vom gesetz zum gewissen

35
Vom Gesetz zum Gewissen oder die Verinnerlichung von Werten als kulturelles Phänomen. Der Gegensatz von Hobbes und Rousseau mit seinen literarischen Folgen Inhaltsangabe Einleitung 1. Der Wandel des Regentenmodells 1.1 Das Herrscherbild anhand zweier dramatischer Beispiele a) Shakespeares King Richard II b) Schillers Maria Stuart 1.2 Das Herrscherbild anhand zweier theoretischer Beispiele a) Hobbes b) Novalis 2. Das Über-Ich als Verinnerlichungskultur 3. Die Verinnerlichung des Ehrbegriffs 3.1 Duelle in der Literatur als Beispiel Schluß Literaturangaben Anhang Fußnoten

Upload: drikkes

Post on 01-Jul-2015

232 views

Category:

Documents


0 download

DESCRIPTION

Die Verinnerlichung von Werten als kulturelles Phänomen.

TRANSCRIPT

Vom Gesetz zum Gewissenoder die Verinnerlichung von Werten als kulturelles Phnomen.Der Gegensatz von Hobbes und Rousseau mit seinen literarischen Folgen

InhaltsangabeEinleitung 1. Der Wandel des Regentenmodells 1.1 Das Herrscherbild anhand zweier dramatischer Beispiele a) Shakespeares King Richard II b) Schillers Maria Stuart 1.2 Das Herrscherbild anhand zweier theoretischer Beispiele a) Hobbes b) Novalis 2. Das ber-Ich als Verinnerlichungskultur 3. Die Verinnerlichung des Ehrbegriffs 3.1 Duelle in der Literatur als Beispiel Schlu Literaturangaben Anhang Funoten

EinleitungDie Verinnerlichung von Werten zeigt sich in den verschiedensten Ausprgungen, sie ist ein umfassendes Phnomen, das auf dem langen Weg in die Moderne alle gesellschaftlichen Schichten einschliet. In dieser Arbeit soll anhand von zwei Beispielen, des Regentenmodells und des Ehrbegriffs, aufgezeigt werden, wie diese Entwicklung hin zur Verinnerlichung verluft, wobei der Schwerpunkt auf dem Verhltnis von Herrscher und Beherrschtem liegt. Das der auch als Psychologisierung aufzufassende Wandel des Untertanen nicht nur auf das Verhltnis zum Regenten, sondern auch auf diesen selbst zurckwirkt, ist in der Literatur oft thematisiert worden meist allerdings, ohne sich dessen ausdrcklich bewut zu sein. Zu diesem Zweck befat sich das erste Kapitel mit dem Vergleich zweier fr ihre Entstehungszeit reprsentativen Dramentexte und sttzt die aus ihnen gezogenen Schlsse des jeweiligen Herrscherbildes durch ihnen nahestehende theoretische Texte. Im zweiten Kapitel wird Freuds Verstndnis des Kulturprozesses wiedergegeben. Der dritte Teil beschreibt dann anhand des Wandels des Ehrbegriffs die gesamtgesellschaftliche Entwicklung seit Beginn der Neuzeit, wiederum mit einigen literarischen Beispielen. Der Schlu soll dann die verschiedenen Kernaussagen zusammenfhren und bemht sich um eine Einordnung des Ganzen in einen Zusammenhang.

1. Der Wandel des Regentenmodells1.1. Das Herrscherbild anhand zweier dramatischer Beispiele a) Shakespeare Die Darstellung von Politik und Knigtum in William Shakespeares Richard II. ist ganz dem Herrschaftsmodell seiner Entstehungszeit geschuldet. In dem in der ersten Einzelausgabe 1597 noch als tragedy untertitelten, in den weiteren Publikationen dann als History bezeichneten Stck1 wird das schon anhand der Spielorte deutlich: Angaben wie Der Hof, Windsor Castle, Ein Lager in Wales oder Westminster Hall zeigen, wie sehr sich die Existenz und damit Herrschaftsberechtigung des ganzen Adels und nur der spielt im Stck eine magebliche Rolle und insbesondere des Knigs vom Grad ihres Reprsentationsvermgens her legitimiert. Das wird auch in den Auftritten der handelnden Personen deutlich; solange Richard Knig ist, tritt er nur mit Gefolge, niemals alleine auf. Er bentigt seinen Hofstaat, um sich sowohl seinen Untertanen wie sich selbst seiner Rolle als Herrscher zu versichern. Ebenso umgibt sich sein Gegenspieler Bolingbroke nach seiner

vorzeitigen Rckkehr aus der Verbannung stndig mit seinen Gefolgsleuten, wie um zuerst seinen Rechts-, spter dann seinen Machtanspruch zu sttzen. Es gilt hier zu beachten, da wir uns, sowohl was die sptmittelalterliche Geschichte der Rosenkriege, als auch deren frhneuzeitlichen dramatisierenden Chronisten betrifft, noch im Zeitalter der personalen Herrschaft befinden, das heit die personalunabhngigen Institutionen modernerer nationalstaatlicher Verfassungen noch kaum zur Ausprgung gelangt sind. Auch die Sonderstellung des englischen Inselknigreiches greift hier nur bedingt, da das Parlament zur Zeit Shakespeares ausschlielich die Interessen des Adels, nicht die der einfachen Brger vertritt. Und so kann Zedlers Universallexikon von 1739 noch allgemeingltig definieren: Hof wird genennet, wo sich der Frst aufhlt. Dort wird einige Zeilen weiter behauptet, das Volk knne die wahre Hoheit ihres Herrschers gar nicht erkennen, denn wren alle Unterthanen von der tieffen Einsicht, da sie den Frst wegen innerlichen Vorzuges verehrten, so brauchte es keines uerlichen Geprges; so aber bleibet der grste Theil derer gehorchenden an dem uerlichen hngen.2 Der Grad des durch die Reprsentanz dieses Ceremoniels ausgedrckten Machtbeweises manifestiert sich in dem Begriff, den dieses Lexikon mit Ansehen benennt. Das Ceremoniel reprsentiert die Ordnung.3 Das Shakespearesche Drama trgt dieser Auffassung durch die Art der Auftritte und Handlungsorte Rechnung, nmlich durch seinen Reprsentationscharakter. Das Volk tritt nur in Form von heranzitiertem Untersttzungspotential der beiden Gegenspieler Richard und Bolingbroke in Erscheinung, um ihren jeweiligen Machtanspruch zu untermauern, das heit in erster Linie als Armee. So kann Richard die Liebe Bolingbrokes fr das gemeine Volk problemlos als List abtun und das Gefhl, welches die Untertanen dafr wiederum Bolingbroke entgegenbringen, als bloe Hoffnung verachten.4 Falls Richard sich berhaupt irgend etwas Irdischem gegenber verpflichtet sieht, so ist es das von ihm regierte Land, nicht seine Untertanen.5 Vielmehr scheint er aber eher der Meinung zu sein, nicht nur die Untertanen, ja das Land selbst, msse seinen kniglichen Befehlen gehorchen, was beispielsweise in seinem Verlangen zu sehen ist, die Spinnen, Krten, Brennesseln und Nattern Englands sollten sich wider die verrterischen Feinde erheben6. An dieser Stelle ist die literarische berspitzung Shakespeares sehr aus der Entstehungszeit des Stckes zu verstehen oder zumindest von den damaligen Rezipienten verstanden worden; auch wenn die Briten sich aufgrund ihrer Insellage stets fr etwas Besonderes gehalten haben (das soll nicht wertend gemeint sein, wer kann ehrlich sagen, er tte es nicht), wegen der besonderen damaligen Umstnde haben die Englnder in ihrem Inselreich die natrliche Festung des wahren christlichen Glaubens gegen die katholischen Mchte des europischen Festlands gesehen.

In den Argumentationen der beiden Kontrahenten sind machtpolitische Erwgungen vorherrschend. Aus heutiger Sicht als moralisch einzustufende berlegungen (denn die damalige Moral unterschied sich erheblich von derjenigen nach der Aufklrung, was in dieser Arbeit unter anderem gezeigt werden soll) geraten, sobald sie geuert werden, in den Generalverdacht der parteilichen Inanspruchnahme oder rechtfertigen sich durch eine Logik der den Zweck heiligenden Mittel. Der Knig beharrt auf dem Standpunkt seiner unantastbaren Majestt7, soda er in dieser Position noch nicht einmal davor zurckschreckt, die Gter seines verstorbenen Onkels zur Finanzierung des Irland-Feldzugs zu konfiszieren. Fr wie unerreichbar und damit ungefhrdet er in der ersten Hlfte des Stcks seine Stellung als Knig im Vergleich zu den restlichen Untergebenen hlt, drckt sich durch die mehrfach verwendete Sonnenmetapher8 aus, die nach Richards Verlust der Krone auf Bolingbroke bertragen wird.9 Und nur diese Selbstverstndlichkeit der Herrschaft kann eine Ahnung davon geben, warum Richard von sich aus auf den Thron verzichtet10, obwohl er eigentlich nur eine Entscheidung, die Verbannung Bolingbrokes, widerrufen mte. Aber ist ein Befehl des Knigs infragegestellt, ist der ganze Knig infragegestellt. Daran ndert auch die Tatsache nichts, da die schlechte Regentschaft Richards mehrmals im Stck auf seine schlechten Berater zurckgefhrt wird.11 Die Wichtigkeit des Reprsentationsfaktors zeigt sich auch an der spezifischen Bedeutung, die den Namen beigemessen wird. Zumindest innerhalb des Adels kennzeichnet der Name eher die Funktion als die Person des Trgers. Richard selbst ist der erste, der Bolingbroke Knig nennt.12 Dieser wiederum erklrt seine vorzeitige Rckkehr aus der Verbannung mit einem Namenswechsel.13 Doch die fr die damalige Souvernittsvorstellung bei weitem interessanteste Stelle des Stckes ist die rhetorisch gemeinte Frage Richards Is not the kings name twenty thousand names?14, auf die im nchsten Kapitelteil (1.2.a) Hobbes) nher eingegangen werden soll. Richard redet ber seine Herrschaftsfunktion hinausgehend, also auch in persnlichen Dingen, im pluralis majestatis, spricht also von Wir, wo doch nur Ich gemeint ist wenn auch nicht in durchgehend konsequenter Weise.15 Diese bliche Sprachregelung lt das Herrschaftsmodell erkennen, welches auch diesem Drama zugrunde liegt. Wenn der Knig fr sich in Anspruch nimmt, als Sprachrohr und Gehirn des gesamten Staates zu fungieren, ohne mit anderen Institutionen vorher Rcksprache zu halten, fhlt man sich sofort an den berhmten Satz der Ikone des Absolutismus, Louis XIV. erinnert: Letat cest moi.. Wenn Knig Richard selbst vom Herzog von Lancaster, seinem Onkel John von Gaunt, als Gods substitute / His deputy anointed in His sight16 bezeichnet wird, dann spiegelt es das in der Tudor-Zeit propagierte Herrschaftsbild wider, welches dem Monarchen seit der Reformation in England eine noch hhere Stellung zuweist, da das weltliche Oberhaupt nun auch zugleich geistiges Oberhaupt

ist. Der Monarch erhlt seinen Herrschaftsauftrag also direkt von Gott, er ist sein Stellvertreter auf Erden zumindest auf englischem Boden und damit theoretisch in keinster Weise auf die Legitimierung seiner Souvernitt durch das Volk angewiesen. Man mu sich dabei vor Augen halten, da Shakespeare hier einen Stoff dramatisch bearbeitet, der sich geschichtlich etwa 250 Jahre vor der Entstehungszeit des Stckes ereignet hat; gleiches trifft in etwa auf Schillers Maria Stuart zu. Es wird also im weiteren zu zeigen sein, da auch Schillers Darstellung des Herrschaftsmodells mehr seiner eigenen Zeit als den historischen Verhltnissen seines Stoffes geschuldet ist. b) Schiller In Friedrich Schillers Trauerspiel Maria Stuart (Urauffhrung 1800 in Weimar) sind die Handlungsorte weitaus intimer gesetzt. Ein Zimmer, Gegend in einem Park, Vorzimmer lassen durch ihre bloe Bezeichnung keinen Rckschlu auf die hier in ihnen agierenden Personen zu. Schon die ersten Szenen des Stcks mit der Durchsuchung und Beschlagnahmung der letzten verbliebenen Privatsachen Marias scheinen auf die Dekonstruktion ihrer Herrschaftsansprche angelegt zu sein. Doch whrend die Amme Hanna Kennedy durch die Konfiszierung des letzten Rests von Marias Brautgeschmeide Nichts Knigliches mehr17 an ihrer Herrin sieht, antwortet diese darauf, da sich der Anspruch auf ihre Stellung nicht von uerlichkeiten18, sondern aus anderen Vorzgen herleitet, wie etwa ihre Geburt oder die Sorge um ihre Untergebenen.19 War Knig Richard noch in erster Linie um sein Ansehen besorgt, so heit es hier aus dem Munde Paulets: Englands Beherrscher brauchen nichts zu scheuen, / Als ihr Gewissen und ihr Parlament.20 Zwar gibt es auch in Maria Stuart Vergleiche des Adels mit dem Status von Gttern, doch hat sich die Zuordnung der Attribute verlagert; ist es zuvor die Macht gewesen, welche die Hoheit ausgezeichnet hat, so ist es nun die Liebe.21 Die Orte der Handlung verhalten sich analog zur Dialogfhrung in den einzelnen Auftritten, welche auffallend oft die Form eines Gesprchs unter vier Augen annehmen. Es wird ber weite Strecken unter Ausschlu der ffentlichkeit gehandelt, geheime Plne geschmiedet, intime Beratungen, Intrigen gesponnen, sogar eine Beichtszene kommt vor. Der Zuschauer sieht sich in die Rolle des Voyeurs versetzt; welch ein Unterschied zu den ffentlichkeitswirksamen Darstellungen in Richard II. Ein weiteres Indiz fr den Wandel ist auch die groe Rolle der Amme und ihre Vertrautheit im Umgang mit Maria Stuart, zu der sich in Richard II. kein quivalent findet, die Berater erfllen hier eine gnzlich andere Funktion, wie oben schon erwhnt. Ein anderer wichtiger Punkt ist die Verquickung von privaten und politischen Interessen, die an mehreren Stellen des Stcks auftreten. So soll zu Beginn Marias letzter Privatbesitz konfisziert werden, da sie durch ihn noch immer in der Lage ist, politisch motiviert zu handeln, beispielsweise

