weitere beiträge zur frage der kopfentwicklung bei urodelen

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(Aus dem Anatomischen Institut der Universiti~t Ztirich.) WEITERE BEITRJiGE ZUR FRAGE DER KOPFENTWICKLUNG BEI URODELEN. ]I. MITTEILUNG: ERZEUGUNG VON MIKI~OKEPHALIE DURCtt EIN- WIR.KUNG VON LITHIUMCHLORID AUF DIE GASTRULA VON TRITON ALPESTt~IS 1. Von GIAN T6NDV~Y. MSt 16 Textabbildungen. (Eingegangen am 3. Januar 1938.) Inhalt. Seite I. Einleitung ............................ 510 II. Materi~l und Methode ....................... 512 IIt. Experim6nteller Tell ....................... 512 IV. Diskussion ............................ 526 V. Zusammenfassung ......................... 538 Literaturverzeichnis .......................... 539 I. Einleitung. In einer vorausgegangenen Publikation (T6N~uRY 1937) haben wir fiber Experimente berichtet, die die Beantwortung der Frage nach der Art der Kopfbildung anstrebten. Zu diesem Zwecke wurde ganz im Beginn der Gastrulation das Material des Urmundgrfibchens, d.h. das presumptive Kopfdarmmaterial, operativ entfernt. Durch diesen Eingriff konnten Defekte im Kopfdarmdaeh erzeugt werden, in deren Gefolge KopfmiBbildungen verschiedenen Grades entstanden. Die Untersuchung solcher Keime zeigte, dab auger einer starken Ver- minderung des unterlagernden mesodermalen Materials mehr oder weniger weitgehende St6rungen in der Ausbildung des Kopfdarmes bestanden. Aus diesem Grunde lag es nahe, anzunehmen, dab die Ent- stehung von Mikrokephalie auf die GastrulationsstSrungen und die damit verbundene mangelhafte Unterlagerung des Ektoderms mit Kopfentomesoderm zurtiekzufiihren sei. Ffir die Normalentwieklung des Kopfes ergibt sieh daraus der Sehlug, dab ffir die Entstehung yon Gehirn und Sinnesorganen eine vollst~ndige entomesodermale Unter- l~gerung vorhanden sein muB, deren Derivate riehtig verteilt die In- duktoren ffir die Ektodermorgane liefern. Die oben besehriebene Defektoperation hat uns gezeigt, dab zwi- sehen dem pr/~sumptiven Gehirn- und dem unterlagernden pr~ehordalen und ehordalen Material enge entwieklungsphysiologisehe Korrelationen 1 Ausgeftihrt mit Unterstfitzung der Jubils der Universit~t Zfirich.

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Page 1: Weitere Beiträge zur Frage der Kopfentwicklung bei Urodelen

(Aus dem Anatomischen Institut der Universiti~t Ztirich.)

W E I T E R E BEITRJ iGE ZUR F R A G E D E R K O P F E N T W I C K L U N G B E I URODELEN.

]I. MITTEILUNG: ERZEUGUNG VON MIKI~OKEPHALIE DURCtt EIN- WIR.KUNG VON LITHIUMCHLORID AUF DIE GASTRULA VON TRITON

ALPESTt~IS 1.

Von GIAN T6NDV~Y.

MSt 16 Textabbildungen.

(Eingegangen am 3. Januar 1938.)

Inhalt. Seite I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510

II. Materi~l und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 IIt . Experim6nteller Tell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 IV. Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539

I. Einleitung. In einer vorausgegangenen Publikation (T6N~uRY 1937) haben

wir fiber Experimente berichtet, die die Beantwortung der Frage nach der Art der Kopfbildung anstrebten. Zu diesem Zwecke wurde ganz im Beginn der Gastrulation das Material des Urmundgrfibchens, d .h . das presumptive Kopfdarmmaterial , operativ entfernt. Durch diesen Eingriff konnten Defekte im Kopfdarmdaeh erzeugt werden, in deren Gefolge KopfmiBbildungen verschiedenen Grades entstanden. Die Untersuchung solcher Keime zeigte, dab auger einer starken Ver- minderung des unterlagernden mesodermalen Materials mehr oder weniger weitgehende St6rungen in der Ausbildung des Kopfdarmes bestanden. Aus diesem Grunde lag es nahe, anzunehmen, dab die Ent- stehung von Mikrokephalie auf die GastrulationsstSrungen und die damit verbundene mangelhafte Unterlagerung des Ektoderms mit Kopfentomesoderm zurtiekzufiihren sei. Ffir die Normalentwieklung des Kopfes ergibt sieh daraus der Sehlug, dab ffir die Entstehung yon Gehirn und Sinnesorganen eine vollst~ndige entomesodermale Unter- l~gerung vorhanden sein muB, deren Derivate riehtig verteilt die In- duktoren ffir die Ektodermorgane liefern.

Die oben besehriebene Defektoperation hat uns gezeigt, dab zwi- sehen dem pr/~sumptiven Gehirn- und dem unterlagernden pr~ehordalen und ehordalen Material enge entwieklungsphysiologisehe Korrelationen

1 Ausgeftihrt mit Unterstfitzung der Jubils der Universit~t Zfirich.

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Weitere Bcitr/tge zur J?r~g'e der Kopfenl~wicklung bei Urodelcm I I. 511

bestehen, in dem Sinne, dab <tas Kopfdarmdachmaterial aueh in der nor- malen Entwicklung die I~olle eines Kopforganisators spielt und als solcher die volle Verantwortung trSogt fiir die Bildung eines normalen Kopfes mit Gehirn und Sinnesorganen.

LEI~MANZ~ hat nun in versehiedenen Publikationen gezeigt, da6 sieh mit operativen Methoden wohl solehe Abh/~ngigkeiten korrelativer Art naehweisen lassen, dab aber Natur und materielle Bedingungen der Formbildungsfaktoren damit nieht erfagt werden k6nnen. Aus diesem Grunde versuehte er, dutch ehemische Mittel Wirkungen zu erzielen, die einen tieferen Einbliek in das Wesen der Formbildungsprozesse er- lauben. I m Lithiumehlorid fand er ein solehes, welches - - in einem be- st immten Stadium der Entwieklung angewendet - - spezifisehe selektive Wirkungen auf das Organisatormaterial ausiibt. Bei der Behandlung junger Gastrulae mit versehieden stark konzentrierten LSsungen yon LiC1 (1:200--1:600) konnte er beobaehten, dag die Entwieklung der Keime vor und naeh der Neurulation in abnorme Bahnen geleitet wird. Der mediane Bereieh des Urdarmdaehes, der normalerweise pr/~ehordale Platte und Chorda bildet, zeigte eine deutlieh abnorme Differenzierung, ohne dab die Dynamik der Gastrulation wesentlieh betroffen war. Da, wo das unterlagernde Urdarmdaeh abnorm war, zeigte aueh die Neural- plat te Entwieklungsst6rungen, die ganz ~hnlieh den operativ bedingten MiBbildungen waren.

Diese Beobaehtungen LEHMAN~ns haben mieh dazu geftihrt, zu unter- suehen, ob dutch Lithiumwirkung aueh Mikrokephalie erzeugt werden kann. Sollte es mSglieh sein, /~hnliche Mii3bildungen am Kopfe hervor- zubringen, wie dureh operative Eingriffe, dann w/~re gewissermaBen der Sehlul3ring in der Beweiskette - - Abh~ngigkeit der Entwieklung yon Gehirn mit Sinnesorganen yon der Menge und der Besehaffenheit der entomesodermalen Unterlagerung - - gefunden. Es liegen bereits Ergebnisse vor, die diese Annahme zum mindesten wahrseheinlieh machen. So konnten Cyelopie und Otokephalie naeh Lithiumbehandlung beobaehtet werden (LEHMAZ~ und AD~LZ~AI~N), entweder als selbst/~ndige oder als kombinierte EntwieklungsstSrungen. Entwieklungsst6rungen im Sinne yon Mikrokephalie mit hoehgradigen Defekten sind abet meines Wissens noeh nieht beobaehtet worden.

Es ist also der Zweek der vorliegenden Arbeit zu untersuehen, ob es gelingt, dureh Lithiumwirkung Mikrokephalie zu erzeugen. Die Unter- suehung derartiger Keime auf dem Sehnitt wird uns aui3erdem tiber die Ausfallserscheinungen im Kopfdarm und Kopfdarmdaeh orientieren und uns die endgiiltige Antwort auf die Frage geben: ist die Bildung eines normalen Kopfes mit Gehirn und Sinnesorganen einzig und allein abh/~ngig yon der Besehaffenheit und der Menge des unterlagernden Kopfmesoderms oder entwiekelt sieh derselbe in Abhs yon der

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512 Gian TSndury:

Ausbildung eines normalen Kopfdarmes ? Oder wirken beide, Unter- lagerung und Kopfdarm gemeinsam als Organisatoren des Kopfes ?

Die chemische Methode hat gegeniiber der operativen den Vorteil, dab der Keim im Dotterh~utchen belassen werden kann und dadurch geringeren Sch~digungen yon aul~en ausgesetzt ist. Die Aussicht, die Keime mSglichst lange am Leben zu erhalten, ist somit gfinstiger.

II. Material und Methode. Als Untersuchungsmaterial wiihlten wir die bei uns leicht zug~nglichen Triton

alpestris-Keime. Gleichzeitig war es wesentlich, das gleiche Versuchsobjekt zu be- nfitzen wie bei unseren friiheren operativen Eingriffen, da nur so wirkliche Parallelen zu den operativ erzeugten Mil]bildungen gezogen werden kSnnen.

Die Keime wurden nach den Angaben yon LI~ttMANN (1937) behandelt, und zwar kamen LiCl-LSsungen zur Anwendung in den Konzentrationen yon 1:200 und 1:400. Diese erwiesen sich als am besten geeignet Itir unsere Zwecke. Die ]~eime wurden je nach der Konzentration 6--24 Stunden im LiC1 belassen und dann in die yon L E ~ A ~ (1937) angegebene Zuchtfliissigkeit iibertragen.

Die Entwicklung der Keime wurde genau protokolliert und teilweise auch photographiert. Fixation in Bouin, Einbettung fiber Methylbenzoatcelloidin in Paraffin. Stfick~rbung in Boraxkarmin, Nachfarbung mit Pikroblauschwarz.

Es wurden im ganzen 80 Keime in der angegebenen Weise behandelt, 45 konnten in verschiedenen Stadien fixiert und mikroskopisch untersucht werden. Von den fibrigen 30 Keimen wurden nur die Beobachtungsprotokolle als Erg~nzung berfick- sichtigt (vgl. Tabelle 1, S. 528).

III. Experimenteller Teil. Die Keime, die im ersten Beginne der Gastrulation in der angegebenen

Weise behandelt wurden, verhielten sich zuerst alle gleich, indem in 100% der Fs die begonnene Gastrulation zu Ende gefiihrt wurde. Erst im darauffolgenden Stadium der Neurulation maehten sich Unterschiede geltend, die wohl auf den verschiedenen Grad der eingetretenen Organi- satorver~nderungen zuriiekgefiihrt werden miissen. Naeh dem End- ergebnis kSnnen wir unsere Beobachtungen folgenderma[3en zusammen- fassen: Bei einem kleinen Teil (13) der Keime entwicke]te sieh eine ganz normale Kopfanlage, was wohl darauf beruht, da~ der Kopforganisator in allen seinen Teilen normal geblieben ist. Die weitaus grSBere Zahl der Keime (32) hingegen zeigte Kopfmil~bildungen versehiedenen Grades, die wir in Anlehnung an unsere frtiheren Ausfiihrungen (TS~DuRu 1937) als gering-, mittel- und hochgr~dig bezeiehnen mSchten. Wit werden nun in der Darstellung unserer Untersuehungsergebnisse diesem Ein- teilungsprinzip folgen und zuerst ein Beispiel fiir Keime mit gering- gradigen St6rungen besehreiben.

