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Skript zur Vorlesung Introduction to Cognitive Neuroscience Wintersemester 2009/10 Keine Gewähr für Richtigkeit oder Vollständigkeit. Viel Spaß wünschen Nadia Wilhelm, Florian Schiller, Janis Freund, Ini Essien

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Skript zur Vorlesung Introduction to Cognitive Neuroscience

Wintersemester 2009/10

Keine Gewähr für Richtigkeit oder Vollständigkeit. Viel Spaß wünschen Nadia Wilhelm, Florian Schiller, Janis Freund, Ini Essien

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Skript zur Vorlesung: Introduction to Cognitive Neuroscience Wintersemester 2009/10

Einführung:

Zunächst erläutert Frau Röder einige Definitionen der Kognitiven Neurowissenschaften:

„The cognitive neuroscientist wants to understand how the brain enables mind“ (XII, Gazzaniga, 2000)

„Mind“ bedeutet dabei soviel wie Absicht, Ansicht, Gedanke, Geist, Gemüt, Psyche, Sinn, Seele, Verstand. Andere Definitionen lauten:

„Psychological, computational, and biological mechanisms of higher mental function including perception, attention, memory, language, emotion, motor control, executive functions, consciousness and the evolution of mental processes. How can knowledge about the fundamental mechanisms of the nervous system be used to obtain a deeper understanding of the higher mental functions in animals particular humans?”

oder

“Cognitive neuroscience is an interdisciplinary area of research and scholarship including, neurologists, psychologists, psychiatrists, philosophers, computer scientists, engineers, physicists etc.”

Verhalten kann dabei auf verschiedenen Ebenen untersucht werden:

- Sozial/ auf Gruppenebene - Organismus (=Individual) - Nervensystem - Gehirnareal - Neuronen-Ensembles (=Gruppen) - Nervenzellen - Synapse - Moleküle

Verhalten wird dann mit neuronalen Korrelaten in Verbindung gebracht (z.B. EKPs).

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Vorlesung 1: Neuroplasticity (Röder) Einleitendes Beispiel zu neuronaler Plastizität:

Muckli et al. (2009): Mädchen, das mit nur einer Hemisphäre geboren wurde ist zwar halbseitig gelähmt und hat diverse motorische Probleme, aber dennoch ein fast komplettes visuelles Gesichtsfeld. Normalerweise hätte sie an Hemianopsie, also einem halbseitigen Gesichtsfeldausfall beider Augen, leiden müssen. In ihrer verbleibenden Hemisphäre hatten sich somit nicht nur retinotope Karten des kontralateralen (rechten) Halbfeldes, sondern auch des ipsilateralen (linken) Halbfeldes entwickelt. Das bedeutet, beide visuellen Halbfelder eines Auges wurden in der verbleibenden Hemisphäre repräsentiert. Schlussfolgerung: dies weist auf eine beeindruckende Reorganisation der Afferenzen (des intakten linken Auges) hin. Siehe: Retinotopic Mapping

So sehen die Gesichtsfelder eines normalen Menschen aus:

So sieht das Gehirn des Mädchens aus:

Ggf. könnte ich hier noch ein weiteres Bild aus der Vl einfügen, wenn das gewünscht wird.

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Definitionen und Bedeutung des Wortes „Neuroplastizität“:

„Fähigkeit des zentralen Nervensystems (ZNS) sich funktional und strukturell den gegenwärtigen Anforderungen anzupassen.“

Roeders Lieblingsdefinition von Sheedlo & Turner (1992):

„Neuroplasticity broadly defined, involves the ability of the nervous system to adapt its structural organization to altered circumstances arising from either developmental, environmental or traumatic phenomena" (Sheedlo & Turner, p. 8, 1992)

- Bedeutet, dass Lernen bis ins hohe Lebensalter möglich ist, - Jedoch qualitative und quantitative Unterschiede der Veränderungskapazität des

ZNS, zwischen „Entwicklungsplastizität“ und „Erwachsenenplastizität“ - Neuronale Plastizität ist die notwendige Voraussetzung für jede Art von

Lernen(!) - „Plastische“ Veränderungen werden vor allem durch Lernen verursacht, aber

auch durch Läsionen: o Direkte Verletzungen: z.B. Läsionen, neurodegenerative Krankheiten o Indirekte Verletzungen: z.B. durch Verlust der Afferenzen eines

sensorischen Systems (z.B. Verlust eines Auges) Klassifikation von Neuroplastizität anhand des auslösenden Ereignisses: Verschiedene Ereignisse können zur Veränderung der Plastizität führen:

- Ontogenetische Entwicklung (über die Lebensspanne), d.h. es passieren funktionale und strukturelle Veränderungen über die Lebensspanne

- Umweltveränderungen (alle Arten von Lernen und Gedächtnis) - Verletzungen des Nervensystems:

o Partielle oder totale Deprivation, führt zu indirekter Verletzung, da Zielstrukturen (im ZNS) kein Input mehr bekommen. (Anmerkung: *

Partielle Deprivation: selektive Isolation z.B. eines sensorischen Systems (z.B. Retina- oder Cochlea-Läsionen)

Deprivation = Wegnahme eines normalerweise vorhandenen Inputs)

Totale Deprivation: Überhaupt kein Input eines bestimmten sensorischen Systems wird an das ZNS übertragen (z.B. totale Blindheit)

o Zentrale Läsionen, d.h. Input ist intakt während ZNS verletzt ist Intramodale vs. Cross-modale Plastizität: Intramodale Plastizität

- Eine bestimmte (intakte) Region, die mit einem bestimmten sensorischen System assoziiert ist, reorganisiert sich, z.B. in Folge von Lernen, neu. BSP.: weil ich dauernd irgendwelche Grauschattierungen unterscheiden muss, reorganisiert sich V1 durch das Training.

- Oder: Partielle Deprivation eines sensorischen Systems führt zu einer Reorganisation der damit assoziierten Region im ZNS.

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Frühe Evidenz von Merzenich et al. (1983): „Use-dependent Plasticity“

Somatosensorisches System: Forscher schnitten Affen einen Finger ab und schauten, ob sich das rezeptive Feld, also die Repräsentation, veränderte. Ergebnis: Teile von S1, die vorher auf Afferenzen des abgeschnittenen Fingers geantwortet hatten, antworten später auf Inputs benachbarter Finger. Die Regionen, die sonst Input (Afferenzen) vom abgeschnittenen Fingern bekommen hatten starben also nicht, sondern übernahmen andere Funktionen.

Abb: Finger und neuronale Repräsentationen vor- und nach dem Abschneiden. Außerdem Evidenz von Elbert et al (1994): Läsionsinduzierte Plastizität

Beleg für Reorganisation des somatosensorisches Kortex bei Arm-Amputierten: S1-Regionen, die vorher Punkte des verlorenen Arms repräsentiert hatten, zeigten Aktivität bei Input (z.B. Berührung) des Kinns.

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Und zu allem Überfluss auch noch Flor et al (1995):

Somatosensorische Befunde von… Überaschung - Amputierten: Es zeigte sich, dass bei ihnen die Reorganisation im somatosensorischen Kortex positiv mit der Höhe der empfundenen Schmerzen korreliert war. (Phantomschmerz = Phantom sensation)

Doch damit nicht genug:Jenkins & Merzenich (1987):

Wahrnehmungstraining bei Affen: sollten mit dem Finger Kontakt mit einer rotierenden Disk halten. Ergebnis: Der benutzte Finger hatte nach dem Training eine vergrößerte Repräsentation. Oder anders: kortikale Regionen, die die trainierte Stelle repräsentierten waren vergrößert.

Abb.: zeigt die Vergrößerung der Repräsentationen der Felder 2 und 3. Evidenz von Studien mit Blinden (Röder, Datum unbekannt):

Ausgangspunkt: Braille-Schrift lesen bedeutet intensives taktiles Training. Verändern sich somit die taktilen Fähigkeiten bei Blinden? Ergebnis: Blinde haben niedrigere Zwei-Punkt-Schwellen an ihrer „Braille-Hand“. Das bedeutet, sie können mit der Braille-Hand früher bestimmen, ob eine Berührung durch einen, oder zwei Punkte verursacht wurde (also, wenn diese noch sehr nah zusammen liegen). Kontrolle: Um sicher zu stellen, dass es sich bei dem Ergebnis nicht einfach um einen Unterschied in den Absolutschwellen (ab wann man überhaupt was spürt) handelt, wurden mit Von-Frey-Haar die Absolutschwellen Blinder und Nicht-Blinder verglichen. Diese unterscheiden sich nicht.

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Abb.: Sehende haben größere Zwei-Punkt-Schwellen (gemessen in cm) als Blinde mit ihrer Braille-Hand. Abb.: Von-Frey-Haar besteht aus verschieden kalibrierten Fasern. Fasern werden dafür verwendet, um den Schwellenwert der Kraft zu bestimmen, die aufgebracht werden muss, um eine Berührung wahrzunehmen. Weitere Studie mit Blinden (Quelle unbekannt): kam das noch dran?

Taktile und auditive Diskriminationszeiten bei Blinden schneller. Grund: Größere Verarbeitungseffizienz, da die mit dem EEG gemessene N1-Komponente bei Blinden mit einer kürzeren Latenz auftritt, als bei Sehenden.

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Intramodal, die Tausendste - Schwarz et al (2002): Visuelle Wahrnehmung

Ausgangsfrage: Wo im Gehirn passiert visuelles Lernen? Probanden hatte zwei Aufgaben:

1. Sie sollten auf einem Bildschirm die Ausrichtung/ Orientierung von drei Linien im oberen linken Quadaranten angeben.

2. Diskriminationsaufgabe: Sollten gleichzeitig entscheiden, ob es sich bei einem Buchstaben auf dem Fixationspunkt um ein L oder ein T handelt.

Mit dem trainierten Auge wurden 1700 Trials durchgeführt. Das andere Auge war, für die Kontrolle, abgedeckt. Ergebnis: Messung mit fMRI. Training führte zu einer Zunahme der Aktivität im visuellen Kortex (nur für das trainierte Auge), in dem Bereich, der den oberen linken Bereich des visuellen Feldes repräsentiert. Der Effekt betraf nur den visuellen Kortex und keine anderen Regionen.

Abb.: A = Aufgabe B = fMRI-Localizer?

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Cross-modale Plastizität - Neuronale Strukturen, die normalerweise mit dem deprivierten sensorischen

System assoziiert sind, verarbeiten Afferenzen anderer nicht-deprivierter sensorischer Systeme. Fiktives BSP: Weil jemand von Geburt an blind ist, übernimmt V1 Aufgaben auditiver Areale.

Studie von Röder et al. (2000):

Ausgangspunkt: Blinde können sich zum Sprachverständnis nicht auf visuelle Reize stützen und sind deshalb vollkommen auf das auditive System angewiesen, können aber dennoch Sprache schneller auffassen, als Sehende. EEG-Ergebnis: Bei inkongruenten Satz-Enden (“Tomorrow Bobby will be ten years hill”) tritt bei Blinden die N400 (die semantische Funktionen reflektiert; je größer die semantische Verletzung, desto größer die N400) nach kürzerer Latenz auf, als bei Sehenden. Auch bei Spät-Erblindeten tritt die N400 früher auf, als bei Sehenden. → Führt zu effizienterer Spracherwahrnehmung

Abb.: Vergleich der Latenz (in ms) der N400 bei Sehenden und Blinden.

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Weitere Befunde von Roeder et al (2002):

Ergebnis: Bei Blinden sind bei der Sprachwahrnehmung zusätzlich zu den Spracharealen der linken Hemisphäre die entsprechenden Bereiche der rechten Hemisphäre, sowie die visuellen Kortex-Areale aktiviert. Bei Spät-Erblindeten zeigt sich bei der Sprachwahrnehmung das gleiche Aktivierungsmuster wie bei Von-Geburt-an-Blinden, jedoch bleibt die Dominanz der linken Hemisphäre erhalten und die Aktivierung im visuellen Kortex ist schwächer ausgeprägt. Beleg auch dafür, dass Plastizität auch im Erwachsenenalter möglich ist.

Abb.: Aktivierte Regionen bei der Sprachwahrnehmung. Mechanismen der Plastizität Es gibt zwei Arten von Veränderungen:

- Physiologische (funktionale) Veränderungen o Bedeutet: Veränderungen der Art des Antwortverhaltens von

Neuronen o Kurzfristige Veränderungen o Beispiele:

Langzeitpotenzierungen Demaskierung stiller Synapsen

- Strukturelle Veränderungen o Bedeutet: Anatomische Veränderungen in der Struktur und Anzahl

der Neurone. o Langfristige Veränderungen o Beispiele sind:

Veränderung von Form und Größe der postsynaptischen Endungen, des Somas oder der Dendritenverzweigungen

Zuwachs der Anzahl an Synapsen

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o Die Verfestigung kurzfristiger Veränderungen benötigt strukturelle Veränderungen

o Diese Veränderungen sind auf kortikalem und subkoritkalem Level möglich

Positive und negative Konsequenzen von Plastizität Positive Konsequenzen (abgeschrieben)

- Schnellerer Zugriff auf Wissensrepräsentationen - Verbesserte Verarbeitungseffizienz - Schnellere Lernraten - Mehr Wissen - etc.

Negative Konsequenzen

- Phantomschmerzen - (Epileptische) Anfälle - Dystonie (Musikerkrampf, Schreibkrampf)

Developmental Plasticity vs. Adult Plasticity: Developmental Plasticity

- Meint, dass die Fähigkeit zur Veränderung des ZNS von bestimmten Episoden im Lebensverlauf abhängig ist.

Adult Plasticity

- Meint die Fähigkeit des Nervensystems zur Veränderung im Erwachsenenalter

→ Sensitive Perioden sind starke Evidenz dafür, dass quantitative und qualitative Unterschiede zwischen den beiden Arten von Plastizität existieren.

Sensitive Perioden

- Ein begrenzter Zeitraum innerhalb der Entwicklung, in dem der Einfluss von Erfahrung auf das Gehirn in der Regel stärker ist.

Kritische Perioden

- Bestimmte Arten sensitiver Perioden, die zu irreversiblen Veränderungen der Gehirnfunktionen führen. Nach Ende der kritischen Periode können abweichende Erfahrungen (z.B. Deprivation) die während der kritischen Periode gemacht wurden, nicht mehr korrigiert werden.

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Belege von Hubel (1979):

Studie: Visuelle Deprivation bei Katzen Ergebnis: Neurone deprivierter Augen waren nicht mehr in der Lage rezeptive Felder zu bilden. Analogie zu Kindern: wenn Kinder schielen, wird automatisch ein Auge vom Gehirn inhibiert. Wenn man das „schwache“ Auge nicht durch das Abdecken des gesunden Auges zum Sehen zwingt, werden sie auf dem schwachen Auge blind.

Komplexe Verhaltensweisen haben multiple sensible/kritische Perioden (!). Kritische Perioden helfen, komplexere Funktionen auszubilden.

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Vorlesung 2: Exekutive Funktionen (Wendt)

Heterogeneous class of cognitive processes assumed to (be necessary to) coordinate and re-configure basic sensory, cognitive, and motor processes to ensure goal-directed behavior

Verschiedene Definitionen:

= Heterogene Klasse kognitiver Prozesse, die wahrscheinlich erforderlich sind für die Koordination und Rekonfiguration von sensorischen, kognitiven und motorischen Prozessen, um zielgerichtetes Verhalten sicherzustellen.

oder

oder

… executive functions, or cognitive control … describe a loosely defined collection of brain processes which are responsible for planning, cognitive flexibility, abstract thinking, rule acquisition, initiating appropriate actions and inhibiting inappropriate actions, and selecting relevant sensory information.

• Wendt sagt auch noch, dass exekutive Funktionen zur Koordination basaler

Prozesse, zum Erreichen von Zielen, beitragen. • Es existieren also unterschiedlich weite Definitionen, die dem Komplex mal mehr

und mal weniger Prozesse zuschreiben. • Eine allgemeingültige, klare Eingrenzung existiert nicht!

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Beispiel für einen selektiven Ausfall der Funktion: Das "dysexekutive Syndrom"

Der Frontalcortex ist keiner Sinnesmodalität direkt zugeordnet, verfügt aber über afferente und efferente Verbindungen zu Arealen, die mit Sinnesmodalitäten und solchen, die mit Emotionen (lymbisches S.) assoziiert sind.

"Die überwiegende Zahl dieser Verbindungen sind reziprok, d. h. vom Frontalhirn führen efferente Verbindungen in die meisten Regionen, aus denen es afferente Projektionen erhält."

Patienten mit Schädigungen im Frontalcortex haben häufig intakte motorische und perzeptuelle Fähigkeiten. Trotzdem resultieren Läsionen im Frontalcortex häufig in der Unfähigkeit der Patienten, zielgerichtetes Handeln auszuführen, auch wenn die Intention sprachlich formuliert werden kann. Das gezeigte Verhalten beinhaltet dann eher eine ständige Wiederholung einzelner Verhaltensweisen, oder simple Reiz-Reaktionsmuster

Beispiel: „Utilization Behavior“ Patienten reagieren in stereotyper Weise habituell auf Stimuli, auch wenn das Verhalten situationell unangemessen ist, bzw. nicht der Intention entspricht).

Frontalcortex maßgebliche Beteiligung an exekutiven Funktionen.

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In der Vorlesung werden von Wendt drei Bereiche exekutiver Funktionen genauer behandelt:

1. Aufrechterhaltung zielrelevanter Informationen 2. Anpassung an sich verändernde Ziele, aufgrund veränderter Verarbeitung

(Folge: Verändertes Verhalten) 3. "Performance monitoring" (und entsprechende Anpassung)

- ist eine Aufgabe des Arbeitsgedächtnisses ("working-memory-task") 1. Aufrechterhaltung zielrelevanter Informationen

Verschiedene Variationen des Paradigmas:

Behalten und Auswählen eines bestimmten Ortes als Zielreiz

Delayed response task:

Behalten und Auswählen des Ortes, an dem der Zielreiz NICHT ist

Delayed alternation task:

Behalten und Auswählen eines nicht-ortsgebundenen Zielreizes

Delayed matching-to-sample task:

Befunde zum präfrontalen Cortex: • Läsionen des lateralen PFC beeinträchtigten die Performance von Affen bei Delayed-response-tasks, aber nicht bei assoziativen memory-tasks. • Einzelzellableitungen im lateralen PFC zeigen maximale Aktivität einzelner Neurone, wenn der Reiz gerade NICHT präsent ist. • Erhöhte Aktivität des lateralen PFC auch bei Menschen beobachtbar (fMRI), wenn Infos bereitgehalten werden müssen.

spricht für Funktion des PFCs, Informationen aufrecht zu erhalten

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Aufgabe: Es werden nacheinander Buchstaben dargeboten. Pbn muss mit „yes“ antworten, wenn der aktuell dargebotene Buchstabe derselbe ist wie der, der n Buchstaben zuvor gezeigt wurde. "n" steht für die Anzahl der Buchstaben, die zwischen dem aktuellen

und dem zu vergleichenden Reiz liegen (z.B. 2-back-task= Vgl. des aktuellen Buchstabens mit dem Buchstaben, der als vorletztes präsentiert wurde.).

Parametrische Variation: Manipulation der Gedächtnisauslastung beim "n-back task"

Damit lässt sich eine Variation der Arbeitsgedächtnisauslastung erreichen (stetig wachsender „memory load“).

Abb: Die Aktivität im dorsolateralen PFC steigt kontinuierlich mit der Buchstabenanzahl N. Diese Aktivität besteht also scheinbar darin, relevante Informationen bereitzuhalten, wenn die Reize selber abwesend sind. Die Aktivität im Broca-Areal erklärt

sich wohl durch zunehmende sprachliche Verarbeitung. → Evidenz für zentrale Rolle bei Bereithaltung von Infos im Arbeitsgedächtnis

Habituelle Handlungstendenzen: Oft werden z.B. durch einfache Konditionierungseinflüsse bestimmte Handlungen hervorgerufen oder provoziert, die eigentlich nicht mit dem beabsichtigten Ziel vereinbar sind (siehe der Gorilla links).

Zielgerichtetes Verhalten vs Stimulus- oder Gewohnheitseinflüsse

Diese stehen oft im "Wettbewerb" gegen die eigentlich geplanten Handlungsabläufe. Bei mangelnder Konzentration, starker Aufregung oder ähnlichem kann das eigentlich geplante Handeln dann "verlieren".

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Beispiele für Konflikt-Paradigmen, die Verarbeitungsselektivität testen: Stroop-Test Flankierungs-Tests Simon-Test

• Alle diese Tests haben gemeinsam, dass sie inkongruente oder Konfliktreize mit höheren Latenzzeiten aufzeigen.

• Diese verlängerte Zeit ist hierbei ein Maß dafür, wie gut man relevante Informationen verarbeiten und irrelevante unterdrücken kann.

Die längere Verarbeitungszeit ist auch Evidenz dafür, dass Verarbeitungsselektivität nicht komplett ist und die nicht relevanten Reize trotzdem verhaltenswirksam mitverarbeitet werden!

Es ließ sich außerdem zeigen, dass die Erhöhung der Arbeitsgedächtnis-Belastung die Fähigkeit zur Verarbeitungsselektivität verringert: Es gab größere Unterschiede zwischen kongruenten und inkongruenten Flankierungsreizen, wenn das Arbeitsgedächtnis stärker beansprucht war ( durch Merken einer vergleichsweise längeren Liste).

es findet also eine stärkere Verarbeitung von Störreizen statt, je stärker das Arbeitsgedächtnis beansprucht wird, weil die Verarbeitungspriorität beeinträchtigt ist.

Weitere Evidenz für verminderte Verarbeitungsselektivität durch AG-Belastung (Bildgebung):

Klassifikationsaufgabe: Versuchsteilnehmer sollen geschriebenen Namen von Stars als „Politiker“ oder „Popp-Stars“ einstufen. Distraktoren: Gesichter von Pop-Stars und Politikern im Hintergrund. Variation der AG-Belastung: Müssen sich 1-4 Zahlen merken. Ergebnisse:

• höher die Aktivität des gyrus fusiformis

Je stärker das Arbeitsgedächtnis beansprucht wurde, desto

• größer der "Face-name congruence effect".1

1 Nebenbeobachtung: Mike Wendt weiß kein einziges Beispiel für einen Popstar! =)

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2. Anpassung an sich verändernde Ziele, aufgrund veränderter Verarbeitung (Folge: Verändertes Verhalten)

Das flexible Angleichen von Handlungen auf gleiche Reize, je nach Zielgebung ist eine dissoziierbare Funktion (die nach Läsionen des Frontalcortex selektiv ausfallen kann)! eigene Teilfunktion Evidenz dafür ist der Perseverationsfehler:• Bezeichnet die Tendenz ein Verhalten unangemessen oft zu wiederholen

• Unfähigkeit von Zielflexibilität führt zu ständigem Wiederholen einer vorher ausgeführten Tätigkeit

• Untersuchung der Fähigkeit flexibel zwischen SR-Verbindungen hin- und her zu wechseln

Im Versuch: Das "task-switching" Paradigma

• Beispiel von Wendt:

Veränderung Wiederholung • Bei der Veränderung der Aufgabe (hier Letter oder Color beachten) gibt es

Wechselkosten (=switch costs): die Reaktionszeitverlängerung, die bei einem Aufgabenwechseln auftritt (im Vergleich zu keinem Aufgabenwechsel)

• Auch eine längere Vorbereitungszeit auf den Aufgabenwechsel verhindert diese Zeitverzögerungen nicht komplett, verringert sie aber signifikant. Die Reaktionszeitkosten die dann noch übrig bleiben werden Residualkosten genannt.

• Wenn das Arbeitsgedächtnis zusätzlich beansprucht wird, dann lassen sich die Reaktionszeitkosten nicht so gut senken.

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Frage: Woher kommen diese Verzögerungen? • Frühere Annahme: Die Wechselkosten spiegeln das Umstellen auf das neue Ziel

wieder. z.B. könnten neue S-R Verbindungen aufgebaut werden • ! Es gibt jedoch auch andere Interpretationen der dazu vorliegenden Befunde !

Aufbau: Zweiter Versuch dazu: Asymmetrische "switch-costs"

Stroop: Wechseln zwischen "Wörter lesen"-Aufgabe und "Farbe-benennen"-Aufgabe. Ausgewertet werden in diesem Design nur die inkongruenten Trials..

Ergebnis: Nur beim Wechseln von color naming zu word reading entstehen switch costs, während beim Wechsel von word reading zu color naming keine switch costs entstehen.

Interpretation: Switch costs sind höher, wenn die betroffene Aufgabe routinierter/ eingeübter (siehe „backward inhibition“) ist, als wenn dies nicht der Fall ist. auch bei bilingualem Test mit Vgl.

Muttersprache / Fremdsprache replizierbar!

Frage: Warum benötigt die Rekonfiguration einer stärker gelernten Aufgabe

mehr Zeit? Theorie: Die stark gelernte Verbindung/Reaktion (z.B. Lesen bei Wort-

Präsentation) muss inhibiert werden, wenn sie nicht ausgeführt werden soll. Diese Inhibierung könnte eine gewisse Persistenz aufweisen (= proaktive Interferenz) und so in Folgedurchläufen den Aufgabenwechsel behindern.

"At least large parts of the task switch cost seems to reflect proactive interference from previous execution of the other task."

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fMRI-Studie: • Es lassen sich präfrontale Areale unterscheiden, die für die Vorbereitung und

Durchführung von Aufgaben zuständig sind: ACC= anteriorer gyrus cinguli DLPFC=dorso-lateraler präfrontaler cortex DLPFC weist erhöhte Aktivität auf bei anspruchvolleren Aufgaben (color naming), wobei der ACC keine Veränderung aufweist. ACC hat jedoch höhere Aktivität bei inkongruenten Reizen, als bei kongruenten.

Erhöhte Aktivität könnte kognitive Kontrolle widerspiegeln. Z.B. ein Inhibieren der

konkurierenden Aufgabe. Bei mehr als 2 Aufgaben: "Backward Inhibition" möglich

ABA-Sequenz ist schlechter (langsamer) als die CBA-Sequenz.

3. "Performance monitoring" (und entsprechende Anpassung) Fragen: • Wird die eigene Performance von kognitiven Systemen überwacht und ggf.

angeglichen oder optimiert? • Welche Signale werden dafür verarbeitet? Kognitive Konflikte: • Z.B. ausgelöst durch die inkongruenten Stimuli bei Stroop- oder Simontests, oder bei

Flankierungsparadigmen. reflektieren dort so etwas wie Konflikte zwischen korrekten und inkorrekten Antworten

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• Bei solchen Konflikten ist immer erhöhte Aktivität im anterioren gyrus cinguli messbar (rechts markiert)

• dieser registriert Fehler lediglich und gibt diese Information dann weiter könnte eine Art Signalgeber für Konflikte sein.

Connectionist modeling (=konnektionistische Modelle):

• Entspricht im Prinzip künstlichen neuronalen Netzwerken • Simuliert menschliches Verhalten (z.B. im Stroop) inklusive Fehler- und Lerneffekten, mit ähnlichen Ergebnissen wie beim Menschen. • Inkongruent: langsamer + mehr Fehler • Attention: spiegelt hier die externe zusätzliche Aktivierung durch exekutiv Funktionen wieder ("top-down" Modulierung) • In diesem Modell hemmen sich aktivierte Antworten gegenseitig, wenn sie auf gleicher Ebene und inkompatibel sind • Einige Verbindungen sind stärker, weil sie öfter benutzt / stärker gelernt sind.

Zu „Attention“ passendes neuronales Korrelat: "Schließlich gibt es Hinweise darauf, dass präfrontale Neurone die Aktivität in anderen kortikalen Regionen »top-down« dahingehend modulieren, dass aufgabenrelevante Reize bevorzugt verarbeitet werden."