durch Bestechung.22 Maria kann auch durch Besitz beeinflussen, der ihr weitaus schwerer zu nehmen ist; so scheint bei Mortimers religisen Eiferreden nahezu unverhllt die erotische Komponente durch nicht ohne Grund bezeichnet man eine schne Frau als anbetungswrdig. Das Wort Heiratspolitik, seit jeher eine bliche Praxis der Machtsicherung und ausdehnung, hat hier schon einen blen Beigeschmack. Auch in Maria Stuart erscheint das Volk nicht direkt auf der Bhne, aber es spielt trotzdem eine gewisse Rolle. Doch geht es hier nicht um vornehmlich militrische Untersttzung adeliger Machtansprche durch Angehrige der unteren Stnde, sondern sozusagen um die Meinung der einfachen Brger auf der Strae ber ihre Herrscher. Wenn Elisabeth sagt, da Knige nur Sklaven ihres Standes23 sind, drckt sich darin der Konflikt zwischen persnlichen Wnschen und monarchischen Pflichten aus. Diese Auffassung vom Herrscher als dem ersten Diener des Staates ist eine Erscheinung der Neuzeit, und so ist es gegenber Shakespeare eine Vernderung des Herrscherbildes, wenn Schiller seine Knigin Elisabeth klagen lt: Auch meine jungfruliche Freiheit soll ich, / Mein hchstes Gut, hingeben fr mein Volk, / Und der Gebieter wird mir aufgedrungen.24 Maria nimmt ebenfalls eine zu King Richard II. vernderte Position ein. Zwar hlt sie ihre Souvernitt fr unantastbar,25 doch behauptet sie nicht, keine Rechenschaft schuldig zu sein: Ich will mich nicht der Rechenschaft entziehn, / Die Richter sind es nur, die ich verwerfe.26 Die genaue Beantwortung der Frage, wem oder was gegenber Maria ihre Rechenschaftspflicht eingesteht, folgt in einem spteren Kapitel (1.2.b) Novalis). Ein Topos, der sich durch das gesamte Trauerspiel zieht, ist die Unterscheidung von Schein und Sein, wobei Schiller bemht ist, die religisen Konnotationen dieser Unterscheidung mglichst auszublenden. Obwohl ein guter Teil des Konfliktpotentials daraus entsteht, da Elisabeth protestantisch und Maria katholisch ist, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, die Religion werde hier instrumentalisiert.27 Sie ist in der direkten Auseinandersetzung zwischen den beiden nur ein untergeordnetes Thema, geeignet zur Untersttzung der jeweiligen Hauptstreitpunkte, welche da wren: Rang der Geburt, Stolz, Liebe, Gro- und Hochmut. Es kann nicht verwundern, da hier die christlichen Snden und Tugenden als Anklage- und Auszeichnungspunkte genannt werden, doch ist es auffllig, da vom falschen Glauben als Vorwurf protestantisch oder katholisch nicht die Rede ist. Das mag zum einen an der Instrumentalisierung der Konfessionen liegen, derer sich beide Kontrahentinnen wohl bewut sind, zum anderen lt es sich auch auf eine gewisse Apotheose beider zurckfhren.28 In Bezug auf Gttinnen wirkt der Vorwurf der Hresie absurd; Gttinnen mssen nicht glauben, an sie mu geglaubt werden siehe Mortimer. Der von Schiller gesetzte Unterschied zwischen Schein und Sein orientiert sich vielmehr an einer Bedeutung der Begriffe, welche den Einflu Rousseaus erkennen lt. Der Forderung nach mehr

Natrlichkeit bietet die als bertrieben und knstlich empfundene absolutistische Hofgesellschaft mit ihrem ausgeprgten Reprsentationscharakter, alles was Maria als Flitter bezeichnet, dankbare Beispiele.29 Natrlich sind diese Unterschiede zwischen Richard II. und Maria Stuart auch zu einem groen Teil aus den verschiedenen Ausgangspositionen und konstellationen der beiden Stcke zu erklren, doch ist es immer auch ein wenig verrterisch, welchen historischen Stoff sich Autoren fr die literarische Bearbeitung aussuchen. So ist es berhaupt nicht Schillers Absicht gewesen, in Maria Stuart die historische Realitt darzustellen, dafr ist er hier mehr noch als in Don Carlos oder Wallenstein an der direkten theatralischen Umsetzung seiner Schreibarbeit interessiert. So beschliet er, nur die allgemeine Situation, die Zeit und die Personen aus der Geschichte zu nehmen und alles brige frei zu erfinden, wodurch eine mittlere Gattung entstnde, welche die Vorteile des historischen Dramas mit dem erdichteten vereinigte30, wie Schiller whrend der Ausarbeitung des Stckes in einem Brief an Goethe geschrieben hat. In seinen Briefen an den Dichterkollegen gibt er auch Auskunft ber den poetische(n) Kampf mit dem historischen Stoff31, also den relativ weitreichenden Eigenerfindungen wie etwa Leicesters Verhltnis zu Maria, die Gestalt Mortimers oder die Begegnung der beiden Kniginnen, die er auch mit Blick auf die Bhnenwirksamkeit verjngt hat. Schillers Ziel ist gewesen, der Phantasie eine Freiheit ber die Geschichte zu verschaffen32, wie es im gleichen Brief heit. Das sich die Phantasie unter anderem aus den Ereignissen der eigenen Lebensumstnde speist, lt sich an dem in Maria Stuart dargestelltem Herrscherbild erkennen. 1.2. Das Herrscherbild anhand zweier theoretischer Beispiele

a) Hobbes Auch wenn Richard II. rund fnfzig Jahre vor dem Leviathan von Thomas Hobbes entstanden ist, finden sich deutliche bereinstimmungen hinsichtlich der Konzeption von Souvernittsmodellen in den beiden Texten. Die auf seiner Anthropologie aufbauende Staatsphilosophie Hobbes geht von der Existenz eines Naturzustands aus, in welchem der Mensch seinen Mitmenschen ein Wolf ist (homo homini lupus). In diesem Krieg aller gegen alle (bellum omnium contra omnes)33 gilt das Recht des Strkeren, wobei das Wort Recht nicht mit der Institution der Gesetze verwechselt werden darf.34 Laut Hobbes befinden wir uns im Naturzustand per definitionem in einem prjuridischem Stadium, denn die freiwillige Setzung von Richtlinien fr den Erhalt des oder zwecks Schaffung eines sozialen Lebens gilt ihm als erste Kulturleistung und somit als Austritt des Menschen aus dem Naturzustand.

Die angeborene Vernunft gebietet es den Menschen, durch die Schlieung eines Gesellschaftsvertrags dem Naturrecht des Strkeren zu entkommen. Ausschlaggebend hierfr ist der der Vernunft zugrundeliegende zentrale Trieb der Selbsterhaltung, weil er in einer absolut uneingeschrnkten Weise gedacht ist. Sobald es um das eigene Wohl geht, wird auf den anderen keine Rcksicht genommen. Eine juristische Ordnung soll also Sicherheit fr die Schwcheren gewhrleisten, das heit also fr jeden, denn wer kann sich immer sicher sein, aus jeder Situation als der Strkste hervorzugehen. Die Schaffung einer staatlichen Ordnung durch die Schlieung des Gesellschaftsvertrags entbindet die Menschen allerdings nicht, weiterhin stets auf ihren eigenen Vorteil bedacht zu sein, wenn auch innerhalb der nun geltenden Gesetze. Nur fr einen haben diese Gesetze keine Geltung, nmlich fr ihren Schpfer. Der Hobbessche Staatsvertrag basiert auf dem Verzicht eines jeden Vertragspartners auf die Ausbung seines Naturrechts und seiner bertragung auf die Person des Herrschers. Der Souvern ist als Besitzer der absoluten Regierungsgewalt also ausdrcklich nicht Mitglied der Vertragsgemeinschaft, aber er regiert uneingeschrnkt ber sie. Bei dieser personalen Form der Herrschaft ergeben sich dann natrlich Probleme, wenn die Person des Herrschers infragegestellt wird, wie dies in Richard II. durch die vorzeitige Rckkehr Bolingbrokes aus der Verbannung geschieht. Sobald auch nur einzelnen Befehlen des Knigs nicht mehr uneingeschrnkt Folge geleistet wird, gefhrdet dies seine ganze Position, weshalb Hobbes auf den unbedingten Gehorsam gegenber dem Souvern so viel Wert legt, hat er doch das Schreckgespenst des Brgerkriegs vor Augen. Er rechtfertigt damit auch die schlechte Regentschaft mit der Begrndung, selbst die mangelhafteste Ordnung sei besser als das Chaos des naturrechtlichen Krieges aller gegen alle. In Shakespeares Drama ist die Institution des Knigtums allerdings nicht gefhrdet, der Konflikt entzndet sich an der Person ihres Trgers, wobei es keine Rolle spielt, ob Richard von sich aus schlecht gehandelt hat oder lediglich schlecht beraten worden ist. Die Metapher der untergehenden Sonne fr Richard und der aufgehenden fr Bolingbroke bezeugt die Nahtlosigkeit der Herrscherfolge, als wrde die Nacht dazwischen gar nicht existieren. Vergleicht man den Regierungsstil Richards mit dem Bolingbrokes35 wird einem klar, da es bei personaler Herrschaft zwar eine Kontinuitt der ueren Form gibt, also die durch die Institution des Knigtums gesetzte Ordnung, der Inhalt, sozusagen die Art der Regentschaft, Befehle, Gesetze, kann von Souvern zu Souvern stark variieren. Dem inhaltlichen Variationspotential wird also mit einer Betonung der uerlichen Form begegnet, woraus sich der Reprsentationscharakter des Herrscherbildes ergibt, wie er in Shakespeares Drama zur Darstellung gelangt keine Dauer ohne Ordnung.36 Auch die schon im vorigen Kapitel angesprochene Namensthematik findet hier ihre Verortung. Wenn Richard

seinen Namen als zwanzigtausend Namen bezeichnet, so steht das fr die Befehlsgewalt, die er ber ein zwanzigtausend Mann starkes Heer zu Besitzen glaubt. Diese Mnner wrden Richard nicht folgen, weil sie ihn fr den begabtesten Feldherren halten, sondern weil er den Trger des kniglichen Namens verkrpert. Am unmittelbarsten sieht man die Analogie von Shakespeares und Hobbes Herrscherbild bei folgendem Zitat: But now the blood of twenty thousand men / Did triumph in my face37, wobei man sich direkt an den berhmten Kupferstich aus der englischen Erstausgabe des Leviathan erinnert fhlt. Dort sieht man einen mit Herrschaftsinsignien ausgestatteten riesigen Oberkrper eines Menschen sich ber eine Landschaft erheben; Rumpf und Arme dieses Krpers bestehen aus vielen kleineren Menschen. Der Knig ist also der Kopf, die Untertanen bilden die restlichen Glieder des Staatskrpers. Ein Rationalist wie Hobbes hlt den Kopf natrlich fr den bei weitem wichtigsten Teil des Krpers, der alle anderen kontrolliert und ohne den er berhaupt nicht lebensfhig wre. Diese Sichtweise fhrt zur absolutistischen bertreibung, der Knig sei der Staat. Der Knig ist selbstverstndlich nicht der gesamte Staat, aber er allein reprsentiert ihn wie kein anderer. Und so rumt auch Hobbes dem Schein eine wichtige Rolle ein, da die Auenwirkung hier ber die wahren Verhltnisse dominiert, denn der Knig kann sein Land unmglich alleine regieren, er bentigt dazu Helfer. Der Knig ist letztlich nur die extrem ausgeprgte, alles andere berstrahlende Spitze der Hierarchiepyramide. Wenn Hobbes sagt: Mit Wrde eines Menschen geht es meistens wie mit allen brigen Dingen, deren Wert von dem Urteil des Kufers, nicht aber dem des Verkufers abhngt.38, so kommt in diesem Satz das Legitimationsproblem zum Ausdruck. Die Untertanen gehorchen nicht unbedingt, sondern nur, wenn sie in dem Herrscher diejenige Person sehen, die durch ihren Schutz Sicherheit gewhrleistet. Und so erflltt der bloe Ruf von Macht die gleiche Funktion wie echte Macht, weil er unter denen Anhnger verschafft, welche des Schutzes bedrfen.39 Und so ist es zu verstehen, da der Schein des Reprsentationscharakters in dieser Zeit nicht der Kritik unterworfen war. b) Novalis Auch wenn die Franzsische Revolution von 1789 keine direkten politischen Auswirkungen weder auf das Vereinigte Knigreich von Grobritannien noch auf das Heilige Rmische Reich Deutscher Nation bezglich der Regierungsform gezeitigt hat, so haben sich die Anforderungen an den Regenten und damit das Herrscherbild seit dem 17. Jahrhundert doch deutlich verndert. Dieser weiche Wechsel ist natrlich nicht pltzlich durch das eine politische Ereignis ausgelst worden, vielmehr gibt es dafr mehrere und uerst komplexe Ursachen, so wie es verschiedene und doch zusammenhngende Ursachen fr die Franzsische Revolution gegeben hat.

