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Institut für Sprache und Kommunikation Status quo Sprachtherapie Situation und Trends der sprachtherapeutischen Berufsgruppen in 2012

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GERMANSituation und Trends der sprachtherapeutischen Berufsgruppen in Deutschland. Themen sind Patienten und Störungsbilder, Marktstrukturen und Verordnungssituation, Akademisierung, ICF sowie evidenzbasierte Therapie.ENGLISHResearch study about the German SLP (Speech and Language Pathology) market. Focus are customers, education, market structures, the relations with the health insurances, evidence based practice as well as ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health)

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Institut für Sprache und Kommunikation

Status quo SprachtherapieSituation und Trends der sprachtherapeutischen Berufsgruppen in 2012

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lerniversum - Institut für Sprache und Kommunikation Seite 3lerniversum - Institut für Sprache und Kommunikation

Status quo Sprachtherapie

Über unsKatrin Riederer

Katrin Riederer (Logopädin, MSc.) ist Geschäftsführerin von lerniversum. Sie ist erfahrene Dozentin, arbeitet seit 11 Jahren regelmäßig in der logopädischen Praxis und ist aktuell beschäftigt in einem Kooperationsprojekt zwischen der TU München (Klinik rechts der Isar) und der Philipps-Universität Marburg zum Thema linguistische Fähigkeiten von Kindern mit orofazialen Spalten im Alter von zwei bis vier Jahren.

Dirk Friedrich

Dipl.-Kfm. Dirk Friedrich hat mehrjährige Erfahrung als Projektleiter nationaler und internationaler Marktforschungsprojekte in der Industrie.

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Themen

1. Übersicht2. Patienten3. Strukturen4. Akademisierung5. ICF6. Evidenzbasierte Therapie7. Methode und Demographie

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© lerniversum - Institut für Sprache und KommunikationSchleißheimer Straße 10680797 Mü[email protected]

19. Juni 2012

Das Skript ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch Übersetzungen und Zweitverwertung sind vorbe-halten. Reproduktionen, gleich welcher Art, ob Fotokopie, Mikrofilm oder Erfassung in Datenverarbeitungs-anlagen, bedürfen der Zitierung.

Das verwendete Bildmaterial stammt von www.sxc.hu. Das Coverbild ist von www.wordle.net.

Redaktioneller Hinweis: Bei den kursiv-geschriebenen Texten handelt es sich jeweils um Zitate der Umfrageteilnehmerinnen.Es wurde bei Berufsbezeichnungen die feminine Form gewählt. In diesen Fällen sind immer Frauen und Männer gemeint. Sprachtherapie und Logopädie werden als Synonym verwendet.

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lerniversum - Institut für Sprache und Kommunikation Seite 5lerniversum - Institut für Sprache und Kommunikation

Status quo Sprachtherapie

Übersicht

• Die Studienteilnehmerinnen sind mit heterogenen, komplexer werdenden Störungsbildern konfrontiert. Besonders übergreifende (S)SES und Mehr-sprachigkeit treten in den Fokus, wobei gleichzeitig die Erwartungen an die Therapeutinnen hinsichtlich Therapieerfolg und Flexibilität steigen.

• Als negativste Veränderung seit dem Berufseinstieg wird allen voran die Verordungssituation genannt. Es folgen der Vergütungssatz und die Angst vor der stetig wachsenden Anzahl der Praxisneugründungen. Gleichzeitig nehmen administrative Tätigkeiten zu, während therapeutisches Wissen in der Breite sowie in der Tiefe verlangt wird.

• Die Akademisierung wird nur von Wenigen als positive Entwicklung herausgehoben. Gründe dafür sind die unklaren Einflusswirkungen auf den Berufsstand der nichtakademisierten Logopädinnen. Die Erwartun-gen zielen vorwiegend ab auf dessen Aufwertung, während die Befürch-tungen den Effekt der Lagerbildung betreffen sowie eine zu theoretische Ausbildung.