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Zusammenfassung • Exekutive Funktionen werden vermutlich zur Regulation und Koordination von

sensorischen und motorischen Prozessen genutzt, um gesetzte Ziele zu erreichen. • Wichtige Aspekte dieser Funktionen sind

(1) Bereithalten der für das Ziel relevanten Information Arbeitsgedächtnis (2) Fokussieren auf zielrelevante Stimulus-Aspekte selektive Aufmerksamkeit (3) Inhibition von ungewollten, bestehenden Verbindungen selektive Aufmerksamkeit (4) Aufzeichnen und entsprechendes Optimieren des eigenen Verhaltens "Performance monitoring"

• Verschiedene Areale des PFC sind in exekutive Kontrollmechanismen involviert: dorsolaterale Regionen im PFC scheinen die Infos bereitzuhalten (1) und für

selektive Aufmerksamkeitssteuerung zuständig zu sein (2) (3).

"[...]dass der dorsolaterale Präfrontalkortex an der aktiven Umkonfigurierung von Aufgabenregeln und der »Top-down«-Modulation aufgabenrelevanter Verarbeitungssysteme beteiligt ist."

der Cortex Cingularis Anterior agiert wahrscheinlich als "monitoring device"

und signalisiert ggf. den Bedarf verstärkter Kontrollmechanismen (4).

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Nice to know…

"Obwohl der präfrontale Kortex insofern eine funktionale Sonderstellung in Bezug auf kognitive Kontrollprozesse einnimmt, handelt es sich allerdings nicht um eine oberste zentrale Steuerinstanz, die »entscheidet«, welche Ziele zu verfolgen oder welche Handlungen auszuführen sind. Welche Zielrepräsentationen Zugang zum präfrontalen Kontextgedächtnis erhalten, hängt vielmehr von einer Vielzahl innerer und äußerer Einflüsse ab (u. a. davon wie stark die aktuelle Reizsituation aufgrund von Lernerfahrungen mit bestimmten Zielen assoziiert ist, ob die Situation Gelegenheiten zur Ausführung zieldienlicher Handlungen beinhaltet und wie stark konkurrierende Ziele mit aktuell angeregten oder antizipierten Motivationszuständen assoziiert sind"

"...dass präfrontale Kontrollprozesse, die die Balance von Zielabschirmung und Zielaktualisierung regulieren, ihrerseits durch subkortikale (insbesondere dopaminerge) Systeme moduliert werden, die an der Verarbeitung von affektiven Belohnungssignalen beteiligt sind."

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AUDITORY PERCEPTION (C. FRIEDRICH)

Einleitung: Grundlagen der Sprachwahrnehmung1

Welches sind die physikalischen Grundlagen des Sprachsignals? • Laute sind Druckwellen, die aus Luftverdichtungen und Luftverdünnungen

bestehen Druckwellen haben eine Frequenz bestimmt die Tonhöhe je höher die Frequenz, desto höher der Ton wird in Herz (Hz = s-1

Druckwellen haben eine Amplitude )

bestimmt die Lautstärke je größer die Amplitude, desto lauter der Ton wird in Dezibel (dB) gemessen

• Beachte: Schallwellen überlagern sich in komplexer Weise, reine Sinuswellen sind die Ausnahme!

• Das Sprachsignal wird häufig anhand von Spektrogrammen (siehe Abb.)

dargestellt. Das ist eine Darstellung der Frequenzanteile über die Zeit. Rot steht dabei für große Anteile, blau für kleine Anteile.

1 Beachte: in dieser ganzen VL geht es NUR um das Verständnis (NICHT die Produktion) von Sprache; und zwar GESPROCHENER Sprache (NICHT Schriftsprache)

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Welches sind die anatomischen Grundlagen der Sprachwahrnehmung? • Die Hörbahn hat 7 Stationen2

:

Hörsignal wird von den Haarzellen der Cochlea registriert und über den N. vestibulocochlearis weitergeleitet (1)

1. Umschaltung im Spiralganglion, direkt nach Austritt aus der Cochlea 2. Umschaltung erfolgt ipsilateral im ventralen Ncl. Cochlearis (2) 3. Umschaltung erfolgt contralateral in der superioren Olive (3) 4. Umschaltung erfolgt in den Colliculi inf. (Vierhügelplatte) (4) 5. Umschaltung erfolgt im medialen Kniehöcker (Corpus Geniculatum

medialis, CGM) (5) Beachte: Das ist ein Teil vom Thalamus und durch den Thalamus müssen

ALLE sensorisches Inputs (außer die olfaktorischen) „Das Tor zum Bewusstsein“, Remember?

Ankommen im Gehirn: Primärer auditorischer Cortex (oft A1 oder „Belt“ genannt)

Zur Weiterverareitung im Cortex siehe unten

4 Generelle Prinzipien der sensorischen Verarbeitung im Cortex

Prinzip 1: Topologischer Aufbau der primären sensorischen Cortices

Grundlage: Wie ist der auditive Cortex aufgebaut? • Kurzantwort: Primärer auditive Cortex (=Core) + erster auditiver

Assoziationscortex (=Belt) + zweiter auditiver Assozaitonscortex (Parabelt) 2 Das sind mehr Umschaltstationen als beim Sehen. Liegt wahrscheinlich daran, dass das auditive Signal zeitlich so komplex ist (d.h. aus der zeitlichen abfolgen so viel Information gezogen wird)

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Primärer auditiver Cortex: Ort: befindet sich in der Sylvischen Fissur (= Lateralfurche) ( das ist die

Furche, die den Temporallappen abtrennt) und ist Teil des Gyrus temporalis superior

Namen: • A1 • Core-Region • Heschl´sche Querwindungen • Gyrus temporalis transversi • Brodman-areal 41

Belt-Region: Ort: weitere Teile des Gyrus temporalis

sup. Parabelt-Region: Ort: allerlei Assoziationsartices, z.B. Broca- und Wernicke-Areal

Gyrus temporalis superior besonders wichtig für auditive Verarbeitung Und wie äußert sich das Prinzip 1 in der auditiven Modalität? • Der primäre auditive Cortex ist tonotop

aufgebaut, d.h. Frequenzen, die in der Cochlea nebeneinanderliegen, werden auch in A1 von benachbarten Neuronengruppen verarbeitet Dieses Prinzip gilt für ALLE primär-

sensorischen Cortices (beim olfaktorischen bin ich mir nicht so sicher…)

• Dieses Prinzip bleibt von der Cochlea bis zum primären auditiven Cortex über alle Stationen erhalten!!

• Ortsspezifische Kodierung in der Cochlea: Die Frequenz wird erkannt, durch den Ort in der Cochlea, an dem das Rezeptorpotential ausgelöst wird.

Welche funktionalen Spezialisierungen kennst Du?

Prinzip 2: Corticale Areale neigen dazu, sich funktional zu spezialisieren

• Kurzantwort: Was-, Wo- und Wie-Pfad +Lateralisierung der Sprachverarbeitung, z.B. beim „asymmetric Sampling of Speech“

Was wird im Was- und was imWo-Pfad verarbeitet? • Wo-Pfad (eher dorsal) zuständig für: Schallquellenlokalisation Loaklisieren von sich bewegendem Schall Räumliche Diskriminierung verschiedener Schallquellen

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• Was-Pfad (eher ventral) zuständig für: Erkennen auditiver Objekte Verarbeitung komplexer auditiver Info (Musik, Sprache…)

Wie wurde die Dissoziierbarkeit dieser beiden Pfade getestet? • Empirische Evidenz aus der Tierforschung

Katzenfolter - Lomber & Malhorta, 2008, doppelte Dissoziation Vortraining-Morsecodes zu unterscheiden

: Katzen lernen mit Hilfe operanter Konditionierung 2 Dinge:

-Sich in die Richtung zu orientieren, aus der ein Ton kommt Versuchsaufbau: Dann wird mit Hilfe von Thermoden entweder das anteriore auditive Feld (AAC) um 1-2 °C herabgekühlt (gehört zum Was-Pfad) oder das posteriore auditive Feld (PAC) (gehört zum Wo-Pfad). Kühlung führt zum „Lahmlegen“ des entsprechenden Areals. Während der Kühlung werden beide Aufgaben aus dem Training wieder durchgeführt.

-Bei Kühlung des AAC können die Katzen verschiedene Reize (Morseabfolgen) nicht mehr unterscheiden

Ergebnis:

-Anzahl der richtigen Antworten lag auf Zufallsniveau, d.h. 50% (es war ein forced-choice-Paradigma mit 2 Möglichkeiten, d.h. man hat auch zufällig 50% der Antworten richtig) -Bei Kühlung des PACs keine Beeiträchtigung der Diskriminationsleistung von Morselabfolgen -Bei Kühlung des AACs keine Beeinträchtigung der räumlichen Orientierungsaufgabe -Bei Kühlung des PACs können Katzen auditive Reize räumlich nicht mehr lokalisieren Anzahl der richtigen Antworten liegt bei 10-20% (Zufallsniveau) (hier gab es ja mehr als 2 mögliche Antworten, d.h. die Anzahl der zufälligen Treffer ist kleiner als bei der anderen Aufgabe)

Vortraining:

Ergebnis:

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• Empirische Evidenz bei Menschen mit Hilfe bildgebender Verfahren

Wessinger et al, 2002 Versuchsaufbau:-Bestimme den Frequenzverlauf von Tönen (also sagen, ob er niedriger oder höher wird)

Versuchspersonen haben 2 Aufgaben:

-Bestimme den Ort, von dem der Ton kommt

- Bei der Bestimmung der Tonhöhe wurden ventrale Cortexregionen aktiviert, bei der Bestimmung des Ursprungsortes wurden dorsale Regionen aktiviert

Ergebnis:

• Empirische Evidenz bei Menschen mit Hilfe von Läsionsstudien (auch doppelte

Dissoziation)

Clarke et al, 2002, doppelte Dissoziation Ausgangslage: 2 Patienten: JG hat eine Läsion des ventralen Temporallappens, ES hat eine Läsion des Okzipitallapens und des Parietallappens (beides eher dorsale Regionen) Ergebnis:

ES kann Laute gut erkennen, ihren Ort aber nicht bestimmen. JG kann Laute nicht mehr erkennen, weiß aber, wo sie herkommen.

Existenz von Was- und Wo-Pfad in der auditiven Modalität immer noch

umstritten, allerdings zunehmende, und wie wir hier gesehen haben, konvergierende Evidenz dafür!

Gibt es auch einen Wie-Pfad?

Def:

Als „Wie-Pfad“ würde man eine Verarbeitungslinie verstehen, die die Produktion (also das Aussprechen) des Sprachsignals, das man gerade hört, simuliert. Man würde also beim Hören im Kopf „mitsprechen“ (Vgl. Motor-Theory von Liberman). Das ist die strenge Definition. Es gibt auch weichere Definitionen, die besagen, dass man z.T, mitspricht, z.T, aber auch nicht bla…

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• Evidenz für den Wie-Pfad:

Pulvermüller (2006): Versuchsaufbau:1. Versuchspersonen sollen 2 Arten von Silben aussprechen: solche, die v.a. mit den Lippen produziert werden (z.B. /pa/) und solche, die v.a. mit der Zunge produziert werden (z.B. /ta/)

3 Versuchsbedingungen:

2.Sie artikulieren dieselben Silben lautlos 3.Sie hören diese Silben. 4. Es wird die Aktivierung im Gehirn zwischen den Bedingungen verglichen

Es werden beim Hören dieselben Areale des primären motorischen Cortex aktiviert, wie bei der Sprachproduktion (also Zungenareale sowohl beim Hören als auch beim Sprechen von /ta/). Hier macht man sich den somatotopen Aufbau des primären motorischen Cortex zunutze.

Ergebnis:

• Wie genau die Sensorik und Motorik beim Sprechen verschaltet sind, dazu gibt es

verschiedenen Modelle (siehe Abb.), die wir aber mit Sicherheit nicht wissen müssen.

• Exkurs (ich schreibs nur hierhin, weil sie in der VL davon gesprochen hat, ist m.M.n. auf gar keinen

Fall Klausurrelevant) • Zur Verbindung zwischen motorischen und sensorischen Arealen im Sprachverständnis gibt es auch

weitere Theorien, z.B. die Indexikale Hypothese von Glenberg und Kaschak. Sie besagt, dass motorische Areale bei der Repräsentation von Gegenständen aktiviert werden,

und zwar in der Form, als das wir bei Gegenständen immer mit Hilfe der motorischen Areale mitsimulieren, welche Handlungen damit möglich wären. Laut Theorie führt diese Simulation der Handlungsmöglichkeiten dazu, dass wir die Bedeutung von Gegenständen verstehen.

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Funktionale Spezialisierung: schnelle vs. Langsame Änderungen im Sprachsignal • Segmentale Information (Features, die sich schnell verändern) < 50ms, bzw. < 100 ms Z.B. Bursts oder Formanten Konsonanten werden über sich schnell ändernde

Features (motorische Unterschiede bei der Produktion) kodiert

Konsonanten sind für das Sprachverständnis viel wichtiger als Vokale

• Suprasegmentale Information (Features, die sich langsam verändern) Nennt man >100 ms Z.B. Sprachhülle, Grundfrequenzänderungen (d.h.

Intonation), Silbengrenzen

• Wichtig: Die Asymmetric Sampling

Hypothese von Poeppel (2003) besagt, dass segmentale Infos linkshemisphärisch verarbeitet wird, während suprasegmentale Info rechtshemisphärisch verarbeitet wird (Stichwort funktionale Spezifizierung)

• Empirsche Evidenz für Asymmetric Sampling Hypothese (fMRI):

Studie von Boemio et al (2005) Versuchsaufbau: Vps werden Frequenzenänderungen vorgespielt, die entweder sehr schnell sind (Änderung alle 12, 25 oder 45 ms) und solche, die sich erst langsam ändern (85, 160 oder 300ms) Ergebnis:

Je langsamer die Frequenz sich ändert, desto stärker ist die Aktivierung in der rechten Hemisphäre

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• Empirische Evidenz für Asymmetric Sampling Hypothese (EEG):

Studie von Abrams et al. (2008) Versuchsaufbau: Vps werden Sätze vorgespielt. Dabei wird das EEG getrennt für die linke vs. rechte Hemisphäre ausgewertet Ergebnis

: Das gemittelte EEG über der rechten Hemisphäre folgt der Linie der Sprachhülle (suprasegmentale Info) viel dichter als das EEG der linken Hemisphäre

Prinzip 3: die Prozessierung von sensorischem Input erfolgt hierarchisch

Def. „Hierarchisches Prozessieren“: Erst werden einfache Merkmale extrahiert und verarbeitet und dann zu komplexeren Merkmalen zusammengesetzt. Je höher man in der Verarbeitungshierarchie kommt, desto eher reagieren Neurone selektiv auf komplexe Merkmale. Am Anfang steht ein „neuronales Spektrogramm“, das analysiert werden muss. Beispiel: zuerst nur Unterscheidung von Phonemen und bei höheren Verarbeitungsstufen Bedeutung usw.

Sprache ist ein besonders komplexes Signal. Welche Features werden aus dem Rohsignal extrahiert? • Phonemfeatures (Artikulationsort (labial, dental, alveolar, veolar etc,

siehe Abb.), Artikualtionsart (totaler Verschluss-plosiv, Teilverschluss, frikativ, wenig Verschluss (liquide, r,l) erst blockiert, dann durch (affrikative, ch) oder nasale), stimmhaft vs. Stimmlos)

Diese ganzen Features werden extrahiert und dann hierarchisch analysiert und zu Phonem-Gesamtrepräsentationen zusammengesetzt. Phonemrepräsentationen werden dann zu Worten zusammengesetzt, Worte zu Sätzen etc.

Def. Phonem: die kleinste sprachliche Einheit, die in einer Sprache bedeutungsunterscheidend ist. Unterschiedliche Sprachen haben daher auch unterschiedliche Phoneme. [r] und [l] unterscheiden in deutschen „rot“ von Lot“ und

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sind damit 2 verschiedene Phoneme. Im chinesischen sind [r] und [l] nicht bedeutungsunterscheidend.

Außerdem werden natürlich auch extrahiert (wurde hier aber nicht näher behandelt): • Frequenz (Grundfrequenz, Formanten und ihre relative Beziehung zueinander,

Formantenübergänge) • Intensität • Intonation, Prosodie Weiteres Beispiel für das hierarchische Prozessieren: Pitch (=Grundfrequenz)-Extraktion:

Tian & Rauschecker (2004): Einzelzellableitungen bei Rhesusaffen zeigt: Es gibt erst Neurone, die selektiv auf eine langsame Steigung in der Grundfrequenz reagieren, und solche, die selektiv auf ein Abfallen der Grundfrequenz reagieren (unterste Hierarchieebene). Diese Information wird dann konvergent verschaltet. Auf höheren Hierarchieebenen gibt es dann Neurone, die selektiv auf bestimmte Grundfrequenzmuster reagieren und diese z.B. als Warnschrei klassifizieren.

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Prinzip 4: Sensorischer Input wird kategorial wahrgenommen

Def. Kategorie: Eine mentale Abstraktion von Elementen, Dingen, Ereignissen oder eben auch Lauten

Welche Vorteile und welche Nachteile hat Abstraktion (generell jetzt)? • Vorteile: Ökonomischere Repräsentation von Elementen der Welt Dadurch größere (Arbeits-) Gedächtniskapazität

Freiere Repräsentation von Elementen der Welt (wir wissen an dieser Stelle nicht genau was C.F. meint, könnten uns aber vorstellen dass sie damit das individuell freie Ausgestalten von Kategorien meint)

Erlaubt kombinatorische Operationen (sowas wie wenn alle Männer in Tische beißen und manche Tische lecker schmecken, beißen dann alle Männer in etwas wohlschmeckendes? Die Frage lässt sich nur mit der Abstraktion von „Mann“, „Tisch“ und „lecker“ beantworten )

• Nachteile: Durch größeren Abstand zu den „echten“ Elementen der Welt behindertes

Lernen und behindertes Wiedererkennen (z.B. weil man nicht erkennt, dass ein Tisch immernoch ein Tisch ist, nur weil er 3 statt 4 Beine hat)

Detailverlust durch Abstraktionen Merkmale phonologischer Kategorien? • Sie folgen dem Alles-oder-Nicht-Prinzip (entweder mein ist ein /d/ oder ein /t/,

was dazwischen gibt’s nicht) • Alle Kategoriemitglieder sind gleich (es gibt keinen, der ein bißchen mehr /d/ ist, als

andere /d/s)

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Wie wird kategorische Wahrnehmung (hier: von Phonemen) empirisch geprüft? Behaviorale Experimente bei Erwachsenen:

Blumstein et al (1980): Manipulation der “Voice Onset Time” (VOT) zwischen /d/ und /t/ -die VOT ist die Zeit, die bis zum einsetzen des stimmhaften Teils von /d/ oder /t/ vergeht. Eine VOT < 50ms wird meist als /d/ wahrgenommen, ein > 50ms als /t/

-wird nun die VOT schrittweise um 20 ms erhöht, dann wird kein gradueller Übergang von /d/ zu /t/ wahrgenommen, sondern ein plötzlicher Wahrnehmungsumschwung an der Phonemkategoriegrenze. (Siehe Abb.)

Behaviorale Experimente bei Kindern (Entwicklung der kategorischen Wahrnehmung von Phonemen)

Eimas et al (1971): Paradigma des “High Amplitude Sucking” (HAS) -Vorannahmen: Man macht sich zunutze, dass Babys alles spannend finden, was neu ist -Wenn sie einen Reiz als neu bzw. als “von dem vorherigen unterschiedlich” wahrnehmen, nimmt die Nuckelrate zu (gibt so Schnullis, die die Nuckelrate messen) -anhand der HAS kann man also feststellen, ob Babys 2 Reize als unterschiedlich oder gleich wahrnehmen Versuchsaufbau: -es werden Kindern Silben vorgespielt (/ba/ oder /pa/), die mit unterschiedlichen Phonemen anfangen. Allerdings unterscheiden sich die beiden Phoneme wieder in nur einem Feature, nämlich der VOT. -Habituationsphase: zuerst wird ihnen eine der beiden Silben so lange vorgespielt, bis sie die lahm finden und die Nuckelrate ihr Baseline-Niveau erreicht hat (z.B. /ba/) -Experimentalphase:dann wird sowohl die habituierte Silbe (/ba/) als auch die neue Silbe (pa/) dargeboten, wobei die habituierte Silbe häufig vorkommt und die neue selten (so ein Paradigma heißt Oddball-Paradigma). Die VOT wird wieder graduell variiert, so dass der Unterschied in der VOT zwischen 2 /ba/s genauso groß ist wie zwischen einem /ba/ und einem /pa/ (nämlich 20 ms). Ergebnisse: Die Babys reagieren mit einer erhöhten Nuchelrate auf die /pa/s, obwohl sie vom akustischen Signal nicht unterschiedlicher sind als die /ba/s untereinander. D.h. bei einem Wechsel der VOT innerhalb der Kategorie erholen sich die Babys nicht von der Habituation, bei einem Wechsel von einer Kategorie zur anderen erholen sie sich sehr wohl. Diese Ergebnisse wurden bereits bei 1-Monat-alten Babys gezeigt!

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Kategorische Wahrnehmung von Sprachlauten scheint angeboren zu sein

• Während des ersten Lebensjahres nimmt die Sensitivität für Phonemkategerien, die in der Muttersprache keine Rolle spielen, ab (graduell).

• Das Erlernen der Phoneme der Muttersprache scheint an eine kritische Periode gebunden zu sein, die mit dem 3. Lebensjahr endet.

EEG-Experiment:

Phillips et al (2000): werden Versuchspersonen /d/s und /t/s mit variierender VOT präsentiert, so lösen die seltenen /t/s (deviant) eine Mismatch Negativity (MMN) aus. Dabei sind sie in ihrer VOT nicht unterschiedlicher von den /d/s als die /d/s untereinander. Das zeigt, dass Phoneme automatisch kategorial wahrgenommen werden. Die akustische Repräsentation ist also nicht gleich der phonologischen Repräsentation. Die phonologische Repräsentation ist bereits kategorisiert.

Zur MMN: Sie ist ein automatisches EKP, das immer dann ausgelöst wird, wenn ein Reiz von den vorherigen abweicht. Die Größe der MMN reflektiert den Grad der „Neuheit“ des Reizes bzw. den Grad der Abweichung vom Standard. Die MMN wurde inzwischen für ganz viele Features gefunden, z.B. Abweichung in Frequenz, Intonation, Lautstärke, Klangfarbe, Grundfrequenz etc. pp. Sie ist eine automatische Komponente, d.h. sie ist von der Aufmerksamkeit unabhängig und kann willentlich nicht beeinflusst werden. Sie tritt meist ca. 200 ms nach Stimulus-Onset ein, ihr Zeitpunkt hängt aber sehr davon ab, wann das abweichende Feature extrahiert wird.

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Visual Perception (Daniel Senkowski)

Welche sind die Gestalttheoretischen Prinzipien? I.) Gestalttheoretische Grundlagen

Drei Gruppen von Gestaltgesetzen:

1. Figur und Grund 2. a) Ähnlichkeit, b) Nähe, c) gemeinsames Schicksal, d) Kontinuität 3. a) Geschlossenheit und b) Symmetrie

Das Auge differenziert zwischen einem Objekt und seinem umgebenden Umfeld. 1. Figur und Grund

Neuropsycholgische Erkenntnis:

Rechtes Beispiel: Ein (schwarzer) Hintergrund kann das Erkennen eines Objektes vereinfachen.

Areal in dem die Gesichtsverarbeitung stattfindet Area fusiformis ist bei Wahrnehmung des Gesichts im linken Beispiel aktiver.

Ähnliche Objekte werden als zusammengehörig empfunden. 2. a) Ähnlichkeit

Wir sehen horizontale Reihen, weil wir die Kreise einer Farbe als zusammengehörig empfinden.

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Objekte die sich in räumlicher Nähe zueinander befinden, werden als zusammengehörig wahrgenommen.

2. b) Nähe

Bei diesem Beispiel empfinden wir nicht die bunten Kreise im Gegensatz zu den schwarzen Kreisen als zusammengehörig, sondern die beiden aus Kugeln geformten Halbkreise, da sich ihre Kreise in größerer räumlicher Nähe zu einander befinden. Hier konkurrieren zwei Gestaltprinzipien. Und zwar welche? ;-)

Objekte, die in dieselbe Richtung weisen, oder wirken als würden sie in die gleiche Richtung „ziehen“, werden als zusammengehörig empfunden.

2. c) Gemeinsames Schicksal

1, 2 und 3 werden jeweils als gruppiert wahrgenommen, weil sich die in eine Richtung weisenden Linien gegen die anders orientierte Umgebung abgrenzen. Anmerkung: Linien die in eine Richtung zeigen sind nicht exakt gleich, sondern teilen „das gemeinsame Schicksal“, sich bezüglich ihrer Ausrichtung stark vom Hintergrund abzugrenzen.

• Anmerkung

: die o.g. Abb. wird in Roelsema (2006) als Beispiel für das Prinzip der Ähnlichkeit verwendet…

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Nix zu aufgeschrieben, deshalb leider nur Wikipedia: Reize, die eine Fortsetzung vorangehender Reize zu sein scheinen, werden als zusammengehörig angesehen.

2. d) Kontinuität

Obwohl das Reizmaterial gleich ist (bis auf die Unterbrechung der Kontinuität) werden in den beiden Bildern (a und b) unterschiedliche Teilstücke der Figur als zusammengehörig empfunden.

3. x) Verbundenheit1

Verbundende Objekte werden als zusammengehörig empfunden.

Links: rote Punkte werden als zusammengehörig empfunden, weil sie sich auf einem Objekt befinden. Rechts

→ Interessant: Unterscheidungsmerkmal befindet sich weit entfernt von den roten Punkten (!)

: Rote Punkte werden als nicht zusammengehörig empfunden, weil die schwarzen Linien nicht verbunden sind.

• Verbundenheit ist laut Roelsema (2006) eine transitive Eigenschaft. Geschlossenheit

oder Nicht-Geschlossenheit wird auf andere Elemente im Bild übertragen. Z.B. hängt im BSP die Gruppierung der roten Punkte von der Gruppierung der Büroklammer (verbunden vs. unverbunden) auf der linken Seite ab.

1 Herr Lenkowski führt in seiner Vorlesung die Abbildung als Beispiel für „Geschlossenheit“ an.

a) b)

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Wikipedia: „Linien, die eine Fläche umschließen, werden unter sonst gleichen Umständen leichter als eine Einheit aufgefasst als diejenigen, die sich nicht zusammenschließen

3. a) Geschlossenheit

(D. Katz, Gestaltpsychologie, 1969)“

Kanizza-Figur: Die Außenlinien des Objekts werden als Linien empfunden, weil sich die Strukturen der schwarzen Objekte anhand dieser imaginären Linie ausrichten.

