rezension: briefwechsel von alexander von humboldt, carl ritter

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Rezensionen in einer noch nicht akademisch etablierten Geo- graphie die Distinktion zwischen Laien und Fach- leuten noch nicht ihre spȨtere Bedeutung hatte. Im zweiten Kapitel widmet sich SchrɆder der ,Neuerfindung der Geographie‘ innerhalb einer Generation. Anhand der Schriften des Deutschen Carl Ritter (1779–1859), des in Paris lebenden DȨ- nen Conrad Malte-Brun (1775–1826), der ebenso in Paris ansȨssigen Edme Franȱois Jomard (1777– 1862) und Adriano Balbi (1782–1848, ein gebɒrti- ger Italiener) rekonstruiert sie den zeitgenɆssi- schen geographischen Diskurs, so die Debatte ɒber einheitliche Maße und Terminologien, aber auch kartographische Mittel. Sie beschreibt die entstehenden Praktiken der Produktion geogra- phischen Wissens, die auf den Paradigmenwechsel in der Proto-Geographie der Zeit zurɒckgingen: Erkenntnis sollte nunmehr nȨmlich aus unmittel- barer Anschauung stammen. Als Paradebeispiel galten die Forschungsreisen eines Alexander von Humboldt, Georg Forster oder James Cook; ent- lang dieser Leitfiguren entstand ein Set an wissen- schaftlichen Praktiken fɒr Forschungsreisende. Deren Erkenntnisse jedoch sollten weiterhin von den Gelehrten daheim sortiert und gewertet wer- den, in ausgeklɒgelter Arbeitsteilung zwischen den Forschungsreisenden ,im Feld‘ und den Lehn- stuhlgelehrten in Europas Metropolen. Ins Feld fɒhrt SchrɆder den Leser sodann am Beispiel der Afrikaforschung. Sie erlȨutert Reise- techniken, die praktische Arbeit ,im Feld‘ und die resultierende Spannung zwischen reisenden For- schern und residenten Geographen. Das Bild von Afrika, das so entstand, zeichnet sie anhand zweier Universalgeographien nach, wiederum aus der Fe- der Carl Ritters und Conrad Malte-Bruns. Auch hier ging es erstaunlich wenig national zu, wie SchrɆder konstatiert. Eindeutig kolonial wurde die Afrikaforschung ihrer Ansicht nach erst nach 1870, am Vorabend des ,scramble for Africa‘, der Aufteilung des Kontinents am europȨischen Kar- tentisch. Quasi als Kontrast dazu wendet sich SchrɆder im vierten Kapitel großen geographi- schen Synthesen Europas zu (u.a. wieder Ritter). Zentral ist die Erkenntnis, dass die RȨnder Euro- pas nicht weniger unerforscht gewesen seien als das Innere Afrikas, sich jedoch kaum ein europȨ- ischer Forscher und Geograph dafɒr interessierte. Was genau eigentlich den EuropȨer des 19. Jahr- hunderts so faszinierte am Inneren Afrikas – und im Gegenzug die europȨische Peripherie so unin- teressant machte –, wird bedauerlicherweise nicht weiter erkundet. Bedauerlich ist auch, dass der Anspruch der Ar- beit so enorm hoch gehȨngt wurde. Denn so viele interessante Aspekte Iris SchrɆder auch zum Auf- stieg der Geographie zur wissenschaftlichen Diszi- plin bieten kann, so wenig gelingt ihr ein stringen- ter Nachweis der großen Ursprungsthese von der „VerrȨumlichung der Welt“. Der Bedeutung des Werks als wichtiger Beitrag zur Geschichte der Geographie im 19. Jahrhundert kann dies jedoch keinen Abbruch tun. Jutta Faehndrich (Leipzig) Ber. Wissenschaftsgesch. 36 (2013) 96–110 i 2013 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 103 DOI: 10.1002/bewi.201301612 Alexander von Humboldt, Carl Ritter, Briefwechsel. Hrsg. von Ulrich PȨßler unter Mitarbeit von Eberhard Knobloch, (BeitrȨge zur Alexander-von- Humboldt-Forschung; 32) Berlin: Akademie Verlag 2010. 310 S., 8 Abb., geb., e 59,80. ISBN 978-3-05-004676-1. Alexander von Humboldt, August BɆckh, Briefwechsel. Hrsg. von Romy Werther unter Mitarbeit von Eberhard Knobloch, (BeitrȨge zur Alexander-von- Humboldt-Forschung; 33) Berlin: Akademie Verlag 2011. 316 S., 3 Abb., geb., e 59,80. ISBN 978-3-05-005053-9. Alexander von Humboldt, Familie Mendelssohn, Briefwechsel. Hrsg. von Sebastian Panwitz und Ingo Schwarz unter Mitarbeit von Eberhard Knobloch, (BeitrȨge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung; 34) Berlin: Akademie Verlag 2011. 492 S., 7 Abb., geb., e 79,80. ISBN 978-3-05-005154-3. In den letzten Jahren hat die Alexander-von-Hum- boldt-Forschungsstelle der Berlin-Brandenburgi- schen Akademie der Wissenschaften in kurzer Fol- ge eine stattliche Reihe von EditionsbȨnden vorge- legt, die ein weites thematisches Spektrum von Humboldts brieflichen Beziehungen abdecken:

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Page 1: Rezension: Briefwechsel von Alexander von Humboldt, Carl Ritter

Rezensionen

in einer noch nicht akademisch etablierten Geo-graphie die Distinktion zwischen Laien und Fach-leuten noch nicht ihre sp�tere Bedeutung hatte.

Im zweiten Kapitel widmet sich Schr�der der,Neuerfindung der Geographie‘ innerhalb einerGeneration. Anhand der Schriften des DeutschenCarl Ritter (1779–1859), des in Paris lebenden D�-nen Conrad Malte-Brun (1775–1826), der ebensoin Paris ans�ssigen Edme Fran�ois Jomard (1777–1862) und Adriano Balbi (1782–1848, ein geb�rti-ger Italiener) rekonstruiert sie den zeitgen�ssi-schen geographischen Diskurs, so die Debatte�ber einheitliche Maße und Terminologien, aberauch kartographische Mittel. Sie beschreibt dieentstehenden Praktiken der Produktion geogra-phischen Wissens, die auf den Paradigmenwechselin der Proto-Geographie der Zeit zur�ckgingen:Erkenntnis sollte nunmehr n�mlich aus unmittel-barer Anschauung stammen. Als Paradebeispielgalten die Forschungsreisen eines Alexander vonHumboldt, Georg Forster oder James Cook; ent-lang dieser Leitfiguren entstand ein Set an wissen-schaftlichen Praktiken f�r Forschungsreisende.Deren Erkenntnisse jedoch sollten weiterhin vonden Gelehrten daheim sortiert und gewertet wer-den, in ausgekl�gelter Arbeitsteilung zwischenden Forschungsreisenden ,im Feld‘ und den Lehn-stuhlgelehrten in Europas Metropolen.

Ins Feld f�hrt Schr�der den Leser sodann amBeispiel der Afrikaforschung. Sie erl�utert Reise-techniken, die praktische Arbeit ,im Feld‘ und dieresultierende Spannung zwischen reisenden For-

