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Schweizerische Graphologische Gesellschaft SGG Société Suisse de Graphologie SSG BULLETIN SGG LIEBE LESERINNEN UND LESER Am 16. Mai haben wir das neu gegründete Institut für Handschriftwissenschaften eröffnet: Wir durften weit mehr Besu- cher als erwartet begrüssen. Unser Ehrenmitglied Prof. Dr. Detlev v. Uslar hat in seinem Eröffnungsreferat betont, wie wichtig es ist, in der Forschung immer beide Zugangsmöglichkeiten im Auge zu behalten, neben der quantitativen auch die qualitative. Sibylle Hurschler von der Pädagogischen Hochschule Luzern hat über Untersuchungen zur Handschrif- tenentwicklung bei Kindern berichtet, Dr. Stephan Toggweiler von der ZHAW hat in seiner Arbeit zum GraphoPro® erfreulich gute Resultate präsentiert. Möglichkeiten zur Unterstützung der Forschung sind von der Verteterin von EURe- lations angesprochen und die "hauseigenen" Projekte sind vorgestellt worden. Die von drei SGG-Mitgliedern betreute Schreibwerkstatt hat einen unerwarteten Zulauf erlebt: Die Teilnehmer mussten tatsächlich Schlange stehen! Wir sind motiviert, den erhaltenen Schwung auszunützen, und bedanken uns bei allen Besuchern! Marie Anne Nauer INHALT: • Foto-BERICHT ÜBER DIE ERÖFFNUNG DES INSTITUTS FÜR HANDSCHRIFTWISSENSCHAFTEN • GRAPHOLOGISCHE GUTACHTEN AUS RECHTLICHER SICHT (Referat Debora Horst) • CARLO BROSCHI DETTO IL FARINELLI (Robert Bollschweiler) AGENDA: FORTBILDUNG CH & INTERNATIONAL: ZÜRICH, LISSABON, MÜNCHEN; INTERVISION SGG/SBAP SGG & IAP BASEL: AUSBILDUNG IN GRAPHOLOGIE NEUER GRUNDKURS: BEGINN APRIL 2018 für Fachleute in beratungsnahen Berufen IAP BASEL [email protected] PERSÖNLICHKEITEN MIT UNTERSCHRIFT*... *Quellen: spiegel.de; tagesschau.de; wikipedia (official) ...IM RAMPENLICHT MARINE LE PEN, FRANZÖSISCHE PRÄSIDENTSCHAFTSKANDIDATIN DES FRONT NATIONAL 2017 UND EMMANUEL MACRON, PRÉSIDENT DE LA RÉPUBLIQUE FRANÇAISE 2017 NR. 115 - JULI 2017

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Page 1: Schweizerische Graphologische Gesellschaft SGG Société ... · • Die Graphologie ist zu altmodisch und zu teuer geworden: Sie liefert zwar hochdiffe- renzierte Ergebnisse mit Tiefgang

Schweizerische Graphologische Gesellschaft SGG

Société Suisse de Graphologie SSG

BULLETIN SGGLIEBE LESERINNEN UND LESER

Am 16. Mai haben wir das neu gegründete Institut für Handschriftwissenschaften eröffnet: Wir durften weit mehr Besu-cher als erwartet begrüssen. Unser Ehrenmitglied Prof. Dr. Detlev v. Uslar hat in seinem Eröffnungsreferat betont, wiewichtig es ist, in der Forschung immer beide Zugangsmöglichkeiten im Auge zu behalten, neben der quantitativen auchdie qualitative. Sibylle Hurschler von der Pädagogischen Hochschule Luzern hat über Untersuchungen zur Handschrif-tenentwicklung bei Kindern berichtet, Dr. Stephan Toggweiler von der ZHAW hat in seiner Arbeit zum GraphoPro®erfreulich gute Resultate präsentiert. Möglichkeiten zur Unterstützung der Forschung sind von der Verteterin von EURe-lations angesprochen und die "hauseigenen" Projekte sind vorgestellt worden. Die von drei SGG-Mitgliedern betreuteSchreibwerkstatt hat einen unerwarteten Zulauf erlebt: Die Teilnehmer mussten tatsächlich Schlange stehen! Wir sindmotiviert, den erhaltenen Schwung auszunützen, und bedanken uns bei allen Besuchern!

