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Umgang mit schwierigen Patienten und schwierigen Situationen Wolf Langewitz Psychosomatik/Innere Medizin Uni-Spital Basel

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Umgang mit schwierigen Patientenund schwierigen Situationen

Wolf Langewitz

Psychosomatik/Innere Medizin

Uni-Spital Basel

Grundregel

• Andere Menschen (incl. Patienten) machenuns dann Schwierigkeiten, wenn wir ihnenmit unseren Vorschlägen, unserenGefühlen, unseren Plänen ‘nicht nahekommen’

• Es ist schwierig oder unmöglich ‘to find common ground’, auf einen gemeinsamenNenner zu kommen (auch wenn möglicher-weise der Zähler im Bruch stimmt)

Auf welchen Ebenen können wirauf einen gemeinsamen Nenner

kommen – oder auch nicht

• Sprachlich

• Kulturell

• Inhaltlich

• Im erlebten Gefühl

• In der geteilten Atmosphäre

Auf welchen Ebenen können wirauf einen gemeinsamen Nenner

kommen – oder auch nicht

• Sprachlich

• Kulturell

• Inhaltlich

• Im erlebten Gefühl

• In der geteilten Atmosphäre

Sprachliche Missverständnisse

• Im Prinzip trivial, aber oft unterschätzt!• Erstaunlich viele Fachpersonen sind zu-

frieden, wenn die Patientin auf die Frage: “Haben Sie mich verstanden?” nicht NEIN sagt.

• Selbst nah verwandte Sprachen wieSchweizer-Deutsch und Schrift-Deutsch sind in manchen Punkten widersprüchlich, wie das Wort Tschüss verdeutlicht

Auf welchen Ebenen können wirauf einen gemeinsamen Nenner

kommen – oder auch nicht

• Sprachlich

• Kulturell

• Inhaltlich

• Im erlebten Gefühl

• In der geteilten Atmosphäre

Was ist Kultur?

• Kultur (nach Helman) ist

ein System von erlernten gemeinsamen

Vorstellungen, Konzepten, Regeln,

Bedeutungen, die der Art und Weise des

Zusammenlebens von Menschen zugrunde

liegen und darin ausgedrückt werden

Kultur wird oft mit einem Eisberg verglichen

Das Meiste liegt unter der Oberfläche….

In der Medizin-Ethonologie ist Kultur….

• Etwas sich ständig Veränderndes, Dyna-misches

• Etwas, das sich der Zuordnung zu einem geographischen Gebiet entzieht!

• Innerhalb jeder Gesellschaft/Volksgruppe sind Kulturen zusätzlich geprägt durch:– Bildung

– Geschlecht

– Alter

Was sagt die Forschung? Cultural differences in medical communication: a

review of the literature, Schouten B, Meeuwesen L, PEC 2006, 21-34

• 12 quantitative und 2 qualitative Studien zeigen• Signifikante Unterschiede im Verhalten des Arztes

während der Konsultationen mit den Einheimischen und Ausländern

– Weniger Emotionen

– Weniger Gespräche über allgemeine Themen (social talk) and „rapport-building“

– Weniger freundlich und betroffen (empathisch)

– Kommentare der Patienten wurden von ihren Ärzten öfter ignoriert

– Medikamente wurden weniger gut erklärt

– Es wurden weniger offene Fragen gestellt

Auf welchen Ebenen können wirauf einen gemeinsamen Nenner

kommen – oder auch nicht

• Sprachlich

• Kulturell

• Inhaltlich - konzeptuell

• Im erlebten Gefühl

• In der geteilten Atmosphäre

Hat das jeder - ein Konzept?

• Neurophysiologie sagt: Ja!

• ‚Brain‘ bietet nie Information pur an, son-dern immer das Produkt eines komple-xen Verarbeitungsprozesses– Mustererkennung

– Ein guter Grund für arousal?

– Ein guter Grund für flight and fight?

– Nichts von Beidem: nimm‘ Dir Zeit, suche nach passenden Emotionen und Begriffen

In diesem Sinn: immer ist ein Konzept beteiligt!

• Mustererkennung: diese Ansammlung aus Ellip-soiden und gelben Farbtönen, in dieser Grösseund in dieser Entfernung könnte eine BananeBananesein

• Ein guter Grund für arousal oder flight and fight? Mein BananenBananen-Konzept deckt das nicht

• Passende Emotion: Behagen, weil ich als Baby mit Griessbrei und Bananen gefüttert wurde

• Passende Handlung: Nimm‘ sie, sonst nimmt sie jemand anders.