Als erstes sei auf das Erstarken des Brgertums verwiesen. Diese gesellschaftliche Schicht hat im Laufe der Zeit in immer zunehmenderem Mae das wirtschaftliche Leben Europas bestimmt, oder genauer: der brgerliche Stand wird seit jeher vornehmlich mit der Wirtschaft in Verbindung gebracht, aber gerade in dem angegebenen Zeitraum hat die Wichtigkeit von konomischen Aspekten fr den Staat enorm zugenommen. Dieses auch immer gebildeter werdende Brgertum besorgt nun einerseits durch die von ihnen gezahlten direkten und indirekten Steuern einen stndig sich vergrernden Anteil am Staatshaushalt, ohne dafr auf der anderen Seite mit politischer Macht entschdigt zu werden. Hinzu kommt die fehlende soziale Anerkennung seitens des Adels, der bemht ist, sich so elitr abzugrenzen, da der gesellschaftliche Verkehr mit Brgerlichen der sich tatschlich kaum mehr vermeiden lt als die regelbesttigende Ausnahme erscheinen soll. Mit zunehmendem Erstarken entwickelt sich jedoch dann ein sozusagen brgerliches Selbstbewutsein, welches sich durch neue Verhaltensweisen vom Adel abzugrenzen sucht, statt sich ihm anzubiedern.40 Ein anderer Punkt wre der allmhliche, bereits mit der Erblichwerdung der Lehen einsetzende Wandel des Herrschaftsverhltnisses, ein Vorgang, der als Institutionalisierung von Macht zu bezeichnen ist. Durch die immer strkere Ausdifferenzierung der Gesellschaft in der Neuzeit wird indirekt das Prinzip der personalen Herrschaft aufgeweicht, denn dem dadurch entstehenden Mehr an Regierungsarbeit wird in Form von Delegierung Rechnung getragen. Auch wenn der Knig weiterhin an der Spitze der Hierarchiepyramide steht, so hat diese sich doch von der Basis her verbreitert. Die so entstandenen Institutionen wie Gerichte und Verwaltung entwickeln dabei eine mehr den Sachzwngen als den Gestaltungsmglichkeiten von Politik geschuldete Eigendynamik, welche das willkrliche Eingreifen des Herrschers in zunehmendem Mae erschwert. Dort, wo der Regent sich nicht zum Bruch mit als beraltert empfundenen Traditionen entschlieen kann, kommt schnell der Verdacht auf, er sei nur an der Sicherung seiner eigenen Machtposition, nicht am Wohlergehen seiner Untertanen also aus neuerer Sicht am Wohle des Staates interessiert. Der umfassende Wandel in Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft lt die auf Dauer angelegte alte Gesellschaftsordnung als unzeitgem erscheinen. Die neugeschaffenen Institutionen sind natrlich ebenfalls auf eine dauerhafte Aufrechterhaltung der Ordnung angelegt, doch trotz ihres Reprsentationscharakters verlagert sich der Schwerpunkt von der Form auf die inhaltliche Seite. Aus der starren Kontinuitt des Herrschaftsmodells wird allmhlich eine Kontinuitt der Gesetze und Normen, die etwas flexibler auf sich ndernde Umstnde reagieren kann, da sie innerhalb der ihnen gesetzten Direktiven relativ unabhngig agieren knnen.41 Diese lngere Einleitung ist ntig, um die Vorstellung Novalis in Bezug auf das Herrscherbild und somit den Wandel seit Hobbes verstehen zu

knnen. In seinem Text Glauben und Liebe oder Der Knig und die Knigin von 1798, erschienen also nur zwei Jahre vor Schillers Maria Stuart, vertritt Novalis einen unbersehbar brgerlichen Standpunkt, wenn auch mit poetisch-romantischer Verklrung. Er gibt sich als Monarchist zu erkennen, insofern verwirft er die Errungenschaften der Franzsischen Revolution,42 allerdings kritisiert er das absolutistische Hofleben mit Worten wie geschmacklos43 und Sittenverderbnis44. Statt des uneingeschrnkten Reprsentationscharakters der alten Herrschaftsform tritt er fr eine inhaltliche Rckbindung der Herrschaft an die Moral ein.45 Zwar gibt Novalis zu, ohne Etiquette kann kein Hof bestehen. Es gibt aber eine natrliche Etiquette, die schne, und eine erknstelte, modische, die hliche.46 Der Knig hat eine Verpflichtung gegenber seinem Volk, mehr noch: er soll ihm als Vorbild dienen, ohne selber als Diener zu erscheinen. Der Knig ist kein Staatsbrger, darin ist sich Novalis mit Hobbes einig, darin besteht fr ihn eben das Unterscheidende der Monarchie, da sie auf den Glauben an einen hhergebornen Menschen, auf der freiwilligen Annahme eines Idealmenschen, beruht.47 Andererseits ist der Herrscher nicht von der Wirklichkeit abgehoben, er soll sich fr seine Untertanen interessieren, als ein liebenswrdiger trefflicher Mensch48 nicht nur am militrischen und politischen, auch am knstlerischen und wissenschaftlichen Leben in seinem Staat teilnehmen. Wenn das Wirken der Knigin als Beispiel oder Muster49 bezeichnet wird, so bringt dieser Vorbildcharakter doch ein neues Element in das Verhltnis von Herrscher und Untergebenem, nmlich das der Vergleichbarkeit. Der Hof soll das klassische Privatleben im groen sein.50 Hier stehen pltzlich die brgerlichen Ideale von Liebe und Glck im Mittelpunkt, wird die knigliche Vermhlung als ewiger Herzensbund51 gefeiert. Man mu sich natrlich vor Augen halten, da Novalis Text ein Programm von Wnschen und Forderungen ist und keineswegs die Realitt abbildet; nirgends fllt das mehr auf als an dieser Stelle, denn innerhalb des europischen Hochadels war die Heirat jahrhundertelang statt persnliche Erfllung vornehmlich ein Mittel der Politik. Nun auf einmal ist die knigliche Familie die irdische Inkarnation von Tugend und Moral, an dem sich das Volk ein Beispiel nehmen soll.52 Gerade durch sein moralisches Betragen sollen die Untertanen persnliche Liebe zum Knig empfinden, den Anla einer lebenslnglichen Begeisterung.53 Und so bentigt er zur Erhaltung seiner Macht keine zwanzigtausend Mann starke Armee wie Shakespeares Richard, denn durch ihr Betragen (beschtzen) der Knig und die Knigin (...) die Monarchie mehr, als 200.000 Mann.54 Novalis will die Adressaten und Adressenten der moralischen Kritik vertauschen; an die Stelle des die Unsittlichkeit des hfischen Lebens anprangernden Brgertums soll nun der durch sein vorbildliches Verhalten die Brger zu mehr Sittlichkeit anhaltenden Hof treten. Und so nennt er den Knig explizit ein Erziehungsmittel zu dem wenn auch fernen Ziel,

da alle Menschen (...) thronfhig werden55 sollen, was ein eklatanter Gegensatz zum alten Herrscherbild des Souverns als von Gott eingesetztem Machthaber ist, dessen Willkr die Untertanen ausgesetzt sind. Und wenn Novalis dem Knig und der Knigin die Stellung von Gttern zuweist, so orientiert er sich an antiken Gttervorstellungen mit all ihren menschlichen Zgen statt an dem vergeistigten, allmchtigen Gott des Christentums, dem wiederum die Herrscher ihrerseits verpflichtet sind.56 Seine Absicht ist es gewesen, die Brger auf die Hhe des Knigs zu heben, tatschlich ist der Knig eher auf den Stand eines privilegierten Brgers herabgesunken. Auch wenn Novalis in Glauben und Liebe seine Idealvorstellungen zu Papier gebracht hat, so hat er dabei doch die Realitt im Blick gehabt: den preuischen Knig Friedrich Wilhelm III. und seine Gattin Luise. Novalis Text ist ein frhes Beispiel der Verehrung vor allem dieser schon zu ihren Lebzeiten als auergewhnlich anerkannten Frau, die nach ihrem frhen Tod schnell zu einer Legende geworden ist. Fr ihre Zeitgenossen und die nachfolgenden Generationen scheint Knigin Luise die von Novalis geforderten Ideale verkrpert zu haben. Im knstlerischen Bereich ist sie als preuische Madonna57 dargestellt worden oder in Gemlden, welche das brgerlich-romantische Ideal inniger Familienbeziehung58 ausdrcken. Sie hat ihrer Rolle eine dem Hofzeremoniell entgegengesetzte Natrlichkeit gegeben, die als Ausdruck von Gte und Menschlichkeit59 und nicht als schlechtes Benehmen angesehen worden sind. Luise, die Knigin der Herzen60, die sich sehr fr Literatur interessiert und Schiller ihren Lieblingsdichter genannt hat, hat an verschiedenen Stellen zum Ausdruck gebracht, da sie das Gefhl hher als den Verstand, das Herz mehr als den Geist geschtzt hat. Nach ihrem Tod, den man allgemein der unglcklichen Lage des Landes61 zuschrieb, galt das Luisen-Gedenken als Symbol der Verbundenheit zwischen Knig und Untertanen, gleichsam als Verfassungsersatz.62 Wie Gnter de Bruyn bemerkt, ist Voraussetzung fr diese Verehrung gewesen, da bereits damals brgerliche Tugenden (...) ffentliche Wertschtzung genossen63 haben. Nur anhand des Vergleichs mit frheren Regentenmodellen ist es zu erklren, da Eilhard Erich Pauls Luises ganzes Verhalten als umstrzendes, erneuerndes Werk64 bezeichnet hat, dessen Ergebnis als eine liebenswrdige Revolution65 erscheint, welche deshalb so hoch eingeschtzt wird, weil sie ganz ohne das Blutvergieen des franzsischen Beispiels ausgekommen ist. Auf diese Weise kann Friedrich von Hardenberg, wie Novalis mit brgerlichem (sic!) Namen hie, auch als Monarchist die Republik als Staat der Brger proklamieren: Es wird eine Zeit kommen und das bald, wo man allgemein berzeugt sein wird, da kein Knig ohne Republik, und keine Republik ohne Knig bestehn knne, da beide so unteilbar sind,

wie Krper und Seele, und da ein Knig ohne Republik und eine Republik ohne Knig, nur Worte ohne Bedeutung sind. Daher entstand mit einer echten Republik immer ein Knig zugleich, und mit einem echten Knig eine Republik zugleich. Der echte Knig wird Republik, die echte Republik Knig sein.66