Marie Anne Nauer

INHALT:

• Foto-BERICHT ÜBER DIE ERÖFFNUNG DES INSTITUTS

FÜR HANDSCHRIFTWISSENSCHAFTEN

• GRAPHOLOGISCHE GUTACHTEN AUS RECHTLICHER SICHT (Referat Debora Horst)• CARLO BROSCHI DETTO IL FARINELLI

(Robert Bollschweiler)• AGENDA: FORTBILDUNG CH & INTERNATIONAL: ZÜRICH, LISSABON, MÜNCHEN; INTERVISION SGG/SBAP

SGG & IAP BASEL:

AUSBILDUNG IN GRAPHOLOGIE

NEUER GRUNDKURS:BEGINN APRIL 2018

für Fachleute in beratungsnahen Berufen

IAP BASEL

[email protected]

PERSÖNLICHKEITEN MIT UNTERSCHRIFT*...

*Quellen: spiegel.de; tagesschau.de; wikipedia (official)

...IM RAMPENLICHT

MARINE LE PEN, FRANZÖSISCHE PRÄSIDENTSCHAFTSKANDIDATINDES FRONT NATIONAL 2017UND EMMANUEL MACRON,PRÉSIDENT DE LA RÉPUBLIQUE FRANÇAISE2017

NR. 115 - JULI 2017

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Redaktion und Layout:Dr. Marie Anne Nauer, CH-8006 Zürich+41 44 362 96 03 [email protected]

SGG-Sekretariat: Ursula SebbenWeinbergstrasse 102, CH-8006 Zürich+41 44 364 50 51 [email protected]

Annemarie Pierpaoli8123 [email protected]

Beiräte:Dr. Urs Imoberdorf, 8032 Zü[email protected]

Druck: STEINEMANN PRINT AG Digital + Analog Uitikonerstrasse 27, CH-8952 Schlieren T +41 44 730 93 94 www.steinemann-print.ch2

AGENDA

SCHRIFTPSYCHOLOGISCHE & PSYCHOLOGISCHE WEITERBILDUNG 2016/17:

13/14. Oktober 2017: Wir empfehlen denINTERNATIONALEN GRAPHOLOGENTAG 2017 MÜNCHEN

Info & Anmeldung: s. Agenda international

25. November 2017 (10:15-17:15)ARBEITSTAG: Analyse von Kritzelschrift und projektive Verfahren als Prognose für SchulerfolgReferentin: KATARINA REHM

Ort: Berufsschule für Gestaltung, Ausstellungsstrasse 104, 8005 ZürichVeranstaltung: SGG Schweizerische Graphologische GesellschaftInfo & Anmeldung auf: www.sgg-graphologie.ch

EUROPEAN CONFERENCE ON PSYCHOLOGICAL ASSESSMENT (ECPA14)July 5 - 8, 2017 - Lisbon

www.ecpa14.com

INTERNATIONAL MEETING OF THE PSYCHOMETRIC SOCIETY (IMPS 2017)July 17 - 21, 2017 - University of Zurich

www.psychometricsociety.org

INTERNATIONALER GRAPHOLOGENTAG 2017 MÜNCHEN13./14. Oktober 2017, Künstlerhaus München

Referenten:Dr. Angelika Burns (CH) - Claudia Caspers (D) - Marie-Thérèse Christians (B) - Dr. Urs Imoberdorf (CH) -

Elisabeth Kaiser (CH) - Dr. Rudolf Knüsel (CH) - Klara Leclercq Backes (B) - Ilona Mattisek (D) - Dr. Marie Anne Nauer (CH) - Dr. Helmut Ploog (D) - Christiane Sarreiter (D) - Dr. Antje Telgenbüscher (D) -

www.graphologie.de

www.sgg-graphologie.ch

INTERVISION GRAPHOLOGEN SGG / SCHRIFTPSYCHOLOGEN SBAP:

5. September 17:00-19:00 / 2. Oktober: 14:30-16:30INTERVISION: Besprechung von mitgebrachten HandschriftenTeilnehmerzahl: begrenzt - bitte frühzeitig anmelden!

Ort: Praxis Jürg Schläpfer, Bäulistrasse 22, 8049 ZürichVeranstaltung: SGG Schweizerische Graphologische GesellschaftAnmeldung an: [email protected]

SGG INTERN: 1. September 2017 - 14:00 - 17:00 SGG QUO VADIS?