• Durch die Umsetzung der ICF in die Praxis werden psychosoziale Aspekte bei der Therpieplanung berücksichtig. Diese Entwicklung wird begrüßt. Es besteht jedoch der Wunsch nach mehr Aufklärung und nach einer Vertei-lung der Kompetenz auf alle beteiligten Berufsgruppen.

• Viele Studienteilehmerinnen sehen in der evidenzbasierten Therapie eine Entwicklung hin zu einer besser kontrollierbaren Therapie. Kritisch an-gesehen wird der erhöhte bürokratische Aufwand und eine zu geringe Berücksichtigung psychosozialer Aspekte.

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Status quo Sprachtherapie

„Ich befürchte eine boomende Zahl an Großpraxen und Gesundheitszentren, die kleine Praxen verdrängen, weil die logopädische Therapie zu Dumpingpreisen möglich wird, der „McLogopädie“ sozusagen.“

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lerniversum - Institut für Sprache und Kommunikation Seite 7lerniversum - Institut für Sprache und Kommunikation

Status quo Sprachtherapie

PatientenDie Studienteilnehmerinnen sind mit heterogenen, komplexer werdenden Störungsbildern konfrontiert. Besonders übergreifende (S)SES und Mehr-sprachighkeit treten in den Fokus, wobei gleichzeitig die Erwartungen an die Therapeutinnen hinsichtlich Therapieerfolg und Flexibilität steigen.

Störungsbilder bei Kindern Störungsbilder bei Erwachsenen

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Störungsbilder

Alle Studienteilnehmerinnen be-handeln Kinder mit Sprach- und Sprechstörungen.

Bei der Analyse der Verteilung der Störungsbilder zeigt sich, dass überwiegend Kinder mit Aus-sprachestörungen (95%) thera-peutisch versorgt werden. Aber auch syntaktisch-morphologische (82%) und semantisch-lexikalische Störungen (71%) nehmen einen hohen prozentualen Anteil ein.

Die Daten lassen darauf schließen, dass kindliche Stimm- und Rede-flusstörungen im Praxisalltag ver-

gleichsweise selten auftreten. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt der BARMER GEK Arztreport 2012 (S.189 ff.).

Sonstige entwicklungsbedingte Störungen, wie bspw. kindliche Aphasien und auditive Verarbeit-ungsstörungen treten ebenfalls eher selten in Erscheinung.

78 der 120 Teilnehmerinnen be-handeln zudem Erwachsene. Den größten Anteil nehmen dabei er-worbene Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen ein. Es folgen Stimmstörungen.

Ähnlich wie bei den entwicklungs-bedingten Störungen nehmen Re-deflussstörungen (6%) auch bei Erwachsenen einen geringen pro-zentualen Anteil ein. Als sonstige Auffälligkeiten wurden hier insbe-sondere Dysglossien genannt.

Zusammenfassend zeigt sich, dass sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen die Sprach-, Sprech- und Schluckstörungen den größ-ten Anteil in der therapeutischen Versorgung einnehmen.

Seite 7lerniversum - Institut für Sprache und Kommunikation

(S)SES und Mehrsprachigkeit

In Bezug auf die entwicklungs-bedingten Störungen beschäftigt die Kolleginnen mehrheitlich das Thema (spezifische) Sprachent-wicklungsstörungen ((S)SES) bei mehrsprachigen Patienten. Insbesondere bei der Diagnostik und Intervention bei Kindern mit Migrationshintergrund sehen die

Studienteilnehmerinnen Aufklä-rungspotenzial.

Es zeigen sich große Unsicher-heiten bei der exakten Einschätz-ung der Sprachfähigkeiten in den verschiedenen Sprachen. Kulturel-le Aspekte kommen dazu.

In Bezug auf die veränderten Anforderungen hinsichtlich der

Störungsbilder wird häufig die steigende Komplexität genannt. Kinder zeigen vermehrt eine über-greifend asynchrone (S)SES. Hier wird z.B. die fehlende Kom-munikation der Bezugspersonen mit den Kindern als eine mögliche Ursache vermutet.

