trash & müll

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NR32 april mai 2014

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Page 1: Trash & Müll

NR32april mai 2014

Page 2: Trash & Müll

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EDITORIAL

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MÜLL IN DEN KÖPFEN

HINTERGRUND

THEMA8 Über Trash und KritikIst « Trash » einfach Miley Cyrus auf einer Abrissbirne oder steckt da eine ernstzu–nehmende Kunstrichtung hinter dem Begriff ?

12 Lumpensammler & Trash-KompiliererVom digitalen Müllberg, der mehr über uns aussagt, als uns lieb ist und uns vor neue Probleme stellt.

14 Das ZürimännchenWas passiert wenn die Müllabfuhr plötzlich den Dienst verweigert? Gedanken über den Zürcher Müll.

18 RecyclingWer definiert eigentlich was Abfall ist? Eine berechtigte Frage. Denn es geht nicht nur um Hausmüll.

38 Meine GrossmutterLaurin Buser über seine Grossmutter. Die starke Frau hat ihre zwei Männer überlebt und hört ihrem Neffen nun beim Rapp en zu.

MÜLL/TRASH

32NO Inhalt

4 Das DuellDas Streitgespräch über Müll. Von AKW im Vorgarten und der Sackgebühr.

10 PapiersammlungNotitzzettel haben eine Halb-wertszeit von fünf Minuten. Tamara Hofer hat im Notiz-Friedhof gewühlt.

KREATIVES

36 Wo Bäume trinken - Ambra und

der grosse Sklave. Eine lyrische Kurz-

geschichte über Leidenschaft, Sex und

Fantasie.

16 SAUSAUSAUSEEin Gedicht über die ständigen Partys und den 24h-Konsum. Wie lange hält die Erde das aus?

6 Politkolumne von Cedric Wermuth

Cédric Wermuths 5-Punkte-Plan gegen die

Rohstoffspekulanten. Lehrt der Nationalrat

Glencore das Fürchten?

Fur die RedaktionMarius Wenger

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ILLUSTRATORIN

GABY LUONG,zarte 24 Jahre alt, studiert visuelle Kommunikation in Basel, findet sich gerade fett und ihr Konto ist ins Minus gerutscht. Sie mag Comics,liebt schwarzen Humor und Mayonnaise. Mit Teenager in zu engenLeggins kann sie nichts anfangen, genausowenig wie mit der SVP und Beschreibungen über sich selbst. Finger weg vom rosaroten Nilpferd.gabys artwork zu den artikeln findest du auf den seiten: 12 | 18 | 19 | 28 | 36 | 37

KONTAKT verein dieperspektive, zentralstrasse 167,

8003 zürich REDAKTION simon jacoby & conradin zellweger & manuel

perriard & konstantin furrer & marius wenger

& andrea schweizer LAYOUT isabella furler

COVER isabella furler LEKTORAT konstantin furrer DRUCK nzz print

AUFLAGE 4000 ARTIKEL EINSENDEN [email protected]

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LESERBRIEFE [email protected] GÖNNERKONTO

pc 87-85011-6, vermerk: gern geschehen

THEMA DER NÄCHSTEN AUSGABE wenn es dich stört,

warum tust du nichts? REDAKTIONSSCHLUSS

donnerstag, 1. mai 2014, 23.55 uhr

IMPRESSUM

20 Trash küsst Ästhetik22 « Landfill Harmonic »25 Säuberung. Ein Gedicht von Joy Tieg. Ein Albtraum der übleren Sorte. Nichts für schwache Nerven!

29 Highly sophisticated Gospel Choir.Ist das ein Gedicht, eine Illustration oder Müll? Keine Ahnung. Musst du selber entscheiden.31 Trash, alles Müll? Bei Anais Miller hängt der Müll im Kleiderschrank. 32 Statistiken. So viel Müll produzieren wir! Zahlen, welche für grosse Augen sorgen.

DER AUSGABE

3

26 Der Kreislauf des PetDurch die Wiederverwertung von

PET-Flaschen könnte enorm

Ressourcen gespart werden. Wenn

da nicht Stolpersteine wären...

Was nicht mehr gebraucht werden kann, ist Müll und wird weggewor-

fen. So das Credo unserer heutigen – eben – Wegwerfgesellschaft. Bis zur Industriali-sierung war es für die Menschen mangels vorhandenen Güter selbstverständlich, alles und jedes wenn irgendwie möglich wieder- und weiter zu verwerten. Lum-pensammler im Mittelalter verdienten ihr Brot mit dem Trennen und Sortieren von wiederverwertbaren Gütern; Lum-pensammler auf den Mülldeponien der nichtindustrialisierten Welt tun dies noch heute. Im antiken Rom wurden die Exkre-mente den Bauern im Umland als Dünge-mittel verkauft.

Welchen Wert Müll besitzt, wird zum grossen Teil in unseren Köpfen be-stimmt. Müll muss nicht wertlos bleiben, er kann seinen Wert wiedergewinnen. Wenn Müll in Kontakt mit den richtigen Ideen gerät, entstehen neue Gebrauchs-gegenstände, oder Kunst. Selbst Scheisse zu Geld machen funktioniert auch heute noch (siehe Seite 8). Müll wird zu Kunst und Kunst wird zu Trash und Trash ist geil – der alternative Müllkreislauf.

Während ich das hier schreibe sitze ich an der wärmenden Frühlingssonne. Frühling – für mich die Zeit des Aufbruchs, die Zeit um Neues in Angriff zu nehmen. Für dieses Neue muss aber erst Platz ge-schaffen werden, weshalb der Frühling auch die Zeit des Entrümpelns ist, die Zeit um sich von Altem zu lösen. Dieses Alte kann sowohl materieller Natur sein (dann wird’s natürlich nicht weggeworfen, son-dern fachgerecht rezykliert, verkauft, ver-schenkt), wie auch in Form von Gedanken und Ideen in unseren Köpfen existieren.

Dass „geistiges Entrümpeln“ kei-ne Stärke von Herr und Frau Schweizer ist, wurde uns am 9. Februar bewiesen. Mit der Annahme der Masseneinwande-rungsinitiative zeigten wieder mal mehr als die Hälfte der Abstimmenden ein Bild der Schweiz, welches ich nur als längst vergangen und realitätsfern bezeichnen kann. Die Schweiz als selbstbestimmte In-sel inmitten des untergehenden Europas, die Schweiz, die ihren Reichtum selbst er-arbeitet hat und darum mit niemandem teilen will und muss – oder: „Die Schweiz – ein Gefängnis“, wie es Dürrenmatt schon 1990 sagte. Ein Gefängnis, geschaffen von den hierzulande reichlich vorhandenen Bewahrern und Konservierern, denen die neue Idee der europäischen Integration Angst macht. (Ja ich weiss, die Idee geht zurück auf die Nachkriegsjahre, vielen ist sie jedoch noch heute zu neu).

Darum unsere Idee: Lösen wir uns vom „Müll in den Köpfen“, mit dem wir nichts mehr anfangen können, und lösen wir uns zugleich vom Gedanken, dass all das, mit dem wir nichts mehr anfangen können, Müll ist!

P.S: Die nächste Chance, um den Konservierern und Bewahrern

ein zeitgemässes Schweizbild zu präsentie-ren kommt am 18. Mai bei der Gripenab-stimmung.

Page 3: Trash & Müll

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Die Diskussion zwischen

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AB 3. APRIL IM KINOAB 3. APRIL IM KINOAB 3. APRIL IM KINO www.trigon-fi lm.org

Wenn ein Haus leer steht und noch keine Bau–bewilligung da ist, warum nicht besetzen... Wenn ein Nachfolgeprojekt da ist - sehr gut. Wenn es noch Minergie ECO ist, umso besser!

In den 80er Jahren

aus Protest auf den Zürcher

Tramgeleisen einen Joint

graucht - heute für

Reiheneinfamilienhüsli,

Heimatschutz und Rauchverbote.

HINTERGRUND

/DAS DUELL /DAS DUELL

Das Duell:

Beim Duell stehen sich in jeder Ausga-

be Peter Werder und ein Mitglied der

Redaktion zum aktuellen Thema der

Ausgabe gegenüber.

* Dr. Peter Werder ist bürgerlicher

Politiker, Dozent an der Universität

Zürich und leitet die Kommunikation

eines Konzerns im Gesundheitswesen.

* Conradin Zellweger, 25

Redaktor und Student. Hat sich nach

diesem Duell bei Greenpeace ange-

meldet.

Conradin Zellweger und Peter Werder

Peter Werder über « die linkssoziale Romantik »

Conradin Zellweger

Conradin zellweger: Lassen Sie mich eine These aufstellen. Wenn es um ein neues AKW geht, sind Sie der erste, der dafür ist. Wenn es darum geht mit staat-lichen Geldern ein neues Endlager mit zu bezahlen, dann hört der Spass für Sie auf. Richtig?

peter werder: Komische Verknüp-fung zwischen energiepolitischer Frage und der Finanzierung der Energieversor-gung. Sagen wir es so: Ich würde sofort ne-ben einem neuen AKW wohnen, genauso würde ich es zulassen, wenn neben mir ein Endlager gebaut würde. Die alten AKWs möglichst schnell abschalten, möglichst schnell ein Neues bauen. Das wär es eher.

CZ: Neues bauen? Meinen Sie nicht wir könnten auch mal alter-native Energiequellen subventio-nieren?

PW: Gute Idee! Und wenn es nicht reicht, machen wir doch ein-fach beides. Ganz unverkrampft und unideologisch. Plagt Sie wie-der Ihr schlechtes Gewissen?

CZ: Ja. Das schlechte Gewis-sen plagt mich.

Auch wenn ich diese hüb-schen Sünnelikleber in meiner Küche habe. Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer sind für AKWs. Also muss auch ich Verantwortung dafür tragen. So funktioniert es nun mal bei uns.Ja, unverkrampft ist gut. Aber wenn die Gefahren bei AKWs ob-

jektiv extrem viel höher als bei alternativen Energiequellen sind, dann ist es für mich unbegreiflich dass man für AKWs sein kann, wenn es auch anders geht. Ein solches rein ökonomisches Denken kotzt mich an.Ausserdem bin ich überzeugt, dass die Langzeitkosten höher sind. Der Müll bleibt Millionen von Jahren gefährlich. Wer weiss schon, was dann los ist.

PW: Sie sind gegen Atomkraft - das überrascht mich jetzt vollkommen. Spass beiseite. Links aussen ist man einfach nicht konsequent. Ich mach Ihnen ein paar Beispiele.

Sie wollen keine neuen Strassen, aber den öV fördern. Gleichzeitig wollen Sie die Energieversorgung nicht ausbau-en. Sie waren gegen die Masseneinwande-rungsinitiative (wie ich), wollen die Stras-sen nicht ausbauen, das verdichtete Bauen nicht fördern, keinen Zürcher Seetunnel, betreiben Heimatschutz mit alten Häu-

sern (die Sie dann besetzen, wenn sie mal abgerissen werden sollen), die man mit neuen, hohen Gebäuden ersetzen könnte, die mehr Platz bieten und energetisch sinnvoll sind.