2. Das ber-Ich als VerinnerlichungskulturIn Sigmund Freuds Buch Das Unbehagen in der Kultur aus dem Jahr 1930 wird die Entwicklung des ber-Ichs als Verinnerlichung von Autoritt beschrieben. Der von Freud letztendlich fr unvershnlich erklrte Antagonismus zwischen den Triebforderungen und den von der Zivilisation auferlegten Einschrnkungen bildet das Hauptthema des Textes. Freud zitiert zur Untermauerung seiner Annahme eines dem Menschen immanenten Aggressionstriebs ausdrcklich die anthropologische Sichtweise Hobbes, der wiederum auf ein berhmtes Zitat aus der Asinaria (II, 4, 88) von Plautus zurckgreift.67 Die Kultur wird von Freud definiert als die ganze Summe der Leistungen und Einrichtungen (...), in denen sich unser Leben von dem unserer tierischen Ahnen entfernt und die zwei Zwecken dienen: dem Schutz des Menschen gegen die Natur und der Regelung der Beziehungen der Menschen untereinander.68 Mit dem Fortschreiten der Kultur erlangt der Mensch zunehmende Freiheit von seinen unmittelbaren natrlichen Lebensbedingungen durch technische Neuerungen und gesteigerte Sicherung seines Lebens durch Gesetze, welche die potentielle Bedrohung durch den anderen69 einschrnken sollen. Doch funktioniert das nicht so einfach wie bei Hobbes selbsterhaltungstriebgesteuertem Verstand: Der gewonnenen Freiheit durch die Nutzung von Technik steht die Einschrnkung etwa des Aggressionstriebs und des Wunsches nach Selbstbestimmung durch die gesellschaftliche Ordnung gegenber; sie sind die zwei Seiten der Medaille Kultur. Hinzu kommt ein Moment der Enttuschung fr die Menschen, wenn sie erkennen mssen, da diese neu gewonnene Verfgung ber Raum und Zeit, diese Unterwerfung der Naturkrfte, die Erfllung jahrtausendealter Sehnsucht, das Ma von Lustbefriedigung, das sie vom Leben erwarten, nicht erhht, sie nach ihren Empfindungen nicht glcklicher gemacht hat.70 Der Mensch versprt also ein gewisses Unbehagen in der Kultur. Der wichtige Schritt hierbei ist ganz im Sinne Hobbes die Ersetzung der Macht des Einzelnen durch die der Gemeinschaft71, wobei es fast scheint, die Schpfung einer groen menschlichen Gemeinschaft wrde am besten gelingen, wenn man sich um das Glck des Einzelnen nicht zu kmmern brauchte.72 Freud betont, da bei der von der Macht der Gemeinschaft sanktionierten Setzung des Rechts (noch) nicht ber den ethischen Wert

eines solchen Rechts73 entschieden werden kann. Die Forderung nach Gerechtigkeit ist im Verlauf der kulturellen Entwicklung der Setzung eines Rechts nachgeordnet. Angestrebt wird nach Freud eine Art Verteilungsgerechtigkeit, das heit jeder innerhalb der Gemeinschaft sollte in gleichem Mae zur Entsagung bestimmter Triebforderungen verpflichtet werden, denn ein solch kollektives Triebopfer74 frdert ber die allgemeine Anerkennung der Gesetzgeber (Hobbes Staatsvertrag) hinaus auch die Legitimierung der Gesetze selbst, wobei die Person des Machthabers einen Teil ihrer Macht an die Institution Gesetz abtreten mu. Der an Arbeiterbewegung und Klassenkampf gemahnende Ausdruck der Verteilungsgerechtigkeit scheint seine Berechtigung zu besitzen, wenn man sich das von Freud hufig benutzte Vokabular aus dem Bereich der Wirtschaft vergegenwrtigt. Spricht er doch beispielsweise bei der Befriedigung von Triebanlagen als der konomische(n) Aufgabe unseres Lebens75, also der konomischen Kompensation der Triebopfer76 durch die Sublimierung. Bis dahin referiert Freud viel Altbekanntes, doch an dieser Stelle wird es interessant, bei der Bedeutung der Kultur fr den Einzelnen. Dieser rechnet anhand eines Abwgens von Kosten und Nutzen die Vor- und Nachteile aus, welche ihm die Kultur bringt das er sich ihr unmglich entziehen kann, spielt dabei keine Rolle. Da Freud triebhafte Leidenschaften strker einschtzt als vernnftige Interessen77, mu er neben der Aggressionslust andere, dieser Lust entgegengesetzte Triebe anerkennen, wie etwa den Sexualtrieb. Nun liee sich der Sexualtrieb auch durch die Anwendung von Gewalt befriedigen; Freud konstruiert also das Modell der zielgehemmten Liebesbeziehung, eine zwischenmenschliche Beziehung ohne Fortpflanzungsabsicht, sozusagen der Gemeinschaftssinn. Zur Erfllung dieses Verlangens mu die Kultur die ihr entgegenstehende Aggression hemmen. Und wie das funktioniert, erklrt Freud anhand der Entwicklungsgeschichte des Einzelnen, er nimmt also eine Analogie in der Entwicklung von Kultur und Individuum an. Die Aggression wird introjiziert, verinnerlicht, eigentlich aber dorthin zurckgeschickt, woher sie gekommen ist, also gegen das eigene Ich gewendet. Dort wird sie von einem Anteil des Ichs bernommen, das sich als ber-Ich dem brigen entgegenstellt, und nun als Gewissen gegen das Ich dieselbe strenge Aggressionsbereitschaft ausbt, die das Ich gerne an anderen, fremden Individuen befriedigt htte. Die Spannung zwischen dem gestrengen ber-Ich und dem ihm unterworfenen Ich heien wir Schuldbewutsein; sie uert sich als Strafbedrfnis. Die Kultur bewltigt also die gefhrliche Aggressionslust des Individuums, indem sie es schwcht, entwaffnet und durch eine Instanz in seinem Inneren, wie durch eine Besatzung in der eroberten Stadt, berwachen lt78

Die Einschrnkung der Freiheit des Einzelnen bringt somit die Einfhrung der Moral fr das Kollektiv, denn was ist die Moral schlielich anderes als die Summe einzelner Gewissen. Wie kommt es nun genau zu diesem Schuldbewutsein, wenn Freud ein ursprngliches, sozusagen natrliches Unterscheidungsvermgen fr Gut und Bse ablehnt79? Das Motiv fr die freiwillige Annahme einer Moral zustzlich zu den bestehenden Gesetzen, welche in Einzelfall durchaus als oktroyiert empfunden werden knnen, sieht Freud in der Angst vor dem Liebesverlust80 begrndet. Und deshalb ist das Gewissen auch wirksamer als das Gesetz, weil es die Absicht der Ausfhrung gleichachtet81. Wenn Schiller den Grafen von Leicester ber das Inquisitionsgericht sagen lt, da dort Gedanken selber vor Gericht gestellt82 werden, dann steht dieses fr den Wunsch der Herrschenden auf das Eindringen des Politischen in das Private. An zwei Stellen wird in dem Stck auf die Freiheit der Gedanken hingewiesen, und darauf, da sie sich der staatlichen Kontrolle entziehen.83 Zur Aufrechterhaltung einer reibungslos funktionierenden gemeinschaftlichen Ordnung reicht die einfache Befolgungsforderung von Gesetzen oft nicht aus,84 erst die Internalisierung von Autoritt schafft eine wirksame Abschreckung. Dazu ist es dann berhaupt nicht notwendig, den Tter ffentlich eines Gedankendelikts (Orwells Deldenk) zu berfhren; die Bestrafung bernimmt er auf subtilere Weise selbst. Da sich vor dem ber-Ich nichts verbergen lt, auch Gedanken nicht85, peinigt das ber-Ich das sndige Ich mit den nmlichen Angstempfindungen86. Auf dieser zweiten Stufe entwickelt das Gewissen eine unbehagliche Eigendynamik, denn es benimmt sich (...) um so strenger und mitrauischer, je tugendhafter der Mensch ist, so da am Ende gerade, die es in der Heiligkeit am weitesten gebracht, sich der rgsten Sndhaftigkeit beschuldigen.87 Es gibt also zwei Ursprnge des Schuldgefhls, den aus der Angst vor der Autoritt und den spteren aus der Angst vor dem ber-Ich.88 Das erstere dringt ganz im Sinne Hobbes somit auf den Verzicht von bestimmten Triebbefriedigungen, weil man die Liebe der ueren Autoritt, des Beschtzers, nicht verlieren will. Hier sollte sich das Schuldgefhl eigentlich erbrigen, da durch das Verzichten auf Triebbefriedigung das Wohlwollen des Beschtzers erkauft wird die oben angesprochene Kosten-Nutzen-Rechnung ist damit ausgeglichen. Anders verhlt es sich im zweiten Fall: Fr Freud ist die Gewissensbildung ein groer konomischer Nachteil der ber-Ich-Einsetzung89, weil der Triebverzicht hier nun keine voll befreiende Wirkung mehr (hat), die tugendhafte Enthaltung wird nicht mehr durch die Sicherung der Liebe gelohnt, fr ein drohendes ueres Unglck (...) hat man ein andauerndes inneres Unglck, die Spannung des Schuldbewutseins, eingetauscht.90 Noch einmal zurck zur Analogie in der Entwicklung von Kultur und Individuum.

Fassen wir aber die Beziehung zwischen dem Kulturproze der Menschheit und dem Entwicklungs- und Erziehungsproze des einzelnen Menschen ins Auge, so werden wir uns ohne viel Schwanken dafr entscheiden, da die beiden sehr hnlicher Natur sind, wenn nicht berhaupt derselbe Vorgang an andersartigen Objekten. (...) aber bei der Gleichartigkeit der Ziele hier die Einreihung eines Einzelnen in eine menschliche Masse, dort die Herstellung einer Masseneinheit aus vielen Einzelnen kann die hnlichkeit der dazu verwendeten Mittel und der zustande kommenden Phnomene nicht berraschen. (..) In der individuellen Entwicklung fllt (...) der Hauptakzent meist auf die egoistische oder Glcksstrebung, die andere, kulturell zu nennende, begngt sich in der Regel mit der Rolle der Einschrnkung. Anders beim Kulturproze; hier ist das Ziel der Herstellung einer Einheit aus den menschlichen Individuen bei weitem die Hauptsache, das Ziel der Beglckung besteht zwar noch, aber es wird in den Hintergrund gedrngt.91 Die beiden Bestrebungen nach individuellem Glck und menschlichem Anschlu sind oft gegenstzlich, der Kampf zwischen Individuum und Gesellschaft92 kann bei unzureichender Kompensierung durch Triebsublimierung zur Ausbildung von Neurosen beim einzelnen Menschen fhren. Das ber-Ich funktioniert der Form nach bei jedem gleich, doch kann sein Inhalt je nach Wissen und Erfahrung des Einzelnen variieren. Hier fhrt Freud die Analogie in die andere Richtung zurck, indem er behauptet, da auch die Gemeinschaft ein ber-Ich ausbildet, unter dessen Einflu sich die Kulturentwicklung vollzieht.93 Die in diesem kollektiven ber-Ich sich ausdrckende Moral ruht auf dem Eindruck, den groe Fhrungspersnlichkeiten hinterlassen haben, Menschen von berwltigender Geisteskraft oder solche, in denen eine der menschlichen Strebungen die strkste und reinste, darum oft auch einseitigste, Ausbildung gefunden hat.94 Wie beispielsweise Knige oder Kniginnen, die auch oder gerade in literarischer Bearbeitung auf die Menschen wirken, wre dabei anzumerken. Ein anderer Punkt der bereinstimmung ist, da das Kultur-ber-Ich genau wie das des Individuums Idealforderungen aufstellt, deren Nichtbefolgung durch Gewissensangst gestraft wird.95 Doch sind einem die dazugehrigen seelischen Vorgnge seitens der Masse vertrauter, dem Bewutsein zugnglicher, als bei einem selbst. Beim Einzelmenschen treten oft nur die Aggressionen des ber-Ichs im Falle der Spannung als Vorwrfe zutage, whrend die Forderung selbst unbewut bleibt. Erkennt man sie aber, so wird offenbar, da sie mit den Vorschriften des Kulturber-Ichs zusammenfallen. An dieser Stelle sind sozusagen beide Vorgnge, der kulturelle Entwicklungsproze der Menge und der eigene

des Individuums regelmig miteinander verklebt.96 In welch hohem Mae mu dies fr Richard, Bolingbroke, Maria und Elisabeth zutreffen, sitzen sie doch quasi an den Schnittstellen dieser beiden Vorgnge. In diesem Zusammenhang spricht Freud die Mglichkeit an, ganze Kulturen als Neurotisch zu diagnostizieren. So wie die Kontinuitt der Herrschaftsform als Voraussetzung fr ihren uerlichen Reprsentationscharakter gesehen werden kann, so bildet die Kontinuitt der Institutionen und Gesetze die Voraussetzung der Ausbildung von Verinnerlichung.

3. Die Verinnerlichung des EhrbegriffsAls Beispiel der Neurose einer ganzen Kultur mag vielleicht der Wandel des Begriffs der Ehre dienen. Ausgehend von den berhmten Worten Falstaffs, die Shakespeare ihm in den Mund gelegt hat, soll in diesem Kapitel die Verinnerlichung des Ehrbegriffs beschrieben werden: Can honour set to a leg? no: or an arm? no: or take away the grief of a wound? no. Honour hath no skill in surgery, then? no. What is honour? a word. What is that word honour? air. A trim reckoning! Who hath it? he that died o Wednesday. Doth he feel it? no. Doth he hear it? no. Tis insensible, then? yea, to the dead. But will it not live with the living? no. Why? detraction will not suffer it. Therefore Ill none of it: honour is a mere scutcheon: - and so ends my catechism.97 Wenn Falstaff gegen die Ehre anredet, dann zeigt das nur, da Shakespeare hier gegen etwas Vorhandenes anschreiben mu. August Wilhelm Schlegel bersetzt gut 200 Jahre spter diese Beschreibung der Ehre als ein Wort, Luft, eine feine Rechnung und nichts als ein gemalter Schild beim Leichenzuge98, wobei die Problematik der eigenartigen Substanzlosigkeit genauso aktuell geblieben ist, nur hat sich der Akzent in der Zwischenzeit ein wenig verlagert. King Richard II. beginnt mit Bolingbrokes und Mowbrays gegenseitiger Bezichtigung des Hochverrats; beide versuchen, ihre jeweilige Anschuldigung durch persnliche Beschimpfung des anderen und Verweis auf die eigene Ehrhaftigkeit zu sttzen. Htte Knig Richard nicht ein Duell zur (Gottes-)Urteilsfindung befohlen, die beiden Adeligen mten sich allein schon wegen der zugefgten Beleidigungen schlagen. Richards Befehl ist ntig, weil beide die Lieferung eines echten Beweises ihrer Behauptungen schuldig bleiben und der Verweis auf die Ehre nicht entscheiden kann, da beide sie in gleichem Mae besitzen.99