schern und residenten Geographen. Das Bild vonAfrika, das so entstand, zeichnet sie anhand zweierUniversalgeographien nach, wiederum aus der Fe-der Carl Ritters und Conrad Malte-Bruns. Auchhier ging es erstaunlich wenig national zu, wieSchr�der konstatiert. Eindeutig kolonial wurdedie Afrikaforschung ihrer Ansicht nach erst nach1870, am Vorabend des ,scramble for Africa‘, derAufteilung des Kontinents am europ�ischen Kar-tentisch. Quasi als Kontrast dazu wendet sichSchr�der im vierten Kapitel großen geographi-schen Synthesen Europas zu (u.a. wieder Ritter).Zentral ist die Erkenntnis, dass die R�nder Euro-pas nicht weniger unerforscht gewesen seien alsdas Innere Afrikas, sich jedoch kaum ein europ�-ischer Forscher und Geograph daf�r interessierte.Was genau eigentlich den Europ�er des 19. Jahr-hunderts so faszinierte am Inneren Afrikas – undim Gegenzug die europ�ische Peripherie so unin-teressant machte –, wird bedauerlicherweise nichtweiter erkundet.

Bedauerlich ist auch, dass der Anspruch der Ar-beit so enorm hoch geh�ngt wurde. Denn so vieleinteressante Aspekte Iris Schr�der auch zum Auf-stieg der Geographie zur wissenschaftlichen Diszi-plin bieten kann, so wenig gelingt ihr ein stringen-ter Nachweis der großen Ursprungsthese von der„Verr�umlichung der Welt“. Der Bedeutung desWerks als wichtiger Beitrag zur Geschichte derGeographie im 19. Jahrhundert kann dies jedochkeinen Abbruch tun.

Jutta Faehndrich (Leipzig)

Ber. Wissenschaftsgesch. 36 (2013) 96–110 i 2013 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 103

DOI: 10.1002/bewi.201301612

Alexander von Humboldt, Carl Ritter, Briefwechsel. Hrsg. von Ulrich P�ßlerunter Mitarbeit von Eberhard Knobloch, (Beitr�ge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung; 32) Berlin: Akademie Verlag 2010. 310 S., 8 Abb., geb., e59,80. ISBN 978-3-05-004676-1.

Alexander von Humboldt, August B�ckh, Briefwechsel. Hrsg. von RomyWerther unter Mitarbeit von Eberhard Knobloch, (Beitr�ge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung; 33) Berlin: Akademie Verlag 2011. 316 S., 3 Abb., geb., e59,80. ISBN 978-3-05-005053-9.

Alexander von Humboldt, Familie Mendelssohn, Briefwechsel. Hrsg. vonSebastian Panwitz und Ingo Schwarz unter Mitarbeit von Eberhard Knobloch,(Beitr�ge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung; 34) Berlin: AkademieVerlag 2011. 492 S., 7 Abb., geb., e 79,80. ISBN 978-3-05-005154-3.

In den letzten Jahren hat die Alexander-von-Hum-boldt-Forschungsstelle der Berlin-Brandenburgi-schen Akademie der Wissenschaften in kurzer Fol-

ge eine stattliche Reihe von Editionsb�nden vorge-legt, die ein weites thematisches Spektrum vonHumboldts brieflichen Beziehungen abdecken:

Page 2: Rezension: Briefwechsel von Alexander von Humboldt, Carl Ritter

Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 36 (2013): Rezensionen

Carl Ritter (Geographie), August B�ckh (Alter-tumskunde) und die Familie Mendelssohn (Fi-nanzwesen), denen mit den Briefen aus Russland1829 (vgl. die Besprechung dieses Bandes durchThomas Schmuck in Berichte zur Wissenschaftsge-schichte 34 [2011], 80–81) die Quellenedition zuHumboldts letzter Forschungsreise voranging, so-wie mit der Cotta-Korrespondenz der Schwer-punkt Verlagswesen (vgl. meine Rezension in Be-richte zur Wissenschaftsgeschichte 35 [2012], 258–260). Alle f�nf Editionsb�nde zusammen genom-men enthalten 1 153 Briefe (�berwiegend vonHumboldt, da er die meisten an ihn gerichtetenSchreiben vernichtete) sowie 120 Dokumente, da-runter Briefbeilagen, Drittkorrespondenzen, Re-den, Verlagsvertr�ge. Dazu kommen noch die gut300 Briefe aus der bislang nur online verf�gbarenEdition des Briefwechsels mit dem Naturforscherund Reisebegleiter Christian Gottfried Ehrenberg(http://telota.bbaw.de/AvHBriefedition/). Damithat die Alexander-von-Humboldt-Forschung un-ter ihrem derzeitigen Projektleiter und Akademie-professor Eberhard Knobloch, der bei allen hiergenannten Editionsb�nden auch auf den Titelbl�t-tern neben dem jeweiligen Hauptherausgeber alsMitbearbeiter erscheint, eine staunenswerte Pro-duktivit�t und zugleich eine erfreuliche themati-sche Vielfalt erreicht.