Status quo Sprachtherapie

16%

3%

7%

57%

71%

82%

95%

Sonstige Störungen

Stimmstörungen

Redeflussstörungen

MFS

SEMLEX

Dysgrammatismus

Aussprachestörungen

„Die Patienten wollen immer weniger zu Hause üben. Hausaufgaben bei den Kindern kommen häufig nicht erledigt zurück (...). Erwachsene setzen die Übungen für das häusliche Training seltener um.“

9%

6%

19%

44%

53%

64%

69%

Sonstige Störungen

Redeflussstörungen

Sprechapraxie

Dysarthrie

Dysphagie

Stimme

Aphasie

Anspruch und Flexibilität

Die Studienteilnehmerinnen emp-finden einen steigenden Erfolgs-anspruch an die sprachtherapeu-tische Intervention.

Sie berichten von dem Phänomen einer „Beschleuningung“, wobei sie das Gefühl haben, dass ein schneller Therapieerfolg das aus-sagekräftigste Bewertungskriter-rium sei. Besonders häufig treten diese Forderungen mit einer ein-geschränkten zeitlichen Flexibilität

der Patienten auf. Diese wünschen mehrheitlich Nachmittags- bzw. Abendtermine.

Problematisch ist diese Auswir-kung wegen der Erschwerung ei-ner homogenen Auslastung der Praxen. Vereinzelt müssen Sams-tagstermine vergeben werden, um die logopädische Versorgung ge-währleisten zu können. Als Folge bleiben häufig Vormittagstermine unbesetzt.

Insbesondere für die selbstän-

digen Kolleginnen scheint diese Entwicklung eine besondere Her-ausforderung zu sein, weil sie teil-weise längere Öffnungszeiten und weniger Planungssicherheit be-deutet.

Es wird außerdem kritisiert, dass manche Patienten weniger Ei-geninititaive bei der Festigung von Therapieinhalten zeigen würden. Gerade vor dem Hintergrund ei-nes steigenden Erfolgsdrucks wir-ke das kontraproduktiv.

Erwachsene

Patientenfokus

n = 109 n = 78

90%

10%

Kinder

n = 118

„Auch wenn es nur etwa 5% der Kinder sind, die von einer komplexen (S)SES betroffen sind, sehe ich zunehmend deprivierte Kinder aus allen Schichten. Wahrscheinich, weil weniger mit ihnen kommuniziert wird.“

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Institut für Sprache und Kommunikation

lerniversum - Institut für Sprache und Kommunikation

StrukturenAls negativste Veränderung seit dem Berufseinstieg wird allen voran die Verordungssituation genannt. Es folgen der Vergütungssatz und die Angst vor der stetig wachsenden Anzahl der Praxisneugründungen. Gleichzeitig nehmen administrative Tätigkeiten zu, während therapeutisches Wissen in der Breite sowie in der Tiefe verlangt wird.

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Status quo Sprachtherapie

Praxisneugründungen als negative Entwicklung

Interdisziplinärer Austausch als positive Entwicklung

Arbeitsbelastung als negative Entwicklung

Markt

Die wachsende Zahl von Praxis-neugründungen und die nicht vorhandene Marktregulierung wird von vielen Studienteilneh-merinnen mit Besorgnis wahrge-nommen. 47% sehen die vielen Praxisneugründungen als eine ne-gative Entwicklung an.

Auch der Trend hin zur Großpraxis oder der Gründung von Gesund-heits- bzw. Therapiezentren findet nicht nur Befürworterinnen. Vor allem Kolleginnen mit jahrelanger Erfahrung in der Selbstständigkeit erwarten durch diese Entwicklung eine Verdrängung eher kleinerer Praxen.

Im Gegensatz dazu gibt es aber auch Kolleginnen, die die Entwick-lung hin zu Großpraxen als Chan-ce für einen besseren Austausch zwischen den verschiedenen Fach-disziplinen ansehen. Immerhin 43% schätzen die inter-diziplinäre Zusammenarbeit und sehen sie als eine positive Entwick-lung an.

