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März 17 Hansueli Weber Beratung • Bildung • Supervision +41 76 570 09 04 • [email protected] Seite 1 www.lernvisionen.ch Umgang mit schwierigen Situationen im Schulalltag mit der Methode des Umdeutens (Reframing) nach Molnar/Lindquist Seminarunterlagen

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Umgang mit schwierigen

Situationen im Schulalltag mit der Methode des Umdeutens

(Reframing) nach Molnar/Lindquist

Seminarunterlagen

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nach „Verhaltensprobleme in der Schule“, Alex Molnar, Barbara Lindquist zusammengestellt und erweitert von Hansueli Weber

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Umdeuten in vier Schritten

Überblick

1 Problemdarstellung

2 Zielklärung

3 Neue Sichtweisen 4 Lösungsideen Neue Deutung authentisch in

sich tragen

Neue Deutung kommuni-

zieren

Durch Hintertür stürmen

Positives Feedback

geben

Fähigkeiten lernen

Externalisieren

Inneres Team Symptom-

verschreibung

Ausnahmen entdecken und

nutzen

Rückfälle voraussagen

Priming ???

Motive

Funktionen

Bedürfnisse

Kontext

Positive Handlungen Fähigkeiten

Handlungen, Auswirkungen Kinder, Lehrpersonen, Umfeld

Deutungen Konstrukte Lehrperson / SSA

Thema prägnant, kurz, treffend

B: Eigener Beitrag Wissen und Zuversicht: Ich kann einzig

mich selber ändern!

100% in eigener Kontrolle, positiv und „annähernd“ formuliert

A: Wunsch/Anliegen „Wunschzustand“

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Das Konzept des Ökosystems bei Menschen (Zusammenfassung des 2. Kapitels des Buches „Verhaltensprobleme in der Schule“)

Simon vermisst seine Mutter, die er vor einem Jahr bei einem Autounfall verloren hat. Er kann oft nicht einschlafen und weint am Abend regelmässig. In der Schule fällt er in

letzter Zeit durch einige Aggression auf. Im Turnen zeigen die Kinder erfundene Spring-spiele. Simon und sein Freund lachen bei jeder Vorführung mehr. Den Lehrer ärgert

dies, er möchte aber nichts sagen, weil er die Situation von Simon kennt. Schliesslich wird es ihm jedoch einfach zu viel. Der Lehrer schickt die beiden Schüler ins Schulzim-

mer und brummt ihnen eine Strafe auf. Nach der Turnstunde bespricht er mit ihnen die Geschehnisse. Beide Kinder sind sehr unglücklich und empfinden ihre Strafe als unge-

recht. Simon meint, er habe die Darbietungen einfach lustig gefunden.

Mögliche (wahrscheinlich unbewusste) System-Regeln im Beispiel: „Ich muss Simon schonen, es geht ihm sehr schlecht. Aber ich kann dieses Auslachen auch nicht dulden.“

(Lehrer) – „Es geht mir schlecht, ich bin froh, wenn ich es lustig haben kann.“ (Schüler) – „Der Lehrer ist ungerecht, der hat kein Verständnis für meine Situation.“ (Schüler)