Triton alpestris (T. a.) L. wurde im Stadium des griibchenfSrmigen Urmundes fiir 24 Stunden in eine LiC1-L5sung 1:400 gebracht und dann

i n die L~MA~Nsche Zuchtfliissigkeit iibertragen. Die Medullarplatten- bildung konnte aus i~ul~eren Griinden nieht beobachtet werden. Es ent- wickelte sich ein Keim, der sich weder spontan noeh auf taktile l~eize hin

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Wei te re Bei t rage zur Frage der K o p f e n t w i c k l u n g bei ,Urodelen. I I . 513

bewegte und infolge starken Hydrops 8 Tage nach Ansetzen des Ver- suches fixiert werden mul]te. Der Kopf ist (Abb. 1), verglichen mit einem gleichaltrigen Kontrollkeim, abnorm klein, zeigt abet die Aus- bildungpaariger, gleieh gro6erAu- gen und Nasengrfibchen. Dicht hinter den beiden Augen finden sieh die Haftfgden, die Kiemen- region ist infolge des bestehen- den Hydrops gebl/~ht. Jederseits sind drei Paar unverzweigte, kurze und dicke Kiemenfgden aus- gebildet. Naeh hinten zu verjfingt Abb. 1. T.a.L. Seitenansicht. Vergr. 14,5facI~. sieh der Keim allmahlieh ~ und zeigt eine etwas eingebogene, ventralwarts gerichtete Schwanzanlage.

F~ir die mikroskopische Untersuehung wurde der Keim in Quer- schnitte zerlegt. Die daraus hergestellte Sagittalrekonstruktion, in welche aueh Augen und HSrblasehen eingetragen sind, gew/ihrt eine klare Obersieht fiber die Be- sonderheiten seines inneren Auf- baues (Abb. 2). Das Gehirn zeigt normale Aufteilung in seine einzelnen Abschnitte, diese selbst sind abet teilweise abnorm ge- staltet. Das Vorderhirn baut sieh aus zwei Hemisph/~ren auf, die ein ganz enges Lumen be- sitzen und kfirzer sind als beim normalen Kontrollkeim. Das Zwischenhirn nahert sich am meisten dem normalen Bau, be- sitzt abet ein sehr enges Ven- trikellumen. Mit dem ~)bergang in das Mesenkephalon beginnen grSf3ere Unregelmaftigkeiten im

~bb. 2. nerselbe Keim. Sagittalrekonstruktion Aufbau des Nervenrohres. Die- des vorderen Keimdrittels. Neuralrohr schraf- s e s nimmt abnorme Gestalt an, fiert, Ghorda dicht punktiert . Augen (unter-

broche~e Konturlinie) und HSrblfischen (dop- i n d e m g a n z p l S t z l i c h d a s V e n - pette Kontur) mi t eingetragen. VdVorderdarm, trikellumen dorsalw~irts ver- schoben erscheint und die Form eines engen queren Spaltes besitzt (Abb. 2). Die Architektur zeigt den von LEHMANN als ,,Basalmassentypus" be- sehriebenen Charakter, d .h . dicke Bodenplatte, diinne Decke und ex- zentrisch liegendes Ventrikellumen. Gleichzei~ig ist die Gesamtmasse des Gehirns reduziert. Dieses Verhalten bleibt erhalten, das Naehhirn

~V. Roux' Archly f. Entwi(.klungslnechallik. Bd. 137. 33

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514 Gian TSndury:

zeigt zw~r beinahe norm~le Ausmal~e, behs aber die abnorme Archi- tektur bei. Die grol~en Sinnesorgane sind normal gebaut und zeigen einen dem Alter des Keimes entsprechenden Entwieklungsgrad.

Die besehriebenen Abweichungen yon der Norm miissen irgendwie in Abh~ngigkeit v o n d e r Unterlagerung stehen, die, wie die Quer- schnittsserie zeigt, tats~chlich ver~ndert ist. Das Mesoderm baut sich im wesentlichen aus Zellen auf, die noch stark dotterhaltig sind und nach ihrer GrSBe und nach dem Verhalten der DotterkSrner in zwei verschiedene Gruppen zerfallen. Die eine, mehr median gelegene besitzt grol3e Zellen mit dunklen, die andere mehr lateralw~rts liegende kleinere mit helleren DotterkSrnern. Auf diese Weise ist also eine Scheidung des medialen yore seitlieh gelegenen Material, yon pr~chordaler Platte und Mesoderm mSglieh. Das pr~chordale Mesoderm bekleidet eng ~uf allen Seiten die kaudale Portion des Hypothalamus und setzt sich nach vorn in Zellen fort, welche die laterale und ventrale Oberfls des Gehirns umgeben. Nur auf wenigen Schnitten kann eine scharfe Trermung zwischen dem lateral-ventralen und mehr medialen, zwischen pr~chordalem und vis- zeralem Mesoderm durchgeffihrt werden. Auf der H6he der Mittel- hirnbeuge finder sich auf ganz kurzer Strecke ein Chordarudiment, (Abb. 2), welches sich naeh 5 Schnitten wieder verliert und yon locker angeordneten, relativ gro~en Zellen abgel6st wird, die die eigentliche Anlage der pr~chordalen Platte darstellen. Nahe dem kaudalen Ende derHSrbl~schen erscheint die Chord~ nochmals, um dann nach 12 Sehnitten endgfiltig zu verschwindem Anlagen des knorpeligen Kopfskelets, wie sie in diesem Zeitpunkt der Entwicklung erwartet werden sollten, fehlen vollkommen. Die pr~chordale Platte zeigt also einen deutlichen Riiek- stand ihrer Entwicklung; ihr Verhalten erinnert an dasjenige jfingerer Entwieklungsstufen, wie es bei jungen Neurulae kurz nach Neuralrohr- schlul~ angetroffen wird (vgl. AD~LMA~ 1932).

Der Vorderdarm ist seiner ganzen L~nge nach normal ausgebildet. Die MundhShle ist ventralw~rts gerichtet, ihr Lumen relativ weit. Sie geht nach hinten in die ebenfalls weite Kicmendarmanlage fiber. Das Viszeralskelet zeigt einen deutlichen Entwicklungsriickstand, ist aber als Anlage mindestens in den kaudaleu Partien nachzuweisen.

Zusammenfassend gewinnen wir folgendea Bild: Nach 24stiindiger LiC1-Behandlung entstand ein Keim, dessen Kopfanlage, verglichen mit gleich alten Kontroltarven, deutlich verkleinert ist, was vor allem auf eine Reduktion der Vorderhirnmasse und der kaudalen Hirnpartien zuriickgeffihrt werden muG. Riechgrube und Bulbus olfactorius sind klein geblieben, die anderen Sinnesorgane zeigen einen dem Alter des Keimes entsprechenden Ausbildungsgrad. Die Unterlagerung ist ganz vorne und auBerdem zwischen Mittel- und Naehhirn abnorm gestaltet. Solche Keime mit nur geringgradigem Massendefekt des Kopfes haben wir im ganzen 5mal angetroffen.

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Weitere Beitr/~ge zur Frage der Kopfentwicklung bei Urodelen. II. 515

Mittelgradige Mikrokephalie. 12 weitere, ~iuBerlich ~hnlich aussehende Keime zeigten auf dem Schnittbild st~rkere Ausfallserscheinungen der Vorderhirnbereiche bis zu ihrem vollst~indigen Fehlen. Es sollen im folgenden zwei typische Fs sol- cher Art beschrieben werden.

T. a. A. Dieser Keim wurde eben- falls im Entwicklungsstadium 9, also bei grfibchenfSrmigem Ur- round, einer LiC1-LSsung 1:400 w~ihrend der I)auer yon 24 Stunden ausgesetzt. Die Gastrulation wurde normal beendet. Im Medullar- plattenstadium zeigten sieh die ersten Folgeerscheinungen der Lithiumwirkung: Die Gehirnplatte war abnorm schmal, die l~ficken- Abb. 3. T.a.A. Ansicht auf die ~entro-l~-

tera le Seite. o unpaares Riechgri ibchen. linie fehlte. Es entwickelte sich Augen ventralwarts einander gen~hert. eine Larve, die zur Zeit der Fixa- tion - - 11 Tage nach Beginn des Versuches - - einen leichten Entwick- lungsrfickstand aufwies. Wie aus der Abb. 3 hervorgeht, ist der Kopf deutlich mikrokephal, nach vorne zugespitzt. Von der Ventralseite her gesehen fehlt j egliehe An- deutung einer Mundspalte, die Nasengrfibchen sind in der Mitre zu einer unpaaren Grube vereinigt, die Augen einander ventral gen~hert; der linke Stfitzer fehlt. Die Kiemenregion ist wieder stark gebl~ht, es bestehen jederseits drei Kiemen- paare, die beginnende Ver- s zeigen. Extremi- t~tenknospen fehlen, der ms aufgetriebeneLeib geht in eine normale, s tark nach vorne eingekrfimmte Schwanzanlage fiber.

Die mikroskopische Un- tersuchung zeigt, dab die

i:

Abb. 4. Derselbe Ke im. Schni t t du rch die vo rde re IZ:opfregion. o Riechgri ibchen, verschmolzene

Ofactor iusanlage. t Telenkephalon.

typischen StSrungen vor ~llem nach vorn yore Nachhirn zu linden sind. Das Vorderhirn ist rudiment~r und besteht aus zwei seitlichen Anteilen, die je ein spaltfSrmiges Lumen enthalten, das in den gemeinsamen drit ten Ven- trikel einmfindet. Die mittlere Part ie - - das Telenkephalon medium - -

33*

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516 Gian T6ndury:

fehlt. An dessen Stelle drs sich zwischen Gehirn und Epidermis die Nasenanlage ein, we]che aus der Versehmelzung der beiden Bulbi olfactorii entstanden und aus diesem Grunde relativ grol] ist (Abb. 4). Auf kaudal- w~rts gelegenen Schnitten zeigt es sich, dal~ auch das Dienkephalon v o n d e r Mil]bildung mitbetroffen ist. Es baut sich aus abnorm dicken seitlichen Ws auf, die zwischen sich wieder ein ganz enges Lumen einfassen. Die beiden Augenanlagen sind gegen die ventrale Mitte einander gens bleiben aber durch lockeres Bindegewebe voneinander getrennt. Jederseits findet sich eine Anlage des Nervus opticus, welche aber in der Mitre miteinander verschmelzen, so dal~ hirnw~rts nur ein unpaarer Nerv besteht. Das Mesenkephalon ist ebenfalls noch reduziert; die Masse des Neuralrohres nimmt yon da an zu, seine Architektur bleibt aber abnorm und zeigt den schon erw~thnten Basalmassentypus. Das Nachhirn wird yon normalen HSrbls flankiert.

Entsprechend dem hSheren Mil]bildungsgrad des Gehirns finden sich auch st~rkere Abweichungen im Charakter der Unterlagerung. Diese ist bis auf Mitte H5rbls gestSrt. Von bier aus l~l]t sich eine Strecke weir kaudalw~rts eine Chorda verfolgen. Kranialw~rts be- steht das Gebiet des pr~chordalen Mesoderms aus einer mehr oder weniger einheitlichen Zellmasse, die sich nach vorn auflSst und die Derivate des Zentralnervensystems gleichm~l]ig einhtillt. Ihre bilaterale Differen- zierung ist deutlich gestSrt.

Der Vorderdarm beginnt als schmale Spalte erst auf HShe der HSr- bl~schen. Die Kiemengegend ist infolge des Hydrops abnorm, das Viszeralskelet ganz mangelhaft entwickelt.

Zusammenfassung. T . a . A . geh5rt zu einer Keimgruppe, deren auff~lligste Merkmale das stark reduzierte Telenkephalon, die mSg- licherweise damit zusammenhs unpaare Anlage des Bulbus olfac- torius und die ventrale Anni~herung der beiden Augenanlagen sind. Das pr~chordale Mesoderm zeigt ebenfalls einen hSheren StSrungsgrad. die MundhShle Iehlt.