Studienteilnehmerinnen im An-gestelltenverhältnis befürchten durch die rasant steigende Anzahl an Praxisneugründungen einen steigenden Leistungsdruck von Seiten der Arbeitgeberinnen und eine hierdurch wachsende Ar-beitsbelastung bei gleichbleiben- den Lohnverhältnissen.

Mehr als 44% schätzen die Arbeits-belastung bereits jetzt als zu hoch ein.

Weiterhin ist auffallend, dass die Sorge besteht, die logopädische Therapie stünde in Zukunft nicht mehr im Leistungskatalog der ge-setzlichen und privaten Kranken-kassen.

In diesem Fall würden sich einige Kolleginnen gezwungen sehen, logopädische Therapie zu wirt-schaftlichen Tiefstpreisen anbieten zu müssen, um wettbewerbsfähig bleiben zu können. In diesen Zu-sammenhang spricht eine Studi-enteilnehmerin sogar von einem „McLogopädie“-Trend.

47%

Ja

53%

Nein

Verordnungssituation und Ver-gütungssatz

Die Verordnungssituation wird von 74% der Studienteilnehmerin-nen als der negativste Trend über-haupt eingestuft.

Insbesondere die Prüfung der aus-gestellten Heilmittelverordnungen auf Richtig- und Vollständigkeit wird wegen des hohen Zeitauf-wands kritisiert.

Außerdem wird vermehrt der Druck der Krankenkassen auf die Ärztinnen angesprochen. Durch die Androhung von Regressforde-rungen bei Budgetüberschreitun-gen würden die Ärztinnen dazu neigen weniger Logopädie zu ver-ordnen, auch wenn der Patient die-se dringend benötige.

Es wird bemängelt, dass Kinder hierdurch erst im Vorschul- bzw. Schulalter in der logopädische Pra-

xis vorstellig würden, obwohl diese schon im Kleinkindalter Anzei-chen für eine Sprachentwicklungs-störung zeigten. Einige Umfrage-teilnehmerinnen sehen daher eine stetige Entwicklung hin zur selbst-finanzierten Therapie.

Es finden sich auch Anmerkungen bezüglich einem stetigen Rück-gang von Langzeitverordnungen bei Erwachsenen. Hiervon schei-nen insbesondere Patienten mit erworbenen Sprach- und Sprech-störungen betroffen zu sein.

Neben der Verordnungssituation wird der Vergütungssatz von 47% der Studienteilnehmerinnen nega-tiv bewertet.

Das ist insbesondere bemerksens-wert, da die Nennung beider Phä-nomene stark miteinander korre-liert. Das Gefühl einer fehlenden Anerkennung der Arbeitsleistung wird in diesem Zusammenhang vermehrt genannt.

43%

Ja

57%

Nein

44%

Ja

56%

Nein

n = 116 n = 117n = 117

Verordnungssituation als negative Entwicklung

Vergütungssatz als negative Entwicklung

n = 117 n = 117

47%

Ja

53%

NeinJaNein

74%

26%

„Als weiteren wich-tigen Trend sehe ich die Spezialisierung

(...) auf ausgewählte Bereiche an. In der niedergelassenen

Praxis wird noch zu sehr erwartet, dass man Spezialist auf allen Gebieten ist.“

lerniversum - Institut für Sprache und KommunikationSeite 8

Spezialisierung

Aufgrund der rasanten Fortschrit-te in den der Sprachtherapie zu-grundeliegenden Einzeldisziplinen sowie der zunehmenden Bemü-hungen zur Qualitätssicherung zeichnet sich ein Trend hin zur be-ruflichen Spezialisierung auf ein-zelne Therapieschwerpunkte ab.

Auch die Entwicklung der Fallzah-len in diversen Störungsbereichen sprechen für eine Spezialisierung innerhalb der Sprachtherapie.