Ökosysteme werden vor allem im Zusammenhang mit Naturwissenschaften beschrieben. Dass menschliches Verhalten und Zusammenleben auch ökosystemisch funktioniert ist weniger be-kannt. Das Betrachten von menschlichen Beziehungen in ökosystemischer Weise kann viel dazu beitragen, bei Konflikten für alle Beteiligte eine Gewinnsituation herbeizuführen. Die ökosystemi-sche Sichtweise ist ressourcenorientiert und eine optimistische Art mit Problemen umzugehen. Ökosysteme im Schulalltag Zum Ökosystem Klassenzimmer gehören Lehrerin, alle Kinder und ev. der Hauswart. Das Zusam-menleben dieser Menschen ist oft durch ganz bestimmte Regeln, Haltungen und Verhalten ge-prägt. Alle Teile sind mitbeteiligt am Gelingen, vielleicht auch am Misslingen der gemeinsamen Arbeit. Jeder Mensch im Klassenzimmer ist Teil des Ökosystems. Sein Verhalten beeinflusst das Zusammenleben aller (wie im Beispiel oben klar sichtbar wird). So wie das Schulzimmer ein Ökosystem darstellt, sind auch andere Teile der Schule solche Öko-systeme: das Kollegium, die Schulbehörde, die ganze Schule mit allen Beteiligten, usw. Das Ökosystem ändert sich, wenn sich irgendetwas darin verändert Dies ist eine wichtige Grundannahme für das Veränderungsmodell, das hier beschrieben wird. In einem Ökosystem deuten die beteiligten Menschen Situationen als „normal“, d.h. jedes einzelne Mitglied hat sich eine Bedeutung für die verschiedenen Handlungen konstruiert, mit der es sich besser oder schlechter leben lässt. Die Deutungen der einzelnen Menschen sind für die gleiche Situation nicht gleich. Wenn sich diese Situation ändert, ändert sich auch das ganze Ökosystem. Vielleicht entsteht dann eine neue „Normalität“. Wenn Ihre Kollegin, die normalerweise immer Spässe macht, traurig daherkommt, werden Sie sich fragen, was mit ihr sei. Sie werden Ihr eigenes Verhalten ihr gegenüber ändern. So hat sich das Ökosystem zwischen Ihnen und ihr durch Ihr neues Verhalten verändert.

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Normalerweise haben Sie viel Geduld und erklären den Kindern eine Sache immer wieder neu. Heute aber sind Sie schlecht gelaunt und schimpfen immer wieder mit den Kindern. Das Verhal-ten der Kinder wird sich mit grosser Sicherheit ändern. Auch hier wird klar, dass ein verändertes Verhalten das gesamte System beeinflusst. Im Wissen, dass sich durch verändertes Verhalten eines Teils des Ökosystems, das gesamte Sys-tem verändert, liegt ein grosses Veränderungspotential. Dadurch, dass wir unser eigenes Verhal-ten verändern, ergibt sich eine Veränderung im gesamten System. Wie es gelingen kann, diese Veränderungen in eine positive Richtung zu bringen, zeigen die nachfolgenden Techniken. Zwei mögliche ökosystemische Handlungsweisen Auf diesen zwei Handlungsweisen sind die nachfolgenden Techniken mehrheitlich aufgebaut. 1. Suchen von neuen Deutungen des problematischen Verhaltens und entsprechendes neues

Verhalten in der problematischen Situation 2. Einfach anderes Verhalten als üblich ohne Neudeutung Die Gegenwart nutzen Oft tauchen die gleichen Probleme immer wieder auf. Vorübergehend werden dann Lösungen gefunden. Sie kennen sicherlich auch die Kinder, von denen man schon seit dem Kindergarten her weiss, welche Schwierigkeiten sie mit sich bringen. Mit Abklärungen beim Schulpsychologen wird dann eine Ursache herausgefunden und ein bestimmtes Verhalten dem Kind gegenüber „ze-mentiert“, oft aber nicht gelöst. Durch die Erklärungen der Fachleute sind Lehrkräfte in der Lage, die problematische Situation zu rechtfertigen. Solche Erklärungen verhindern leider oft das Ver-ändern und Verbessern der Situation. Viele Erklärungsmuster beziehen sich auf die Vergangenheit, auf Ursachenforschung. Erklärun-gen, die sich nicht für die Ursachen interessieren und die auf der gegenwärtig beobachtbaren Si-tuation basieren, haben jedoch wesentlich mehr Veränderungspotential. Das Loslassen von alten Deutungsmustern ist für viele Menschen ein schwieriges Unterfangen. Bekannte Erklärungsmuster entlasten. Sie bringen Ordnung und Sicherheit. Ein Einordnen ins ei-gene konstruierte Weltbild wird möglich. Neue Deutungen und Verhalten zuzulassen bedeutet, sich in Chaos und in Unsicherheit einzulassen, Neues zu wagen. Das braucht Mut und wohl auch neue Erfahrungen. Die neue Perspektive: Kooperation Alte Erklärungsmuster festigen oft das problematische Verhalten. Also sollte es darum gehen, neue Perspektiven zu entwickeln. Da jedes Verhalten verschiedene Deutungen zulässt, sollte dar-aus die Möglichkeit entstehen können, neues Verhalten zu entwickeln. Wenn die Fähigkeit ent-wickelt werden kann, eine problematische Situation mit andern Augen, verständnisvoll und posi-tiv zu sehen, können Ökosysteme erfolgreich verändert werden. Häufig geht es dabei darum, sich in die andern beteiligten Menschen einzufühlen und bei ihn po-sitive Motive für das problematische Verhalten zu erkennen. Dies wird von Molnar/Lindquist als kooperative Perspektive bezeichnet. Mit dieser Grundlage können oft Kämpfe vermieden werden und oft entstehen sogenannte Win – Win - Situationen (Win = englisch: gewinnen).

