soziale ungleichheit und krankheit
TRANSCRIPT
Editorial
Soziale Ungleichheit und Krankheit
Den fiusseren Anlass zu diesem Schwerpunktheft bil- det eine wissenschaftliche Veranstaltung, welche die Deutsche Gesellschaft ffir medizinische Soziologie anlfisslich des Deutschen Soziologentages im Okto- ber 1992 an der Heinrich-Heine-Universitfit Diissel- dorf zu diesem Thema durchgeffihrt hat. Ihr ent- stammt die Mehrzahl der hier zum Druck ausgewfihl- ten Beitrfige. Es gibt aber darfiberhinaus einen wissenschaftlich und gesundheitspolitisch gleicherweise aktuellen An- lass, das Thema >>Soziale Ungleichheit und Krank- heit<< zum gegenwfirtigen Zeitpunkt aufzugreifen. In den Sozialwissenschaften ist die Debatte um die konzeptuelle Erfassung sozialer Ungleichheit ange- sichts neuer sozio-6konomischer Problemlagen (neue Armut, Immigration, Massenarbeitslosigkeit, Tertia- risierung u. a.) neu entbrannt. Zugleich wfichst die Zahl der Studien, welche ungtinstige Auswirkungen sozialer Lage auf verschiedene Bereiche der Lebens- gestaltung belegen. Dies gilt auch fiir die Medizinso- ziologie, welche in den vergangenen Jahren in ein- drucksvoller Weise ZusammenMnge zwischen sozia- ler Ungleichheit und Erkrankungsrisiko dokumen- tiert hat. Die Forschungsarbeiten belegen, dass es nicht eine unterprivilegierte Unterschicht ist, die von den ge- sundheitlichen Lasten in besonderem Masse betrof- fen ist, sondern, dass sieh fiber das gesamte gesell- schaftliche Spektrum ein sozialer Gradient von Erk- rankungsrisiken ausbreitet. Dies bedeutet, dass in den Lebens- und Arbeitsbedingungen nach schich- ten- spezifischen Belastungskomponenten gesucht werden muss.
Medizinsoziologische Theorien liefern einen wichti- gen Beitrag zur Identifizierung solcher Belastungs- komponenten. Dass die genannten Zusammenh~inge auch in den hoch entwickelten Industriegesellschaften mit ausge- pr/igtem Sozialversicherungssystem und entwickelten Wohlfahrtseinrichtungen nicht nur nachweisbar sind, sondern sich teilweise in den vergangenen Jahren weiter verschfirft haben, verweist auf die besondere gesundheitspolitische Brisanz dieser Thematik. Wfih- rend in anderen europfiischen Lfindern eine medizin- soziologische Forschung zu diesem Thema recht weit entwickelt ist,~-4 sind im deutschen Sprachbereich erst wenige umfassende Arbeiten zu dieser Thematik zu verzeichnenS,6. Das vortiegende Schwerpunktheft soll dazu beitra- gen, diese empfindliche Lficke etwas zu verringern.
Johannes Siegrist Associate Editor
Literaturverzeichnis:
1 Fox J, ed. Health Inequalities in European Countries. Gower Aldershot, 1988.
2 [llsley R, Svensson P-G, eds. Health inequalities in Europe. Special issue Social Science and Medicine 1990; 31:3,233-420.
3 Davey Smith GD, Bartley M, Blane D. The Black Report on socioeconomic ineqalities in health 10 years on. Br. Med. J. 1990; 301:373-377.
4 Townsend P, Davidson N, eds. Inequalities in Health: The Black Report. Harlnondsworth: Penguin, 1982.
5 Mielck A. K~ankheit und soziale Lagc. Opladen: Westdeut- scher Verlag, 1993 (Ira Druck).
6 Siegrist J. Sozialc Krisen und Gesundheit. (G6ttingen: Hogre- re, 1993 (in Vorbcreitung).