Wenn wir die 12 Keime dieser Gruppe miteinander vergleichen, dann linden wir graduelle Unterschiede, die alle drei oben genannten Organanlagen betreffen. Der Ausfall am Telenkephalon war verschieden hochgradig. I m extremsten Fall, wie bei T. a. A., fehlte das Telenke- phalon medium vollst~ndig, bei anderen Keimen war eine mehr oder weniger grol]e Anlage desselben vorhanden. Hand in Hand mit diesem Verhalten des Vorderhirns ging der Entwicklungsmodus des Bulbus olfaetorius. Fehlte das Telenkephalon medium wie bei T. a. A., dann neigten die Bulbi olfactorii zu unpaarer Entwicklung. War es nur schwach ausgebildet, dann war das obere Ende dos Bulbus in zwei An- lagen gesondert. Mit der besseren Entwicklung desselben ging auch eine bessere Ausbildung der Bulbi einher, so dal3 im besten Fall nur die Riechgrtibchen unpaarig waren. Es scheint also hier ein Zusammen-

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Weitere Beitr/s zur Frage der Kopfentwicklung bei Urodelen. II. 517

hang zu bestehen zwisehen dem Ausbildungsgrad des Telenkephalon und demjenigen der Bulbi olfactorii, in dem Sinne, dal3 das Telenke- .phalon medium als rein mechanische Hemmung gegen die Vereinigung derselben wirken kSnnte (vgl. unten).

Auch die Augenanlagen verhielten sich bei den einzelnen Keimen verschieden, indem Ann/~herung an die ventrale Mittellinie und Aus- bildungsgrad derselben variierten. Bei den einen Keimen waren die Augen zu klein und wenig differenziert, w/~hrend der Ausbildungsgrad bei anderen der Norm entspraeh wie bei T. a .A. Das Entstehen yon Cyelopie konnten wir niemals beobaehten. Hingegen zeigten die beiden Augenanlagen versehiedene Grade der ventralen Anngherung ~neinander bis fast zur Ausbildung eines Synophthalmus. Es liel3 sieh abet kein Zusammenhang feststellen zwischen Ausbildungsweise der Augen und dem Ausbildungsgrad des Telenkephalon. Das kann am klarsten durch das folgende Objekt d~rgetan werden, bei welehem trotz vollst~ndigen Fehlens des Telenkephalon die Augenanlagen ihre normale Lagebeziehung zum Zwischenhirn aufwiesen.

T. a. Y. wurde 9 Stunden lung in einer LiC1-L6sung 1 : 200 gehalten. Es entwiekelte sich ein Keim, der nach vorne zugespitzt endigte und alle Zeichen einer hochgradigen StSrung der Kopfentwicklung aufwies. An der Kopfanlage konnten makroskopisch keine Einzelheiten - - weder Augenanlagen noch Riechgriibchen festgestellt werden. K~udalw/~rts folgte die Kiemenregion, welche drei eben siehtbare ~ul3ere Kiemen- stummeln aufwies. Der Keim wurde 6 Tage naeh Beginn des Ver- suches fixiert.

Die mikroskopisehe Untersuchung ergab einige tiberraschencle Befunde. Die vordersten Kopfabschnitte bestehen aus einem ganz rudimentgren,

�9 ]umenlosen Gehirnabschnitt, welcher naeh hinten bald an Masse zunimmt und you Zellen unterlagert wird, die eine einsehichtige dtinne Lamelle bilden. Abb. 5 stellt einen solchen Schnitt dar: Rechts neben dem ganz undifferenzierten Neuralrohr findet sieh ein erster Anschnitt durch eine Augenan]age; ventralw/~rts folgt eine kompakte Zellmasse, die aus dotterhaltigen, polygonalen Entodermzellen besteht und yon nieht weiter analysierbaren dotter/irmeren Zellen ektodermalen Charakters durchsetzt ist. Auf einem weiter kaudalw/s gelegenen Schnitt (Abb. 6) sind reehts und links yon der nunmehr vergrSl~erten Gehirnanlage beide Augen zu sehen. Sie sind in ein seh6nes Pigment- und in ein mehrschiehtiges Retinaepithel gegliedert, w/~hrend die Linsenbl/s sich eben yon der dartiber liegenden Epidermis abgeschniirt haben. Diese Lage- beziehungen lassela mit Sicherheit erkennen, dal3 es sich bei diesem rud~- ment/~ren Gehirnabschnitt um Dienkephalon handelt, das rostralw/~rts in das ganz rudiment~r gebliebene Vorderhirnbl/isehen tibergeht. In dieser Gegend ist die mesodermale Unterlagerung etwas straffer und bildet einen Strang, welcher zwischen Gehirn und Darmentoderm eingeschoben

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518 Gian TSndury:

ist, lateralw~rts locker wird und die Augenbecher allseitig umhfillt. In den nachhirnwi~rts gelegenen Schnitten gndert das Neuralrohr seine bis dahin normale Architektur und nimmt den oben schon mehrfach beschriebenen Basalmassentypus an, was wohl wieder mit der Xnderung des Charakters der Unterlagerung zusammenh~ngt, die nunmehr aus wenigen, locker beisammenliegenden, ganz uncharakteristischen Zellen besteht. Die HSrb]i~schen sind anni~hernd normal gebaut und nur wenig ventralwgrts verschoben. Die Darmanlage fehlt bis auf Nach- hirnhShe und beginnt hier mit kleinem, nach und naeh sich

Abb. 5. Abb. 6. Abb. 5. T. a. Y. Schni t t durch die v0rde r s t en t~opfpart ien. N rudimenti i res Gehirn, A ~ An- schni t t des r ech ten Anges. V ven t ra l e r Ke imbere ich bes tehend aus grol3en do t te rha l t igen

Entodermzel len , die yon solchen ek todermalen Charak te r s durchse tz t sind.

.kbb. 6. Derselbe Xeim. Schni t t auf AugenhShe (Au), D Dienkephalon, links in Verb indung m i t dem Augenbecherst ie] ; m mesode rma le r Zellstrang,

aufweitendem Lumen. In den rostral gelegenen Schnitten zeigen das dorsale und ventrale Entoderm eine eigentiimliche wallartige Anhiiufung, die vielleieht mit nicht durehgefiihrten Gestaltungsbewegungen und dem- entsprechend falscher Verwendung des hier ]iegenden Entodermmaterials erkls werden kann.

Es entwickelte sich also in diesem Fall nach 9stiindiger LiC1-Ein- wirkung ein Keim, bei welchem eine Mikrokephalie hSheren Grades schon makroskopiseh naehgewiesen werden konnte. Die genaue mikro- skopische Durehuntersuchung zeigt den beinahe vollst~ndigen Weg- fall der rostralen Gehirnpartien, d.h. das Telenkephalon ist ganz rudi- mentor geblieben, die Anlage der beiden Bulbi olfactorii fehlt. Das Gehirn beginnt mit Zwischenhirncharakter und wird yon zwei normal entwiekelten Augenbechern flankiert. Unterlagerung und Vorder- darm zeigen entsprechende StSrungen.

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Weitere Beitrage zur Frage der Kopfentwicklung bei Urodelen. II. 519

Diese F/~lle leiten zu denjenigen Keimen fiber, bei welchen der Reihe nach Augen, Dienkephalon und schlief31ich auch Mesenkephalon weg- gefallen sind und die dadureh unseren operativ gewonnenen Mikro- kephalien h6chsten Grades sehr/~hnlieh sehen.

T. a. 56 stammt aus der g]eichen Versuchsserie wie der vorher- gehende Keim, wurde aber nur 6 Stunden lang der LiC1-Wirkung (1:200) ausgesetzt. Es entwickelte sich eine Neurula mit fehlender Riiekenrinne und abnorm schmaler Medullarplatte mit kaum erhabenen Wiilsten. Es kam aber trotzdem zum normalen MedullarrohrschluB, und es bildete sieh eine Larve, die absolut unbeweglich war und folgende Einzelheiten aufwies (Abb. 7): Der ganze KSrper ist entsprechend der Zwangslage in den Eihiillen gekriimmt. Es besteht eine normale Schwanzanlage mit gut entwickeltem Flossensaum. Die vorderen Extre- mit~ten gabeln sich in zwei Zehen- strahlen. Die Kiemenregion erscheint, verglichen mit dem rostralen Ende des Keimes, abnorm breit. Die ~tul3eren Kiemen sind verzweigt. Die Kopfanlage ist ganz rudiment~Lr und besteht aus einem biirzelartigen Ge- bilde, welches nur wenig die Kiemen- gegend fiberragt und leicht ventral- w~rts gerichtet ist. Irgendwelehe An- =~bb. 7. T . a . 56. K rudiment~ires KSpfchen .

B i ldung n u t eines H a f t f a d e n s . lagen yon Sinnesorganen sind nicht Vergr. 14,5fach. zu sehen.

T. a. 56 wurde 11 Tage nach Beginn des Versuches fixiert und in eine Quersehnittserie zerlegt. Die Schnitte durch die bfirzelartige Kopfanlage zeigen, dab die vorderen Gehirnpartien zwar entwickelt, aber ganz rudiment~Lr sind, ws die vorderen Sinnesorgane, Nasen- und Augenanlagen vollsts fehlen.

Wenn wir zuns das Verhalten des Gehirns in den einzelnen Abschnitten des rudiments Kopfes verfolgen, dann kSnnen wir folgendes feststellen: rostral bestehen zwei Bl~Lschen, die iibereinander gelagert sind (Abb. 8). Ventral ]iegt das eine ls auf dem Quer- schnitt ovale Gebilde yon dicker Wandung mit zentralem Lumen. Dorsal davon, durch einen queren Spalt mehr oder weniger scharf ge- trennt, finder sich das zweite Bls das diinnwandig ist und einen weiten t tohlraum in sich schliel~t. Die genaue Verfolgung dieser beiden Bl~schen zeigt, da6 sieh das kleinere ventrale kaudalw~rts verliert, ohne dal~ eine deutliche Vereinigung der beiden stattgefunden h~tte, ws das dorsale allm~hlieh in einen ganz kompakt gebauten Gehirnabschnitt iibergeht (Abb. 9), welcher ganz unregelm~ftige Gestalt hat. Vor dieser ~bergangsstelle erscheint dorsal die Anlage der Epiphyse. HSrbls

Page 11: Weitere Beiträge zur Frage der Kopfentwicklung bei Urodelen

520 Gian T6ndury :

w/~rts (Abb. 10) nimmt das Kaliber des Neuralrohres nach und nach zu, seine Architektur bleibt aber abnorm. Um die einzelnen Abschnitte identi- fizieren zu kSnnen, haben wir yon T. a. 56 eine sagittale Rekonstruktion hergestellt, aus welcher hervorgeht, da.t~ es sich bei den beschriebenen

Abb. 8. Abb. 8. Derselbe Keim. Schni t t du t ch die vorde r s t e Kopfregion. t Vorderhi rm~tdiment ,

D Dienkephalon. Abb. 9 Derselbe Keim. Schni t t durch die Gegend des Mesenkephalon (M).

B1/~schen um die ganz rudiment~ren Anlagen des Vorder-, Zwischen- und Mittelhirns handeln muf3. Das rostralste kompakte B1/s stellt

die Anlage des Telenkephalon dar, w~hrend das diinnwandige als Dienkephalon angesprochen werden mu$. Diesem sitzt dorsalw~rts die Anlage der Epiphyse auf. Es geht kaudal- wi~rts in das Mesenkephalon fiber, welches auch ganz aty- pisch gebaut ist. Das Nach- hirn (Abb. 11) nimmt allmi~h- lich normale Dimensionen an, zeigt aber wiederum in seiner Architektur den Basalmassen- typus und wird auf beiden Seiten ventral yon den HSr- bl/~schen unterlagert. Diese stehen abet weir auseinander,

Abb. 10. Derselbe Keim. Schni t t au f t IShe des Haf t fadens . Gehirn rudiment•r, lumenlos, dar- getrennt durch groBe Ganglien- un te r grolle do t te rha l t ige Zellen (m), x unpaa re anlagen und Mesenchym und

in Mesenehym e ingebet te te 2VIuskelanlage. zeigen, verglichen mit einem

normalen Kontrollkeim, eine dem Alter entsprechende Ausbildung, d .h . verdickte ventro-mediane Wandpartie und beginnende Trennung der verschiedenen Bezirke des Labyrinthes.