CZ: Ja wenn ein Haus leer steht und noch keine Baubewilligung da ist, warum nicht besetzen.

Wenn ein Nachfolgeprojekt da ist - sehr gut. Wenn es noch Minergie ECO ist, umso besser! Ich glaube den Besetzern tut es sowieso besser wenn sie alle 1.5 Jahre umziehen. Das löst einige Hygiene-Pro-bleme von alleine.

PW: Die linkssozialromantische Re-alität sieht leider anders aus. Die Spiesser von heute. In den 80er Jahren aus Pro-test auf den Zürcher Tramgeleisen einen Joint gedreht und geraucht - heute für Reiheneinfamilienhüsli, Heimatschutz und Rauchverbote. Einfach nur bünzlig.Abgesehen davon scheinen Sie schon in jungen Jahren dem neuen Moralterror verfallen zu sein - zwischen CO2-Kompen-sation und dem dauerbesorgten Gesichts-ausdruck noch etwas Lebensfreude? Klar - beim Besetzen. Da spielen Sie dann ein bisschen Fünf Freunde. So guet!

CZ: Seetunnel! Ich bin dabei! Skyline in Altstetten! Sowieso!

PW: Das glaube ich erst, wenn Sie mal für die AL oder die SP in der politi-schen Arena an entsprechender Stelle den Finger heben. In die Höhe bauen - das wür-de uns was bringen. Ein Seetunnel würde die Innenstadt entlasten. Aber nein: Die Linken zählen Parkplätze. Auch ein Weg zum Orgasmus.

CZ: Ich freue mich jedes Mal wenn wieder ein Hochhaus neben dem Primeto-wer in Zeitlupentempo entsteht. (Warum sind wir Schweizer eigentlich so langsam im Bauen? Gibt es da Vorschriften?)

PW: Ich kann Ihnen sagen, wieso es so langsam geht: Weil Linke wie Sie immer Einsprachen machen.

CZ: Glaube ich nicht. Linke wohnen nicht im Primetower und klagen sicher nicht gegen einen Secondtower. Das müs-sen Ihresgleichen oder Banker sein, die sich die teuer erkaufte Aussicht nicht neh-men lassen wollen.

PW: Wer hat das Stadion verhindert? Ich sage nur: Schattenwurf und Arbeiter-hüsli. Aber lassen wir das. Sie wollten ja über den Müll sprechen. Was tun denn Sie dagegen?

CZ: Ich gehe zu McDonald‘s und bastle mir dann aus den Tüten und Karton-

boxen neue Kleider.PW: Irgendwie so stelle ich mir die

Mitgliederversammlung der Gender-Stu-dy-SP-Gruppe im Kreis 4 vor.

CZ: Nein, Spass be iseite. Ich ver-suche eigenverantwortlich zu sein. Da staunen Sie. Nicht wahr?

PW: Eigenverantwortlich - ganz ohne Staat? Das glaube ich nicht.

CZ: Aber leider ertappe auch ich mich (als armer Studi) wie ich meine Einkäufe in 10 Gratis-Plastiktütchen vom Coop stopfe. Die dann auf dem Nachhauseweg reissen.

PW: Uiiii, wirklich? Wieso pflan-zen Sie sich Ihre Nahrung nicht selber an?

CZ: Wegen dem schattigen Balkon. Nebenan wurde hoch gebaut.

PW: Oh, das tut mir leid. Aber nut-zen Sie doch Ihre Indoor-Lampen auch für Kartoffeln.

CZ: Nein, eine Säckligebühr für Pla-stiksäcke geht mir auch zu weit. Aber wie will man nachhaltig leben wenn einem überall Verpackung und Tragtaschen nachgeworfen werden?

Ich weiss es auch nicht. Aber ich bin offen für Lösungen. Es gibt da z.B. kom-

postierbare Säcklein. Nur sind die teurer. Dann gibt es halt eine Minigebühr und dafür müssen wir nicht auf den Luxus von Plastiksäckchen verzichten.

PW: Nachhaltig heisst, dass man nicht mehr verbraucht, als nachwächst bzw. nachproduziert werden kann. Sie meinen mit nachhaltig ein wackeliges ethisches Konzept, das die Begriffe „lang-fristig“ mit „korrekt“ vermischt und dabei auch noch die Autorität für sich in An-spruch nimmt ohne empirische Grundla-ge zu entscheiden, was korrekt ist.

Page 4: Trash & Müll

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MÜLL | TRASH

/ZEICHNUNGEN AUF FOTOGRAFIEHINTERGRUND

/POLITKOLUMNE→←

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artwork: Barbara Sonderegger

Der Rohstoffriese GlencoreX-strata und seine Praktiken

stehen zurzeit im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die Firma fördert im Sü-den Perus im Bezirk Espinar Kupfer. Diese Mine habe ich vor wenigen Wochen be-sucht. Seit Beginn der Tätigkeit der Minen-industrie kommt es immer wieder zu hef-tigen Protesten der lokalen Bevölkerung. Die Vorwürfe umfassen ein breites Spek-trum: Die Mine verschmutze das Wasser (tatsächlich ist die Schwermetallbelastung in der Region höher als zulässig) und füh-re dadurch zu Missbildungen bei Mensch und Tier, Glencore arbeite intransparent und kümmere sich wenig um das Schicksal der lokalen Bevölkerung und verletzte die Menschenrecht.

Tatsächlich kam es in Espinar letzt-mals 2012 zu gewalttätigen Auseinander-setzungen zwischen Demonstranten und der peruanischen Polizei. Dabei wurden 100 Personen verletzt und drei sogar ge-tötet. Ausserordentlich problematisch ist, dass sich die schweizerisch-britische Fir-ma mit geheimen Verträgen die Dienstlei-stungen und Loyalität der Polizei sichert. Die Polizistinnen werden für ihre Tätigkeit nicht vom peruanischen Staat entlöhnt, sondern von Glencore selber. Die Men-schen verlieren deshalb nicht nur das Ver-trauen in die Firma, sondern auch in ihren eigenen Staat. Dies wiegt umso schwerer, als dass in der Region um die Mine tatsäch-lich wenig von einem Aufschwung zu se-hen ist, während der Konzern weltweit 245 Milliarden Umsatz generiert.

Der Fall Espinar ist nur ein Beispiel für viele problematische Minenprojekte. Und natürlich ist es immer schwierig, sich von aussen ein klares Bild zu machen. Es gibt kein schwarz-weiss, auch hier nicht. Klar ist aber, dass die aktuelle Situation unhaltbar ist. Es kann nicht sein, dass un-sere Konzerne die Rohstoffreichtümer des Südens ausbeuten ohne, dass die lokale Bevölkerung davon profitiert. Und es geht auch nicht, dass Multis wie GlencoreX-strata intransparent arbeiten und in Men-schenrechtsverletzungen verwickelt wer-den. Wir brauchen möglichst schnell klare Regeln für Schweizer Multis im Ausland. Eine glaubwürdige Gesetzgebung muss die Konzerne mindestens zu folgendem 5-Punkte-Plan verpflichten:

1. Konzerne müssen bevor sie in einem problematischen Land überhaupt aktiv werden eine sorgfältige Risikoanalyse durchführen. Je schwieriger die Menschen-rechtslage ist, desto härter müssen die Sorgfaltspflichten sein und desto strenger die Kontrolle.

2. Vor Ort müssen sich die Roh-stofffirmen an ein simples Prinzip halten: Nichts darf geschehen, ohne dass die direkt betroffene, lokale Bevölkerung voll infor-miert ist und dem Projekt in einem freien Meinungsbildungsprozess zugestimmt hat. Bei uns ist das selbstverständlich. Jedes Bau-gesuch muss aufgelegt werden, jedes grös-sere Projekt braucht eine Abstimmung in der Gemeinde.

3. Die Firmen müssen dringend transparenter werden und über ihre lang-fristige Planung, ihre Verträge mit lokalen Behörden, ihre Produktionsvorgänge und finanzielle Lage Auskunft geben.

4. Wir müssen sicherstellen, dass Gewinne, die mit Produkten aus einem Land im Süden erzielt werden, auch dort versteuert werden. Es kann nicht sein, dass Steuertricks dazu führen, dass Glencore schlussendlich weder in der Schweiz noch vor Ort überhaupt Steuern zahlt.

5. Und zu guter Letzt müssen di-rekt Betroffene aus Staaten, die über kein unabhängiges Justizsystem verfügen, das Recht erhalten in der Schweiz gegen Ver-letzungen der Menschenrechte zu klagen. Nur dieses Druckmittel zwingt die Kon-zerne wirklich dazu, das Wohl der Men-schen wirklich ins Zentrum ihrer Arbeit zu stellen.

Tun wir nichts, könnte die Roh-stoffbranche zum nächsten Bankgeheim-nis werden. Wir sollten das Geschäft mit Dreck deshalb rechtzeitig regulieren.

DAS GESCHÄFT MIT DRECKvon Cedric Wermuthi

* Cédric Wermuth ist sozial–

demokratischer Nationalrat aus

dem Kanton Aargau, er schreibt

monatlich zum Thema Politik.

Antworte Cédric Wermuth auf

[email protected].

Dreck deshalb rechtzeitig regulieren.

Page 5: Trash & Müll

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S ie stehen vor dem Stadt-theater. Ihre Nase bereits etwas gerötet von der Kälte. Rasch werfen Sie einen Blick auf das Pla-kat der heutigen Perfor-mance, welches mit dem

blutroten Wort «AUSVERKAUFT» überzo-gen ist. Mit ihren kalten Händen ziehen Sie an der Eingangstüre, die Eintrittskarte fest in der geschlossenen Hand, als ob sie diese vor vermeintlichen Dieben schüt-zen müssten. Im Foyer dringt das Stimm-gewirr der vielen Besucher in ihre Ohren – Begrüssungen, Gelächter, Gespräche über Kunst. Sie entledigen sich Ihres lan-gen Wintermantels, sowie ihres Schals. Freundlich strahlt sie die junge Dame der Garderobe an. Ihre Aufregung steigt – ein Klang signalisiert, dass die Vorstellung in Kürze beginnt. Kontrollblick auf ihre Kar-te – Estrade, rechts. Sie beeilen sich und drängeln durch die Kolonnen der Schaulu-stigen, die ebenfalls zu ihren Plätzen stre-ben. Der Platz ist gefunden. Sie machen es sich bequem. Das Licht wird gedimmt und der Klangteppich des Publikums verstummt. Vorhang auf. Mit eleganten Schritten betritt die junge Performerin die Bühne. Eingehüllt in ein weisses Negligé, da-runter leicht erkenn-bar weisse Dessous. Etwas verlegen wirft die Künstlerin ihre blonden, samtgleichen Haare zurück. Ihr Blick verrät etwas Melancho-lisches, ähnlich wie bei einer schlafenden Schönheit. Musik ertönt und der Körper der Ak-teurin beginnt sich zu bewegen. Ihre zarten Hände streicheln über ihren Nacken, dabei dringt aus ihrem Mund sanft ein Monolog aus Goethes Faust. Die erotischen Bewe-gungen werden exzessiver. Die anfänglich schlafende Schönheit wird zur jungen Wil-den. Ihre Hände beginnen mit dem Lieb-kosen ihrer Brüste und entfernen dabei leicht das Negligé. Die ganze Anmut ihres Körpers wird deutlich. Eifrig schlängelt sich die Darstellerin Richtung Publikum, geht in ihre Knie, entfernt ihr Höschen und scheisst auf den Bühnenrand. Das Pu-blikum applaudiert und geht.

