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Claudia Schäfer Pädagogische Hochschule Karlsruhe Wissenschaftliche Hausarbeit zum Thema: Reflexionsprozesse und Herausbildung von Lernstrategien im Spracherwerb Französisch am Beispiel einer dritten Klasse Fach: Französisch Erstschrift (x) Zweitschrift ( ) Referent/in: Prof. Dr. Gérald Schlemminger Koreferent/in: Sylvie Méron-Minuth Abgabetermin: 26.10.2004 Pädagogische Hochschule Karlsruhe Wissenschaftliche Hausarbeit zum Thema: Reflexionsprozesse und Herausbildung von Lernstrategien im Spracherwerb Französisch am Beispiel einer dritten Klasse

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Claudia Schäfer Pädagogische Hochschule Karlsruhe

Wissenschaftliche Hausarbeit zum Thema:

Reflexionsprozesse und Herausbildung von Lernstrategien im Spracherwerb Französisch am Beispiel einer dritten Klasse

Fach: Französisch

Erstschrift (x)

Zweitschrift ( )

Referent/in: Prof. Dr. Gérald Schlemminger

Koreferent/in: Sylvie Méron-Minuth

Abgabetermin: 26.10.2004

Pädagogische Hochschule Karlsruhe

Wissenschaftliche Hausarbeit zum Thema:

Reflexionsprozesse und Herausbildung von Lernstrategien im Spracherwerb Französisch

am Beispiel einer dritten Klasse

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Reflexionsprozesse und Herausbildung von Lernstrategien im Spracherwerb Französisch

am Beispiel einer dritten Klasse

Verfasserin: Claudia Schäfer

Fach: Französisch

Referent/in: Koreferent/in:

Prof. Dr. Gérald Schlemminger

Sylvie Méron-Minuth

Abgabedatum: 26.10.2004

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Inhaltsverzeichnis

1 EINLEITUNG ...............................................................................................3

2 EINORDNUNG DES THEMAS ....................................................................5

2.1 Definitionen und Begriffsklärungen......................................................5 2.1.1 Zum Begriff Sprachreflexion...............................................................5 2.1.2 Zum Begriff Lernstrategie...................................................................7

2.2 Forschungsstand zum Thema ...............................................................9 2.2.1 Forschungsbereiche zu Sprachreflexion /Sprachbewusstheit

/“language awareness“ .......................................................................9 2.2.2 Forschungsbereiche zu Lernstrategien ............................................11 2.2.3 Aktuelle Ergebnisse der Wibe ..........................................................17

3 UNTERSUCHUNG VON REFLEXIONSPROZESSEN UND LERNSTRATEGIEARTEN IM SPRACHERWERB FRANZÖSISCH DER GRUNDSCHULE .......................................................................................19

3.1 Zielsetzung und methodologische Überlegungen.............................20

3.2 Hintergrundinformationen ...................................................................22 3.2.1 Untersuchungsbeispiel 3.Klasse ......................................................22 3.2.2 Vorarbeit...........................................................................................23 3.2.3 Interaktionsanalyse ..........................................................................24

4 DEFINITION DER EINZELNEN REFLEXIONS- UND LERNSTRATEGIEARTEN.........................................................................26

4.1 Reflexionsprozesse ..............................................................................27 4.1.1 Hypothesenbildung...........................................................................27 4.1.2 Selbständiges Regelentdecken........................................................28 4.1.3 Reflexion durch direkte Schülerfragen .............................................28 4.1.4 Reflexion durch Entdecken eines Widerspruchs ..............................28

4.2 Lernstrategien.......................................................................................29 4.2.1 Schülerinitiiertes Nachsprechen.......................................................29 4.2.2 Schülerinitiierte Übersetzung............................................................30 4.2.3 Direktes Fragen in der Muttersprache ..............................................31 4.2.4 Vergleichendes Sprachspiel mit beiden Sprachen ...........................31

5 ANALYSEBEISPIELE ...............................................................................32

5.1 Reflexionsprozesse ..............................................................................33 5.1.1 Hypothesenbildung...........................................................................33 5.1.2 Selbständiges Regelentdecken........................................................35 5.1.3 Reflexion durch direkte Schülerfragen .............................................37 5.1.4 Reflexion durch Entdecken eines Widerspruchs ..............................39

6

5.2 Lernstrategien.......................................................................................41 5.2.1 Schülerinitiiertes Nachsprechen.......................................................41 5.2.2 Schülerinitiierte Übersetzung............................................................43 5.2.3 Direktes Fragen in der Muttersprache ..............................................46 5.2.4 Vergleichendes Sprachspiel mit beiden Sprachen ...........................48