Thomas Hobbes erkennt zwei Arten der Ehre an: die in Privatbeziehungen geltende natrliche Ehre100 und die Ehre in Bezug auf Staatsangelegenheiten101, wobei paradoxerweise die letztere, hher angesehene Form der Ehre als Vorraussetzung fr erstere angenommen werden darf, was seinen Grund in der damaligen Konstruktion des natrlichen, also von Geburt an gegebenen Adels durch die sich real allmhlich durchsetzende Erblichwerdung der Lehen hat. In beiden angegebenen Zitaten taucht das Wort ffentlich auf, denn blo in der Meinung von unserer Macht besteht das Wesen der Ehre.102 Dies stimmt ganz mit der Hobbesschen Betonung des Scheins und der Reprsentation berein. Die theoretisch immer noch vom Souvern verliehene Ehre bedarf also der nachgeordneten Besttigung durch die ffentlichkeit, allerdings einer bestimmten ffentlichkeit, denn nur ein Mann von Ehre kann einer anderen Person seine Ehrhaftigkeit absprechen; nur der Adel untereinander ist satisfaktionsfhig. Insofern ist die Ehre noch zu Beginn der Neuzeit fr den Adel etwas Selbstverstndliches, da sie stillschweigend vorausgesetzt wird und erst im Verlust zieht die Ehre ffentliche Aufmerksamkeit auf sich.103 Die Ehre bildet also einen vorwiegend oder ausschlielich sozialen Wert, unabhngig vom tatschlichen Wert einer Person. Dabei hat durch das Mittelalter eine Verschiebung stattgefunden, denn auch wenn bereits Aristoteles im vierten Jahrhundert vor Christi die Ehre von allen ueren Gtern das grte104 nennt, so macht er doch klar, da sie keine willkrliche Festsetzung ist, denn die Ehre ist der Tugend Preis, und den Guten wird sie zuerkannt.105 Wie schon an der Kritik des Zeremoniells gesehen, hat sich die Ehre aus der Verbindlichkeit zu Tugend und Moral gelst, ist also immer mehr inhaltslose Konvention geworden. Und so knnen einerseits Bolingbroke und Mowbray auf ihre Ehre pochen und Falstaff sie andererseits verwerfen; die Ehre ist eben ueres Ansehen und hat nichts mit inneren Werten zu tun. Falstaff verwirft die Ehre ja, weil er nicht wegen ihr in die Schlacht ziehen will, was deshalb so bemerkenswert ist, da er der klare Sympathietrger des Stcks ist und nicht etwa wegen Feigheit vor dem Feind fehlender Tugend, Mut und Tapferkeit, bezichtigt wird. An dieser Stelle ist Shakespeare ein frher Kritiker des Ehrbegriffs seiner Zeit und ihr damit ausnahmsweise voraus. Mit dem Fortschreiten dieser Entwicklung huft sich auch das Konfliktpotential zwischen Wahrung der Ehre und moralisch richtigem Handeln, mitunter stehen die beiden Punkte einander entgegengesetzt, etwa wenn der Vater meint, seine entehrte Tochter zur Wiederherstellung seiner eigenen und der Familienehre tten zu mssen.106 Dieses Konfliktpotential ist fr die europische Literatur zwischen 1500 und 1900 ein nahezu unerschpfliches Reservoir fr ihre Bearbeitung des Sujets der Ehre.107 Der Souvern selbst brigens hat nicht Ehre, er ist die Ehre108, und als ihr Quell kann er folglich auch nicht mit ihr in Konflikt geraten. Dieser Ehrenpunkt ist also eine Ethik der ffentlichkeit.109 Freud nennt die Ethik die wundeste Stelle jeder Kultur (...). Die Ethik ist also als

ein therapeutischer Versuch aufzufassen, als Bemhung, durch ein Gebot des ber-Ichs zu erreichen, was bisher durch sonstige Kulturarbeit nicht zu erreichen110 gewesen ist. Die Therapie ist ntig geworden, um der durch die Strenge der Gebote verursachten Neurose entgegenzuwirken. Sie hat allerdings ihre Wirkung verloren, denn der in Duellen und Rache zur Auslschung einer Schande ausgelebte Aggressionstrieb ist in unserem modernen Zivilisationskreis verworfen worden. Mit der in Kapitel 1.2.b) beschriebenen Ausdifferenzierung der Gesellschaft verwischen die Grenzen zwischen privat und ffentlich zusehends, die Trennung wird unscharf. Im Zuge dieser Ausdifferenzierung kommt es zu einer Entwicklung, die Harald Weinrich als begrenzte Demokratisierung der Ehre111 bezeichnet. Sie besteht in einer Ausweitung des Personenkreises, der sich den Ehrenpunkt aneignet, beginnend mit der Schicht der Akademiker und Studenten, die nun berechtigt, sind als ueres Zeichen ihrer Satisfaktionsfhigkeit einen Degen zu tragen. Es folgen aus dem Grobrgertum weiterhin der Amtsadel, dessen Angehrige zunehmend dem Schwertadel gleichgestellt werden112 und mit dem Aufkommen des Parlamentarismus greifen auch die Politiker nach den Insignien der Ehre. Schlielich bemhen sich bestimmte Kaufleute um Einla in das Reservat der Ehrenkaste113, indem sie sich als Grokaufleute bezeichnen und damit vom kleinen Kaufmann und Krmer abgrenzen wollen. Interessant ist dabei folgendes: Dieser Grokaufmann prpariert dann aus dem komplexen Wirtschaftsgefge als Kriterium intakter Ehre den Begriff der Zahlungsfhigkeit (Solvenz) heraus und frchtet als seine uerste Schande die Erklrung der Insolvenz, den Bankerott.114 In seinem Hauptwerk Vom Geist der Gesetze teilt Montesquieu die Regierungsformen in drei Einheiten, wobei er jeder einen sie auszeichnenden Begriff zuordnet: fr die Despotie ist das die Furcht, fr die Monarchie die Ehre und fr die Demokratie die Tugend. Die erste Form mag hier nicht interessieren, aber ein Vergleich der Aussagen Montesquieus ber die beiden letzten ist fr dieses Thema sicherlich erhellend. Vereint mit der Kraft der jeweiligen Gesetze erachtet er Ehre und Tugend in den ihnen zugeordneten Regierungsformen als Triebfeder fr politisches Handeln fr gleichwertig, beide knnen dann zu den schnsten Taten begeistern115. Die sind allerdings verschieden motiviert, denn fr die demokratische Tugend mu man den Willen haben, es zu sein und den Staat um seiner selbst willen ohne Eigennutz lieben116, whrend das Wesen der Ehre darin liegt, nach Befrderung und Auszeichnungen zu streben117 Das Fundament des demokratischen Staates ist eben die Gleichheit seiner Brger, das der Monarchie die Hierarchie, und so ist bei ersterer der Ehrgeiz gefhrlich, fr letztere aber ntzlich. Montesquieu bedient sich eines Vergleichs mit der Ordnung des Weltalls, wo es eine Kraft gibt, die alle Krper stndig vom Mittelpunkt fliehen lt, und die Schwerkraft, die sie dahin zurckzieht.118 So trgt in der Monarchie jeder zum Gemeinwohl bei, auch wenn er glaubt bei seinem Streben nach

Ehre nur seine Sonderinteressen zu verfolgen. In Abgrenzung zur Despotie ist die Sichtweise Montesquieus auf die monarchische Herrschaft schon entscheidend moderner als die obige Beschreibung, weil der Frst nicht ganz willkrlich regieren kann, auch er mu sich bestimmten gesellschaftlichen Normen unterwerfen, die er nur bedingt zu beeinflussen in der Lage ist; namentlich ist dies neben den Normen der Religion der Ehrenkodex. Der Frst kann also nichts befehlen, was im Gegensatz zu dem vorherrschenden Kodex der Ehre steht, weil die Ehre ihre eigenen unbeugsamen Gesetze und Regeln hat und nur von ihrer eigenen Laune, nicht aber der eines anderen abhngen kann119 Deshalb kann sie ihren Platz nur in Staaten mit einer festen Verfassung und sicheren Gesetzen finden.120 In diesen monarchischen Staaten steht die Ehre, die ihrerseits wie ein Monarch ber Frst und Volk regiert121, ber den Anweisungen der Religion, bei deren Befolgung sich ein Hfling (...) lcherlich vorkommen (wrde)122. Philosophisch gesehen ist freilich diese Ehre, die alle Glieder des Staates lenkt, eine falsche Ehre; aber diese falsche Ehre erweist sich fr die Allgemeinheit als ebenso ntzlich, wie es die wahre Ehre fr den einzelnen sein wrde, wenn er sie erlangen knnte.123 Was Montesquieu nun mit der wahren Ehre meint, lt sich an dem Artikel Ehre in Zedlers Unversallexikon festmachen. Dort wird analog zu der wertend gemeinten Unterscheidung von wahr und falsch der rein begriffliche Unterschied zwischen innerer und uerer Ehre erklrt. Die innere Ehre bezeichnet hier den Verdienst eines Menschen, den er durch sich selbst erwirkt hat, das heit durch Tapferkeit, Gelehrsamkeit oder eine andere ihm zukommende Tugend. Die uere Ehre wird im Zedler verstanden als usserlicher Vortheil124, den man von anderen zuerkannt bekommt, entweder durch die Obrigkeit oder die ffentlichkeit. Die Ehre insgesamt wird eine Meynung125 genannt, und der Verfasser des Artikels gibt dem Leser am Schlu den Rat, ein vernnftig Maa126 zwischen dem Streben nach innerer und uerer Ehre zu suchen. Ende des 17. und vor allem im 18. Jahrhundert bildet sich besonders in Frankreich die philosophische Richtung der Moralisten (z. B. Montaigne, La Rochefoucauld, La Bruyre), deren Einflu es unter anderem zu verdanken ist, da sich die Gewichtung dieses Maaes zugunsten der inneren Ehre verschiebt. Diese neue Bewertung findet ihren Ausdruck etwa in einem Vers aus Schillers Maria Stuart, wenn Burleigh Marias Hter deren Ermordung mit dem Argument schmackhaft macht, er wrde durch die im Verborgenen auszufhrende Tat in der Gunst von Knigin Elisabeth steigen, und diesen Vorschlag mit dem Hinweis beschliet: Und Euer Ruf bleibt rein., Hter Paulet dem aber entgegnet: Nicht mein Gewissen.127 Das nun immer mehr auf der inneren Tugend statt auf

uerer Anerkennung fuende Verstndnis von Ehre geht einher mit der aufklrerischen Forderung nach dem Ausgang aus der Unmndigkeit. Statt von der Gnade und Ungnade anderer abhngig128 zu sein, was den Menschen zwingt, sich in Sitten, Gefhlen und Benehmen nach dem Beispiel und den Vorurteilen anderer zu richten129, soll er sein eigener Herr werden. Dazu bedarf es keiner Auszeichnung durch die Obrigkeit, jeder soll sein Leben nach seinen eigenen Mastben verwirklichen, die wiederum zu einem guten Teil vom sozial vermitteltem Gewissen, dem ber-Ich Freuds, bestimmt werden. Der Begriffs der Ehre entwickelt sich somit vom ffentlichen Ansehen weg hin zum eigenen Gewissen. 3.1. Zum Beispiel das Beispiel: Duelle in der Literatur

Es soll an dieser Stelle nochmals daran erinnert werden, da der Wandel des Ehrbegriffs nur als Beispiel fr den umfassenderen Proze der Verinnerlichung von Werten beschrieben worden ist wenn er auch einen mageblichen Anteil daran hat. Duelle wiederum sind ein Beispiel, an dem sich dieser Wandel gut ablesen lt, die Literatur hat sich dieses dankbaren Stoffes oft angenommen und ihn in den verschiedensten Darstellungsweisen beschrieben. Es soll auch dazu dienen zu zeigen, da sich das neue Selbstbewutsein des aufstrebenden Brgertums nicht ganz so selbstverstndlich entwickelt hat, wie die etwas verkrzende Darstellung in Kapitel 1.2.b) glauben macht, der Blick soll hier etwas differenzierter werden. Es gibt zwei Arten, die infragegestellte Ehre wiederherzustellen, entweder in der geheimen Form durch Rache oder mit einem Duell, das zur Besttigung die ffentlichkeit braucht. Im Laufe der Institutionalisierung von Macht hat sich die Meinung herausgebildet, der Staat msse im Besitz des Gewaltmonopols sein, er konnte die Fehde also nicht lnger dulden. Das Duell als Gottesurteil ist interessanterweise vor allem auf Drngen der Kirche abgeschafft worden, als Argument galt neben der Unmenschlichkeit dieser Form der Entscheidungsfindung hauptschlich die Mglichkeit zu deren Instrumentalisierung, das heit der physisch Strkere hat sich unliebsamen Schwcheren, die ihm dafr in geistiger Hinsicht berlegen gewesen sind auf diese Weise unter irgendeinem Vorwand relativ gefahrlos entledigen gekonnt, ohne das diese sich dagegen zu wehren in der Lage gewesen sind. Die Duelle hren aber nicht auf zu existieren, sie verlagern sich eben in den Privatbereich, als Mittel zur Beilegung von Ehrenhndeln. Theoretisch stellt der Staat ihre Durchfhrung unter Berufung auf sein Gewaltmonopol relativ schnell unter Strafe, in der Praxis jedoch werden Duelle noch sehr lange Zeit geduldet; man sieht grozgig weg oder die Strafen fallen sehr gering aus. So mssen die Duelle im Geheimen ausgetragen werden man kennt die einsame Waldlichtung im Morgengrauen als ihren bevorzugten