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Weitere Beitrgge zur Frage der Kopfcntwickhmg bet Urodeh,n. If. 521

Wie zu erwarten, ist auch die Unt, erlagerung in weitgehendem Malte abnorm gestMtet. Das ganze Gehirn ist in eine Iockere Masse yon Mesen- ehymzellen eingehiillt, die aber an keiner Stelle straffer angeordnet sind. Naehhirnw/irts (Abb. 10) treten unter dem NeurMrohr einzelne, zum Tail abnorm grot~e Zellen auf, die dicht mit grof~en DotterkSrnern gefiillt sind, w/*hrend ventral in einem Mesenchymlager quergestreifte Mus- kulatur (Abb. 10) und bald darauf Knorpelanlagen festgestellt werden

Abb. 11. Derselbe I~eim. Schni~t d u r c h die HSrb l~schenreg ion (Hb). Diese l iegvn v e n t r a l u n t e r dem N a c h h i r n : Otokepha l ie . N a e h h i r n (Rh): Massen reduk t ion , B a s a l m a s s e n t y p u s .

d Da rmspMte , VVisze ra l ske l e t an lagen .

kSnnen. Die Muskelanlage ist unpaar, verls quer durch die Mitre. Wie das ganze prs Mesoderm zeigen also auch die Muskel- und Knorpel- anlagen ein g~nzliches Fehlen einer bilateralen Differenzierung, Auf

HSrbl/~schenhShe haben sich die Zellen, die direkt ventral unter dem NeurMrohr liegen, ausgerichtet und bilden so eine dfinne zweischichtige Lage, die naeh und nach diehter und in RiickenmarkshShe yon den ventral vereinigten Ursegmenten abgelSst wird. Auch hier fehlen jegliche An- lagen mesodermMer Skeletteile, w~thrend das ViszerMskelet teilweise wenigstens angelegt ist. Die Chorda ist aueh in den hinteren Keim- abschnitten nicht vorhanden.

Der Kopfdarm fehlt auch bei diesem Keime ganz (Abb. 8--10). Auf H6he des Nachhirnes erseheint, in einem Mesenchymlager eingebettet,

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522 Gian TSndury:

eine kompakte, zun/ichst ganz schmale, nach hinten breitere Entoderm- masse, welche auf Kiemenh6he ein spaltf6rmiges Lumen erh/ilt (Abb. 11). Die Kiemendarmanlage, die yon teilweise rudimenti~ren Kiemenbogen- abschnitten umgeben ist, nimmt kaudalw/irts normale Dimensionen an.

Zusammenfassung. T .a . 56 zeigt eine Mikrokephalieform, die dureh das Fehlen der vorderen Sinnesorgane und die ganz rudiment/~re An- lage der rostralen t t irnpartien charakterisiert wird. Das Nachhirn ist ebenfalls in seiner Masse reduziert und abnorm gestaltet, die It6r- bli~schen liegen ventral unter dem Neuralrohr. Die Chorda fehlt, das pr/ichordale Mesoderm ist ganz atypisch angeordnet; es zeigt vollst/indiges Fehlen einer bilateralen Differenzierung. Wir haben hier also nicht eine isolierte St6rung n u r d e r vorderen Abschnitte des Kopforganisators,

sondern eine allgemeine des ganzen Organisatorberei- ches. Der Kopfdarm fehlt auch bei diesem Keim. ])er Darm beginnt erst auf Kie- menh6he mit spaltf6rmigem Lumen. ])as Viszeralskelet ist rudiment/ir, erst die hin- teren Kiemenb6gen zeigen ann/~hernd normale Ver- h/~ltnisse.

Abb. 12. T.a.B., Vergw. 14,5fach. W/~hrend bei T. a. 56 noeh Rudimente yon Vorder-,

Zwischen- und Mittelhirn bestehen, sollen nun zum Schlug noch 3 Keime beschrieben werden, bei welchen die rostralen Hirnabschnitte ganz fehlen und schlieglich auch das Nachhirn in st/~rkstem Mage mitbetroffen ist.

T. a. B. wurde im Entwicklungsstadium 10 in eine LiC1-LSsung 1:200 gebracht und nach 6 Stunden Einwirkungszeit in die Zucht- fliissigkeit iibertragen. Die Gastrulation wurde normal zu Ende ge- fiihrt, and es entwickelte sich wiederum eine junge Neurula mit auf- fallend schmalen und niedrigen Medullarwfilsten. Es kam zum normalen MedullarrohrschluB, der Keim entwickelte sich in normalem Tempo welter und konnte 12 Tage nach der LiC1-Behandlung lebensfriseh fixiert werden. Der Keim, der vor der Fixation nut auf taktile Reize hin mit leichten Zuckungen des Schwanzes reagierte, zeigte folgendes Aussehen (Abb. 12): Der Kopf ist, vergliehen mit einem glelch alten Kontrollkeim stark verkfirzt, nach vorne zugespitzt, und zeigt makro- skopisch weder Augen- noch Nasenanlagen. ttaftf/~den Iehlen. An diesen ganz rudiment~ren Kopf schliegt sich die Kiemenregion an, die drei /~uBere Kiemenpaare aufweist, welche sich zu verzweigen beginnen. Nach hinten folgen normale Extremit/~tenanlagen und ein leieht ge- krfimmter Riicken, der in den gut entwickelten Schwanz ausl/~uft.

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Weitere Beitri~ge zur Frage der Kopfentwicklung bci Urodelen. 1[. 523

Die mikroskopische Untersuchung auf dem Sehnitt best/itigt zu- n~chst das makroskopische Aussehen der vorderen Kopfregion: Weder Nase noeh Augen sind zur Entwicklung gekommen. Die ganze vordere Kopfpartie baut sieh aus einem nach vorne koniseh zugespitzten Hirn- rudiment auf, welches allseitig von groften dotterhaltigen Zellen umgeben ist und keinerlei Lumenbildungen zeigt (vgl. T .a . 56). Die dariiber- liegende Epidermis ist im Vergleieh mit dem KontrollfM1 auf das Doppelte verdickt. Schon auf dem 21. Schnitt t r i t t ventral unter dem ~euralrohr und seiner kompakten Unterlagerung ein H6rbl~sehen auf, welches ein weites Lumen besitzt und einen laterMen Teil, der stark in die L~nge gestreekt erseheint. Unter dem HSrbl~sehen im Mesenehym eingebettet, findet Sieh quergestreifte Muskulatur, welche, wie die sp~teren Schnitte zeigen, Ansatz an eine Knorpelspange gewinnt. Auch bei diesem Keim fehlt in den rostralen Bezirken jegliche Andeutung einer bilateralen Differenzierung des pr~ehordalen Mesoderms. Das reehte HSrbl~tsehen liegt etwas weiter kaudMw~rts (Sehnittfolge ?)~ aueh ventral unter dem Neuralrohr, durch wenig dotterhaltige Zellen vom linksseitigen getrennt. Das Neuralrohr zeigt basal beginnende Faserdifferenzierung, besteht im fibrigen auch auf dieser H6he aus einer kompakten lumenlosen Masse. Die Unterlagerung besteht bis hinter der HSrbl~schenregion aus wenigen, locker zusammenliegenden Zellen, die in ihrem Inneren groBe Dotter- k6rner aufweisen, yon da an nach hinten bis in die Sehwanzregion aus den vereinigten Ursegmenten. Wir k6nnen also feststellen, daft sowohl die aus der pr~ehordalen Platte hervorgehende Basalplatte der Sch/~del- basis Ms auch die ganzen kraniMen Teile der Chorda, welche die kaudalen Hirnpartien unterlagern, fehlen. Aueh das ViszerMskelet ist stark reduziert. Der Mandibularbogen fehlt vollst~ndig, der Hyoidbogen ist angelegt, aber rudiment~r. Erst die dahinter folgenden Kiemenb6gen nehmen nach und naeh normMes KMiber an. Sehlieftlieh bleibt noch das Verhalten des Darmes. Die vorderen Teile fehlen, erst auf HSr- bl~schenh6he tr i t t im Mesenchymlager Entoderm auf, welches dann auf KiemenhShe ein spaltf6rmiges Lumen aufweist, das nach hinten zu weiter wird.

Zusammenfassend k5nnen wir also feststellen, daft durch das LiCI der Kopforganisator in seiner ganzen Ausdehnung ver~tndert worden ist. Es fehlen die Abk6mmlinge der pr~chordalen Platte und die kranialen Teile der Chorda vollst~ndig. Die Folgen blieben nieht aus: Ganz rudi- ment~re Gehirnanlage mit sehr starkem Massendefekt und abnormer Architektur der ~%rvensubstanz. Otokephalie. Die vorderen Teile des Kopfdarmes fehlen. Ein Darmlumen tr i t t erst auf Kiemenh6he auf.

T. a. G. Bei diesem Keime, weleher im Stadium 9 in eine LiCI- L6sung 1 : 200 for die Dauer von 7 Stunden gebraeht wurde, ist die Reduk- tion des Kopfes noeh hochgradiger als bei T. a.B. Der Keim zeigte schon im Medullarplattenstadium deutliche StSrungen in der Entwicklung

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524 Gian T6ndury:

der Gehirnplatte, welche abnorm kurz und schmal war, wahrend die Riiekenmarksanlage normal erschien. Eine Riickenlinie, die auf die Ausbildung einer Chorda sehlieBen liel~, war bei diesem Keim ganz klar ausgebildet. Im Verlaufe der Weiterentwicklung stellte sich, wie das

bei Keimen mit lYIikroke- phalie haufig der Fall ist, starker Hydrops ein, wel- eher aber die Weiterent- wicklung nicht starker beeinfluBte, so dab T. a. G. 11 Tage nach Beginn des Versuches in lebensfri- schem Zustand fixiert wer-

Abb. 13. T . a . G . , Vergr. l~,5fach. den konnte. XuBerlich sah

er folgendermaBen aus (Abb. 13) : Die Kopfanlage ist wiederum ganz kurz und in alleIl Dimensionen stark reduziert. Sie weist sehon makroskopiseh einen hSheren MiBbildungsgrad auf, als die bisher beschriebenen. An den kleinen Kopf schlieBt sieh sofort die Kiemenregion an, welche

jederseits 3 Paar Kiemenfaden zeigt. Hinter denselben folgen 2 normal aus- sehende Extremitatenknospen. Die hin- teren KSrperabschnitte sind normal, der Sehwanz ist lang und diinn ausgezogen, der Flossensaum ist ausgebildet. Der Keim bewegt sich spontan und auf taktile Reize, was ebenfalls darauf hinweist, dab die Rumpfgebiete normal sein miissen.

Fiir die mikroskopische Untersuchung wurde der Keim in Quersehnitte zerlegt. Die Kopfanlage besteht tatsaehlich nur aus einem rudimentaren Naehhirn, wel-

Abb. 14. Derselbe Keim. Schni t t ches nach vorne koniseh-zugespitzt endigt durch die vo rde ren Teile des tt:opfes. (Abb. 14) und auch im iibrigen ganz ab- Rudimen ta re s Nacbh i rn (Rh), m Un- terlagerung, bestehendauseinerkom- norm gestaltet ist. Es baut sich aus einer pak ten Masse yon do t te rha l t igen dieken ventrikellosen Nervenmasse auf,

runden Zellen. in welcher ventral in Form eines Keiles

die erste Faserdifferenzierung nachzuweisen ist. Die Unterlagerung besteht in diesem ganzen Absehnitt aus einer ziemlich kompakten Masse yon Zellen, die starken Dottergehalt aufweisen. In HSrblaschen- h5he n immt das Naehhirn an Masse zu, seine Architektur bleibt abet abnorm. Die darunter liegenden Zellen haben sich aufgeloekert, zeigen aber keinerlei spezifische Differenzierungen. Die HSrblaschen selbst liegen ventral. Es besteht also aueh in diesem Falle Otokephalie. In der Unterlagerung findet sich eine zunaehst ganz schmale, dann breitere

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Weitere Beitr/~ge zur Frage der Kopfentwicklung bei Urodelen. II. 525

lumenlose Entodermmasse. Auf HSrbls linden sieh die ersten Anschnitte durch die Kiemen, die, verglichen mit einem normalen Keim, einen deutlichen Entwicklungsriickstand aufweisen. In diesem Bereich enth~lt auch die Entodermmasse ein eigenes Lumen, welches sich rasch erweitert. Es handelt sich also hier um Kiemendarm, welcher kranialw/~rts blind endigt. Das Neuralrohr, das nun normale Dimensionen angenommen hat, wird yon den vereinigten Ursegmenten unterlagert. G]eich hinter der Kiemenregion s sich dann der Charakter von Neuralrohr und Unterlagerung, indem eine Chorda auftritt , die yon da bis an das Schwanzende verfolgt werden kann. Die hinteren ~umpfabschni t te sind normal gebaut.