5.3 Zusammenfassung der Ergebnisse ....................................................50

6 ABSCHLIEßENDE BEMERKUNGEN .......................................................53

7 LITERATUR...............................................................................................56

ANHANG............................................................................................................61

3

1 Einleitung

Fremdsprachenlernen ist ein vielschichtiger, mehrdimensionaler Prozess,

der durch zahlreiche Faktoren beeinflusst wird. Als zukünftige Fremdspra-

chenlehrerin in der Grundschule ist für mich die Frage wie die Schüler

Fremdsprachen lernen, d.h. welche Vorgänge am Fremdsprachenerwerb

maßgeblich beteiligt sind, besonders interessant.

Anfangs spielen beim frühen Fremdsprachenlernen vor allem imitative und

handelnde Vorgänge eine entscheidende Rolle. Jedoch zeigen die Schü-

ler schon bald, dass sie in der Lage sind, auch auf kognitiver Ebene mit

Sprache umzugehen. Wie sie dies tun und welche Prozesse dafür verant-

wortlich sind, waren die grundlegenden Fragen bei der Wahl meines The-

mas.

Charakteristisch in diesem frühen Stadium des Fremdsprachenerwerbs

sind Reflexionsprozesse und die Herausbildung von Lernstrategien, die im

Rahmen dieser Arbeit als Schwerpunkt ausgewählt wurden. Reflexionen

zeigen, dass die Kinder schon sehr früh beginnen, bewusst über die Ziel-

sprache nachzudenken und diese zu analysieren. Der Gebrauch von Stra-

tegien steht als wesentliches Merkmal für Sprachlernkompetenz. Bei bei-

den handelt es sich um kognitive Vorgänge, die die Basis für die sprachli-

che Weiterentwicklung darstellen und somit entscheidend dazu beitragen,

Fortschritte in der Fremdsprache zu erzielen.

Die vorliegende Arbeit besteht aus sechs Kapiteln. Im zweiten Kapitel geht

es zunächst um die Einordnung des Themas. Im Definitionskapitel werden

als Einstieg umfassende Begriffserklärungen zu Reflexion und Lernstrate-

gien gegeben. Mit dem Forschungsstand zum Thema folgt dann die Ein-

ordnung in den wissenschaftlichen Zusammenhang. Dabei werden Ein-

zelaspekte zu den beiden Begriffen, mit denen sich die Literatur bisher

besonders beschäftigt hat, dargestellt.

4

Daneben wird auch auf die aktuellen Ergebnisse der wissenschaftlichen

Begleitung (WiBe)1 des Fremdsprachenfrühbeginns in Baden-

Württemberg eingegangen. Nach der Einordnung des Themas folgt im

dritten Kapitel die Untersuchung der Reflexionsprozesse und Lernstrate-

giearten, wofür exemplarisch eine dritte Klasse ausgewählt wurde. Zu-

nächst werden Schwerpunkt und Zielsetzungen der Arbeit festgelegt und

die allgemeine methodische Vorgehensweise erklärt. Anschließend folgen

Hintergrundinformationen zur Untersuchungsklasse, zur geleisteten Vor-

arbeit und zur verwendeten Methode. Im vierten Kapitel legt die Verfasse-

rin verschiedene Kategorien von Reflexions- und Lernstrategiearten fest,

die nachfolgend als Grundlage für die einzelnen Analysebeispiele dienen.

In Kapitel fünf, der Analyse ausgewählter Interaktionen, die zugleich den

Kern der Arbeit darstellt, sollen die verschiedenen Reflexions- und Lern-

strategiearten dokumentiert und die dabei stattfindenden Lernprozesse

der Kinder belegt werden. In diesem Zusammenhang werden auch andere

Autoren herangezogen. Kapitel fünf schließt mit der Zusammenfassung

der Untersuchungsergebnisse.

Im letzten Kapitel werden Anregungen für weitere Untersuchungen bzw.

neue Fragestellungen gegeben. Außerdem wird kurz auf die didaktischen

Konsequenzen der Ergebnisse eingegangen.

