social fictions

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Page 1: Social Fictions

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Visionen des Sozialen im Spannungsfeld von Kunst und Wissenschaft

Social FictionS

Diskurs- und Performance-Happening

20.11. | 27.11. und 4.12.11 – 19 UhrAkademietheater im Prinz- regententheater

Eintritt zu den Beiträgen nur zur vollen Stunde

In deutscher oder englischer Sprache

Eintritt Euro 5|TagStudenten bei Vorlage des Stu-dentenausweises Eintritt freiNur an der Tageskasse10 – 18 Uhr

»Weltbank« oder »Weltrevolution«? Wutbürger? Frei-heitskämpfer? Umweltaktivist? Der Umgang mit den großen alten Gesellschaftsutopien ist heute schwierig geworden, auch wenn im Zusammenhang mit der jüngsten Wirtschaftskrise sogar marxistische Theorie-ansätze wieder salonfähig geworden sind. Es heißt: Zu vernetzt und komplex ist die Welt, sind ihre Probleme, als dass sie sich mit dem unter Ideologieverdacht stehendem Vokabular des 19. und 20. Jahrhunderts be-schreiben und in Angriff nehmen ließen. Betont wird weiterhin, dass die gegenwärtigen Umwelt-, Bevölke-rungs-, Armuts- und Gesundheitsprobleme nur von ei-ner global agierenden Politik bewältigt werden können. Und doch erscheinen die politischen Versuche, die immer deutlicher sich abzeichnenden Kollateralschä-den des wirtschaftlichen und technischen Fortschritts zu reparieren, als zunehmend hilflos. Gestern Banken-krise und Bohrloch im Golf von Mexiko, heute drohen-der Staatsbankrott und kollabierender japanischer Atommeiler Fukushima: sie sind zu Sinnbildern für die Unmöglichkeit geworden, globale Krisen rechtzeitig in den Griff zu bekommen. 40 Jahre nach dem Club-of-Rome-Report DIE GRENZEN DES WACHSTUMS mehren sich die Zeichen, dass das Mantra vom technischen und wirtschaftlichen Fortschritt als Lösungsrezept oder Allheilmittel sich heute als bloßer Mythos einer Epoche entpuppt, die zu Ende zu gehen scheint. SOCIAL FICTIONS lädt Künstler und Wissenschaftler ein, an drei Sonntagen über andere Optionen, neue Ideen und »alte« Traditionen nachzudenken.

»World Bank« or »world revolution«? Furious citizen? Freedom fighter? Environmental activist? The approa-ches to the grand, old social utopias have become difficult nowadays. One hears that the world and its problems are too networked and too complex that they cannot be described or approached using the vocabula-ries of the 19th and 20th centuries – which are laden with ideology. The continuing emphasis is that the current problems involving the environment, populati-on, poverty, and health can only be managed by active global policies. And yet the political attempts to repair the more and more obvious collateral damage of eco-nomical and technological progress appear to be incre-asingly helpless. The bank crisis and the oil well in the Gulf of Mexico were yesterday, the threat of bankrupt countries and the collapsing Japanese nuclear power plant Fukushima are today. They have become allego-ries for the impossibility of dealing with global crises in a timely manner. SOCIAL FICTIONS invites artists and scientists to contemplate other options, new ideas, and »old« traditions on three Sundays.

KonzeptgruppeTilmann BroszatSigrid GareisArmin NassehiMichael Thoss

ProduktionSPIELART Festival München in Zusammenar-beit mit der Allianz- Kulturstiftung, dem Insti-tut für Soziologie der LMU München (Lehrstuhl Prof. Dr. Armin Nassehi), und der Bayerischen Thea-terakademie August Everding in Verbindung mit FestivalLAB. Mit Unterstützung des Kultur-referates des Landes-hauptstadt München.

FestivalLAB wird realisiert mit Unterstützung der Europäischen Kommission.