« Trash » (englisch Müll, Abfall) wird im Deutschen um-gangssprachlich benutzt, um vor-wiegend in künstlerischen Zu-sammenhängen eine abneigende Haltung auszudrücken.

Im Duden wird « Trash » fol-gendermassen definiert:

«Richtung in Musik, Literatur und Film, für die bewusst banal, tri-vial oder primitiv wirkende Inhalte und eine billige Machart typisch sind.»

Somit unterscheidet sich der «Trash» in Form und Inhalt durch sei-ne banale und billige Art von intellektuell anspruchsvollen medialen Produkten.

Die im oberen Absatz beschriebene Performance lehnt sich an die «Kunst» von Ann Liv Young an. Young ist international bekannt als Performerin ohne Grenzen. Problemlos lockt sie ihr Publikum zu ih-ren Darstellungen und löst dabei ihre Ver-sprechen ein, denn eine Performance mit Young bedeutet immer Nacktheit, Sex und Fäkalien. Die Frage, ob das Kunst ist oder eben doch nur Scheisse auf den Brettern,

von Dominik Wolfinger

Über Trash

und Kritik

Trash ist populär

und findet

durch gekonntes

Anbiedern ihr

Publikum.

Kritik benötigt Zeit und beansprucht das Denken. In einer

medial überforderten Gesellschaft ist jedoch beides knapp.

die die Welt bedeuten, drängt sich auf.Während Ann Liv Young wohl noch

darauf wartet ein Millionen-Publikum an-zusprechen, hat das die 22-jährige Miley Cy-rus problemlos mit ihrem Skandalauftritt an den MTV Video Music Award geschafft. Mit lasziver Zunge und Fingerhandschuh tänzelte die aufmerksamkeitsgeile Cyrus vor dem kreischenden Publikum. Auch ihr neues Video «Wrecking Ball» wurde bereits 500 Millionen Mal auf YouTube angeklickt. Cyrus, die splitternackt auf einer Abriss-birne singt, begräbt damit ihr Image als Kinderstar.

Doch selbst die spätpubertieren-de Cyrus steckt noch in den Kinderschu-hen. Der amerikanische Kultregisseur Quentin Tarantino stellt Young und Cy-rus direkt ins Abseits. Tarantino präsen-tierte in den letzten Jahren Filme wie « Kill Bill » (2003), « Inglorious Basterds » (2009) und « Django Unchained » (2013) und zauberte dabei glockenhelles Kinder-lachen in die Gesichter der Fans. Dabei haben die drei Filme alle dieselbe Prämis-se: Underdog läuft Amok. Einfach in drei verschiedenen Versionen. Bei « Kill Bill »

rächt sich eine Frau, bei «Inglorious Ba-

sterds» sind es die Juden und in «Django

Unchained» ist es ein Afroamerikaner. Of-

fenbar reicht eine simple Prämisse in Zu-

sammenhang mit Gewaltverherrlichung

– verpackt in Coolness, um die Box Office

zu erreichen.

Trash ist populär und findet durch

gekonntes Anbiedern ihr Publikum. Dabei

öffnet die Kritiklosigkeit des Publikums

Tür und Tor für alles und jeden. Denn

Kritik benötigt Zeit und beansprucht das

Denken. In einer medial überforderten

Gesellschaft ist jedoch beides knapp. So

wird ein Produkt entweder gemocht (ge-

liked) oder ignoriert. Sich mit dem Inhalt

auseinanderzusetzen wäre zu ehrgeizig.

Doch muss Kritik überhaupt sein,

kann man nicht einfach das dumme Lus-

tobjekt Cyrus – welche in wenigen Minu-

ten die Gleichstellung zwischen Frau und

Mann zurück in die Steinzeit katapultiert,

das cineastische Genie Tarantino – mit

seiner Glorifizierung der Gewalt und die

Gottkönigin der Provokation Young - mit

ihrem dampfenden Scheisshaufen, ge-

niessen?Sind diese drei Gestalten nicht ein

Teil unsere Gesellschaft und tragen dazu

bei diese zu verbessern?

Eine Gesellschaft welche den

schnellen Nervenkitzel den «cheap fu-

cking thrill» sucht der sofort konsumiert

werden kann und dadurch hoffnungs-

losen Idioten und arroganten Arschlö-

chern die grossartige Möglichkeit bietet

sich mit Federn schmücken bis ein paar

alte Socken in Geschenkpapier zum Weih-

nachtsgeschenk das Huhn zum Pfau oder

eben Scheisse zur Kunst wird und so zu-

gleich Trash weiterhin in eine Richtung

steuern lässt bis die zukünftigen Youngs

auf der Bühne abtreiben und mit dem

blutverschmierten Föten Bilder malen

die zukünftigen Cyruses sich singend ver-

gewaltigen lassen und die zukünftigen

Tarantinos eine «brandneuen» blutrün-

stigen Rachestory liefern vielleic ht jagt

demnächst Wilhelm Tell mit seiner Arm-

brust Immigranten in der Schweiz und

wir geniessen alle das Spektakel mit Pop-

corn und Cola.

MÜLL | TRASH

/LANGER TEXT MIT PROVOZIERENDEM BILD /LANGER TEXT MIT PROVOZIERENDEM BILD

Ist das Kunst oder kann das weg?

Ist Trash wirklich eine neue Kunstrich-

tung oder will man uns neuerdings

einfach MTV als Kunst verkaufen?

Ein Essay über Kunst, Skandalauftritte und Mainstream.

provokative performance: Die künstlerin Ann liv young in aktion

Dominik Wolfinger, ZHdK Student

und Möchtegernautor

Page 6: Trash & Müll

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Alle möglichen Ideen kommen an allen möglichen Orten. Aber nie Notizpapier.

Darum landen die meisten meiner Einfälle auf Abfällen.

Papiersammlung

MÜLL | TRASH

/ KREATIVMASCHINE: PAPÜÜRUS

Garantieschein.Pha, ich fall sicher nicht

auf Werbung rein, ich bin doch nicht blöd!

Zweite Flaschenetikette.

Apropos. Warum ist die Flasche von Rotwein grün?

( Denn die von Weisswein ist weiss! )

Untersetzer.Wenn Hopfen und Malz

verloren sind, gibt‘s halt

einfach kein Bier mehr. Ist das schlimm?

Papier–schiffchen.

Stille Wasser sind im Fall oft

auch mief!

Fernsehheftli.Auf Englisch:

Reality TV.Zu Deutsch:

Realitätsfernsehen.In Wahrheit:

Realitätsfern sehen.

Kassenzettel.Nicht alles ist Mathematik.

Wenn zwei einander die halbe Wahrheit sagen,

ergibt das zusammen jedenfalls deutlich

weniger als die ganze Wahrhei

20 Minuten.Ich glaube, der wahre

Nutzen von Gratiszeitungen liegt darin,

dass man am Morgen im vollbesetzten

Zug endlich weiss wohin mit den Augen!

Rechnung.Das Wort « Problem »

kommt aus dem Griechischen und bedeutet etwas,

das direkt vor unserer Nase liegt!

Platteninnen–hülle.

Was ist das Gegenteil von Blues? Yellows??

Prepaidquittung.Die Motivation sich

mitzuteilen gründet praktisch immer darin

gemocht zu werden.

Papierserviette.Es gibt zwei Dinge,

die mir abgrundtief absurd vorkommen. Fleisch Essen.

Heiraten.

Regionalzeitung. (nicht notiert,

ausgeschnitten)Kleinanzeige:

Suche liebe Frau mit Wald. Motorsäge

vorhanden.

Fernsehheftli.Thomas Bucheli

wollte sicher schon als kleiner Bub Regenschauer

werden.

Kontoauszug.Wie lautet das Verb

zum Nomen « Diskrepanz »? Diskrepieren??

Visitenkarte.Wie viel Aufmerksamkeit wir unwichtigen Dingen

wie Arbeit, Ausgang oder Smalltalk schenken und

wie nebenbei wir die eigentlich lebenswichtige

Dinge tun: Atmen, Essen, Sein.

Zugbillet.Gegen den Strom

schwimmen ist gar nicht schwer. Alle gehen einem

aus dem Weg! ( ausprobiert zur Stosszeit am Bahnhof Basel, allein

gegen gewaltige Pendlermassen )

Wanderkarte.Gelesen auf einem

Schild direkt vor einem See: Ausser Betrieb.

Flaschenetikette.Weinkenner sind Schnurris.

Entweder manmag einen Wein,

oder nicht. Dazu gibt es nichts zu sagen.

Werbeprospekt.Wenn Früchte Aktion

sind, ist was faul.

Handyhandbuch.Die automatische

Wortvervollständigung meines Handys schlägt mir eine „Affäre“ vor,

wenn ich doch eigentlich « Bedarf » tippen wollte.

Einen gewissen Zusammen-hang kann ich da dann

aber doch auch nicht abstreiten.

Kinder haben recht! Wenn ich die Augen schliesse, dann sieht

man mich auch nicht. Gewissermassen. (Musste ich mir merken, hatte ja die Augen geschlossen.)

SMS bekommen: « Hoi! Bin im Hallenstadium, kommst du auch? » Geantwortet: « Nein, ich bin noch nicht so weit. »

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Tamara Hofer, 32,

Mensch in Ausbildung

von Tamara Hofer

nicht abstreiten.

MÜLL | TRASH

/VERPACKUNG ZWEIDIMENSIONAL

Artwork: Stefanie Hess

Page 7: Trash & Müll

12 13

Lumpensammler

& Trash-Kompilierer

von Fabian Schwitter

Und nur, wer zwi-

schen Brauchbarem

und Unbrauch-

barem unterschei-

den kann, überlebt

auf dem digitalen

Müllberg.