Helferei Grossmünster, Kirchgasse 13, 8001 Zürich (Breitingersaal)

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GRAPHOLOGISCHE GUTACHTEN IN THEORIE UND PRAXIS AUS ARBEITSRECHTLICHER SICHT

Masterarbeit an der Uni Bern von Debora Horst

Im Rahmenprogramm zur diesjährigen GV der SGG im April 2017 hat DeboraHorst ihre Masterarbeit an der Uni Bern (Referent: Prof. Dr. Roland Müller) vorge-stellt.

Frau Horst hat sich die Mühe gemacht, anstatt einer Power Point-Präsentation eineAnzahl von Notizen auf einem Flip Chart von Hand aufzuzeichnen: das Resultatwar bemerkenswert und ist natürlich sehr gut angekommen bei den Graphologen!Eine empfehlenswerte Alternative für manche Gelegenheiten, wo man nicht unbe-dingt auf die Technik angewiesen ist.

Dabei sind u.a. die folgenden für uns Graphologen wichtigen rechtlichen Grundsät-ze1 festgestellt worden:

• Der Arbeitgeber2 darf sich ein Bild über den Bewerber machen und in diesem Zusammenhang auch ein graphologisches Gutachten erstellen lassen.• Der Arbeitgeber muss dem Graphologen mitteilen, welche Kriterien für die Arbeitsstelle relevant sind: Die Persönlich- keit darf nicht umfassend, sondern nur bezüglich der auf die Position bezogenen Persönlichkeitsmerkmale begutachtet werden.• Ein graphologisches Gutachten darf nicht heimlich erstellt werden: Der Bewerber muss ausdrücklich einwilligen. • Die Persönlichkeit eines Arbeitsnehmers wird durch ein unrichtiges Gutachten verletzt; hat jemand den Eindruck, falsch beurteilt worden zu sein, hat er das Recht auf Gegendarstellung.• Einem abgelehnten Bewerber muss - im Gegensatz zu einem angestellten - keine Einsicht in das Gutachten gewährt werden. In diesem Fall ist jedoch das Gutachten zu vernichten.• Ein graphologisches Gutachten tangiert zwar den Schutzbereich der Rechtsgleichheit, des Willkürverbots und den Schutz der Privatsphäre, ist jedoch bei korrekter Ausführung gerechtfertigt: Ein Arbeitgeber hat das Recht zu wissen, wen er anstellt. • Ein graphologisches Gutachten ist eine Urkunde; deshalb sollte der Bewerber bestätigen müssen, dass er den Text selber verfasst hat.

Auf den theoretischen rechtlichen Teil hat Frau Horst eine Umfrage bei 100 Personalverantwortlichen und 216 Studentenfolgen lassen. Dabei haben sich manche Sachverhalte ergeben, die uns schon bekannt sind; neu gezeigt hat sich etwa, dassan der Graphologie kaum mehr Kritik geübt wird wie noch vor etwa fünf bis zehn Jahren. Es werden vielmehr neue Ar-gumente für den Verzicht auf die Methode angeführt:

• Kein Bedarf, da es mittlerweise andere, einfacher zu handhabende Methoden gibt wie computerbasierte Tests, die auch von einer Hilfskraft ausgeführt und überwacht werden können und die automatisierte Auswertungen liefern.• Die Graphologie ist zu altmodisch und zu teuer geworden: Sie liefert zwar hochdiffe- renzierte Ergebnisse mit Tiefgang in Form von psychodynamischen Beschreibungen der Persönlichkeits-Struktur, was aber mit viel Hand- resp. Kopfarbeit verbunden ist.• Die automatisierten Auswertungen sind dagegen günstiger und häufig sogar pauschal zu haben.• Allerdings gibt es nach wie vor Bereiche, wo Personalverantwortliche sich aussagekräfti- ge Resultate wünschen.• Bei manchen Personalverantwortlichen und vor allem bei den meisten Studenten ist die Graphologie weitgehend ein unbekanntes Feld geworden.• Wünschenswert wäre eine Vereinfachung der Auswertung und damit eine Senkung der Kosten.

Interessant ist übrigens die Feststellung, dass Studenten in einer Funktion als Per-sonalverantwortliche die Methode anwenden würden. Dies ist wohl der Punkt,wo wir ansetzen müssen – dies und anderes wurde in der anschliessenden Dis-kussion lebhaft erörtert.

Marie Anne Nauer

1 Auf Punkte, die nur oder vor allem für den Arbeitgeber wichtig sind, wird hier nicht eingegangen.2 Frau Horst verwendet durchgehend nur die weibliche Form. Wir haben uns trotzdem für die gebräuchliche und leichter lesbare männliche Versionentschieden – selbstverständlich sind in beiden Fällen beide Geschlechter eingeschlossen.