1 Die wissenschaftliche Begleitung der Pilotphase Fremdsprache in der Grundschule hat ihren Sitz an der Universität in Tübingen. Unter der Projektleitung von Professorin Erika Werlen begleitet sie seit 2001 den Fremdsprachenfrühbeginn. Sie arbeitet neben der Evaluierung der Bildungsplankonzeption und der Konzeption zur Leistungsforderung an Grundlagen zur Unterrichtsgestaltung (vgl. Werlen 2003b: 3) Zukünftig wird im Text die Abkürzung WiBe verwendet oder nur kurz von wissenschaftli-cher Begleitung gesprochen

5

2 Einordnung des Themas

In diesem Kapitel soll das Thema näher beleuchtet werden. Dazu werden

zunächst die Begriffe Sprachreflexion und Lernstrategie definiert und zu

ähnlichen Begriffen abgrenzt. Der Schwerpunkt liegt auf der Diskussion

des Forschungsstands zum Thema. Dabei werden die Einzelaspekte zum

Thema angesprochen und ausführlicher die aktuellen Ergebnisse der wis-

senschaftlichen Begleitung (WiBe) des Fremdsprachenfrühbeginns in Ba-

den-Württemberg dargestellt.

2.1 Definitionen und Begriffsklärungen

2.1.1 Zum Begriff Sprachreflexion

Nach Py (1996) liegt Reflexion dann vor, wenn der Fokus der Aufmerk-

samkeit vom inhaltlichen Aspekt auf den formalen Aspekt der Sprache

übergeht. Er definiert dies folgendermaßen: „La réflexion intervient (...)

quand (...) la focalisation de l’attention passe du contenu sur la forme. »

(Py 1996 nach Gajo 2001: 62).

Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung heißt reflektieren, Verfah-

ren wie z.B. Transfer anwenden und „das Sprachangebot segmentieren,

identifizieren, klassifizieren“. Es handelt sich dabei um eine Fähigkeit, die

alle Menschen unabhängig vom Alter beherrschen (vgl. Werlen 2003a: 15)

Neben dem Begriff der Sprachreflexion findet man in der Literatur die ver-

wandten, oft synonym verwendeten Bezeichnungen ’Sprachbewusstheit’,

’Sprachlernbewusstheit’, ’Sprachbewusstsein’ bzw. in der fremdsprachli-

chen Literatur ’language awareness’ und ’concience langagière’.

Der Ansatz der Sprachbewusstheit „betont das Nachdenken über Natur

und Funktion von Sprache und die Fähigkeit, sich darüber metasprachlich

auszutauschen“ (Raabe 1998: 5).

6

Mit Sprachbewusstsein ist allgemein „das explizite Wissen über Sprache

gemeint“ (Gnutzmann 1995: 335), d.h. Sprachbewusstsein hat nachweis-

lich, wer sich explizit zu Aspekten des Phänomens Sprache äußern kann

(vgl. Marschollek 2002:107).

Wird der Begriff Sprachlernbewusstheit verwendet, rückt der Lerner stär-

ker in den Mittelpunkt. Sprachlernbewusstheit bezieht sich „auf die menta-

le Verarbeitung von Sprache, d.h. darauf, „wie Lernende ihre Sprachlern-

prozesse organisieren und wie sie versuchen, diese durch den Einsatz

von Lernstrategien positiv zu beeinflussen“ (Gnutzmann 1995: 336).

In der französischsprachigen Literatur wird anstelle von Spachbe-

wusstsein von “conscience linguistique“ oder “conscience langagière“ ge-

sprochen, was Bange u.a. (2000: 153f.) folgendermaßen definieren:

Conscience linguistique désigne les capacités et activités autoréflexives dans le domaine du langage et de la com-munication verbale. Quelque chose qui porte sur les contenus de savoir régissant le comportement verbal, c’est-à-dire quelque chose qu’on peut dire métalinguisti-que en un sens large.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Reflexion eher auf den

aktiven Vorgang des Nachdenkens bezieht, während mit Sprachbewusst-

heit, “language awareness“ bzw. “conscience linguistique“ eher die allge-

meine Fähigkeit des Nachdenkens gemeint ist, die hinter diesen Prozes-

sen steht. Letztlich geht es bei allen Definitionen um kognitive Vorgänge,

durch die der Lerner seine sprachliche Kompetenz erweitern kann. Allen

Begriffen ist gemeinsam, dass sie die Fähigkeit, über Sprache auf forma-

ler bzw. metasprachlicher Ebene nachzudenken, hervorheben.

7

2.1.2 Zum Begriff Lernstrategie

Wie so oft in der Literatur, fällt sofort die Vielfalt der Definitionen bei den

einzelnen Autoren auf, die sich durch die unterschiedlichen, theoretischen

Denkrichtungen, die dahinterstehen, erklären lässt (vgl. Mißler 1999:119).