Auseinander fallende Konzepte

• Je akuter eine Erkrankung, desto grösserist die Wahrscheinlichkeit ähnlicher Kon-zepte– Eine akut dekompensierte Herzinsuffizienz

erzeugt bei Patient und Arzt den Eindruck von Luftnot, der man mit Medikamenten und O2auf den Leib rückt.

– Die Frage der Gewichtskontrolle, der Ver-zicht auf Rauchen, regelmässige körperlicheAktivität sind Behandlungsideen, über die weniger häufig Einigkeit zu erzielen ist.

Auf welchen Ebenen können wirauf einen gemeinsamen Nenner

kommen – oder auch nicht

• Sprachlich

• Kulturell

• Inhaltlich

• Im erlebten Gefühl

• In der geteilten Atmosphäre

Was sind Gefühle?

• Die übliche Meinung besagt, dass GefühlePrivatsache sind, man kann sie vor ande-ren verbergen und nur dann, wenn man das selber will – oder sie einen überwälti-gen – dringen sie an die Aussenwelt.

• Dann nimmt mein Gegenüber meineGefühlsäusserung auf und kann sie –hoffentlich korrekt – identifizieren

Was sind Gefühle ausphänomenologischer Sicht?

• Sie sind prinzipiell nicht privat, sondern strahlen beiausreichender Intensität in die Umgebung hinein.

• Sie bestimmen das Raum-Klima– Wir betreten einen Raum mit fremden Menschen und

haben den Eindruck: ‘Hier herrscht aber dicke Luft!’

– Wir geraten fröhlich in eine trauernde Gemeinde und wissen schlagartig, dass Lachen, lautes Sprechen, schnelle hüpfende Bewegungen unpassend sind

– Wir spüren, dass ‘etwas in der Luft liegt’ z.B. Span-nung. Dieses Gefühl erinnert an die Anspannung derNatur kurz vor einem Gewitter.

Der Leib, der Raum und die Gefühle

Hermann Schmitz

• Gefühle sind räumlich ergosseneAtmosphären (Schmitz, 2007)

• Sie ergreifen uns leiblich im Sinne von:– “Mir ist nicht wohl hier, lass’ uns raus

gehen!”– “Mach’ mal das Fenster auf, hier ist so eine

stickige Atmosphäre!”– A: “Ich hab’ so ein ungutes Gefühl!”– B: “Was hast du denn, ich find’s toll hier!”

Warum leiblich und nichtkörperlich?

• Weil sich diese Wahrnehmungen dadurch aus-zeichnen, dass sie einerseits ganz eindeutig zuspüren sind, dass man sie andererseits abernicht genau lokalisieren kann.

• Sich jemanden vom Leib halten, ist etwas ande-res als etwas vom Körper fernhalten (ein nassesT-shirt hält man von sich weg, gerade soweit, dass der nasse Stoff nicht auf die Haut kommt)

• Bei der Übersetzung ins Englische wird dasdeutlich: to keep someone at arm’s length ist in Zentimetern messbar und körperlich definiert

Konflikte können also dadurchentstehen, dass eine Atmosphäreganz unterschiedlich erlebt wird

• Die feierliche Stille vor einem Konzert wirdvon manchen Besuchern dazu genutzt, sich endlich in Ruhe zu schneuzen

• Manche Zuschauer halten eine gespannteAtmosphäre nicht aus, sie fangen an zukichern oder laut miteinander zu reden

Atmosphären und was sie auslösen

• Wenn man ein problematisches Video oder besonders ausdrucksstarke Musikim Hörsaal zeigt, kann man an der Unruheder Studierenden die Stellen identifizieren, an denen besondere Intensität erzeugtwird– Es löst eine gewisse Spannung im Raum und

im eigenen Leib aus, die manche nicht ertra-gen und z.B. durch Kichern ‘zerstören’

Atmosphären und was sie auslösen

• Wie wir und unsere Patienten auf bestimmteAtmosphären reagieren, hat etwas mit unserereigenen Geschichte zu tun, in die wir eingebettetsind.

• Wer z.B. aus einer Familie kommt, in derSchweigen zwar vom Kind als bedrückend, abernicht als bedrohlich erlebt wird, hat ein anderesVerhältnis zu Pausen als jemand, der die Erfah-rung gemacht hat, dass dem Schweigen pein-liche Enthüllungen oder Streit folgen

Auf welchen Ebenen können wirauf einen gemeinsamen Nenner

kommen – oder auch nicht

• Sprachlich• Kulturell• Inhaltlich• Im erlebten Gefühl• In der geteilten Atmosphäre•• In In derder UnterscheidungUnterscheidung von Situation und von Situation und

KonstellationKonstellation

Schwierige Patienten zeichnen sichaus durch:

• Eine hohe Prävalenz psychischerStörungsbilder

• Eine als aggressiv-fordernd beschriebenePersönlichkeit

• Eine Vielzahl schlecht erklärbarerSymptome

• Ein hohes Mass an Beunruhigung durchihre Beschwerden

• Vorliegen sozialer Belastungen.