Austragungsort , bedrfen aber andererseits zwecks Besttigung der Anwesenheit von ausgewhlten Zeugen. Fr diese Art der Duelle ist, anders als bei den frheren Gottesurteilen, der Ausgang nicht mehr entscheidend fr die Frage der Ehre. Allein da man sich einem solchen Zweikampf mit potentiell tdlichem Ende fr mindestens einen der Teilnehmer stellt, der so zur Schau gestellte Mut beweist die Ehrhaftigkeit beziehungsweise stellt sie wieder her. Das Problem der Instrumentalisierung bleibt trotzdem bestehen, durch eine persnliche Beleidigung kann man so auch einen politischen Gegner beseitigen. Dabei soll nochmals auf Schmitt hingewiesen werden: Zwar nennt er den persnlichen Feind eben nicht Feind, sondern Gegner, trotzdem kann man seinem Begriff des Politischen durchaus einige lohnende Aspekte abgewinnen. Die Unterscheidung von hostes und inimicus und die damit verbundene Tatsache der Beschrnkung des Politischen auf den Geltungsbereich des Staatlichen knnen doch nicht darber hinwegtuschen, da Duelle fr andere Zwecke als die Wiederherstellung der Ehre instrumentalisiert worden sind. Die Beleidigung geht oftmals mit der Berechnung einher, freilich nicht nur auf das Feld der Politik bezogen.130 Als ein solcher Fall darf das Duell Giacomo Casanovas mit dem polnischen Grafen Branicki gelten. Aus Rache, da Casanova aus diplomatischen Grnden eine Konkurrentin untersttzen mu, stiftet die Tnzerin Anna Binetti ihren Liebhaber, eben den Grafen Branicki, dazu an, mit ihrem alten Freund aus Stuttgarter Zeiten die Auseinandersetzung zu suchen.131 Das fllt dem Grafen um so leichter, als zu dieser Zeit wir befinden uns im Jahr 1766 bereits ein regelrechter, wenn auch ungeschriebener Katalog von Beleidigungen existiert, auf die nicht anders als mit einer Duellforderung zu reagieren ist, will man nicht seinen Ruf verlieren.132 Branicki nahm die Forderung an, obwohl Casanova nicht seinem Stand entsprach. Was an dem Vorfall vor allem noch bemerkenswert ist, ist die Hflichkeit, mit der die beiden Kontrahenten die Modalitten des bevorstehenden Duells aushandeln. berraschen kann es dagegen nicht, bedenkt man den Begriff des Zeremoniells, denn es geht ja gar nicht um persnliche Gefhle obwohl die durch eine vorstzliche Beleidigung gekrnkt worden sind , es geht einzig um die emotionslose Wahrung der Form.133 Ein anderes Beispiel ist Stanley Kubricks Verfilmung des 1844 erschienenen Romans Die Memoiren des Barry Lyndon von William Makepeace Thackeray. Kubrick ist bekannt dafr, anders als Shakespeare oder Schiller, die auch in der Bearbeitung historischer Stoffe gerne Anspielungen auf ihre eigene Zeit einstreuen, da er bei seinen Filmen sehr viel Wert auf Authentizitt legt. Die Duelle von Barry Lyndon gehen, abgesehen von dem letzten gegen seinen eigenen Stiefsohn, nur uerlich um die Ehre, ihr eigentlicher Grund ist das Geld, denn die Hauptfigur verdient ihren Lebensunterhalt als professioneller Spieler. Oft verweigern

die Verlierer die Zahlung mit der Begrndung, Lyndon htte unehrlich gewonnen; nicht umsonst heit es: Spielschulden sind Ehrenschulden. Der Aufstieg des Redmond Barry zu Barry Lyndon nimmt seinen Anfang mit seinem Eintritt in militrische Dienste, er kmpft unter anderem im Siebenjhrigen Krieg auf der Seite Preuens. Im preuischen Militr ist der Begriff der Ehre, wie in jeder europischen Armee dieser Zeit, noch durch das gesamte 19. Jahrhundert hindurch besonders hochgehalten worden. Auch wenn schon Rousseau, der sich bezeichnenderweise nur an einer Stelle im Emil mit der mnnlichen Ehre auseinandersetzt und allein diese Tatsache, da er in einem pdagogischen Werk der Ehre einen so geringen Platz einrumt, lt Rckschlsse auf ihren Stellenwert fr den Autor zu , in deutlichen Worten das Tun und Ehrgehabe dieses Standes verwirft,134 dauert es doch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, bis seine Sichtweise wenigstens mehrheitsfhig ist. Die Verherrlichung des Militrs, in deren Bann weite Teile der Gesellschaft noch bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs geraten sind, ist bekannt und braucht hier nicht nher erlutert werden. Noch whrend des zweiten Kaiserreichs bildet das Militr einen Staat im Staate135, der dank eigener Gerichtsbarkeit nahezu ungehindert seinen Ehrenhndeln nachgehen kann, in die immer wieder auch andere Brger verwickelt werden oder diese Verwicklung auf der Suche nach Anerkennung sogar gezielt suchen. Mit der Einfhrung der allgemeinen Wehrpflicht, der Verbrgerlichung des Offizier-Standes und dem Aufbau eines Reserveoffizierkorps steigerte sich der Einflu, den die Armee auf die brgerlichen Verhltnisse auszuben vermochte.136 Nach der politisch letztendlich gescheiterten Revolution von 1848/49 nimmt der Widerstand gegen den Versuch, eine spezielle stndische Ehrenhaftigkeit der allgemeinen brgerlichen Ehrenhaftigkeit zu substituieren137 merklich ab. Im Vormrz ist noch vermehrt die Meinung vertreten worden, die Ehre des Brgers liege in seinem Rechtsbewutsein, ehrenhaftes Verhalten fiele also mit der einfachen Befolgung der Gesetze zusammen. Das als Ehrensache geltende Duell als schlichtes Kriminaldelikt zu betrachten, setzte sich nicht durch. Fr diese eigenartige Zwitterstellung seien noch zwei literarische Beispiele angefhrt, beide in den 1880er Jahren verffentlicht. In Theodor Fontanes Roman Ccile duellieren sich zwei ehemalige Militrs, der eine, St. Arnaud, eher alte Schule, trauert der Dienstzeit hinterher, whrend der andere, von Gordon-Leslie, sie nur als Karrierestation genutzt hat und jetzt Erfllung im brgerlichen Beruf des Ingenieurs findet.138 Ccile, eher unglcklich mit St. Arnaud verheiratet, findet in Herrn Gordon, wie dieser sich der Einfachheit halber nennen lt, einen guten Freund; es kommt nicht zur Liebschaft, doch der Gatte sieht sich und seine Frau in der Ehre verletzt und fordert den Nebenbuhler ohne das Wissen Cciles zum Duell auf Pistolen. Dabei stirbt Gordon, St. Arnaud flieht vor der Strafverfolgung an die Riviera und die unglckliche Gattin begeht, nachdem sie von dem Vorfall erfahren hat, Selbstmord. Die Einstellungen der beiden Gegner,

die fr die Epoche als exemplarisch gelten drfen, sind in dem Roman sehr treffend zum Ausdruck gebracht. Trotz seiner ganzen Modernitt kann Gordon sich dem Duell nicht entziehen, wobei offen bleibt, ob er nur um seine eigene Ehre besorgt ist oder hofft, nach Arnauds mglichem Tod dessen Stelle einzunehmen. In Guy de Maupassants Roman Bel Ami hat der dem Roman den Titel gebende Protagonist ein Duell aus eigentlich nichtigem Anla, der vielmehr ein Miverstndnis ist. Es handelt sich dabei um einen etwas ausgeschmckten Zeitungsartikel, dem eine flschlich wiedergegebene Meldung zugrundegelegen hat, aber auch den Journalisten wird hier eine eigene Berufsehre139 zugesprochen, auf welche die Hauptfigur um so mehr hlt, als sie frher beim Militr gedient hat. Als der stets Bel Ami genannte Duroy einem Reporterkollegen, der fr den Gesellschaftsteil zustndig ist, von dem Vorfall erzhlt, berredet dieser ihn quasi zu der Duellforderung. Duroy zeigt sich unentschlossen140 und in solchen Dingen unerfahren, so arrangiert der Klatschreporter die Details und legt dabei einen Elan an den Tag, der auf die Vorfreude auf einen Exklusivbericht schlieen lt. Die Angst Duroys vor dem Duell wird eindringlich beschrieben, doch nach dem Schuwechsel bleiben beide Kontrahenten unverletzt und sind froh, dieses Ritual heil berstanden zu haben. Der als Sekundant fungierende Reporterkollege gibt sich ber den unspektakulren Ablauf ungehalten.141 Fr Duroy wie fr seinen Gegner ist es nun das Wichtigste, am Abend mit der etwas bertriebenen Erzhlung ihres Todesmuts in den Nachtcafs anzugeben. Von einer strafrechtlichen Verfolgung ist im Roman nicht die Rede. Es hat also noch eine ganze Weile gedauert, bis das Brgertum seine Eigenstndigkeit durchzusetzen vermocht hat; bis dahin bt es sich in Anpassung an die militaristisch geprgte Gesellschaftskultur. Schon Rousseau hat diese Anbiederung als Scheingrundsatz142 des Brgers bezeichnet, doch zwischen den ersten Erwhnungen einer neuen Denkart und deren endgltiger Durchsetzung vergeht meistens eine lange Zeit.

SchluDer Wandel des Regentenmodells als der gelungene Versuch den Herrscher ins Gesellschaftsbild zu integrieren statt ihn darber schweben zu lassen, die Ausbildung des ber-Ichs, kurz: die Verinnerlichung von Werten wie der Ehre bilden die Grundlage der demokratischen Ordnung (West-)Europas, wahrscheinlich sind es Teile der Voraussetzung jeder Demokratie. Wo die Voraussetzungen mit den Folgen, also Ursache und Wirkung, verwechselt werden, ergeben sich Probleme, wie die derzeitigen Bemhungen in der Welt deutlich zeigen; eine Gesellschaft, ein Land mu fr die Demokratie bereit sein.

Als Zweck dieser Verinnerlichung, kann man den Wunsch erkennen, eine Kongruenz von Legalitt und Legitimation (so der Titel eines anderen Werkes von Carl Schmitt) zu erreichen, oder von Recht und Gerechtigkeit, wie es bei Freud heit.143 Nur so lt sich das staatliche Gewaltmonopol rechtfertigen und kann die demokratische Ordnung dauerhaft funktionieren und damit letztendlich auch bestehen. Die zunehmend konstitutionell sowie normativ eingebundene Regierungsgewalt, weiter oben als Institutionalisierung von Macht bezeichnet, setzt der Willkrlichkeit immer engere Grenzen. Die Moral lt sich als ein Abwgen von Mittel und Zweck verstehen, dies gilt nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch in der Wirtschaft und allen anderen Bereichen. Ein anderer Effekt der Demokratisierung und der Entwicklung von personaler Herrschaft zu staatlicher Macht, ist die Tatsache, da statt der Obrigkeit nun die Nation Quelle der Ehre wird, was in Deutschland zuletzt die Nationalsozialisten erfolgreich fr ihre Zwecke zu nutzen gewut haben.144 Mit der prinzipiellen Gleichheit aller Brger wird das alte Verstndnis von Ehre, welches auf der Abgrenzung bestimmter Gesellschaftsschichten fut, obsolet. Weinrich weist aber auch darauf hin, da durch die Bedeutungsverschiebung des Begriffs der Ehre keine wirkliche Lcke entstanden ist, er ist nur durch andere ersetzt worden. Es bleibt aber bei der Vernderung, da die Grundlage von Ansehen oder Prestige nicht mehr vornehmlich durch staatliche Auszeichnungen, sondern durch eigene Leistungen gelegt wird, oder zumindest durch deren mediale Darstellung. Die demokratische Botschaft lautet: Jeder kann es schaffen, berhmt zu werden ob er es wirklich verdient, ist eine andere Frage. Ein kurzer Vergleich zwischen Trgern des Bundesverdienstkreuzes und sogenannten Stars macht das schnell deutlich, doch ist dies nicht der Ort, die Mediokratie unserer Tage wegen der Generierung eines neuen Scheins zu kritisieren.