MÜLL | TRASH

/KAMPFSCHRIFT FÜR MEHR ODER WENIGER MÜLL

Das Internet ist ein Friedhof – so ungefähr steht es in Corina Caduffs Essayband: « Szenen des Todes ». Bald sind mehr Daten

im Internet von Menschen gespeichert, die längst tot sind – alte Facebookprofile zum Beispiel. Oder umgekehrt: Tote Profile von lebenden Menschen. Das Internet ist erst recht ein Friedhof, wenn man daran denkt, dass mittlerweile schon digitale Gräber gekauft werden können. Ob für die Oma oder das Haustier oder sogar für die eigene Person selbst spielt dabei keine Rolle. Da sind dann Bildchen gespeichert und nette Worte – ein wenig wie Blumen auf einem Grab. Tote Daten allenthalben. Das mag nun pietätlos er-scheinen, immerhin sind Friedhöfe wichtige Gedenkstätten. Doch die Metapher trägt umso mehr, wenn in Betracht gezogen wird, dass die Halbwertszeit von Daten auf Datenträgern nicht grösser ist als die Halbwertszeit des Fleisches am Knochen einer Leiche. Schon nach wenigen Jahren schafft es die Software nicht mehr, das auf einem Medium gespeicherte Dokument zu öffnen und wenn, dann als wildes Chaos von unzusammenhängenden Zeichen. Der Grossroman in weit mehr als fünfzig Abstufungen von Grau oder das Porträt der Geliebten in konturlosen Farbtupfern.

Eine bunte Palette von Müll übersät das Internet – auf al-len Stufen des Zerfalls. Und dieser Müll ist höchst öffentlich zu-gänglich. Es gibt da kaum Abteilungen für Sondermüll – und die Problematik des Datenschutzes mit allen seinen Dimensionen sei hier aussen vorgelassen. Im Vordergrund steht ohnehin der öf-fentliche Müllberg, der täglich wächst und wächst und ins Uner-messliche zu wachsen droht, wenn er nicht schon unermesslich ist.

Leben auf dem MüllbergKulturpessimistinnen und -pessimisten beklagen schon

lange, dass es so nicht weitergehen könne. Analoge Bibliotheken waren schon ein unüberschaubarer Fundus an Information. Die Kapazitäten digitaler Speichermedien jedoch vergrössern sich je-des Jahr, obwohl die Hardware kleiner und kleiner wird – da neh-men sich die Seiten eines Buches geradezu lächerlich aus. Viel-leicht können durchschnittliche Jugendliche auch deshalb nicht mehr zwischen einem Buch und der 20-Minuten-Zeitung unter-scheiden. Jedenfalls meinte ein Teenie kürzlich, er lese durchaus

noch. 20-Minuten sei sein Lieblingsbuch. Aber für jemanden, der mit Youtube sozialisiert wurde, ist das schon beinahe eine Beich-te, wenn auch mit heimlichem Stolz vorgetragen.

Gerade um Unterscheidung muss es im digitalen Zeital-ter aber gehen. Der Reichtum an Information allein nützt noch nichts. Diese Binsenwahrheit ist längst bekannt. Zu unterschei-den, welche Information wozu dienen kann, ist die Aufgabe der Userinnen und User. Dass der erste Eintrag, der bei einer Google-Suche auftaucht, nicht deswegen schon der Beste ist, müssen sich die Digital Natives immer wieder vorsagen, um nicht der Ver-suchung anheimzufallen. Ganz so, wie die Eltern dieser Digital Natives im Religionsunterricht noch den Katechismus oder das «Vater Unser» – «und führe uns nicht in Versuchung» – aufsagen mussten. – Aber es ist im Grunde bereichernd in einem durchaus aufklärerischen Sinn, wenn die alten Meinungsmacherinnen und Meinungsmacher (ob Zeitungen oder andere Autoritäten) ausge-dient oder zumindest ihre Monopolstellung verloren haben. Not-gedrungen muss sich die heutige Gemeinschaft von Userinnen und Usern ihr Bild selbst machen und dann entscheiden.

Wer sucht, der findet, ist also das wiederbelebte Credo der digitalen Gesellschaft. Der Lumpensammler von gestern ist der digitale Trash-Kompilierer von heute. Und nur, wer zwischen Brauchbarem und Unbrauchbarem unterscheiden kann, über-lebt auf dem digitalen Müllberg. Fast zwangsläufig geht damit die Förderung der Urteilskraft einher. Idealtypische Userinnen und User würden sich also durch eine immer schnellere und immer zielsicherere Fähigkeit zur Unterscheidung auszeich-nen – einer im Gleichschritt mit den Speicherkapazitäten

wachsenden Fähigkeit natürlich. Flexibilität bekommt in diesem Licht eine ganz andere Bedeutung: undogmatisch Denken. Wie wären Dogmen bei der Wachstumsgeschwindigkeit des Müllbergs auch möglich? Allzu schnell würden diese Dogmen unter einer plötzlich niedergehenden Schuttlawine begraben.Wer sucht, der findet – nicht zuletzt sich selbst, indem er sich zum Richter über Sinn und Unsinn oder Wert und Unwert aufschwingt. Denn nur was/wer kopiert wird, überlebt im digitalen Reich, wenn an die Halbwertszeiten gedacht wird. Darin gleichen die Userinnen und Usern den mittelalterlichen Mönchen, die in ihren Schreibstuben geduldig Wort für Wort abschrieben – copy/paste ist zumindest für die quantitative Verbreitung eine Erleichterung.

Slavoj und ŽižekDie weinerliche Leier vom Verlust der Einheit oder des Sub-

jekts überhaupt, wenn sich die Person an ihren diversen Online-Profilen misst, würde dabei ebenso hinfällig, wie die kulturpessi-mistischen Unkenrufe, dass der Müll überhand nehme oder gar Bildung verloren gehe. Die Bildung der Urteilskraft ist wohl das Einzige, was für einen Menschen – in jeglichem philosophischen Sinn – wichtig sein kann. Und die Auswahl an Lebensentwürfen nimmt zu, wenn die unzähligen (Toten-)Masken auf Social-Media-Plattformen betrachtet werden. So schreit, seinerseits von den Kulturpessimisten vor Gericht gezerrt, the digitally native subject: I object.

Aber bis wir – und nicht nur irgendwelche Künstlerinnen und Künstler – soweit sind, können wir uns durchaus analog an Žižeks dialektisches Schelmenstück zum Umweltschutz halten: Wir müssen noch viel mehr Müll produzieren, sodass sich die sau-bere Umwelt irgendwann von alleine einstellt. Dieser Spruch ist wohl nicht ganz ohne Ironie zu nehmen. Hingegen ist er auch nicht zynisch. Vielleicht müssen wir im digitalen Bereich viel ver-rückter werden – oder einfach noch ein wenig üben. Und in der Zwischenzeit die Forderung: Mehr Müll!

Fabian Schwitter (*1984) ist seit dem letzten Jahr eidge-

nössisch diplomierter Senfmischer. Er hat in Zürich

Philosophie und Literaturwissenschaft abgeschlossen.

Der Hochschulabsolvent verkauft hochwertigen Kaffee

(www.vivicafe.ch) und ist im Kindergarten angestellt.

Ansonsten publiziert er immer wieder literarische

und essayistische Texte (z.B. in Lasso, Variations oder

Denkbilder) und ist Mitherausgeber der literarischen

Zeitschrift delirium (www.delirium-magazin.ch)

/KAMPFSCHRIFT FÜR MEHR ODER WENIGER MÜLL

Müll existiert nicht nur Physisch. Auch die

digitalen Müllberge wach-sen ins unermessliche.

Aber nur weil etwas keinen Platz braucht, heisst

das noch lange nicht, dass es keine Auswir–

kungen hat.

Zwischenzeit die Forderung: Mehr Müll!

Page 8: Trash & Müll

14 15

Die ZüRIMÄNNCHEN

MÜLL | TRASH

/HOMMAGE AUF BLAUEM HINTERGRUNDMÜLL | TRASH

/ILLUSTRATION, FÜR EINMAL WORTWÖRTLICH

von Julia Panknin

Ist dir auch schon aufgefallen, dass Zürich immer super-sauber gepützelt ist? Egal wie dreckig die Party am Vorabend war, am Morgen da-nach ist wieder alles blitzblank. Eine ode an die Saubermacher.

Ich frage Euch: Sollte unsere Stadt, unser Land und unsere Umwelt

uns nicht mindestens genau so viel wert sein?

Julia Panknin, 28, Publizistin & BarBiene.

Sonnenanbetende Weltenbummlerin

mit grossem Herz für Züri.

Züri – eine der wohl schöns-ten Städte der Welt – darü-ber dürften wir uns einig sein. In glamourösem Glanz erscheint sie Bewohnern so-

wie Besuchern jeden Morgen auf’s Neue. Frisches Grün, glasklares Wasser und sau-bere Strassen - so kennen wir sie, unsere geliebte Heimat.

Gerade im Sommer erfreuen wir uns an den zahlreichen, sauberen Grünflächen rund um den See und an den Flüssen. Hier wird grilliert, gefestet und genossen. Ge-pflegte Körper räkeln sich im wärmenden Sonnenschein, der sich gleichzeitig auf po-lierten Luxuskarossen spiegelt.

Kaum legt sich jedoch die Nacht über die Stadt wer-den die BumBumBoxen, Ku-gelgrills und Picknickdecken eingepackt und ordentlich in die eigenen vier Wände ver-frachtet. Es wird geduscht und sich in die frischen Laken geku-schelt.

Was bleibt? Ein Schlacht-feld. Jeden Abend auf’s Neue. Bierdosen, Pappteller und Pla-stiksäcke liegen verstreut, ein-fach zurückgelassen auf dem Rasen und ergeben sich ihrem Schicksal. Denn am Morgen wer-den sie verschwunden sein...

Jährlich sammeln die Zürcher Heinzelmännchen von der ERZ 9300 Tonnen Müll hin-

ter uns auf – das Gewicht des Eiffelturms – wie ihr Onlineauftritt preisgibt.

Ich frage mich: Wie kann das sein? Wir pflegen unsere Körper, unsere persön-lichen Statussymbole und alles was uns wichtig ist... Gleichzeitig sind (zu) viele aber nicht bereit, den eigens fabrizierten Müll ein Stück weit zu tragen und ihn in einen der grossen, von der Stadt zur Verfü-gung gestellten Containern zu versenken?

Ich frage Euch: Sollte unsere Stadt, unser Land und unsere Umwelt uns nicht mindestens genau so viel wert sein?

Nicht, dass man mich falsch ver-steht. Ich bin dankbar für das fleissige Völkchen der ERZ, welches augenschein-lich grossartige Arbeit leistet. Trotzdem wünschte ich mir, die Zürimännchen wür-den im Hochsommer wenigstens für eine Woche ihre Arbeit niederlegen. Aus Prin-zip. Ich würde zu gerne sehen, wer sich freiwillig zwischen all den Abfall legt. freiwillig zwischen all den Abfall legt.

