theorie des kritischen zustandes. verschiedenheit der gasförmigen und flüssigen materie

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Theorie des kritischen Zustandes. Verschiedenheit der gasrormigen und fliissigen Materie. Von J. TEAUBE. Mit 1 Figur im Text. In einer in DRUDES Annalenl erschienenen Arbeit uber die Theorie der kritischen Erscheinungen und der Verdampfung bin ich zu einer Hypothese gelangt, welche besagt, dafs bei der Verdampfung einer Fliissigkeit nicht nur das Covolumen. der Raum zwischen den Molekiilen, sich vergrofsert, sondern dafs auch das Eigenvolumen der Molekiile eine sehr erhebliche Vergrolserung erfahrt. Die Qasteilchen oder G a s onen sind hiernach wesentlich grofser als die Fliissigkeitsteilchen oder Fluidonen. Friiher nahm man an, dafs die Fliissigkeits- und Gasteilchen tiich durch eine verschiedene Masse unterscheiden sollten. Indessen die neuere physikalische Chemie hat festgestellt, dafs im all- gemeinen die Fliissigkeitsmolekiile an Gewicht riicht grofser sind als die Gasmolekiile (1. c. S. 280). Anstatt eine Verschiedenheit der Masse anzunehmen, nimmt meine Hypothese an, daQ der Raum, welchen die Molekiile einnehmen, verschieden ist. Gasonen sind loslich (oberhalb des absoluten Nullpunktes) in der fliissigen Phase und Fluidonen in der Gasphase. Homogene Flussigkeiten sind Losungen von Gasonen in der fliissigen Phase, wahrend ein ge- sattigter Dampf als eine Liisnng von Fluidonen in der Gasphase bezeiclinet wurde. Das Mengenverhaltnis von Gasonen und Fluidonen in jeder der beiden Phasen iindert sich mit der Temperatur und wurde von mir berechnet, ebenso das Grtjfsenverhaltnis des Gasons _. J. ‘hAURE, I~L&S Ann. 141 8 (1902), 267. 2. anorg. Chem. Bd. 37. 15

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Page 1: Theorie des kritischen Zustandes. Verschiedenheit der gasförmigen und flüssigen Materie

Theorie des kritischen Zustandes. Verschiedenheit der gasrormigen und fliissigen Materie.

Von

J. TEAUBE.

Mit 1 Figur im Text.

In einer in DRUDES Annalenl erschienenen Arbeit uber die Theorie der kritischen Erscheinungen und der Verdampfung bin ich zu einer Hypothese gelangt, welche besagt, dafs bei der Verdampfung einer Fliissigkeit nicht nur das Covolumen. der Raum zwischen den Molekiilen, sich vergrofsert, sondern dafs auch das Eigenvolumen der Molekiile eine sehr erhebliche Vergrolserung erfahrt.

Die Qasteilchen oder G a s onen sind hiernach wesentlich grofser als die Fliissigkeitsteilchen oder Fluidonen.

Friiher nahm man an, dafs die Fliissigkeits- und Gasteilchen tiich durch eine verschiedene Masse unterscheiden sollten. Indessen die neuere physikalische Chemie hat festgestellt, dafs im a l l - gemeinen die Fliissigkeitsmolekiile an Gewicht riicht grofser sind als die Gasmolekiile (1. c. S. 280). Anstatt eine Verschiedenheit der Masse anzunehmen, nimmt meine Hypothese an, daQ der Raum, welchen die Molekiile einnehmen, verschieden ist. Gasonen sind loslich (oberhalb des absoluten Nullpunktes) in der fliissigen Phase und Fluidonen in der Gasphase. Homogene Flussigkeiten sind Losungen von Gasonen in der fliissigen Phase, wahrend ein ge- sattigter Dampf als eine Liisnng von Fluidonen in der Gasphase bezeiclinet wurde. Das Mengenverhaltnis von Gasonen und Fluidonen in jeder der beiden Phasen iindert sich mit der Temperatur und wurde von mir berechnet, ebenso das Grtjfsenverhaltnis des Gasons _ .

’ J. ‘ h A U R E , I ~ L & S Ann. 141 8 (1902), 267. 2. anorg. Chem. Bd. 37. 15

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zum Fluidon. Bei der kritischen Temperatur unter den Bedingungen, wie dieselben in einem geschlossenen Rohre bestehen , schien das- selbe durch die Zahlenwerte von annahernd 2 : 1 gegeben.

Zu dieser Hypothese wurde icb veranlaht durch die sehr be- merkenswerten und nicht hinreichend gewiirdigten Beobachtungen, welche u. a. namentlich DE HEEN und DWELSHAUWERS-DERY, GA- LITZINE, CAILLETET und BATELW in bezug auf die kritischen Er- scheinungen mitgeteilt hatten, Beobachtungen, die mir trotz gegen- teiliger Behauptungen im Gegensatz zu der herrschenden Theorie yon AXDREWS zu stehen schienen.

Die kritische Temperatur war nach den Anschmungen von DE HEEN und mir eine Temperatur, bei welcher die vollige Misch- barkeit zweier heterogenen Materien eintritt. Nach DE EFEEN sollten sich diese Materien durch eine verschiedene Masse, nach mir durch den verschiedenen b u m unterscheiden.

Ich mijchte heute zeigen, daL meine Hypothese, welche eine Di skon t inu i t a t des Gas- und Fliissigkeitszustandes bei der kritischen Temperatur annimmt, auch durch Tatsachen gerechtfertigt ist, welche vollig unabhangig sind von den k r i t i s chen Erscheinungen. Als- dann mochte ich aber auf die nenen von H e m TEICHNER in meinen Laboratorinmsraumen festgestelltan Tatsachen hinweisen, welche fur die Auffassung des kritischen Znstandes im Sinne der von mir friiher entwickelten Anschauungen von sehr erheblicher Bedeutung sein diirften.

In VAN DEB WAAI.~ Zustandsgleichung y + - - (v- b) = A! 7;

deren Anwendbarkeit auf den homogenen fliissigenl und anf den festen Zustand2 von mir erwiesen wurde, ist v - b das Covolumen, b das Egenvolumen (etwa das Vierfache des Kernvohrmens) der Molekae. Im Sinne dieser Gleichung besagt meine Hypothese, dafs es zwei b Werte gibt, und dais das b fur den Gaszustand, das Gason, wesentlich grBher ist, als Air den fliissigen (und festen) Zustand, das Fluidon.