Herr Lenkowski und wir sind uns an diesem Punkt nicht einig, was hierunter zu verstehen ist…

3. b) Symmetrie

Gestalttheorie = Einflussreichster ganzheitlicher Ansatz der visuellen Wahrnehmung

Fazit und Take-home messages:

Wichtig: Gestaltgesetze sind zum größten Teil deskriptiv, nicht erklärend (!). Die zugrunde liegenden neuronalen Mechanismen wurden nicht durch die

Gestalttheorie erklärt Neurophysiologische Theorien zur visuellen Wahrnehmung sind sehr viel

komplexer und beschränkt auf spezielle Mechanismen der visuellen Wahrnehmung

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II.) Das visuelle System

Verschiedene Spezies unterscheiden sich in der visuellen Wahrnehmung durch Unterschiede

“What we process is what we perceive” – wir nehmen nur Fragmente der realen physischen Umwelt wahr

• Flackerrate (flicker fusion frequency = fff) • im Farbsehen • in der Entfernung, in der Objekte wahrgenommen werden können • in den visuellen Feldern • in dem Ausmaß, in dem das Gehirn bei der visuellen Wahrnehmung involviert ist

Fliegen: haben eine höhere fff und deshalb eine höhere zeitliche Auflösung bei der visuellen Wahrnehmung., bedeutet sie sehen alles in Zeitlupe Katzen: haben mehr Stäbchen, d.h. bessere Nachtsicht. Außerdem wirkt ihre Retina wie ein Spiegel und erleuchtet das Auge stärker, weshalb sie sensitiver sind. Hunde: Können rot und grün nicht unterscheiden, weshalb es sehr witzig sein kann mit ihnen mit einem roten Ball auf einer Wiese zu spielen. Vögel

: haben einen größeren Sehwinkel, können deshalb weiter sehen.

Unsere Wahrnehmung hängt stark von den Eigenschaften unseres visuellen Systems ab

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Drei Punkte wurden besonders hervorgehoben: Der visuelle Pfad

1. Die Sehbahnen kreuzen im Chiasma opticum 2. Der Thalamuskern Corpus geniculatum laterale (lateral geniculate nucleus) hat

eine besondere Funktion bei der Weiterleitung der visuellen Information: Verstärken und Absenken der Amplitude des Signals.

3. Colliculi sup. spielen eine Rolle bei der Koordination schneller Augenbewegungen

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Der Signaltransfer kann grob in vier Schritte aufgeteilt werden: Signaltransfer zum Cortex: vier Schritte

1. Optisches Signal: Projektion auf die Innenseite des Bulbus 2. Photo-Transduktion: Photonen werden in neuronale Signale umgewandelt 3. Optischer Nerv: Informationstransfer vom Auge zum Gehirn 4. Kortex: Bildverarbeitung, Interpretation, Selektion

Nur was bei 1) transportiert wird, kann bei 4) verarbeitet werden…

• Welche visuellen Inputs verarbeitet werden hängt von der Architektur und den Eigenschaften des Auges ab:

Verarbeitung im Auge

Physiologische Eigenschaften (Abb. unten links) Zelleigenschaften (Abb. unten rechts: Stäbchen, Zapfen, Bipolare Zellen,

Amakrine Zellen, Ganglienzellen) • Besonders hervorgehoben wird bei der Verarbeitung im Auge die Rolle der

Ganglienzellen (siehe später auch Magnozellular- und Parvozellular), da hier die erste Informationsverarbeitung stattfindet

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Bereits bei 1% Feuerrate der Ganglienzellen ausreichend, um Informationen zu enkodieren

Verarbeitung in der Retina (Rank Order Coding)

Dies liegt an der Interkonnektivität der Zellen, die z.B. durch die Amakrine Zellen hergestellt wird

Abb.: Bildrekonstruktion als Funktion davon wie viele Ganglienzellen feuern: Wenn nur 1% der Ganglienzellen feuert, entstehen bereits grobe visuelle Eindrücke.

Sakkaden werden intentional und automatisch durch ein komplexes Netzwerk kortikaler und subkortikaler Strukturen kontrolliert

Kontrollsystem für Sakkaden

• Kortikale Strukturen: Sakkaden können intentional beeinflusst werden • Subkortikale Strukturen: eher automatisch, der willentlichen Kontrolle entzogen • 2 bis 3 Sakkaden pro Sekunde • Während einer großen Sakkade findet keine Informationsübertragung statt

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Die folgende Abbildung veranschaulicht, wieviele Strukturen bei der Kontrolle von Sakkaden involviert sind:

Abb.: besonders hervorgehoben wurden folgende Punkte: dorsolateraler “Wo-Pfad” und ventraler “Was-Pfad“. Außerdem wurde das Colliculum superiore genannt, welches mit multisensorischen und feinmotorischen Prozessen verbunden ist. Das Ausführen schneller Sakkaden ist eine Funktion, die vor allem durch den dorsalen Pfad kontrolliert wird (siehe auch Magno- und Parvozellular).

• Augen sind kontinuierlich in Bewegung, sogar bei Fixation auf einem Objekt Mikrosakkaden

• Wir sind uns dieser „Fixations-Bewegungen“ nicht bewusst • Bis zu 600-700 Mikrosakkaden pro Sekunde • Visuelle Wahrnehmung verschwindet völlig, wenn „Fixations-Bewegung“ verhindert

wird, d.h. ohne Mikrosakkaden keine visuelle Wahrnehmung • Sakkaden sind für kognitive Prozesse relevant (z.B. Aufmerksamkeit)

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Es existiert eine funktionelle Verbindung zwischen Parvozellular-Zellen und Magnozellularzellen und dem Was- und dem Wo-Pfad. D.h. Ganglienzellen sind bereits spezialisiert auf den Was- und Wo-Pfad.

Was- und Wo-Pfade im visuellen System

In der Retina befinden sich unterschiedliche Arten von Ganglienzellen, die verschiedene Rollen bei der visuellen Verarbeitung spielen: • Magnozellular-Zellen (ca. 80%); hervorgehobene Eigenschaften: Hohe zeitliche Auflösung Geringe räumliche Auflösung Vorwiegend Bewegungsverarbeitung (Basis für „Wo-Pfad“) Beispiel: Man erkennt, dass sich gerade etwas bewegt hat, und wohin

• Parvozellular-Zellen (ca. 10%); hervorgehobene Eigenschaften: Geringe zeitliche Auflösung Hohe räumliche Auflösung Vorwiegend Farb –und Formverarbeitung (Basis für „Was-Pfad“) Beispiel: Man erkennt was sich bewegt hat

Und nun nochmal alle Eigenschaften im Schaubild:

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Worin unterscheiden sich parallele und serielle Suche? Parallele und serielle visuelle Suche

• Parallele visuelle Suche: bedeutet, dass bei der Suche eines Targets alle Elemente gleichzeitig verarbeitet

werden • Serielle visuelle Suche: bedeutet, dass bei der Suche eines Targets alle Elemente nacheinander

verarbeitet werden

Beispiel:

a) Target wird wegen Pop-Out-Effekt schneller gefunden. Die Nicht-Targets (Distraktoren)

werden parallel verarbeitet. b) Die Distraktoren ähneln den Targets und können deshalb nicht parallel verarbeitet werden,

sondern müssen seriell, also nacheinander, abgesucht werden.

Empirische Befunde zur visuellen Suche:

Versuchsaufbau: Rot umrandetes Target (Kanizsa-Quadrat) soll gefunden werden. Gleichzeitig werden 2, 4 oder 6 Distraktoren präsentiert. Ergebnis: Die Anzahl der präsentierten Distraktoren hat keinen großen Einfluss auf die Reaktionszeit bei der visuellen Suche. Man wird also nicht wirklich langsamer, wenn mehr Distraktoren präsentiert werden. Interpretation

: Flache Kurve spricht für parallele Verarbeitung.

900 ms

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Versuchsaufbau: Rot umrandetes Target soll gefunden werden. Gleichzeitig werden 2, 4 oder 6 Distraktoren präsentiert. Unterschied zu Experiment 1: die kurvlinearen Innenlinien sind geschlossen, daher kein Kanizsa-Quadrat vorhanden. Ergebnis: Je mehr Distraktoren präsentiert werden, desto größer ist die Reaktionszeit. Interpretation

: Spricht für serielle Verarbeitung. In dem Moment, in dem die Kanizsa-Figur gebrochen wird, wird von paralleler auf serielle Verarbeitung „umgeschaltet“.

Die visuelle Suche hängt also von den Eigenschaften der Targets/ Distraktoren ab (!) und weniger von deren Anzahl (Pop-Out-Effekt nennen)

Frage: wie werden visuelle Wahrnehmungs-Informationen gruppiert? III.) Kortikale Algorithmen für Gruppierung bei der Wahrnehmung

Beispiele zum Warmwerden:

Beispiel: Feedback-Prozess

Man sieht den Hund im oberen Bild nur, weil man durch das untere Bild weiß, dass sich dort ein Hund befindet. Wahrnehmung ist somit mit Wissen verbunden (= Top-Down).

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Beispiel: Vordergrund-Hintergrund-Trennung durch Labeling-Network

a) Der Vogel ist schwierig auf einem Hintergrund zu erkennen, der die gleiche Textur und die

gleiche Farbe hat. b) Incremental Grouping2

: Transitiver Prozess, bei dem ausgehend von anderen Elementen in der visuellen Szene verarbeitet/interpretiert wird. Die Region, die vom Vogel eingenommen wird, wird in größerer Helligkeit gezeigt, um zu illustrieren, wie „höhere“ (enhanced) Neurone Elemente eines Bildes labeln, die dann gruppiert werden. Entspricht also in etwa einer Top-Down gesteuerten Kontrast-Erhöhung.

Bei der Trennung von Vordergrund und Hintergrund spielen die Feedback-Prozesse und Labeling Networks eine Rolle

• Früher nahm man nur Feedforward-Verbindungen (One-Way) an, was zu sehr

komplexen Annahmen über Netzwerke führte (siehe ggf. „Spinnennetz“ auf Folie 26) Feedforwad ist zwar nicht falsch, heute nehmen wir aber zusätzlich Feedback-

Verbindungen an, was zu einfacheren Modellen führt.

2 Incremental bedeutet soviel wie „schrittweise“ oder „stufenweise“

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Die Größe rezeptiver Felder (RF) nimmt mit der Verarbeitungsstufe zu; höhere Areale verarbeiten komplexere Merkmale.

Grundprinzipien: Hierarchische visuelle Verarbeitung

Beispiele für hierarchische Verarbeitung (Roelsema, 2006):

Links: Neuronen in V1 haben kleine RF, die auf einfache Merkmale reagieren, wie z.B. auf die Orientierung. Die RFs in V4 sind größer. Viele Neurone in V4 sind selektiv für die Verarbeitung von Umrissen/Konturen und Krümmung („curvature“) von Elementen. Rechts

: Aufzeichnung der Aktivität eines Neurons in der Area IT (inf. temp. Kortex) eines Primaten (Brincat & Connor, 2004). Feuern der Zelle hängt von den Kontur-Elementen der präsentierten Objekte ab. Hatte das präsentierte Objekt zwei Kontur-Elemente (A und B) wurde die Zelle erregt, bei drei Kontur-Elementen (A, B und C) war die Antwort bereits stark. Ein viertes zusätzliches Element (D) hat einen Suppressor-Effekt, hemmt also die Aktivität des Neurons. [Anm.: das rechte BSP wurde in der Vl nicht behandelt und dient nur der Veranschaulichung]

Feedforward- und Feedback-Prozesse, sowie horizontale Verbindungen, sind wichtig für visuelle Wahrnehmung und Aufmerksamkeit.

Feedforward und rekurrente Verarbeitung

• Bei der Präsentation eines neuen visuellen Stimulus besteht die neuronale Antwort

zunächst primär aus Feedforward-Verbindungen. • Rekurrente (horizontale und Feedback-) Verbindungen finden erst nach einer

zeitlichen Verzögerung statt. Feedforward-Verbindungen: Ähnlich Bottom-Up-Prozessen. Werden in der Psychologie häufig auch als

„präattentive Prozesse“ bezeichnet. Initialantwort von Neuronen ist vorwiegend durch Feedforward-

Verbindungen geprägt, weil dies den schnellsten Weg von der Retina zum Neuron (Kortex) darstellt

Meine Interpretation (Roelsema, 2006): Neuron wird nur durch die Eigenschaften/Aktivierung des zugeordneten rezeptiven Feldes beeinflusst.

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Rekurrente Verbindungen: „Horizontale- und/oder Feedback-Verbindungen, die modulatorisch

wirken“ (Roelsema, 2006) Austausch von Informationen zwischen Neuronen die sich auf einer Ebene

befinden, durch horizontale Verbindungen, bzw. zwischen Neuronen höherer und niedrigerer Areale durch Feedback-Verbindungen

Geschehen zeitlich verzögert Meine Interpretation: Bei rekurrenten Verbindungen wird das Neuron durch

Verbindungen beeinflusst, die sich außerhalb des RF befinden.

Beispiel für Verarbeitung eines “neuen” visuellen Stimulus

Links: Stimulus wird präsentiert; vorwiegend Feedforward-Verarbeitung Mitte: Nach einer Verzögerung zeigen sich horizontale –und Feedback-Prozesse Rechts

: Mit der Zeit beginnen die rekurrierenden (horizontale -und Feedback-Prozesse) die neuronalen Feedforward-Prozesse zu beeinflussen.

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Algorithmen für Incremental Grouping

Modell: Retinotope Verarbeitung von schwarzen und roten verbundenen Quadraten

a) Aufgabe

b)

: Alle schwarzen Quadrate, die mit dem roten Quadrat verbunden sind, sollen gruppiert werden. Das gesamte Rechteck in a entspricht einem rezeptiven Feld. Feedforward/Base grouping

c)

: Feedforward Verbindungen aktivieren eine Teilmenge der Neurone in deren rezeptiven Feld sich schwarze und rote Quadrate befinden. Außerdem erhalten diese Neurone auch horizontale (rekurrente) Verbindungen durch ihre nächsten Nachbarn, aber nur, wenn sie bereits durch Feedforward-Verbindungen aktiviert wurden. Dieser Prozess wird als „gating“ bezeichnet. Dies wird in b durch dicke Linien (enabled = aktiviert) bzw. dünne Linien (disabled = deaktiviert) gekennzeichnet. Rekurrent

: Durch das gating werden die Neurone in zwei Klassen unterteilt: die erste Klasse hat ein inaktives Neuron auf einer oder zwei Seiten und ist deshalb inaktiviert (disabled). Die zweite Klasse ist aktiviert, da sie aktive Neurone auf beiden Seiten hat. Nun breitet sich eine verstärkte Antwort durch das Netzwerk bereits aktivierter Verbindungen aus und das incremental grouping wird explizit.

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Beispiel für Feedforward und Feedback bei der Verarbeitung im Kortex:

Feedforwardprozesse von V1 zum inferioren temporalen Kortex (IT) Feedbackprozesse vom IT zu V1

Neurone mit RFs, die gleich ausgerichtete Kontur-Elemente reagieren, erregen sich gegenseitig, während Neurone, die auf unterschiedliche Kontur-Elemente reagieren sich gegenseitig inhibieren.

Lokale Gruppierung von Kontur-Elementen

Beispiel für wechselseitige Verstärkung (facilitation) von Neuronen, die auf dieselben Features (z.B. Kontur-Elemente) reagieren

c) Vergleich von 1 und 2 ergibt: Obwohl die Anzahl der vertikalen Linien sich verdoppelt, ist die

Feuerrate in V1 überproportional stärker. Zu erwarten wäre eine Feuerrate, die doppelt so hoch ist. Dieser Effekt wird als collinear facilitation bezeichnet.

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Serielle Konturen-Gruppierung (contour grouping)

Beispiel: Curve-tracing-task

Versuchsaufbau: Probanden sollen auf roten Punkt fixieren. Sollen dann entscheiden, ob bei Präsentation eines zweiten grünen Punktes dieser sich auf derselben Linie befindet. Ergebnis: Je weiter der grüne vom roten Punkt auf derselben Linie entfernt ist, desto länger ist die Reaktionszeit (linearer Anstieg). Befindet sich der grüne Punkt auf der anderen Linie, ist die RT immer gleich, aber länger als wenn sich der Punkt auf der gleichen Linie befindet. Interpretation

: Dies deutet im Gegensatz zur Pathfinder-task (siehe unten) darauf hin, dass dieser Gruppierungsprozess der Kontur-Elemente (also der Linien-Abschnitte) eine serielle Verarbeitung erfordert.

Pathfinder-task

Bei der pathfinder task findet im Gegensatz zur curve tracing task eine parallele Verarbeitung statt.

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Neurophysiologische Mechanismen bei der seriellen Konturen-Gruppierung

Noch eine curve tracing task

Versuchsaufbau: Affen sollen anzeigen, welcher von zwei möglichen Punkten mit dem Fixationspunkt verbunden ist. Ein Punkt befindet sich hierbei auf der Target-Linie T (ist also mit dem Fixationspunkt verbunden), während sich der andere Punkt auf der Distraktor-Linie D befindet. Bedingungen: Es wird ein und dasselbe RF über zwei verschiedene Bedingungen verglichen. Entweder befand sich der Fixationspunkt auf derselben Linie wie das Target oder nicht. Messung: Währenddessen wurde die Aktivität mehrerer Neurone in V1 mit Hilfe einer dauerhaft implantierten Elektrode abgeleitet (multiunit recording). Ergebnisse: Neuronale Antwort in dem RF auf das die Linie fällt am stärksten, wenn Fixationspunkt und Target-auf dieselbe Linie fallen

LinksNeuronen mit verstärkter Antwort sind gelb markiert. Es zeigt sich, dass die neuronale Antwort,

: Hier sieht man in a) fünf rezeptive Felder (die gelben und grauen Rechtecke). RFs von

die durch die Target-Linie evoziert wurde stärker war, als die durch die Distraktor-Linie. Interpretation

: Alle Kontur-Elemente der Target-Linie werden mit einer verstärkten Antwort gelabelt. Ergebnis passt zu der Annahme, dass beim incremental grouping die Feuerrate von Neuronen verstärkt wird.

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Decision Making (T. Schicke)

(Bei dieser Vorlesung sind, Herrn Schicke zufolge, auch die Paper zur Vorlesung relevant: z.B. Gold et al., 2007) Es kann zwischen perzeptuellen und komplexen Entscheidungsprozessen unterschieden werden. Bei perzeptuellen Entscheidungen geht es um die direkte Bewertung von sensorischer Evidenz (=Input), während komplexe Entscheidungsprozesse kognitiver sind (z.B. Entscheidung BMW vs. Mercedes).

Wie aber laufen perzeptuelle Entscheidungsprozesse ab? TWO MODELS: Perzeptuelle Entscheidungen

Es gibt mindestens zwei Modelle, die diese Entscheidungsprozesse modellieren sollen: 1. Die Signal detection theory 2. Die Sequential Analysis

Bei der Signal detection theory wird angenommen, dass es neben dem Signal, das entweder vorliegt oder nicht vorliegt, auch noch ein Rauschen gibt. Es nehmen also zwei Faktoren darauf Einfluss, wie die Entscheidung „Signal präsent“ vs. „Signal nicht präsent“ ausfällt:

1. Signal detection theory

Kritik: Das Modell erklärt jedoch nicht, wie Entscheidungen über die Zeit entstehen. Eine Entscheidung ist etwas Statisches in diesem Modell.

Signal

present Not present

Decision Signal present

HIT FALSE ALARM

Signal not present

MISS CORRECT REJECTION

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Eine Alternative bzw. Erweiterung der Signal detection theory ist die Sequential Analysis. Die Idee der Sequential Analysis ist, dass so lange Evidenz für eine Hypothese (dafür, dass z.B. ein bestimmtes Signals vorliegt) angesammelt wird, bis ein bestimmter Threshold (=Schwelle) erreicht ist. Wenn der Threshold überschritten ist, dann wird die Entscheidung getroffen, dass die Hypothese wahr ist (im Beispiel also das Signal vorliegt). Im folgenden Bild ist dieser Prozess graphisch dargestellt:

2. Sequential Analysis

NEURONALE BASIS VON ENTSCHEIDUNGEN Die Sequential Analysis scheint ziemlich gut das abzubilden, was in der Wirklichkeit abläuft. Das zeigt folgende Entscheidungsaufgabe:

Typical Decision Task: Mokeys Versuchsaufbau: Ein Affe wird vor einen Bildschirm gesetzt, auf dem sich ein Fixationskreuz und zwei große Punkte befinden. Diese zwei Punkte (im Folgenden auch response dots genannt) liegen horizontal (?) auf einer Achse mit dem Fixationskreuz. Hat der Affe das Kreuz fixiert, wird eine Punktewolke dargeboten. Einige der Punkte bewegen sich entweder nach rechts oder links; die anderen Punkte bewegen sich zufällig hin und her (es handelt sich um so genannte random dots). Aufgabe

: Der Affe soll nun entscheiden, ob sich die Punktewolke insgesamt nach rechts oder links bewegt. Er tut seine Entscheidung kund, indem er eine Sakkade auf den rechten oder den linken großen Punkt macht.

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Auf neuronaler Ebene sind nun zwei Bereiche an der Bewältigung dieser Aufgabe beteilig: 1. MT und 2. LIP. Zu 1.: Das Areal MT (middle temporal visual area) ist für die Wahrnehmung von Bewegung zuständig Zu 2.: Das Areal LIP (lateral intraparietal) ist für die Planung von Augenbewegungen zuständig. Dasselbe trifft auch für das Areal FEF (frontal eye field) zu. Es ist nun zu erwarten, dass in dem oben beschriebenen Paradigma sowohl in MT als auch in LIP Aktivität auftritt. Es wird angenommen, dass • Areal MT das Vorliegen von Evidenz anzeigt • Areal LIP die von MT gelieferten Evidenzen integriert (=aufsummiert) ERGEBNISSE MT: Ableitungen von MT Neuronenverbänden zeigen, dass das Areal MT aktiv ist, solange es Bewegung gibt. Je stärker die Bewegung ist (d.h. je eindeutiger die Evidenz ist), desto höher ist die Feuerrate von MT. Die Abbildung rechts zeigt, dass MT relativ konstant auf einem Level feuert. LIP: Das Areal LIP akkumuliert die sensorische Information von MT, d.h. die Aktivität von LIP erhöht sich ständig, solange MT feuert. Wenn ein gewisser Grenzwert erreicht ist, dann erfolgt eine Reaktion (d.h. eine Entscheidung wird getroffen). In diesem Paradigma handelt es sich bei der Reaktion um eine Sakkade. Der Threshold, der in LIP erreicht werden muss, scheint immer gleich zu bleiben, wenn der Kontext gleich bleibt (bspw. immer dieselbe Belohnung für eine Response gegeben wird). Bei gleich bleibendem Kontext dauert eine Entscheidung deshalb umso länger, je schwächer MT feuert. Wie oben gezeigt, feuert MT schwächer, wenn das sensorische Signal schwächer (d.h. weniger eindeutig) ist. Also: stärkere Evidenz = schnellere Entscheidung. Der Threshold kann je nach Kontext variieren: Wenn der Affe bspw. nur zwischen „stimulus present“ und „stimulus not present“ entscheiden muss und für jede korrekte „stimulus present“ Reaktion eine ganz besonders hohe Belohnung bekommt und bei einer falschen Reaktion keine schlimme Konsequenzen erwarten muss, dann wird er

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wahrscheinlich eine niedrigere Schwelle für „stimulus present“ haben. Alternatives Beispiel: Someone is fingering Tobias’ wallet at a crowded train station vs. in a crowded kindergarten. Wichtig: Entscheidungen sind wohl Effektor-spezifisch (d.h. von dem Areal, das den Effektor koordiniert). Sie werden in LIP getroffen, d.h. von einem Areal, was für die Planung der motorischen Reaktion zuständig ist. Würde der Affe mit einer Handbewegung antworten müssen, dann wäre PRR anstelle von LIP für die Integration der Evidenz zuständig und LIP würde keine Aktivität zeigen. TYPICAL DECISION TASK: METHODOLOGISCHE FRAGEN Bei dem oben beschriebenen Versuch ergeben sich zwei Probleme: 1. Es müssen genau die rezeptiven Felder der MT Neurone bei der Ableitung der elektrischen Aktivität erfasst werden, in denen die random dots dargeboten werden. Wie aber stellt man sicher, dass die Elektrode genau an den Neuronenverbänden anliegt, die auf die random dots reagieren? 2. LIP Neuronen haben ein motor response field. Das motor response field eines LIP Neurons ist derjenige Bereich X, auf den das Auge gerichtet wird, wenn das Neuron aktiviert ist. Wie stellt man aber sicher, dass die Elektrode genau an den Neuronenverbänden anliegt, die aktiviert werden, wenn eine Bewegung auf den Response Dot geplant ist? Diese Probleme werden folgendermaßen gelöst: Ad 1.: Man bietet die random dots an verschiedenen Stellen auf dem Bildschirm dar, bis man die Stelle gefunden hat, auf die die Neuronen reagieren. Ad 2.: Man präsentiert die response dots an verschiedenen Stellen auf dem Bildschirm und lässt den Affen eine Sakkade auf diese Stelle machen. Wenn die Neurone bei einer Sakkade reagieren, dann hat man das passende motor response field gefunden. Wichtig ist nun: Diese Vorgehensweise macht es sehr wahrscheinlich, dass keine festen Verbindungen zwischen den abgeleiteten MT und LIP Neuronen bestehen. Dennoch kann vom Gehirn während des Versuchs eine Verbindung zwischen diesen Neuronen hergestellt werden. D.h. sobald eine Entscheidung getroffen werden soll, entsteht eine Verbindung zwischen MT und LIP.

Response dot Motor response

field

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DECISION TASK: HUMANS Bei Affen scheinen Entscheidungen effektor-spezfisch zu sein; sie werden in LIP getroffen, wenn eine Sakkade als Reaktion auf die Entscheidung erfolgen soll. Bei Menschen kann es möglicherweise aber vom Effektor unabhängige Entscheidungs-Areale im Gehirn geben. Dafür in Frage kommen bspw. der superiore frontale Sulcus (SFS) im dorsolateralen präfrontalen Cortex (DLPFC) oder der linke IPS. Die Behauptung ist also: Es gibt ein Areal, dass nur für Entscheidungen zuständig ist und nichts mit der Reaktion zu tun hat, die auf die Entscheidung folgen soll. Dieses Areal soll sich dadurch auszeichnen, so Heekeren et al., dass es besonders aktiv für hohe strength of evidence ist.

Untersuchung 1: Heekeren et al. glauben, ein solches Entscheidungsmodul im Gehirn gefunden zu haben. Versuchsaufbau: Den Probanden wurden Bilder von Häusern oder von Gesichtern dargeboten. Die Bilder waren mehr oder weniger klar zu erkennen. Wenn Probanden ein Gesicht klar erkennen konnten, dann zeigte sich eine hohe Aktivität im fusiformen Gesichtsareal des fusiformen Gyrus (fusiform face area, FFA), während sich eine hohe Aktivität in der parahippocampal place area (PPA) des Gyrus parahippocampalis erkennen lässt, wenn Häuser gezeigt werden (FFA und PPA funktionieren also so ähnlich wie MT). Aufgabe: Den Probanden wurde nun die Aufgabe gestellt, zwischen Gesichter und Häusern zu unterscheiden. Dabei hat sich im fMRT gezeigt, dass insbesondere bei deutlichen Stimuli die Aktivität des SFS anstieg. Für starke Evidenz ist also hohe Aktivität im SFS zu verzeichnen. Interpretation

: Dies hat Heekeren et al. zu der Behauptung veranlasst, dass der SFS ein effektorunspezifisches Entscheidungsmodul ist. Es ist jedoch sehr umstritten, ob diese Behauptung wahr ist.