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Sonntag, 20. 11. Die Krise der Expertise

11 Uhr Armin Nassehi Expertentum – die Ästhetik der Krise

12 Uhr Stefan Kaegi mit Sidigullah Fadai Ex Experten

13 Uhr Janez Janša NAME Readymade

14 Uhr Monika Gintersdorfer mit Skelly Les illetrés

15 Uhr Günter Küppers Neues aus der Küche – von der experimentellen Vernunft der Köche

16 Uhr Toshiki Okada The change that happened to me and Japan’s society

17 Uhr Kenichi Mishima Tragikomödie der Expertokratie

18 Uhr Shuddhabrata Sengupta Theatre in the Archive

Sonntag, 27. 11. Die Kunst des Protestes

11 Uhr Wu Wenguang Memory: Hunger – Protest Amnesia through documentary and theatre

12 Uhr Klaus Zehelein Der Findling von 1811

13 Uhr Hans-Werner Kroesinger Why it’s fun to be an expert for yesterday’s news

14 Uhr Sanja Mitrovic Theatre as the existing – theatre as the possible

15 Uhr Dieter Rucht Expressive und symbolische Aspekte neuer Protestformen

16 Uhr Albert Ostermaier Faust aufs Herz

17 Uhr Paula-Irene Villa Körpereinsatz: Feminismus zwischen Pop und Porno

18 Uhr Rabih Mroué Image till victory?

SOCIAL FICTIONSDiskurs- und Performance-Happening

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Sonntag, 4. 12. Aufbrechende Gemeinschaften

11 Uhr Yael Bartana We shall be strong in our weakness 12 Uhr Matteo Pasquinelli The insurrection of the knowledge society

13 Uhr Sophie Wolfrum Hier

14 Uhr Laila Soliman Knock knock knock until you die… no time for art?

15 Uhr Ursula Biemann Extraterritorial Communities

16 Uhr Friedrich Wilhelm Graf Religion als Vergemeinschaftung

17 Uhr Jan Ritsema Can you imagine: if this, then no longer, that?

18 Uhr Hans-Thies Lehmann und Helene Varopoulou Gemeinschaften des Bruchs – oder was haben Bourriaud, Rancière und Agamben dem Theater zu sagen? Ein Duo-Vortrag

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20.November

Expertisen funktionieren nicht deshalb, weil die in ihnen gesprochenen oder geschriebenen Sätze wahr sind oder tatsächlich stimmen, sondern weil an sie in der Weise angeschlossen wird, dass sie als wahr und stimmig erscheinen. Um dies zu gewährleisten, brau-chen Expertisen eine Form, eine Gestalt, eine Ästhetik. Insofern ist die Krise der Expertise auch eine ästheti-sche Krise.

Armin Nassehi (*1960), seit 1998 Professor für Soziolo-gie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Arbeitsgebiete: Kultursoziologie, Politische Soziolo-gie, Wissenssoziologie.

Nach aktivem Widerstand gegen die sowjetische Besat-zung Afghanistans floh Sidigullah Fadai nach München, war dort Vertreter der afghanischen Mudschaheddin in Deutschland und spielte auch in Stefan Kaegis SICHER-HEITSKONFERENZ in den Münchner Kammerspielen. Dort plädierte er - entgegen der meisten westlichen Experten - dafür, mit den Taliban in Verhandlung zu treten. Heute hat sich der Wind gedreht und selbst Amerika denkt so wie Fadai damals. Wie erkennt man Experten? Wie lang ist die Halbwertszeit ihres Wissens? Und was haben sie im Theater zu suchen?

Der Schweizer Regisseur Stefan Kaegi (*1972) inszeniert in verschiedensten Konstellationen dokumentarische Theaterstücke, Hörspiele und Stadtrauminszenierun-gen. Gemeinsam mit Helgard Haug und Daniel Wetzel arbeitet Kaegi unter dem Label Rimini Protokoll. Seit 2006 arbeitet er auch mit der argentinischen Autorin und Regisseurin Lola Arias zusammen.

In NAME READYMADE wird die Aktion der Namensände-rung präsentiert, die von drei slowenischen Künstlern 2007 durchgeführt wurde: Offiziell – mit sämtlichen notwendigen Papieren und Stempeln – ließen sie sich den Namen des damaligen slowenischen Ministerpräsi-denten Janez Janša (Regierungszeit 2004-08) geben. Seitdem sind sämtliche Werke der drei Künstler alias Janez Janšas sowie ihre privaten wie öffentlichen An-gelegenheiten – in einem Wort ihr ganzes Leben – unter diesem Namen (auf-)geführt worden.