Handgeschriebene Präsentation

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INAUGURATIONSFEIER FÜR DAS IHS INSTITUT FÜR HANDSCHRIFTWISSENSCHAFTEN

16. Mai 2017 - 18:00-20:00, anschliessend Apéro Helferei Grossmünster, Kirchgasse 13, 8001 Zürich

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Dr. Urs Imoberdorf führt durch den Abend

Das neue IHS Journal in der Hand der Präsidentin Dr. Marie Anne Nauer

Alexandra Spälti, die Research Managerin von EURelations

Eröffnungsreferat von Prof. Detlev v. Uslar

Der wissenschafltiche Direktor Dr. Yury Chernov erläutert Ziele und Struktur des Instituts

Die Aktivitäten des Instituts Die schriftpsychologische Forschung ist ganz schön komplex...

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...und muss bisweilen lebhaft diskutiert werden!Hier mit dem Kollegen von der ZHAW,

Dr. Stephan Toggweiler

Prof. Detlev v. Uslar freut sich über sein Geschenk, einen Füllhalter, gesponsert von Montegrappa

Sibylle Hurschler Lichtsteiger von der Pädagogischen Hochschule Luzern undDr. Yury Chernov

Die lebhaft besuchte Schreibwerkstatt... ...mit Peter Schär und Jürg Schläpfer--- ...und Annemarie Pierpaoli (rechts)

Dr. Urs Imoberdorf moderiert das Podium...

...mit Dr. Marie Anne Nauer, Prof. Detlev v. Uslar, Sibylle Hurschler, Alexandra Spälti, Dr. Stephan Toggweiler, Dr. Yury Chernov

Mit Dank an:Bilder: Christian P. Katz

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CARLO BROSCHI

DETTO IL FARINELLI (1705-1782)

"Carlo Broschi war der am meisten gefeierte Sänger des 18. Jahrhunderts und zweifellos der grösste der gesam-ten Kastratenkunst" (Patrick Barbier).

Carlo, geboren am 24. Januar 1705 in Andria (Königreich Neapel), war dasjüngste von drei Kindern des Ehepaares Salvatore Broschi und Caterina Barre-se. Vater Broschi gehörte dem niederen Amtsadel an und war Gouverneur ei-nen kleinen Provinzstadt. Er und seine Gattin schätzten die Musik sehr, undals sie bemerkten, wie rein, frisch und brillant die Stimme ihres Jüngsten war,entschlossen sie sich, ihn im Alter von neun Jahren kastrieren zu lassen. Als imausgehenden 17. Jahrhunderts in Italien die ersten Opern entstanden, wurdendie weiblichen Rollen zumeist von Kastraten gesungen, da es den Frauen vonkirchlicher Seite her verboten war, auf der Bühne zu stehen. Als die italieni-sche Oper im 18. Jahrhundert ganz Europa eroberte, breitete sich auch derRuhm der Kastraten immer mehr aus.

Carlo scheint seine Kastration den Eltern nie vorgeworfen zu haben. Er be-wahrte ihnen sein Leben lang eine tiefe Zuneigung und eine gewisse Dankbar-keit für den künstlerischen Weg, den sie ihm eröffnet hatten. Er hatte dasGlück, beim jungen Komponisten Nicolò Porpora während fünf Jahren einestrenge und ausgezeichnete stimmlich-musikalische Ausbildung zu erhalten.

Nach dem ersten erfolgreichen Auftritt anno 1720 trat Carlo in den folgendenvierzehn Jahren in unzähligen Konzerten auf. Er sang am kaiserlichen Hof inWien, in München und in verschiedenen Städten Italiens. Seinen Künstlernamen "Farinelli" hatte er zu Ehren der Brüder Farina, die ihn freundschaftlich unterstützt hatten, ausge-wählt.

Ein italienischer Kritiker lobte seine sichere und fehlerfreie Intonation, die unvergleichliche Geschmeidigkeit und Ge-wandtheit, den langen Atem sowie die Eleganz in den Verzierungen.Seine Stimme umspannte mehr als drei Oktaven. Es heisst, er habe einen Ton mit allen Verzierungen eine Minute langohne zu atmen anhalten können.