Schon in meiner ersten Yitteilung tiber diesen Gegenstand (1. c. p. 286) wurde darauf hingewiesen, dare nach den von VAN DER WAALS selbstberechneten Werten Alr Kohlensaure, wie hhylen der Wert bsm, wie derselbe sich aus den Abweichungen dieser Stoffe von den

( 3

J. TBAUBE, Wid. Ann. 61 (1897), 380 und Drurles Ann. B (1901), 548. ' J. TUAUBE, z. a w g . ChWTZ. 34 (lgos), 419.

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Basgesetzen berechnet, wesentlich grofser ist sls bd , der Wert., welcher dem Verhalten der flussigen Stoffe fur d iese lbe T e m p e r a t u r entspricht. Aus den Zahlenwerten von YOUNO haben GVYE und FBIDERICH fiir Isopentan denselben Nachweis gefiihrt. So ist bei- spielsweise f ir die Temperatur von 30° die Grofse bfl fur den flus- sigen Zustand auf das Grammmolekul bezogen gleich 88.2 ccm, fur den gasformigen Zustand gleich 415 ccm, demnach 4.7 ma1 so grols.

Es ist deinnach ta t s i ich l ich b,, wesent l ich grofser a l s ba unabhkng ig von a l len Hypothesen. Auch auf anderen Wegen (vgl. S. 287) wurde von mir dieser Xachweis geftihrt, und es ware nunmehr nur die Frage zu eriirtern: Woher kommt es, dars 6 sich in dieser Weise vergrol'sert?

Die Grolse b muls nach Obigem unter allen Umstanden eine b'unktion des Volumens und des Druckes sein, ob auch der Tem- peratur, sei einstweilen dahingestellt.

In der Tat ist u. a. VAN DEB WAALS selbst in seiner Arbeit uber die Zustandsgleichung und die Theorie der cyklischen Be- wegungen zu obiger Auffassung gelangt, dafs b zwar sehr erheblich vom Dsuck, aber gar nicht von der Temperatur beeinflufst werde. VAN DEB WAAM hat aber, wie es scheint, diese Auffassung wieder verw~rfen.~ Andererseits hat TH. W. RICHARDS in mehreren Arbeiten iiber die Atomvolumina ganz ahnliche Anschauungen uber die Kom- pressibilitat der Atome, des Grofsen b, entwickelt, wie dies von mir schon in friiheren Abhandlungen geschehen war. Er gelangt in bezug auf die Beziehungen der Kontraktion der Atome und der Afthitiit zu Ansichten, wie ich dieselben schon friiher6 in dem Satze zusammengefafst hatte : Das Atomvolumen ein und desselben Elements iindert sich von Stoff zu Stoff, es ist um so kleiner, j e grofser die Anziehung zu den benachbarten Atomen ist. Dieser Satz ist ein Ergebnis meiner friiheren Axbeiten uber das Volumen, Nach ahn- licher Nethode, wie diejenige von H. KOPP, waren von mir die Atomvolumina der in organischen Verbindungen enthaltenen Atome berechnet, and es hatte sich einerseits ergeben, dafs diese Atom- volumina nichts anderes waren, als die Grofsen b von VAN DEE WAALS,

1 PH. A. GUYS u. L. FRIDERICB, drcli. soienc. phys. el nut. Genf. [41 18

.

- - - - - . -.

(1902). 567. I. I). VAN DEB WAALS, Zeitschr. phys. Chem. 38 (t901), 257. Vergl. den Schlufsaatz zu dieser Arbeit.

J . 'I'RAUBE, Umdes A m . 4 (1901), 550. ' TH. W. RICHASDE, .?kitschy. phys. Chem. 40 (1902), 169 u. 597; 42(1902),129.

15*

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andererseits zeigte sich beispielsweise, dafs das Volumen eines Stick- stoff-, eines Sauerstoffatoms urn so kleiner war, je griifser seino Affinitat war zu demjenigen Atom oder Radikalo, mit welchem es verbunden war, also beispielsweise ist das Stickstoffvolumen :in]

kleinsten im Ammoniak, grofser im Methylamiii, noch grofser im Dimethylamin oder Athylamin u. 8. w. D e r Aff in i t i i t sdruck kompr imie r t d a h e r d i e GrSfsen b. Auch die Ringbildung, x. R. im Benzolring, wirkt in analoger Weise.

Danach lag die Aiiriahme nahe, dafs auch durch iiulbere Kom- pression die Grofsen h , die wir uns grobsinnljch ah elastisclie Balle mit einem weniger elastischen Kern denken konnen: vermindert werden. I n der Tat koiinte ichl aus den von Amagat bestimmten Kompressionskoeffizienten mehrerer Metdlle ableiten, d a f s d u r c h i iulsere Kompress ion d i e K o n s t a n t e b s e h r e rheb l i ch koni- p r i m i e r t wird.

W i e d e r Aff in i ta t s t l ruck und d e r a i i l se re Kompres -

s ionsd ruck m u f s nun of fenbar a u c h cler i i inere Druck cia

wirkeii. Dies wird schon dsdusch nahegelegt, dafs nach VAN DEK, WAALS' Gleichung das Covolumen v - b eine Fuiiktion des inneren Druckes ist. In Anbetracht der niultiplen Beziehungen, welche aber f i r clic Groben Q - b und b bei iibereinstimmenden Temperaturen nnd der kritischen Temperntur bestehen , mufs offenbar h eberisowohl vom inneren Druck abhangen, wie dieses fur v - b der Fail ist. Wenden wir die Gleichung auf iibereinstirnmende Temperaturen an, so konnen wir in derselben v - 6 durch b ersetzen.

Der innere Druck Zindert sich nun bei Temperaturen, welche von der kritischen Temperatur entfernt sind, nur sehr wenig mit der Tem- peratur, so l a n g e d e r be t re f fende Stoff n i c h t i n den gas- f i i rmigen Z u s t a n d i ibergeht . D a r a u s fo lg t , dafs be im Uber - gang vom fe s t en ode r fl i issigen in den gnsformigen Zus tand die GrGl'se 1) e ine d i skon t inu ie r l i che s e h r e rheb l i cbe V o l u - lneiivergrofseruiig e r f a h r e n mufs. E i n G s s o n i s t erbebl ic l i gr i j fser als ein F lu idon . Der Maximalwert wird sehr wahr-

scheinlich erreicht, wenn = 0 ist, d. h. fur den idea len Gas- zustand.3

a

a

va

- _

J. TB~UBE, z. a m y . C%m. 34 (1903), 424. ' Vergl. J. TEAUBE, Z. army. C'lrem. 34 (1903), 418. ' Vergl. d. w. u. folgenden Uemerkungen zu der Arbcit von RAHSAY 11. STEELE.