Die Korrespondenzen Humboldts mit dem Al-tertumsforscher August B�ckh (1785–1867) sowiedem Geographen Carl Ritter (1779–1859) betref-fen zwei Pers�nlichkeiten, die an der Berliner Uni-versit�t wirkten und zu Humboldts engeremFreundeskreis zu rechnen sind. Beide Briefwechselsetzen mit Humboldts R�ckkehr nach BerlinEnde der 1820er Jahre ein und enden erst mit sei-nem Tod 1859. Die Korrespondenzen sind beiweitem nicht vollst�ndig �berliefert (P�ßlerspricht von einer „urspr�nglich wohl mehrerehundert Briefe umfassenden Korrespondenz“,Humboldt/Ritter, S. 9), die Schreiben entbehrenoft der Anrede, sind �berwiegend undatiert, in-haltlich gelegentlich kryptisch und setzen meistm�ndlichen Austausch (oder nicht mehr vorhan-dene Briefe) voraus, sodass man beiden Editoren –Ulrich P�ßler f�r Ritter, Romy Werther f�r B�ckh– f�r ihre Leistung Respekt zollen muss, die nochvorhandenen Korrespondenzst�cke mittels ihrerKommentierung in einen nachvollziehbaren chro-nologischen und Sinnzusammenhang gebracht zuhaben.

Im Fall Ritters waren es gemeinsame For-schungsinteressen, die ihre Korrespondenz inhalt-lich bestimmen. Die ad�quate Darstellung erd-kundlichen Wissens, insbesondere die Kartogra-phie Zentralasiens, bildete �ber Jahrzehnte einKernthema der Briefe. Daneben steht die Zusam-

menarbeit in der Gesellschaft f�r Erdkunde zuBerlin, deren bedeutendster „fachlicher Impulsge-ber“ (P�ßler in Humboldt/Ritter, S. 20) Humboldtwurde, indem er neue geographische Informatio-nen an diese weiterleitete. Ferner spiegelt die Kor-respondenz die Unterst�tzung zahlreicher For-schungsreisen wider, u.a. von Heinrich Barth(nach Zentralafrika) und der Br�der Schlagintweit(nach Indien und Zentralasien). Erst nach Hum-boldts Tod verwirklichte sich das von ihm langeverfolgte Ziel, seinem Proteg� Barth eine Professuran der Berliner Universit�t zu verschaffen. Zu denAussichten des Mineralogen Hermann Abichkommentierte er: „Aber er muss publiciren, nichtveralten lassen in Wissenschaften deren Ansichtensich so schnell umwandeln“ (ebd., S. 111 [30.3.1850]).