ILLUSTRATION: gregor schenker

Page 9: Trash & Müll

16

sausausause

MÜLL | TRASH

/KOMISCH GELAYOUTETES GEDICHTMÜLL | TRASH

/MIKROKOSMOS

ein Gedicht von Marianna Lanz

17

ausser diesem stern ist nichts

und er ist schön stinkt nur ein bisschen

wo wiese war ist wüste blech blei gift

aber er ist nicht verwüstet so schlimm ist es nicht

man kann sich nicht immer begnügen

zu fuss gehn licht aus alles klein und grün

die welt geht nicht unter

wir lassen es laufen

fliegen dahin und dorthin

kaufen haufen machen eine sause

saufen

party XXL in mondhellen nächten

brandlöcher fässer ferkel

heuschreckentohuwabohu

do the monkey sausausause

wir müssen nur aufräumen hinterher und

büssen sind grün für unsern stern

mülltrenner petsammler flaschenträger

wiederverwerter stosslüfter kaltduscher

schwachheizer lufterfrischer lichtlöscher

fussgänger obstesser dichter erfinder

verzichter teiler grünblüherinnen und so

und dann wieder haufen kaufen blech blei

saufen und schön ist der stern und

verwüstet aber nicht sehr

und die welt geht nicht unter

Marianna Lanz, Übersetzungen,

Lyrik, Schauspiel. Veröffentlichung

lyrischer Texte in verschiedenen Zeit-

schriften und Anthologien,

u.a. in Kaskaden, Wortwerk und

Entwürfe und neu auch im Netz auf

www.federbar.ch

ARTWORK: Anja Peter,

Illustratorin, Zürich

Page 10: Trash & Müll

18 19

Recyclingvon Tamara Hofer

MÜLL | TRASH

/TEXT, ZIGISTUMMEL UND TOTES KRABBELTIER /TEXT, ZIGISTUMMEL UND TOTES KRABBELTIER

Spatenstich! Ich will einen Garten anle-gen und muss dazu natürlich erst noch den Rasen umgraben. Häi, was da alles zum Vorschein kommt! Ein Skelett habe ich zum Glück noch nicht gefunden, da-für allerhand Müll: Alu, Eisen, Schrau-ben, Plastik. Gruselig genug eigentlich.

Je mehr Erde ich schaufle, desto tief-er wird mein Verständnis für sie. Wieviel gewachsen und wieder gestorben ist, damit so viel fruchtbare Erde daraus werden konnte! In der Natur gibt es keinen Müll. Alles was aus der Erde geboren wird, wächst, gedeiht, stirbt irgendwann und wird dann selbst wie-der zu derselben fruchtbaren Erde. Ein genial-simpler Kreislauf.

Abfall gibt es nur, weil wir ihn erfunden haben. Ganz au-tomatisch halt, als wir anfingen allerlei tolle Materialien zu erschaffen, die nicht einfach so wieder von der Natur verwer-tet werden können. Auf diese idiotische Idee konnte ja auch nur der Mensch kommen. So türmen wir seit Generationen Berge von Abfall, verbrennen ihn und betonieren die giftigen Reste und andere heikle Sachen irgendwo in einen Berg ein. Endlager nennen wir das. Aus den Augen, aus dem Sinn? Tol-le Taktik. Damit wird irgendwann die ganze Erde ein Endlager.

Zurück in den Garten. Ein Nachbar hat soeben die Grünab-fuhr kommen lassen. Unglaublich eigentlich, dass wir sogar Grün-zeug wie Abfall behandeln. Irgendwann haben wir entschieden Gemüse ist gut, Unkraut ist schlecht, es muss weg. Und dann ge-ben wir teures Geld für Dünger aus, weil die Erde, der wir ständig nur alles wegnehmen, komischerweise immer weniger hergibt.

Diese Wegwerfmentalität macht nicht einmal Halt vor uns selbst. Auch Dinge an und in uns drin haben wir irgendwann mal angefangen in gut und schlecht einzuteilen. Freude, Liebe, Jugend: Alles gute Sachen. Wir wollen ständig nur das haben. Von Traurig-keit, Angst, Krankheit oder Alter hingegen will keiner was wissen. Und was der Arzt nicht rausschneiden kann, weil‘s halt Gefühle sind, wird weggedrückt, einfach nicht mehr angeschaut und ir-gendwo in ein „Endlager“ gesteckt, womit wir genau wie beim an-deren Müll offenbar meinen die Sache sei dann erledigt. Dabei ist ja klar, dass wir uns damit ins eigene Fleisch schneiden, da wir diese Endlager ja stets mit uns herumtragen, mitsamt seinen hochexplo-siven, unangenehm vor sich hin gammelnden „Sonderabfällen“.

Dabei könnte es doch einfach so sein wie im Garten: ALLES wird gebraucht. Und unsere Tränen, dunklen Stunden und unan-genehmen Gefühle bereiten ein nahrhaftes Beet für die nächste Generation Freude.

Tamara Hofer, 32,

Mensch in Ausbildung

Generation Freude.

Page 11: Trash & Müll

ARTWORK: Marlen Groher

Page 12: Trash & Müll

22

MÜLL | TRASH

/KURZREPORTAGE ÜBER UPCYCLING /KURZREPORTAGE ÜBER UPCYCLING

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world sends us garbage, we send back music.” Der Künstler Vik Muniz, der ein ähnliches Projekt in Jardim Gramacho, der grössten Mülldeponie Rio de Janeiros realisierte, erklärt im Dokumentarfilm Waste Land, dass die Transformation die Es-senz der Kunst sei, dadurch könne das Le-ben einer Gruppe von Menschen verändert werden, und zwar mit Material, mit dem sie täglich zu tun haben. Durch die Um-wandlung von Materialien in Ideen wer-den Hoffnung und Sinne freigesetzt.

Die Künstlerin und Dozentin Nika Spalinger sieht Kunstinterventionen im öffentlichen Raum auf verschiedenen Wir-kungsebenen: Auf der physiologischen und emotionalen Ebene wirkt sich diese Transformation von Müll in Kunst auf das Gemeinschaftsgefühl der Bevölkerung aus. Durch das gemeinsame Ziel, den Kindern und Jugendlichen eine Beschäftigung und Freude zu schenken und zusammen zu musizieren, wird diese Umwandlung zu ei-ner gemeinschaftsbildenden Aktivität und weist einen integrativen Charakter auf. Der Soziokulturelle Animator Reto Stäheli erklärt diese aktive Beteiligung von Men-schen mit dem Begriff der Aktionskunst,

in welchem Werte des Zusammen-

lebens neu verhandelt werden. Bei den beteiligten Personen hat dieses Projekt auf der sozialen Ebene einen positiven Einfluss auf die Selbstverwirklichung, die Entwicklung von Fähigkeiten und Selbst-vertrauen, die Förderung des Selbstwertge-fühls und der Identität, so Nika Spalinger. Die Transformation von Müll in ein Mu-sikinstrument bedeutet eine Förderung der Kreativität, der Hoffnung, von Em-powerment und gemeinnütziger Arbeit, welches alles wichtige Essenzen mensch-lichen Daseins sind. Mit der Umwandlung von Müll in ein Musikinstrument hat das Material nicht mehr nur die Bedeutung eines Stoffes, der in einem Kreislauf wie-der- und wiederverwertet wird. Der trans-formierte Müll nimmt eine verbindende Funktion ein. Er schafft eine Öffnung in diesen Kreislauf. Die Öffnung kann den Menschen eine Identität und ein Selbst-wertgefühl, Hoffnung und Lebenswillen geben. Diese kreative Transformation von

Materialien lässt gleichzei-tig die Welt aufhorchen. Auf der politischen Ebene wirkt diese Transformation als

Anreger öffentlicher Diskus-sionen. Die Menschen von Cateura waren unbekannte Menschen auf einer Müllhal-de. Die Welt schaut nun plötzlich auf sie, lernt Menschen und ihren Alltag kennen und bringt die Politik dazu, sich mehr und mehr mit dieser Thematik auseinanderzu-setzen und sich auch für diese Menschen einzusetzen. Dieses Projekt zeigt, dass kre-ative und einfache Lösungen kraftvolle soziale Transformationen in den ärmsten Gemeinschaften vollbringen können und dass Lösungsansätze zusammen mit den betroffenen Menschen erarbeitet werden müssen, Lösungen hingegen, die von oben dirigiert werden, ohne die Bedürfnisse und Ansichten der betroffenen Menschen zu kennen, wenig Erfolg bringen.

Was ist Abfall für die Menschen von Cateura? Cateura ist die grösste

Mülldeponie der Stadt Asunción in Pa-raguay. Eine Stadt gebaut auf Müll; End-station Mülldeponie für die ärmste Be-völkerungsgruppe. Die Menschen von Cateura strömen täglich aus und sammeln den von Lastwagen gebrachten Müll, die täglich 1500 Tonnen festen Müll in Cateu-ra abladen. Müll, der meist gedankenlos weggeschmissen wird. Dieser Müll wird von den Menschen in Cateura sortiert, um das Brauchbare vom tatsächlich Un-brauchbaren zu trennen. Müllsammeln-de nennen Müll nicht etwa Müll, sondern wiederverwertbarer Stoff. Für die Bewoh-nerinnen und Bewohner bildet Müll die Lebensgrundlage und somit die Sicherung der Existenz – ein Mittel zum Zweck. Die Menschen von Cateura werden abhängig vom Müll der restlichen Bevölkerung. Da-bei verschwinden sie von der Bildfläche der Öffentlichkeit.

In Cateura gibt es ein Jugendorche-ster namens Recycled Orchestra. Diese Mu-sikerinnen und Musiker spielen nicht etwa auf Instrumenten aus feinjährigem Holz, sondern auf Musikinstrumenten, die aus dem aussortierten Müll gebaut werden, so beispielsweise aus Blechfässern, gefun-denem Draht oder alten Gnocchi-Dosen.

Der Orchersterleiter Favio Chávez sagt im Film Landfill Harmonic, der das Recycled Orchestra dokumentiert: „The

Gemäss Bundesgesetz über den Umwelt–schutz vom 7. Oktober 1983, SR 814.01,

wird Abfall als beweglicher Stoff definiert, dessen sich der Besitzer entledigt. Dieser Stoff

wirdin einen Kreislauf hineingegeben, in welchem er wiederverwertet werden kann.

Solange dieser Abfall aber als Müll im eigenen Haushalt herumliegt, wird

er vom konsumierenden Menschen schnell als unbrauchbar und darum für sich selbst für

den Moment als wertlos beurteilt. Müll muss aber nicht wertlosbleiben.

In Kombination mit den richtigen Ideen kann er gar als Lebensgrundlage dienen,

wie das Projekt « Landfill Harmonic » zeigt.

Und nur, wer zwischen Brauchbarem und

Unbrauchbarem unterscheiden kann, über-

lebt auf dem digitalen Müllberg.