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Zusammenfassung Schule, Klassenzimmer, Kollegium usw. sind Ökosysteme Ein Ökosystem verändert sich, wenn sie ein Teil des Systems verändert Durch neues positives Deuten von problematischen Situationen kann das Veränderungspo-

tential erheblich vergrössert werden

Eigene Denkmuster verändern (Zusammenfassung des 3. Kapitels des Buches „Verhaltensprobleme in der Schule“)

Bei meiner Scheidung verliess ich auch meine beiden Kinder im ersten Schulalter. Ich hatte Schuldgefühle, dachte ich hätte versagt. Ich deutete die Situation: Ein Vater scha-

det seinen Kindern, wenn er die Familie verlässt.

Ich konnte die Schuldgefühle erst loslassen, als mir bewusst wurde, dass diese Scheidung auch eine Chance für meine Kinder ist. Sie verlieren mich ja nicht. Im Gegenteil, sie be-kommen die Chance, in eine bisher noch unbekannte Lebensweise Einblick zu erhalten.

Sie bekommen dadurch eine Alternative zum bisher Gelebten. Mit dieser Neudeutung konnte ich viel unbelasteter in meine veränderte Lebenssituation einsteigen.

Eigene Denkmuster verändern ist schwierig. Will man jedoch in einer problematischen Situation eine Änderung aus sich heraus bewirken, geht es aus ökosystemischer Sicht nur mit veränderten Denkmustern und Haltungen. Alte Erklärungsideen loslassen Immer dann, wenn für Problemsituationen mit den „üblichen“ Verhalten keine Änderungen ein-geleitet werden kann, ist ökosystemisches Vorgehen gefragt. Dabei geht es nicht, ohne dass alte Erklärungsideen und Denkmuster losgelassen werden. Dies gilt auch für die Erklärung ökosystemischer Techniken. Wenn diese Techniken mit Hilfe von vertrauten Begriffen Erklärt werden sollten, wird dies der Sache nicht gerecht. Es gilt auch hier loszulassen. Fragen stellen und Ausschau halten Molnar/Lindquist vergleichen die Arbeit mit ökosystemischen Techniken mit derjenigen einer De-tektivin. Es geht darum, viele Fragen zu stellen, Ausschau halten nach Hinweisen, welche erklä-ren könnten, wie die Beteiligten die Situation deuten. Fragen könnten sein: Wie sieht das Muster aus, das sich in dieser Situation immer wiederholt? Wie nehmen die beteiligten Personen das in Frage stehende Verhalten wahr? Wie kann das prob-lematische Verhalten positiv interpretiert werden? ... Welche Gegebenheiten ... möchte ich un-verändert lassen? (Molnar/Lindquist, S.48, 49) Mit diesen Fragen kommen Sie zu weiteren Infor-mationen über das Problem.