Der studierte Soziologe und Theaterregisseur Janez Janša (*1964) zählt zu den subversivsten Theaterma-chern Sloweniens. Janša veröffentlicht theoretische Schriften und Monografien über zeitgenössische Thea-ter- und Tanzformen.

ExpErtEntum ...

Ex ExpErtEn

nAmE rEAdymAdE

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Am Beispiel der Elfenbeinküste betrachten der ivorische Sänger Skelly und die Regisseurin Monika Gintersdorfer, wie sich eine Gesellschaft neu formiert, nachdem sie eine Phase der gewaltsamen Auseinandersetzungen um das Präsidentenamt überstanden hat. Der Hergang der Ereignisse soll demnächst vom Internationalen Ge-richtshof in Den Haag untersucht werden.

Die studierte Kulturwissenschaftlerin Monika Ginters-dorfer arbeitet unter dem Label Gintersdorfer | Klaßen seit 2005 mit dem bildenden Künstler Knut Klaßen, dem Schauspieler und Tänzer Franck Edmond Yao sowie mit dem Coupé Décalé-Sänger Francis Parfait Taregue zusammen.

Der Zusammenbruch des Sowjetimperiums, die Insol-venz von Lehman Brothers, die Atomkatastrophe von Fukushima beschreiben Ereignisse, die alle im Prinzip möglich, aber in hohem Maße unwahrscheinlich waren. Eine solche Entwicklung ist charakteristisch für kom-plexe Systeme, in denen Chaos und Ordnung untrenn-bar miteinander verknüpft sind. Der Vortrag beginnt mit Demonstrationen von einfachen Experimenten und Computersimulationen, in denen das Zusammenspiel von Chaos und Ordnung vorgeführt wird. Anschließend sollen Möglichkeiten im Umgang mit dem Komplexen aufgezeigt werden. Dazu gehen wir fiktiv in die Küche…

Günter Küppers studierte Mathematik und Physik, lehr-te und forschte an den Universitäten Bielefeld und Wien. Er war über drei Jahrzehnte Geschäftsführer und Mitglied des Vorstandes des interdisziplinär arbeiten-den Instituts für Wissenschafts- und Technikforschung an der Universität Bielefeld.

Krisen geben Künstlern die Möglichkeit, Muster, die sich in ihre Werke geschlichen haben, zu ändern. Im März diesen Jahres wurde ich mit der Krise konfrontiert - das Erdbeben und die folgenden Katastrophen. Da-durch hat sich meine Einstellung gegenüber der Thea-terarbeit und dessen Hinterfragung durch das Publikum sehr geändert. Der Bedarf an Kunst in der japanischen Gesellschaft tritt scheinbar offensichtlicher als vorher zu Tage.

Der japanische Schriftsteller und Regisseur Toshiki Okada gründete 1997 seine Company chelfitsch.

LEs iLLEtrés

nEuEs Aus dEr KüchE – von dEr ExpErimEntELLEn vErnunft dEr KöchE

thE chAngE thAt hAppEnEd to mE And JApAn’s sociEty

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27.November

Experten, die Krisendiskurse beherrschen, können vie-les verdecken und schönreden, enthüllen und bloßstel-len, aber auch durch Enthüllung verdecken. Sie reden oft im verschwiegenen Auftrag einer schwer benennba-ren Struktur. Ihr Berufsethos kann auch ein intimes Verhältnis zu »struktureller und legaler Kriminalität« (Kenichi Mishima) haben.

Kenichi Mishima (*1942) studierte an der Universität Tokio Philosophie, Germanistik und Vergleichende Kul-tur- und Literaturwissenschaft. Von 1990 bis 2004 war er Professor für Vergleichende Kulturwissenschaft und Sozialphilosophie an der Universität Osaka. Seit 2004 ist er Professor für Sozialphilosophie an der Tokyo Keizai Universität.

In THEATRE IN THE ARCHIVE diskutiert Shuddhabrata Sengupta vom Raqs Media Collective, wie sich die Thea-tergruppe in ihren Kunstprojekten mit der Übertragung archivalischer Forschungen auf die Bühne beschäftigt. Was passiert, wenn ein Bild zum Darsteller wird? Wie spielen Tatsachen mit Fiktionen, wenn Theater ein Archiv betritt?