Man kann feststellen, dass es sich bei dem Begriff Lernstrategie um „kein

einheitliches wissenschaftliches Konstrukt“ (Rabe 1998: 6) handelt.

Zunächst werden einige allgemeine Strategiedefinitionen gegeben.

Als Strategien werden “kognitive Operationen“ bezeichnet, „die der Lerner

mit bestimmten Zielen und Intentionen bewußt oder auch unbewußt aus-

wählt und anwendet.“ (Edmondson/ House 1993: 219). Mit ihnen kann der

Lerner den Aufbau, die Speicherung, den Abruf und den Einsatz von In-

formationen steuern und kontrollieren (vgl. Tönshoff 1995: 331f).

In der französischsprachigen Literatur findet sich bei Vergon (2000: 98)

folgende Definition, die bei der Strategie den aktiven, organisierenden

Vorgang und die Zielorientierung hervorhebt:

La stratégie est fondamentalement liée à l’idée d’action, cette action poursuit un but et elle constitue des moyens, organisés méthodiquement, adaptés à la finalité.

Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung werden Strategien als

„kognitive Verfahren“ charakterisiert, um „sich Wissen anzueignen und

Kompetenzen aufzubauen“. Sie sind in jedem Lebensalter in unterschied-

licher Ausprägung an Lernprozessen beteiligt (Haunss 2003).

Die bisherigen Definitionen haben gezeigt, dass der Begriff Strategie im

Zusammenhang mit Lernprozessen gebraucht wird. Man könnte ihn des-

halb auch mit Lernstrategie gleichsetzen.

Nach Knapp-Potthoff/Knapp (1982 nach Henrici 1995: 44) versteht man

unter Lernstrategien

kognitive Operationen, die vom Lerner zielgerichtet an-gewendet werden, um Elemente und Regelmäßigkeiten der Zweitsprache zu erkennen, um die Richtigkeit und Angemessenheit seiner Erkenntnisse zu überprüfen und um sich diese Erkenntnisse für die weitere Verwendung verfügbar zu machen.

8

Cyr (1998: 5) bezeichnet als “stratégies d’apprentissage“

un ensemble d’opérations mises en œuvre par les appre-nants pour acquérir, intégrer et réutiliser la langue cible.

Die Definition von Lernstrategien kann auch mit Hilfe einer Dreiteilung

vorgenommen werden, die in der Literatur weit verbreitet ist: Metakogniti-ve Lernstrategien bezeichnen übergeordnete Maßnahmen beim Spra-

chelernen wie Planen, Überwachen, Bewerten oder Nachdenken über den

eigenen Lernprozess (vgl. O’Malley/Chamot 1990 nach Rabe 1998: 8 und

Cyr 1998: 42). Kognitive Lernstrategien werden direkt bei den einkom-

menden Informationen angewandt, und verändern diese so, dass sie das

Lernen steigern (vgl. O’Malley/Chamot 1990 nach Rabe 1998: 8). Sie ste-

hen im Zentrum des Lernprozesses und sind oftmals leichter zu beobach-

ten als die metakognitiven (vgl. Cyr 1998: 47). Zu den kognitiven Lernstra-

tegien zählen zum Beispiel die Wiederholung, das Übersetzen und das

Vergleichen mit der Erstsprache. Schließlich gibt es noch die sozialen/ affektiven Lernstrategien, die sich auf den Austausch des Lernenden mit

anderen Personen (Lehrer oder Mitschüler) beziehen (vgl.

O’Malley/Chamot 1990 nach Rabe 1998: 8 und Cyr 1998: 55ff.).

Da viele verschiedene Kriterien bei der Definition von Lernstrategien eine

Rolle spielen, wird der Begriff in der Literatur oft auch recht weit gefasst.

So spricht Mißler (1999: 122) von einem „multidimensionalen Konstrukt

und Edmondson und House (1993: 220) bezeichnen als Lernstrategien

schlicht und einfach „alle Versuche von Lernern, ihre Kompetenz in der zu

erlernenden Fremdsprache weiter zu entwickeln“.