Wir haben also hier einen Keim vor uns, beiwelchem der Kopforganisator allein durch das LiC1 in seiner Wirksamkeit ver~ndert wurde, w~hrend der Rumpforganisator und da- durch aueh dieDifferenzierung des Urdarmdaches in diesem Bereiche normal sind. Die Kopfanlage ist ganz rudimen- t~r, sie besteht nur aus Naeh- h im und HSrbl~schen, die in- folge der allgemeinen Klein- heir des Kopfes ventral liegen. Die Rumpfabschnit te des Keimes sind vonder Stelle an, an welcher eine Chorda all~- Abb. 15. T. a. I~. Ans ich t yon oben. Vergr . l~,,Sfach.

getreten ist, normal gebaut. T. a. K. s tammt aus der gleichen Versuchsserie wie T. a. G., wurde

also ebenfalls im Stadium 9 7 Stunden lang der LiCl-Wirkung (1:200) ausgesetzt und 11 Tage spg, ter fixiert. Wenn schon der vorhergehende Keim eine sehr starke Reduktion des Kopfes aufwies, so linden wir bei T . a . K . eine noch hochgradigere StSrung, die auch die Kiemen- region des Keimes betrifft. Das Kopfrudiment endigt nach vorne mit einer ventralw/~rts gerichteten kleinen Spitze (Abb. 15). Es linden sich /~ul~erlich keinerlei Anzeichen fiir die Ausbildung yon vorderen Sinnesorganen. Die StSrung scheint aber nicht auf den Kopf selbst beschr~nkt geblieben zu sein, sondern auch die Kiemenregion erfal]t zu haben, indem sich hier, t rotzdem dem Alter nach schon verzweigte ~ul~ere Kiemen erwartet werden sollten, keinerlei Andeutung yon solchen vorfindet. Der Keim zeigte vor der Fixation weder spontan noch auf Reiz Bewegungem

Die mikroskopische Untersuchung zeigt folgendes: Das Neuralrohr ist in seiner ganzen L~nge mi{~bildet. Das Gehirn selbst besteht nur aus einem ganz rudiment~ren Nachhirn, das eine dicke Basalmasse und ein exzentrisches, quergestelltes Lumen besitzt (Abb. 16). Schon auf dem

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526 Gian TSndury:

7. Schnitt von vorne gerechnet erscheinen die HSrbl~sehen, welche in diesem Falle auch ganz klein geblieben sind und ventral unter dem Neuralrohr liegen. Sie beriihren sich in der Mitre, die beiden medialen W~nde sind m[teinander verwaehsen und auf einer Reihe yon Schnitten erSffnen sich die Lumina ineinander (Abb. 16). Wir haben also in diesem Falle einen h5ehsten Grad yon Otokephalie vor uns, mit einer durch die Verschmelzung unpaar gewordenen Labyrinthanlage. Dieser ganze rudiment~re Kopf ist yon einer kompakten Zellmasse, die, wie bei den bereits beschriebenen Keimen, aus groBen dotterhaltigen Zellen besteht, unterlagert. Es ist also aueh in diesem Falle der ganze Kopforganisator

Abb. 16. Derselbe t~eim. S c h n i t t d u r c h die H6rb l~schen reg ion (Hb ). O tokepha l i e m i t V e r s c h m e l z u n g tier beiden Ohrblt~schen u n d K o m m u n i k a t i o n t ier L u m i n a .

S t a r k r eduz ie r t e s l~achh i rn .

schwer vers mit Einschlu] der vor- deren Partien der Chorda. Bei der weiteren Durchmusterung der Sehnitte f~llt auf, dal~ ventral innerhalb dieser Zellmasse eine kom- pakte Entodermlage auftritt, in der erst hinter der HSrbl~sehengegend ein kleines Lumen, das wir wohl als Darmlumen aufzu- fassen haben, erscheint. Wie schon bei der ~u]eren Betraehtung des Keimes aufgefallen war, fehlen sowohl innere wie s Kiemen- anlagen vollst~ndig. Die hinteren Keimab- schnitte sind ebenfalls abnorm, da hier die Chorda fehlt. Das Riiekenmark wird yon den vereinigten Ursegmenten unterlagert. Die Darmverh~ltnisse lassen sieh wegen des bestehenden Hydrops nieht genau iiber- blicken.

Es hat sich also hier nach 7stiindiger Einwirkung einer LiC1.LSsung 1:200 ein Keim entwickelt, weleher am ehesten mit T. a. 380 unserer friiheren Arbeit vergliehen werden kann. Gleiehzeitig zeigt dieser Keim, da] die LiC1-Wirkung bei zwei in der gleichen Sehale gehaltenen und gleieh lang geziichteten Keimen ganz verschiedene Ausfallserscheinungen bewirken kann. In einem Full, T . a . G . , ist nur der Kopforganisator affiziert, im anderen Fall, T. a. K., hingegen erseheint der ganze Organi- satorbereich ver~ndert.

IV. Diskussion. In der bereits erws Publikation ,,fJber experimentell erzeugte

Mikrokephalie bei Urodelen" (T6~Dv~Y 1937) haben wit zeigen kSnnen, da~ nach operativer Entfernung des Urmundgriibchens mit dem daran ansehlie~enden Kopfdarmdachmaterial in 80% der F~lle diese MiB- bildung in verschieden hohem Grade auftrat. Die mikroskopische Untersuehung soleher Keime hatte StSrungen in der Unterlagerung, verbunden mit verschiedenartigen Kopfdarmdefekten, ergeben, was uns

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Weitere Beitr~tge zur Frage der Kopfentwicklung bei Urodelen. II. 527

dazu gefiihrt hat, anzunehmen, da~ fiir die Entwicklung eines normalen Kopfes mit Gehirn und Sinnesorganen eine vollst/~ndige Unterlagerung .mit Ento-mesoderm Vor~ussetzung ist.

L ~ M A ~ (1937) hat andererseits gezeigt, dab auch auf chemischem Wege, insbesondere durch LiC1 StSrungen der Kopfentwicklung bei Amphibienkeimen erzeugt werden k6nnen. So beobachtete er das Ent- stehen yon Cyclopie und Otokephalie im Anschlul~ an die Behandlung solcher Keime mit der genannten L6sung. ADELMANN (1934), der ebenfalls Versuche in dieser Richtung angestellt hat, beschreibt neben ~hnlichen St6rungen Keime mit sts Kopfdefekten, bei welchen teilweise die Augenanl~gen vollsts fehlten. Diese letzteren Befunde haben mich veranla~t, n~her zu prtifen, ob sich durch die Einwirkung yon verschieden konzentrierten LiC1-LSsungen Mikrokephalieformen erzeugen lassen, die mit den bereits publizierten, operativ bedingten, verglichen werden k6nnten.

Wir wissen, besonders aus den Untersuchungen yon LEHMA~r~r, dal~ das LiC1 spezifische, selektive Wirkungen auf die Determinations- prozesse bei der Ausbildung des Urdarmdaches ausiibt. Die grol~en Materialverlagerungsvorg~nge, die w~hrend der Gastrul~tion das aul3en in der Keimoberfl~ohe liegende dorsale Randzonenmaterial in das Keiminnere verlagern, sind nicht gestSrt. Das Gastrulationstempo und der UrmundscbluB sind normal. Versuche mit Vitalf~rbung (Lv.~- MA~N 1937) zeigten, dab das mediale Material der dorsalen Urmundlippe nicht verloren geht, sondern in das Keiminnere aufgenommen wird. Hier zeigen sich aber bei der Sonderung des Urdarmdaches in Chorda und Mesoderm StSrungen. Dem sonst straff geordneten Medianstreif fehlt jegliche Struktur, er besteht aus ganz ungeordneten Zellen. In einem solchen Falle ist dann der ~nschliel~ende Neurulationsvorgang deutlich gestSrt. Die Neuralplatte ist genau wie n~ch operativen Eingriffen schmal und unregelm~I~ig geb~ut. Es handelt sich demnach nicht nur um Strukturvers des Urdarmdaches, sondern auch um eine Herabsetzung seiner Induktionskraft.

Die fiir uns wichtigste Tatsache ist die selektive Einwirkung des LiC1 auf die Differenzierungsleistungen des Org~nisators und die gleich- zeitig damit verbundene Herabsetzung seiner Induktionsf~higkeit, so dab es in einem friihen Gastrulationsstadium mSglich ist, genau begrenzte Vers im Bereiche des Kopforganisators, d.h. des Kopfdarm- daches, zu setzen.

Hier schliel3en sich unsere eigenen Versuche an, die ganz zu Beginn der GasSrulation (Stadium9--10) vorgenommen wurden. Zur An- wendung kamen LiC1-LSsungen yon 1:200 und 1:400. Die allgemeinen Resultate lassen sich tabellarisch folgendermaBen zusammenfassen (Ta- belle 1):

Page 19: Weitere Beiträge zur Frage der Kopfentwicklung bei Urodelen

528 Gian TSndury:

Tabelle 1.

normal

13

tEopf

Mikrokephal ie

ger ing 1 m i t t e l

12

hoch

15

normal

Darm

miBbi lde t

15

Unter lagerung

norma l ges tSr t

13 5

12 15

Fiir diese Zusammenstellung gelten die gleichen Prinzipien, die schon in unserer frfiheren Arbeit wegleitend waren. Unter Keimen mit geringgradiger Mikrokephalie verstehen wir solche, bei welchen der Kopf zwar ann/~hernd proportioniert, im Vergleich mit Kontroll- keimen abet zu kurz geraten ist (Abb. 1). F/~lle yon mittelgradiger Mikrokephalie sind schon /~uiterlich an der st/~rkeren rostralen Yer- jiingung des Kopfes (Abb. 3) und solche mit hochgradigen StSr~ngen an dem vollsti~ndigen Fehlen jeglicher Strukturen in seinem Bereich zu erkennen (Abb. 7, 12, 13, 15).

Der zahlenm/~l~ige Vergleich unserer Versuchsergebnisse ergibt, dab es sich bei den beobachteten Kopfmil~bildungen nicht um zuf/~llige Re- sultate, sondern um ziemlich regul/ir auftretende St5rungen handelt, die in 71% aller F/~lle beobachtet wurden. Dabei zeigte es sich (Tabelle2), dab bei Anwendung stgrkerer Konzentrationen yon LiC1 (1:200) in 21 yon 22, bei schw/~cheren (1:400) nur in 11 yon 23 StSrungen auftraten. Die Triton-Keime wurden in verschiedenen Stadien der LiCI.LSsung ausgesetzt. Auch da zeigt sich ein gewisser Unterschied im Endresultat, indem ganz junge Stadien (Urmund pigmentierte Furche) empfindlicher

zu sein scheinen als etwas

Kopf

Normal . . . Mikrokephalie.

Tabelle 2.

Stad ium Konzen t r a t ion

9 10 1 : 200 1 : 400

13 1 12 -2 23 2 11

mit den letzteren weitgehend iiberein.

i~ltere (Urmund sichelfSrmig). Unsere chemisch bewirk-

ten Mikrokephalien, die schon makroskopisch auffallend

stark an die postoperativen Formen erinnerten, stimmen auch in ihrem inneren Bau

Wie wir post op. hochgradige StSrungen des Kopfes da beobachteten, wo sich stark verminderte oder vSllig fehlende Kopfunterlagerung mit Kopfdarmdefekt kombinierten, so fanden wit auch unter unseren Lithiumkeimen regelm/iI~ig die gleichen Ausfallserscheinungen.