Das Raqs Media Collective, bestehend aus Jeebesh Bag-chi, Monica Narula und Shuddhabrata Sengupta, ist eine Künstlergruppe aus Neu-Delhi, die im Bereich Installation, Video, Fotografie, Text-Bild-Collagen, On- und Off-line Medienkunst und Performance tätig ist. Ausstellungen bei der Documenta 11 sowie bei den Biennalen von Venedig, Istanbul, São Paulo, Taipeh und Sydney.

»2008 arbeitete ich als künstlerischer Leiter des Living Dance Studio an der Performance MEMORY, eine Samm-lung persönlicher Erinnerungen an die Kulturrevolution während der 1960er Jahre. Zwei Jahre später wurde das zweite Stück der MEMORY-Serie, das diesmal die »Große Hungersnot« von 1959 bis 1960 thematisierte, aufge-

trAgiKomödiE dEr ExpErtoKrAtiE

thEAtrE in thE ArchivE

mEmory: hungEr – protEst AmnEsiA through documEn-tAry And thEAtrE

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führt. Der Fortschritt der Moderne rückt in China die historischen Ereignisse derart in den Hintergrund, dass die Amnesie bekämpft werden muss.« (Wu Wenguang)

Wu Wenguang (*1956) studierte chinesische Literatur an der Universität in Yunnan. Wu ist ein international bekannter Dokumentarfilmer, freischaffender Schrift-steller, Künstler und Produzent von Tanz- und Theater-produktionen. 1994 gründete Wu zusammen mit Wen Hui in Beijing die freie Tanzgruppe Living Dance Studio.

Vor zweihundert Jahren erschien der Findling, der scheinbar als eine Ergänzung weiterer erfundener Geschichten fungierte. Doch dieser Findling war eine lebende Bombe, deren Explosion noch bis ins 21. Jahr-hundert nachhallt.

Klaus Zehelein (*1940, Frankfurt am Main), Chefdrama-turg in Kiel, Oldenburg, Frankfurt. Künstlerischer Direk-tor des Thalia Theaters. Diverse Gastprofessuren. Von 1991 bis 2006 Opernintendant in Stuttgart, seit Mai 2003 Präsident des Deutschen Bühnenvereins. Präsident der Bayerischen Theaterakademie August Everding.

Die Welt wird schneller mit jedem Tag. Hier eine Revolu-tion, dort ein Atomunfall verbunden mit einer Flutwel-le, irgendwo f indet ein Genozid statt und auch die Finanzkrise dürfen wir nicht vergessen. Alles ereignet sich, aber nichts geschieht. Wir erfahren fast alles, aber bewegen nichts. Schauen wir doch wenigstens noch einmal hin, wie die Dinge sich ereignen und wie sie für uns beschrieben werden, denn ein konzentrier-ter Blick zurück ist vielleicht ein Blick aufs Jetzt.

Hans-Werner Kroesinger (*1962), Studium am Institut für Angewandte Theaterwissenschaften der Justus-Liebig-Universität Gießen. Regieassistent und Drama-turg bei Robert Wilson, 1989 künstlerischer Mitarbeiter Heiner Müllers. Seit 1993 eigene Inszenierungen sowohl an renommierten Stadt- und Staatstheatern als auch in der freien Szene. Kroesingers Arbeiten wurden zu zahlreichen renommierten nationalen und interna-tionalen Festivals eingeladen.

dEr findLing von 1811

Why it’s fun to bE An Ex-pErt for yEstErdAy’s nEWs

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In dem Moment, wenn grausame Sparmaßnahmen – die Konsequenz einer durch den Finanzsektor verur-sachten Wirtschaftskrise – weitreichende und nicht selten gewaltsame öffentliche Unruhen in ganz Europa herbeiführen, kann es aufschlussreich sein, die Arten von Antworten zu überlegen, die wir – sowohl als Künstler als auch als Bürger – in unserer Verfügungsge-walt haben. Als Theatermacherin und Performerin möchte ich jenen eine Stimme geben, die nicht gehört werden – durch repetitive Neukonfigurierung individu-eller und kollektiver Geschichte, um die Realität und die Imagination, das Existieren und das Mögliche, näher zu bringen.

