Über ammoniakbefunde im gehirn und ihre bedeutung

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554 KLINISCHE WOCHENSCHRIFT. io. JAHRGANG. Nr. 12 2x. MARZ I93I die wir mit PARNAS als ,,traumatische Ammoniakwerte" bezeichnen mfissen. Aus unseren Beobachtungen I~Bt sich der sichere SchluB ableiten, dab im Gehirn betrXchtliche Ammoniakbildung statthaben muB, fiber deren Bedeutung Untersuchungen noch im Gange sind. Erscheint ausffihrlich in der Biochem Z. (Aus der Abteilung ]i~r Sto//wechsel- und Ernd~hrungsstdrungen [Vorstand: Geheim- rat Pro]. Dr. C. v. 2Voorden] im Kranlcenhause der Stadt Wien.) UBER AMMONIAKBEFUNDE IM GEHIRN UND IHRE BEDEUTUNG. Von CARL ~:~I]~BELING. Im AnschluB an Ammoniakbestimmungen im Liquor nach der Methode yon EMBDEN, CARSTENSI~N und SCHUHMACItER, bei denen sich u. a. ergeben hatte, dab Liquor, der im Status (epilepticus oder paralyticus) entnommen war, bis 5mal F Z B n/zo N~f Z B r~/lSo N~F soviel prMormiertes Ammoniak aufwies als der Durchschnitt der anderen Liquores, wurde versucht, die Quelle dieser Ammoniakbildung zu ermitteln. Es wurden zun~chst Am- moniakbestimmungen im Gehirnbrei yon Kaninchen vorge- nommen, die recht niedrige Anfangswerte (A-Wert) ergaben (o,i--i,o mg%)! Wurde dagegen Gehirnbrei 2 Stunden im Wasserbad yon 4 ~ in einer 2proz. Bicarbonatl6sung expo- niert, so ergaben sich bei zahlreichen Versuchen sehr gleieh- m~Bige Befunde yon etwa 8--IO mg % Ammoniak (B-Wert), die h~ufig das 5o-und mehrfache des A-Wertes darstellten. Wurde Gehirnbrei in einer 2proz. Bicarbonatl6sung, die ~hs0 Na-Fluorid enthielt, exponiert, so wurde wesentlich weniger Ammoniak gefunden. Die kleine Abbildung zeigt zwei typische Befunde. Die erste Kolonne stellt den A-Wert, die zweite den Endwert nach 2stfindiger Exposition in Bi- caxbonatl6sung, die dritte den Endwert nach Exposition mi• Na-Fluorid dar. Die Expositionswerte in Fluorid-Bi- carbonat sind nur etwa halb so hoch wie die in Bicarbonat allein, Fluorid vermag also die Abspaltung yon Ammoniak in bestimmten Grade zu hemmen. Weiterhin babe ich die oben beschriebenen entsprechen- den Versuche an menschlichen Gehirnen angestellt, allerdings ohne bisher die Wirkung yon Fluorionen zu prtifen. Zur vor- l~ufigen Orientierung habe ich im Gehirn nur ganz grob zwi- schen Rinde und Mark unterschieden. Es zeigte sich in einer gr6Beren Anzahl yon Versuchen, dab die H6he des Ammoniak- gehalts, und zwar sowohl des pr~formierten Ammoniaks als auch des fiberhaupt abspaltbaren, abh~ngig ist yon der In- tensit~t der T~tigkeit der untersuchten Region vor dem Tode. So konnten in einem Gehirn eines im Status epilepticus Ge- storbenen und im Gehirn eines in schwerer Erregung ver- storbenen Paralytikers sowohl in der Rinde als auch im Mark Ammoniakmengen nachgewiesen werden, die fiber das Dop- pelte der in senilen Gehirnen ge~undenen und fast das Doppelte des Durchschnittswertes aller nntersuchten Gehirne aus- machten. Dahingegen wiesen 2 Gehirne von Chorea (I Fall von HUNTINGTON, I Tall yon SYDENItAM) weder in Rinde noch in Mark h6here Ammoniakwerte als der Durchschnitt auf. Die Analogie zu den hohen Ammoniakbefunden im Liquor bei gleichartigen Zust~nden wie den ersterw~hnten l~13t vermuten, was sich auch aus anderen theoretischen Erwi~gungen ergibt, dab die gesteigerten Ammoniakmengen im Liquor nicht die Folge einer vermehrten Ammoniakbildung