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Die Grofse des Gasons ist hiernach sls variabel anzusehen, und wir hltten die Frage zu beantworten, ob dieselbe Ariiialime auch fur das Fluidon gelten mufs.

Nach meinen friiheren Berechnungen nimmt die Grofse b laiigsarn zu mit wachsender Temperatur, indessen wird diese Zu- nahme wesentlich beschleunigt in der Nahe der kritischen Temperatur.

Ein entsprechendes Verhalten zeigt der innere Druck -'- . VS

Die folgende Tabelle cnthalt nach Yonms Beobachtungen fir Isopentan fiir verschiedene Temperaturen die Werte v, b , v - b

a und - + p ; letztere Werte wurden von mir nach der Qleichung

VZ

' o*0821 berechnet. v - b l-' + r.2 =

a t o v ccin b ccm v - b ccm 21p i- p Atm.

5 113.6 87.5 86.1 874 35 119.3 88.5 30.8 821 65 126.1 90.2 35.9 773 105 138.4 92.2 46.2 671 155 167.0 97.8 69.2 508

kr. Temp. 187.8 307.1 102.2 204.9 185

a Die Werte sind in der Nkhe der kritischen Temperatur

etwas kleiner als Nach VAN DEB WAALS ist der kritische

Druck p x = - - -k - = -ak- Der innere Druck bei der kritischen

Temperatur ist ilaher gleich dem dreifachen kritischen Druck, und es wird fiir Isopentan der innere Druck bei der kritischen Tem- peratur = 185 x S I 4 = 140 Atm.

Die Temperatur beeinflufst die Orofse b nnr insofern, als der innere Druck sich mit der Temperatur andert. Ein direkter Einflufs besteht sehr wahrscheinlich nicht. Dieser Schlds wurde bereits aus dem Verhalten der festen Elemente gezogen.= Wenn man namlich mit Hilfe der gewohnlichen Ausdehnungskoeffizienten der Elemente

die Ausdehnungskoeffizienten des Covolumens

v2-

V i

a + p .

a

27 bkZ 3 vt2'

1 dv berechnet, v - b d t

- J. TRAUBE, Drudes An%., 1. c. S. 284. J. TMUBE, 2. anorg. Chcm. 34 (leas), 417,

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unter der Annahme, dafs die Wiirmettusdehnung nur das Covolumen v - b und nicht das Eigenvolumen b verhdert , so erhalt man fur alle festen Element8e (mit Ausnahme der Halogene) den Wert

v - b d t 273' von b durch die Warme jedenfalls nur sehr unbedeutend ist.

Die Anderung von bfl mit der Temperatur bezw. den mi t der- selben sich andernden inneren Druck kann nun auf zwei Wegen erfolgen :

1. Alle Fluidonen nehmen gleichmafsig zu mit wachsender Tem- peratur oder

2. E i n Te i l d e r F lu idonen g e h t u n t e r be t r ach t l i che r Volum env e r g r 0 f s e rung i n G a s o n en ii b er. J e d e r Temp e r at u r e n t s p r i c h t d a n n e in bes t immtes Mengenverhi i l tnis v o n Gasonen und Flu idonen .

Bur die zweite Hypothese erscheint mir einstweilen geeignet, die Erscheinungen in der Nahe der kritiachen Temperatur zu erklken. Ich gebe derselben daher den Vorzug. Indessen mochte ich nochmals hervorheben, dafs der Kern meiner Hypothese in der Feststellung liegt, dafs bei der Vergasung einer fliissigen Molekel eine diskontinuier- liche, sehr erhebliche Volumenvergrofserung eintritt, u n d d i e se r Kern meiner Annahmen i s t j edenfa l l s ebenso begri indet , wie d ie VAN DER WAALssche Zus tandsgle ichung i iberhaupt .

Meine Hypothese bietet nun uach den verschiedensten Richtungen erhebliche Vorteile vor der alteren Anschauung dar.

Zunachst gewinnt VAN DER WAALB' Zustandsgleichung wesentlich an Bedeutung. Da die Grofsen 21 und a nicht, wie urspriinglich angenommen wurde, Konstanten sind, so ist j a zweifellos jene Gleichung kein exak t e r Ausdruck der Tatsachen. Dennoch ver- dient sie vor anderen Qleichungen wegen ihrer Einfachheit den Qorzug. Sie ist anwendbar auf den homogenen gasfdrmigen, fliissigen und festen Zustand, und sobald man die Werte b,, und bd unter- scheidet, gilt die Gleichung auch fiir den h e r g a n g vom gasfdrmigen zum fliissigen Zustand weit besser, wie dies bisher der Fall zu sein schien. E. MAT HI AS^ wies vor kurzem gelegentlich einee Referates

E. MATBIAS, Journ. Phys. 2 (1903), 172; vergl. auch daselbet S. 210. Herr MATBIAS, einer der verdienstvolbten Bearbeiter des kritischen Ge- bietee schliefet sich in einer Arbeit 8ur leu thbories liquidoghiques de 1'8tat fluide den Ansichten von DE HXEN und mir in allen weseutlicheu Punkten an; allerdinge bevorzugt er die Hypothese von DE HEEN, nach

- - = dv Ein Beweis, dafs bei den Elementen d iehderung

. - - - --__ -

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iiber meine Arbeit auf die Tatsache hin, d d s die Zustandsgleichung von CLAUSIUS dem Verhalten der Qase, diejenige von VAN DER WAASS demjenigen der Fliissigkeiten besser entspreche. Dieser Umstand finde, wie MATHXAS bemerkt, eine einfache Deutung, sobald man besiicksichtige, dab beide Aggregatzustiinde verschiedene b-Werte erfordern.