1. Gehirn- und Sinnesorgane.

Wir finden iibereinstimmend mit den oper~tiven Befunden, daB die Mil~bildungen des Gehirns mikrokephaler Keime im allgemeinen auf

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Weitere BeitrKge zur Frage dcr Kopfcntwicklung bci Urodclen. IL 529

H6he des Mittelhirns beginnen und ihren st/trksten Ausbildungsgrad im Bereiche des Vorderhirns erreichen, welches bei geringgradigen St6rungen, verglichen mit gleich alten Kontrollkeimen, verkiirzt und plumper erseheint. Nur bei hSchsten St6rungsgraden ist auch das Nachhirn mitbetroffen. Die Entwicklungsst6rungen sind wie nach den Defektoperationen schon im Medullarplattenstadium festzustellen. Die Gehirnplatte solcher Keime ist schm/~ler, die Medullarwiilste sind niedrig und oft unregelm/~Big, zeigen aber keinen Entwicklungsriickstand. Die Zellen sind h/~ufig regellos angeordnet, die Neuralsubstanz zeigt eine abnorme Architektur. W~Lhrend nun post op. bei geringgradigen Mikro- kephalien im allgemeinen die Quersehnittsregulation nahezu vollkommen ist und nur ein MiBverh/~ltnis zwisehen Kopf und Schwartz besteht in dem Sinne, dab die Achsenorgane trotz normalen Proportionen yon der Stelle des Unterlagerungsdefektes an, an Masse abnehmen, ist das bei den chemisch bewirkten Mikrokephalien nicht durchgehend der Fall. Das mtissen wir wohl damit erkl~ren, dab durch die LiC1-Wirkung der Kopforganisator nieht immer in toto betroffen wird, sondern nur stellen- weise. So finden sieh St6rungen im Bereiche des Tel- und Mesenkephalon, w/~hrend das dazwischen gelegene Dienkephalon ganz normal gebaut sein kann (Abb. 2). Schliel~lich ist an Stellen, wo die Unterlagerung ge- stSrt ist, die Architektur des Neuralrohres abnorm. Dieses zeigt den yon LEmgAN~ beschriebenen ,,Basalmassentypus", d .h . verdickte Boden- platte und exzentrisches Ventrikellumen, welches den rostralen Gehirn- partien iiberhaupt fehlen kann. Das muB als eine allgemeine Erscheinung aufgefaBt werden, die immer dann auftritt, wenn die Differenzierung des Urdarmdaches gestSrt ist. L~HMAN~ nimmt aus diesem Grunde an, dab der Medianstreif desselben sehr wahrscheinlich w/~hrend der Neurulation fiir die Induktion der Architektur des Neuralrohres eine besondere Rolle spielt.

Wenn wir nun die Ausfallserscheinungen, die an den Gehirnanlagen unserer Keime beobaehtet wurden, in ihrer ganzen Mannigfattigkeit iiberblieken, dann finden wir selten Larven mit nur allgemeiner Verkleine- rung des Gehirns bei nahezu vollkommener Querschnittsregulation im Sinne yon T. a. L. (Abb. 1, 2). ~eistens sind die StSrungen weit- gehender, so dab -r162 bei T. a. A. (Abb. 4) Teile des Telenkephalon oder dann wie bei T. a. Y. dieses selbst Iehlen kann (Abb. 5; 6). In solchen F/~llen ist das vorne konisch zugespitzte Gehirn ganz uncharakteristisch gebaut. Die Keime, die schon makroskopisch ausgesprochen mikrokephal aussehen, zeigen der Reihe nach weitere Ausfallserscheinungen. Wir be- obachteten 15 Keime, bei welchen Tel- und Dienkephalon entweder nur in Form zweier kleiner B1/ischen angelegt waren (Abb. 8) oder dann ganz fehlten, so dab das Gehirn mit einem rudiment/~ren Mesenkephalon begann (Abb. 12). In den allerst/~rksten F/~llen konnte schlieBlich aueh dieses fehlen. Es land sieh dann wie bei T. a. K. (Abb. 16) ein ganz

~V. Roux ' Archly f. Entwlek lungsmechanik . Bd. 137. 34

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530 Gian TSndury:

rudiments Nachhirn mit vorne sitzenden H6rbl~schen. Diese Er- seheinungen stimmen wiederum mit unseren operativen Befunden sehr gut iiberein. Wenn wir dort die Abhs der Massenentwicklung des Gehirns von dem Ausbildungsgrad und der Menge der Unterlagerung feststellen konnten, dann gilt das ceteris paribus auch fiir unsere chemiseh bewirkten Mikrokephalien (vgl. unten). In diesen F~tlen kann jegtiche bilaterale Differenzierung des Neuralrohres fehlen. Dieses ist ganz un- regelm~Big gebaut.

Was nun die Sinnesorgane, deren Entwicklung naehgewiesenermaBen yon der normalen Ausbildung des Gehirns abh~ngig ist, betrifft, so kSnnen wir aueh bei unseren Keimen feststellen, dab ihr Differenzierungs- grad mit dem MiBbildungsgrad desselben parallel geht.

Nasengri~bchen und Bulbus o1]actorius sind nur dann normal an- gelegt, wenn auch das Telenkephalon normal gebaut ist (vgl. T . a . L . Abb. 1, 2). Bei MiBbildungen desselben hingegen zeigen auch diese StSrungen, und zwar konnten wir dieselben Beobachtungen machen wie ADELMANN (1934). Die normale Entwicklung der Nasenanlagen seheint zun~chst ganz allgemein abh~ngig zu sein vom Bestand eines Telenkephalon. Fehlt dieses oder ist es ganz rudiment~r geblieben, dann fehlen aueh die Anlagen der Bulbi olfactorii. Ist das Vorder- hirn entwiekelt, besteht es aber infolge Wegfall des sog. Telenkephalon medium nur aus zwei mehr oder weniger gut d~fferenzierten und von- einander getrennten seitliehen Anlagen, dann i s t der Bulbus olfactorius unpaar (Abb. 4). Es seheint also, dal~ dem Telenkephalon medium eine allgemeine Bedeutung zukommt fiir die Ausbildungsweise desselben i n d e m Sinne, dal~ es die Vereinigung der beiden Anlag.en in der Mittel- linie verhindern kann. Diese Annahme wird dureh die Beobaehtungen gestiitzt, die zeigen, dal~ bei seiner rudiments Anlage wenigstens die Enden der beiden Bulbi getrennt sind. ][st dieses noch besser differenziert, dann wird sehlieBlich die ganze Anlage mit Ausnahme der Riechgrfibchen paarig angelegt. KINGSBV~r und ADELMAN~ (1924) zeigten, dal~ ihre Anlagefelder getrennt am vorderen Ende der Medullarplatte liegen und bei Medullarwulstauffaltung und -schluB einander ganz dicht gen~hert werden. Die Bedeutung des Telenkephalon medium mfissen wir uns als rein meehani- sehes ttemmnis gegen die Vereinigung der beiden Anl~gen vorstellen.

Augen. Bei allen Keimen mit hochgradiger Mikrokephalie fehlen nicht nur die Nasen-, sondern auch die Augenanlagen vollkommen. Ist der Defekt geringer, dann treten mit der besseren Ausbildung des Prosenkephalon auch Augenanlagen auf, die ]e nach dem Entwicklungs- grad des Gehirns mehr oder weniger typisch differenziert sind. Unter den 5 Keimen, die nur eine geringgradige Verkleinerung des Kopfes aufweisen, sind die Augen normal differenziert und an typiseher Stelle. Bei weiteren 12 Keimen, die hochgradigere StSrungen zeigen, verhalten sich dieselben verschieden, indem sie bei den einen zu klein und

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Weitere Beitr/tge zur Frage der Kopfentwicklung bei Urodelen. II. 531

wenig differenziert, bei den anderen zwar normal gebaut sind, aber in .ihrer Lagebeziehung zum Gehirn variieren. Es kommen ganz ver- sehiedene Grade yon ventraler Ann/~herung der beiden Augen aneinander vor bis fast zur Ausbildung eines Synophthalmus. Das Entstehen wirklieher Cyelopie konnten wir hingegen niemals beobachten. Die Augen blieben in allen F/~llen entweder durch Mesenchym oder Neural- substanz getrennt. Das mag damit zusammenh/s dal~ wir nur junge Gastrulae bis zum Stadium des sichelfSrmigen Urmundes der LiC1- Wirkung aussetzten (vgl. L~HMAZ~N 1936), Die ventrale Ann/~herung der Augen haben wir immer dann beobachtet, wenn der Hypothalamus in seiner Masse stark reduziert war. Gleichzeitig konnte auch am Teleke- phalon starke Massenreduktion nachgewiesen werden. Eine Abh/~ngigkeit der Augen yon der Yfassen- und Formentwicklung des Vorderhirns oder vom Bestehen eines normalen Vorderdarmes konnte j edoeh nieh~ fest- gestellt werden [vgl. T. a. Y. (Abb. 5, 6), wo trotz starkem Massendefekt des Dienkephalon und fehlendem Telenkephalon die Augen bilateral symmetrisch gebaut waren und an normaler Stelle lagen].

H6rbldischen. Das Rhombenkephalon ist nur in den extremsten F/~llen st/trker miBbildet und in seiner Masse reduziert. In solchen F/~llen (T. a. K. Abb. 16) sind auch die HSrbl~schen abnorm klein und befinden sich ventral unter dem Neuralrohr. Sie sind einander bis zur Beriihrung gen/~hert, so dal~ ihre medialen W~nde teilweise fehlen und ein einheitliches Lumen gebildet ist. Diese extremen F/~lle von Otokephalie zeigen also eine gewisse Korrelation an zwischen der Massenentwicklung des Nach- hirns und derjenigen der HSrbl/~sehen. Bei allen Keimen, die keine so starke Reduktion des Rhombenkephalon aufweisen, bei welchen aber der Kopf im allgemeinen in allen Dimensionen verjfingt und verkfirzt ist, befinden sich die HSrbls ebenfalls ventral unter dem Neuralrohr, bleiben aber durch m/~chtige Ganglienmassen voneinander getrennt (Abb. 11) und zeigen eine der Norm entspreehende Differenzierung. Bei geringgradigen StSrungen endlich, die nur das rostrale Ende des Kopfes betreffen, ist die HSrbl/s normal.

Wenn wir diese Befunde mit den operativen Ergebnissen vergleiehen, dann stetlen wir lest, dab das Bild der O~okephalie bei diesen Keimen nur in ganz vereinze]ten F/~llen beobachtet wurde. Sie trat nur im Zusammen- hang mit einer abnormen Verkleinerung der kaudalen Hirnpars auf, welche selbst aber hSchst selten in so weitgehendem MaBe yon der Mil]- bildung betroffen waren.

Aueh LEHMAN~r beriehtet fiber das Vorkommen yon Otokephalie bei LiCl-behandelten Keimen. Sie trat nach seiner Beschreibung immer dann auf, wenn die hintere Partie des Kopfdarmdaches in hSherem Grade ver~ndert war. So land er sie bei Keimen, die ein normales Vorder- ende hat ten oder in Kombination mit cyclopisehem Defekt. Unter unseren Keimen fanden wir l lmal Otokephalie, wobei diese F/~lle niemals

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rein, sondern immer kombiniert mit StSrungen, meist Fehlen der Augen, vorkamen, w~hrend bei 7 weiteren Keimen die Augen miBbildet waren oder fehlten (3) bei normaler HSrbls Wir haben unsere Keime in friihen Gastrulationsstadien, d. h. bei beginnendem bis siehel- fSrmigem Urmund der LiCl-Wirkung ausgesetzt. L~ttMANN gibt fiir die gleiehen Stadien folgende Zahlen an: 1. Beginnender Urmund: naeh 6stfindiger Behandlung 50% reine Otokephalie, 50% kombiniert mit eyelopisehem Defekt; nach 24stiindiger Behandlung 22,5: 77,5 %. 2. Siehel- fSrmiger Urmund: nach 6stiindiger Behandlung 38,5 % reine Otokephalie, 17% kombiniert, 7,3% rein cyclopische Typen; naeh 24stiindiger Be- handlung beobachtete er in 100% das Vorkommen reiner Cyelopie.

Auf Grund dieser Befunde kommt La~MA~N zur Scheidung .des Kopfdarmdaehes in zwei physiologiseh versehiedenartige organbildende Regionen: 1. Ein vorderer Bezirk, der Vorder- und Zwischenhirn unter- lagert und dessen sensible Phase gegen die Mitre der Gastrulation, 2. ein hinterer Bereich, der das Gehirn vom Mittelhirn bis zur Medulla oblongata unterlagert und dessen kritische Phase zu Beginn der Gastrulation liegt. Diese Seheidung l~13t sich nach RSHLICH (1933) auch morphologiseh durchfiihren. Unsere Befunde best~tigen diese Angaben, trotzdem die Zahlenverhiiltnisse etwas andere sind.