durch die gesteigerte T~tigkeit der Skeletmuskulatur sind, dab es sieh nichtum einen ~bertritt yon Blutammoniak in den Liquor handelt, sondern dab tats~chlich die im Gehirn Ammoniak abspaltende Substanz auch das Ion an den Liquor abgibt und selbst eine Rolle im Erregungsvorgang im Zentral- nervensystem spielt. Welche Substanz der Ammoniak- abspaltung unterliegt, ist noch nicht ganz entschieden. Ob die Muskeladenyls~ure, die POHLE bei EMBDEN aus Gehirn isolierte, als Quelle des Ammoniaks in Betracht kommt, oder ob es sich, wie ich glaube beobachtet zu haben, um eine durch Petrol~ther aus Gehirn extrahierbare Substanz han- delt, muB noch often bleibem (Ausffihrliehe Ver6ffentlichung der Befunde erfolgt an anderer Stelle.) (Aus der Serologisch- bakteriologisch-chemischen Abteilung [Pro]. Dr. Ka]ka] der Psychiatrischen Universit~tsklinilc und Staatskrankenanstalt JFriedrichsberg in Hamburg [Direktor: Pro]. Dr. Weygand$].) Literatur: EMBD~N U. Mitarbeiter, Hoppe-Seylers Z. x75f. -- RIEBELI~G,~ber das Vorkommen yon prMormiertem Ammoniak im Liquor cerebrospinalis. Z. Neur. I28, 475. PRAKTISCHE ERGEBNISSE. TIERSEUCHEN UND MENSCHLICHE EPIDEMIEN. Ein Beitrag zur allgemeinen Epidemiologie.* Von HORST HABS. Aus dem Hygienischen Institut der Universit~t Heidelberg. (Direktor: Prof. Dr. E. GOTSCHLICH). Bei einer Aufteilung der menschlichen Infektionskrank- heiten nach epidemiologischen Gesichtspunkten ist yon jeher eine Gruppe als abgrenzbare|Einheit erschienen. Sie wird yon denjenigen Erkrankungen gebildet, die vom Tier, ins- besondere vom Haustier, auf den Menschen fibertragen werden : Die Gruppe der Zoonosen. In einer weiteren Fassung des Begriffs geh6ren alle diejenigen t~rankheiten hierher, bei denen das primdire Virusreservoir yon irgendeiner Tierart gebildet wird, auch wenn die Seuche sich im Verlauf der Epidemie sp~ter ausschliel31ich yon Mensch 'zu Mensch fort- pfianzen kann, wie es etwa bei der Pest der Fall ist. : Habilit ationsvoflesung. Derartige Erkrankungen spielen unter den Mimatischen und kulturellen Bedingungen des gegenw/irtigen Europa keine wesentliche Rolle. Sie treten gegenfiber den groBen Volksseuchen an Ausdehnung v611ig zurfick, Aber gerade deshalb sind sie von einer besonderen Bedeutung ffir die allgemeine Seuchenlehre. Denn die Epidemi01ogie der endemischen ansteckenden Krank- heiten yon allgemeiner Ausbreitung, wie etwa die der Di- phtherie oder der Masern, wird weitgehend beherrscht von den Verh~ltnissen der Durehseuehung. Die Immunitgtslage der Bev61kerung gewinnt auf den Ablauf der einzelnen Epi- demie den gr6B~en EinfluB. Und auch andere endemische Krankheiten, die nur noch gelegentlich in grSBeren Ausbrfichen hervortreten, stellen ihrer Erforschung dadurch groge Hinder= nisse in den Weg, dab ffir Auftreten und Verbreitung der Epidemie nicht nut der kranke Mensch verantwortlich zu machen ist, sondern dab Keimtr~ger eine groBe Bedeutung besitzen. Auch in den epidemiefreien Zeiten ist der An- steckungsstoff beim Menschen verbreitet, neben den~Er - krankungen spielen die latenten Infektionen im epidemio- logischen Geschehen mit. Und hierdurch sind wir oft weit-

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554 K L I N I S C H E W O C H E N S C H R I F T . io. J A H R G A N G . Nr. 12 2x. MARZ I93I

die wir mit PARNAS als , ,traumatische Ammoniakwerte" bezeichnen mfissen.