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Wie nehmen die andern wahr? Oft kann einen Situation ökosystemisch verändert werden, wenn Einsicht in die Denkweise der Mitbeteiligten gewonnen werden kann. Es gilt, nach Hinweisen Ausschau zu halten, welche auf-zeigen könnten, wie Mitbeteiligte die Problematik deuten. Wesentlich ist auch die Haltung: Es gibt für ein Verhalten oder ein Problem viele Wahrheiten. Keine ist „die richtige“! Die Idee, eine ökosystemische Methode anzuwenden, sprach mich an, da ich dann aufhören konnte, auf Drohungen und Strafen zurückzugreifen, um das Verhalten der Jungen zu ändern. Da-her beschloss ich, den Jungen, wenn sie in die Klasse kamen, zu sagen: „Da es euch Dreien ja so offensichtlich Spass macht, euch zu unterhalten, könnt ihr euch am Tisch hinten in der Klasse ru-hig unterhalten, wenn ihr morgens kommt. Wenn ihr fertig seid, dürft ihr auf eure Plätze gehen und mit eurer Arbeit anfangen.“ (Molnar/Lindquist, S.50, Erfolg stellte sich zusammen noch mit weiteren Massnahmen bald ein) Veränderungen wahrnehmen Nach dem Einleiten ökosystemischer Methoden ist es wichtig, auf Veränderungen achtsam zu sein. Manchmal sind Veränderungen sofort, manchmal aber viel später sichtbar. Regelmässiges Rückschauhalten, ein Schultagebuch führen und viele andere Methoden können hilfreich sein, das Wahrnehmen der Veränderungen gut in den Alltag einzubauen. Mein eigenes Denken bestimme ich Das Denken von anderen Personen zu ändern ist eine sehr schwierige Angelegenheit. Mein eige-nes Denken jedoch kann ich bestimmen und damit auch verändern auch wenn es sich immer wieder als schwierig erweist. Aus ökosystemischer Sicht bewirkt das veränderte Verhalten eines einzigen Teils des Systems, neue Verhaltensweisen bei allen weiteren Teilen. Personen eines Ökosystems können also nicht unverändert bleiben, wenn sich eine Person ändert. Aus diesem Grunde verändert das eigene Verhalten die gesamte Situation. Zusammenfassung Wenn „alte“ Denkmuster versagen, können „neue“ für Veränderungen der problematischen

Situationen eingesetzt werden. Es gibt verschiedene Wahrheiten. Durch das Erkennen von Wahrheiten der Beteiligten kön-

nen neue Lösungen gefunden werden. Meine veränderte Deutung und dadurch mein verändertes Verhalten wird verändertes Ver-

halten in meiner Umgebung bewirken.

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Neurobiologische Erkenntnisse in der Schule nutzen 1. These: Veränderungen im Verhalten beruhen auf veränderten neuronalen Mustern

Im Laufe der letzten Jahre veränderten zwei Erkenntnisse die bisherige Wahrnehmung neuronaler Vor-gänge. Zum einen wurde klar, dass das Gehirn lebenslang plastisch bleibt. Das bedeutet, dass bis ins hohe Alter neuronales Wachstum beobachtet werden kann. Lernen in jedem Lebensalter ist möglich. Das Ver-ändern neuronaler Muster im Alter geschieht einfach etwas langsamer. Das bedeutet aber nicht, dass neuronale Muster beliebig verändert werden können. Die Veränderungen können nur auf Grund der be-reits bestehenden Muster angeregt werden. Die bisherigen Lebenserfahrungen sind die Grundlage für Lernvorgänge. Zum anderen hat man erkannt, dass jene neuronalen Muster besser aktiviert werden kön-nen, die oft gebraucht werden. Die sogenannte Hebbsche Regel besagt, dass aktivierte Neuronen sich mit anderen Neuronen verbinden und damit Lernen und Verhalten bewirken. Die Aussage von Hebb auf ein Motto gebracht, heisst: „Zellen, die zusammen feuern, verdrahten sich.“ („Cells that fire together, wire to-gether.“). (vgl. Roth, 2003, S.100 und LeDoux, 2006, S.184) Für den Schulalltag hat dieses Wissen die Konsequenz, dass bei allen Vorgängen daran gedacht werden muss, dass einerseits die bestehenden neuronalen Verknüpfungen mitgedacht werden müssen und andrer-seits Lernangebote so geschickt gewählt werden, dass neue Verbindungen hergestellt werden können. Für beides muss man jedoch nicht die Hirnforschung beiziehen. Lehrpersonen ist es längst bekannt, dass das Vorwissen abgerufen werden sollte. Zudem weiss man, dass gezielte und spezifische Lernangebote, indivi-dualisiert und herausfordernd, wichtig sind. Die Hirnforschung bestätigt aus meiner Sicht diese „Binsen-wahrheiten“.