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Untersuchung 2: In einer Studie von Tosoni et al. hat sich gezeigt, dass es möglicherweise doch kein Entscheidungsmodul im Gehirn gibt, so wie von Heekeren et al. postuliert. Versuchsaufbau: Wieder wurden den Probanden mehr oder weniger deutliche Bilder von Häusern oder Gesichtern gezeigt. Dieses Mal bestand die Aufgabe der Probanden jedoch darin, eine Sakkade zu machen, wenn ein Gesicht erkannt wurde und eine Zeigebewegung auszuführen, wenn ein Haus erkannt wurde. Es wurde von Tosoni untersucht, ob es ein Areal gibt, dass während all diesen Entscheidungen aktiv ist. Ergebnis: Dieses Areal konnte jedoch nicht gefunden werden. Vielmehr hat sich gezeigt, dass Entscheidungen beim Menschen ähnlich wie beim Affen ablaufen. Wurden Sakkaden gemacht, dann war zuvor die Aktivität im Sakkaden-Areal des IPS aktiv; wurde mit Zeigebewegungen auf den Stimulus reagiert, dann waren vorher hingegen Zeige-Areale des IPS aktiv. Das spricht dagegen, dass es im Gehirn ein bestimmtes Entscheidungsmodul gibt. Spekulationen

: Wenn es dieses Modul aber nicht gibt, wie lässt sich dann die von Heekeren et al. entdeckte Aktivität im SFS erklären? Tosoni behaupten, dass der SFS Teil eines so genannten default networks im Gehirn sei. Dieses default network ist immer dann besonders aktiv, wenn dem Gehirn „langweilig“ ist. Die verminderte Aktivität des DLPFC bei unscharfen Bildern könnte also dadurch erklärt werden, dass die Entscheidung schwierig ist und sich das Gehirn deshalb nicht langweilt. Umgekehrt kann die erhöhte Aktivität des DLPFC bei klaren Bildern von Gesichtern oder Häusern durch die starke Aktivität des default network erklärt werden, weil die Entscheidung dann sehr einfach ist.

Welche Faktoren haben noch einen Einfluss darauf, ob und wie wir entscheiden? Offenbar spielt bei einer Entscheidung auch so etwas wie der Faktor *Motivation* eine Rolle. Einerseits müssen wir eine Motivation dazu haben, überhaupt eine Entscheidung zu treffen. Andererseits scheint auch die Art, wie wir entscheiden, von motivationalen Zuständen abzuhängen. Unsere Motivation scheint wiederum von dem Wert abzuhängen, den ein Decision Task bzw. die darin vorkommenden Alternativen für den Entscheider haben. Wie also werden Entscheidungen von dem Wert, den sie für uns haben, beeinflusst? Hier werden zwei Untersuchungen genannt.

REWARD VALUE

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Untersuchung 1 (Sugrue et al. 2004): Foraging experiment. Ein sehr durstiger und deshalb stark motivierter Affe sitzt vor einem Bildschirm und fixiert das Fixationskreuz. Ein grüner und ein roter Target dot werden auf dem Bildschirm dargeboten. Wenn der Affe eine Sakkade auf einen der Punkte macht, dann erhält er mit einer sich ständig verändernden Wahrscheinlichkeit einen Reward, nämlich etwas zu trinken. Die Aufgabe des Affen ist nun, zu entscheiden, auf welchen der beiden Punkte er blickt. In dem Fall, dass der Affe zwei Mal hintereinander eine Sakkade auf dasselbe Target macht (also bspw. zwei Mal hintereinander auf den grünen Punkt schaut) ist die Wahrscheinlichkeit für eine Belohnung beim zweiten Mal sehr gering. Es zeigt sich, dass der Affe sein Verhalten den veränderten Wahrscheinlichkeiten anpasst, um seinen Reward zu optimieren. Sobald diese Optimierung stattgefunden hat, wird die Aktivität der LIP Neuronen untersucht. Ergebnisse

(die grünen Linien spielen keine Rolle): Wenn die Wahrscheinlichkeit für einen Reward sehr hoch war (durchgezogene blaue Linie), d.h. wenn der Stimulus einen hohen Wert hatte, dann war die Aktivität der LIP Neuronen sehr hoch. M.a.W.: Der Threshold, bei dem LIP eine Sakkade in das entsprechende motor response field auslöst, wird schnell erreicht. War die Wahrscheinlichkeit für einen Reward klein (gestrichelte blaue Linie), d.h. hatte der Stimulus einen niedrigen Wert (bspw. weil der dot vorher schon einmal gewählt wurde), dann war die LIP Aktivität niedrig. M.a.W.: Der Threshold, bei dem LIP eine Sakkade in das entsprechende motor response field auslöst, wird langsam erreicht.

Tobias weist darauf hin, dass nicht alle Value-Berechnungen in LIP stattfinden. Denn es müsste sonst ein vollständiges Entscheidungsmodell in LIP für Augenbewegungen geben, und ein genau so vollständiges Entscheidungsmodell für Handbewegungen in PRR, usw. Das scheint unplausibel zu sein. Für Augenbewegungen gilt, dass sie von einem ganzen sensomotorischen Schaltkreis (LIP, FEF, SC) abhängen, der das alles irgendwie in Abhängigkeit von LIP verrechnet. Tobias macht nun folgenden Punkt:

VALUE

Die Values, die durch den oben genannten Schaltkreis verrechnet werden, sind nicht transitiv, sondern hängen von der gegenwärtigen Situation ab, in der sich der Entscheider gerade befindet. In einem dunklen Raum kann ich zum Beispiel folgende Präferenzen haben „jonglieren < Buch lesen“, „Buch lesen < am Kopf kratzen“, während in einem hellen Raum meine Präferenz „am Kopf kratzen < jonglieren“ sein könnte.

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Nun scheint es jedoch auch noch ein zweites Netzwerk (valuation circuitry) zu geben, in dem die Values absolut und transitiv sind. Dies ermöglicht es, sehr verschiedene Alternativen gegeneinander abzuwägen.

Über viele Dinge, die wir so tagtäglich tun, denken wir nicht großartig nach. Wir können natürlich versuchen, uns diese Dinge bewusst zu machen, aber können diese Handlung kognitiv nicht wirklich verstehen. Alien Hand Syndrom. Wie können wir die Hand dazu bringen, das zu tun, was wir wollen. Und: Können wir das überhaupt? Feeling of causality.

FREE WILL

Libet et al. 1982/3: Versuchsaufbau

: Die VPN saßen in einem Raum vor einer Uhr, EEG wurde abgeleitet. Die VPN wurden instruiert, ihren Finger genau dann zu bewegen, wenn sie sich danach fühlten (Instruktion: Let the urge to act appear on its own at any time without any preplanning or concentration on when to act). Danach wurden sie gefragt, wo sich der Uhrzeiger befand, als sie sich entschieden haben, den Finger zu bewegen. Wahrenddessen wurde mit dem EEG das Bereitschaftpotential (readiness potential) aufgezeichnet. Das Bereitschaftpotential ist ein EKP, das mit der Planung von Handlungen in Verbindung gebracht wird. Libet scheint also davon auszugehen, dass das Auftreten des Bereitschaftspotentials eine Entscheidung für die Fingerbewegung reflektiert.

ERGEBNISDie VPN haben erst eine halbe Sekunde nach Auftreten des Bereitschaftspotentials den bewussten Willen, den Finger zu bewegen. Libets Idee ist nun die, dass wir Dinge von ganz alleine tun und diese Handlungen dann nachträglich unserem Willen kausal zuschreiben. Und: Vielleicht haben wir die Möglichkeit, die von unserem Körper geplanten Handlungen bewusst stoppen zu können, sodass wir zwar kein „I will“ haben, aber ein „I won’t“.

:

KRITIK I: Sehr künstliches Experiment: Es gibt nur eine Auswahlmöglichkeit. Das ist doch keine Auswahl. Kritik II: Gemessen wurde möglicherweise das falsche EKP. Es ist nicht das Bereitschaftspotential, sondern das laterale Bereitschaftpotential (lateral readiness potential), das relevant für die Bewegung zu sein scheint. Vom LRP wird angenommen, dass es die unbewusste Entscheidung repräsentiert, die Fingerbewegung auszuführen. Das LRP tritt jedoch ziemlich zeitgleich mit dem bewussten Willen auf. KRITIK III: Die Zeitmessung ist fehlerhaft. Wenn man Töne anstelle einer Uhr verwendet, dann kommt heraus, dass der bewusste Handlungswille früher als bei der Uhr einsetzt. Jedoch befindet er sich zeitlich immer noch nach Bereitschaftspotential.

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KRITIK IV: Mangelnde Validität. Freier Wille bedeutet etwas vollkommen anderes, als das, was in den Libet-Experiment untersucht wird. Der freie Wille kann beispielsweise als Abwesenheit von äußeren Zwängen definiert werden, so dass man tun kann was man eben will. KOMPLEXE ENTSCHEIDUNGEN: Da war die VL schon fast zu Ende. Tobias hat nur kurz erwähnt, dass die Prozesse, die für das Perceptual Decision Making relevant sind, auch eine Bedeutung für das Complex Decision Making haben. Die Idee scheint zu sein, dass es da gewisse Analogien gibt.

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Emotion (R. Kalisch)

Mögliche Klausurfragen (Hinweise aus der VL) sind mit Rot als solche gekennzeichnet.

Appraisal theory (= Bewertung, Evaluation)

Grundannahme: Emotionsverarbeitung erfolgt nach 3 Prinzipien: KLAUSURFRAGE! • 1.Stimuli werden bewertet bezüglich ihrer Relevanz für den Organismus. Diese

Bewertung erfolgt nach 4 versch. Kriterien (siehe unten). • 2.Das Ergebnis dieser Bewertung bestimmt kausal die empfundene Emotion

(deren Stärke, Art, Dauer usw.) • 3.Es gibt 2 Arten von Bewertungsprozessen: schnell / unbewusst / automatisch langsam / bewusst / kontrolliert

Welche Kriterien zur Bewertung von Emotionen gibt es in der Appraisal theory?

Abbildung 1: Low-level (Unbewusst) --------------------------------------------------------------> High-level (bewusst)

4 Kriterien zur Emotionsbewertung:.

• 1. Relevanz: ("Relevance") die am schnellsten verfügbare Beurteilung Vergleich des Stimulus mit vorhandenen Gedächtnisinhalten: Neuartigkeit des Stimulus (Unmittelbarkeit, Bekanntheit, Vorhersagbarkeit)

intrinsisch angenehm vs. unangenehm (z.B. schriller Ton ist doof) Relevanz für Ziele & Bedürfnisse (Motivationsabhängig )

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• 2. Konsequenz ("Implication") Kausalitäten feststellen Vorhersage der Folgen des Stimulus / des Outcome evtl. Diskrepanz zwischen Vorhersage und tatsächlichem Outcome

(=Vorhersagefehler, mehr dazu später) Förderlichkeit für den Organismus Dringlichkeit (Situations- und Motivationsabhängig)

• 3. Bewältigung ("Coping") Kontrollierbarkeit für das Individuum eigener Machteinfluss Möglichkeiten mit dem Stimulus umzugehen (Anpassungsfähigkeit) Ist also von eigenen Ressourcen abhängig

• 4. Normative Signifikanz ("Normative Signifikance") Kompatibilität mit internen Standards Kompatibilität mit externen Standards

Es existiert keine genaue Trennung von Kognitionen & Emotionen in der

Appraisal theory Wie ist der Ablauf dieser Kriterien organisiert?

• Die 4 Kriterien laufen sequentiell ab und überlappen sich teilweise. • Sie folgen der Reihenfolge der Pfeile in der Abb.1 von links nach rechts. Die Bewertungen durch die verschiedenen Kriterien sind also nacheinander verfügbar. Innerhalb der 4 Kriterien

verlaufen die Prozesse der Liste nach von oben nach unten

(siehe Abbildung 1, und 2)

• Nach jeder Bewertung gemäß eines der Kriterien folgen körperliche Reaktionen. Zeitlich vorhergehende Bewertungen und körperliche Reaktionen beeinflussen alle zeitlich folgenden Bewertungen und körperlichen Reaktionen.

• Die Bewertung entsprechend dem ersten Kriterium ist schnell/ unbewusst/ automatisch. Mit ansteigenden Kriterien wird die Bewertung zunehmend langsamer/ bewusster/ kontrollierter (von Low-level-Verarbeitung zu High-level-Verarbeitung, siehe Beschriftung Abbildung 1).

Abbildung 2

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Empirische Evidenz für den sequentiellen Ablauf verschiedener Bewertungskriterien

oberes Bild: Es werden Bilder mit starkem, emotionalem Inhalt dargeboten. Diese sind entweder bereits bekannt, oder neu für die Pbn. Es entstehen 2 gemittelte EEG-Muster aus der Stichprobe. Aus deren Differenz ist der Zeitpunkt der Bewertung nach dem Kriterium "Neuartigkeit" ableitbar (türkise Region, mit Pfeil markiert).

Versuchsaufbau:

unteres Bild: Probanden bekommen Bilder präsentiert, die entweder task-relevant oder irrelevant sind. Die Differenz der EEG-Muster gibt hier Aufschluss über den Zeitpunkt der Bewertung nach dem Kriterium "Relevanz für Ziele".

Die Bewertung nach "Neuartigkeit" setzt zeitlich früher ein als die Bewertung nach "Relevanz für Ziele". Die beiden Prozesse überlappen sich aber zeitlich. Außerdem finden sie in unterschiedlichen Hirnregionen statt.

Ergebnis:

High-level appraisal

Versuchsaufbau

: Probanden wurden Elektroschocks angedroht (=instructed Fear). Einer Kontrollgruppe nicht.

Ergebnis:

Bei instructed Fear waren der MPFC und die Insula stark aktiviert. Man kann also von einer Aktivität bei kognitiv induzierter Angst ausgehen.

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Die Hälfte der Probanden sollte einen 2-back task ausführen(=AG-Belastung). Eine Kontrollgruppe (2te Hälfte) sollte immer nur den aktuell dargebotenen Reiz benennen (geringe AG Beanspruchung). Beide Gruppen wurden nochmals aufgeteilt nach Fear-instructed vs. nicht fear instructed.

High-Level appraisal mit und ohne Arbeitsgedächtnis-Belastung

Vermutung: Die AG-Belastung sollte die bewusste Verarbeitung der appraisal-Aufgabe (=Angst haben, in der fear instructed Bedingung) verhindern. Ergebnisse:

Keine Angst und keine AG-Belastung; keine Aktivität.

Keine Angst und AG-Belastung; geringe Aktivität. Instructed Fear ohne AG-Belastung; sehr hohe Aktivität. Instructed Fear mit AG-Belastung; sehr geringe Aktivität. Interpretation

→ Angst nach Instruktion nur, wenn genügend AG-Kapazität bzw. Aufmerksamkeit verfügbar.

: Die Befunde sprechen für high-level appraisal (eher bewusste/kontrollierte/langsame Verarbeitung der Emotion "Angst") im DMPFC, da die Instruktion nur bei geringer Belastung des AG in Angst verarbeitet werden kann.

WICHTIG: DMPFC UND LPFC konnten hier für die bewusste Stimulusbewertung verantwortlich gemacht werden.

Meta-Analyse: Vergleich instructed fear vs. fear conditioning

Abbildung 4

Vermutung: DMPFC ist vor allem dann aktiviert, wenn man sich bewusst über den bedrohlichen Stimulus ist (= instructed fear).

Die Rolle von Macht oder Kontrolle in der Appraisal theory

Versuchsaufbau

: Probanden wurden einer Abfolge schmerzhafter Stimuli ausgesetzt. Gruppe A konnte den Schmerz stoppen, wenn dies gewünscht war. Gruppe B hatte keine Kontrolle über die eigenen Schmerzen. Beide Gruppen bekamen die gleiche Quantität an Schmerzen.

Ergebnis: Die subjektive Intensität des empfundenen Schmerzes sowie der Angst (bei gleicher objektiven Intensität zwischen den Gruppen) ist signifikant geringer bei Gruppe A; d.h. wenn eigene Kontrolle vorliegt. Außerdem stärkere LPFC-Aktivität, je weniger schlimm der Schmerz empfunden wurde.

Abbildung 3: DMPFC

Abbildung 5

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• Auch Vpn, die auf einem Fragebogen zu "self control beliefs" höher scoren, haben

eine höhere LPFC-Aktivierung (SUPER(!)-KORRELATION). Wofür ist der LPFC zuständig? KLAUSURFRAGE Der LPFC ist für die bewusste Bewertung von Stimuli zuständig. Zu nennende Beispiele: Untersuchungen bei Abbildung 3 & 5 • 3: AG-Belastung verhindert bewusste Verarbeitung von Angst. Die LPFC-Aktivität ist

dabei auch geringer • 5:Es zeigte sich stärkere LPFC-Aktivität, je weniger schlimm Schmerz/Angst

empfunden wurden. LPFC korreliert mit control-beliefs positiv und mit dem subjektivem Schmerzempfinden negativ.

KLAUSURFRAGE/WICHTIG: Belohnungslernen und die Lerntheorie

Ziel des Organismus ist es nach der Lerntheorie, Regelhaftigkeiten zu erkennen, die Voraussagen erlauben. Liegt ein Vorhersagefehler vor, wird das Verhalten und/oder die Vorhersage angepasst, um das für den Organismus positivste Ergebnis zu ermöglichen. Dieser Angleich entspricht dem Lernen. Die Fähigkeit dazu setzt sich aus 3 Teilprozessen zusammen: • Vorhersage • Ergebnisse / Outcome • Vorhersagefehler

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Klassisches Belohnungslernparadigma von Schultz et al (1993). Affen müssen den richtigen Knopf drücken, um an O-Saft zu gelangen. Sie sitzen vor drei Lichtern (medial, lateral und trigger). Die Lichter "medial" und "lateral" geben an, welche Knöpfe gedrückt werden sollen. Das "trigger"-Licht gibt den Zeitpunkt an, an dem gedrückt werden soll (nach dessen Aufleuchten).

Instruktion (Aufleuchten lateral vs. medial) Wartephase Knopf drücken (nach trigger)

Mit dem Aufleuchten der Lichter wird automatisch eine Bewertung im Sinne der Appraisal-Theorie vorgenommen. Nämlich im Kriterium Relevanz, Unterpunkt intrinsisch angenehm.

Abb.6: Korrelationen des Verhaltens während des Versuchs mit Einzelzellableitungen dopaminerger Neurone. Dopaminausschüttung wird mit Belohnungs- sowie mit Lernmechanismen assoziiert. 1 Pünktchen in der Abbildung entspricht 1 Aktionspotenzial.

Nach der Instruktion ("l" oder "m" Lampe leuchtet auf ) und nach dem Aufleuchten des Triggers ist ein Anstieg der

Feuerrate zu beobachten. Während der Lernphase ist auch eine erhöhte Feuerrate nach der Belohnung zu beobachten (erklärbar durch unerwarteten Outcome =Vorhersagefehler). Wenn die Aufgabe jedoch bereits gelernt ist, erhöht sich die Feuerrate nach der Belohnung nicht mehr (Vorhersage ist richtig).

• Dopaminerges System bildet den Vorhersagefehler ab Dopamin

ein neuer, unerwarteter Stimulus( der nicht vorhegesagt wurde), löst eine höhere Aktivierung dopaminerger Neurone aus.

Dabei codiert die relative Menge der Feuerrate auch das Ausmaß des Vorhersagefehlers. Der Vorhersagefehler ist immer erwartungsabhängig (vom Ausmaß der

Abweichung zur Erwartung). • Dopamin spiegelt lediglich positiv empfundene Überraschungen wieder. • Weitere Hypothese: Verringerte Feuerrate in dopaminergen Neuronen bei negativer

Abweichung von der Erwartung. Somit könnte auch Enttäuschung durch dopaminerge Aktivität kodiert werden.

Exkurs: Belohnungslernen beim Menschen Menschen konditionieren Pharmakologische Manipulation der Aktivität dopaminerger Neurone Vorhersagefehler ist assoziiert mit Aktivität im ventralen Striatum (Basalganglien)

Abbildung 6

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CS und US wie gehabt. Angstlernen in der Amygdala

US = Elektroschock Amygdala Assoziation v. CS & US • An der CS und US-Kopplung sind auch beteiligt: vordere Insula und cingulärer Kortex

• Leider sind die beteiligten Transmittersysteme nicht bekannt.

Angstlernen beim Menschen. Es wurden den Probanden Bilder mit Gesichtern gezeigt. Manche dieser Gesichter wurden mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit mit einem aversiven Reiz (=schriller Ton) gekoppelt (Bedingung "CS+"), manche Gesichter wurden nie mit einem aversiven Reiz gekoppelt (Bedingung "CS-"). Gemessen wurde die Hautleitfähigkeit ("SCR") als Indikator für Angst.

Ein bildgebendes Verfahren wurde eingesetzt um die für das Angstlernen zuständigen Hirnareale aufzuzeigen. Beim Vergleich zwischen CS+ und CS- zeigte sich, dass das ventrale Striatum, cingulärer Kortex, Amygdala sowie die Insula bei CS+ eine vergleichsweise erhöhte Aktivität aufwiesen.

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Mit welcher Region ist der Vorhersagefehler beim Angstlernen korreliert? • Die Amygdala zeigt eine stetige Abnahme der Aktivität während des Lernprozesses: Bei höherem Vorhersagefehler (Lernphase) zeigt die Amygdala stärkere Aktivität wenn der Lernvorgang bereits weiter fortgeschritten ist und die Vorhersage

valider wird, nimmt auch die Aktivität in der Amygdala ab. • Es zeigte sich geringe Amygdala-Aktivität, wenn die Vorhersage zutraf Die Amygdala ist also evtl. am Lernvorgang für Angst beteiligt

Angstauslöschung (fear extinction) Messungen durch Bildgebungsverfahren während der Angstauslöschung (CS-Darbietung ohne die gelernte Folge) zeigten, dass die Amygdala lediglich am Anfang der Auslöschung aktiv war. Fazit

: Amygdala an Extinktionslernen beteiligt

Reinstatement-Effekt: Normale Konditionierungs- und Extinktionsphase. Nach der Extinktionsphase wird der Konditonierte Reiz (Schock) alleine dargeboten. Nach längerer Zeit alleinige Darbietung des CS.

Angstauslöschung: Inhibitions- oder Extinktions-Gedächtnis ?

Es zeigt sich eine überproportional starke Angstreaktion auf den CS, die dadurch erklärbar ist, dass während der Extinktionsphase das Furchtgedächtnis nicht gelöscht, sondern lediglich inhibiert wurde.

Folgeversuch: Blocken von GABA-Rezeptoren, die die Inhibierung des Furchtgedächtnisses verursachen könnten. VersuchsaufbauVersuchsgruppe: Extinktionsphase mit GABA-Rezeptorblockern

:

Kontrollgruppe: Extinktionsphase ohne Manipulation Ergebnis:

Die Versuchsgruppe weist einen geringeren Extinktionseffekt auf. Dies spricht für Inhibierungsprozesse der vorher gelernten Konditionierung während der Extinktion.

Evidenz: Furchtgedächtnis ist immer noch da. Während der Extinktion findet bloß eine aktive Hemmung statt.

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Angstauslöschung: Abruf

• Es gibt Einzelzellableitungen im VMPFC von Affen, die zeigen, dass es bestimmte Neurone gibt, die genau dann feuern, wenn das Extinktionsgedächtnis abgerufen wird.

• KLAUSURFRAGE: der VMPFC scheint für den Abruf eines Extinktionsgedächtnisses relevant zu seien.

• Annahme: bei Extinktion und Konditionierung werden zwei konkurrierende Gedächtnisspuren enkodiert Zwischen dem CS+

Welche Gedächtnisspur aktiviert (also abgerufen) wird, wird durch den Kontext moduliert

und der Angstreaktion wird eine inhibierende Verbindung hergestellt.

• Bei Menschen mit PTBS zeigt der VMPFC eine abnorme Aktivierung. Folgerung: VMPFC scheint dysfunktional zu sein.

VMPFC = Sicherheitsgedächnis

Pharmakologische Beeinflussung von Konsolidierungsprozessen

• Der Extinktionseffekt lässt sich auch pharmakologisch verstärken DCS (D-Cycloserine; das ist ein NMDA-Agonist) verstärkt den Extinktionseffekt

signifikant (im Vergleich zu einem Placebo). DCS wirkt jedoch auf jede Gedächtnisform, also auch auf das

Konditionierunggedächtnis verstärkend Riskant für die Unterstützung von VT-Behandlungen. Man sollte es also nur

nach erfolgreichen VT-Sitzungen anwenden

Apraisal Theory:relevance & reapraisal

Beeinflussung von Emotionen möglich durch Veränderung der Bewertung.

“BÄM” (Wilhelm, 2009)

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Vorlesung 7 Social Neuroscience (N. David)

Einführung – Allgemeines und Definition

Def.: Social Neuroscience:

Interdisziplinärer Ansatz, der biologische Mechanismen untersucht, die mit sozialer Kognition, sozialem Verhalten und sozialer Interaktion assoziiert sind. Dabei wird eine komplexe und dynamische Interaktion zwischen neuronalen, kognitiven und sozialen Phänomenen angenommen.

• Begriff gibt es erst seit 1992 und geht zurück auf John T. Cacioppo • Interdisziplinärer Ansatz, der häufig traditionelle Themen der Sozialpsychologie

untersucht (mit Hilfe neurokognitiver Methoden, Vgl. VL „Methods in Cognitive Neuroscience“)

• 2 mögliche Herangehensweisen: Herausfinden, welche sozialen Prozesse durch ein Gehirnareal XY gesteuert

werden Herausfinden, welche neuronalen Mechanismen einem sozialen Prozess AB

unterliegen. Erklärender Prozess (tollerschnellerbesserScooter!!!) • 2 mögliche Ergebnisse: Orte im Gehirn (neuronale Korrelate): ich weiß, WO was passiert Neuronale Mechanismen: ich weiß, WIE etwas passiert

• Folgende Gehirnregionen werden uns interessieren:

Folgende Themengebiete werden in der VL behandelt: „Inhaltsverzeichnis“

1. Soziale Wahrnehmung 2. Theory of Mind/Mentalisation 3. Empathie 4. Soziales Schlussfolgern und Entscheidungsverhalten 5. Selbstkonzept und Identität 6. „Soziale“ Pathologien (z.B. Autismus)

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1.

Soziale Wahrnehmung

Wie und wo werden menschliche Gesichter und menschliche Körper (-bewegungen) prozessiert? Relevante Gehirnareale: FG, EBA und pSTS (&Amygdala)

a)

Gesichts- und Blickwahrnehmung

• Strukturelle, statische Gesichtsmerkmale… werden vom Fusiform Gyrus (FG)1

spiegeln sich in der N170 (sowohl EEG- als auch MEG-Komponente) wieder verarbeitet

können bei Krankheiten wie Prosopagnosie ( „Gesichtsblindheit“) nicht mehr erkannt werden. Diese Krankheit geht oft mit einer Schädigung des FG einher.

• Dynamische Gesichtsmerkmale… (Blickrichtung, Mimik) Werden von Regionen im posterioren superioren temporalen Sulcus (pSTS)

verarbeitet

Studie David et al, 2008 Versuchsaufbau:

VPs sollen die Körpersprache und Mimik von Avataren interpretieren, in dem sie Fragen wie „Mag der Avatar (s. Abb. links) lieber Wasser oder Cocktails?“ beantworten müssen.

Ergebnis: Diese Aufgabe geht mit einer Aktivierung des pSTS einher. Interpretation:

Diese Region prozessiert nicht nur dynamische Merkmale an sich, sondern auch Absichten bzw. kommunikative Absichten (finden wir fraglich)

• Ebenfalls beteiligt ist… die Amygdala (AM) v.a. beim Prozessieren von Gesichtsausdrücken eine entsprechende EEG-Komponente kann schon nach 100 ms entdeckt werden

1 Erst 1997 entdeckt! (von Kanwisher et al.)

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b)

Wahrnehmung des menschlichen Körpers

• Strukturelle, statische Körpermerkmale… Sind wichtig zu extrahieren, weil wir wissen müssen, ob ein Mensch agiert (zu

erkennen an seinem menschlicher Körper) oder nur ein „Ding“. Ist es ein menschlicher Körper, können wir seine Handlungen als absichtsvoll interpretieren.