2. Da~'m.

Bei unseren Defektoperationen wurde in den ersten Stadien der Gastrulation das Urmundgriibchen, d.h. die presumptive Kopfdarm- hShle mit den daran anschliel3enden Wandbestandteilen derselben entfernt. Die Folge war, dab in 45,5% der F~lle der Kopfdarm voll- sts in 28,7% teilweise fehlte trotz ~ul3erlich normal abgelaufener Gastrulation. Keime mit geringgradiger Mikrokephalie zeigten im allgemeinen nur StSrungen der vordersten Teile, w~hrend bei solehen mit hoehgradigen Kopfmil3bildungen auch der Kiemendarm betroffen war und oft ganz Iehlte. Bei unseren LiC1-Keimen konnten wir genau dieselbe Feststellung machen. Bei 2 yon 5 Keimen mit geringgradiger Mikrokephalie ist der Kopfdarm normal, bei allen anderen fehlt die MundhShle vollkommen. Der Darm beginnt als sehmale Spalte auf HShe der HSrbl~schen, bei hochgradigeren StSrungen noch weiter kaudalw~rts, so dab dann auch der Kiemendarm betroffen ist und wie bei T. a. K. (Abb. 15) die Bildung ~ul3erer Kiemen unterbleibt. In all diesen F~llen bildet das Entoderm nach vorne vom Urdarmspalt eine kompakte Masse, die zuerst sehmal ist, nach hinten breiter wird und in welcher dann schlieBlich ganz asymmetrisch gelegen ein Urdarmlumen auftritt. Diese Befunde sind um so eigenartiger als die GastrulationvonAnfang an, ~uBerlich betrachtet, stSrungslos vor sich ging und mit regul~rem Urmundschlul3 endigte.

Wie kSnnen wir das Verhalten des Kopfdarmes erkl~ren ? Normaler- weise kSnnen wir feststellen, dal3 das gesamte Material des Urmund-

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Weitere Beitr~tge zur Frage der Kopfentwicklung bei Urodelen. I1. 533

griibchens den engen Urmundspalt passiert, ohne daft seine Zellen ihre Oberfl/iehenbeziehungen verlieren (VOGT). Erst nach einer be- tr/ichtlichen Strecke wird es zur KopfdarmhShle entfaltet und ver- drKngt damit das Blastocoel. Im Anschluft an die Gastrulation, in der Neurutations- und Postneurulationsphase, maeht die Kopfdarmwand besondere Gestaltungsbewegungen durch, die dann das endgfiltige Verhalten desselben verstehen lassen. Die bei unseren Defektkeimen erhaltenen Kopfdarmmiftbildungen kSnnen wir leieht damit erkl/~ren, dab das Entoderm infolge des operativen Eingriffes - - Entfernung der prs KopfdarmhShle - - als kompakte Masse bis unter das sp/itere Gehirn vorgeschoben wurde und daft auch nachtr/tglich keine ttShlenbildung darin auftrat. Die Kopfdarmmiftbildungen unserer LiC1-Keime hingegen sind nicht so leicht verst/indlieh. Sie miissen entweder schon im Gastrulationsstadium oder dann erst w~hrend der darauffolgenden Neurulation und Kopfbildung aufgetreten sein, d.h. enSweder war die normale Aufweitung des Urmundgriibehens zum Kopf- darmlumen gestSrt oder dann waren die darauffolgenden Gestaltungs- bewegungen der Kopfdarmwand abnorm. Ffir die erste Annahme liegen keine Befunde vor. Unsere Beobachtungen in dieser Beziehung werden durch die Befunde yon L]~IMA~N an jungen Iqeurulae erg/inzt. Die Untersuehung derselben auf dem Schnitt ergibt normale Verh~ltnisse. Wir mfissen also annehmen, daft sich die StSrungen, die zu einer Kopf- darmmiftbildung fiihrten, wahrseheinlich erst in der Neurulations- und Postneurulationsperiode auswirkten.

In diesem Zusammenhange miissen wir an einige Tatsachen aus dem normalen Entwicklungsgang des Kopfdarmes erinnern. Die pr/isumptive KopfdarmhShlenwand liegt in der friihen Gastrula dorsal und dorso- lateral, bzw. ventral und ventro-lateral yon der Urmundgrube (VoGT), Die dorsalen, direkt fiber dem Urmundgrfibchen gelegenen I~artien gelangen unter leiehter L/ingsstreekung auf den Boden, w/thrend die welter animalw/~rts liegenden Tefle ~ls pr/ichordale Platte das Daeh des Kopfdarmes bilden. Das ventrale und ventro-laterale Material bildet die kaudalen Teile des Bodens und die Seitenw/inde der Kopf- darmhShle. Die in der Neurulationsphase ablaufenden Bewegungen fiihren im Gebiete der kaudalen Teile der pr/ichordalen Platte durch dorsale Raffung der Seitenw/inde zur Unterlagerung derselben mit Dotterento- derm, w/~hrend in der folgenden Postneurulationsperiode dorsal im Kopf- darm eine L/~ngsstreckung, die ventralw/irts geringer wird, sieh geltend macht. Die Folge dieser ungleichen Streekung dorsaler und ventraler Teile ffihrt zu der typischen Kriimmung des Kopfes. Hand in Hand mit diesen Gestaltungsvorg/~ngen der KopfdarmhShlenwand kSnnen wir die gleiehen Grundbewegungen an der Epidermis verfolgen (RSm~IC~), d. h. die dorsale Mediane des Keimes zeigt st/irkeres L/ingenwachstum, w/ihrend sich die ventrale Keimseite nicht verl/ingert. Die Folge dieses ungleiehen

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Wachstums ist, dab sich die axialen Organe mit ihrem Ende ventral- warts yon dem Stature abheben.

Die Beobachtung unserer LiC1-Keime in den genannten Entwicklungs- phasen zeigt nun, dab die typische Kopfkriimmung bei hSheren Mi$- bildungsgraden ausbleibt oder nut angedeutet ist, so dal~ wit daraus auf eine StSrung des normalerweise dorsal stattf indenden L~ngen- wachstums der kranialen Keimh/~lfte schlieBen rniissen. Das ist auch ohne weiteres verst/~ndlich, wenn wir an die Miflbildungen des Gehirns erinnern, welches regelm~$ig einen Wachstumsriiekstand aufweist, der entweder alle Teile gleiehm/~13ig oder dann wenigstens die vorderen Partien betrifft. Daraus kann mSglicherweise ein Mil3verh/~ltnis gegeniiber den Be- wegungstendenzen der dorsalen Kopfdarmbestandteile entstanden sein, Was sich in einer Stauchung des sich streekenden Materials s mul3. Das stimmt teilweise auch mit unseren Beobachtungen iiberein, bei welchen oft die kompakte Entodermmasse eigenartige •altenbildungen aufweist.

Aus einem solchen MiBverh/~ltnis in den Wachstumstendenzen ver- schiedener Keimteile glauben wir wenigstens fiir die einen Keime die Kopfdarmmigbildungen erkl/~ren zu kSnnen, E.s bedarf aber noch besonderer Untersuchungen mit vitaler Markierung, um diese Annahme objektiv zu beweisen. Das gilt vor allem fiir diejenigen Keime, deren Kopfanlage erst welt hinten mit Entoderm unterlagert ist.

3. Unterlagerung. Wie die tabellarische Zusammenstellung (Tabelle 1) unserer Ver-

suchsergebnisse zeigt, ist die mesodermale Unterlagerung bei allen Keimen, die StSrungen der Kopfentwicklung aufweisen, abnorm ge- staltet, und zwar um so st/~rker, je hSher der Mil3bildungsgrad ist. Es zeigte sich also eine ausgesprochene Korrelation zwischen dem Mil3- bildungsgrad des Kopfdarmdaches und der Ausbildung des Neural- rohres. Um diese Feststellungen richtig bewerten zu kSnnen, gehen wir am besten yon Beobaehtungen aus, die L]m~AN~ an vitalgefiirbten Keimen machen konnten. Dieser setzte, um das Schicksal des dorsalen Urmundlippenmaterials bei LiC1-Keimen verfolgen zu k6nnen, ganz zu Beginn der Gastrulation median in die dorsale Urmundlippe eine blaue Farbmarke und beobachtete ihr weiteres Schicksal wi~hrend der Gastrulation. Im Medullarplattenstadium wurden die Keime unter Erhaltung der Farbmarken fixiert, wobei folgendes festgestellt werden konnte: Die blau gef/~rbten Zellen, die zu Beginn der Gastrulation in d e r dorsalen Urmundlippe lagen, finden sich im Medullarplatten- stadium im Kopfdarmboden und in der Medianzone des Kopfdarm- daches. Das mediane Material ha t sich also v611ig eingefiigt, es ist nicht verloren gegangen. Seine Zellen unterscheiden sich aber von denen eines Normalkeimes. Ich folge aueh hier den Angaben yon L~,H~L~N, die durch eigene Befunde best~tigt werden konnten. Die Zellen des pr~ehordalen

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Weitere Beitrage zur ~rage der Kopfentwicldung bei lgrodelen. II. 535

Kopfdarmdachmaterials reichen normalerweise bis an das Vorderende der Neuralptatte und lassen sich in diesem Stadium in drei verschiedene Bezirke einteilen: Als unmittelbare Fortsetzung der Chorda erscheint ein pr/~chordaler Strang, der aus palisadenf6rmigen, strafi geordneten Zellen besteht und bis unter das Vorderende der Medullaranlage verfolgt werden kann. Zu beiden Seiten dieses Stranges schlieBt sich ein diinnes zweisctiichtiges Mesoderm an, welches seitw/~rts genau der queren Aus- dehnung des Vorderteiles der Gehirnanlage entspricht. Das pr/~chordale Mesoderm zeigt also eine deutliehe bilaterale Differenzierung. Bei den LiC1-Keimen nun, die eine abnorme Medul]arplatte zeigten, fehlt eine besondere mediane Struktur des pr/ichordalen Urdarmdaehes. Das seit- liche Mesoderm ist zwar vorhanden, nicht aber eine Andeutung eines Medianstreifs. Die Zellen liegen hier in uncharakteristischen, loekeren Gruppen beisammen.

Diese Feststellungen sind yon grundlegender Bedeutung fiir die Er- kl/~rung der an unseren mikrokephalen Keimen erhobenen Befunde: Das mediane dorsale Urmundlippenmaterial ist nieht verloren gegangen; es zeigt aber eine abnorme Differenzierung.

Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, wollen wir zun/~chst ganz allgemein feststellen, dab an den Stellen, wo das Gehirn miB- bildet ist, auch die Unterlagerung abnorm ist, und zwar gehen, wie wir schon erw/~hnten, beide MiBbildungen einander parallel. Analog den operativen Befunden ist schon die Medullarplatte in friihen Stadien schmal, die Neuralwiilste unregelm/~Big, wenn der darunter liegende Organisator stark ver/~ndert ist.

Bei geringgradigen Mikrokephalieformen baut sich das Kopfmeso- derm auch in fortgeschrittenen Entwicklungsstadien aus stark dotter- haltigen Zellen auf, die sich in medial und lateral gelegene differenzieren lassen, so dab auf diese Weise die bilateral symmetrische Struktur des Kopfdarmdaches und der Aufbau desselben aus dem pr/~chordalen Strang und seitlichen Mesoderm hervorgeht. In diesem Sinne n/~hert sich seine Struktur normalen Verh~ltnissen. Seine Differenzierung zeigt aber, ver- glichen mit einem normalen Kontrollkeim, einen deutlichen Entwicklungs- riickstand. Anlagen des mesodermalen Kopfskeletes, wie sie zu dieser Zeit erwartet werden sollten (vgl. T. a. L. Abb. 2), tehlen vollkommen.