Besonders gewinnt VAN DEE WAALS Gleichung dadurch an Wert, dafs durch meine Annahme das d r i t t e Volumen d e r I s o - t he rmen von JAMES THOMSON verwirk l ich t wird. Der Uber- gang eines Fluidons in ein Gason ist mit einer Druckvergrofserung vesbunden nnd demselben entspricht jener mittlere Teil der Iso- thermen, welcher eine Zunahme des Druckes bei zunehmendem Volumen fordert. Hiermit ist eine bedenkliche Liicke in VAN DEB WAALS' Theorie ausgemlt.

Der Ubergang eines Fluidons in ein Gason bedingt eine nicht unerhebliche Arbeitsleistung. Diese Arbeit wurde bieher bei der Berechnung der Verdampfungswlrme vernachllssigt. Sehr wahr- scheinlich ist es, wie ich gezeigt habe, diesem Umstande zuzuschreiben, dab verschiedene bekannte Gleichungen fur die Verdampfungswarme kleinere Werte ergaben, als die Beobachtung.

Die Tatsache, dafs bei dereelben Temperatur d i e spez i f i sche W a r m e bei kons t an tem Volumen fur den Gaszustand kleiner ist, als ftir die Flitssigkeit, hat vie1 Kopfzerbrechens verursacht. I m Lichte dieser Rypothese kann es nicht anders sein. Auch mancherlei andere Erscheinungen, die ich in meiner friiheren Abhandlung bereits andeutete, wie die U b e rh i t znng se r s c h e inung en, Kap i l - l a r i t a t sphanomene , die Regel von E~)TV~S-RAXE~AY-SEIIELDS und das Geb ie t d e r i ibereinst immenden Zus tande , erfahren durch die vorliegende Hypothese eine neue Beleuchtung.

Vor allem aber sind es die kritischen Erscheinungen, die in meiner ersten Mitteilung den Ausgangspunkt dieser Hypothese bildeten, und deren erneutes Studium zu einer Theorie des kritischen Zustandes gefiihrt hat, welche mit derjenigen von ANDREWS wesent- lich verschieden ist.

Herr cand. TEICHNEB hat in meinen Laboratoriumsrllumen Ver- suche Uber den kritischen Zustand ausgefiihrt, und er ist dabei zu

welcher die Molekeln im ,gaafdrmigen und flussigen Zustande verschiedene Masse besitzen sollen. Dieee Hypothese ist aber an8 bereits friiher von mi? bmprochenen Griinden, Drudes A m . 8, 861, nnhaltbar und, wie ich annehmen darf, bat Herr DE 11- dieeelbe eelbet fallen gelween.

.. .

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- 232 - Ergebnissen gelangt , welche die Beobachtungen von DE HEEN und GALITZINE v ol lkommen best,ltigen.

Herr TEICHNER hat Ballonfahrten ausgefiihrt in der Niihe der kritischen Temperatur. In einem mit reinsten Chlorkohlenstoff ge- fiillten I-tohre waren eine gri5Bere Anzahl unterscheidbarer kleiner Glasballons yon bestimmter und verschiedener Dichte eingeschlossen. Der Thermostat bestand aus einem Paraffinrohre, welches sich in einem mit Filz umkleideten Siedekolben befand, in welchem Di- phenylamin unter vermindertem Drucke siedete.

Die genaue Beschreibung dieser Versuche ist z. T. bereits er- folgt in TEICHNERS 1naug.-Dissert. Wien 1903. Hier'seien nur die wichtigstefi Ergebnisse bemerkt.

D ie Bal lons h ie l ten sich noch mehre re Grade obe rha lb d e r kr i t i schen T e m p e r a t u r l ange Zeit h i n d u r c h schwebend i n verschiedens ten H o h e n en tsprechend f h r e r Dichte und de r D ich te des Rohr inha l tes . Es wurden Dichteunterschiede angezeigt von etwa 50 Ole, auch wurden drei Zonen in den Rohrchen deutlich unterschieden: eine mittlere , in welcher der Meniskus verschwunden war, mit den weitaus grolsten Dichteunter- schieden. Dieser Umstand rtllein zeigt schon, dals die Schwere- wirkung oder Temperaturverschiedenheiten nicht die Ursache dieser Dichteunterschiede sind.

Es he r r sch te vol lkommenes Druckgleichgewicht be i den verschiedens ten Dichten und d a s ist e ine Ta t sache , d ie m i t ANDREWS Theor i e unve re inba r ' i s t .

Die Versuche der Ballonmethode bestatigen , dafs be i d e r k r i t i s chen T e m p e r a t u r zwei verschiedene Mater ien vorhan-

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den s ind , und da f s d ie k r i t i s che T e m p e r a t u r d ie jen ige i s t , be i welcher j e n e be iden Mater ien s ich in jedem Verhi i l t - nisse in e inande r losen. S i e i s t de r S c h e i t e l p u u k t e i n e r L 6 s 1 i c h k ei t s k u r v e.

Uber die Natur der beiden Materien gibt am besten die uuab- hiingig von den kritischen Erscheinungen entwickelte Hypothese der Gasonen und Fluidonen Auskunft. Diese Hypothese ist gegen- wartig die einzige, welche zur Deutung der kritischen Erscheinungen geeignet ist.

Herrn TEICENEES Ballonmethode best'atigt auch die Schlisse meiner friiheren Arbeit, wonach auch unterhalb der kritischen Tem- peratur Gasonen in der fliissigen Phase in wechselnden Verhaltnisseu 16slich sind.

Die Krummnng , welche die bekannten Dichtekurven (vgl. Fig. S. 232) namentlich in der Nahe der kritischen Temperatur zeigen, habe ich schon friiher auf die zunehmende Bildung und Loslichkeit der Gasonen in der Flussigkeit zuruckgeftihrt. Jene Kurven sind Loslichkeitskurven bezw. Dichtekurven der gesattigten Losungen.

Herr TEICHNEB machte mich darauf aufmerksam, dafs YOUNG nur deshalb zu jenen Dichten, welche den Kurvenpunkten entsprechen, gelangt sei, weil er stets solange gewartet habe bis Fliissigkeit und Gas vorher innig durchmischt wurden. Gegen dieses Verfahren ist nichts einzuwenden, indessen, wenn man, anstatt fur eine gute Mischung von Gas und Flussigkeit zu sorgen, die Versuchsanordnung so wiihlt, dafs im Gegenteil die Mischung verhindert wird, so gelangt man sehr wahrscheinlich auf die in der Figur angedeuteten punk- tierten geradlinigen oder fast geradlinigen Dichtekurven, welche die Grenzwerte der Dichten, die Grenzd ich ten nach DE &EN fur jede Temperatnr angeben.