Werden im extrastriate body area (EBA)2 verarbeitet

Zeigt die Aktivierung im EBA bei verschiedenen Objekten oder dem menschlichen Körper ähnlichen Objekten. Die Aktivierung im EBA bei der Darbietung eines realitätsgetreuen menschlichen Körpers wird dabei als 100%ige Aktivierung festgesetzt. Die Aktivierung bei der Darbietung anderer Objekte wird relativ dazu abgetragen.

Studie Peelen & Drowning (2007):

Fazit

Spiegeln sich in der N190 wieder (EEG-Antwort auf Körper also 20ms NACH der EEG-Antwort auf Gesichter)

: Aktivierung nimmt mit abfallenden Ähnlichkeitsgrad zum menschlichen Körper ab.

Diese wird auch durch Stockmännchen, die dem menschlichen Körper ähnlich sind, evoziert.

Sie fällt bei zerhackten, beschädigten Körpern positiver aus (differenziert also zwischen intakten und schadhaften Körpern)

• Dynamische Körpermerkmale… (also Körperbewegungen) Werden wie Gesichtsbewegungen im pSTS verarbeitet. Das

hat man herausgefunden, in dem man VPs gehende Menschen zeigt. Diese tragen schwarze Kleidung auf schwarzem Hintergrund und haben Leuchtpunkte auf ihrer Kleidung. Sie sind erst dann zu erkennen, wenn sie (d.h. die Leuchtpunkte) sich bewegen

• Übrigens: Es findet nicht nur die Verarbeitung von Bewegungen des menschlichen Körpers im pSTS statt. Auch wenn wir annehmen, dass ein Objekt belebt ist, findet die Verarbeitung seiner Bewegungen in pSTS statt. (Vgl. Animacy)

2 Remember: striärer Cortex: V1 (Blobs), extrasträrer Cortex: ab V2

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2.

Theory of Mind (TOM)/Mentalisierung

Was ist TOM/Mentalisierung?

Theory of Mind bezeichnet die Fähigkeit, Annahmen über Bewusstseinsvorgänge im Anderen vorzunehmen „to build up a theory about some other person´s mind“. Mit dieser Fähigkeit können wir Überzeugungen, Absichten und Vorhaben des anderen verstehen und damit das Verhalten des Anderen erklären. Mentalisierung ist im Prinzip das gleiche, da schmeißt jeder ein bisschen was durcheinander, so dass wir hier die Begriffe synonym verwenden können.

Welche Teilprozesse sind für eine TOM notwendig? Animacy, Joint attention und Perspektivübernahme

a) Animacy: Das Wahrnehmen einer Sache als belebt oder beseelt • Für eine TOM ist es erstmal notwendig, ein anderes Objekt als belebt zu erkennen,

damit ihren Handlungen ein Sinn unterstellt werden kann.

Studie Castelli et al, 2002: Versuchsaufbau:

VPs werden geometrische Figuren gezeigt, die sich absichtsvoll bewegen (z.B. „sich jagen“).

Ergebnis: Werden geometrischen Figuren mentale Zustände zugeschrieben, findet man eine Aktivierung des medialen präfrontalen Cortex (MPFC) und des STS (und des FG und der AM)

Bei intentionalem und kontingentemStudie Blakemore et al, 2003:

3

„Verhalten“ der Figuren findet man eine erhöhte Aktivierung des STS (und superioren parietalen Cortex) im Vergleich zu zufälligem „Verhalten“ der Figuren. Zufälligem Verhalten der Figuren wird kein mentaler Zustand attribuiert.

Das wichtigste Areal, das mit dem Empfinden von Belebtheit/Beseeltheit assoziiert ist, scheint der (p)STS zu sein (war ja auch schon maßgeblich an der Verarbeitung „beseelten“, absichtsvollen Bewegungen des menschlichen Körpers oder des menschlichen Gesichts beteiligt)

3 Kontingenz = Verhalten von A kann durch Verhalten von B vorhergesagt werden

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b) Joint attention Def. Joint attention:

Prozess, der dazu führt, dass 2 oder mehr Lebewesen ihre Aufmerksamkeit gemeinsam auf eine Sache richten. Hierbei kann die gerichtete Aufmerksamkeit von A die Aufmerksamkeit von B in Bezug auf ein drittes Objekt beeinflussen. Dies kann z.B. über Blicke und Gesichtsausdrücke oder durch Zeigebewegungen geschehen.

Studie Williams et al, 2005: Versuchsaufbau: VPs werden Videos vorgespielt, in dem entweder die Blickbewegungen und eine Objektbewegung kongruent sind (=joint attention Bedingung) oder inkongruent (no-joint-attention Bedingung). Ergebnis:

Es findet sich eine erhöhte Aktivität im MPFC (genauer dorsaler MPFC) in der Joint-attention Bedingung gegenüber der No-Joint attention Bedingung.

Neuronales Korrelat der Joint Attention ist eine Aktivierung im MPFC

c) Perspektivübernahme • Nach Flavell (Entwicklungspsychologe!) können 2 Level der

Perspektivübernahme unterschieden werden: 1: Verstehen, dass Andere Dinge anders sehen können als wir 2: Verstehen, dass wir dieselben Dinge wie andere sehen können, dass sie aber

aus unserer Perspektive anders aussehen können als aus der Perspektive anderer Leute

Studie Vogeley & Fink, 2003: Versuchsaufbau:

Versuchspersonen werden Bilder präsentiert, auf denen Menschen abgebildet sind, die auf bestimmte Dinge gucken. Sie werden dann gefragt „Was siehst Du (als VP)?“ und „Was sieht die Person auf dem Bild?“

Ergebnisse:

- bei der Einnahme der eigenen Perspektive eine Aktivierung

Kontrastiert man die beiden Bedingungen miteinander, findet man

medialer Strukturen - die Einnahme einer fremden Perspektive mit einer Aktivierung lateraler Strukturen wie der

temporal-parietalen Junction (TPJ) und des ventralen prämotorischen Cortex´.

Neuronales Korrelat der Perspektivübernahme ist eine Aktivierung in der

TPJ und im ventralen prämotorischen Cortex (hier übrigens auch Spiegelneurone vermutet)

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d) Theory of Mind (Integration a bis c)

Die Fähigkeit zur TOM wird mit Hilfe von Cartoons oder Geschichten operationalisiert. Nach einer solchen Geschichte werden VPS gefragt, warum eine Person der Geschichte etwas bestimmtes getan hat. Wenn die VPs zu einer TOM nicht fähig sind, beantworten sie die Frage falsch, d.h. aus ihrer eigenen Perspektive heraus. Sie bedenken nicht, dass die Person der Geschichte eine andere Perspektive einnimmt, d.h. z.B. andere Informationen hat. Als Kontrollgeschichten dienen solche, in denen man auch verstehen muss, warum jemand etwas getan hat oder etwas passiert ist, aber ohne dass ein Perspektivwechsel und eine TOM nötig sind. Ein Beispiel für eine TOM-Story wäre die Sally-Ann-Task:

Operationalisierung:

Die Geschichte endet mit der Frage: Wo sucht Sally Ann (linkes Mädchen) nach ihrem Teddybären?

TOM-Geschichten führen zu einer erhöhten Aktivierung des MPFC, temporaler Regionen (STS?) und der TPJ (im Vgl. zu Kontrollgeschichten)

Ergebnisse Gallagher et al, 2000:

Vor allem die TPJ ist eine Region, die eng mit der Repräsentation mentaler „Zustände“ (so wie „falscher Überzeugungen“; siehe grauer Kasten) assoziiert ist.

Ergebnisse Saxe & Kanwisher, 2003:

Patienten mit Läsionen der TPJ zeigen signifikant weniger richtige Antworten auf Fragen nach TOM-Geschichten als gesunde VPs. (wobei mir die Effekte auf den 1. Blick nicht so groß vorkommen…)

Läsionsstudien (Samson et al, 2004):

Als DIE Region für die Repräsentation mentaler Zustande gilt derzeit die TPJ.

Sie spielt ebenfalls eine große Rolle bei der Repräsentation vom eigenen und von fremden Körpern im Raum.

False Belief: Falsche Annahme über den Informationsstand anderer Personen, aufgrund von mangelnder Perspektivübernahme. Im BSP wäre dies zu glauben, dass Sally-Ann zuerst in der Kister nach ihrem Teddybären schaut.

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Auf welchen Basisprozessen könnte TOM beruhen? (2 aktuelle Theorien) • Theory theory: TOM basiert auf Nachdenken, schlussfolgerndem Denken und

Anwendung von Wissen auf das Handeln des Anderen. • Simulationstheorie: TOM basiert auf einer (motorischen und sonstwie) Simulation

der Lage eines anderen. Wir nehmen dann an, dass der andere sich so fühlt und denkt wie wir in dieser Situation fühlen und denken (und handeln) würden. Diese Theorie ist eng mit Theorien zur Funktion von Spiegelneuronen verbunden.

• Debatte am laufen, nichts genaues weiß man nicht

3.

Empathie

Def.: Empathie:

Fähigkeit, die Gefühle anderer zu teilen und nachzuempfinden. Es wird im Beobachter ein ähnliches Gefühl wie im Beobachteten ausgelöst, so etwas wie ein „emotionales Echo“, bei dem auch vegetative Symptome auftreten können. Fördert prosoziales Verhalten

Welche Theorie erklärt die Entstehung von Empathie? Welche Grundannahme macht diese Theorie? • Simulationstheorie: Eine Grundannahme dieser Theorie ist, dass die

Repräsentationen von uns selbst und anderen überlappen, d.h. dass wir eine Art geteilter Repräsentation von uns und anderen haben.

Welche Gehirnareale sind bei empathischen Empfindungen involviert? • Eine erhöhte Aktivierung der Insula und des MPFC wird immer gefunden. Ob auch

primär-somatosensorische Areale involviert sind, ist derzeit eine Streitfrage. • Die Aktivierung primär-sensorischer Areale wird als Evidenz für die

Simulationstheorie angeführt (wozu sollte sonst eine Aktivierung primärsensorischer oder -motorischer Areale gut sein, wenn nicht zum simulieren? Zum denken werden sie ja nicht unbedingt benötigt.4

VPS gucken sich 3 Arten von Bildern an: a) Hand wird mit Spritze gepiekt, b)Hand wird mit Q-Tip angestupst, c)Apfel wird gepiekt

Avenanti et al, 2006:

Ergebnisse:

stärkste Aktivierung sensorischer Gehirnareale bei Hand-pieken. Keine Aktivierung bei Hand-Stupsen oder Apfel-Pieken.

4 Vorsicht! Augenscheinplausibilität!

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Berühmte Studie von Tania Singer: Versuchsaufbau: Liebespaare werden als VPs rekrutiert. Einer kommt in den Scanner, einer bleibt draußen. Beiden wird mit Elektroden leichter Schmerz zugefügt. Partner können sich über Spiegel sehen. Ergebnis: Während die Aktivierung im MPFC (ACC) bei Eigenschmerz ähnlich der Aktivierung bei Partnerschmerz war, war die Aktivierung in somatosensorischen Arealen bei Eigenschmerz sehr hoch und bei Partnerschmerz nicht vorhanden. Interpretation:

Neuronales Korrelat der Empathie bei körperlichem Schmerz ist v.a. eine Aktivierung des MPFC, nicht die Aktivierung primärsensorischer Areale. Spricht gegen die Simulationstheorie, weil letztere von Aktivierung primär sensorischer Areale ausgeht.

Von welchen Variablen ist das Empathie-Empfinden (und die Aktivierung der entsprechenden Areale) abhängig? Kurzantwort, nicht: • Geschlecht • Vorheriges Verhalten der beobachteten Person uns selbst gegenüber • Augenkontakt

4.

Entscheidungen im sozialen Kontext

• Bisher gibt es die folgenden Erkenntnisse aus behavioralen Daten: Obwohl das Ergebnis dasselbe ist, entscheiden VPs in unterschiedlichen

moralischen Dilemmata unterschiedlich. Z.B. sagt die Mehrzahl der Menschen im Trolley-Dilemma, sie würden einen

Menschen töten, um 5 zu retten, während die Mehrzahl der Menschen im Footbridge Dilemma sagen, dass sie dies nicht tun würden (siehe Abb.).

• Warum ist das so? Eine mögliche Erklärung ist, dass manche Dilemmata mehr Emotionen

auslösen und deswegen anders entschieden wird. Dies wird durch fMRI-Daten gestützt.

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5.

Selbstkonzept und Identität

Welche Gehirnareale sind mit Prozessen, die sich auf das Selbst (-konzept) beziehen, assoziiert? • Es gibt konvergierende Evidenz dafür, dass v.a. „cortical midline structures“ in die

Repräsentation des Selbstes involviert sind. Zu diesen Strukturen gehört u.a. der MPFC.

Studie Kelley, 2002: Versuchsaufbau:

VPS werden Persönlichkeitseigenschaften (geschrieben auf einem Bildschirm) präsentiert. Sie sollen entscheiden, wie gut diese Eigenschaften sie selbst, ein unbelebtes Objekt oder jemand anderen (hier: G.W. Bush) beschreiben.

Ergebnis:

Kontrastiert man selbstbeschreibende Eigenschaften mit den fremdbeschreibenden Eigenschaften, dann findet man eine erhöhte Aktivierung des MPFCs (A) bei selbstbeschreibenden Eigenschaften.

6.

Ein Beispiel für „Soziale“ Pathologien – Autismus

• Bisher 3 Diagnosekategorien: Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom) Asperger Syndrom Atypischer Autismus

• Inzwischen wird aber mehr und mehr die These vertreten, dass es sich um eine Spektrumsstörung mit fließenden Übergängen und unterschiedlichen Ausprägungsgraden handelt.

• Alle drei Formen zeigen aber mehr oder minder stark ausgeprägte Defizite in folgenden 3 Bereichen (Diagnosekriterien) Kommunikation (verbal und

non-verbal) Soziale Kognition und

Interaktionsverhalten Eingeschränkte Interessen

und stereotypes, repetitives Verhalten

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Welche sozialen Fähigkeiten sind bei Autisten anders ausgeprägt als bei Nicht-Autisten? Wie wurde das untersucht? • Gesichtsverarbeitung Autisten zeigen beim visuellen Scannen von

Gesichtern atypische Augenbewegungsmuster (rechtes Bild).

Autisten zeigen bei der Präsentation von Gesichtern keine Aktivierung des FG Allerdings findet sich eine Aktivierung bei

der Präsentation von Digimons (so Comic-Monster) durchaus eine Aktivierung des FG

Das deutet darauf hin, dass eine Aktivierung dieses Areals prinzipiell schon möglich ist, nur nicht bei Gesichtern.

Theorie: Gesichter evozieren bei Autisten eine Hyperaktivierung der Amygdala. Dies führt dazu, dass Autisten die (längere) Fixation von Gesichtern vermeiden, was wiederum zu einer reduzierten Aktivität des FG führt

• Blick(richtungs)verarbeitung Autistische Kinder können keine

Schlussfolgerung über mentale Zustände aus der Blickrichtung von Gesichtern ableiten.

Sie können folgende Aufgabe nicht bewältigen: • Verarbeitung biologischer Bewegung Je größer der Score einer VP auf einer Autismus-Skala (Screening-Instrument

ADOS), desto schlechter können sie biologische Bewegung verarbeiten • Theory of Mind:

Das Ableiten von Emotionen aus Blicken ist bei Autisten stark eingeschränkt. Die mit einem Selbstauskunftsfragenbogen erfasste Fähigkeit zum Mentalisieren („mentalizing score“) war ebenfalls stark herabgesetzt (im Vergleich zur Kontrollgruppe).

Alle sozialen Funktionen und Areale, die mit sozialen Funktionen assoziiert

sind, zeigen bei Autisten atypische Muster.

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Punkte der gegenwärtigen Debatte im Bereich „social neurocience“

• Eingeschränkte ökologische Validität (= Generalisierbarkeit/ ext. Validität) Inhaltliche Debatte:

• Sozialneurowissenschaften vereinfachen unzulässigerweise komplexe soziale Phänomene. Variablen, die interindividuell stark variieren, werden kaum berücksichtigt (z.B. Persönlichkeitseigenschaften)

• Sind komplexe soziale Prozesse (überhaupt) auf grundlegende kognitive Fähigkeiten reduzierbar? (und wenn ja, auf welche??)

• Psychologische Konstrukte müssen häufig heruntergebrochen werden, damit neuronale Korrelate überhaupt auffindbar werden – macht das Sinn? Korrelate komplexer Konstrukte können vielleicht nie gefunden werden?

• Wird hier eine neue Phrenologie erschaffen? Wir suchen jetzt für jede Funktion ihren Ort im Gehirn Werden voreilige Schlüsse gezogen? Ist der FG wirklich

eine Gesichtsverarbeitungsregion oder eine Region, die aktiviert wird, wenn Material präsentiert wird, für das wir Experten sind? (Vgl. Greebles)

• Gegenwärtig wird auch darüber diskutiert, ob auch Tiere zu einer TOM fähig sind.

Gesichert scheint bis jetzt, dass (manche) Tiere eine soziale Wahrnehmung haben. Analog zu den Befunden bei Menschen, gibt es bei Primaten Gehirnareale, die

selektiv auf Gesichter und Körper reagieren.

• Bei der Kontrastierung zweier Bedingungen wird die Methodologische Debatte

Aktivierung bestimmter Gehirnregionen Voxel für Voxel verglichen. Häufig wird hierbei auf eine Korrektur für multiple Vergleiche verzichtet (sowas wie die Alpha-Fehler Korrektur bei wiederholten t-Tests). Daher werden fälschlicherweise Gehirnaktivierungen gefunden, die nur durch das „Rauschen“ des Signals zustande kommen. Dieses Phänomen wurde eindrucksvoll durch eine fMRI-Messung an einem toten Lachs demonstriert (Bennett et al., 2009). Dieser zeigte (ohne eine solche Korrektur für multiple Vergleiche) bei der Darbietung von Fotos mit menschlichen Gesichtsausdrücken

eine signitfikante Aktivierung in zentralen Gehirnarealen. Mit der Korrekturformel verschwand diese Aktivierung.

• Selektionsbias führt zu Voodoo-Korrelationen (Vul et al., 2009): Häufig werden nachträglich diejenigen Gehirnregionen (Voxel) festgelgt, die mit weiteren Variablen korreliert werden sollen. Dies führt zu massiver Überschätzung der Korrelationen.

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Multisensorik (B. Röder)

Multisensorische Integration kann über verschiedene Dimensionen erfolgen: • Space • Time • Number • Meaning Zwei dieser Dimensionen werden in der Vorlesung behandelt.

Es gibt ein Ereignis („Event“), das verschiedene Sinnesmodalitäten anspricht. Die Sinnesmodalität, die das Ereignis am schnellsten verarbeitet, löst die Reaktion aus. Nadia behauptet, dass jede Sinnesmodalität Evidenz sammelt. Die Modalität, die zuerst ausreichende Evidenz hat, löst die Antwort aus. Es findet quasi ein Rennen der Modalitäten statt. Im Rahmen des Race-Modells gibt es also keine multisensorische Integration. Die Empirie findet jedoch Evidenz für multisensorische Integration, wie im Folgenden gezeigt wird.

Race Model

Evidenz für multisensorische Integration

Animals: Stein & Standford haben ein Neuron in den Colliculi Superiores gefunden, das auf mehr als eine Modalität reagiert. Es wurde gemessen, wie stark das Neuron auf visuelle, auditive und auf audio-visuelle (bimodale) Stimuli reagiert. Es hat sich gezeigt, dass die Reaktion des Neurons auf bimodale Stimuli die Summe der Einzelreaktionen auf unimodale Stimuli übersteigt (Superadditivity). Das scheint auf den ersten Blick Evidenz für multisensorische Integration zu sein.

Space/Raum

Wäre es aber nicht auch denkbar, dass es Neuronen gibt, die zwar bei bimodalem Input feuern, aber nicht integrieren? Das kommt sehr auf die Definition des Begriffes „Integration“ an. Röder nennt die folgenden Kriterien für multisensorische Integration: 1. Stein & Standford: Die multisensorische Antwort (firing rate) muss höher (niedriger) sein als die stärkste (schwächste) Antwort auf einen unimodalen Stimulus (das wird dann als multisensory enhancement bzw. depression bezeichnet).

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2. Die multisensorische Antwort auf den multimodalen Stimulus muss höher sein als die Summe der Antworten auf die unimodalen Stimuli (= Superadditivity). Nach beiden Kriterien kann das von Stein & Standford gefundene Neuron also als multisensorisches Integrationsneuron bezeichnet werden. Frau Röder betont, dass zwischen multisensorischen Neuronen unterschieden werden muss, die einfach nur bei mehr als einer Sinnesmodalität feuern und multisensorischen Integrationsneuronen, die (je nach Definition) entweder mit einer höheren Feuerrate auf multisensorische Stimuli als auf unimodale Stimuli antworten oder deren Antwort auf einen multimodalen Stimulus höher ist als die Summe der Antworten auf die unimodalen Stimuli. Zwischenbemerkung von Frau Röder: Stein beschreibt multisensorische Integration folgendermaßen: Unter multisensorischer Integration werden Prozesse verstanden, die bei der Synthetisierung (Verschmelzung/Interaktion der Inhalte) Cross-Modaler Stimuli eine Rolle spielen. Cross-Modale Stimuli sind Stimuli, die mehr als eine Modalität ansprechen. Multisensorische Integration lässt sich von multisensorischer Interaktion abgrenzen. Multisensorische Interaktion ist ein generellerer Oberbegriff, unter den der Begriff der multisensorischen Integration fällt. Integrationsneuronen haben rezeptive Felder, die sich überlappen. Damit das Integrationsneuron feuert, muss der Stimulus in den Teil der rezeptiven Felder fallen, die sich überlappen. Versuch (Stein 1989): Katzen wurden zur Lokalisation von Stimuli trainiert. Es hat sich gezeigt, dass die Lokalisationsgenauigkeit bei bimodalen Stimuli höher als bei unimodalen Stimuli ist (in der Graphik rechts ist die Prozentzahl der korrekten Antworten auf die unimodalen Stimuli in grauen Balken gegeben, während die schwarzen Balken die Prozentzahl der korrekten Antworten auf bimodale Stimuli angibt). Inverse effectiveness rule: Je weniger reliabel der unimodale Stimulus ist, desto höher der Gewinn durch multisensorische Integration (d.h. höhere firing rate oder improvement in localisation accuracy).

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Redundant Target effect (Redundanzeffekt): Eine Vpn hat die Aufgabe, in der gleichen Weise auf einen bimodalen Stimulus (bspw. einen audio-visuellen Stimulus) oder einen unimodalen Stimulus, der aus einer der Komponenten des bimodalen Stimulus besteht, zu reagieren. Es zeigt sich, dass Reaktionszeiten auf bimodale Stimuli kürzer sind als Reaktionszeiten auf unimodale Stimuli. Die schnelleren Reaktionen auf die redundanten (bimodalen) Reize sind laut Röder ein Hinweis darauf, dass die Informationen aus den Sinnessystemen in irgendeiner Weise integriert werden. Wieso? Nach dem Race-Model löst diejenige Sinnesmodalität eine Reaktion aus, die als erstes verarbeitet wird. Im Falle eines bimodalen (bspw. auditiven & visuellen) Stimulus konkurrieren also zwei verschiedene Modalitäten darum, die Reaktion auslösen zu können. Dabei tritt ein so genannter statistical facilitation effect auf. Der statistical facilitation effect besagt, dass sich die Reaktionszeit für bimodale Stimuli alleine schon aus statistischen Gründen verkürzen muss. Wie soll das funktionieren? Es wird angenommen, dass ein Stimulus von einer Modalität so verarbeitet wird, dass er mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nach einer bestimmten Zeit t0 eine Reaktion auslöst. Wenn nun zwei Modalitäten durch einen Stimulus angesprochen werden, dann erhöht man damit die Wahrscheinlichkeit, dass die Reaktion nach t0

ausgelöst wird. Wenn man bspw. mit zwei Würfeln würfelt, dann ist die Wahrscheinlichkeit eine Sechs zu würfeln auch größer als beim Wurf mit nur einem Würfel (11/36 > 1/6). Unter Annahme des Race-Models kann also erklärt werden, warum bimodale Stimuli schneller verarbeitet werden als unimodale Stimuli, wenn man den statistical facilitation effect berücksichtigt. Es lässt sich nun jedoch zeigen, dass der Redundanzeffect so stark ist, dass er nicht mehr von dem Race-Model unter Berücksichtung der statistical facilitation erklärt werden kann. Wird der statistical facilitation effect beim Race-Model berücksichtig, dann hat folgende Gleichung Gültigkeit: P(RTAV < t0) </= P(RTA < t0) + P(RTV < t0). Die grünen Kurven (Abb. unten) seien die Wahrscheinlichkeiten dafür, dass bis zum Zeitpunkt t0 eine Reaktion auf einen unimodalen Stimulus (P(RTA < t0) oder P(RTV <t0)) erfolgt. Das Race-Model sagt nun unter Berücksichtigung des statistical facilitation effects gemäß der obigen Gleichung vorher, dass es keine empirische Verteilung für die bimodalen Stimuli geben kann, die links von der roten Kurve liegen (die zweite rote Kurve scheint ein Zeichenfehler zu sein). Würde es eine Verteilung geben, die in kumulierter Form so wie die blaue Kurve aussieht (das ist die

Rote Kurve = Vorhersage Race Model + statistical facilitation effect Blaue Kurve = Vorhersage der multisensorischen Integration

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Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein bimodaler Reiz eine Reaktion bis zum Zeitpunkt t auslöst), dann ist das Race Model falsch.

Experiment Gondan: Gondan hat nun mit Hilfe eines Experimentes versucht, das Race-Model zu wiederlegen. Die VPN sollten immer dann eine Taste drücken, wenn sie ein Doppellicht (LL) oder einen Doppelton (NN) hören. Die Reize kamen entweder von demselben Ort oder von unterschiedlichen Orten. Es wurden also unimodale (entweder NN oder LL) oder bimodale (NNL oder LLN) Stimuli als Target dargeboten. ErgebnisseEs hat sich gezeigt, dass Reaktionszeiten für bimodale Stimuli kürzer sind. Außerdem werden räumlich kongruente Stimuli schneller verarbeitet. Raum (=Space) scheint also als Integrationsmittel verwendet zu werden.

:

Es gibt einen räumlichen Kongruenzeffekt (Folie 18). Um das zu zeigen wurde das Gehirn für bimodale Stimuli untersucht, die entweder räumlich kongruent oder inkongruent waren. Zwischen räumlich kongruenten und inkongruenten Stimuli hat sich ein Unterschied gezeigt, der im (superioren) parietalen Kortex nach etwa 150 ms auftrat. Außerdem konnte für die bimodalen Stimuli eine Kurve (blau) gefunden werden, die den Vorhersagen des Race-Models widerspricht. Die blaue Kurve (kumulierte Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein bimodaler Reiz eine Reaktion bis zum Zeitpunkt t auslöst) zeigt, dass es eine Verteilung gibt, die links von der roten Kurve liegt. Ergo, auch wenn man den statistical facilitation effect berücksichtigt, kann das Race-Model die Daten nicht erklären. Interpretation

: Das ist ein Hinweis darauf, dass wohl multisensorische Integration stattfindet.

Frau Röder stellt nun die Frage, ob sensorischer Input automatisch in eine supramodale (also nicht an eine Modalität gebundene) Repräsentation integriert wird. Um diese Frage zu beantworten, stellt Frau Röder ein Experiment von Hötting vor (nächste Seite).