Dieser Ansicht sind auch viele der Studienteilnehmerinnen.

Prozessorientierung

Von Seiten der Selbständigen wer-den die steigenden Anforderungen im Bereich Qualitätsmanagement und Marketing als zunehmende Entwicklung angesprochen.

Hier werden vor allem die neu anfallenden administrativen Pro-zesse als steigend empfunden. Die Planung der Patiententermine und die Kontrolle der Verordnungen werden als besonders arbeits-auf-wändig beschrieben.

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Status quo Sprachtherapie

AkademisierungDie Akademisierung wird nur von Wenigen als positive Entwicklung herausgehoben. Gründe dafür sind die unklaren Einflusswirkungen auf den Berufsstand der nicht akademisierten Logopädinnen. Die Erwartungen zielen vorwiegend ab auf dessen Aufwertung, während die Befürchtungen den Effekt der Lagerbildung betreffen sowie eine zu theoretische Ausbildung.

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Institut für Sprache und Kommunikation

„Ich bin gegen ein Studium, da mir die Erfahrung mit Praktikanten und Berufseinsteigern zeigt, dass die „universitären“ Sprachtherapeuten nicht wirklich gut im Vergleich zu den schulischen Logopäden ausgebildet wurden, die praxisnah und umfassend ausgebildet sofort im Berufsalltag starten können.“

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Status quo Sprachtherapie

Akademisierung

Durch die Verabschiedung des Ge-setzes zur Einführung einer Mo-dellklausel in das Berufsgesetz der Logopädinnen wird das Thema der Akademisierung der Logopädie weiter vorangetrieben und ist da-mit ein zentraler Diskussionspunkt in der Branche.

Die Entwicklung hin zur Akade-misierung stehen lediglich 29% der Studienteilnehmerinnen positiv gegenüber. Die anderen 71% ha-ben diesen Trend nicht explizit als positiv hervorgehoben und sehen die Entwicklung damit eher mit gemischten Gefühlen.

Grundlage der Auswertung ist eine Frage zu verschiedenen Entwick-lungen, die als positiv eingestuft werden konnten. Akademisierung war eine von fünf Auswahlmög-lichkeiten.

Erwartungen

Der größte Teil der Befürworterin-nen der Akademisierung arbeitet in eigener Praxis.

Sie begrüßen vor allem die wis-schaftliche Herangehensweise in-nerhalb der Sprachtherapie und erwarten hierdurch langfristig eine Loslösung von der Verord-nungsgrundlage durch Vertrags-ärztinnen sowie eine positive

Veränderung der gesetzlichen sowie privaten Kassensätzen. Einige Kolleginnen erhoffen sich zudem eine Vereinheitlichung des Berufsbildes und eine Lobbyie-rung der Berufsgruppe.

Durch die Akademisierung wird außerdem von einer Eigenregulie-rung des Marktes ausgegangen.

Als weiterer positiver Effekt wird die Wiederanhebung des Mindest-alters von 18 Jahren als Zugangs-voraussetzung für das Studiums der Sprachtherapie gesehen.

In diesem Zuge wird sich ebenfalls eine verbesserte „Zulassungskont-rolle“ erhofft.

Akademisierung als positive Entwicklung

29%

71%

JaNein

Befürchtungen

Nicht akademisierte Logopädin-nen im Angestelltenverhältnis ste-hen der Akademisierung der Lo-gopädie weniger positiv gegenüber.

Als Grund hierfür wird mehrheit-lich die Angst vor einer Degra-dierung der Logopädinnen ohne akademische Zusatzqualifikation genannt.

Es wird die Förderung einer Zwei-klassengesellschaft befürchtet.

Diese Einschätzung steht im Zu-sammenhang mit der Berufser-fahrung: Je weniger Berufserfah-rung, desto skeptischer wird die Akademisierung gesehen. Je mehr Berufserfahrung, desto positiver wird diese bewertet.