LiteraturangabenAristoteles, Nikomachische Ethik, Hamburg 1985 Casanova, Giacomo, Geschichte meines Lebens, hrsg. v. Erich Loos, 17 Bd., Berlin 1966 Bruyn, Gnter de, Preuens Luise. Vom Entstehen und Vergehen einer Legende, Berlin 2002 Hobbes, Thomas, Leviathan, Stuttgart 1980 Fontane, Theodor, Ccile, Berlin und Weimar 1969 Freud, Sigmund, Das Unbehagen in der Kultur, in: Studienausgabe, Bd. IX, Frankfurt am Main 2000, S. 197-270 Frevert, Ute, Ehrenmnner. Das Duell in der brgerlichen Gesellschaft, Mnchen 1995 Maupassant, Guy de, Bel Ami, Kln 1996 Montesquieu, Charles de Secondat, Vom Geist der Gesetze, 3Bd., Tbingen 1951 Novalis, Glauben und Liebe oder Der Knig und die Knigin, in: Fragmente und Studien. Die Christenheit oder Europa, Stuttgart 1996, S. 42-58 Pauls, Eilhard Erich, Die Revolution der Knigin Luise, in: Hrsg. unbekannt, Die Revolution der Knigin Luise. Geschichten aus Mecklenburg, Rostock 1990, S. 7-11. Rousseau, Jean-Jacques, Emil oder ber die Erziehung, Paderborn 1962 Schiller, Friedrich, Maria Stuart, Stuttgart 2001 Schmitt, Carl, Der Begriff des Politischen. Text von 1932 mit einem Vorwort und drei Corollarien, Berlin 1963 Schultz, Uwe (Hrsg.), Das Duell. Der tdliche Kampf um die Ehre, Frankfurt am Main und Leipzig 1996 Shakespeare, William, King Richard II / Knig Richard II. (Englisch und Deutsch), Stuttgart 1996 Weinrich, Harald, Mythologie der Ehre, in: Fuhrmann, Manfred (Hrsg.), Terror und Spiel. Probleme der Mythenrezeption, Mnchen 1971, S. 341-356 Zedlers Universallexikon, Leipzig und Halle ab 1739

AnhangGewissensfrage145 Auf Erdbeerfeldern zum Selberpflcken zahlt man, wenn man fertig ist, fr die Menge an Erdbeeren, die man mitnimmt. Was man whrend des Pflckens gegessen hat, muss man nicht bezahlen. Es gibt auch keine Vorschriften darber, wie viel man direkt auf dem Feld verspeisen darf. Krzlich hatten wir nun eine Diskussion, ob es unmoralisch wre, sich dort den Magen voll zu schlagen und dann nur eine kleine Menge zu kaufen. Wie sehen sie das? GRUNDKURS ETHIK DES STIFTSLANDGYMNASIUMS, TIRSCHENREUTH Die Antwort von Dr. Dr. Rainer Erlinger BEEREN-AUSLESE Offensichtlich kann Vllerei nicht nur krperliche, sondern auch moralische Bauchschmerzen verursachen: Der Esser handelt weder rechtsnoch vertragswidrig und doch so viel sei vorweggenommen nicht richtig. Das Verhltnis von Recht und Moral hat sich im Laufe der Geschichte verndert und bleibt umstritten. Die in archaischen Gesellschaften bestehende Einheit der beiden schwchte sich zunehmend ab, im 18. Jahrhundert vollzogen die Philosophen Christian Thomasius und Immanuel Kant dann eine Trennung zwischen Recht und Moral, die vor allem der individuellen Freiheit diente: Letztlich sollte damit das von den rechtlichen Zwngen freie moralische Handeln des Einzelnen ermglicht werden. Nach dieser Auffassung wre es fr die ethische Beurteilung irrelevant, ob das Tun erlaubt oder verboten ist. So weit wrde ich nicht gehen, aber sicherlich kann fr die Bewertung einer Handlung nicht allein ausschlaggebend sein, ob Nutzungsbedingungen eingehalten werden. Dabei bliebe neben den Folgen die Motivation unbercksichtigt. Die aber halte ich hier fr entscheidend: Will jemand eine kleine Menge Erdbeeren pflcken und it dabei mehr, stellt das eine moralisch unbedenkliche, fr den Kunden gnstige Konstellation dar. Geht er dagegen aufs Feld, um sich voll zu essen, und bezahlt als Alibi ein paar Beeren, nutzt er planvoll eine Lcke aus, mit dem Ziel, den eigenen Nutzen zu maximieren. Das ist verwerflich und hier kann auch nicht das Argument berzeugen, da der Erdbeerbauer die negativen Folgen seiner Geschftsbedingungen in Kauf nehmen muss. Denn dass Kunden ihre Position gnadenlos ausreizen, muss ein Geschftsmann vielleicht wirtschaftlich, nicht aber moralisch einkalkulieren.

Funoten1 Siehe das Nachwort der dieser Arbeit zugrundeliegenden Ausgabe, S. 203. Im folgenden werden die Zitate aus dem Stck selbst nur durch Akt, Szene, Vers, nicht mit den Seitenzahlen angegeben. 2 Zedlers Universallexikon, Bd. 13, Stichwort Hof, Sp. 405f. 3 Wie wichtig die uerlichkeiten in dieser Zeit sind, lt sich hervorragend an der bis zum Ende des Absolutismus stetig wachsenden Literatur zum Thema der Zeremonialwissenschaften, den sogenannten Anstands- oder Benimmbchern, ablesen. Stellvertretend seien hier genannt: J. C. Lnig, Theatrum Ceremoniale Historico, Politicum, Oder Historisch= und Politischer Schau=Platz Aller Ceremonien (...), 2 Bd., Leipzig 1719 und 1720 oder J. B. von Rohr, Einleitung zur Ceremonielwissenschaft Der Privat-Personen. (...) Zweyte vermehrte Edition bey J. A. Rdiger, Berlin 1730. Eine tiefere Beschftigung mit diesem Themenbereich wrde hier den Umfang dieser Arbeit bersteigen. 4 Das Zitat lautet in Gnze (bersetzung): Wir selbst und Bushy beobachteten sein Liebeswerben um das gemeine Volk, wie er mit plumper und familirer Hflichkeit in ihre Herzen einzudringen schien; welche Hochachtung er auf Sklaven verschwendete, wie er mit der List des Lchelns und dem geduldigen Erleiden seines Schicksals arme Handwerker umwarb, als gelte es, ihre Zuneigung in die Verbannung mitzunehmen. Er zieht den Hut vor einem Austernmdchen; einige Fuhrleute wnschten ihm Gottes Segen, und darauf verbeugte er sich mit geschmeidigem Knie mit den Worten Ich danke euch, meine Landsleute, meine lieben Freunde Als sei unser England in Anwartschaft sein und er die nchste Hoffnung unserer Untertanen. I, 4, 23-36. 5 Whrend das Volk von Richard als gemein bezeichnet wird (common people, siehe vorige Funote), hat er fr das Land nur lobende Worte brig (dear oder gentle earth, III, 2, 6 und 12). 6 Siehe dazu denselben Monolog Richards im III. Akt, 2. Szene, Vers 14-18. 7 Not all the water in the rough rude sea / Can wash the balm off from an anointed king; Richard II., III, 2, 54f. 8 Zum Beispiel III, 3, 62f: See, see, King Richard doth himself appear, / As doth the blushing discontentet sun. 9 Wenn Richard sein Verhltnis zum zuknftigen Knig Henry IV. beschreibt: O that I were a mockery king of snow, / Standing before the sun of Bolingbroke, / To melt myself away in waterdrops! IV, 1, 260ff. 10 Denn seinem Verstndnis nach kann niemand sonst ihn rechtlich dazu zwingen. Now, mark me how I will undo myself. / I give this heavy weight from off my head, / And this unwieldy sceptre from my hand, / The pride of kingly sway from out my heart; / With mine own tears I wash away my balm, / With mine own hands I give away my crown, / With mine own tongue deny my sacred state, With mine own breath release all duteous oaths; / All pomp and majesty I do forswear. IV, 1, 203-211. 11 Bezeichnenderweise bersetzt die Reclam-Ausgabe Englands private wrongs mit des Knigs eigene Verfehlungen (II, 1, 166). 12 What says King Bolingbroke? III, 3, 173. 13 As I was banishd, I was banishd Herford; / But as I come, I come for Lancaster. II, 3, 112f. 14 Zu finden im III. Akt, 2. Szene, Vers 85.

15 Es lt sich allerdings keine allgemeine Formel finden, warum er in welcher Situation die eine oder die andere Redeweise benutzt. 16 I, 2, 37f. Diese Beschreibung steht nicht fr die Person des Menschen Richard, sondern fr den jeweiligen politischen Funktionstrger der Herrschaftswrde. Am Ende des Stcks wird Bolingbroke von der Herzogin von York als a god on earth bezeichnet (V, 3, 134). Zur Trennung von natrlichem Menschen und politischem Wrdentrger in der Person des Herrschers, siehe: E. Kantorowicz, Die zwei Krper des Knigs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, Mnchen 1960. 17 Fr das Schillersche Drama wird dieselbe Zitierweise mit Angabe von Akt, Szene und Vers verwendet. Das Zitat findet sich im I. Aufzug, 2. Auftritt, Vers 153. 18 Diese Flitter machen / Die Knigin nicht aus. Man kann uns niedrig / Behandeln, nicht erniedrigen. I, 2, 154-156. 19 Von meinen Dienern getrennt Wo sind sie? / Was ist ihr Schicksal? Ihrer Dienste kann ich / Entraten, doch beruhigt will ich sein, / Dass die Getreun nicht leiden und entbehren. I, 2, 204-207. 20 I, 2, 247f. 21 Z. B. I, 4, 299f: Den Eure Liebe aus der Dunkelheit / Wie eine Gtterhand hervorgezogen. 22 Ritter Paulet, Marias Hter: Solange sie noch besitzt, kann sie noch schaden, / Denn alles wird Gewehr in ihrer Hand. I, 1, 22f. 23 II, 2, 1155. 24 II, 2, 1165-1168. 25 Sehr gut zu sehen an dem Streitgesprch ber die Gerichtshoheit zwischen Maria und ihrem Hter Paulet im I. Aufzug, 7. Auftritt, Vers 698-706: Ich habe keineswegs mich unterworfen. / Nie konnt ich das ich konnte meinem Rang, / Der Wrde meines Volks und meines Sohnes / Und aller Frsten nicht so viel vergeben. / Verordnet ist im englischen Gesetz, / Dass jeder Angeklagte durch Geschworene / Von seinesgleichen soll gerichtet werden. / Wer in der Committee ist meinesgleichen? / Nur Knige sind meine Peers. Da es immer nur eine(n) Knig(in) geben kann und sich kein Staat in die inneren Belange eines anderen einmischen sollte, wre niemand dazu geeignet, eine Knigin zu richten. 26 I, 7, 735f. 27 Erkennbar beispielsweise in Elisabeths Anklage von Marias Onkel: Wen rief er gegen mich nicht auf? / Der Priester Zungen und der Vlker Schwert, / Des frommen Wahnsinns frchterliche Waffen. III, 4, 2339ff. Man denke hier an Carl Schmitts basale Freund-Feind-Unterscheidung, wobei auerpolitische Argumente (z. B. sthetische oder konomische, hier eben religise) zur Verabsolutierung des Konflikts gebraucht werden. Siehe C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, bes. S. 26ff. 28 Wenn auch keine direkte Vergttlichung in Form von Austauschbarkeit, so doch zumindest eine Gleichsetzung. Fluch und Verderben euch, die ihren Gott / Und ihre wahre Knigin verraten! / Die von der irdischen Maria sich / Treulos, wie von der himmlischen gewendet. IV, 4, 2811-2814. Auch fr Elisabeth lassen sich Beispiele finden, etwa wenn sie ber die Liebe des Volkes zu ihr spricht: Abgttisch sind die Zeichen seiner Freude, / So ehrt man einen Gott, nicht einen Menschen. III, 4, 2230f. 29 Etwa wenn Paulet seinem Neffen Mortimer folgenden Rat gibt: Am Hofe / Ward unseres Hauses Ehre nicht gesammelt. / Steh fest, mein Neffe. Kaufe nicht zu teuer! / Verletze dein Gewissen nicht! II, 7, 1669-1672.