2. These: Die Bildung neuronaler Muster geschieht durch Aktivierung

Grawe schreibt: „Wenn man das Erleben und Verhalten eines Menschen ändern will, muss man die Erre-gungsübertragung zwischen Neuronen verändern. Lernen beruht auf der Veränderung synaptischer Über-tragungsbereitschaften.“ (Grawe, 2004, S.38) Und Storch: „Lernen im neurowissenschaftlichen Sinn bedeu-tet 'häufige gemeinsame Benutzung von Nervenzellen'.“ (Storch, 2002, S.284) Neuronale Muster werden also vor allem durch regelmässiges Aktivieren der entsprechenden neuronalen Verknüpfungen neu gebil-det (z.B. durch Training und Aufmerksamkeitsfokussierung) und durch stark prägende Gefühlserfahrun-gen. (vgl. Kandel, 2006) Wenn Erleben und Verhalten durch Aktivierung neuronaler Muster geschieht, ist die zentrale Herausfor-derung, zu erkennen welche Muster willentlich aktiviert werden sollen. Es ist davon auszugehen, dass Lehrpersonen grundsätzlich die für das Lernen und das Zusammenleben hilfreichen Verhaltensweisen stärken wollen. Wenn das Prinzip der Aktivierung ernst genommen wird, könnte das bedeuten, dass vor allem auf Positives, auf Stärken und Kompetenzen fokussiert werden müsste, damit dort weitere Ver-knüpfungen entstehen. Wenn sich also ein Kind daneben benimmt, ist es wichtig, sich schnell damit zu beschäftigen, wie das korrekte Verhalten aussieht. Moralpredigten und Anklagen aktivieren jene neurona-len Muster, die ja nicht erwünscht sind. Oft wissen Kinder und Jugendliche nicht, wie das aussieht und sich anfühlt, was die Erwachsenen von ihnen erwarten. Durch Wiederholung der erwünschten Situation und durch Training anderer erwünschterer Verhaltensweisen (z.B. im Rollenspiel) können neue Verhal-tensweisen gestärkt werden.

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3. These: Verhalten ist unbewusst, es entsteht durch blitzschnelles Abrufen von Gedächtnisinhal-ten