Akademische Kolleginnen im An-gestelltenverhältnis sehen die Aka-demisierung als Chance für die Lo-gopädie.

Ein Gesichtspunkt, der unabhän-gig von Berufserfahrung und Qua-lifikation geäußert wird, ist eine

mögliche Verschlechterung des Praxiswissens innerhalb der Aus-bildung durch die fortschreitende Akademisierung der Logopädie.

Es wird befürchtet, dass die Ver-mittlung theoretischer Inhalte in-nerhalb des Studiums viel Raum einnehmen und dadurch die fach-praktische Qualifizierung leiden könnte.

„Immer noch unzureichend ist ein einheitliches Bild der Sprachtherapeuten in der Öffentlichkeit. Patienten sind teilweise überfordert mit der Differenzierung der unterschiedlichen Berufsgruppen.“

n = 116

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Status quo Sprachtherapie

ICF - International Classification of Functioning, Disability and Health

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Durch die Umsetzung der ICF in die Praxis werden psychosozialer Aspekte bei der Therpieplanung berücksichtig. Diese Entwicklung wird begrüßt. Es besteht jedoch der Wunsch nach mehr Aufklärung und nach einer Verteilung der Kom-petenz auf alle beteiligten Berufsgruppen.

ICF Einführung

Die „International Classification of Functioning, Disability and Health“ wurde 2001 als eine inter-national gültige Klassifikation von Krankheitsfolgen von der Welt-gesundheitsorganisation (WHO) eingeführt.

Erkrankungen werden nicht mehr nur als reine Störungen der Bio-logie, sondern als ein Zusammen-treffen psychosozialer Faktoren

gesehen.

Die Übernahme der ICF Klassi-fikation ist im deutschsprachigen Raum schon weit fortgeschritten. Sie bildet auch die Grundlage für die aktuelle Heil- und Hilfsmittel-verordnung.

In Kliniken und Rehabilitations-zentren verwenden die verschie-denen Berufsgruppen, wie z.B. Logopädinnen, Ergo- und Physio-therapeutinnen diese Klassifikati-

on als Basis, um u.a. die gemein-same Arbeit am Patienten nach einem einheitlichen Standard do-kumentieren und dadurch Zielset-zungen besser aufeinander abstim-men zu können.

Die Studienteilnehmerinnen sehen diese Entwicklung hin zu mehr Standards und höherer Transpa-renz jedoch zweigeteilt.

Erwartungen und Kritik

Positiv wird insbesondere die Berücksichtigung von psychosozi-alen Aspekten (z.B. umwelt- und personenbezogene Kontextfakto-ren) bei der Diagnoseableitung be-wertet.

Die praktische Umsetzung der ICF-Thematik wird jedoch aus diversen Gründen als unrealistisch angesehen. Vor allem die zeitliche

Komponente spielt eine wichtige Rolle. Es wird davon ausgegangen, dass sich sowohl Therapeutinnen als auch Ärztinnen verstärkt in die ICF-Systematik einarbeiten müssten, um die geforderten Ziele methodisch korrekt in die prakti-sche Arbeit integrieren zu können.

Eine Befürchtung der Kolleginnen ist, dass der wesentliche Einarbei-tungsaufwand bei den Therapeu-tinnen anfallen könnte und sich

bspw. Ärztinnen auf die Kompe-tenzen der Therapeutinnen verlas-sen würden.

Es ist ebenfalls zu entnehmen, dass manche Studienteilneh-merinnen hier einen erhöhten Aufklärungsbedarf sehen. In die-sem Zusammenhang wird der Wunsch nach einer professionellen Unterstützung bei der Umsetzung geäußert.

„Die fundierte Auseinandersetzen mit der Denkweise der ICF (...) wird sehr viel Zeit in Anspruch nehmen.“

„Die Umstellung auf ICF ist schwierig, weil es kaum jemanden gibt der wirklich Ahnung hat. (...) von uns wird verlangt, dass wir darin Spezialisten sind und Ärzten die nötigen Informationen liefern.“

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Status quo Sprachtherapie

Evidenzbasierte Therapie

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EBP Einführung

Das Konzept der evidence-based practice (evidenzbasierte Therapie, EBP) verfolgt die Zielsetzung die wissenschaftliche Forschung mit der Praxis neu zu verknüpfen.