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Hötting et al, 2003: Dargeboten wurden Geräusche und Berührungen. Probanden sollten nur auf eine Modalität und nur auf eine Seite achten. Wenn sie bspw. nur auf die linke Seite achten sollten, dann mussten sie nur dann reagieren, wenn sie zweimal auf der linken Seite ein Geräusch hörten. Was auf der rechten Seite passierte, sollte ignoriert werden. Gemessen wurden die EKPs für Töne. Ergebnisse:

Beachtete Seite Unbeachtete Seite

Auditive Stimuli beachtet

A B

Taktile Stimuli beachtet

C D

Höhe der auditiven EKPs: A > B > C > D, wie auch im Bild rechts dargestellt. Intermodal Attention Effect: Auditorische EKPs höher, wenn Hören relevant war, d.h. A > C und B > D (blauen Linien sind höher als die schwarzen). Spatial Attention Effect: Auditorische EKPs höher, wenn sie auf der relevanten Seite auftraten, d.h. A > B. Crossmodal spatial attention effect: Auditorische EKPs sind höher, wenn sie auf der beachteten Seite auftreten, auch dann, wenn nur taktile Stimuli aufgabenrelevant sind. Mit anderen Worten: C > D. M.a.W.: Wenn die Aufmerksamkeit räumlich auf einen Ort gerichtet wird, werden auch Stimuli von der Sinnesmodalität verarbeitet, die nicht aufgabenrelevant ist. Alle Attention Effects treten zum selben Zeitpunkt auf (ca. 120 ms.). Frau Röder bemerkt, dass man ähnliche Ergebnisse auch für somatosensorische EKPs bekommt. Insbesondere der Crossmodale Attention Effect zeigt nun, dass räumliche Aufmerksamkeit nicht sinnesmodalitätsspezifisch ist. Raum spielt eine Rolle, unabhängig davon, auf welche Modalität geachtet werden soll. Es zeigt sich jedoch, dass nach etwa 200ms eine modalitätsspezifische Selektion des relevanten Stimulus erfolgt (blaue durchgezogene Linie).

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Eimer 1999: Können wir unsere räumliche Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Modalität richten? Nach ca. 200 ms kann man willentlich seine räumliche Aufmerksamkeit aufteilen zwischen verschieden Sinnesmodalitäten (crossmodal separation).

Was genau hat es mit der supramodalen räumlichen Repräsentation auf sich? Die Idee ist, dass es eine so genannte „externe räumliche Repräsentation“ bzw. einen „External Reference Frame“ gibt, der unabhängig von Modalitäten ist.

External Reference Frame

Spence, temporal order judgement task, behavioural study (Shore, Spry & Spence 2002): VPN sitzt und bekommt taktile Stimuli an den Händen dargeboten, an jeder Hand einen. Es werden verschiedene Interstimulus-Intervalle benutzt. Die Versuchsperson soll sagen, an welcher Hand der Stimulus zuerst dargeboten wurde. In einer Bedingung lagen die Arme parallel zueinander, in der anderen Bedingung waren die Arme gekreuzt. Ergebnis

: Für gekreuzte Arme ist die Reaktionszeit länger. Die Tatsache, dass die Reaktionszeit für gekreuzte Arme höher ist, kann nur dadurch erklärt werden (so Frau Röder), dass ein „remapping“ des Stimulus für den External Reference Frame stattfinden muss. Denn die externen Koordinaten befinden sich im Konflikt mit den somatotopischen Koordinaten. Es kostet natürlich Zeit diesen Konflikt aufzulösen. Frau Röder glaubt, dass das Evidenz für den External Reference Frame ist.

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Wann findet das remapping statt?

Röder, Föcker, Hötting & Spence: Wieder werden taktile Stimuli dargeboten. Dabei werden die EKPs aufgezeichnet. Die VPN soll auf eine Hand achten. Es zeigen sich Spatial Attention Effects. Die Idee ist nun, dass man sich anschaut, ob sich die Spatial Attention Effects unterscheiden, je nachdem, ob die Arme gekreuzt oder parallel sind. Würde es nur auf die Somatotopie ankommen, dann dürfte es keinen Unterschied in den EKPs geben. Wenn aber ein spatial remapping erfolgt, dann sind Unterschiede in den EKPs wahrscheinlich. Ergebnisse

: Es haben sich Unterschiede im Spatial Attention Effect für die Parallel-Hand-Bedingung und die Gekreuzte-Hand-Bedingung ergeben: Der Spatial Attention Effect bei der Parallelen-Hand-Bedingung tritt früher auf und ist größer. Das remapping ist nach 120 ms abgeschlossen (siehe Abb. rechts, dort wo die Kurven die x-Achse schneiden).

Space Body Schema (Maravita): Crossmodal congruency task: Einer VPN werden taktile Stimuli an der rechten Hand dargeboten, und zwar entweder am Daumen oder am Zeigefinger. Am Daumen und am Zeigefinger der rechten als auch der linken Hand befinden sich ebenfalls Lichter. Eines dieser Lichter leuchtet zeitgleich mit dem taktilen Stimulus auf (welches aufleuchtet ist wohl zufällig). Aufgabe der Versuchsperson ist es, den taktilen Reiz zu lokalisieren; es soll gesagt werden, an welchem Finger die Berührung stattgefunden hat. Die visuellen Stimuli sind also aufgabenirrelevant. Ein Stimulus wird als kongruent bezeichnet, wenn der taktile Reiz dort auftritt, wo auch der visuelle Reiz dargeboten wird. Ist das nicht der Fall, dann wird der Stimulus als inkongruent bezeichnet. ErgebnisWenn nun bspw. ein taktiler Reiz am Daumen (unten) der rechten Hand dargeboten wird und das Licht am Zeigefinger (oben) der rechten Hand aufleuchtet (wenn der Stimulus also inkongruent ist), dann verzögert sich die Reaktion auf den Stimulus um 62 ms im Vergleich zu einem kongruenten Stimulus.

:

Es tritt der so genannte crossmodal (in)congruency effect auf (der crossmodal incongruency effect ist definiert als die Differenz zwischen kongruenten und inkongruenten Stimuli). Werden die Arme überkreuzt, dann erhöht sich dieser Effekt. Das Ganze funktioniert auch dann, wenn nicht die Arme sondern Tools gekreuzt werden. Das deutet darauf hin, dass taktiler Input in den external reference frame gemappt wird und dass wir Tools in unsere Repräsentation von taktilen Räumen einbeziehen.

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Zeit

Licht ist schneller als Schall. In den superioren colliculi werden visuelle Stimuli jedoch langsamer verarbeit als auditive Stimuli. Das kompensiert die Differenz in den Transportgeschwindigkeiten. Rest gestrichen

Bedeutung

McGurk Effect: Akkustische Signal: Ba ba Visuelle Signal: Ga ga Wahrnehmung: Da da Risberg & Lubker 1978: Das Erkennen von Schlüsselwörtern nur anhand der Lippenbewegungen fällt sehr schwer. Wenn nur low-pass gefilterte Sprache dargeboten wird (= nur tiefe Frequenzen), dann können auch nur sehr wenige Schlüsselwörter erkannt werden. Werden aber low-pass gefilterte Sprache und Lippenbewegungen zugleich dargeboten, so ist die Prozentzahl der erkannten Schlüsselwörter deutlich höher als die Summe der in den vorherigen Bedingungen erkannten Schlüsselwörter (Abb. rechts, grüner Balken). Evidenz für Integration von auditivem und visuellem Stimulus auf der Bedeutungsebene. Wo passiert aber die Integration? Eine FMRT Studie (Calvert 1997) zeigt, dass das Sehen von Lippenbewegungen Regionen im auditiven Cortex aktiviert, die sonst beim Verstehen von Sprache aktiviert sind. Es gibt direkten Einfluss des visuellen auf den auditorischen Cortex.

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Animals Ghazanfar et al. 2005: Affen wurden Affenlaute und dazu kongruente oder inkongruente Affengesichtsbewegungen dargeboten. Aktivität der Neuronen wurde in der Core Region und der Belt Region abgeleitet. Es zeigt sich, dass kongruente Gesichtsausdrücke die Aktivität in den entsprechenden Regionen (Core und Belt) im Vergleich zum auditiven Stimulus allein steigern (erste und dritte Zeile von oben in Abb. rechts unten, roter Balken), während inkongruente Gesichtsausdrücke die Aktivität herabsetzen (zweite und vierte Zeile von oben in Abb. rechts unten, roter Balken). Die Aktivität in der Core Region und in der Belt Region werden also von visuellem Input moduliert. Zur Kontrolle wurden anstelle der Affengesichtsausdrücke auch „Disks“ dargeboten. Diese Disks konnten die Aktivität in Core und Belt Region nicht so gut modulieren wie die Gesichter.

Menschen Pekkola et al. 2005: Den VPN wurden visuelle und auditive Stimuli dargeboten. Die auditiven Stimuli waren Vokale. Die visuellen Stimuli waren entweder entsprechend bewegte Gesichter oder Gesichter, auf denen nur ein Kreis zusammengezogen oder expandiert wurde. Es wurde die Aktivität im Heschl‘schen Gyrus (der irgendwo im auditiven Cortex liegt) ausgewertet. Es hat sich gezeigt, dass die visuelle Wahrnehmung den Heschl‘schen Gyrus aktiviert hat, und zwar für bewegte Gesichter stärker als für bewegte Kreise. Ob das ein bottom-up Prozess oder ein Top-down Prozess ist, bleibt unklar.

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Aktivierung des Heschl'schen Gyrus

Macaluso et al. 2000 Haben den VPN visuelle und taktile Stimuli präsentiert. Die Aktivität im linken lingualen Gyrus wurde gemessen. Zuerst wurden nur visuelle Stimuli präsentiert. Dabei hat sich gezeigt, dass nur visuelle Stimuli auf der rechten Körperseite die Aktivität im linken visuellen Cortex erhöhen. Dann wurden zusätzlich auch noch Berührungen auf der rechten Seite dargeboten. Diese Berührungen haben die Aktivität weiter erhöht. Räumlich kongruenter taktiler Input erhöht also die Aktivität des visuellen Kortex; taktiler Input kann visuelle Verarbeitung modulieren. Das Ganze funktioniert auch andersherum. Visueller Input kann auch die taktile Wahrnehmung beeinflussen: Kennett et al. 2001 Es wurden two-point-thresholds für taktile Wahrnehmung am Arm gemessen. Insgesamt gab es dabei 4 Bedingungen:

1. Der Arm konnte nicht gesehen werden (dunkel).

2. Der Arm konnte gesehen werden (aber nicht dort, wo der Threshold gemessen wurde).

3. Der Arm konnte durch ein Vergrößerungsglas gesehen werden (auch nicht da, wo der threshold gemessen wurde).

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4. Es konnte nur ein anderes Objekt anstelle des Armes gesehen werden. Ergebnis

: Wenn die Probanden den Arm sehen konnten, dann waren die two-point thresholds niedriger. Noch niedriger waren die two-point thresholds, wenn der Arm vergrößert wurde. Also: TPT(4) > TPT(1) > TPT (2) > TPT (3)

Conclusion = ? Wo passiert die Integration?

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Attention and Consciousness (D. Senkowski)

Anmerkung: Herr Senkowski hat den Hinweis gegeben, dass zur Beantwortung der Fragen zu „Attention and Consciousness“ der 17 Seiten lange Artikel von Knudsen (2007) gelesen werden sollte! Eine Zusammenfassung der relevanten Teile findet sich im Anschluss an die Vorlesung.

Definition Aufmerksamkeit (James, 1890):

“Everyone knows what attention is. It is the taking possession by the mind in clear and vivid form, of one out of what seem several simultaneously possible objects or trains of thought… It implies withdrawal from some things in order to deal effectively with others“

1. Modelle selektiver Aufmerksamkeit

In einem klassischen Experiment, dass jeder von uns kennen dürfte, untersuchte Hermann von Helmholtz (1821-1894) bereits sehr früh Aufmerksamkeit und wie der Fokus der Aufmerksamkeit funktioniert. • Aufmerksamkeit als „spotlight“: Er stellte fest, dass er Elemente (Buchstaben) auf

eine blitzweise beleuchteten Wand dann erkennen (bzw. memorieren) konnte, wenn sich seine Aufmerksamkeit schon vor dem Lichtblitz an dem entsprechenden Ort befunden hatte (wenn er also seine Aufmerksamkeit wie einen Lichtkegel auf die Stelle gerichtet hatte)

• Beim Experiment war der Blick zentral fixiert, nur die Aufmerksamkeit wurde auf unterschiedliche Orte gerichtet

Spotlight of Attention bedeutet also, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf Orte richten können, die unabhängig von unserer Blickrichtung sind

Kann das Spotlight der Aufmerksamkeit auch geteilt werden?

Hat man sich später gefragt. Könnte es sein, dass wir quasi mehrere Spotlights haben, die wir auf verschiedene Orte richten können? In einem Experiment gingen Müller et al. (2003) dieser Frage nach:

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ERP-Experiment mit steady state visually evoked potentials (SSVEP):

Ausgangspunkt: Wenn wir Elemente auf einem Display sehen, die in einer bestimmten Frequenz flackern, reagieren bestimmte Neurone im Kortex in derselben Frequenz (= gleiche Feuerrate). Design- Präsentiert wurden vier verschiedene visuelle Streams mit Elementen, die kontinuierlich ihre

Form änderten

:

- Probanden sollten auf zwei bestimmte Streams und auf bestimmte darauf erscheinende Target-Elemente achten

- Die Elemente tauchten in unterschiedlichen Raten auf den verschiedenen Streams auf (presentation rates)

- So konnte parallel die Verarbeitung jedes einzelnen Elementes auf jedem Stream untersucht werden

Frage

: Was passiert, wenn man auf zwei Streams gleichzeitig achtet? Wird dadurch eine Verstärkung der neuronalen Antwort der zwei Streams gegenüber den nicht beachteten Streams verursacht?

Ergebnis

: Wenn auf zwei Orte (Streams) parallel geachtet wird, hat dies ein verstärktes Signal in den kontralateralen okzipitalen Regionen zur Folge. D.h., beide beachteten Elemente verursachen parallel eine verstärkte Aktivation auf der kontralateralen Seite.

Die Tatsache, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf mehr als einen Ort gleichzeitig

richten können, wurde durch dieses Experiment erstmals belegt.

• Erste Modelle zu Aufmerksamkeit waren mathematische Weitere Erkenntnisse in aller Kürze:

• Es gibt eine limitierte Kapazität für Aufmerksamkeit bei Menschen (wow). Diese führt zu Flugzeugabstürzen und vielen weiteren schlimmen Dingen, weil wir das alles nicht auf einmal verarbeiten können Filter-Theorie der Aufmerksamkeit (Broadbent, 1958)

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• Cocktailparty-Phänomen als real life Beispiel Wir können unsere Aufmerksamkeit trotz mehrerer Gespräche auf ein

bestimmtes Gespräch fokussieren wir haben zwar zwei Ohren, hören aber nur eine Stimme pro Sprecher Diese Phänomene wurden sehr gern mit sog. Shadowing-Experimenten

untersucht: Kopfhörer: Man hört auf beiden Ohren unterschiedliche Informationen.

Probanden werden instruiert nur auf ein Ohr zu achten. Sollen im Anschluss berichten, was sie auf dem nichtbeachteten Ohr gehört haben: • Veränderung der Sprache wird nicht gehört • Rückwärts abgespielte Sprache wird auch oft nicht erkannt • Breakthrough-Phänomene: Eigener Name wird erkannt

• Attenuationstheorie (Treismann, 1960): Filter moduliert den Input. Der nichtbeachtete Kanal wird nicht vollkommen

abgeschaltet, sondern abgeschwächt Es wird bereits sehr früh auf sensorischer Ebene (Stimme männl. vs. weibl)

gefiltert Biologisch relevante (eigener Name) und emotional wichtige Inputs werden

nicht abgeschwächt; aus diesem Grunde sind Breakthrough-Effekte möglich. • Theorien später Filter (Deutsch & Deutsch, 1963) Alle Stimuli werden auf einem semantischen Level analysiert, aber nur einige

Inputs lösen auch eine Reaktion aus Nichtbeachtete Inputs werden erst dann beachtet, wenn eine gewisse Schwelle

überschritten wird, bzw. wenn ihre Relevanz die Relevanz der beachteten Inputs übersteigt. Durch den sehr späten Filter sind unbewusste Verarbeitungen möglich, da

wir uns der semantischen Verarbeitung nicht bewusst sein müssen Es gibt viele verschiedene Filtertheorien. Welche gilt, ist aber auf behavioraler

Ebene nicht untersuchbar, da die behaviorale Reaktion bei frühen vs. späten Filtern die gleiche sein kann. Welches Modell gilt, sollte deshalb z.B. mit Hilfe elektrophysiologischer Studien untersucht werden.

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2. Fundamentale Komponenten der Aufmerksamkeit

Es werden vier verschiedene fundamentale Komponenten der Aufmerksamkeit unterschieden (Knudsen, 2007), die im Folgenden näher erläutert werden:

1. Salience Filters 2. Competitive Selection 3. Working Memory 4. Sensitivity Control

• Sehr früh 1. Salience Filters

• Bottom-Up • Blockt bzw. verstärkt den

Input • Beispiel aus „visual

Perception“: Mehrere visuelle Stimuli wenn diese eine Linie

bilden, verstärken sie sich gegenseitig = collinear facilitation

Elemente, die nicht auf der Linie liegen inhibieren sich gegenseitig

Neurone stehen im Wettbewerb miteinander. Alles oder nichts- The Winner takes it all:

2. Competitive Selection

• Es wird nach dem salientesten Input gesucht, der sich durch bottom-up Salience Filters und top down Aufmerksamkeits-prozesse ergibt

Wurde experimentell (nächste Seite) getestet:

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Experiment: Visuelles Suchparadigma bei Affen Versuchsaufbau: Einem Affen wurde zunächst zentral ein Target-Element präsentiert, danach Delay, dann wurden mehrere Elemente präsentiert und er sollte eine Sakkade auf das Element machen, das vorher präsentiert wurde. Währenddessen wurden Neurone in V5 (höheres visuelles Areal) abgeleitet. Ergebnis

Wurde dem Affen in einer anderen Bedingung z.B. eine Tasse präsentiert (poor stimulus) und er sollte eine Sakkade auf die Tasse machen, so zeigte sich dass die Aktivität des Blumen-Neurons zurückging.

: Es zeigte sich, dass Neurone in V5 auf spezifische Elemente spezialisiert sind. Wurde eine Blume als Target präsentiert (good stimulus) und der Affe sollte eine Sakkade darauf machen, feuerte das „Blumen-Neuron“ verstärkt.

Interpretation

: Wenn wir in unserer Umwelt relevante Information selektieren, dann werden Neurone in ihrer Antwort verstärkt, die diese relevante Information repräsentieren. Die Selektion findet ab einer hohen/späten Verarbeitungsstufe statt.

Annahme, dass folgende Komponenten unterschieden werden können.: 3. Working Memory

• Visuospatial Sketchpad Visuelle Verarbeitung Funktioniert ohne Wiederholung Lokation: Inferiorer und dorsaler frontaler Kortex

• Phonological Loop Funktioniert durch Wiederholung von auditivem Material Lokalisiert in auditorischen Arealen (Broca)

• Zentrale Exekutive Niemand weiß so richtig was das sein soll, oder welche Netzwerke involviert

sein sollen Soll aber irgendwo im lateralen frontalen Kortex lokalisiert sein und exekutive

Aufgaben ausführen Messung von Working Memory Performance Eine besondere Rolle wird dem PFC zugesprochen. Hinweise darauf ergeben sich daraus, dass beim Menschen im Gegensatz zum Affen der FC stark vergrößert ist und

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dieser neben motorischen Funktionen vor allem exekutive- und Gedächtnisfunktionen hat.

Experiment zu Working Memory: Affen sollten sich an einen Schmetterling erinnern. Währenddessen wurde die Aktivität im PFC gemessen. Man sieht (Abb.), dass jedes Mal wenn ein Objekt präsentiert wird, die Aktivität sich erhöht. Die höchste Aktivierung wurde jedoch gemessen, wenn das präsentiert Objekt dem Target entsprach. Interpretation: Es findet ein Abgleich der präsentierten Objekte mit dem im Arbeitsgedächtnis „gehaltenem“ Objekt statt. Wegen diesem Abgleich ist bei Präsentation jedes Objektes ein Anstieg der Aktivität zu beobachten. Besonders striking

: Auch in der Delay-Periode, also wenn kein Objekt präsentiert wurde, wurde PFC-Aktivität gemessen. Dieses kontinuierliche Aktivationsmuster während der Delay-Phase deutet auf Arbeitsgedächtnis-Prozesse hin.

• Topdown Aufmerksamkeits- Prozesse 4. Sensitivity Control

• Moduliert/Verbessert Verhältnis von Signal-zu-Rauschen • Laut D. Senkowski die Hauptkomponente von Aufmerksamkeitsprozessen • Drei Strukturen sind hervorzuheben Visueller Cortex Superiorer Colliculus (SC) Integration von Infos verschiedener Modalitäten Attentional Biasing Kontrolle von Augenbewegungen

Frontal eye fields (FEF) • Dennoch: Praktisch alle Areale werden durch

Top-Down-Prozesse moduliert (siehe Abbildung)

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Welche Rolle spielt der FC für die Aufmerksamkeit Der Einfluss von frontalen Arealen auf posteriore Areale wurde an Affen untersucht.

Stimulus wurde präsentiert und die Aktivität in V4 wurde gemessen (schwarz). Gleichzeitig wurden frontal eye fields (FEF) stimuliert (rot) und die Aktivität gemessen. Ergebnis

Aber: Die spätere Aktivität ist erhöht, wenn FEF stimuliert wurden. D.h. die Aktivität in V4 wird direkt durch Stimulation der FEF beeinflusst.

: Anfangs zeigt sich kein Unterschied im Aktivationsmuster, egal ob FEF stimuliert wurden oder nicht.

Interpretation

: Evidenz dafür, dass Top-Down-Prozesse in frontalen Arealen niedrigere visuelle Areale modulieren.

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3. Neuronale Synchronizität und Aufmerksamkeit

Binding Hypothese Frage: Wie sind wir in der Lage visuell zwischen zwei Objekten zu unterscheiden? Welche Mechanismen führen dazu, dass wir zwei Objekte als unterscheidbar wahrnehmen? Im Beispiel Frau und Katze. Lösung: Zellensembles, die die Frau repräsentieren synchronisieren sich und oszillieren zusammen und auch Zellensembles, die die Katze repräsentieren oszillieren zusammen. Binding by Synchrony

Anderes Beispiel: Manchmal sieht man ein- oder zwei Gesichter. Was passiert nun neuronal wenn man ein- vs. zwei Gesichter sieht? Annahme: Wenn man ein Gesichte sieht, synchronisieren sich die Zellgruppen, die Objekt 1 und Objekt 2 repräsentieren miteinander. Evidenz für Binding by Synchrony von Fries et al. (2001)

Affen sollten auf Fixationspunkt schauen. Sollte dann eine Sakkade auf das untere oder obere Objekt machen. Gleichzeitig Aufzeichnung in V4. Ergebnis

: Es konnte eine stärkere rhythmische Aktivität gemessen werden, wenn der Affe auf das Objekt schaute, dessen Neurone in V4 abgeleitet wurden. Besonders relevant für Synchronizität scheint die Gamma-Band-Aktivität zu sein.

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Zusammenfassung Knudsen (2007)

Intro: 1. Für adaptives Verhalten ist Informationsselektion wichtig das muss man immer machen

und diese Funktion heißt Aufmerksamkeit

4 Komponenten: 1. Arbeitsgedächtnis: Dreh- und Angelpunkt des Modells. Es geht immer darum, welche Stimuli

dort „Zutritt“ erhalten und prozessiert werden und welche nicht. „Zutritt“ erhält derjenige Stimulus, der als Sieger aus dem Selektionswettbewerb („competitive selection“) hervorgeht, d.h. die stärkste Aktivierung vorweisen kann.

2. Der Selektionswettbewerb läuft nach dem „the-winner-taks-it-all“-Prinzip und wird durch 2 Prozesse moduliert, die beide auf die neuronalen Repräsentationen von Stimuli einwirken:

a. Ein bottom-up-Prozess: frühe Salienzfilter. Sie führen dazu, dass bestimmte Stimuli, die biologisch wichtig sind (Wichtigkeit kann erlernt oder angeboren sein) schon von den ersten sensorischen Verarbeitungsschritten an verstärkt werden. So werden z.B. räumlich oder zeitlich seltene Reize verstärkt (angeborener Mechanismus), da sich das wohl als evolutionär günstig erwiesen hat. Seltene Reize sind sowas wie ein rotes Etwas zwischen ganz vielen grünen Dingern oder ein plötzlicher Ton inmitten von Stille. Das funktioniert über große Netzwerke lateraler Inhibition. Wird ein Stimulus aufgrund von frühen Filtern ins AG eingelassen, empfindet der Mensch dies als „pop-out-effect“

b. Ein top-down-Prozess: Sensitivitätskontrolle. Hier werden praktisch top-down bestimmte Voreinstellungen gewählt, die dazu führen, dass bestimmte Stimuli verstärkte Aktivierung erhalten, also z.B. die bewusste Wahl, jetzt verstärkt auf auditive Reize zu achten. Die Sensitivitätskontrolle unterliegt wiederum z.T. dem AG sowie Informationen aus dem Selektionsprozess und aus der Blickkontrolle.

3. Man sieht also, dass Aufmerksamkeit aus 4 Komponenten besteht, die in einer rekurrenten Schleife in einer Art dauernden Regelkreislauf zusammenspielen.

Zu den einzelnen Komponenten:

AG: 1. Hat begrenzte Kapazität 2. Auch im AG finden weiter kompetitive Prozesse statt, die darüber bestimmen, welche Stimuli

und Prozesse die volle Kontrolle über das AG erhalten 3. Kann angeblich nur die Informationen aus einem Sinnessystem zur Zeit verarbeiten 4. PFC-Aktivierung ist mit AG-Prozessen assoziiert

a. PFC wahrscheinlich als exekutive Kontrollinstanz (Vgl. VL Wendt) b. PFC hat viele reziproke Verbindungen zu den meisten kortikalen und subcorticalen

Arealen c. Evidenz: Aktivierung von Neuronen des PFCs speziell in der Delay-Phase

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Experiment zu Working Memory: Affen sollten sich an einen Schmetterling erinnern. Währenddessen wurde die Aktivität im PFC gemessen. Man sieht (Abb.), dass jedes Mal wenn ein Objekt präsentiert wird, die Aktivität sich erhöht. Die höchste Aktivierung wurde jedoch gemessen, wenn das präsentiert Objekt dem Target entsprach. Interpretation: Es findet ein Abgleich der präsentierten Objekte mit dem im Arbeitsgedächtnis „gehaltenem“ Objekt statt. Wegen diesem Abgleich ist bei Präsentation jedes Objektes ein Anstieg der Aktivität zu beobachten. Besonders striking

: Auch in der Delay-Periode, also wenn kein Objekt präsentiert wurde, wurde PFC-Aktivität gemessen. Dieses kontinuierliche Aktivationsmuster während der Delay-Phase deutet auf Arbeitsgedächtnis-Prozesse hin.