Die Krux beim Verhalten ist die, dass sich die allermeisten Vorgänge unbewusst abspielen. Vor allem in Stresssituationen ist es ohne Training beinahe unmöglich, sich bewusst richtig zu verhal-ten. Lehrpersonen haben manchmal jedoch die Tendenz, genau dies von den Schülerinnen und Schülern zu erwarten. Es scheint, dass es entscheidend ist, welche Inhalte im Gehirn aktiviert sind, kurz bevor eine Handlung eingeleitet wird. Sehr schön zeigen dies die verschiedenen Primingexperimente. Glad-well beschreibt ein solches Experiment von Bargh, das mit relativ einfachen Bedingungen durch-geführt wurde. Die Testpersonen bekamen eine zehnteilige Wortliste: 1. besorgt sie immer um ihn 2. blühen Heim Fenster die Kirschen 3. Ball still werfen den er 4. Schuh geben reparieren alt der 5. beobachtet langsam andern er gelegentlich 6. geht Park er einsam in 7. Himmel grau nahtlos ist der 8. sich zurückziehen sollte er vergesslich 9. vor immer Fernseher einschlafen sie 10. runzeln Sonne die Rosinen lässt Mit diesen Wörtern mussten Sätze erstellt werden. Einzelne Wörter durften verändert oder auch neu hinzugefügt werden. Das Resultat nach dieser Denkarbeit war, dass die Testpersonen danach signifikant langsamer aus dem Büro der Testleitung und dem Flur entlang gingen als sie gekom-men waren. Wörter wie „still“, „alt“, „einsam“, „grau“, „runzeln“, „Heim“, „besorgt“, die mit „Al-ter“ verbunden werden können, hatten Auswirkungen auf das nachfolgende Verhalten. Und dies, obwohl die Testpersonen meinten, sie machten einen einfachen Sprachtest. (vgl. Gladwell, 2008, S.58) Wenn man auch diese Erkenntnis der Hirnforschung ernst nimmt, ergeben sich zwei Konsequen-zen: Erstens macht es Sinn, darauf zu schauen, welche neuronalen Muster gerade voraktiviert sind (Priming!) und zweitens müssen jene unbewussten Muster abrufbar werden, die erwünscht sind. Und auch das geschieht wie bei der zweiten These beschrieben durch Training. Konkret würde das heissen: Mit den erwünschten Verhaltensweisen arbeiten; darauf fokussieren, was ge-lingt und hilfreich ist; trainieren, wie korrektes Verhalten aussieht und es sich anfühlt. Lehrperso-nen stimmen dem oft zu. Leider sind jedoch auch sie von diesen Prozessen betroffen und auch bei ihnen laufen in vielen Situationen blitzschnelle unbewusste Prozesse ab, die zu ihrem oft hilf-reichen Verhalten führen. Wenn diese Verhalten jedoch verändert werden sollten, weil es nütz-lich wäre, dann brauchen auch Lehrpersonen eine nützliche Aufmerksamkeitsfokussierung und vor allem auch ein Training möglicher neuer Verhaltensweisen. Vertiefender Text (vermutlich nicht ganz einfach zu lesen) auf www.lernvisionen.ch/priming © März 10, Hansueli Weber

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Modell der kollegialen Beratung „Reframing“ Intervision

0 5’ Begrüssung, Einstieg

1 5’ Vom letzten Mal • Bericht der beratenen Person (en)

- Was ist nachgeklungen? - Was wurde anders? - Was war allenfalls überraschend?

• Evtl. Berichte der anderen Personen

2 15’ „Obenauf-Runde“ • Wie geht es mir gerade und was habe ich allenfalls als Thema? • Ist noch etwas aktuell im Speicher?

3 5’ Auswahl eines Falles Wahl der GesprächsleiterIn, evtl. ZeithüterIn • wechselnde Rollen • Zeiten klären

Fallgeberin GesprächsleiterIn Gruppenmitglieder

4 5’ Erzählung der Situation • Worum geht es? (Thema) • Was geschieht? (Handlungen) • Wie sind die Situationen? • Wer ist wie beteiligt? • Was tun die beteiligten

Personen? • Gibt es einen „Gesamtblick“?