An Stelle des einen geradlinigen Durchmessers von MATHIAS erhielten wir dann voraussichtlich drei gerade oder nahezu gerade Linien.

DE HEEN hat in seiner vorhefflichen Arbeit diese Grenzdichte experimentell bestimmt. Auch Herrn TEICHNERS Mlethode ist zwei- fellos zur Bestimmung dieser wichtigen Werte sowie des Verlaufes der betreffenden Kurven vortrefflich geeignet.

Die Temperaturkurven der Grenzdichten schneiden sich unter

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spitzem Winkel in einem Punkte, welcher jedenfalls oberhalb des kritischen Punktes liegt. Dieser Temperaturpunkt sei die w a h re k r i t i s che T e m p e r a t u r oder auch der obe re k r i t i s che P a n k t gcnannt, wahrend der bisher als kritische Temperatur bezeiohnete Temperaturpunkt k r i ti s ch e Lo s ungs t e m p e r a t u r odor auch u n t e r e r k r i t i s che r P u n k t bezeichnet werden moge.

Die wahre k r i t i s che T e m p e r a t u r i s t d ie jen ige Tempe- r a t u r , b e i welcher d i e Dichten d e r Basonen und Flu idonen w i rk l i ch gl ei c h werd en, wiihrend die kritische Losungstempe- ratur eines homogeiien Stoffes durchaus vergleichbar ist mit der kritischen Losungstemperatur zweier Stoffe, wie etwa Ather und Wasser. Die Gleichheit der Dichten in dem oberen kritischen Punkte ware darauf zuruckzufuhren, dafs beide Molekiilarten schliefs- lich infolge von Kontraction und Dilatation den gleichen Raum ein- nehmen. Dieser Temperaturpunkt fallt auch vermutlioh mit dem-

jenigen zusammen, bei welchem der innere Druck dem aufseren

gleich wird. Bei der Temperatur, bei welcher der Meniskus verschwindet,

a 21%

l a ist, wie erwahnt wurde, pk = - - . 3- v>

I n meiner friiheren Abhandlung hatte ich von einem absolutan Vergasungspunkte gesprochen. Ich war der Meinung , dafs die Gasonenbildung oberhalb der kritischen Temperatur fortschreitet. Indessen scheint mir diese Annahme doch immerhin zweifelhaft, da yon Herrn TEICHNER auf meine Veranlassung bewirkte kalorimetri- sche Versuche a es nicht gerade wahrscheinlich machen, dab ober- halb der kritischen Temperatur ein derartiger wtirmebindender Vor- gang, wie die Gasonenbildung, statthat. Ob daher der untere kritische Punkt ein Tripelpunkt ist, bleibe einstweilen dahingestellt. Dennoch behiLlt der abeolute Vergasungspunkt seine Bedeutung, wie aus der 1. c. erfolgenden Besprechung der Arbeit von RAMBAY und STEELE sich ergeben wird.

Eine ganz iihnliche Krilmmung, wie die Temperaturkurven der Dichte unterhalb der kritischen Temperatur aufweisen , zeigen auch die Temperaturkurven der verschiedensten anderen physikali- schen Konstanten. Es sei insbesondere erinnert an die Eriimmung,

Vergl. DE HEBI, 1. c., Tabellen, S. 5 11. EVERSHEIY w. u. uiid J . TWAUBE Dr&s Alan. [4J 8, 294 die KapillaritAtskurven.

* Siehe TEIOENEBS 1naug.-Dissei-t., Wien 1903.

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welche die Kurven der Kapillaritatskonstanten in der Nahe der kritischen Temperatur erfahren, ebenso auch die Kurven des elek- trischen Leitvermogens. a Offenbar sind diese Anomalien auf dieselbe Ursache zuriiekzufuhren, wie bei den Dich ten.

Man konnte zu der Annahme geneigt sein, dafs bei der kriti- schen Temperatur nur eine Materie yon gleicher Dichte sich bildet, indem man zwar zugibt, dafs auch oberhalb der kritischen Tem- peratur in dem oberen Rohrenteil noch die Gasmaterie, in dem unteren die Fliissigkeitsmaterie fortbesteht , aber bei der Mischung in dem mittleren Rohrenteil eine ganz gleichartige Materie sich bildet.

In molekulartheoretischer Hinsicht wurde dies heifsen, dafs bei der kritischen Temperatur , den Annahmen von ANDREWS gemiifs, die Dichten von Gas und Flussigkeit gleich grofs werden, aber dafs der riiumliche Ausgleich der Gasonen und Fluidonen ein z e i t l i ch lttngsam verlaufender Vorgang ware. So beachtenswert diese zwischen ANDREWS und meinen Anschauungen vermittelnde Hypothese auch ist, so scheinen mir doch eine Anzahl Tatsachen dagegen zu sprechen.

Hierher gehort die interessanten Beobachtungen von QOUY uber den Btat final, die Feststellung von DE HEEN u. a., nach welcher die Dichte der Flussigkeit unterhalb der kritischen Temperatur fir die- selbe Temperatur sehr verschieden sein kann, die Feststellung von GALITZINE und TEICHNER, dafs die Dichte der Flassigkeit unterhalb der kritischen Temperatur in verschiedener Hahe der Rohre so ver- schieden ist, dafs Schwerewirkungen zur Erklarung nicht ausreichen, auch die Feststellungen von EvEESHEIM 4; alle diese Tatsachen finden nur eine Deutung, wenn man annimmt, dafs schon unterhalb der kritischen Temperatur in der Fliissigkeit eine heterogene Materie

Ref. Zeitschr. phys. Chenr. 40 (1902), 117. Die Oberflgchenspannung des Wassers nimmt zwischen 0 und 500 Grad proportional der Temperaturzunahme ab, oberhalb geht die Abnahme etwae schneller vor sich und in der unmittelbaren NBhe der kri- tischen Temperatur ist sie auherordentlich rapid. Siehe daselbst auch die Dampfdrucke.

2 P. WALDEN u. M. CENTNEBSWEB, Zeitschr. phys. Chem. 59 (1902), 551 U. P. EVERSHEIM, Dmdes Ann. 8 (1902), 539.

Vergl. meine Arbeit, Dmuies Ann. 8 (1902), 270 u. 276. Es wurde daselbst Prof. GUYE in Genf mit Prof. GOUY in Lyon verwechselt, vergl. auch E. MATEUB, Joum. Phys. 2 (1903), 178.