Im Zusammenhang mit Lernstrategien findet man in der Literatur außer-

dem die verwandten Begriffe Lerntechniken und Lernstile. Lerntechni-

ken sind auf einen „eng begrenzten Bereich“ beschränkt und können als

konkrete „Lernhandlung“ direkt beobachtet werden, wie zum Beispiel das

Nachschlagen eines Wortes im Wörterbuch. Bei einigen Autoren wird die-

se Unterscheidung jedoch gar nicht getroffen, und die Lerntechniken wer-

den als Teilhandlung gleich den Lernstrategien zugeordnet (vgl. Grotjahn

1998: 11 und Raabe 1998: 6).

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Der Begriff Lernstil lässt sich eindeutiger abgrenzen. Er bezeichnet die

„Eigenschaften bzw. Merkmale einer Person“, die sich bei der Wahl bzw.

Verwendung bestimmter Lernstrategien zeigen, beinhaltet also die Präfe-

renz für bestimmte Lernstrategien (vgl. Mißler 1999: 109). Lernstile sind in

der Regel wie auch Lernstrategien nicht direkt beobachtbar und dem Ler-

ner meist nicht bewusst (vgl. Grotjahn 1995: 326).

Will man Lernstrategien von Kommunikationsstrategien abgrenzen,

stellt man fest, dass dies bei verschiedenen Autoren keineswegs einheit-

lich ist (vgl. Henrici 1995: 44). Selinker hat Kommunikationsstrategien als

eher „kurzfristig zielgerichtet“ beschrieben, während Lernstrategien bei

ihm „auf langfristiges Lernen gerichtet sind“ (Selinker 1972 nach Edmond-

son und House 1993: 220). Für die spätere Untersuchung ist diese Unter-

scheidung jedoch weniger bedeutend, da die meisten Lernstrategien im

Kommunikations- bzw. Interaktionszusammenhang stehen.

Grundsätzlich kann man festhalten, dass hinter allen (Lern)strategien kog-

nitiv organisierende Vorgänge stehen, die letztlich auf Kompetenzerweite-

rung zielen. Im Hinblick auf die weiteren Ausführungen und die spätere

Untersuchung soll der Schwerpunkt auf die kognitiven Lernstrategien ge-

legt werden.

2.2 Forschungsstand zum Thema

2.2.1 Forschungsbereiche zu Sprachreflexion / Sprachbe-wusstheit / “language awareness“

Seinen Ursprung hat das Konzept “language awareness“ in der britischen

Muttersprachendidaktik, wo es sich vor dem Hintergrund vielfältiger

sprachlicher und sprachlich bedingter Schulprobleme herausgebildet hat

(vgl. Gnutzmann 1995: 336).

Der Ansatz Sprachbewusstheit bzw. Sprachbewusstsein spielt inzwischen

auch in der Fremdsprachendidaktik, in der Sprachlehr- und- lernforschung

und in der Zweitsprachenerwerbsforschung eine Rolle. In den jeweiligen

Disziplinen ist er „als Ausdruck einer kognitiven Neuorientierung“ zu ver-

10

stehen, der das vorherrschende behavioristisch geprägte Paradigma ab-

gelöst hat (vgl. Gnutzmann 1995: 335).

Gnutzmann verweist darauf, dass es bei “language awareness“ bzw.

Sprachbewusstheit um ein Konzept geht, das „Sprache nicht nur als

sprachlich- kommunikatives System und als Lerngegenstand“ betrachtet,

sondern auch als gesellschaftspolitisches Phänomen im Zusammenhang

von Mehrsprachigkeit und Multikulturalität. Als Beispiel dafür führt er den

Modellversuch „Wege zur Mehrsprachigkeit“ an, für dessen didaktisch-

methodischen Hintergrund das Konzept “language awarness“ besonders

wichtig war (vgl. Gnutzmann 1995: 337).

Eine Anzahl von Untersuchungen und Beobachtungen weist darauf hin,

dass sich Sprachbewusstsein schon frühzeitig im Zusammenhang mit

dem Mutterspracherwerb entwickelt, indem Kinder neben Inhalten auch

über sprachliche Formen und soziale Bedeutungen von Sprache reflektie-

ren. Daneben setzen sie sich damit auseinander, wie sie selbst Sprache

gebrauchen (vgl. Switalla 1992 nach Marschollek 2002: 107). So weisen

bereits Zweijährige erste Anzeichen für Sprachbewusstsein auf (vergl.

Clark 1978 nach Marschollek 2002:107). Wolff (1993 nach Marschollek

2002: 107) sieht dafür den Dialog, den Kind und Mutter über Sprache su-

chen, als grundlegend an. Damit wird auch gezeigt, dass bei Sprachbe-

wusstheit die Beziehung zwischen Erst- und Fremdsprache eine wichtige

Rolle spielt.