Die serbische Regisseurin und Autorin Sanja Mitrovic (*1978) emigrierte vor zehn Jahren in die Niederlande und studierte in Amsterdam zeitgenössisches Theater. 2009 gründete sie Stand Up Tall Productions, die sich als sozial und politisch engagiertes Theater mit transnatio- nalen Strukturen wie Immigration und politische und kulturelle Integration befassen.

Ihre Attraktivität können Protestformen aus zwei ge-gensätzlichen Momenten beziehen: zum einen der ritu-alisierten Wiederholung des Vertrauten, die Sinn und Gemeinschaft stiften soll; zum anderen in kreativer Ausgestaltung und Variation von Formen, die auf Spaß, Anerkennung, Überraschung, Subversion, Irritation, Einschüchterung usw. zielen. Dies wird an Beispielen zeitgenössischer Proteste anhand von Beschreibung- en, Bildern und Filmsequenzen verdeutlicht.

Der gebürtige Allgäuer Dieter Rucht (*1946) war seit 2005 Ko-Leiter der ehemaligen Forschungsgruppe »Zi-vilgesellschaft, Citizenship und politische Mobilisierung in Europa« am Wissenschaftszentrum Berlin Sozialfor-schung (WZB), wo er zuvor Leiter der Arbeitsgruppe »Politische Öffentlichkeit und Mobilisierung« war.

Literatur ist nicht korrekt, darf nicht korrekt sein, Poesie entsteht aus Regelverletzung, Überschreitung, Verrü-cken des als Unverrückbar geglaubten. Poesie ist Pers-pektivenwechsel, Drama Blickwechsel. Was ist Schreiben anderes als Spurensuchen, falsche Fährten legen, Fin-gerabdrücke zu hinterlassen und sie freizulegen. Dort zu suchen, wo niemand sucht, dort zu finden, wo niemand

thEAtrE As thE Existing – thEAtrE As thE possibLE

ExprEssivE und sym- boLischE AspEKtE nEuEr protEstformEn

fAust Aufs hErz

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findet. Um die Phantasie zu befeuern, muss man ermu-tigen, das, was einem unter den Nägeln brennt, auszu-sprechen. Es ist gut, wenn man für etwas brennt, eine Leidenschaft hat, sich angreifbar macht, weil man für etwas steht.

Albert Ostermaier (*1967) Lyriker und Dramatiker, lebt und arbeitet in München. Aktuell veröffentlichte er den Roman SCHWARZE SONNE SCHEINE. 2011 sind zwei neue Stücke uraufgeführt worden, AUFSTAND bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen sowie HALALI im Residenztheater.

Body politics gehören wesentlich zu den Strategien und Zielen vielfacher feministischer Artikulationen. Dabei steht im Vordergrund die Einsicht, dass (ge-schlechtliche) Körper nicht einfach von Natur aus da sind, sondern dass sie in gesellschaftlichen Kons- tellationen »gemacht« werden. So gehörte es zu den zentralen Anliegen der Neuen Frauenbewegungen (»Second Wave«), sich das Recht auf den eigenen Körper nicht nur zu nehmen, sondern darüber hinaus, über die eigene Natur zu verfügen. Daraus haben sich ausgesprochen ambivalente Freiheitsgewinne ergeben. Aus dem »Mein Bauch gehört mir« der 1970er und 1980er Jahre folgt im Jahr 2011 u.U. eben auch, dass »ich mir deshalb auch das Fett daran absaugen lassen kann, wenn ich es will«. Der Vortrag wird den Ambiva-lenzen feministischer body politics nachgehen.

Paula-Irene Villa (*1968), aufgewachsen in Argentinien, USA, Kanada und Deutschland. Soziologin und seit 2008 Lehrstuhlinhaberin für Soziologie | Gender Stu-dies an der LMU München.

Der Vortrag thematisiert die Veröffentlichung von Fotos, die während des syrischen Aufstandes entstan-den sind und mittels Facebook sowie anderer virtueller Kommunikationsmittel publiziert wurden. Was für eine Vernetzung hat dieser Akt der fotografischen Doku-mentation, wenn sie durch das Prisma von Dogma 95, dem kinematographischen Manifest der dänischen Filmemacher Lars von Trier und Thomas Vinterberg, ge-sehen werden?