«landfill harmonic»:

die Transformation von Müll

in Musikinstrumente

von Mara Klotiii

www.landfillharmonicmovie.com

www.wastelandmovie.com

Page 13: Trash & Müll

24

Säuberungein Gedicht von Joy Tieg

MÜLL | TRASH

/MIKROKOSMOS ZUM ZWEITENMÜLL | TRASH

/SCHAUERPOESIE VON HEUTE

Der ganze Mist muss raus!Schlüssel unter der Türmatte hervorklauben

Schrank aufschliessen, klappe die Türen auf, Rippen starren mir entgegenDa blinzeln sie, die Monster, ganz verlegen

Packe sie, drehe ihnen den Hals umBring es nicht über mich, sie leben doch

Sie schreien aufWollen nicht gehen

Und doch kann ich sie nicht mehr sehenGreif mir ans Herz

Durch den RippenbogenEin letztes Knacksen

Habe ihr Genick gebrochenTränennasser AbschiedDie Monster sind weg

Doch ihr Mist ist noch daGreife in meinen Brustkorb

Breche Rippe für RippeDer Mist kommt hervor ganz ohne Glitter

Wie kam er hierherHatte wohl nicht die richtige Virensoftware

Nun bin ich voll mit TrojanernVersuche mich zu reinigen

Jedes mal wenn ich denke, das letzte Pferd erwischt zu habenStolziert ein neues daher, tut ganz erhaben

Nehme ein StreichholzZünde es an

Flammen, leises Knistern des FeuersWieso nur ist es so schwer

Den Kontakt zu mir zu finden Und endlich meine Dämonen zu binden

Verschnüren, verpacken, verladenFahre den Truck durch die weite Prärie

Entlade die LastWinke und fahre ab

Rippenbogen zurückHauttür zu, Schlüssel drehen

Um ihn wieder fein säuberlich unter die Türmatte zu legenNiemand wird ihn finden

Wird verschwindenBis der Wind dreht

Und einen echten Menschen vor die Türmatte weht

25

ARTWORK: Anja Peter,

Illustratorin, Zürich

Page 14: Trash & Müll

2726

Jeder kennt sie: die PET-Flasche. Die Vorteile liegen auf der Hand. Die Pla-

stikflasche ist leicht, unzerbrechlich, recycelbar und  in der Herstellung preis-werter als Glas. Deswegen ist es nicht weiter erstaunlich, dass dieser praktische Behälter in über 150 Ländern kaum aus dem Alltag wegzudenken ist. Jährlich wer-den weltweit gegen 500 Milliarden Stück produziert und in Umlauf gebracht. Fast die Hälfte davon stammt aus Westeuropa und den USA. Durch die rasche Verbrei-tung hat PET eine enorme Bedeutung in der Verpackungsindustrie erlangt und ist mittlerweile zu einem teuren Rohstoff ge-worden. Aus diesem Grund besteht für re-zykliertes PET eine grosse Nachfrage. Beim Recycling bestehen grosse Unterschiede. In der Schweiz landen gemäss dem Bun-desamt für Umwelt rund achtzig Prozent der ausgegebenen Flaschen in einem der 30 000 Sammelcontainer und werden recy-celt. Die Quote sei sogar noch etwas höher, wie Jean-Claude Würmli von PET-Recycling Schweiz gegenüber dem «Tages-Anzeiger» sagte. Denn vom gesamten PET-Rücklauf würden zwei Prozent illegal von den Händ-lern abgezweigt und direkt ins Ausland ge-bracht, wo eine Tonne altes PET bis zu 500 Franken einbringe, so der stellvertretende Geschäftsführer. In der EU lag der Durch-schnitt der PET-Sammelquoten im Jahr 2010 bei knapp fünfzig Prozent. In weiten Teilen Asiens, Lateinamerikas und Afrikas dagegen werden PET-Flaschen nicht vom

übrigen Abfall getrennt – sie landen ir-gendwo in der freien Natur.

Europäische UnterschiedeFür die gesammelten Flaschen geht

die Reise weiter in eine der Recycling-Anlagen, wo die Flaschen maschinell getrennt werden nach farbig und durch-sichtig. Nur letztere – in Europa liegt ihr Anteil bei 22 Prozent, in der Schweiz bei 60 Prozent – können wieder zu PET recy-celt werden. Farbigen Flaschen dagegen ist kein weiteres Leben vergönnt – aus un-ternehmerischen Gründen. Da sie meist in Corporate-Identity-Farben gehalten sind, ist ein Vermischen unerwünscht. So sind die PET-Flaschen der Wassermarken Valser und Rhäzünser beispielsweise zwar bei-de grün, aber es ist eben nicht derselbe Farbton. Die Einzelmengen sind jedoch zu klein, als dass sich ein Trennen hier loh-nen würde.

Sind die Flaschen den Farben nach sortiert, landen sie in einer Mühle, wo sie zu sogenannten Flakes oder Granulat ver-kleinert werden. Die folgende Heisswäsche reinigt die Behältnisse makroskopisch und befreit sie von Etiketten und anderen groben Schmutzpartikeln. Meist werden die Flakes in diesem Zustand an die verar-beitende Industrie weiterverkauft. In der Schweiz sind es 95 Prozent des so bearbei-teten PETs, das im Inland weiterverarbei-tet wird – ein weltweit einzigartiger Wert. Für den Rest gilt: Das Granulat wird an den Höchstbietenden verkauft. Oft gelangt das PET via Rotterdam nach China.

Obwohl die Europäische Union vor drei Jahren das Recycling forcierte und die Exporte nach Asien daher rückläufig sind, bewegen sich chinesische Händler nach wie vor sehr aggressiv auf den PET-Recy-clingmärkten – und bezahlen fast beliebig hohe Preise. Mitunter kommt es vor, dass europäische Händler ihren chinesischen Partnern «Güsel» unterjubeln wollen, wie Würmli von PET-Recycling Schweiz es nennt. Zum Schluss jedoch sitzt China am längeren Hebel. So im Frühjahr 2012, als die Regierung den Handel wegen mangel-hafter Qualität stoppte. Die Folge waren sinkende Preise und eine steigende Quali-tät.

Im Jahr 2006 gelangten auf diesem Weg vier Millionen Tonnen PET in Form von Flakes nach China, das entspricht über 100 Milliarden Flaschen. Aus diesen entstehen verschieden dicke Textilfasern, die meist zur Herstellung von Kleidern verwendet werden. Chinesische Unterneh-men setzen aus zwei Gründen auf PET-Tex-tilien: Zum einen ist es schlicht lukrativer, PET zu Kleidern statt zu Flaschen zu verar-beiten. Das gilt umso mehr, je höher die Preise für gebrauchtes PET steigen, weil das Endprodukt teurer verkauft werden

kann. Zum anderen kann der Markt mit Kunststoff besser antizipiert werden als die Alternative Baumwolle. Deren Ernte ist wegen Unwettern und anderen umweltbe-dingten Faktoren weniger genau kalkulier-bar.

Acht Flaschen für ein ShirtDie Attraktivität des Geschäfts mit

PET lässt sich gut in der Kleidungsbrache erkennen: Der Sportartikelhersteller Nike benötigt für die Produktion eines Fussball-trikots Granulat von etwa acht recycelten 1,5 Liter PET-Flaschen. Da deren Preis nur ein paar wenige Rappen beträgt, die T-Shirts aber für bis zu hundert Franken verkauft werden, entstehen riesige Mar-gen. Selbst für «faire» Produkte sind nur geringe PET-Mengen nötig. Bei «fairtextil», der nachhaltigen Produktlinie des Schwei-zer Textilherstellers Switcher sind es für eine Fleecejacke 25 Flaschen.

Der Handel mit gebrauchtem PET, auch r-PET genannt, lohnt sich finanziell trotzdem nicht immer. Der Markt kann bisweilen komische Züge annehmen. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Preis der für die zur PET-Produktion benöti-gten Rohstoffe sinkt. Altes PET wird dann teurer gehandelt als neues. Der Markt wird auch in Zukunft interessant bleiben. Denn die Marktsättigung, auf welche die grossen Volumina und ausgefeilten Handels- und Produktionswege mit r-PET hindeuten, gilt gemäss Würmli nur für die Industrielän-der. Da sich die Situation in Lateinameri-ka, Asien und Osteuropa anders verhält, steigen die Preise weiter an. Noch werden in diesen Regionen deutlich weniger PET-Flaschen verkauft als in hoch entwickelten Regionen. Doch bei steigendem Wohl-stand wird das Distributionsnetzwerk der Getränkehersteller in den Entwicklungs-ländern besser werden. Somit steigen die

Chancen für PET, sich durchzusetzen.Noch gänzlich ungenutzt ist in die-

sen Regionen das Potenzial der Wiederauf-bereitung. Heute werden die leeren Fla-schen zumeist achtlos entsorgt, als seien sie wertlos. In erster Linie geht es dort darum, Naturflecken und insbesondere Sandstrände von PET zu befreien. Eine Si-syphusarbeit, denn kaum ist ein Abschnitt sauber, schwemmt das Meer die nächste Ladung an.

Nachwachsende PET-Flaschen?Letzten Endes kann das Entsor-

gungsproblem nur gelöst werden, wenn bei Endverbrauchern ein entsprechendes Bewusstsein entsteht. Oder, indem wirt-schaftliche Anreize wie ein Flaschenpfand gesetzt werden. Auf der anderen Seite der Wertschöpfungskette, in der Produktion, tüfteln die grossen Konzerne wie Coca-Cola, Danone und Pepsi bereits fleissig an neuen, umweltschonenden Modellen. Danone beispielsweise setzt auf Plastik-flaschen aus teilweise nachwachsenden Rohstoffen, Pepsi entwickelt eine Fla-sche, die in der Produktion ohne Erdöl auskommt und komplett aus erneuer-

baren Ressourcen besteht. Das Endprodukt von Pepsi unterscheidet sich chemisch nicht von einer mit Erdöl produzierten Flasche. Darum kann sie in den normalen Recycling-Kreislauf eingespeist werden. Doch alleine die Verwendung von pflanz-lichen Rohstoffen macht die Verpackung nicht automatisch umweltfreundlicher, da zu ihrer Produktion grosse Mengen Was-ser, Energie, Dünger und Land benötigt werden. Ob sich die «Bioplastics» durchset-zen werden, hängt stark davon ab, ob die Bestrebungen in Richtung ökologischer Flaschen nur ein Marketinginstrument bleiben, oder ob die Flaschen tatsächlich umweltfreundlich produziert werden kön-nen.

Spannend wird es, wenn der glo-bale PET-Markt dereinst gesättigt und der Recycling-Kreislauf optimiert sein sollte. Im Idealfall bestehen dann alle durchsich-tigen Flaschen zu hundert Prozent aus schon mal gebrauchtem Material und ein Grossteil der Textilien wird aus den far-bigen Verpackungen produziert. In diesem Fall müssten nur noch wenige neue PET-Flaschen hergestellt werden und die ener-gieintensive Baumwollproduktion könnte drastisch zurückgefahren werden. Dieser fast perfekte PET-Kreislauf wird jedoch noch eine Weile Zukunftsmusik bleiben.

Letzten Endes

kann das Entsorgungs–

problem nur gelöst werden,

wenn bei Endverbrauchern

ein entsprechendes

Bewusstsein entsteht.

Aus alt mach neu. Zwischen einer PET-Flasche und einem Fussballshirt liegen nur wenige Stationen

Mit PET lässt sich gutes Geld verdienen. Doch der Markt hat seine Besonderheiten, die ihn

alles andere als berechenbar machen..