Bei allen Keimen, die einen st/~rkeren MiBbildungsgrad des Kopfes aufweisen, ist die Entwicklung des Kopfdarmdaches in hohem Grade ge- st6rt. Fiir mittel, und hochgradige Mikrokephalieformen ist gemeinsam die StSrung der bilateralen Differenzierung desselben, d. h. es 1/~Bt sich an keiner Stelle des Keimes eine Unterseheidung treffen zwischen dem medianen und seitlich gelegenen Mesoderm. (~berall ist die Unterlagerung kompakt und zeigt einen auffallend starken Entwicklungsriickstand. Bei Keimen mit St6rungen der Augenentwicklung und bei solchen mit fehlenden Augenanlagen dehnt sich das pr/~chordale Mesoderm als

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kontinuierliehe Masse entlang der Mittellinie aus, ohne genaue Trennungs- mSgliehkeit zwisehen l~esodermpartien, die normalerweise aus der pr~- ehordalen Platte und solchen, die aus dem Ganglienleistenmaterial entstammen, d. h. ohne Grenze zwischen l~Iesentoderm und Mesektoderm. Entspreehend fehlt auch in allen Fallen die Bildung eines typisehen Mandibularbogens. Das Mesoderm erstreekt sich normalerweise ventral bis auf AugenhShe u~d verhindert damit den Kontakt zwischen Hypo- thalamus und Ektoderm. Bei unseren Keimen mit AugenstSrungen endigt es aber kaudal yon den Augenanlagen, was eine Anns des Hypothalamus an das Ektoderm zur Folge hat. Dieses Fehlen der bilateralen Differenzierung des Kopfmesoderms zeigen besonders sehSn diejenigen F~lle, bei welehen die vordersten Muskelanlagen als unpaare Massen mitten dureh den Kopf hindureh laufen.

Im Zusammenhang mit diesen Anomalien der mesodermalen Unter- lagerung stehen wohl auch diejenigen der Kopforgane. Ich erw~hne hier noeh einmal die fehlende Bilateralits des Telenkephalon, die Ano- malien yon Di- und Mesenkephalon, die ventrale Ann~herung der beiden Augen, schlieBlich vielleicht auch StSrungen des Kopfdarmes.

AI)V.L~A~ (1934) hat ~hnliche Mfl]bildungen der mesodermalen Unter- lagerung bei Keimen mit LiCl-bedingter Cyelopie festgestellt. Er sucht die Genese dieses eigentiimlichen Verhaltens schon in friihen Ent- wieklungsstadien. Zu diesem Zweeke bildet er zwei Schnitte ab, aus wel- chen hervorgeht, da]~ das pr~chordale Mesoderm solcher LiC1-Keime tatsi~ehlieh sehon im jungen Neurulastadium die oben besehriebenen typisehen StSrungen aufweist. Sehon im Medullarplattenstadium be- steht das pr~chordale Mesoderm aus einer median gelegenen kompakten ZeUmasse, an der die normalerweise in diesem Stadium bestehende Aufteilung in einen pr~ehordalen Strang und seitliche l~esodermfliigel vollst~ndig fehlt. Dieser StSrung der Unterlagerung in friihen Stadien entspricht dann die Unterdriiekung der normalen Bilateralit~t des Kopfes.

AD~.L~rA~ fiihrt diese StSrungen der bilateralen Differenzierung des pr~chordalen Mesoderms auf das Verhalten desselben zu Beginn der Gastrulation zuriick. Nach dem Anlageschema yon VoG~ ent- stammt das presumptive Material der pr~chordalen Platte der dorsalen Urmundlippe. Es nimmt - - selbst pri~sumptives Mesoderm - - hier ein mittleres Feld ein, das sich seitlich direkt in die lateralen Anlagefelder des Mesoderms fortsetzt, w~hrend die Mesodermfelder in den prospektiv weiter kaudalw~rts gelegenen Regionen durch das presumptive Chorda- material getrennt sind. In dieser Gegend soll somit eine sts Neigung zur Bilateralit~t bestehen als in der pr~chordalen Region. Aul~erdem ist bekannt, dab die dorsale Lippe Sitz besonderer Aktivitat und deswegen besonders empfindlieh auf stSrende Faktoren ist. Hier muB aber darauf hingewiesen werden, dab es in s Weise gelingt, aueh im Gebiete des Rumples die normale Bilateralits zu stSren, was besonders schSn

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Weiterc Beitr~tge zur Frage der Kot)fentwickhmg bei Uro(lelen. I[. 537

a us den Versuchen von LEHMANN hervorgeht, (lie eine Mesodermisierung der Chorda zeigen. Auch in unseren Fgllen war beinahe rege]mgBig mit der StSrung der bilateralen Diffcrenzierung im Bereiche des prg- chordalen Urdarmdaches eine solche im Rumpfbereiche verbunden. Soll also die Genese dieser eigentiimlichen Entwicklungsst6rung auf- geklgrt werden, dann mfissen vor allem junge Stadien noch welter unter- sucht werden, wobei es darauf ankommt, den Wirkungsmechanismus des Lithiumchlorids aufzuklgren.

Wie bereits erwghnt, sind die StSrungen der Differenzierung im prgchordalen Kopfmesoderm verbunden mit solchen der Gehirnentwick- lung, so dab wir daraus auf die Abhgngigkeit der normalen Entwicklung des Neuralrohres, in diesem Falle des Gehirns und der Sinnesorgane, yon den normalen Differenzierungsvorggngen in der Unterlagerung schliel~en mtissen. In diesem Zusammenhang wollen wir aber daran erinnern, d~l~ die Entwicklung eines normMen Kopfes das Produkt der Reaktion zweier Materialien aufeinander ist, ngmlich der Unterlagerung und der Medullarplaftenanlage. Diese beiden kSnnten einzeln oder kombiniert vergndert sein. Es ist an sich mSglich, dab die Medullarplatte so affiziert ist, dab sie nicht imstande ist, auf die Einflfisse, die yon der Unterlagerung ausgehen, zu antworten. In diesem :Falle k6nnten wir erwarten, dab Migbildungen der Medullarplatte auch in Verbindung mit mehr oder weniger normaler Differenzierung der Unterlagerung auftreten. Dagegen muB aber angefiihrt werden, dab die Entwicklung des Nervensystems nur da abnorm verlguft, wo auch die Unterlagerung abnorm ist, dab sie aber in den Regionen normal ist, in denen der Organisator sich ungestSrt entwickelt hat, auch bei starken LiC1-Wirkungen auf den ganzen Keim.

In dieser Hinsicht verhalten sich unsere LiCl-behandelten Keime genau gleich wie die operierten, bei welchen prgsumptives Kopfdarm- daehmaterial und Kopfdarmlumen zu Beginn der Gastrulation entfernt worden sind. Nichts weist auf allgemein bedingte, vom Organisator unabhdngige StSrungen in der Neuralplatte hin.

Die Ergebnisse, die an LiCl-behandelten Keimen gewonnen wurden, bestgtigen also unsere operativen Befunde. Die Anwendung des LiC] ist m6glich, ohne den Keim dureh guftere Eingriffe zu verletzen, wobei das LiC1 selektiv die Differenzierung des Urdarmdaehes im Bereiehe des Vorderdarmes zu gndern vermag. Postoperativ wurden die gleiehen Ausfallserseheinungen herbeigeffihrt dureh friihzei~ige, zu Beginn der Gastrulation erfolgte Entfernung des prgsumptiven Kopfdarm- und Kopf- darmdaehmateriMs. Wghrend nun unsere LiC1-Keime immer St6rungen in ihrer Medullaranlage dort aufwiesen, wo eine Wirkung des genannten Mittels auf den Organisator erzielt wurde, beobaehteten wit postoperativ nur in 80% der Fglle die Entstehung yon mikrokephalen Keimen, d. h. in 20% waren dieselben normal. In diesen Fgllen erfolgte Regulation, also Erggnzung des verlorenen Materials dureh solehes anderer

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prospektiver Bedeutung. Unsere Defektoperationen haben also als Neben- befund die Regulationsf~higkeit yon Kopfdarm und Kopfdarmdach ergeben. Die Resultate beider - - der operativen wie der chemischen Methode - - kSnnen sich gegenseitig ergs und erlauben folgende Riick- schliisse: Ffir die Entwicklung eines normalen Gehirns mit normalen Sinnesorganen ist eine normale Unterlagerung, speziell eine normale Entwicklung des pr~ehordalen Mesoderms und der pr~chordalen Platte Voraussetzung. Die operativ gewonnenen Kopfdefekte miissen als Folgen ausgebliebener Regulation, d .h . Nichtwiederersatzes des ver- lorenen Materials gedeutet werden. Defekte wurden niemals beobachtet, wenn mesodermale Unterl~gerung und Vorderdarm normal waren. Das gilt aueh ffir LiC1-Keime.

V. Zusammenfassung. Es wurden Untersuchungen fiber die chemische Beeinflussung der

Neurulation, speziell der Kopfentwicklung dutch LiC1 an Triton alpestris beschrieben. Diese bildeten eine Erg~nzung zu friiheren Experimenten, in welchen durch Defektoperationen im Bereiche des Urmundgriibchens bei jungen Gastrulae Mikrokephalie erzeugt wurde (T6NDUI~Y 1937). Gleichzeitig sind sie eine Besti~tigung der yon L~H~ANN 1933--1937 besehriebenen LiC1-Wirkungen.

Die Beeinflussung der Kopfentwicklung erwies sich als besonders wirk- sam in den ersten Gastrulationsstadien (9--10).

Es kamen LiC1-L6sungen in einer Konzentration yon 1 : 200 und 1 : 400 zur Anwendung wi~hrend einer Behandlungsdauer yon 6 bis 24 Stunden.

Der mediane Bereich des Urdarmdaches, speziell das Gebiet der pr~chordalen Platte entwickelte sich abnorm. Es lieBen sich dabei St6rungen verschiedenen Grades beobachten:

1. Geringgradige St6rungen: Die bilateral symmetrische Struktur des Kopfdarmdaches, sein Aufbau aus dem prgchordalen Strang und dem seitlichen Mesoderm ist erhalten. Seine Differenzierung zeigt aber im Vergleich mit normalen Kontrollkeimen einen Entwieklungsrfickstand.

2. Stgrkere StSrungen zeigen als gemeinsames Merkmal ein Fehlen seiner bilateral symmetrischen Differenzierung. Die Unterlagerung ist fiberall kompakt und zeigt einen auffallend starken Entwicklungsrfick- stand. Als Ausdruck der fehlenden bilateralen Differenzierung treten unpaare, mitten durch den Kopf verlaufende Muskelanlagen auf.

Trotz ~uBerlich normaler Gastrulation finden sich St6rungen in der Ausbildung des Vorderdarmes. Bei geringgradigen Abweichungen der Unterlagerung yon der Norm fehlt die Mundh6hle in 3 yon 5 F~tlen; bei st~rkeren zeigt der Vorderd~rm gr6Bere Ausf~lle bis zum Fehlen des Kiemendarmes. Entsprechend ist auch das Viszeralskelet in ver- sehiedenem Grade miBbildet.

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l~berall da, wo die Unter lagerung abnorm ist, zeigen das Gehirn und die Sinnesorgane je nach dem Grad der Entwicklungss t6rung der- selben versehiedene Abnormi t~ ten wie: AUgemeine Verkleinerung des Gehirns bei nahezu vol lkommener Quersehnit tsregulat ion, aber abhor- mer Archi tek tur der Nervensubstanz . Fehlende Teile des Telenkephalon ve rbunden mit unpaare r Entwicklung des Bulbus olfactorius und ventra ler Ann/~herung der beiden Augen. Wegfall des Telenkephalon bei verklei- ner tem Dienkephalon und nahezu normalen Augen. Fehlen yon Tel- und Dienkephalon bei Entwick lung eines rud iment~ren Mesenkephalon, fehlendenAugen, Otokephalie; schliel31ich rudiment~resRhombenkephalon mit vorne s i tzenden H6rbl~schen.

Diese Befunde wurden erhoben in Best/~tigung unserer friiheren opera- r iven Ergebnisse. Fi i r die Entwiek lung eines normalen Kopfes mi t Gehirn und Sinnesorganen ist also eine vollst/~ndige Unter lagerung des p r~sumpt iven Medul larpla t tenmater ia ls mi t Entomesoderm Voraus- setzung. Ihre Derivate mfissen sich riehtig vertei len und die Induk to ren fiir die Ektodermorgane liefern. Der Ausbi ldungsgrad des Kopfdarmes i ibt ebenfalls einen wesentl ichen Einflul~ auf die Kopfbi ldung aus, indem er verantwort l ich zu sein scheint fiir die richtige Vertei lung des Ento- mesoderms.

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