KörpErEinsAtz: fEminismus zWischEn pop und porno

imAgE tiLL victory? EinE LEcturE-pErformAncE übEr dEn gEbrAuch von mobiLtELEfonEn WährEnd dEr syrischEn rEvoLution

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4. Dezember

Rabih Mroué (*1967, Beirut), Schauspieler, Regisseur und Autor, u.a. für die libanesische Vierteljahrsschrift KALAMON und TDR (New York). Er ist Mitbegründer und im Board der Beirut Art Center Association (BAC). Seit 1990 entwickelt er eigene Stücke, Performances und Videos, u.a. PHOTO-ROMANCE (2009), THE INHABI-TANTS OF IMAGES (2008).

Das Jewish Renaissance Movement in Polen ist eine politische Kunstorganisation, die den Schwerpunkt auf die Erschaffung von Solidarität der Diaspora-Commu-nities legt. Der Vortrag wird den Film MARY KOSZMARY vorführen und über den Prozess der Transformation von »social fictions« in »social facts« sowie über aktu-elle JRMIP-Aktivitäten berichten.

Yael Bartana (*1970) ist Künstlerische Direktorin des JR-MIP. In ihrem Werk beschäftigt sie sich mit nationalen Zeremonien, öffentlichen Ritualen und der Konstruktion kollektiver Identität.

Heutzutage ist Deutschland führend im geistigen Kapi-talismus: Marx selbst nannte einst den »allgemeinen Intellekt« das »fixe Kapital«, verkörpert durch die in-dustrielle Maschinerie. Heute ist das geistige Kapital leicht aus digitalen Netzwerken und durch die neue Art von Wissensarbeitern zu beziehen. Marx´ Idee einer organischen Komposition des Kapital ist immer noch nützlich, um zu beschreiben, wie diese Wissensakku-mulation hinter der Bühne des Finanzkapitalismus agiert.

WE shALL bE strong in our WEAKnEss

thE insurrEction of thE KnoWLEdgE sociEty: mArx’s notion of »orgAnic composition of cApitAL« And thE roLE of cognitivE cApitALism bEhind thE currEnt finAnciAL crisis

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Matteo Pasquinelli arbeitet als Schriftsteller, Kurator und Forscher. In seiner Dissertation beschäftigte er sich mit neuen Konfliktformen durch Wissensökonomie und kognitiven Kapitalismus.

Der konkrete Ort birgt eine Opposition zu den im Pro-gramm genannten globalen sozialen Verwerfungen. Sie sind einerseits in sehr unterschiedlichem Maße in ihn eingeschrieben, andererseits bietet er Widerstand. Global | Lokal ist vor diesem Hintergrund ein fast schon überstrapaziertes Begriffspaar. Dennoch sind nicht zu-letzt vor diesem Hintergrund Stadtspaziergänge, Walkscapes, Promenadologie und verwandte Praktiken das Mittel der Recherche, um über den Ort nicht nur zu reden, sondern ihn konkret zu erfahren. Was entde-cken wir rund um den Prinzregentenplatz in einer knappen Stunde an einem Sonntag im Dezember?

Sophie Wolfrum, Studium der Raumplanung, Große Staatsprüfung Städtebau, Verwaltungspraxis in Tansa-nia und Deutschland, seit 1989 Büro für Architektur und Stadtplanung in Partnerschaft mit Prof. Alban Janson, seit 2003 Professur für Städtebau und Regio-nalplanung an der TU München.

come back, leave?hear news, make news?die, living?

diaries, testimonies, sounds, movements, bullets, resistance and whatever makes a revolution

or is it all useless?

Laila Soliman (*1981) ist eine ägyptische Regisseurin, Dramaturgin und Autorin. Sie lebt und arbeitet in Kairo.

In ihrem Vortrag EXTRATERRITORIAL COMMUNITIES wird Ursula Biemann über die Bildung von Kunst- und Aktivistengruppen, die in den letzten Jahren in der der arabischen Welt entstanden sind, sprechen. Die Künst-lerin diskutiert zwei unterschiedliche ästhetische An-sichten zum aktuellen sozialen Wandel sowie zu den aufblühenden bürgerlichen Bewegungen in der Region.