Langewitz W., In: Moser, 2007

Besonders mühsam: Patienten, denenwir nicht sagen können (oderoder die die nichtnichthhöörenren wollenwollen), was sie haben und was

man dagegen tun kann

• Das sind die Patienten mit funktionellenStörungen und die PatientenPatienten, die , die einereiner--seitsseits nichtnicht tuntun, was , was wirwir ihnenihnen vorschlagenvorschlagenund und sichsich andererseitsandererseits beschwerenbeschweren, , dassdasseses ihnenihnen nichtnicht besserbesser gehtgeht..

Warum ist das so?

• Vielleicht, weil wir in der Ausbildung darauftrainiert werden, aus den Aussagen derPatienten möglichst eindeutige Fakten zudestillieren?

• Die lassen sich dann bestimmten Krankheits-bildern zuordnen …,

• für die es dann evidenz-basierte Behandlungs-Optionen gibt.

• Und genau das funktioniert bei diesen Patientennicht!

Descartes, 1637

2. The second method is to divide each of the

difficulties under examination into as many parts

as possible, and as might be necessary for its

adequate solution.

3. The third rule is to conduct my thoughts in

such order that, by commencing with the

simplest and easiest objects of understanding, I

might ascend little by little, and, as it were, step

by step, to knowledge of the more complex; […].

Wenn es unübersichtlich wird,..

• … Empfiehlt Descartes: keep it simple und brich die Komplexität in einzelne überschaubare Untereinheiten auf.

• Umgang mit einzelnen Sub-Problemen und Fakten und Beobachtungen anstelle einer Perspektive auf das Ganze.

• Oder im Sinne von H. Schmitz: Arbeiten in Konstellationen versus Arbeiten in Situationen

FFüür r Konstellationen Konstellationen gilt:gilt:……

• Sie bestehen aus Einzelheiten, die in einerbestimmten Art angeordnet sind

• Wenn man Phänomene innerhalb einer Kon-

stellation analysiert, wird der Rest der Situa-tion als [im Moment] unwichtig weggeworfen

• Sobald es um konkretes Handeln geht, müs-sen einzelne objektive Tatsachen, Problemeund Programme aus der chaotischen Mannig-faltigkeit der Situation herausgelöst werden

Charakteristika von SituationenCharakteristika von Situationen

• Eine geschlossene Gestalt (Ganzheit)

• Bedeutsamkeit, bestehend aus Sachver-halten, Programmen und Problemen; sie haben ‚etwas zu sagen‘

• Binnendiffusion: nicht alles, was in der Situation steckt, ist im Einzelnen zu benennen, sondern geht im chaotisch Mannigfaltigen auf

Schmitz, Adolf Hitler, 1999, p21

Situationen versus Situationen versus Konstellationen am BeispielKonstellationen am Beispiel

• „Arzt: Ihr Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, resultiert aus erhöhtem LDL-Chol, 12 kg Über-gewicht und dem erhöhtem Blutdruck von 176/94 mm Hg.“

• Patient: „???“ Er lebt nicht in einer Welt einzeln zu benennender Normabweichungen, sondern in einer persönlichen Situation, in der - schlecht zu beschreiben - viel Essen einen gewissen Wert hat, es wird einem so ‚wohl ums Herz‘

Schwierige Arzt-Patient-Beziehun-gen entstehen also auch dann,

• Wenn der Patient sich auf der Ebene derSituation mit vagen, oft leiblichen Begriffenausdrückt und der Arzt zu schnell ver-sucht, aus dem chaotisch Mannigfaltigeneinzelne Fakten zu destillieren, also in die Konstellation überzuwechseln.

• Pat.: “Ich fühl’ mich irgendwie krank!”

• Arzt: “Sind die LK geschwollen?”

Übersetzt auf die Ebene derRisikofaktoren könnte dies heissen

• Es begegnen sich das Lebensgefühl des Patienten (“So schlimm isses auch wiedernicht!”) und die Befundkonstellation des Arztes(3/5 Kriterien erfüllt für das MetabolischeSyndrom).

• Vorschlag: “Ich habe den Eindruck, dass wir in verschiedenen Welten leben. Ich schaue auf Ihre Befunde und Sie schauen auf sich selber? Vielleicht habe ich deshalb mehr Angst um Sieals Sie selbst?”

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Summary: neue Erkenntnisse?

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KonstellationKonstellation