Aus unseren Beobachtungen I~Bt sich der sichere SchluB ableiten, dab im Gehirn betrXchtliche Ammoniakbildung stat thaben muB, fiber deren Bedeutung Untersuchungen noch im Gange sind.

Erscheint ausffihrlich in der Biochem Z. (Aus der Abteilung ]i~r Sto//wechsel- und Ernd~hrungsstdrungen [Vorstand: Geheim- rat Pro]. Dr. C. v. 2Voorden] im Kranlcenhause der Stadt Wien.)

UBER AMMONIAKBEFUNDE IM GEHIRN UND IHRE BEDEUTUNG.

Von

CARL ~:~I]~BELING.

Im AnschluB an Ammoniakbest immungen im Liquor nach der Methode yon EMBDEN, CARSTENSI~N u n d SCHUHMACItER, bei denen sich u. a. ergeben hatte, dab Liquor, der im Status (epilepticus oder paralyticus) entnommen war, bis 5mal

F

Z B n/zo N~f

Z B r~/lSo N~ F

soviel prMormiertes Ammoniak aufwies als der Durchschnitt der anderen Liquores, wurde versucht, die Quelle dieser Ammoniakbildung zu ermitteln. Es wurden zun~chst Am- moniakbest immungen im Gehirnbrei yon Kaninchen vorge- nommen, die recht niedrige Anfangswerte (A-Wert) ergaben (o , i - - i , o mg%)! Wurde dagegen Gehirnbrei 2 Stunden im Wasserbad yon 4 ~ in einer 2proz. Bicarbonatl6sung expo- niert, so ergaben sich bei zahlreichen Versuchen sehr gleieh- m~Bige Befunde yon etwa 8--IO mg % Ammoniak (B-Wert), die h~ufig das 5 o - u n d mehrfache des A-Wertes darstellten. Wurde Gehirnbrei in einer 2proz. Bicarbonatl6sung, die ~hs0 Na-Fluorid enthielt, exponiert, so wurde wesentlich weniger Ammoniak gefunden. Die kleine Abbildung zeigt

zwei typische Befunde. Die erste Kolonne stellt den A-Wert, die zweite den Endwert nach 2stfindiger Exposition in Bi- caxbonatl6sung, die dritte den Endwert nach Exposition mi• Na-Fluorid dar. Die Expositionswerte in Fluorid-Bi- carbonat sind nur etwa halb so hoch wie die in Bicarbonat allein, Fluorid vermag also die Abspaltung yon Ammoniak in best immten Grade zu hemmen.

Weiterhin babe ich die oben beschriebenen entsprechen- den Versuche an menschlichen Gehirnen angestellt, allerdings ohne bisher die Wirkung yon Fluorionen zu prtifen. Zur vor- l~ufigen Orientierung habe ich im Gehirn nur ganz grob zwi- schen Rinde und Mark unterschieden. Es zeigte sich in einer gr6Beren Anzahl yon Versuchen, dab die H6he des Ammoniak- gehalts, und zwar sowohl des pr~formierten Ammoniaks als auch des fiberhaupt abspaltbaren, abh~ngig ist yon der In- tensit~t der T~tigkeit der untersuchten Region vor dem Tode. So konnten in einem Gehirn eines im Status epilepticus Ge- storbenen und im Gehirn eines in schwerer Erregung ver- storbenen Paralytikers sowohl in der Rinde als auch im Mark Ammoniakmengen nachgewiesen werden, die fiber das Dop- pelte der in senilen Gehirnen ge~undenen und fast das Doppelte des Durchschnittswertes aller nntersuchten Gehirne aus- machten. Dahingegen wiesen 2 Gehirne von Chorea (I Fall v o n HUNTINGTON, I Tall y o n SYDENItAM) weder in Rinde noch in Mark h6here Ammoniakwerte als der Durchschnitt auf. Die Analogie zu den hohen Ammoniakbefunden im Liquor bei gleichartigen Zust~nden wie den ersterw~hnten l~13t vermuten, was sich auch aus anderen theoretischen Erwi~gungen ergibt, dab die gesteigerten Ammoniakmengen im Liquor nicht die Folge einer vermehrten Ammoniakbildung durch die gesteigerte T~tigkeit der Skeletmuskulatur sind, dab es sieh n i c h t u m einen ~be r t r i t t yon Blutammoniak in den Liquor handelt, sondern dab tats~chlich die im Gehirn Ammoniak abspaltende Substanz auch das Ion an den Liquor abgibt und selbst eine Rolle im Erregungsvorgang im Zentral- nervensystem spielt. Welche Substanz der Ammoniak- abspaltung unterliegt, ist noch nicht ganz entschieden. Ob die Muskeladenyls~ure, die POHLE bei EMBDEN aus Gehirn isolierte, als Quelle des Ammoniaks in Betracht kommt, oder ob es sich, wie ich glaube beobachtet zu haben, um eine durch Petrol~ther aus Gehirn extrahierbare Substanz han- delt, muB noch often bleibem (Ausffihrliehe Ver6ffentlichung der Befunde erfolgt an anderer Stelle.) (Aus der Serologisch- bakteriologisch-chemischen Abteilung [Pro]. Dr. Ka]ka] der Psychiatrischen Universit~tsklinilc und Staatskrankenanstalt JFriedrichsberg in Hamburg [Direktor: Pro]. Dr. Weygand$].)