MÜLL | TRASH

/DER KREISLAUF DES PET /DER KREISLAUF DES PET

Worte von Simon Jacoby

Simon Jacoby, 25, Co-Redaktionsleiter

bei dieperspektive und macht ein

praktikum, obwohl er nie eins machen

wollte - bei watson

Artikel bereits erschienen

im PUNKTmagazin

Page 15: Trash & Müll

28 29

DIE PFLANZEN

psssstim schatten wachsen die pfl anzenund pfl anzen sich fort

in absoluter dunkelheit.

HALLELUJADEM LICHT ENGEGEN

die ratten graben im Müll

und fi nden einen weg

durch die dampfende hitzedes organischen gewächses

die rankenschlingern vorbei

und peitschen

DAS LICHTHALLELUJA

im untergrund wühlen die würmerund lockern den boden

für die wurzeln der pfl anzenund die blasen

der seifeworin sich spiegelt

DAS LICHT

DIR ENTGEGEN GEHENWIR, DIE WIR

SINDDIEDIEWIRSIND

AWRLAGAL ARGWAL

AWRLAGAL ARGWALGARWAL

GARWGELGWARGLGWARG

LGWARG

L

Highly sophisticated Gospel Choir

Carlo Spiller, geboren 1990, ist das, was

generell unter verloren zuverstehen ist.

Er Studiert Germanistik und Philosophie an

der UZH und istauch sonst ein « Verrückter »

(Schwitter, 2013)

ein Gedicht von Carlo Spiller

MÜLL | TRASH

/BEMERKUNG: NATÜRLICH IST ALLES AUF EINER SEITE ABZUDRUCKEN, DA DAS DING JA EINE PFLANZE IST, MIT WURZELN. SOLLTE ES KEINEN PLATZ HABEN, HALT SCHRIFT KLEINER MACHEN

MÜLL | TRASH

/MIKROKOSMOS ZUM DRITTEN

ARTWORK: Anja Peter,

Illustratorin, Zürich

Page 16: Trash & Müll

30 31

MÜLL | TRASH

/ABFALL IM KLEIDERSCHRANK

von Anaisis MillerTrash, alles Müll?DIE BEUTE

Seit vielen Jahren arbeite

ich zum Thema Müll, ins-

besondere Plastik, da es mich

fasziniert.Plastik ist aus Natur ent-

standen und scheint jetzt in

den entlegensten Winkel der

Erde eingedrungen zu sein.

Selbst Urvölker, die mit der zi-

vilisierten Welt noch nicht in

Kontakt traten, haben Kontakt

mit unserem Müll, besonders

Plastikflaschen, Plastiktüten.

Plastik scheint die Welt

zu erobern wie kaum ein an-

deres Material, aus Natur ge-

schaffen, umgewandelt und

liegen geblieben, um die Natur

zu ersticken.

Es ist recht pervers die-

ses Material.

Ich wünsche mir einen

bewussteren Umgang damit,

vielleicht sollten wir nicht so

viele Plastikflaschen und Tü-

ten kaufen, beziehungsweise

all dieses widerverwertbar zu

machen.Deshalb habe ich daraus

Plastik-Mode geschaffen, be-

malt, geklebt, genäht.

Anaisis: Künstlerin, Frau, Mutter,

Reisende, Göttin, Heilerin und

Geliebte. Weitere Bilder auf:

www.anaisis.com

Bilder und Text von: anonym

malt, geklebt, genäht.

MÜLL | TRASH

/NAHRUNG AUF TISCH

Das sind 3 « Beutebilder » von

einigen meiner

Containertouren im letzten

Jahr. Pro Bild sieht man

weggeworfene Ware

EINES Tages von je EINEM

Geschäft. Wobei ich

jeweils mindestens nochmal

diese Menge an weiteren

Milch- und Fleischprodukten

zurückliess, da ich keine

Verwendung dafür habe.1

2

3

Page 17: Trash & Müll

32

Danke fürs Aufräumen, fürs Wegfegen und Saubermachen. Danke fürs Aussortieren, fürs Wiederverwerten und Verbrennen.

Jedes Jahr landen

20 165 Tonnen Papier in der Stadt Zürich im Altpapier. Auch wir von dieperspekti-

ve tragen einen grossen Teil dazu bei. Jährlich drucken wir

24 000 Exemplare. Das einzelne Exemplar ist

98 Gramm schwer. Damit die

2,325 Tonnen dieperspektive fachgerecht entsorgt und rezykliert werden,

haben wir die ERZ.

1.2 Millionen Tonnen – so viel Papier wird jedes Jahr in der Schweiz produziert. Über

vier Fünftel des Altpapiers kann wieder in den Papierkreislauf ein-gespeist werden. Das ist Weltrekord. Jedes Jahr werfen wir

75 128 Tonnen Hauskehricht weg. Pro Person ist das also

192 Kilogramm. Damit der ganze Unrat umweltschonend verbrannt wird,

haben wir die ERZ. Über

40 Prozent des Haushaltabfalls bleiben im Wertstoffkreislauf.

Die ERZ bringt jährlich über

11 Millionen Züri-Säcke ins Kehrichtheizkraftwerk Hagenholz. Dafür benötigt sie

568 898 Kilometer mit dem «Güselwagen».

Das ist einmal zum Mond und halb zurück – oder

14 Mal um die Welt. Im Hagenholz werden die

Züri-Säcke umweltschonend verbrannt. Mit der Verbrennungswärme produziert die ERZ CO2-neutralen Strom

und klimaschützende «Zürich Wärme», mit der sich rund

170 000 Wohnungen heizen lassen.

222 Mitarbeiter mit

152 Fahrzeugen arbeiten daran, dass die Zürich auch in Zukunft sauber bleibt. Das

ist keine einfache Aufgabe, denn Zürich hat

1 600 000 QuadratmeterParkfläche und

8 200 000 Quadratmeter Strassenfläche – ein Fussballfeld von

7000 Meter. Aber es zahlt sich aus:

Neun von zehn Zürchern

sind zufrieden mit der Sauberkeit in der Stadt. Das kommt aber auch nicht von weit her, denn

98 Prozent der Stadtzürcher Bevölkerung entsorgen korrekt.

Damit es in der Stadt so schön ist wie zuhause, dafür haben wir die ERZ.

MÜLL | TRASH

/ABFALL IN ZAHLEN IM JAHR

33

von Konstantin Furrer

MÜLL | TRASH

/BEAUTIFUL GARBAGE, ÖL AUF LEINWAND

Moritz Jäger, 30 Jahre alt, freischaffender Künstler,

mag Möwen im Abendrosarot. Netz: www.mojaeger.com

Page 18: Trash & Müll

34

Ich habe einen Gast.Ich habe einen Geist. Garstig vertrackt, schwer zu fassen,Doch nicht im geringsten abstrakt.

Er haust in meinem angepassten krausgewachsnen Achselgarten Beflügelt mich, Hebt meinen Geist Auf unsichtbaren Dunstesschwingen

Und erinnert mich auf seine unreine Art Daran, Dass ich als Körper noch am Leben In Bewegung und erstrebenswert bin.

Doch irgendwann find ich mich Auf ihn reduziert, von manchen Gemieden und beschliesseIhn durch schmeichelndes Flehen

Zum Verwehen zu bewegen.Doch er bleibt trotz aller Kniffe

An meinem Wesen kleben.Ich wasche die Stauden, versprühe Chemie

Nix: er kommt wieder und wiederZur immer nicht frischen Nasenlochfolter. Das finde ich pfui.

Drum werde ich jetzt mit drei aufgereihten Diamantenen Klingen durch Rodung des Waldes Den Affen bezwingen.

von Simsim SesamZivilisationskrankheit

Simsim Sesam, 25, studiert frische

Winde und globales Fieber in Zürich.

MÜLL | TRASH

/GEIST AUF PAPIER

Klingen durch Rodung des Waldes Den Affen bezwingen.

Podiumsdiskussion mit Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizeri-schen Gewerbeverbands sgv, FDP; Prof. em. Dr. Georg Kohler, Poli-tische Philosophie; Dr. Markus Notter, Alt-Regierungsrat des Kantons Zürich, SP. Moderation: Dr. Jeannette Behringer, Politologin und Ethikerin.

Eine Veranstaltung des reformierten Hochschulforums und der katholi-schen Hochschulgemeinde

Mittwoch, 30. April 2014

18.15 – 19.45 KOL-G-201, Aula

Universität Zürich-ZentrumRämistrasse 71, 8001 Zürich

www.hochschulforum.ch

WER TRÄGT GESELLSCHAFTLICHE VERANTWORTUNG?

Hintergründe und Kontext der Kirchensteuer-Initiative

J e t z t i s t d i e Z e i t , B r ü c k e n z u b a u e n !

3. bis 9. April 2014FestivaltourSchweiz

Zürich

11. April 2014Awardgala

im (m)athäser Filmpalast München

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Page 19: Trash & Müll

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Wo Bäume trinken Ambra und der grosse Sklave. Ambra und der grosse Skla

KREATIVES

/GEHEIMNISVOLLE KURZGESCHICHTE /GEHEIMNISVOLLE KURZGESCHICHTE

Wir waren gekommen,

um zu kommen. Wir waren

gekommen, um zu leben. Einmal

kam jemand, damit wir jetzt

nun kommen können. So komm schon.

W ir wohnten im sechsten Stock.Treppenhaus in der Mitte, um eine Mitte, in die man fallen konnte. Schlurfende Schritte. Sechseckau-gen. Flüsternde Tiefe.  Da gab es kleine Köter, die bissen aus dem Dunkeln.