5. Räumliches AG ist mit DLPFC und PPC assoziiert a. Beide Strukturen sind stark miteinander vernetzt

Top-down Sensitivitätskontrolle 1. Mechanismen:

a. Ein Mechanismus dafür ist, orientierende Bewegungen in Richtung relevanter Reize zu initiieren (z.B. Blickbewegungen) und damit eine bessere Auflösung der prozessierten Info zu erhalten

b. Ein zweiter Mechanismus dafür ist, die Sensibilität derjenigen neuronalen Netzwerke zu stärken, die die relevante Information repräsentieren und damit das Verhältnis zwischen Signal und Rauschen zu verbessern

2. Es kann die Aktivität von fast allen Gehirnstrukturen verstärkt werden (Neocortex, SC, limbischer Cortex, Basalganglien, Cerebellum, alles was du willst)

3. Evidenz: a. Müssen Affen irgendwelche Entscheidungen treffen, dann ist sind die Neurone, die

einen bestimmten Stimulus repräsentieren, stärker aktiviert, wenn der Stimulus verhaltensrelevant ist als wenn derselbe Stimulus nicht verhaltensrelevant ist

b. Auch zeigen die Neurone ein und desselben RFs eine unterschiedlich starke Aktivierung, je nachdem, ob sie ein verhaltensrelevantes Feature kodieren oder nicht

4. Experiment: Visuelles Suchparadigma bei Affen

5. Versuchsaufbauzunächst zentral ein Target-Element

: Einem Affen wurde

präsentiert, danach Delay, dann wurden mehrere Elemente präsentiert und er sollte eine Sakkade auf das Element machen, das vorher präsentiert wurde. Währenddessen

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wurden Neurone in V5 (höheres visuelles Areal) abgeleitet. 6. Ergebnis

7. Wurde dem Affen in einer anderen Bedingung z.B. eine Tasse präsentiert (poor stimulus) und er

: Es zeigte sich, dass Neurone in V5 auf spezifische Elemente spezialisiert sind. Wurde eine Blume als Target präsentiert (good stimulus) und der Affe sollte eine Sakkade darauf machen, feuerte das „Blumen-Neuron“ verstärkt.

sollte eine Sakkade auf die Tasse machen, so zeigte sich dass die Aktivität des Blumen-Neurons zurückging.

8. Interpretationrelevante Information selektieren, dann

: Wenn wir in unserer Umwelt

werden Neurone in ihrer Antwort verstärkt, die diese relevante Information repräsentieren. Die Selektion findet ab einer hohen/späten Verarbeitungsstufe statt.

9. Hier spielen auch Bewertungsprozesse eine Rolle

a. Man findet auch LIP-Aktivierung (Vgl. Tobias „decision making“)

Räumliche Sensitivitätskontrolle 1. Häufig wird Aufmerksamkeit räumlich auf etwas gerichtet 2. So können z.B. Neurone hoher visueller Areale die Empfindlichkeit von Neuronen auf

niedrigerem Level für bestimmte RFs erhöhen 3. Das ist mit ziemlich viel Arbeit verbunden, denn wie wir ja wissen (Vgl. Multisensorik) wird

räumliche Info in einem supramodalen (=modalitätsunabhängigen) Referenzrahmen repräsentiert, d.h. wenn bestimmte niedrigere sensorische Areale verstärkt werden sollen, muss die supramodale Repräsentation des Raums wieder in eine modale (z.B. retinotope) Repräsentation umgewandelt werden. Sonst weiß man ja gar nicht, „wer jetzt für diesen Punkt im Raum zuständig ist“. Für diese Funktion ist wohl der PPC (post. Parietalcortex) zuständig

4. Wer bei der Blickrichtungskontrolle mitspielen darf ist das FEF. Wird bei Affen das FEF stimuliert während die Aktivität von Neuronen aus V4 abgeleitet wird, dann ist die späte Antwort der V4 Neurone verstärkt. D.h. die Initialantwort ist gleich, egal ob FEF-Stimulation oder nicht, aber ca. 500ms nach stimulus onset feuern die Neurone bei FEF-Reizung stärker.

5. frontale Areale modulieren die Aktivität sensorischer Areale!! (höhere modulieren niedrigere)

Salienzfilter 1. Siehe oben 2. Sehr saliente Reize können auch schon die Sensitivitätsmodulation oder

Orientierungsbewegungen initiieren, bevor der Stimulus überhaupt im AG angekommen ist (z.B. ein Knall)

a. Das läuft dann über die SC

Selektionswettbewerb 1. Findet auf allen Verarbeitungsebenen statt. (z.B. erst konkurrieren bestimmte Frequenzen,

dann bestimmte Töne und schließlich die Musik der Nachbarn unter Dir mit der Musik der Nachbarn über Dir)

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2. LIP repräsentiert Info, die über Zugang zum AG entscheidet. Klar, denn es ist ja an Bewertungs- und Entscheidungsprozessen beteiligt

a. D.h. LIP ist einerseits für den Transformationsprozess von amodalen zu modalen Repräsentationen zuständig, andererseits für die wettbewerbsgeleitete Selektion

3. Für diese The-Winner-Takes-it-all-Nummer ist angeblich eine bestimmte Klasse inhibitorischer Neurone zuständig, die ich nicht gecheckt hab (S.79)

4. Der SC und der visuelle Cortex beeinflussen den Selektionsprozess parallel und sind nicht nacheinander geschaltet. Wie wir ja bereits gesehen haben, führt der SC an Anfang ein Eigenleben und kann z.B. allein die Blickrichtung bestimmen. Er ist halt der schnellste, die andern kommen später.

Neuronale Korrelate der Stimulusselektion Siehe VL-Skript

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LANGUAGE (C. FRIEDRICH)

Einführung:

1. Sprachsignal enkodieren ( VL 3 „Auditory Perception“) 3 Schritte in der Verarbeitung gesprochener Sprache

2. Wörter identifizieren (diese Vorlesung) 3. Integration in den Satz/Interpretation des Sprachflusses (diese Vorlesung)

• Anhand früherer Läsionsstudien nahm man an: Frühere Annahmen (die halbe Wahrheit)

1. Broca Areal (Brodman 44 & 45) Sprachproduktion 2. Wernicke Areal (Brodman 22 und umliegende) Sprachverständnis

• Sprachverarbeitung findet in der linken Hemisphäre statt

• Broca-Areal syntaktische Analyse Heutige Annahmen (die ganze Wahrheit)

• Wernicke Areal NEBEN ganz vielen anderen Arealen auch fürs Sprachverständnis zuständig

• Sprachverarbeitung bezieht beide Gehirnhälften mit ein (auch wenn die linke Hemisphäre an einigen Funktionen stärker beteiligt ist)

Wortidentifikation

Wie funktioniert Wortidentifikation?

Kohortenmodell (Marslen-Wilson)

Das Kohortenmodell geht von Folgendem aus: Es gibt ein riesiges Wortformlexikon im Kopf. Sobald angefangen wird, ein Wort auszusprechen, werden alle Wortkandidaten aktiviert, die zu dem akkustischen Signal passen. Je mehr vom Wort fertig gesprochen ist, desto mehr ursprünglich aktivierte Kandidaten fallen raus. Am Ende ist nur noch ein Wortkandidat übrig, der zum akkustischen Input passt. Das ist das gleiche Prinzip wie bei T9 mit dem Handy.

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Dabei werden auch Wörter aktiviert, die nur so ähnlich sind, wie das gesprochene Wort. Durch das Hören von „can…“ wird also auch „tan…“ aktiviert, allerdings schwächer. Je ähnlicher das akkustische Signal einem „Eintrag im Wortformlexikon“ ist, desto stärker wird der „Eintrag“ aktivert. Das Aktivieren funktioniert also nicht nach dem „an-aus-Prinzip“, sondern nach dem „mehr-oder-weniger-Prinzip“, da ja gesprochene Sprache immer stark variiert. Wir müssen Wörter erkennen können, wenn sie sehr schlecht oder vernuschelt ausgesprochen werden.

Welche Evidenz gibt es für das Kohortenmodell? (3) • Evidenz mit Priming-Paradigma (behavioral):

Zwitserlood, 1989: Versuchsaufbau:

VPs hören Wortanfänge wie z.B. „Kapit-“. Sie sollen danach entscheiden, ob ein auf einem Bildschirm visuell dargebotenes Wort ein Wort ist oder nicht. (d.h. sie müssen eine lexikalische Entscheidung treffen). Es werden die Reaktionszeiten für diese Entscheidung gemessen.

Ergebnisse: Für Wörter, die von der Bedeutung her etwas mit dem Wort zu tun haben1, das aus dem Fragment hätte werden können (aus „Kapit-“ hätte noch Kapital werden können) sind schnellere Reaktionszeiten gemessen worden. Und zwar schneller, als für Wörter, die nichts mit dem Wort zu tun haben, was aus dem Fragment hätte werden können. Das interessante: Die Reaktionszeiten sind verkürzt für ALLE Wörter, die semantisch mit einem Wort zu tun haben, das aus dem Fragment hätte werden können. Also hier z.B. nicht nur für das Wort „Geld“ sondern auch für da Wort „Schiff“. „Schiff“ ist semantisch relatiert mit „Kapitän“. Aus „Kapit…“ hätte auch noch Kapitän werden können. Interpretation:

Das wird als Evidenz dafür gewertet, dass ein Wortanfang ALLE möglichen Kandidaten aktiviert, die aus dem Wortanfang noch werden können.

1 „von der Bedeutung her mit etwas zu tun haben“ = semantisch relatiert

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• Evidenz mit dem Eye-Tracker:

Allopena, 1998: Versuchsaufbau:

Die Versuchspersonen hören z.B. „Pick up the beaker (Becherglas) and put it below the diamond“ und sollen das dann mit der Maus machen. Währenddessen werden Augenbewegungen aufgezeichnet. Gemessen wird dabei, wie häufig die VPs auf welches Item gucken, während das Wort „beaker“ dargeboten wird.

Versuchspersonen sitzen vor einem Bildschirm und sollen den Instruktionen folgen, die ihnen auditiv gegeben werden. Der Bildschirm sieht so aus:

Während das Wort „beaker“ präsentiert wird, schauen Personen etwa gleich häufig auf den „beaker“ (Linie mit Kreisen) und den „beetle“ (Käfer, Linie mit Quadraten). Sobald klar ist, dass aus „beaker“ nicht mehr „beetle“ werden kann, gucken die VPs viel mehr auf den „beaker“. Für die Wörter, mit einen ganz anderen Wortanfang (hier z.B. „carriage“, Linie mit Minipunkten) ist die Fixationshäufigkeit von Anfang an viel niedriger.

Ergebnisse:

• Evidenz vom „Mouse-Tracker“:

Spivey et al, 2005: Versuchsaufbau: VPs werden Worte auditiv präsentiert. Sie sollen auf einem Bildschirm auf das Item drücken, das dem gerade präsentierten entspricht. Z.B. hören sie „candle“ und sollen dann auf das Bild einer Kerze klicken. Dabei werden die Mausbewegungen aufgezeichnet. Ergebnisse:

Bei Bildern mit dem gleichen Wortanfang (z.B. „candle“ und „candy“) geht die Maus später in die Richtung des richtigen Bildes als bei Bildern, die einen unterschiedlichen Wortanfang haben („candle“ und „jacket“).

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Wie und wo werden denn Worte, Wortformen etc. repräsentiert? • Es gibt multiple Arten der Repräsentation:

1. Sensorisch/Akkustisch 2. Phonologisch 3. Lexikalisch Wortform Syntax Semantik

4. Artikulatorisch/motorisch Es wird wieder in ventralen und dorsalen Pfad unterteilt: • Der ventrale Pfad („was“): von der phonologischen Repräsentation zur lexikalischen

Repräsentation (und dann zur Konzeptrepräsentation) • Der dorsale Pfad („wo“): von der phonologischen Repräsentation zur

artikulatorischen Repräsentation2

(und dann zur Konzeptrepräsentation)

2 D.h. es ist im Wo-Pfad noch eine Art „Wie-Pfad“ enthalten

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• 2 Evidenzen für den ventralen Pfad:

Okada & Hickok, 2006: Versuchsaufbau: VPs werden Wörter vorgespielt, während sie im fMRT liegen. Dabei gibt es zwei Wortklassen: Wörter, die viele phonologische Nachbarn haben (d.h. viele Wörter die ganz ähnlich klingen, z.B. „Bank“ ( Schrank, lang, Tank…) und Wörter, die wenig phonologische Nachbarn haben (z.B. „Sphinx“). Es wird die Aktivierung des Kopps zwischen den beiden Bedingungen kontrastiert.

Ergebnisse:

Bei Wörtern mit vielen Nachbarn ist eine stärkere Aktivierung im pSTS (bilateral!) messbar als bei Wörtern mit wenig Nachbarn.

Interpretation:

Es wird davon ausgegangen, dass, wie im Kohortenmodell angenommen, bei Wörtern mit vielen Nachbarn viele „phonologische Wettbewerber“ aktiviert werden. So kann die Region ausfindig gemacht werden, die für phonologisch-lexikale Verarbeitung zuständig ist und die erste Stufe eines mentalen Lexikons beherbergt, nämlich das Wortformlexikon. Das ist nämlich die mit der größten Aktivierung.

ODER:

Studie ohne Autor: Bei Wörtern, die mehrere

Bedeutungen haben, findet ebenfalls eine stärkere Aktivierung im posterioren Temporallappen statt (rot). Von dieser stärkeren Aktivierung wird angenommen, dass sie einen „mehrfachen“ Zugriff auf das mentale Lexikon darstellt. Ebenfalls stärker aktiviert: Bereiche des Frontallappens

Wortformlexikon befindet sich wahrscheinlich im posterioren

Temporallappen, und zwar bilateral!

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• Evidenz für den dorsalen Pfad:

Pulvermüller (2006): Versuchsaufbau:1. Versuchspersonen sollen 2 Arten von Silben aussprechen: solche, die v.a. mit den Lippen produziert werden (z.B. /pa/) und solche, die v.a. mit der Zunge produziert werden (z.B. /ta/)

3 Versuchsbedingungen:

2. Sie artikulieren dieselben Silben lautlos 3. Sie hören diese Silben. Es wird die Aktivierung im Gehirn zwischen den Bedingungen verglichen

Es werden beim Hören dieselben Areale des primären motorischen Cortex aktiviert, wie bei der Sprachproduktion (also Zungenareale sowohl beim Hören als auch beim Sprechen von /ta/). Hier macht man sich den somatotopen Aufbau des primären motorischen Cortex zunutze.

Ergebnis:

Interpretation:

Es gibt also auch artikulatorische Wortrepräsentationen, die Teil des dorsalen Pfades sind. (Diese Repräsentationen liegen im sog. „Wie-Pfad“, siehe Vl03)

Es gibt viele verschiedene Arten sprachlicher Repräsentationen! Wie sie zusammenspielen ist allerdings noch weitgehend unbekannt.

Der ventrale Pfad ist tendenziell bilateral organisiert (mit leichtem linkshemisphärischen Bias), während der dorsale Pfad stark linkshemisphärisch organisiert ist!

Bedeutungen und Konzepte sind verteilt repräsentiert. Ihnen kann kein Areal

zugeordnet werden. Wie „verstehen“ funktioniert, wissen wir auch nicht so genau

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Wortintegration

Ist Sprachverständnis ein interaktiver Prozess oder ein reiner bottom-up-Prozess?

Ausgehend vom Kohortenmodell würde bottom-up heißen: zum Kontext passende Kandidaten erhalten keine zusätzliche Voraktivierung, um schneller ausgewählt zu werden. Der Kontext würde die Worterkennung nicht beeinflussen. Ausgehend vom Kohortenmodell würde „interaktiv“ heißen: Zum Kontext passende Wortkandidaten würden zusätzliche Aktivierung erhalten.

Antwort auf die Frage

: Ansichtssache mit Tendenz zum Interaktiven mit größerer Bottom-Up-Bedeutung.

Priming-Evidenz

für Kontext-UNabhängige Wortaktivierung (=modulare Aktivierung):

Zwitserlood, 1989: (Priming) Versuchsaufbau: VPs hören Sätze, die mit einem Wortfragment enden. Das Wortfragment könnte noch zu verschiedenen Wörtern werden, z.B. könnte „Kapit-“ wieder sowohl zu „Kapital“ als auch zu „Kapitän“ werden. Allerdings legt der Kontext eine bestimmte Wortendung nahe („In bedrückter Stimmung standen die Männer um das Grab. Sie trauerten um ihren Kapit-…“). Die VPs treffen wieder eine lexikalische Entscheidung für ein Wort, das nach dem Satz visuell dargeboten wird. Werden tatsächlich aufgrund des Kontextes passendere Wortkandidaten stärker aktiviert, müssten die Reaktionszeiten kürzer sein, wenn nach dem Satz ein Wort dargeboten wird, das mit dem zum Kontext passenden Wortkandidaten semantisch relatiert ist. (Hier müsste also die Reaktion auf „Schiff“ schneller erfolgen als auf „Geld“). Ergebnis: Es lässt sich kein Kontexteffekt zeigen. Die Reaktionszeiten auf das Wort „Schiff“ und das Wort „Geld“ unterscheiden sich nicht. Interpretation:

Worterkennung erfolgt nur aufgrund des akustischen Signals; der Kontext wird nicht zur Aktivierung passender Wortkandidaten genutzt. Kontexteinfluss verzögert.

Argumente

für Kontext- UNabhängige Wortaktivierung:

• Wenn wir beim Sprachverstehen immer Vorhersagen machen würden, würden wir am Ende nur noch das verstehen, was wir selbst denken/vorhersagen.

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Eye-Tracker-Evidenz

Dahan & Tanenhaus, 2004:

fürKontext-ABHÄNGIGE Wortaktivierung

Versuchsaufbau: VPs werden Sätze vorgespielt. Auf einem Bildschirm werden ihnen 4 Abbildungen präsentiert. Sie sollen auf diejenige Abbildung klicken, die das Subjekt des gehörten Satzes darstellt. Die 4 Abbildungen zeigen jeweils a) das richtige Bild („bok“), b) Bild eines phonologischen Wettbewerbers („bot“), c) Bild eines semantischen Wettbewerbes („spider“) d) Bild einer komplett unpassenden Sache („island“). Es wird wieder gemessen, wie viel die VPs auf welches Bild gucken. Verglichen werden Sätze, die vor Präsentation des Subjekts thematisch einschränken, was Subjekt des Satzes sein kann und was nicht, mit solchen, die keine thematische Einschränkung haben. (Z.B. „Never before has a goat climbed so high“(keine Einschränkung) vs. “Never before climbed a goat so high. (Einschränkung, weil nicht alle Dinge dieser Welt klettern können.) Ergebnis:

Bei kontextueller Einschränkung gucken VPs schon viel früher auf das Target-Bild. Bei Sätzen ohne Einschränkung schauen sie viel länger gleich häufig auf das Target sowie auf den phonologischen Wettbewerber.

Interpretation:

Der Kontext hat sehr wohl einen Effekt, bisher wurde nur mit den falschen Methoden gemessen, deswegen konnte er nicht sichtbar gemacht werden. Kontexteinfluss auf frühe Stadien der Wortverarbeitung.

Argumente

für Kontext-ABHÄNGIGE Wortaktivierung

• Es wäre wahnsinnig unökonomisch, wenn das Gehirn immer warten würde, bis ein Wort aufgrund seiner akustischen Features erkannt wird, und es erst dann mit Bedeutung versehen würde und kontextuell integrieren. Das dauert viel zu lange.

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Welche EEG-Komponenten wurde genutzt, um die Frage nach modularer vs. interaktiver Wortaktivierung zu beantworten? N 400 • Negativierung mit Peak bei 400 ms AO, zentrale Topographie3

• Spiegelt die semantische Analyse bzw. semantische

Integrationsschwierigkeiten wider und wird gefunden, wenn Wörter semantische Verletzungen beinhalten

• bei seltenen Wörtern größer als bei sehr häufigen Wörtern • Tritt auch auf, wenn man zu einem Bild ein inkongruentes

Wort hört • Tritt sowohl bei gesprochenen als auch bei geschriebenen

Sätzen auf (bei gesprochenen ein bisschen früher und ein bisschen mehr rechtshemisphärisch)

• Ihre Amplitude ist von der Stärke der semantischen Verletzung abhängig. Je stärker die Verletzung, desto größer die Amplitude. Dabei werden auch semantische Kategorien beachtet, d.h. die N400 ist bei dem Satz „The pizza was too hot to drink“ weniger groß als bei „The pizza was too hot to cry“, weil Pizza zur Kategorie „Lebensmittel“ gehört und Lebensmittel durchaus auch mal getrunken werden (aber nie geweint)

• Ist bei Verletzungen spät im Satz größer als bei Verletzungen am Anfang des Satzes (spät im Satz bedeutet, dass das Wort vorhersagbarer ist als am Anfang. Desto überraschender ist es, wenn dann nicht das erwartete kommt)

D.h. spiegelt auch eine Abweichung von der Erwartung/Vorhersage wider D.h. N400 spricht auch gegen eine modulare Sprachverarbeitung, in der ein

Prozess (z.B. Wortidentifikation) erst komplett abgeschlossen sein muss (und die Vorhersage keine Rolle spielt), bevor ein weiterer Prozess (z.B. Integration in den Kontext) beginnen kann.

3 Bei gesprochener Sprache eher rechts

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Welche EKP-Studie kennst Du, die Evidenz für eine interaktive Wortaktivierung und einen frühen Einbezug des Kontextes liefert?

Van den Brink et al, 2002: Versuchsaufbau: VPs werden Sätze vorgespielt, die mit einem Wort enden, dass a) voll in den Kontext passt, b) nicht in den Kontext passt, aber denselben Wortanfang wie das passende Wort hat, c) nicht in den Kontext passen und auch ganz anders anfangen. Z.B. „Der Künstler malte die Details mit einem kleinen…“ a) Pinsel, b) Pinscher, c) Garten. EKPs werden gemessen. Ergebnisse:

Für Wörter, die denselben Wortanfang haben, wie das passende Wort, zeigt sich die N400 erst dann, wenn von akustischen Signal her klar ist, dass es nicht mehr das richtige Wort werden kann. Für Wörter, die einen anderen Wortanfang haben, als das passende Wort, zeigt sich die Negativierung schon viel früher, etwas nach 200 ms N200

Interpretation:

Dies deutet darauf hin, dass die semantische Integration, d.h. die Kontextverarbeitung anfängt, bevor das Wort überhaupt zu Ende gesprochen wurde (und nicht erst, wenn das Wort fertig erkannt und ausgewählt wurde!)

Auch in der Sprachverarbeitung zeichnet sich ab, dass viel wohl eher parallel als seriell verarbeitet wird!!

Welche Paradigmen und Methoden kennst du? Welche Annahmen liegen ihnen zugrunde? • Priming • Verletzung • Eyetracking • Mousebewegung • EKP-Studien Priming-Paradigmen bilden nicht das ganze Bild ab!! Jede Methode zeigt

einen Teilaspekt!

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Zeitliche Abfolge der einzelnen Analyseebenen

Welches Areal wird heute v.a. mit syntaktischer Verarbeitung in Verbindung gebracht? Nenne eine Studie dazu.

Machuuichi et al, 2009 Versuchsaufbau:

Versuchspersonen liegen im Scanner und hören Sätze, die sich in ihrer syntaktischen Komplexität unterscheiden (hochverschachtelt vs. wenig verschachtelt) und solche, die sich in ihrer Anforderung an da Arbeitsgedächtnis unterscheiden. Wir gucken, wo die Lampen angehen.

Bei syntaktisch komplexen Sätzen stärkere Aktivierung des Broca Areals als bei syntaktisch einfachen Sätzen. Auch stärkere Aktivierung bei höherer Arbeitgedächtnisbelastung. Linkshemisphärisch übrigens!

Ergebnisse:

Wie spielen syntaktische und semantische Analyse zuammen? Syntax-first-assumption: Das ist wieder eine dieser modularen Annahmen. Diesmal wird davon ausgegangen, dass erst die syntaktische Analyse erfolgt und abgeschlossen werden muss, und dann die semantische Analyse folgt. Es gibt natürlich auch Gegner dieser Theorie. Die gehen wieder von einer interaktiven Verarbeitung der beiden Ebenen aus.

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Welche EEG-Komponente spiegelt die syntaktische Verarbeitung wieder? LAN • Negativierung über frontalen Elektroden, linkshemisphärisch (Left Anterior

Negativity) • Peak oft um und bei 400 ms nach Onset • Tritt bei syntaktischen Verletzungen auf • Wird eher mit einer Fehlerentdeckung in Verbindung gebracht • Tritt nur bei Muttersprachlern auf! ELAN • Hat dieselben Features wie die LAN, nur dass sie früher (Peak ca. 180 ms AO)

gefunden wird P600 (wird manchmal auch SPS, syntax-positive shift genannt) • Positivierung mit Peak bei 600ms AO, am stärksten über posterioren Elektroden • Tritt auch auf bei seltenen grammatikalischen Konstruktionen • Wird mit einem syntaktischen Revisionsprozess/Reparaturprozess assoziiert • Tritt bei Muttersprachlern und Fremdsprachlern auf! Worin unterscheiden sich LAN und N400? In Topographie und in der Art der Verletzung, der die assoziiert sind. (der Zeitpunkt des Peaks ist gleich!) Zusammenfasssung

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Und was kommt jetzt zuerst? Evidenz für die „Syntax-first-Hypothesis“:

Befund 1: ELAN: Bei bestimmten syntaktischen Verletzungen im deutschen wird die ELAN gefunden. Sie kommt viel früher als die N400 und deshalb wird geschlussfolgert, dass die syntaktische Verarbeitung wohl vor der semantischen passiert. Bsp. „Der Hund wurde im gebügelt“. Hier wird die Wortkategorie verletzt (nach „im“ muss ein Objekt kommen, kein Verbteil) KRITIK: die ELAN wird nur im deutschen gefunden, und zwar dann, wenn schon früh klar ist, dass ein Wort mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit syntaktisch falsch ist. Das Präfix „ge-„ gibt schon an, dass es sich höchstwahrscheinlich um ein Partizip handelt. In anderen Sprachen oder bei anderen Sätzen muss man manchmal warten, bis die Wortendung gesagt wird, damit es grammatikalisch falsch wird. Dann findet man keine ELAN, sondern nur eine normale LAN. Befund 2: keine N400 Bei syntaktischer und semantischer Verletzung gleichzeitig gibt es nur noch eine ELAN und keine N400. Daraus wird geschlussfolgert, dass eine nicht gelungene syntaktische Verarbeitung zu einem Abbruch oder einer Störung der semantischen Verarbeitung führt. KRITIK: Könnte nur technisch bedingt sein: ELAN/P600 überlagern N400-Effekt. Wenn das so richtig wäre, könnten wir syntaktisch falsche Sätze nicht verstehen.

Evidenz gegen die „Synty-first-Hypothesis“:

Van den Brink & Hagoort, 2004: Solange die syntaktische Kategorie unklar bzw. nicht falsch ist, findet eine semantische Analyse statt.

Konsens: Syntaxverarbeitung hat starken Einfluss auf

Gesamtsprachverarbeitung. U.U. kann Bedeutungsanalyse durch falsche Syntax abgebrochen werden, auch wenn sie initial mal gestartet war.

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Prozessmodell von Friederici:

1. Sprachsignal enkodieren:

2.

erste phonologische Enkodierung des Sprachsignals findet bilateral im primären auditiven Cortex statt (Brodman 41 & 42) Wörter identifizieren: 2 parallele Prozessen in linker und rechter Hemisphäre4

Linkslateralisiert: :

• syntaktische Analyse. Neuronales Korrelat dieser Analyse ist ♦ eine stärkere Aktivierung des anterioren Gyrus temporalis

superior(im Vergleich zu der semantischen Analyse) ♦ eine Aktivierung des linken frontalen Operculums (entspricht

ungefähr dem Broca-Areal) • anschließend semantische Analyse statt. Neuronales Korrelat ist

♦ eine stärkere Aktivierung des mittleren Gyrus temporalis superior (im Vergleich zur syntaktischen Analyse)5

♦ eine Aktivierung eines Bereichs im Orbitofrontalcortex (aber ein anderer als Bereich als bei der syntaktischen Analyse!!)