• stellt weiterfüh-

rende Fragen, falls notwendig

• hören schweigend oder

aktiv zuhörend zu

5 5’ Reaktionen und Auswirkungen • Wie reagieren die Beteiligten im

Normalfall? • Mit welchen Auswirkungen? • Wie reagierst du selber? • Mit welchen Auswirkungen? • Was ist typisch an diesen

Reaktionen

• stellt Fragen

• hören schweigend oder

aktiv zuhörend zu

6 5' Deutungen und Werthaltungen

• Wie erklärst du dir die Reaktionen? • Wie kommt es dazu? • Welche Werthaltungen stehen

dahinter

– stellt Fragen

– hören schweigend oder aktiv zuhörend zu

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7 5‘ Ziele formulieren • Heimatsystem: Was soll anders

sein? • Beratungssystem: Was kann ich

selber beitragen? • positiv (= annähernd) • unter eigener Kontrolle

• unterstützt

8 15' • kann mithelfen beim Finden der

positiven Deutungen • ist jedoch eher ruhig, bis hin zu

„nur zuhörend“ • keine Kommentare und

Erklärungen

• stellt Fragen • notiert Ideen

auf Flip (evtl. von einer anderen Person zu machen)

Positive Deutungen finden • Was könnte positiv sein? Für die

KlientIn? Für dich selber? Für die Gruppe/Klasse? Für andere?

• Wer hat welche „guten Gründe“? • Welche positiven Verhaltens-

weisen wurden schon gezeigt? Welche Fähigkeiten?

• Welche positiven Motive werden sichtbar? Welche Funktionen?

• Welche Bedürfnisse sind zu erfüllen?

9 5' Auswahl der treffendsten Neu-deutungen • Welche Deutungen treffen am

ehesten zu? • Auswahl von 2 bis 4 Deutungen

10 15' Handlungsmöglichkeiten finden (gemeinsam) Auf Grund der Neudeutungen: – Was kannst du nun anders machen?

– Was kannst du sagen? tun? – Wie kannst du glaubhaft anders handeln?

Ideen: Das Positive sagen. Verantwortung übertragen. Über Ausnahmen reden. Ausnahmen erfor-schen. Lösungsorientierte Gespräche. Über Erfolgreiches reden. Symptomverschreibung. Rückfälle vorhersagen.

11 10’ Gemeinsame Auswertung • inhaltlich • methodisch • atmosphärisch • Fazit der Gruppenmitglieder für ihre eigene Situation

12 5’ Organisatorisches • nächste Termine? • Treffpunkte? GastgeberInnen?

(Intervisionsmodell nach Ideen von Molnar/Lindquist in Verhaltensproblem in der Schule)

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Worum geht es: • Problem beschreiben

Was geschieht? Wie sehen die Situationen aus? Welche Situationen können beschrieben werden? Wer ist beteiligt? Was tun die beteiligten Personen? Wer ist auf welche Art an der Situation beteiligt? Um welche Sache geht es? Gibt es einen „Gesamtblick“? Usw.

• Annäherungsziel

Was genau willst du mit diesem Reframing ändern? Wie soll der Endzustand positiv aussehen?

• Reaktionen und Auswirkungen im Normalfall

Wie reagieren die Beteiligten im Normalfall? Wie reagierst du selber im Normalfall? Was ist typisch an diesen Reaktionen? Welche Ergebnisse, Wirkungen erzielen diese Reaktionen?

• Eigene Erklärungen und Deutungen erkennen

Wie erkläre ich mir selber die Reaktionen der Beteiligten? Welche Werthaltungen sind hinter diesen Deutun-gen? (Warum ärgere ich mich?) Welche Funktion hat das beobachtete und erlebte Problem für mich oder für die Gruppe? Welche Bedeutung messe ich dieser Funktion zu?

• Positive Deutungen finden

Wie kann ich das beobachtete Verhalten positiv deuten? Für mich selber? Für die beteiligten Personen? In welcher Weise wird in diesem Verhalten etwas Positives gestärkt? Welches positive Motiv könnte dem Ver-halten zugeordnet werden? Welche positiven ökosystemischen Funktionen für die ganze Situation oder für Teilsituationen hat das Verhalten?

Glaubhaftigkeit dieser Deutungen ist wesentlich für den Erfolg, ich muss dazu stehen können: Ich darf nichts vorma-chen. Ich muss von der Neudeutung überzeugt sein. Kein Sarkasmus oder Spott.)