Riesig alte Kacheln an den Wänden, Salpeter drückte durch, drückte die Kacheln an manchen Stellen weg, eroberte die Wand mit tausend kleinen Nadelarmen und Fetischrissen. Viel Leitung oben vor den Türen. Leitungen, die nach einem Spinnwebenge-wühl durch ein einziges Loch ihre Energien senden mussten, oben an der Tür durch die Wand ins Zimmer.Im Flur, Dreck und Wärme in den Ecken, Kacheln, in die man Kreuze zeichnen konnte. Manche Innenhoffenster zerris-sen, Splitter streckten wie kalte Finger sich aus. Der Geruch der Strasse, den wir nach Hause trugen. Manche Etagen waren beleuchtet, andere fast nicht und wenn man runterlief, stand man in die kleinen länglichen Rattenschisse, trocken oder weich. Graffiti gab es keine. Da waren keine Spraydosen und da war wichtigeres Illegales zu holen. Auf Allem lag ein Schim-melflaum. Samt im Mund. Drinnen wars anders, hohe Räume, weiss gestrichen und Lippen, die sie küssten. Mund im Samt. Es dunkelt schon, aber ich will dich noch nicht sehen. Erst wenn es Nacht ist.Oben in der Wohnung die Aussicht, Schachbrettdörfer von oben ins Land hinaus, in die Landschaft hinaus, in die Bauern hinaus, klare Linien. Wer den ersten von der Herbstsonne gerö-teten Baum sah, bekam diese eine Woche zwei Mal Fleisch. Wäl-der, sie erinnerten mich immer an die kurzen Tage. Weil im Wald die Bäume das Licht für sich beanspruchten, in sich hineinzogen, wegsogen, raufzogen und oben wieder ausspuckten, lachend. Die weite Flache zum Horizont.  Das sich wiederholende Muster. So küss doch endlich. Du schaltest die Spielregeln aus und eine Katze kommt geflo-gen.  Ich will die Ebene weiss sehen, ich will nichts mehr sehen, wenn sich die Wolken lichten erst am Mittag. Weit draussen das Steppengras und wenn ein Fluss kam, dann waren die Bäume bis dicht am Wasser, wurden überschwemmt, liessen sich über-schwemmen, grüssten die Fische mild und waren dankbar für die Nässe. Muschelbäumchen. Die Schreie der Wildgänse in der Nacht und eine Bienenwachs-kerze, lang und dünn vom Opferstock, die ich immer heimlich mitgehen liess. Der klebrig olivenbraune Wachs, ich rieb ihn mir in die Haut, bis alles nach Honig roch. Bis alles glänzte und Feuer fängt. So komm doch endlich. Du kochst Dillsuppe und nimmst mich mit. Nimmst mich mit und wir fallen dann all diese Treppen runter, die wir raufgestie-

Meret Gut,

vor 24 Jahren in Zürich geboren, dann

Molekularbiologie studiert nach

indonesischen Jugendjahren. Oft in

den Bergen am Schreiben. Wartet mo-

mentan auf eine Metamorphose. Bald

Herausgabe des Gedichtbandes « Wir

Hautwesen - eine Verdichtung. »

gen waren, fallen dunkel und tief, fallen irgendwie, fallen hell und schnell. Sechster Stock. Du schaukelst mich warm und wir graben uns ineinander ein. Wir vergraben uns, wir graben was ein, wir verpflanzen eine Liebe zum andern. Wir siegeln alles ab und durchbrechen es neu. Pfützen wachsen zu Seen und wir schwim-men durch. Bäume werden unsere Haare und im Winter werden wir kahl. Wurzeln schlagen Grün und wachsen zueinander. Engel sind schwarz, nicht weiss, sind kalt, nicht heiss. Sind nichts. Nur wer liebt ist etwas. Etwas Kleines, das immer grösser wird. Er schüttelte die Hand und spielte mit der anderen die Trompete in die Luft. Wir waren laut, wir waren dunkel. Wir waren gekom-men, um zu kommen. Wir waren gekommen, um zu leben. Ein-mal kam jemand, damit wir jetzt nun kommen können. So komm schon.    So komm schon.    

von Meret Gut

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KREATIVES

/LAURIN BUSER

M eine Gross-mutter war schon immer da. Bei ihr durfte man C o m p u t e r spielen, bei

ihr durfte man Cassisbonbons aus klei-nen Metallkästchen stehlen, bei ihr durfte man im Keller am Hobeltisch eine hauch-dünne Käsescheibe probieren, man durfte im Esstrich übernachten, das ganze Haus knarrte und an den Wänden tanzten Wolf-schatten. Es war unheimlich aber aufre-gend. Und die Bettwäsche roch immer so frisch nach Lavendel, sodass man trotz-dem immer rasch einschlief. Das hat man nie hinterfragt, man fand‘s einfach gut, dass es so ist und nicht anders, dass sie mit ihrer liebevoll strengen Art je-dem einzelnen ihrer 12 Enkelkindern Lek-tionen erteilen konnte, die immer bleiben werden. Dass man die Ellenbogen nicht auf den Tisch legt. Dass die karierten Handtü-cher fürs Geschirr und die einfarbigen für die Hände sind. Dass der Glaube etwas na-türliches, etwas freies ist. Dass man immer dankbar sein sollte, für das Essen auf dem Tisch.Mit Grossmüttern ist es ein bisschen wie mit Lehrern. Man verbringt die ganze Kindheit mit ihnen und hinterfragt nichts. Das ist die Grossmutter, das ist der Lehrer. Man verschwendet keine Gedanken da-mit, den Menschen dahinter zu sehen. Die Grossmutter liebt man einfach, den Lehrer hasst man einfach. Sie sind einfach da, und das ist einfach so. Und urplötzlich ist man selber erwachsen und spricht mit einer anderen erwachsenen Person. Es war ein Vergnügen auf einmal festzustellen, dass meine eigene Grossmutter eine Frau ist, die gerne flirtet mit den Herren ihres Al-ters. Dass sie eine Tratschtante ist, die ger-ne und ausgiebig lästert. Dass sie in einem Gespräch völlig unmerklich das Thema auf die Frage leiten kann, ob ich jetzt eine Freundin habe. Dass man sich mit ihr be-stens übers Kochen unterhalten kann und dass sie regelrecht aufblüht, wenn sie mit ihrem Enkel über Literatur sprechen kann. Und dass ihre lebensweisen Sprüche im Grunde genommen nichts als biblische Floskeln sind, sie diese Floskeln aber so ausgiebig lebt, dass du diese Werte zu schätzen beginnst. Meine Grossmutter hat vier Kindern erzo-gen. Drei Mädchen und mein Vater als äl-tester und einziger Junge. Als mein Vater sechzehn war, starb sein Vater. Wenn mein Vater über seine Mutter erzählt, sieht man in seinen Augen den Respekt, welchen er vor ihr hat. Er habe sie in seinem Leben

Meine Grossmutter

drei Mal weinen sehen. Das erste Mal bei der Beerdigung seines Vaters. Das zweite Mal, als ihr zweiter Mann ebenfalls ver-starb. Und das dritte Mal, als sie im Spital lag, nach einer Hüftoperation. Das war vor zirka zwei Jahren und dieses letzte Weinen charakterisiert meine Grossmutter so gut. Sie hat geweint, weil sie wusste, dass sie ein halbes Jahr nicht richtig gehen kann, dass sie nicht im Garten arbeiten, geschwei-ge denn ohne Hilfe sich umziehen kann. Zweimal sind ihre Männer gestorben und sie ist geblieben, ist noch stärker geworden. Sie hat um ihre Männer genauso getrauert, wie um ihre Selbstän-digkeit. Das ist meine Grossmutter.Als ich erfahren habe, dass sie Krebs hat und im Alter von 75 Jahren in die Chemo muss, war mein erster Gedanke, dass ich keine einzige Person ken-ne, die so stark ist, wie meine Grossmutter. Was will der Krebs anrichten gegen den eisernen Willen dieser Frau.Man nimmt sich immer vor, die Grossmutter öfter zu be-suchen und schafft‘s doch nicht wirklich. Dafür ist man in meinem Alter zu fest mit sich selber beschäftigt, ich reise viel rum und muss zu viele Auftragstexte schreiben. Aber als ich das letzte Mal bei ihr war, stand ich in der Küche an den Kühlschrank gelehnt, während sie in Re-kordzeit Kartoffeln schälte und mich da-rüber ausfragte, was ich als letztes gelesen habe, ob ich schon gesehen habe, wie ge-schmacklos ihr Nachbar die Hecke herun-tergeschlachtet habe und ob ich eigentlich eine Freundin habe. Sie ist seit einem Jahr aus der Chemo. Die Chemo hat angeschlagen, der Krebs ist erst Mal weg, die dünnen, weissen Haare wieder da. Ihr strenger Blick, wenn ich ei-nen Schluck Milch direkt aus der Packung nehme. Wenn ich die Ellenbogen auf den Tisch stelle.Ich habe sie endlich wieder besucht. Wir haben zusammen gegessen, es gab asia-tische Nudeln, was mich ziemlich über-raschte. Sie wollte unbedingt mein Rapal-bum anhören. Sie sei sehr froh, dass es ein Booklet gäbe, ich rede ja viel zu schnell. Die Texte seien wirklich toll, ich fluche einfach noch zu viel; aber das beruhige

sich ja bestimmt mit dem Alter. Und sie fragte, was es damit auf sich habe, dass mein kleiner 13-jähriger Cousin behaupte, dass das gar kein richtiger Rap sei, was ich da mache. Und wisst ihr was? Es überrascht mich kein bisschen, dass das alles noch da ist. Diese Frau stirbt, wenn sie es für richtig empfindet. Davon bin ich überzeugt.

Mit Grossmüttern ist es ein

bisschen wie mit Lehrern. Man

verbringt die ganze Kindheit

mit ihnen und hinterfragt nichts.

Kolumne von Laurin BuserFotografie von janick zebrowski

Diese Frau stirbt, wenn sie es für richtig empfindet. Davon bin ich überzeugt.

Laurin Buser wohnt in Basel.

Normalerweise steht er

mit seinen Texten auf

der Bühne und im Studio. Er ist

Slam Poet, Schauspieler und

Rapper. Wer mehr wissen will

geht auf laurinbuser.ch.

Für dieperspektive schreibt

er in jeder Ausgabe aus

seinem Leben.

Gib din Sänf däzue!Du füllst diese Zeitschrift! Bei dieperspektive hast du es in der Hand, was es zu Lesen gibt, welche Themen aufgegriffen und welche Bilder abgedruckt werden. dieperspektive ist eine lesergenerierte Zeitung. Das bedeutet, wenn dich ein Phänomen besonders beschäftigt, du über etwas Spezielles Bescheid weisst, oder einfach gerne Kurz–geschichten schreibst: Schicks uns an [email protected] - egal, wie verrückt es auch sein mag!

Wie kann ich für dieperspektive schreiben/illustrieren?Sende deinen Beitrag bis zum Redaktionsschluss an [email protected] oder lade ihn über die Webseite hoch. Als Dankeschön für eingesendete Beiträge bekommst du ein Halbjahres–abonnement. Wird der Beitrag veröffentlichtbekommst du ein Jahresabonnement.Nächster Redaktionsschluss: Donnerstag, 1. Mai 23:55 Uhr

Zu welchen Themen kann ich schreiben?Pro Ausgabe gibt es ein Schwerpunktthema. Dein Beitrag hat erfahrungsgemäss die grössten Chancen, wenn er dieses Thema in irgendeiner Form behandelt. Es werden Jedoch auch Beiträge über andere Themenabgedruckt. Ausgewählt werden die Beiträge übrigens an der öffentlichen Redaktionssitzung. Dazu bist du herzlich eingeladen. Thema der nächsten Ausgabe:Wenns dich stört, warum tust du nichts?

Wo finde ich dieperspektive regelmässig?Am einfachsten findest du dieperspektive in deinem Briefkasten. Für 30 Franken bekommst du ein Jahresabonnement. Du findest dieperspektive auch in Kaffees, Bars, Hochschulen und Läden. Die vollständige Liste findest du auf dieperspektive.ch. Jahresabonnement: SMS mit «hopp» und vollständige Adresse an 079 372 36 02.

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REDAKTIONSSCHLUSS:donnerstag, 1. mai, 23.55 uhr

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