Die praktisch tätigen Therapeutin-nen sollen sich mit Hilfe von EBP über den aktuellen Stand der For-schung informieren, um auf dieser

Grundlage ihre täglichen Entschei-dungen zu treffen (vgl. Beushausen 2005, Forum Logopädie, 3, 2-7).

Ein großer Anteil der Studienteil-nehmerinnen ist sich darüber im Klaren, dass die evidenzbasier-te Vorgehensweise innerhalb der Sprachtherapie an Relevanz gewin-nen wird.

Im Rahmen der Befragung ist das insbesondere interessant, weil es eine der Entwicklungen ist, die häufig im Freitextfeld genannt wurde, ohne dass die Teilneh-merInnen explizit danach gefragt wurden.

„Eine „gute Sprachtherapeutin“, die ihre Arbeit vor dem Hintergrund der aktuellen wissenschaftlichen Er-kenntnisse macht, setzt sich von den „alten Hasen“ ab, die immer noch alle z.B. Aussprachestörungen nach van Riper behandeln. Hierdurch wird Qualität in der Therapie transparenter.“

Erwartungen und Kritik

Einige Kolleginnen erhoffen sich durch EBP eine bessere Möglich-keit die therapeutischen Schritte kontrollieren und evaluieren zu können. Manche gehen sogar so-weit und erwarten dadurch eine eigenständige Marktregulierung.

Es wird jedoch befürchtet, dass durch die evidenzbasierte Heran-gehensweise noch mehr bürokrati-

sche Arbeit auf die Praktikerinnen zukommen könnte, welche die Zeit am Patienten reduziere.

Zudem wird angemerkt, dass EBP psychosoziale und kommunikative Aspekte nicht berücksichtige, wo-bei hingegen andere Kriterien (z.B. linguistische Parameter) stark fo-kussiert würden.

Es wird außerdem in Frage gestellt, ob die aktuellen Diagnostik- und

Therapiematerialien bzw. aktuelle Interventionsansätze den EBP-An-forderungen Stand halten können.

Viele der Kolleginnen bezweifeln, dass man mit den vorhanden Ma-terialen eine gute Therapie im Sin-ne der EBP mit einem sinnvollen Maß an Vorbereitung realisieren könne.

„Durch evidenzbasiertes Arbeiten soll eine höchste Spezialisierung mit viel Technik und Methoden erreicht werden. Der Patient als Mensch scheint zuweilen auf der Strecke zu bleiben.“

Viele Studienteilehmerinnen sehen in der evidenzbasierten Therapie eine Entwicklung hin zu einer besser kontrollierbaren Therapie. Kritisch angesehen wird der erhöhte bürokratische Aufwand und eine zu geringe Berücksichtigung psychosozialer Aspekte.

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Status quo Sprachtherapie

Berufsgruppe Berufszugehörigkeit Beschäftigungsverhältnis

Der Teilnehmerinnenschwerpunkt liegt auf dem süddeutschen Raum.

80% der Teilnehmerinnen sind Lo-gopädinnen und 17% Sprachthe-rapeutinnen mit akademischem Hintergrund. Die restlichen 3% reine Wissenschaftlerinnen.

Als Berufsstarterinnen können 29% der Teilnehmerinnen bezeich-net werden, mit einer Berufszuge-hörigkeit von bis zu 5 Jahren.

33% sind 5-10 Jahre als Spracht-herapeutin tätig, 21% 10-15 Jahre und 17% länger als 15 Jahre.

Fast die Hälfte ist selbständig in eigener Praxis. 30% sind angestellt in einer Praxis, 16% in einer Klinik bzw. SPZ. 5% arbeiten als freie Mit-arbeiterin in einer Praxis.