Die Schweizer Videoessayistin und Wissenschaftlerin am Institut für Theorie an der Zürcher Universität der Künste Ursula Biemann betreut diverse zeitgenössi-sche Kunst- und Forschungsprojekte, die sich im Um-feld von Geografie und Mobilität lokalisieren lassen.

hiEr

KnocK KnocK KnocK untiL you diE… no timE for Art?

ExtrAtErritoriAL communitiEs

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Religion ist nie eine rein individuelle Haltung oder Pra-xis, sondern stets auch ein Gemeinschaftsereignis. Wo jedoch in der plural verfassten, vielfach diversifizierten Welt die religiösen Auffassungen der Individuen und Gruppen aufeinander stoßen, ist Streit programmiert. Ausgetragen werden die selten auch gewalttätigen posi-tionellen Kämpfe um Deutungshoheit innerhalb der ganz unterschiedlichen Gesellschaften.

Friedrich Wilhelm Graf (*1948), Professor für Systema-tische Theologie und Ethik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Forschungsschwerpunkte: Theo-logische Ideengeschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, Ethik, religiöse Wandlungsprozesse der Moderne.

Can you imagine: if this, then no longer, that?

And all this implies.The absence of the logic of causality.The absence of probability.The absence of appropriation and fixation.The absence of quantification.The absence of laws of nature and society.The absence of the ›I understand‹. Less language.The absence of desire.The absence of future.The absence of imagination. The absence of the ›I‹ and its institutions.The absence of the private.

Can you imagine that in the absence of all this, that primitively holds us together, we will be able to deal, ourselves, us, with the other and the things, favorably?Can you imagine this and still think the technological standards sustain and develop?

I can.

Das Theater des niederländischen Regisseurs, Tänzers und Dramatikers Jan Ritsema (*1945) oszilliert zwi-schen Denken und Spielen. Zusammenarbeit u.a. mit Meg Stuart, Boris Charmatz und Jonathan Burrows. Ritsemas Werke wie WEAK DANCE STRONG QUESTIONS, PIPELINES. A CONSTRUCTION und BLINDSPOT sorgten für Furore.

rELigion ALs vErgEmEinschAftung

cAn you imAginE: if this, thEn no LongEr, thAt?

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social fictions

Hans-Thies Lehmann und Helene VaropoulouDuo-Vortrag

Agamben lässt uns das Theater von der Geste her se-hen. Bourriaud belehrt uns über eine neuere Entwick-lung in den bildenden Künsten, bei denen sich das Ver-ständnis von dem, was Kunst sei, radikal und radial verwandelt: die Kunst arbeitet nicht mehr in erster Linie daran, ein Bild, ein Objekt im Sinne eines durch Formung modifizierten Materials herzustellen. Statt-dessen geht es um die passagere Aktualisierung und | oder Reflexion von etwas, das den Namen Beziehung trägt: relationale Ästhetik. Rancière zeiht diese These der Naivität und des Utopismus. Wir fragen, was die realen, eingebildeten, erhofften Gemeinschaften des Theaters, der Performance von all dem schon wissen: Sind neue aufbrechende Gemeinschaften eher zusam-menbrechende alte?

Hans-Thies Lehmann, bis 2010 Professor für Theater-wissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt a. Main. Zahlreiche Publikationen u.a.: POSTDRAMATI-SCHES THEATER (1999), THEATER IN JAPAN (Hg., zus. mit Eiichiro Hirata).

Helene Varopoulou, Kritikerin, Übersetzerin, Theater-wissenschaftlerin, Beraterin Athener Concert Hall Megaron, Konsultantin Nationaltheater Athen, Direk-torin Internationales Theaterfestival Argos. Zahlreiche Lehraufträge und Publikationen.

BildnachweiseNobutaka Sato (Toshiki Okada), david baltzer | bildbuehne.de (Hans-Werner Kroesinger), Albert Ostermaier (Albert Ostermaier), Talal Al-Muhaha (Jan Ritsema), beteiligte Gäste

ImpressumFolder SOCIAL FICTIONS Herausgeber (V.i.S.d.P.) Spielmotor München e.V. – Eine Initiative der Stadt München und der BMW GroupGrafik: www.gestaltungsbuero-hersberger.de

gEmEinschAftEn dEs bruchs – odEr WAs hAbEn bourriAud, rAncièrE und AgAmbEn dEm thEAtEr zu sAgEn?