30 Zitiert nach dem entstehungsgeschichtlichen Anhang von Dietrich Bode, in: F. Schiller, Maria Stuart, Stuttgart 2001, S. 167. 31 Ebenda, S. 166. 32 Ebenda. 33 Hieraus ergibt sich, da ohne eine einschrnkende Macht der Zustand der Menschen ein solcher sei, wie er zuvor beschrieben wurde, nmlich ein Krieg aller gegen alle. T. Hobbes, Leviathan, S. 115. 34 Ebenda, S. 118: Das Naturrecht ist die Freiheit, nach welcher ein jeder zur Erhaltung seiner selbst seine Krfte beliebig gebrauchen und folglich alles, was dazu etwas beizutragen scheint, tun kann. Freiheit begreift ihrer ursprnglichen Bedeutung nach die Abwesenheit aller ueren Hindernisse in sich. 35 Bolingbroke wird nach der offiziellen Machtbernahme zu Henry IV., dem Shakespeare ebenfalls ein sogar zweiteiliges Theaterstck gewidmet hat. 36 Man mag es Ironie nennen, wenn die zu Lebzeiten Shakespeares regierende Knigin Elisabeth im historischen Rckblick als der Hhepunkt englischer ReprsentanzherrschaftInszenierung gesehen wird. In Schillers Maria Stuart ist davon wenig zu bemerken, wenn der innere Konflikt Elisabeths gerade an der Grenze von ffentlichkeit und Privatheit bhnenwirksam ausgetragen wird. 37 King Richard II., III, 2, 76f. 38 T. Hobbes, Leviathan, S. 81. 39 Ebenda, S. 80. 40 Als Ausdruck dieses neuen Selbstbewutseins kann jenes Buch gelesen werden, das heutzutage und damit im historischen Sinn flschlicherweise als Synonym fr bertriebene Etikette benutzt wird: A. Freiherr von Knigge, ber den Umgang mit Menschen, hrsg. v. G. Ueding, Frankfurt am Main 1977. Vergleicht man dieses 1790 erstmals erschienene Werk mit den oben genannten von Lnig und Rohr, so lt sich hier eine Umkehr der frhneuzeitlichen Tendenz ausmachen, den Anstand aus der ursprnglichen Fundierung in der Moral zu lsen, ja ihn im Sinne einer (blo) technischen Meisterung des Lebens zu verselbstndigen. (Zitiert aus: K.-H. Gttert, Stichwort Anstandsliteratur, in: Historisches Wrterbuch der Rhetorik, Bd. 1, Tbingen 1992, Sp. 659) Knigge kritisiert damit das hfische Ceremoniel als ebenso moralisch neutrale wie im Prinzip austauschbare Form des gesellschaftlichen Verkehrs, dem er zwar immer noch ein der Angemessenheit (decorum) verpflichtetes Regelwerk gegenberstellt, das aber auch klare Bekenntnisse zur Rousseauschen Idealforderung nach Einfachheit enthlt. 41 Dieser Themenstrang luft in der Diskussion ja bis heute fort: Unter dem Stichwort Politik der Sachzwnge wird die fehlende Gestaltungsmglichkeit von Regierungen angeprangert, die statt Entscheidungen nach den eigenen Idealen zu treffen, sich oft genug nach den Erkenntnissen von Sachexperten richten mssen; andere begren diese Entwicklung als Eindmmung der Willkrherrschaft. 42 Novalis, Glauben und Liebe oder Der Knig und die Knigin, in: ders., Fragmente und Studien. Die Christenheit oder Europa, S. 49, Abschnitt 23. Im folgenden werden die Zitate nur anhand des Abschnitts aufgefhrt, was bei der Krze der Abschnitte das Auffinden der Zitate erleichtert und zudem das Nachlesen in anderen Textausgaben vereinfacht. 43 Ebenda, Abs. 29. 44 Ebenda, Abs. 32.

45 Ein blhendes Land ist doch wohl ein kniglicheres Kunstwerk als ein Park. Ebenda, Abs. 7. Der Park gilt hier als Ausdruck eben dieses Reprsentationscharakters. In Stanley Kubricks Film Barry Lyndon (1975) etwa bekommt man einen guten Eindruck dieser Kulturlandschaften, die den Versuch der Menschen wiederspiegeln, auch ihre eigene Natur durch komplexe Verhaltensmuster zu kontrollieren. (Zitat aus: P. Duncan, Stanley Kubrick. Smtliche Filme, Kln 2003, S. 153) Siehe dazu auch die Funoten 3 und 40 zum Wandel der Anstandsliteratur. 46 Ebenda, Abs. 17. 47 Ebenda, Abs. 18. 48 Ebenda, Abs. 15. 49 Beide Ausdrcke in Abs. 27. 50 Ebenda, Abs. 29. 51 Ebenda, Abs. 40. 52 Novalis ist sich dieser Umwertung der Tatsachen durchaus bewut, etwa wenn er in Abschnitt 32 schreibt: Sonst mute man sich vor den Hfen, wie vor einem ansteckenden Orte, mit Weib und Kindern flchten. An einen Hof wird man sich jetzt vor der allgemeinen Sittenverderbnis, wie auf eine glckliche Insel zurckziehen knnen. 53 Ebenda, Abs. 37. 54 Ebenda, Abs. 34. 55 Ebenda, Abs. 18. 56 Nachzulesen in Abs. 30: und so sollte man mit dem Knig und der Knigin das gewhnliche Leben veredeln, wie sonst die Alten es mit ihren Gttern taten. Dort entstand echte Religiositt durch diese unaufhrliche Mischung der Gtterwelt in das Leben. 57 G. de Bruyn, Preuens Luise. Vom Entstehen und Vergehen einer Legende, S.84. 58 Ebenda, S. 76. Wobei die klassische Rollenverteilung unangetastet bleibt. Der Knig will Preuen, nach der Mtressenwirtschaft und Verschwendung von Staatsgelder durch seinen Vater, wieder moralischer machen (S.21), whrend Luise fr Haushalt und Kinder zu sorgen hat. S. 30: Die Ehe, die das Kronprinzenpaar fhrte, war mustergltig im brgerlichen Sinne. 59 Ebenda, S. 28. 60 So nennt August Wilhelm Schlegel sie in einem seiner Gedichte, zitiert nach: G. de Bruyn, Preuens Luise, S. 44. 61 Ebenda, S. 60. 62 Ebensa, S. 66. 63 Ebenda, S. 7. 64 E. E. Pauls, Die Revolution der Knigin Luise, S. 7. 65 Ebenda. 66 Novalis, Glauben und Liebe oder Der Knig und die Knigin, Abs. 22. 67 S. Freud, Das Unbehagen in der Kultur, S. 240: Homo homini lupus; wer hat nach allen Erfahrungen des Lebens und der Geschichte den Mut, diesen Satz zu bestreiten? 68 Ebenda, S. 220. 69 Den Fremden, den Feind. Siehe C. Schmitt, Der Begriff des Politischen. 70 S. Freud, Das Unbehagen in der Kultur, S. 218f. 71 Ebenda, S. 225. 72 Ebenda, S. 266. Und nochmals deutlich an anderer Stelle: Die individuelle Freiheit ist kein Kulturgut. Sie war am grten vor jeder Kultur, allerdings damals meist ohne Wert, weil das Individuum kaum imstande war, sie zu verteidigen. (S. 226).

73 Ebenda, S. 225. 74 Ebenda, S. 226. 75 Ebenda, S. 227. 76 Ebenda, S. 228. 77 Ebenda, S. 241. 78 Ebenda, S. 250. 79 Ebenda, S. 251. Das Zitat geht weiter wie folgt: Das Bse ist oft gar nicht das dem Ich Schdliche oder Gefhrliche, im Gegenteil auch etwas, was ihm erwnscht ist, ihm Vergngen bereitet. Darin zeigt sich also fremder Einflu; dieser bestimmt, was Gut und Bse heien soll. Es geht hier demnach um eine Benennung, nicht um Wesentliches. 80 Ebenda. 81 Ebenda. 82 Maria Stuart, IV, 3, 2709. 83 Wohl wahr. Man kann den Menschen nicht verwehren, / Zu denken, was sie wollen. I, 8, 1008f und Ich kann der Menschen Innres nicht erforschen, IV, 2, 2677. 84 Zu beobachten an der ungebrochenen Faszination, die von der Vorstellung des perfekten Verbrechens ausgeht. It aint a crime if you dont get caught, lautet die Refrainzeile eines Liedes der Hip-hop-Band House of Pain. Solange man sich vor der Entdeckung durch eine uere Autoritt sicher glaubt, ist man nicht nur bereit, das Bse zu tun, ja man erkennt es noch nicht einmal als etwas Bses, ein Verbrechen an. 85 S. Freud, Das Unbehagen in der Kultur, S. 252. 86 Ebenda. 87 Ebenda. 88 Ebenda, S. 253. 89 Ebenda, S. 254. 90 Ebenda. 91 Ebenda, S. 265f. 92 Ebenda, S. 266. 93 Ebenda. 94 Ebenda, S. 266f. Das Zitat geht wie folgt weiter: Die Analogie geht in vielen Fllen noch weiter, indem diese Personen hufig genug, wenn auch nicht immer zu ihrer Lebzeit von den anderen verspottet, mihandelt oder selbst auf grausame Art beseitigt wurden, was ziemlich gut zu den in Kapitel 1.1. besprochenen Dramen pat. 95 Ebenda, S. 267. 96 Ebenda. 97 W. Shakespeare, King Henry IV Part One, V, 1, 131-141, in: The Complete Works of William Shakespeare, Hertfordshire 1996, S. 416-448. 98 Beispielsweise in der Ausgabe: W. Shakespeare, Knig Heinrich der Vierte, Stuttgart 1978, S. 82f. 99 W. Shakespeare, King Richard II., I, 1, 30-205 100 T. Hobbes, Leviathan, S. 82: Wenn man ffentlich zu erkennen gibt, wie man von jemandes Wert urteilt, heit das jemanden ehren oder entehren. Wird der Wert hoch angesetzt, so heit es ehren, fllt er gering aus, entehren. 101 Ebenda, S. 84: Der Stellvertreter des Staates ist der Quell der brgerlichen Ehre, weil sie von dem Willen desjenigen abhngt, der die hchste Gewalt im Staate besitzt. Sie dauert daher nur

eine Zeitlang, wie z. B. obrigkeitliche und andere ffentliche mter, Titel und an manchen Orten auch gewisse Kleidungsstcke und Wappen; und die dergleichen erhalten, sind Ehrenmnner, weil sie dieses als Zeichen der ffentlichen Gunst besitzen. ffentliche Gunst aber ist Macht. Der Begriff brgerlich darf hier nicht im Sinne von Kapitel 1.2.b) als Gegensatz zum Adel verstanden werden, sondern bezieht sich formal auf die Zugehrigkeit zum Staat. 102 Ebenda, S. 85. 103 H. Weinrich, Mythologie der Ehre, S. 341. 104 Aristoteles, Nikomachische Ethik (IV, 7), S. 84. 105 Ebenda, S. 85. 106 berhaupt scheint sich die Ehre der Frau vor ihrer Heirat auf die Wahrung ihrer Jungfrulichkeit zu reduzieren, oder genauer: des Scheins der Jungfrulichkeit; nach der Heirat ist es der Schein der Treue. Auch trgt sie hierbei die Verantwortung nicht alleine, diese teilt sie sich untrennbar mit ihrem Vater beziehungsweise Ehemann. In diesem Kapitel ist also nur ber die Ehre des Mannes die Rede. 107 Dazu siehe: H. Weinrich, Mythologie der Ehre, der darauf hinweist, da man an der ausufernden literarischen Abarbeitung an diesem Thema ihr langsames Ende bereits ablesen kann, weil es auf die schwindende Selbstverstndlichkeit hindeutet. Aus der ffentlichen Ehre ist die verffentlichte Ehre geworden., ebenda, S. 348. 108 Ebenda, S. 352. 109 Ebenda, S. 341. 110 S. Freud, Das Unbehagen in der Kultur, S. 267. 111 H. Weinrich, Mythologie der Ehre, S. 345. Warum der Begriff schwierig ist, weil er als teilweise irrefhrend gelten kann, obwohl er der Sache nach das richtige bezeichnet, erklrt sich weiter unten im Text. 112 Ebenda. 113 Ebenda. 114 Ebenda. Da der dieser Arbeit gesetzte Rahmen in Bezug auf ihr Thema eine eingehende Behandlung derkonomie nicht zult, sei an dieser Stelle noch auf ein paar Punkte hingewiesen: Die Frage nach dem Verhltnis von Moral und Gesetz gegenber der konomie ist eine sehr alte, sie lt sich beispielsweise an den gegenstzlichen anthropologischen Grundannahmen von Hobbes und Rousseau festmachen. Aus diesem Blickwinkel lt sich die unterschiedliche Beurteilung des Naturzustandes auf die jeweiligen Einschtzungen der konomischen Gegebenheiten erklren. Hobbes erklrt den Kampf aller gegen alle mageblich aus den zur Verfgung stehenden knappen natrlichen Ressourcen heraus; um das eigene berleben zu sichern, ist es ntig, sich die Verfgungsmacht ber diese Ressourcen durch Gewalt gegen die Mitmenschen zu anzueignen. Auch nach der Schlieung des Staatsvertrages sind die Menschen durch ihre Vernunft darauf verpflichtet, innerhalb der ihnen nun gesetzten Grenzen vor allem nach dem eigenen Vorteil zustreben. Die Trennung von Schein und Sein hrt hier beim Reichtum auf, denn er ist es, der einen angenehmen materiellen Lebensstandart verspricht. Rousseau hingegen hlt diese im nachhinein als sozialdarwinistisch zu bezeichnende Sichtweise fr obsolet, weil er davon ausgeht, da im Naturzustand genug Ressourcen fr alle Menschen vorhanden sind, soda der Kampf um sie als unntig erscheint. Hieran erkennt man, wie sehr die Hobbessche Theorie durch die Erfahrung der Mangelgesellschaft geprgt ist, whrend Rousseau mit seiner programmatischen Forderung einer Rckkehr zur Natur die seit der Zeit Hobbes gemachten Fortschritte in Richtung Wohlstandsgesellschaft vllig verkennt, auch wenn er dabei um so schrfer bemerkt, da wie auch Freud spter gezeigt hat die Leistungen der Kultur allein den Menschen nicht glcklicher machen. Selbst der Romantiker Novalis gesteht einige Jahrzehnte nach dem Erscheinen der Schriften Rousseaus die Notwendigkeit stetiger Vernderung ein (Glauben und Liebe, Abs. 21) und gibt zu, da ein Staat manchmal wie eine Fabrik

verwaltet werden mu (ebenda, Abs. 36). Dies sei zwar nicht das Wesentliche, doch man mu wohl in der Nachfolge eingestehen,