- _ _ 1 Vergl. CHAS. T. RNIPP, Phys. Rev. 11 (1900), 129.

Vergl. den SchluLsatz.

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gelost ist. Wenn alle diese Beobachtungen dafur geltend zu inachen sind, dafs einige Grade unterhalb der kritischen Temperatur die Loslichkeit der Gasonen in der flussigeu Phase schon recht erheb- lich ist, so ist die Annahme kaum abzuweisen, dafs auch bei niedrigen Temperaturen schon eine geringere gegenseitige Loslich- keit stattfindet.

Ton Bedeutung ist die Frage, ob die hier entwickelte An- nalime auch mit der Lehre vom Gleichgewicht nicht im Widerspruch steht.

In dieser Beziehung kann ich auf die erwiihnte Abhandlurig vou MATHIAS hinweisen, welcher zeigt, dafs die Forderungen der Phasenregel erfiillt werden, sobald man annimmt, dafs das end- giiltige Mengenverhgltnis der Gasonen und Fluidonen nur von der Temperatur abhangt. In diesem Falle entspricht jeder Temperatur ein bestiminter Dampfdruck. Die Beobachtungen von Goun uber den &at final sind dann, wie ich dies schon hervorhob, als zeitliche Verzogerungen des Gleichgewichts anzusehen. Die Annahme VOYI

DE HEEN, dafs das Mengenverhaltnis der beiden Materien auch von dem der Fliissigkeit dargebotenen Volumen abhangt, h%lt MATHIAS fur nicht mit der Phasenregel vereiribar, indessen glaube idi , dafs MATHIAS Herrn DE HEEN mifsverstanden hat, denn DE HEEN bemerkt ausdriicklich, dafs jeder Temperatur ein bestimmter Druck entspricht. Ich bin allerdings einstweilen geneigt, die obige einfachere Annahme zu bevorzugen.

Wenn oberhalb der kritischen Temperatur bei gleicher Tem- peratur und gleichem Druck die verschiedensten Dichten gefundeu werden, so haben wir an folgendes zu denken: Das Gleichgewicht, welches bei einer unterhalb der kritischen gelegenen Temperatur zwischen einer Flilssigkeit und ihrem Dampfe besteht , liifst sich darstellen durch VAN DER WAALS Gleichung:

oder wenn der Dampf unter Atmospharendruck steht, durch

Ich miichte darauf hinweiacn, dah fur das Gleichgewicht der Gasonen in der fliiasigen Phase und im Gasreume HENRYS Gesetz anwendbar sein kaun, also das Verhiiltnis der Gasonenkonzentrtltionen in Gas uud Fliissigkeitsrsume inufs konstant sein.

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d. h. eine Fliissigkeit ist mit ihrem Dampfe im Gleichgewicht, wenii die Covolumina von Dampf und Flussigkeit im umgekehrten Ver- hiiltnisse zu den (aulseren bezw. inneren) Drucken stehen. Ebenso liegen die Verhaltnisse in dem Rohre, in welchem oberhalb der kritischen Temperatur bei gleichem Druck verschiedene Dichten herrschen. 1st das Gason hier zweimal so groD, wie das Fluidon, so ist, da b und ZI - b bei der kritischen Teniperatur im multiplen Verhsltnis stehen, auch vgm - b,, und vgm doppelt so grofs als vf1 - bf1 und vfI und wenn wir auch hier VAN DEB WAALS Gleichung anwendend annehmen, dafs der innere Druck zwischen zwei Gasonen in demselben Make kleiner ist, als derjenige, welcher zwischen zwei Fluidonen wirkt, 80 wiirde das Druckgleichgewicht bei verschiedeiien Dicliten ebenso verstandlich werden , als dasjenige zwischen Dampf und Fliissigkeit uriterhalb der kritischen Temperatur. Bei der oberen kritischen Temperatur wird d a m der innere Druck uberall gleich und demgemlfe kontrahieren sich die Gasonen bis zu einem solchen Grade, dare ihr Volumen demjeiiigen der sich ausdehnenden Fluidonen gleich wird.

Das GrGbenverhiiltnis von Gason zu Fluidon hatte ich in meiner friiheren Mitteilung iiber diesen Gegenstand im Mittel gleieh 2 : 1 angegeben.

DE HEEN 1. c. war zu dem Grohmverhaltnis 2 : 1 auf drei verschiedenen Wegen gelangt:

1. Durch Bestimmung der Dichten in zwei Rohren, in denen der Meniskus das eine Ma1 oben, das andere Ma1 unten verschwand.

2. Aus den Isothermen von Amagat. 3. Durch direkte Dichtebestimlnung der Kohlensiiure oberhalb

der kritischen Temperatur, indem die Mischung der beiden Materien verhindert wurde.

Ich selbst bin gleichfalls zu annahernd demselben Grobenver- haltnis gelangt: Durch Bestimmung der Anderung von b vom abso- lutem Nullpunkt bis zu dem Werte, welcher sich fur b berechnet BUS komprimierten Gasen. 1

Trotz dieser Ubereinstimmung ist indessen daran zu erinnern, dals der Maximalwert, welchen bgas bei der Verdampfung unter

Iliese Angabe bedarf eimer Erganzung.

J. ‘hAUBE, D& h ? t . 8 (ISOl), 295.

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niedrigem Drucke aunimmt, weaentlich grijrser sein diirfte, :tls der zweifache Wert von btl, indem ich hinweise auf die Berechuuiigen von GVYE und FBIDERXCH,' welche das Verhiiltnis 4 : 1 finden, und voraussichtlich ist das maximale Verhaltnis noch wesentlich grolser.

Ich habe ferner in meiiier fruheren Mitteilung p. 304 darnuf liirigewiesen , d a b die Verdampfungswarme bei der kritischen Tern- peratur nicht gleich 0 sein konne, denn diese Annabme beruht auf dem Umstande, dak in der Gleichung von CLAUSIUS-CLAPEYEON die Dichte fur Gas und Flussigkeit gleich grofs gcsetzt werde. Dafs die Verdampfungswarme in der Tat nicht gleich 0 ist, scheint mir aus dem von mir hervorgehobenen Versuche von VILLABD zu folgen. Das Ergebnis der bekannten Experimentalarbeit von MATHTAS, nach welchem die Verdampfungswarme gleich Null ware, steht uiid fallt, je nachdem man Gleichheit oder Ungleichheit der Dichten annimmt.