Der Biograph Burney berichtet von einem legendär gewordenen Wettkampf zwischen einem berühmten Trompeter undFarinelli: "Beide liessen einen Ton anschwellen, dann zeigte jeder die Kraft seiner Lunge und suchte den andern an Kraft und Brillanz zuüberbieten. Gemeinsam führten sie ein Crescendo und einen Triller in Terzen aus, der so lange gehalten wurde, dass beide erschöpft schienen.Der Trompeter hörte auf, glaubte er doch, sein Gegner wäre ebenso ermüdet wie er und der Kampf müsste unentschieden enden. Da begannFarinelli mit einem Lächeln, noch immer in denselben Atemzug, mit neuer Kraft eine Reihe von Trillern und Verzierungen, die erst durch dieBeifallsstürme unterbrochen wurden."

Ende Sommer 1734 reiste Farinelli nach London, wo er während drei Spielzeiten an der Opera of Nobility sang. Nebengrossen Erfolgen gab es aber jenseits des Kanals auch Ablehnung des italienisch geprägten Kastratengesangs. Barbier zi-tiert den folgenden Ausspruch eines Kritikers: "Möge Grossbritannien nicht länger von frivolen Trillern und Verzierungen verdorbenwerden. Möge sich jene Rasse von Sängern dorthin zurückwenden, woher sie kommen. Sie sollen dort ihre Fistelstimmen erschallen lassen."

Was man jedoch aus Zeugnissen von damals weiss, muss die Stimme eines gut ausgebildeten Kastratensänger eine faszi-nierende Wirkung ausgeübt haben und ist mit den Stimmen der heutigen Counter-Tenöre in keiner Weise vergleichbar.

1737 erreichte Farinelli ein Hilferuf aus Spanien. Königin Elisabeth hatte von seiner Wunderstimme gehört und hoffteinsgeheim, dass Farinelli durch seinen Engelsgesang die Melancholie ihres Gemahls mildern könnte. Philipp V., ein Bour-bone, Enkel Ludwigs XIV., war ein schwacher, unentschlossener Regent, der immer stärker unter seinen melancholischenStimmungen zu leiden begann.

Gemälde von Corrado Giaquinto oder Jacopo Amigoni (ca. 1752)

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Am Abend des 23. August 1737 sang Farinelli zum ersten Mal in einem Nebenzimmer des Königs und " ...jeder Klang, deraus dem benachbarten Zimmer kam, jede Phrase, jede Koloratur schienen den König, der seit Monaten vor sich hindämmerte, dem Leben zu-rückzugeben", schreibt Biograph Barbier. Der König rief den Sänger zu sich und bat ihn um weitere Lieder. Und fortansang Farinelli jahrelang jeden Abend am Bett des Königs. Die Nachricht von der wunderbaren Wirkung von FarinellisStimme auf den kranken Philipp verbreitete sich bald in ganz Europa.

Nach dem Tod Philipps, 1746, sang Farinelli auch für den neuen König, Ferdinand VI. Seine Stellung am Hof wurde im-mer gewichtiger, und man bürdete dem Sänger mehr und mehr auf: Er musste Opernaufführungen organisieren, königli-che Feste vorbereiten, Bauarbeiten führen und Empfänge ausländischer Persönlichkeiten vorbereiten. Aufgaben, die ihnoft an den Rand der Erschöpfung brachten.

1750 erhielt er von Ferdinand den Calatrava-Orden, die höchste spanische Auszeichnung. Auch Ferdinand war, wie seinVater, melancholisch und wurde von paranoiden Ängsten geplagt. Als er am 19. August 1759 starb, trat sein Bruder Karlseine Nachfolge an. Der neue König hatte kein Interesse mehr am Kastratengesang und entliess Farinelli aus seinenDiensten (immerhin unter Gewährung einer lebenslangen Pension).

Nach langen Jahren der Abwesenheit betrat Farinelli 1760 endlich wieder italienischen Boden. Als reich gewordenerMann bezog er in Bologna einen wunderschönen Landsitz, den er sich hatte erbauen lassen. Dort verbrachte er seineletzte Lebenszeit. Er empfing und bewirtete viele illustre Gäste. Eine besondere Ehre waren für ihn die Besuche desKomponisten Christoph Willibald Gluck, von Kaiser Joseph II. sowie von Vater und Sohn Mozart. Trotz der vielen Eh-rungen, Huldigungen und Geschenke blieb er ein bescheidener, zurückhaltender Mensch. Zum englischen Musikwissen-schafter und ersten Biographen Burney soll er gesagt haben: "Wenn Sie ein gutes Buch schreiben wollen, füllen Sie es nicht mitEinzelheiten über eine so unbedeutende Person wie mich."