W�hrend der Kontakt zu Ritter vornehmlichaufgrund fachlicher �bereinstimmungen im Be-reich der Geographie und Forschungsreisen zu su-chen ist, erschließt sich die Verbindung Hum-boldts zu B�ckh �ber die gemeinsame T�tigkeit inder Akademie der Wissenschaften sowie dessenBeratert�tigkeit in altphilologischen Fragen, insbe-sondere bei der Genese des Kosmos: „Ich glaube,dass es nicht zwei Kleinigkeiten giebt, in denen ichIhrem Rathe nicht gefolgt w�re […] denn ausserIhnen hat in griechischen und lateinischen Schrift-stellern mir niemand geholfen“ (Humboldt/B�ckh, S. 154 [15.1.1846]). Umgekehrt bereitete esHumboldt allerdings keine Freude, dass B�ckh ge-meinsam mit Freunden anl�sslich des 50. Jahres-tags von Humboldts Aufnahme in die K�niglicheAkademie der Wissenschaften zu Berlin den Planfasste, seine B�ste aufstellen zu lassen. Die Vorstel-lung, zu Lebzeiten neben dem „Schreckensnach-barn Leibniz“ aufgestellt zu werden, machte ihnkrank und er kommentierte diesen Plan sarkas-tisch: „Neben jeder Ehre ist auch Hohn“ (ebd., S.197 [3.5.1850]). Weitere Themen dieser Korre-spondenz betreffen die Zuwahl neuer Mitgliederin die Akademie sowie die Verteidigung der ,aka-demischen Freiheit‘ gegen�ber politischer Ein-flussnahme. �berraschenderweise bleibt Hum-boldts Mitgliedschaft in der Naturforscher-Aka-demie Leopoldina, auf die August B�ckh aus phi-lologischem Interesse anspielt, unkommentiert(ebd., S. 223). Weder wird sein ihm bei der Wahlam 20.6.1793 verliehenes Cognomen „TimaeusLocrensis“ erl�utert noch der bez�gliche Zei-tungsartikel, der sich auf die Erneuerung diesesDiploms 1855 durch den damaligen Leopoldina-Pr�sidenten Christian Gottfried Nees von Esen-beck bezieht, nachgewiesen (zu beidem vgl. KarlBruhns [Hrsg.], Alexander von Humboldt. Einewissenschaftliche Biographie. Erster Band, Leipzig:Brockhaus 1872, S. 150 f.; Christian Gottfried

104 i 2013 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Ber. Wissenschaftsgesch. 36 (2013) 96–110

Page 3: Rezension: Briefwechsel von Alexander von Humboldt, Carl Ritter

Rezensionen

Nees von Esenbeck, Das Doctor-Jubil�um Ale-xander von Humboldt’s, Bonplandia 3, 18 [15.9.1855], 262–263).

Von ganz anderer inhaltlicher Thematik erweistsich der von Sebastian Panwitz und Ingo Schwarzedierte Briefwechsel Humboldts mit der FamilieMendelssohn, wobei der Hauptadressat der Berli-ner Bankier Alexander Mendelssohn (1798–1871)war. Mit dessen Vater Joseph Mendelssohn hatteer seit 1799 Gesch�ftsbeziehungen, der Sohn warseit 1844 zugleich sein Vermieter und entspre-chend gestattet diese seit 1818 von Seiten Hum-boldts in großer Vollst�ndigkeit erhaltene Korre-spondenz intime Einblicke in seine Finanzverh�lt-nisse und sein durchaus ambivalentes Verh�ltniszum Geld. Als sich Humboldt gegen Ende seinesLebens zunehmend verschuldete, verschaffte ihmdies schlaflose N�chte (Humboldt/Mendelssohn,S. 343); nach seinem Tod trugen das Bankhaus ei-nerseits, der preußische Staat andererseits die Rest-schulden, damit sein Kammerdiener Johann Seifertdas Erbe antreten konnte. In den Briefen geht esauch vielfach um die Tagespolitik und HumboldtsVerh�ltnis zum Hofe oder, wie Humboldt sar-kastisch formulierte: „wenn ein K�nig will mußder Mensch m�ssen troz Nathan dem Weisen“(ebd., S. 62 [5.9.1828], unterstrichen im Original).Auch der Familie Mendelssohn blieb Humboldtzeitlebens freundschaftlich verbunden. So setzte ersich f�r den 1848 wegen einer eher kuriosen Dieb-stahlgeschichte zu einer Zuchthausstrafe verurteil-ten Arzt Alexander Mendelssohn ein (ebd., S.172), dieser wiederum verschaffte Humboldt nochkurz vor seinem Tode Material zu einem Werk�ber die Goldproduktion (ebd., S. 426). Auch fin-den sich im Band drei Empfehlungsschreiben, dieHumboldt Georg Benjamin Mendelssohn in Parisauf die Reise f�r die Naturforscher Carl WilhelmNose, Johann Karl Freiesleben und Johann Fried-rich Benzenberg mitgab (ebd., S. 368–370, Dok.10–12; unklar bleibt freilich angesichts ihrer �ber-lieferung im Familiennachlass Mendelssohn, obdiese Schreiben die Empf�nger je erreicht haben).Gerade das sehr freundschaftliche Schreiben anBenzenberg aus dem Jahre 1816 kontrastiert sehrmit Humboldts sp�teren abf�lligen Bemerkungen�ber den zum „Hofdemagogen“ gewandelten „Li-beralen“ in einem Schreiben an Carl Ritter (Hum-boldt/Ritter, S. 72 [7.6.1839]).