Endlich seien mir die folgenden allgemeinen Bemerkungen gestattet :

Ich habe im Verlaufe meiner Arbeiten iiber das Voluinen drei Volumenbegriffe unterschieden:

1. Das Kernvolumen, gemessen durch die Konstante von LORENZ- n z - 1 1 ng+Z d ' LOBENTZ,

2. Die Konstante b. 3. Das Covolumen TI - b. Diese drei Volumenbegriffe behalten ihre Bedeutung fur alle

drei Aggregatzustande. Das Kernvolumen ist der von der Materie eingenommene Raum, die Konstante b ist nach mechanischen Vor- stellungen das Kernvolumen mitsamt dem atomaren Covolumen, d. i. die Atherhiille nach CLAUSIUS oder der Raum fur den ge- bundenen Ather nach FBEENEL, und das molekulare Covolumen v - b, - der Raum fiir den freien Ather, - ist der Raum, welcher den Atomen fiir ihre fortschreitende Bewegung zur Verfiigung steht. VAN DEB WAALS Gleichung, welohe, wie ich gezeigt habe $, fur alle drei Zustande gilt, kennt nur die Grbfsen b und v - b , und die Theorie von VAN DEB WAALS sagt aus, dafs b gleich dem vierfachen Rernvolumen ist. Ich habe gezeigt4, dafs diese Annahme so weit

.. .. -. ._

Vergl. S. 221 dieaer Arbeit.

J. TBAUBE, Z. anarg. C h i . 34 (1903), 413. J. TBAUBE, D&s Ann. b (1901), 552.

* Vergl. diese Ann. 8 (1901), 277.

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zutrifft, ale man erwarten kann, sobald man die Refraktionskonstante von LOBENB-LOBENTZ als Mars des Kernvolumens ansieht. Damit habe ich die Theorie, von ~~ER-CLAUSIUS-MOSSOTTI einerseits, die Berechnungen von VAN DEH WAALS andererseits bestitigt.

Uber jene dreiVolumenbegriffe lafst sich nun fdgendes aussagen : 1. Das Covolumen v- -b i s t e ine F u n k t i o n von D r u c k

und Tempera tu r . 2. Die K o n s t a n t e b (oder v ie lmehr die Athe rhu l l e n2-1 1

6 - --), d a s a t o m a r e Covolumen i s t nur e ineFunk t io i i a 2 + 2 d

des Druckes , sowohl des inne ren Druckes, wie des aufseren Ko mp r e s si on s - w i e d e s A f fin i ta t s d r u c k e s.

n a - 1 1 3. D a s Kernvolumen 122+2 -$ i s t wie d ie Kons tan te

?LZ - 1 1 n 2 + L d

b - - -; - - - nur vom Drucke abhangig , j edoch in wesent -

l i ch ge r inge rem Mafse, als daa a tomare Covolumen. Diesen letzteren Schlufs ziehe ich aus dem Umstande, d a b die

Refraktionskonstante von LOBENZ-LORENTZ im Gegenaatz zu der Konstante b sich beim Obergang vom ffiissigen in den gasfdrmigen Zustand n i c h t andert. Dsraus folgt, da f s D r u c k e von de r

a Grofsenordnung des inne ren Druckes , - = e twa l000Atm., 213

122 - wohl d a s a t o m a r e Covolumen Z, - -- L, a b e r nichtnach- n Z + 2 d

weisbar d a s Kernvolumen ve r lnde rn . Anders ist es mit den wesentlich grofseren Affinitiltsdrucken. Hier ist die Atomrefiaktion beispielsweise eines Sauerstoffatoms in andoger Weiee veranderlich von Verbindung zu Verbindung, wie die Konstante b. Der Affinitats- druck ist groh genug, nm nicht nur die Hiille, sondern auch den Kern zu beein0useen. In anderen Fallen ist dagegen nur eine Andenmg der Hiille nachweisbar, wie beispielsweise bei der Ring- bildung. So bewirkt der Ringachlds zum Benzolring, wie ich friiher gezeigt habe, eine sehr erhebliche Volnmveranderung der Konstsnte b, nicht aber der Refraktionskonstante.

Hiernach verhalten sich die Atome etwa wie elastische Balle mit einem weniger elastischen Kern. Die Warme steigert die Be-

J. TBAUBE, %urn der Atome. F. W. AaRms, Sammlg. chem. Vortriiige IV, S. 26, 1899.

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wegungen der Atome, aber sie vermag ihr Volumen nur infolge einer mit der Temperaturlnderung verbundenen Druckiinderung zu beein- flussen. Kernvolumen und atomares Covolum,eii und bei iiherein- stimmenden Temperaturen auch das molekulare Covolumen v - b stehen im multiplen Verhaltnisse, also der Raum, welchen die wag- bare Materie einnimmt, in einfacher Zahlenbeziehung zu den &urnen, die der gebundene und freie Ather einnimmt. Diese Tatsache gibt, zu denken vom Standpunkte der Theorien, welche sich mit den verwandschaftlichen Beziehungen der sogenannten ponderablen urid imponderablen Materie beschaftigen.

Bachtrag.

Nach Vollendung dieser Arbeit sind zwei Arbeiten erschienen, welche die hier mitgeteilten Hypothesen SO weeentlich zu stutzen scheinen, dafs ein kurzes Eingehen gerechtfertigt erscheint.

EVERSEEIM hat u. a. Ton mehreren homogenen Fliissigkeiten, wie NH, , SO, und Athyl- %ither die elektrische Leitfkhigkeit und Dielelctrizitatskonstante in der Abhangigkeit von der Temperatur bestirnrnt. Die Versuche sintl zum Teil bis ca. G O o oberhalb der kritischen Temperatur ausgedehn t worden. Die Elektroden waren in das Riihrchen eingeschmolzen, welches mit Flussigkeit gefiillt, zugeschmolzen und auf die bestirnmte Temperatur erhitzt wurde.