Eine jahrelange, innige Freundschaft verband ihn mit dem damals ebenfalls berühmten Dichter, Librettisten und "geisti-gen Zwillling" Pietro Metastasio, mit dem er einen intensiven Briefwechsel pflegte.

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Handschrift von Carlo Broschi detto il Farinelli (Brief an den Conte Pepoli, 1740)

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Doch trotz dem nachhallenden Erfolg, seiner Berühmtheit, dem schönen, mit kostbaren Geschenken angefüllten Land-sitz bedrückte ihn immer mehr eine trostlose Einsamkeit, und als am 12. April 1782 Metastasio starb, erlosch in ihm dieletzte Lebenskraft. Am 16. September des gleichen Jahres folgte er seinem Freunde nach.

Patrick Barbier schreibt am Schluss seiner Biographie die folgenden schönenWorte:"Das Beste, was wir heute von Carlo Broschi wissen, ist vielleicht das, was wir nicht erfahrenhaben. Angefangen bei seiner Stimme. Auf vielen Seiten wurden die technische Vollendung,die aussergewöhnliche Weite seiner Stimme und die bezaubernde Macht seines Soprans be-schrieben. Aber kein technisches Hilfsmittel wird uns die Wahrheit dieser Stimme zurückge-ben.

Auch sein Privatleben hat uns nicht alle seine Geheimnisse enthüllt. Carlo sprach nicht gernüber sich. Da er täglich seinen Bewunderern ausgeliefert war, bewahrte er, wo er konnte, seinePrivatsphäre. Trotz seines guten Aussehens und seines feinen Humors war er introvertiert,litt inmitten der Begeisterungsstürme und königlichen Belohnungen unter Einsamkeit undverbarg seine inneren Wunden unter dem Strahlen des beruflichen Erfolges. Der "grössteKastrat des Universums" zog eine der gleichzeitig strahlendsten und geheimnisvollsten Bahnendurch die Geschichte des Gesangs."

Aus den Biographien wissen wir, dass Farinelli ein bescheidener, liebenswürdi-ger, feinfühliger Mensch war, dem es oft an solidem Selbstvertrauen fehlte. Ob-wohl man ihn vergötterte und er Reichtümer anhäufen konnte, künden seineBriefe immer wieder von fassungslosem Staunen über seinen Erfolg.

Über seine Gefühle äusserte er sich nur sehr zurückhaltend Er sehnte sich zeit seines Lebens nach Wärme und Zunei-gung, denn ein erfülltes Liebesleben war ihm nicht beschieden. "Man weiss von keiner ernsthaften Bindung, keine Leidenschaftscheint sein Dasein tiefer berührt zu haben", schreibt der Biograph.

Farinellis Handschrift (Brief an den Conte Pepoli, 1740):

Die Schrift ist sehr beweglich, lebendig und gleichzeitig wohlgeordnet. Das Raumbild ist ausgewogen, der Linksrand sehrgradlinig, die Wort- und Zeilenabstände regelmässig. Der Druck ist vermutlich ausreichend stark. Die Schrift, auf eiligemVorwärtsgang, wirkt aktiv und dynamisch. Gut erkennbar ist bei zahlreichen Wörtern die aufsteigende Richtung.

Diese Merkmale ergeben das Bild eines aktiv gestimmten, willensstarken, lebhaften und lebenstüchtigen Mannes, dersich gut und flexibel an bestehende Verhältnisse anpassen kann, eine angemessene zwischenmenschliche Distanz einhält,sein Inneres schützt (Endhaken und -punkte) und seine Antriebskräfte kontrolliert einzusetzen und zu beherrschen ver-mag. Keine Neigung zu Übertreibungen, kein aufgeblähtes Ego, kein Auftrumpfen oder eitles Gebaren, mehr Realist alsPhantast.

Robert BollschweilerQuellen:Barbier Patrick: Farinelli - Der Kastrat der Könige (Econ 1995)Burney Ch.: General History of Music (London 1776)Verdi Luigi: Il Farinelli a Bologna (Centro Studi Farinelli, 2005)Wikipedia: Farinelli (2011)

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Farinelli (Gravur von 1735)

Von Farinellis Freund Pietro Metastasio (1698-1782) unterschriebene Quittung. Als dieser in Wien für die kaiserliche Familie komponierte, widmete er Farinelli u.a. die populäre Canzonette "Ecco quel fiero istante"; solche Gelegenheitswerke entstanden jeweils in sehr kurzer Zeit.