L i t e r a t u r : EMBD~N U. Mitarbeiter, Hoppe-Seylers Z. x75f. -- RIEBELI~G, ~ber das Vorkommen yon prMormiertem Ammoniak im Liquor cerebrospinalis. Z. Neur. I28, 475.

PRAKTISCHE ERGEBNISSE. T I E R S E U C H E N U N D M E N S C H L I C H E E P I D E M I E N .

Ein Beitrag zur allgemeinen Epidemiologie.*

V on

HORST HABS. Aus dem Hygienischen Institut der Universit~t Heidelberg.

(Direktor: Prof. Dr. E. GOTSCHLICH).

Bei einer Aufteilung der menschlichen Infektionskrank- heiten nach epidemiologischen Gesichtspunkten ist yon jeher eine Gruppe als abgrenzbare |Einhei t erschienen. Sie wird yon denjenigen Erkrankungen gebildet, die vom Tier, ins- besondere vom Haustier, auf den Menschen fibertragen werden : Die Gruppe der Zoonosen. In einer weiteren Fassung des Begriffs geh6ren alle diejenigen t~rankheiten hierher, bei denen das primdire Virusreservoir yon irgendeiner Tierart gebildet wird, auch wenn die Seuche sich im Verlauf der Epidemie sp~ter ausschliel31ich yon Mensch 'zu Mensch fort- pfianzen kann, wie es etwa bei der Pest der Fall ist.

: Habilit ationsvoflesung.

Derartige Erkrankungen spielen unter den Mimatischen und kulturellen Bedingungen des gegenw/irtigen Europa keine wesentliche Rolle. Sie treten gegenfiber den groBen Volksseuchen an Ausdehnung v611ig zurfick, Aber gerade deshalb sind sie von einer besonderen Bedeutung ffir die allgemeine Seuchenlehre. Denn die Epidemi01ogie der endemischen ansteckenden Krank- heiten yon allgemeiner Ausbreitung, wie etwa die der Di- phtherie oder der Masern, wird weitgehend beherrscht von den Verh~ltnissen der Durehseuehung. Die Immunitgtslage der Bev61kerung gewinnt auf den Ablauf der einzelnen Epi- demie den gr6B~en EinfluB. Und auch andere endemische Krankheiten, die nur noch gelegentlich in grSBeren Ausbrfichen hervortreten, stellen ihrer Erforschung dadurch groge Hinder= nisse in den Weg, dab ffir Auf t r e t en und Verbreitung der Epidemie nicht nu t der kranke Mensch verantwortlich zu machen ist, sondern dab Keimtr~ger eine groBe Bedeutung besitzen. Auch in den epidemiefreien Zeiten ist der An- steckungsstoff beim Menschen verbreitet, neben den~Er - krankungen spielen die latenten Infektionen im epidemio- logischen Geschehen mit. Und hierdurch sind wir oft weit-