Die Bestimmung beispielsweise der LeitPiLhigkeit des Ammoniaks erfolgte nun in der Weise, dafs a) die Elektroden im Flussigkeits- raume, b) im Dampfraume sich befanden, indem eine Durchmischung h r c h Schiitteln vermieden wurde, c) die Elektroden befanden sich i 1x1 Pliissigkeitsraume und es wurde geschiittelt.

Die vom Standpunkte meiner Hyppthese bemerkeriswertesteri Ergebnisse waren nun die folgenden: Die Temperaturkurven der Leitfahigkeit wie Dielektrizitatskonstanten gingen schon w ei t u n t e r - h a1 b der kritischen Temperatur auseinander, je nnchdem die Flussig- keit geschiittelt (mit Gasonen gesattigt) war oder nicht. Vor allem aber zeigte sich (siehe namentlich die Kurven des Ammoniaks), d a b die obigen drei Temperaturkurven in einem Punkte zusammenlaufen, welcher bei Ammoniak ca. 60 O oberhdb der Temperatur liege11 wiirde, bei welcher der Meniskus verschwantl. Anscheinend handelt

Die eine Arbeit ist von P. EVERSHEIM~.

' 1'. EVEBBHEIY, Plysik. Zeitschr. 1903, 503.

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es sich bier nicht, wie EVEHSHEIM andeutet, um den absoluten Ver- gasungspunkt, sondern um die obere kritische Temperatur.

Die zweite Arbeit riihrt her von H. R ~ M S A Y urid STEELE'. RAM SAY^ hat zuerst gewisse interessante Versuche gemacht, welche mit ANDREWS Theorie in Widerspruch standen. Spiiter hat derselbe indessen auf die Eehlerquellen bei derartigen Messungen hingewiesen und alle Folgerungen zuruckgezogen.

Um so bemerkenswerter ist es, dak der hervorragende englische Chemiker nunmehr auf ganz anderem Wege wieder zu der Hypo- these gefuhrt wird, dals die Materie im gasformigen und fliissigen Zustand verschieden sei.

D. BERTHELOT hatte festgestellt, daQ fur Gase, wie &, N,, 0, etc., fur sehr geringe Drucke das Gesetz von AVOQADRO und von ROYLE sehr genaue Gultigkeit besitze. Fur p = o waren die Dampf- dichten den Molekulargewichten gleich, und ebenso waren fur sehr geringe Drucke die Kurve der p v- Werte BOYLES Gesetz entsprechend der p-Achse parallel.

RAMSAY und STEELE bestimmten nun die Dampfdichten von Ather-, Benzol- und Hexan- etc. Dampfen bei Temperaturen vori 1O0-l3O0 unter Drucken bis zu 40 mm, und sie vermuteten, dak unter diesen idealen Bedingungen auch hier das Gesetz von AVOQADRO und BOYLE streng giiltig war. Diese Erwartung bestitigte sich in- dessen nicht. Die far p = o extrapolierten Dampfdichten waren iiicht gleich den Nolekulargewichten, und vor allem waren die Kurven

d P V der p u-Werte nicht der p-Achse parallel, die Werte - -- nahmen dP

xu mit wachsendem Druck und abnehmender Temperatur, - und auch im allgemeinen mit zunehmendem Volumen der Molekel im fliissigen Zustande. Alle diese Beobachtnrigen finden eine einfache Deutung , wenn man annimmt, dafs oberhalb einer bestimmten Temperatur der absoluten Vergasungstemperatur das Gesetz von BOYLE in der Form p (v - b) = Konst. fur geringe Drucke streng gilt, weil hier der Druck nur das Covolumen v - b komprimiert. Unterhalb jener Temperatur hat aber der Druck auch das Eigen- volumen der Gasteile zu komprimieren, welche jedenfalls weit gr8fser sind, als man bisher anuahm. Daher wird mit wachsendem Druck

' w. RAMSAY U. R. D. STEELE, &thchr. p k y ~ . Chm. @ (1903), 348. 15'. RAYSAT, Pt</C. ROY. SOC. 30 (1880), 323; 31 (IsS0/81), 194.

:' W. RAXSAY u. S. YOUNG, P f d . Mag. [ 5 ] 5 7 (1594), 215. Z. anorg. Chem. Ud. X i . 16

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und abnehmender Temperatur das Volumen kleiner , 21s es auf Grund des Gesetzes p(v - b) = Konst. sein sollte.

Die bnnahme, dafs hierbei eine Anzahl Gasonen in Fluidonen iibergehrn, ist nicht einmal erforderlich; vielleicht geniigt die An- nahme, dafs die Gasonen nur eine Volumenverringerung erfahreu.

Zwei te r N a c h t r a g wiihrend der Kor rek tu r . Iuzwischen hat sich Herr VAN DICE WAALS in einer Mitteilung der Akad. Wissensch. Amsterdam vom 21. Juli d. J. voll und gaiiz auf den Standpunkt meiner Hypothese gestellt, dafs die G r o l s e b e ine F u n k t i o n des Druckes und Volumens ist. Das Grofsenverhaltnis von Gason und Fluidon berechnet VAX m i t WAALS in Ubereinstimmung mit mir = etwa 2 : 1. Diese Ubereinstimmung der Arisichten ist um so bemerkenswerter, als VAN DER WAALS auf ganz anderem Wege als ich zu jener Annahme gefiihrt wird. Nicht einverstanden bin ich aber mit dem von mir hochverehrten hollandischen Gelehrten, wenn derselbe meinen Namen nur ganz beilaufig ermiihnt, und sich eine Prioritat zuschreibt , auf welche ich Anspruch haben diirfte. Denn es kann keiiiem Zweifel unterliegen, dafs ich zuerst jene Hypothese energisch verteidigt habe. Von der Anwendung der Hypothese auf den kritischen Zustand will Herr VAN DEE WAALS einstweilen nichts wissen. Eine eingehende Korrespondenz , welche inzwischen iiber die Frage zwischen Herrn SYDNEY YOGNO und mir stattgefunden hat, hat namentlich in bezug auf TEICHNEES Versucli neue Gesichtspunkte ergeben, welche wohl zu einer weiteren Mit- teilung Veranlassung geben werden und wie mir scheint zu einer viilligen Kliirung dieser wichtigen Frage fuhren wird.

Vergl. u. 3. bereits nicine Mitteilg. Drudes Ann. [4] h, 560 vom 20. MIirz 1901.

Charlottenburg, Teckn. Hochchule.

Bei der Redaktion eingegangen am 25. Juli 1903.