt, München Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Ludwig-Maximilians-Universität München E-Mail: [email protected] muenchen.de

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Page 1: Weniger Symptome, bessere Fitness

Sporttherapie bei Schizophrenie

Weniger Symptome, bessere FitnessFragestellung: Verbessert regelmäßiges körperliches Training verglichen mit Beschä�igungstherapie bei schizophrenen Patien-ten die Symptomatik und körperliche Gesundheit?

Hintergrund: Bei vielen Patienten mit Schizophrenie bestehen unzulänglich behandelbare Negativsymptome, depressive Ver-stimmungen und kognitive De�zite, zudem entsteht krankheits-bedingt oder aufgrund der Behandlung mit atypischen Antipsy-chotika o� ein metabolisches Syndrom mit Gewichtszunahme und die Patienten sind körperlich inaktiver als gesunde Ver-gleichspersonen. Daraus resultieren erhöhte Morbiditäts- und Mortalitätsraten. Ausdauertraining zusätzlich zur antipsycho-tischen Medikation zeigte bei kleinen Stichproben schizophre-ner Patienten positive E�ekte auf das Kurzzeitgedächtnis und globale Symptome sowie eine Zunahme des Hippocampus- volumens.

Patienten und Methodik: Die randomisierte, kontrol-lierte �erapiestudie umfass-te 63 Schizophreniepatienten, die stabil mit Antipsychotika eingestellt waren. Die Sport-gruppe (n = 31) absolvierte zweimal wöchentlich ein ein-

stündiges kardiovaskuläres sowie Muskeltraining, die Kontroll-gruppe eine Beschä�igungstherapie. Die Interventionen erfolg-ten über sechs Monate. Primärer Endpunkt bezüglich der Sym-ptomatik war der PANSS-Gesamtscore. Sekundäre Endpunkte waren die Scores der Montgomery Asberg Depressionsrating Skala (MADRS) sowie die Camberwell Assessment of Need (CAN) Skala, die klinische und soziale Bedürfnisse misst. Pri-märer Endpunkt bezüglich körperlicher Gesundheit war die kar-diorespiratorische Fitness; sekundäre Endpunkte waren BMI, prozentualer Körperfettanteil und metabolisches Syndrom.

Ergebnisse: Die Sporttherapie reduzierte nach Per-Protokoll-Analyse den PANSS-Gesamtscore verglichen mit der Beschä�i-gungstherapie. Dabei verbesserten sich vor allem die Positivsym-ptomatik, Desorganisation, Erregung und emotionale Symptome, während die Negativsymptomatik nur einen Trend aufwies. Auch depressive Symptome und soziale Bedürfnisse verbesserten sich. Die kardiovaskuläre Fitness war in der Sportgruppe besser als in der Gruppe mit Beschä�igungstherapie. Bezüglich des metabo-lischen Syndroms zeigten sich keine signi�kanten Unterschiede.

Schlussfolgerungen: Eine bei schizophrenen Patienten zwei-mal wöchentlich durchgeführte Sporttherapie über sechs Mo-nate verbesserte die Symptomatik sowie kardiovaskuläre Fitness und reduzierte insgesamt den Betreuungsbedarf.

Scheewe TW, Backx FJG, Takken T et al. Exercise therapy improves mental and physical health in schizophrenia: a ran-domized controlled trial. Acta Psychiatr scand 2013; 127: 464–73

−Kommentar von Andrea Schmitt, München

Kostengünstige und nebenwirkungsarme ZusatztherapieEs handelt sich bei dieser Studie um eine der wenigen Untersu-chungen zu körperlichem Training als Add-on-Therapie bei Schizo phrenie. Die Studie weist eine große Patientenstichpro-be auf und zeigt die Wirksamkeit einer moderaten Trainings-intensität. Hierbei erfüllt sie jedoch nicht die Kriterien der Ame-rican College of Sports Medicine, die eine Übungsdauer von 150 Minuten pro Woche und eine Übungshäu�gkeit von drei- bis fünfmal pro Woche zur Erzielung von körperlicher Fitness emp-�ehlt [1]. Auch ist in der Studie die Art des angewendeten kar-diovaskulären Trainings nicht genau beschrieben. So ist es zum Beispiel aus sportmedizinischer Sicht empfehlenswert, dem Training eine kurze Aufwärmphase voranzustellen und die indi-viduelle Leistungsgrenze im Trainingsverlauf zu adaptieren. Dennoch zeigt die vorliegende Studie E�ekte auf die Sympto-matik der Schizophrenie, wenngleich auch keine Verbesserun-gen des metabolischen Syndroms erzielt wurden. In der Zusam-menschau mit der Literatur und der bislang vorliegenden Erkenntnisse bezüglich der Verbesserung von Kognition, Hippo-campusvolumen und neuronaler Funktion [2] ergibt sich die Notwendigkeit weiterer Studien, die ein ausreichend konzipier-tes Ausdauertraining über eine längere Zeitdauer anwenden und sowohl das Ausmaß der Symptomatik, kognitive Verbesse-rungen als auch zugrunde liegende Veränderungen der neuro-

nalen Plastizität untersuchen. Tierexperimentell wurden durch Ausdauertraining positive E�ekte auch in vorgeschädigten Ge-hirnregionen gezeigt [3]. Dies könnte zukünftig zu neuen Emp-fehlungen bezüglich kardiovaskulärem Ausdauertraining als kostengünstige und nebenwirkungsarme Zusatztherapie bei schweren psychiatrischen Erkrankungen führen.

Referenzen1. Garber CE et al. Med Sci Sports Exerc 2011; 43: 1334 – 592. Pajonk FG et al. Arch Gen Psychiatry 2010; 67: 133 – 433. Pereira AC et al. PNAS 2007; 104: 5638 – 43

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10 In|Fo|Neurologie & Psychiatrie 2013; 15 (11)

Prof. Dr. med. Andrea Schmitt, München

Klinik für Psychiatrie und PsychotherapieLudwig-Maximilians-Universität MünchenE-Mail: [email protected]