• Evtl. neue Handlungen er-finden und anders handeln

Welche neuen Verhaltensweisen kann ich anwenden, nachdem ich bei 4. neue positive Deutungen gefunden habe? Was kann ich sagen oder tun, damit die andern Beteiligten meine neue Sichtweise spüren können? (Glaubhaftigkeit! Ich darf nichts vormachen! Ich muss von der Neudeu-tung überzeugt sein! Kein Sarkasmus!)

• Beschreibung des Erfolgs

Die hier beschriebene Vorgehensweise ist stark an Buch von Molnar/Lindquist angelehnt.

• anders handeln • etwas anderes sagen • Tue mehr davon, aber an-

ders! • Über Dinge reden, die er-

folgreich sind. • Gespräch: Wann war „es“

schon besser? Was genau war da anders?

• Externalisieren: Es tut mit dir!

• Rückfälle sind normal: vorhersagen

• Verantwortung übertra-gen

• usw.

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Literaturliste Reframing im pädagogischen Alltag

Systemtheorie, Konstruktivismus, Neurobiologie

Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners, Heinz von Foerster, Bernhard Pörksen, Carl-Auer-Systeme Ver-lag Heidelberg, 1998, ISBN 3-89670-096-0

Lösungen in der Schule, Systemisches Denken in Unterricht, Beratung und Schulentwicklung, Christa Hub-rig, Peter Hermann, Carl-Auer-Systeme Verlag Heidelberg, 2005, ISBN 3-89670-454-0

Chaos, Angst und Ordnung, Wie wir unsere Lebenswelt gestalten, Jürgen Kriz, Vandenhoeck & Ruprecht Göttingen, 1997, ISBN 3-525-01728-6

Lernen und Gehirn, Der Weg zu einer neuen Pädagogik, Ralf Caspary (Hg.), Verlag Herder Freiburg im Breisgau, 2006, ISBN 978-3-451-05763-2

Anders handeln und Stärken stärken Verhaltensprobleme in der Schule, Lösungsstrategien für die Praxis, Molnar, Lindquist, borgmann Verlag Dortmund, 1990, ISBN 3-86145-044-5

Einfach, aber nicht leicht, Leitfaden für lösungsorientiertes Arbeiten, Marianne und Kaspar Baeschlin, Be-zugsquelle: http://www.zlb-schweiz.ch/de/publikationen/publikationen_schriftenreihe.asp

Lernen oder Leiden, Einblicke in das Lösungsorientierte Denken und Handeln im Schulalltag, Baeschlin, Haas, Wehrli, Wittwer, http://www.zlb-schweiz.ch/de/publikationen/publikationen_schriftenreihe.asp

Die Logik des Gelingens, Lösungs- und entwicklungsorientierte Beratung im Kontext von Pädagogik, Wal-ter Spiess (Hrsg.), borgmann Verlag Dortmund, 1998, ISBN 3-86145-137-9

Die Zähmung der Monster, Der narrative Ansatz in der Familientherapie, Michael White, David Epston, Carl-Auer-Systeme Verlag Heidelberg, 1998, ISBN 3-89670-100-2

Ich schaffs!, Spielerisch und praktisch Lösungen mit Kindern finden – Das 15-Schritte-Programm für El-tern, Erzieher und Therapeuten, Ben Furman, Carl-Auer-Systeme Verlag Heidelberg, 1998, ISBN 3-89670-500-8

„Ich schaffs!“ in Aktion, Das Motivationsprogramm für Kinder in Fallbeispielen, Ben Furman, Carl-Auer-Systeme Verlag Heidelberg, 2010, ISBN 978-3-89670-743-7

Ich schaffs!-Cool ans Ziel, Das lösungsorientierte Programm für die Arbeit mit Jugendlichen, Christiane Bauer, Thomas Hegemann, Carl-Auer-Systeme Verlag Heidelberg, 2008, ISBN 978-3-89670-643-8

zusammengestellt im Juni 12: lernvisionen Hansueli Weber