Die nun publizierten Editionsb�nde er�ffnengerade in ihrer thematischen Vielfalt ganz neueEinsichten in das Privatleben Humboldts, die Ge-nese seiner wissenschaftlichen Werke (vor allemdes Kosmos), seine politische Rolle Mitte des 19.Jahrhunderts wie seine Kontakte zur universit�renForschung. Mit den zuletzt vorgelegten B�ndenhat die Humboldt-Forschungsstelle einen sehrgroßen Schritt in der Quellenerschließung derBriefe gemacht und wird dies noch mehr tun, damomentan weitere herausragende Korresponden-zen zur Edition vorbereitet werden (teils in Zu-sammenarbeit mit ausw�rtigen Bearbeitern), sodiejenigen mit dem preußischen K�nig FriedrichWilhelm IV., dem Astronomen Johann FranzEncke, dem Agronomen Jean-Baptiste Boussin-gault, dem Sprachwissenschaftler Franz Bopp so-wie dem Bibliothekar und Humboldt-IntimusEduard Buschmann.

Bei aller Freude �ber das weitere Editionspro-gramm der Alexander-von-Humboldt-For-schungsstelle stellt sich jedoch zunehmend undperspektivisch die Frage, wie das Gesamtkorpusvon mehr als 17 000 Briefen, von dem weiterhin nurein Bruchteil ediert oder f�r die Edition vorgesehenist, besser �ffentlich zug�nglich gemacht werdenkann, zumal das urspr�nglich einmal anvisierte Zieleiner vollst�ndigen Ausgabe der gesamten Korre-spondenz Humboldts ja bereits 1970 fallengelassenwurde und sich die Forschungsstelle „inzwischenauf die Bearbeitung und Edition einiger großer the-matisch eingegrenzter Korrespondenzen konzen-triert“ (http://www.bbaw.de/bbaw/Forschung/Forschungsprojekte/avh/de/Ueberblick). Insofernw�re es h�chst w�nschenswert, wenn das von derForschungsstelle in mehr als 50 Jahren gesammelteHumboldtsche Epistolar zun�chst in einem Reper-torium erschlossen w�rde, das alle Handschriftenund Briefdrucke nachweist (wie etwa bei CharlesDarwin oder Albrecht von Haller geschehen). L�n-gerfristig erscheint jedoch die Bereitstellung derBriefe als Transkriptionen oder/und Digitalisate imNetz als der angemessene Weg, alle Humboldt-Texte verf�gbar zu machen. Denn das so l�ckenhaft�berlieferte Briefwerk Humboldts, bei dem kaumabgeschlossene Korrespondenzen ediert werdenk�nnen, bietet sich f�r digitale Editionsmodelle ge-radezu an.

Kai Torsten Kanz (Jena)

Ber. Wissenschaftsgesch. 36 (2013) 96–110 i 2013 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim 105