17%

Sprach- therapeutIn

n = 120

80%

LogopädIn

Andere

3% 5%16%

49%

30%

n = 119

Freie Mitarbeit Angestellt

(Klinik, SPZ etc.)

Angestellt (logopädi-sche Praxis)

Selb-ständig

29%

21%

33%

Bis zu 5 Jahren

10-15 Jahre

n = 119

17%

5-10 Jahre

Länger als 15 Jahre

Methode und Demographie

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Institut für Sprache und Kommunikation

Die Studie basiert auf der Auswer-tung von Antworten von 120 Um-frageteilnehmerinnen.

Dazu haben wir zwischen Novem-ber 2011 und März 2012 unsere Seminarteilnehmerinnen gebeten, sich an der Befragung zu betei-ligen. Wir haben außerdem die Umfrage im Internet und in der Fachzeitschrift Forum Logopädie beworben. Als Anreiz wurde eine kostenfreie Fortbildungsteilnahme bei lerniversum verlost.

Insgesamt haben sich 131 Perso-

nen an der Umfrage beteiligt. 11 der Fragebögen wurden nicht in der Auswertung berücksichtigt. Kriterien dafür waren eine Aus-füllzeit von unter einer Minute, andere „Durchklicker“ sowie Teil-nehmerinnen, die nicht im Bereich Sprachtherapie oder in Deutsch-land anzusiedeln waren.

Der Fragebogen bestand aus 10 Fragen, die insbesondere auf die Arbeitsbedinungen der Berufs-gruppe ausgerichtet waren. Kon-zeptionell wurde viel mit Freitexten gearbeitet, so dass insbesondere

qualitative Antworten berücksich-tigt werden konnten.

Analyseseitig wurden vorwiegend deskriptive Methoden angewandt, um Häufigkeiten und Verteilungs-muster zu erkennen. Korrelations-analysen haben zudem dabei ge-holfen, Zusammenhänge zwischen den einzelnen Antworten aufzu-decken.

Die Fallzahl der Studie beträgt 120.

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Status quo Sprachtherapie

Unsere Fortbildungen

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Institut für Sprache und Kommunikation

2012Einführung: Kindliche Schluckstörungen20./21.07.2012, Judith Bledau-Greiffendorf

Syntaktische Störungen: Diagnostik und Therapie im Patholinguistischen Ansatz (Kauschke & Siegmüller)28./29.07.2012, Katrin Riederer

Frühe Sprachdiagnostik und -therapie bei Kindern mit und ohne „Late Talker-Profil“21./22.09.2012, Jeannine Schwytay

Psychotherapeutische Methoden in der Sprachtherapie29./30.09.2012, Heidina Witulski

Kognitiv orientierte Aphasietehrapie27./28.10.2012, Dr. Astrid Schröder

Diagnostik und Therapie der Sprechapraxie bei Erwachsenen09./10.11.2012, Reimund Bongartz

Morphologische Störungen: Diagnostik und Therapie im Patholinguistischen Ansatz (Kauschke & Siegmüller)17./18.11.2012, Katrin Riederer

Biographisch-narrative Intervention bei Aphasie zur Steigerung der Lebensqualität24./25.11.2012, Prof. Sabine Corsten & Friedericke Hardering

Mehrsprachige Kinder in der sprachtherapeutischen Praxis30.11./01.12.2012, Sebnem Kreutzmann

Modellorientierte LRS – Der Rote Faden in Diagnostik und Therapie01./02.12.2012, Bente von der Heide

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Vorschau 2013Unser Jahr 2013 steht im Zeichen der Erkenntnisse dieser Studie. Wir konzipieren un-ser Seminarprogramm entsprechend und widmen uns den Kernthemen.

Aktuelle Informationen zu unseren Aktivitäten erhalten Sie über folgende Kanäle:

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Webseite: http://www.lerniversum.de/

Twitter: https://twitter.com/lerniversum

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