Rechtslateralisiert: • Findet eine prosodische Analyse statt

3. Integration in den Satz:

Es gibt Evidenz für einzelne Module und dafür, dass Semantik und Syntax in getrennten Arealen verarbeitet werden

Informationen aus beiden Hemisphären werden integriert und es werden Konzepte aktiviert und verarbeitet. Die Repräsentation dieser Konzepte ist über den gesamten Cortex verteilt (verteilte Repräsentationen)

Semantik: initiale Verarbeitung im Wernicke-Areal weitere Verarbeitung auch in anderen Gebieten, rechte Hemisphäre mit einbezogen

Syntax: linksfrontale Gebiete, Broca-Areal Aber die Prozesse laufen wohl eher parallel als unbedingt streng seriell ab

4 Vgl. Asymmetric Sampling Hypothese von Poeppel aus der VL 3 5 Der posteriore teil des Gyrus temporalis superior ist bei der semantischen und syntaktischen Analyse gleichermaßen aktiviert. Das wird so interpretiert, dass er für die Integration dieser beiden Analysen zuständig ist.

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Mirror Neurons (Sinkowski)

1. Spiegelneuronen bei Affen

Definition von Spiegelneuronen (nach Rizzolatti): x ist ein Spiegelneuron gdw. x sowohl bei der Beobachtung als auch der Ausführung einer Handlung feuert.

Spiegelneuronen wurden bei Affen in den 80er Jahren von Rizzolatti et al. entdeckt. Mit Hilfe von Einzelzellableitungen wurde erkannt, dass es Neuronenverbände im Areal F5 gibt, die sowohl feuern, wenn der Affe nach einer Nuss greift, als auch dann, wenn der Affe sieht, wie der Experimentator nach der Nuss greift. Die Abbildung rechts zeigt die Feuerrate des F5 Neuronenverbandes beim Greifen der Nuss (oben) und während des Beobachtens (unten).

1.1 Entdeckung:

An Greifbewegungen bei Affen sind sowohl das Areal F5 (ventralen prämotorischen Cortex) als auch das anteriore intraparietale Areal (AIP) (im superioren parietalen Cortex) und das Areal 7b (im inferieroren parietalen Cortex) beteilig. F5 ist für Greif-Kommandos zuständig, während AIP und 7b für „grasp affordances“ zuständig zu sein scheinen. Sinkowski behauptet nun, dass alle insbesondere F5 und 7b Areale Teil eines Spiegelneuronensystems seien: „Der Ventrale prämotorische Cortex und der inferiore Parietallappen sind die Hauptregionen des Spiegelneuronensystems.“

Welche Eigenschaften und welche Funktion haben Spiegelneuronen? Sinkowski stellt zwei Studien dar, um diese Frage zu beantworten.

1.2 Funktionen

Studie Kohler et al. 2002: Die Affen mit drei Situationen konfrontiert: Dem Knacken einer Erdnuss, dem Greifen eines Ringes oder dem Zerreißen von Papier. In beiden Situationen gibt es vier Bedingungen: Den Affen werden die Situationen entweder als audio-visuelle Stimuli, als rein visuelle Stimuli, als rein auditive Stimuli oder als motorische Aufgabe präsentiert (d.h. sie sollen selbst eine Erdnuss knacken, selbst einen Ring greifen oder selbst Papier zerreißen). Es wird die Aktivität einzelner

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Neurone, nämlich der Neurone 3 und 4 (sie befinden sich in frontalen Hirnarealen), abgeleitet. Ergebnisse der Studie Kohler et al. 2002:

Bei Neuron 4 (blauer Kasten) handelt es sich um ein Spiegelneuron, da es sowohl beim Erdnussknacken selbst als auch bei rein audio-visueller Darbietung des Erdnussknackens feuert. Beim Zerreißen von Papier feuert es in keiner der vier Bedingungen. Seine Aktivität ist also ebenfalls handlungsspezifisch. Neuron 4 weist jedoch eine Besonderheit auf. Es feuert zwar in der audio-visuellen und der rein auditiven Bedingung, jedoch zeigt es keine Aktivität in der visuellen Bedingung. Zusätzlich ist die Aktivität des Neurons in der audio-visuellen Bedingung höher als die Summe der Aktivität in der visuellen und der auditiven Bedingung. Es handelt sich also um ein Integrationsneuron.

Es hat sich gezeigt, Neuron 3 (siehe roter Kasten) sowohl beim Knacken der Erdnuss als auch in allen drei anderen Bedingungen (audio-visuell, visuell, auditiv) feuert. Ergo: Entsprechend der von Rizzolatti gegebenen Definition handelt es sich bei Neuron 3 um ein Spiegelneuron. Außerdem lässt sich sagen, dass Neuron 3 Handlungen nicht modalitätsspezifisch zu kodieren scheint. Denn es hat für die Aktivität von Neuron 3 keinen Unterschied gemacht, ob das Knacken der Erdnuss rein visuell, rein auditiv oder audio-visuell dargeboten oder ob die entsprechende Handlung ausgeführt wurde. Zu guter letzt zeigt die Studie, dass die Aktivität von Neuron 3 handlungsspezifisch ist, da das Neuron in der Ring-greifen-Situation in keiner der vier Bedingungen feuert.

Es konnte also gezeigt werden, dass es Spiegelneuronen gibt, die deren Aktivität handlungsspezifisch aber nicht modalitätsspezifisch ist. Sinkowski behauptet deshalb, dass Spiegelneuronen für das Verstehen von Handlungen relevant sind. Studie Rizzolatti et al. 2004: Affen wurde entweder ein Quader dargeboten oder eben nicht. Vom Experimentator wurde eine Greifbewegung in Richtung des Quaders gemacht, unabhängig ob es präsent war. In einer Bedingung wurde der Quader vor den Affen versteckt, bevor der Experimentator die Greifbewegung ausführte. In einer anderen Bedingung war der Quader für die Affen immer zu sehen. Ergebnisse der Studie Rizzolatti et al. 2004: Hatten die Affen Kenntnis von der

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Präsenz des Quaders, so haben die Neuronen in F5 gefeuert, unabhängig davon, ob der Quader verdeckt war oder nicht. Wussten die Affen jedoch, dass kein Quader präsent ist, dann hat F5 nicht gefeuert. Sinkowski schließt aus diesem Experiment, dass Spiegelneuronen für das Verstehen der Bedeutung einer Handlung relevant sind. Sinkowski behauptet nun mit Blick auf die zuvor beschriebenen Experimente, dass die Hauptfunktion von Spiegelneuronen nicht in der Imitation sondern im Verstehen von Handlungen liegt. Spiegelneuronen sollen sensorische Information in Wissen übersetzen. 2. Spiegelneuronen beim Menschen Nicht nur bei Affen sonder auch bei Menschen sind Spiegelneuronen gefunden worden. Sinkowski will sich nun genauer anschauen, wie es sich mit den Spiegelneuronen bei Menschen verhält. 2.1 Homologie zwischen Affen und Menschen: Sinkowski erklärt, dass das Areal F5 bei Affen homolog zum Broca Areal beim Menschen ist. Das Broca Areal ist für die Verarbeitung und Produktion von Sprache relevant. Das hat einige Wissenschaftler wohl zu der Behauptung veranlasst, dass es eine evolutionäre Basis für Sprachverarbeitung gibt. Was genau das bedeuten soll, wird von Sinkowski nicht erklärt. Sinkowski spricht jedoch darüber, dass der Ausruf „Mjam“ in allen Sprachen gleich ist und immer dann vernommen

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werden kann, wenn man mit vollem Mund spricht. Das sei ein Hinweis darauf, so Sinkowski, dass Sprache in Gesten verwurzelt ist. Wer das versteht, dem schenke ich ein Pferd, oder so. 2.2 Imitation von Handlungen: Beim Menschen gibt es einen neuronalen Schaltkreis für Imitation. In diesem Schaltkreis befindet sich der posteriore superiore temporale Sulcus (pSTS), der rostrale inferiore Parietallappen (rostrale IPL) und im inferioren frontalen Cortex (IFG), speziell im posterior-inferioren frontalen Gyrus (posterioren IFG) und dem ventralen prämotorischen Cortex (ventralen PMC). Als Hauptkandidaten für Spiegelneuronen kommen der rostrale IPL, der posteriore IFG und der ventrale PMC in Frage; denn diese Areale haben die Eigenschaften, die Spiegelneuronen eben so haben sollen (Sinkowski hat möglicherweise übrigens einen Fehler gemacht: Sollte es nicht „inferior frontal cortex (IFC)“ und nicht „inferior frontal cortex (IFG)“ heißen?). Studie von Iacaboni & Dapretto 2006: Die VPN bekamen eine Hand dargeboten. In einer ersten Bedingung sollten die VPN die Bewegung der Hand imitieren, d.h. den Zeigefinger anheben. In einer zweiten Bedingung sollten die VPN einfach nur das Anheben des Zeigefingers beobachten. In einer dritten Bedingung erschien ein Kreuz über dem Zeigefinger der unbewegten Hand. Die VPN waren instruiert, bei Erscheinen des Kreuzes ihren Zeigefinger anzuheben. Bei der ersten Bedingung geht es also um Imitation, bei der zweiten um Beobachtung und die dritte Bedingung ist eine motorische Kontrollbedingung. Während des Versuchs wurde die Hirnaktivität mit Hilfe eines bildgebenden Verfahrens untersucht. Ergebnisse der Studie von Iacaboni & Dapretto 2006: Es zeigt sich, dass die Hirnaktivität im IFG (Strukturen des Broca-Areals sagt Sinkowski) und dem posterioren parietalen Cortex bei Imitation höher als in der motorischen Kontrollbedingung ist. Die Aktivität in der motorischen Kontrollbedingung war höher als in der Beobachtungsbedingung. Dennoch ist in der Beobachtungsbedingung immer noch Aktivität zu verzeichnen. Deshalb, so Sinkowski, seinen die gefundenen Areale Spiegelneuronen. Menschen haben also auch ein Spiegelneuronensystem, dass für das Verstehen von Handlungen relevant ist.

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2.3 Spiegelneuronen und Intentionen Studie von Iacoboni & Dapretto 2006: Den Probanden wurden zwei Bilder A und B dargeboten. In Bild A wird gezeigt, wie eine Person nach einer Kaffeetasse greift. In Bild B wird gezeigt, wie eine Person die leere Tasse wegräumen möchte. Die dabei dargestellten Greifhandlungen sind sehr ähnlich. Die Hypothese ist nun, dass Bild A eine größere Aktivität im rechten posterioren IFG auslösen sollte. Weshalb das so sein sollte, wird nicht erklärt. Ergebnisse: Es zeigt sich, dass die Aktivität im rechten posterioren IFG für Bild A tatsächlich höher ist als für Bild B. Sinkowski meint nun, dass das dafür spricht, dass Spiegelneuronen auch beim Menschen am Verstehen von Handlungen beteiligt sind. Sinkoski fasst zusammen: Beim Menschen gibt es keine Evidenz für Spiegelneuronen aus Einzellableitungen; es gibt jedoch indirekt Evidenz für ihre Existenz aus EEG und FMRT Studien. Spiegelneuronen scheinen beim Menschen komplexere Aufgaben als beim Affen zu erfüllen. Es gibt nicht und um Imitation und Wissen, sondern auch um Empathie und Sprache. 3. Spiegelneuronen und Autismus: Autismus und das Asperger Syndrom haben folgende Symptome: - Probleme beim Essen und der Defäkation - beim Anblick eines elterlichen Gesichts wird nicht gelächelt - Körperkontakt wird vermieden - Autisten leben in ihrer eigenen Welt, spielen am liebsten alleine - Autisten haben Probleme mit Veränderungen - Autisten wollen Verhaltensmuster so lange wie möglich aufrechterhalten - Autisten haben manchmal Obsessionen für bestimmte Themen Sprache und Kommunikation - Defizite bei der Erkennung von Sprache und Gesichtsausdrücken - Mutismus (Stummheit), längere Verwendung von Wiederholungen und gestelzter Sprache - Wenn die Kinder sprechen können, dann ist der Sprachgebrauch oft einfallslos und unreif.

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3.1 Spiegelneuronen und Autismus: Evidenz FMRT-Studie: Die Probanden sollten autistische und gesunde Kinder entweder Gesichter beobachten (und die Emotion beurteilt werden) oder imitieren. Im FMRT wurde die Hirnaktivität gemessen. Ergebnisse: Es hat sich gezeigt, dass der inferiore frontale Gyrus (IFG) (wohl in beiden Bedingungen) bei autistischen Kindern weniger aktiv war. Es zeigte sich außerdem, dass die Aktivität im IFG negativ mit zwei verschieden Autismusskalen korreliert war: Je höher die Kinder auf der Autismusskala gescored haben, desto weniger Aktivität war im FMRT zu verzeichnen. EEG-Studie: Wieder wurden autistische VPN mit gesunden VPN verglichen. Gemessen wurde die Beta-Aktivität (8-13 Hz), die in motorischen Arealen(gemessen mit den Elektroden C3, Cz, C4) absinkt, sobald eine Handlung ausgeführt wird. Es gab drei Bedingungen:

1. Den VPN wurden zwei aufeinander treffende Bälle dargeboten, mit denen wohl einen Art Greifbewegung simuliert werden sollte (1. Beobachtungsbedingung).

2. Den VPN wurde eine Greifbewegung dargeboten (2. Beobachtungsbedingung) 3. VPN sollten Greifbewegung ausführen (motorische Bedingung).

Ergebnisse: Es zeigt sich, dass bei gesunden und autistischen VPN in der 1. Bedingung die Beta-Aktivität nicht absinkt. In der dritten Bedingung sinkt die Aktivität erwartungsgemäß sowohl bei autistischen als auch bei gesunden VPN ab, da eine Greifbewegung ausgeführt wird. In der zweiten Bedingung zeigt sich jedoch ein Unterschied zwischen autistischen und gesunden Probanden. Bei Gesunden sinkt die Aktivität signifikant ab, während sie sich bei Autisten kaum verändert. 4. Take home messages: 1. Spiegelneuronen befinden sich im ventralen prämotorischen Cortex und im inferioren Parietallappen. 2. Spiegelneuronen transformieren sensorische Information in Wissen (es geht also nicht nur um Imitation sondern um das Verstehen von Handlungen). 3. Spiegelneuronen sind bei Menschen komplexer als bei Affen. 4. Ein gestörtes Spiegelneuronensystem kann zu Störungen wie bspw. Autismus führen.

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Learning and Memory (M. Rose)

Learning

: Erwerben von Wissen; Basis für fast alle kognitiven Prozesse. Dient dazu, zukünftiges Verhalten zu lenken und zu verbessern

Memory

: Das Ergebnis von Lernen. Gespeichertes Wissen. Geht mit funktionellen und neuroanatomischen Veränderungen des Gehirns einher. Ebenfalls in fast alle kognitiven Prozesse involviert (z.B. „sehen“ Gegenstand nur erkennbar durch Abgleich mit Gedächtnisinhalten

Historische Perspektive

• Warum entwickelt sich die Idee multipler Gedächtnissysteme? • Basiert auf behavioralen Daten aus Läsionsstudien (NICHT auf

Neurowissenschaften!!), z.B. HM • Bilaterale medialer Temporallappen Resektion wg. Häufiger epileptischer Anfälle • IQ unverändert (überdurchschnittlich), keine Probleme mit motorischer Kontrolle • Selektiver Gedächtnisdefizit: Anterograde Amnesie • Im MTL ist Hippocampus:

Amygdala und Hippocampus arbeiten zusammen um Emotionsgedächtnis zu erstellen

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• Hier Gedächtnisleistungsvergleich (sich an Gesichter erinnern) von Patienten mit Frontallappenläsion (links) und Patienten mit Hippocampusresektion (rechts) nur Patienten mit Hippocampusschaden haben Gedächtnisprobleme

• zeitlicher Gradient der Erinnerungen, die von Amnesie betroffen • T0

Erinnerungen, die 5 Jahre alt sind, werden wesentlich : Zeitpunkt der OP

schlechter erinnert als solche, die 15 Jahre alt sind CON: gesunde Kontrollgruppe Leistung ist für HM und gesunde Kontrolle ab -10 gleich

• Schlussfolgerung: getrennte Gedächtnissysteme für Alt- und Neugedächtnis

• hier sieht man, dass HM tatsächlich nur selektiv in seinen Gedächtnisleistungen betroffen ist. Beim Card-Sorting-Test, der kognitive Flexibilität verlangt, machen er und andere Hippocampusläsionnierte kaum Perseverationsfehler, während der Frontallappenpatient sehr sehr viele macht.

• Ebenfalls intakt ist HMs Fähigkeit zum motorischen Lernen (implizites Gedächtnis). Allerdings ist seine bewusste Erinnerung an die Aufgabe nicht möglich

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Aufgrund dieser Ergebnisse entstand die Idee mit den verschiedenen Gedächtnissystemen: Gedächtnissysteme – alte Klassifikation:

• Annahme: jedes System hat einen neuroanatomischen Ort! alte Annahme, starke Annahme, aus heutiger Sicht nicht mehr korrekt

Wird untersucht mit folgendem Paradigma: Implizites Gedächtnis

• Finger-Tapping-Task: Vp soll immer diejenige Taste drücken, die einem

aufleuchtenden Licht zugeordnet ist VP weiß nicht, dass die Lichter in einer

regelmäßigen Sequenz aufleuchten Mit der Zeit reagieren die VP schneller auf die

Lichter, d.h. sie haben die Sequenz gelernt, ohne dass ihnen diese Tatsache bewusst ist Es handelt sich nicht um einen unspezifischen

Übungseffekt, da ein signifikanter Unterschied zwischen den Reaktionszeiten auf eine Sequenz und auf zufällige Muster existieren (Obere Lernkurve zeigt den normalen Übungseffekt) • Bei solchen Aufgaben leuchtet immer im fMRI auf:

Motorcortex (klar, weil motorische Aufgabe) Cerebellum (klar, weil an motorischem

Feintuning beteiligt, hat nichts mit lernen zu tun, sondern mit Koordination schnellerer Bewegungen) Striatum (Basalganglien) hat wohl was mit

implizitem Lernen zu tun ist prädestiniert für diese Aufgabe, da es

sensorischen Input erhält (aus allen Modalitäten) und Efferenzen zum Motorcortex und Hirnstamm sendet

Moduliert motorische Prozesse

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Wird mit folgenden Paradigma getestet: Explizites Gedächtnis:

• „Erinnere dich an Ereignisse in deinem Leben“ Aktivierung des Hippocampus und Parahippocampus (und 1000 andere Areale…)

• Lernphase von Gesichtern + Namen, dann Recall-Phase. Unterschiedliche Strukturen des medialen Temporallappens an Lernen und Recall beteiligt

• VPs sollen kategoriale Entscheidungen bezüglich dargebotener Worte treffen. Erinnern ist nicht Teil der Aufgabe. Später werden VPs getestet, an welche Begriffe sie sich erinnern. Dabei wird die Aktivität im medialen Temporallappen gemessen, sowohl bei der Enkodierung der Wörter als auch beim Retrieval. Später erinnerte Worte zeigen während

der Enkodierung eine höhere Aktivität im MTL als solche, die später nicht erinnert wurden. Dieser Unterschied in der Aktivierung heißt DM-Effekt.

• Wird die Erinnerung für visuelle Objekte getestet, ist die Aktivität im Hippocampus und Parahippocampus während der Enkodierung mit der Qualität der Erinnerung korreliert. Stärkste Aktivität bei erinnerten Items, schwächste Aktivität bei vergessenen. Bei Familiarity ist die Aktivitätsstärke dazwischen.

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2-Prozess-Modell des expliziten Gedächtnisses

• Ein Modell geht auch davon aus, dass Erkennens- und Familiarity-Leistungen auf

unterschiedlichen Enkodierungsprozessen basieren, die auch neuroanatomisch dissoziierbar sind. Dabei wäre Hippocampusaktivität (während des Enkodierens) v.a. mit späterer Erkennensleistung korreliert, Parahippocampusaktivität mit Familiarity

• Der MTL hat verschiedene Substrukturen!! Hippocampus (Gyrus dentatus, CA3, CA1, Subiculum) Parahippocampus Perirhinaler Cortex Entorhinaler Cortex

• Modell: auch im Gedächtnissystem gibt es ein Wo- und Was-Pfad:

Perirhinalcortex (blau) enkodiert

Objektinformation (was?) Parahippocampus (grün)

enkodiert Kontextinfo (wo?) Hippocampus (rot) verbindet Objekt- mit Kontextinfo

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Wie funktioniert der MTL? Warenhaus oder eher wie ein Knoten-Koordinationspunkt? • Evidenz für die Warenhaus-Idee: Das Jennifer-Aniston-Neuron: Bei Human-OPs wurde bei Einzelzellableitungen ein Neuron gefunden, das

immer bei Jennifer Aniston feuert, und zwar auf hohem Abstraktionsniveau, nicht nur bei bestimmten physikalischen Stimuli

• Evidenz für die Drehkreuz-Idee:

Erinnerungen von H.M. sind irgendwann nicht mehr durch Hippocampusläsion betroffen, weil sie vom Hippocampus unabhängig geworden sind D.h. MTL hat was mit

„binding“ von Information zusammen, die woanders gespeichert moduliert LTP zwischen anderen kortikalen Arealen

Kritik: LTP dauert doch nur ein paar Tage! Antwort: Ja, aber nur unter experimentellen Bedingungen. Annahme: im

echten Leben, wo man nicht immer mit den gleichen Stimulikombinationen konfrontiert ist, dauert´s viel länger

Welche Rolle spielt Schlaf bei der Konsolidierung von Erinnerungen? (und ist der MTL involviert?)

• Während einer Lernphase wird bei Assoziationen, die gelernt werden sollen, ein bestimmter Duft dargeboten (spezifische Duft-Kartenpaarassoziationen) • Derselbe Duft wird

während des Schlafs auch dargeboten und dabei die Hirnaktivität im fMRI gemessen • Ob die Leute wirklich schlafen wird mit nem EEG kontrolliert (mehr Verkabelung

geht nicht!) • In der Duftphase findet man Hippocampusaktivität Hinweis darauf, das

Hippocampus mit der Konsolidierung im Schlaf zu tun hat

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• D.h. man dachte lange: explizites Gedächtnis MTL, implizites Gedächtnis Basalganglien

Gedächtnissysteme – neue Klassifikation

• Diese Dissoziation ist nicht so klar!! Evidenz gegen dieses Modell: HM hat auch Defizite im impliziten Lernen und kann teilweise doch neue

Gedächtnisinhalte lernen. Was denn nun?? Werden Gesichter- und Namensassoziationen subliminal dargeboten, können

diese Assoziationen später abgerufen werden, und zwar unter Einbezug des Hippocampus spricht gegen die Idee „Hippocampus nur explizit“

Wenn Vps die Fingertapping-

Test machen, dann findet man nahezu identische Aktivierungen im Gehirn, sowohl wenn ihnen gesagt wird, dass die Lichter sequenziell aufleuchten (Regel wird explizit gemacht) als auch wenn nicht (Regel bleibt implizit). Vorher hat man immer nur behaviorale Daten bei dem Paradigma gesammelt!

• Amnestische Patienten sind auch im impliziten Lernen eingeschränkt. Sie lernen nicht gut im „contextual judging task“ Hier sollen VPs immer angeben, in welche

Richtung die lange Seite vom „T“ oder vom „L“ zeigt Werden z.B. nach links zeigende „T“s immer

nur in einem bestimmtem Kontext dargeboten, lernen die VPs dies implizit und die RTs auf diese Kontexte werden schneller. Und DAS lernen amnestische Patienten nicht so gut, obwohl doch eigentlich nur ihr explizites Gedächtnis angeknackst ein dürfte.

Der Verdacht: die gefundenen Unterschiede zwischen „explizitem“ und

„implizitem“ Lernen kommen aufgrund von unterschiedlichen Testparadigmen zustande. Bei Paradigmen, die das „explizite“ Gedächtnis testen, werden oft Assoziationen zwischen flexiblem, relationalen Wissen

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getestet. Diese Assoziationen sind sehr komplex und haben einen hohen Abstraktionsgrad. Bei Paradigmen, die das „implizite „Gedächtnis“ testen, sind häufig sehr einfache Stimulus-Reaktionsverbindungen gelernt und getestet worden, d.h. einfache Assoziationen zwischen einem einfachen Stimulus und einer einfachen motorischen Antwort. was die 2 „Systeme“ dissoziiert, ist nicht nur implizite/explizite Charakter der Erinnerung, sondern auch das Testmaterial.

Und was bestimmt jetzt das neuronale Korrelat (d.h. die beteiligten Gehirnregionen)? Das Testmaterial oder der implizite/explizite Charakter des Wissens?

Herr Rose sagt, aus theoretischer und neurowissenschaftlicher Sicht macht es mehr Sinn, dass das Material das neuronale Korrelat bestimmt. Und dafür hat er höchstpersönlich Evidenz produziert. Und zwar so:

Evidenz dafür, dass die Testmaterial, d.h. die Qualität der assoziierten Inputs, das neuronale Korrelat bestimmen:

• VPs machen ein number Reduction Task. Dabei werden VPs Zahlen dargeboten, mit

denen sie Rechenoperationen durchführen sollen. In den Zahlen, die das Ergebnis sind, ist eine implizite Regel versteckt: sie sind immer in der Mitte gespiegelt. Das wissen die VPs aber nicht. Bei dieser Aufgabe findet man eine

Verbesserung der RTs für die zweite Hälfte der Zahlenreihe (die ist ja durch die implizite Regel vorhersehbar) Es gibt eine Kontrollgruppe, die dieselbe

Aufgabe ohne versteckte Regel durchführt, um zu wissen, wie viel Lernleistung auf einen unspezifischen Übungseffekt zurückgeht.

Es wird also eine abstrakte Regel implizit gelernt. M.a.W.: Die Assoziationen, die gebildet werden sind komplex (und können nicht als einfache S-R-Verbindung gelernt werden), die Regel ist aber trotzdem nicht explizit.

• Wenn die VPs jetzt im fMRI die Aufgabe lösen, kann man gucken, ob eher eine Aktivierung der Basalganglien gefunden wird dann würde der

implizite Charakter der Aufgabe das neuronale Korrelat bestimmen eher eine Aktivierung des MTL gefunden wird dann würde das Material und

die Art der Assoziation, die gebildet wird, das Neuronale Korrelat bestimmen. . Es wurde der Kontrast zwischen Kontroll- und Versuchsgruppe berechnet

werden • Die Lampen gehen im MTL an Art der Assoziation bestimmt, welche Hirnregion

beteiligt ist.

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Fazit: (da ist er so lange drauf rumgeritten, dazu fragt er bestimmt was….) Lernen von abstraktem relationalem Wissen aktiviert den MTL auch wenn es

implizit gelernt wird. Eine Aktivierung der Basalganglien findet man immer bei S-R-Verbindungen, egal ob implizit oder explizit gelernt.

D.h. die Spezialisierung der Gehirnbereiche bezieht sich auf das zu lernende Material (=die zu lernenden Assoziationen), nicht auf die Bewusstheit des Lernvorganges!

Das bessere Modell sieht so aus:

• Aber: trotzdem lassen sich explizites und implizites Gedächtnis auf

Verhaltensebene dissoziieren, d.h. irgendwie müssen sie sich schon unterscheiden. M. Rose sagt: „in der Art, wie die Information nachher zusammengebunden wird“ und meint damit, dass expliziter Wissensabruf mit starkem „Binding“ zu tun hat.

• Das Abstraktionslevel des zu lernenden Materials bestimmt, ob es über die Basalganglien oder über den MTL läuft; die Art des Abrufs bestimmt, ob es sich um explizite oder implizite Inhalte handelt.

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