Studien bei bilingualen und monolingualen Kindern weisen darauf hin,

dass Umweltfaktoren die Entwicklung des Sprachbewusstseins beeinflus-

sen können. Dazu gehören z. B. die verschiedenen Formen des Sprach-

kontaktes, aber auch individuelle Variablen wie Alter, Ausbildung oder

Vorerfahrung (vgl. Marschollek 2002:107). Daneben lässt sich festhalten,

dass Kinder mit fortgeschrittener Entwicklung zunehmend in der Lage

sind, über Sprache zu reflektieren (vgl. Marschollek 2002:108).

In der Forschung gilt die Frage als problematisch, inwieweit Sprachbe-

wusstheit als explizites (deklaratives) Wissen dazu beitragen kann, die

Verwendung der Sprache in der konkreten Situation zu verbessern.

11

Da man den Anteil expliziten Wissens nicht eindeutig identifizieren und

vom eher unbewusst aufgenommenen Wissen unterscheiden kann, ist

diese Frage jedoch empirisch kaum überprüfbar. Außerdem bleibt unklar,

„ob bzw. wie bewusst gelerntes, explizites Wissen zu unbewusst verwen-

detem, implizitem sprachlichen Wissen werden kann“ (vgl. Gnutzmann

1995: 338).

Nach Gunzmann (1995: 339) liegt es für Zukunft nahe, dass sich die For-

schung bezüglich “language awareness“ vor allem auf die „Erforschung

der mentalen Verarbeitung von Sprache und der Optimierung dieser Pro-

zesse durch die Erweiterung lernstrategischer Kompetenzen“ konzentrie-

ren wird.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Sprachreflexion bzw.

Sprachbewusstsein als Konzept über Sprachinhalte hinausgeht. Sprach-

bewusstsein entwickelt sich schon früh im Zusammenhang mit dem Mut-

terspracherwerb und auch später, beim Fremdsprachenerwerb, bleibt die

Beziehung zur Muttersprache wichtig. Verschiedene Variablen wie Alter,

Ausbildung und Vorerfahrung können die Entwicklung des Sprachbe-

wusstseins beeinflussen.

2.2.2 Forschungsbereiche zu Lernstrategien

In der modernen, von ständigem Wissenszuwachs geprägten Gesell-

schaft, wird Lernstrategien eine Schlüsselrolle zugeschrieben. Sie sind

nicht nur Stütze für lebenslanges Lernen, sondern fördern auch Selbstän-

digkeit und Mündigkeit sowie Effektivität beim Lernprozess (vgl. Raabe

1998: 5). Im Hinblick auf das Fremdsprachenlernen sollen sie die Fähig-

keit zum selbständigen Weiterlernen nach der Schullaufbahn begünstigen

(vgl. Tönshoff 1995: 332). „In jüngster Zeit hat die Forschung zu Lernstra-

tegien ihre praktische Bedeutung vor allem durch die Einbettung in die

Diskussion um autonomes Lernen erlangt“ (Tönshoff 1995: 332). In die-

sem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass beim Erforschen

der Lernstrategien zunehmend kognitivistische und konstruktivistische

Theorien eine wichtige Rolle spielen, was Vergon (2000: 96) folgender-

maßen beschreibt:

12

Le passage d’une psychologie béhavioriste aux théories cognitive et constructiviste (…) a eu un impact important dans les recherches sur les stratégies d’apprentissage.

Blickt man in der Geschichte der Strategienforschung zurück, so stellt man

fest, dass dieser Forschungsbereich des (Fremd)sprachenlernens noch

relativ jung ist. Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit Lernstrategien ist

ein von Selinker Anfang der 70er Jahre veröffentlichter Aufsatz, in dem er

die Bedeutung von Lernstrategien beim Fremdsprachenerwerb hervor-

hebt. Selinker geht von einem spezifischen Sprachsystem (Zwischenspra-

che oder “interlanguage“) aus, das der Lerner beim Fremdsprachenerwerb

herausbildet. Bei dieser Zwischensprache spielen neben anderen Prozes-

sen auch Lernstrategien eine große Rolle (vgl. Raabe 1998: 4).

Im Anschluss an Selinker ist der Bereich Strategien beim Fremdsprachen-

lernen zunehmend besser erforscht worden (vgl. Raabe 1998: 4). Studien

befassten sich vor allem mit den Gebieten des erfolgreichen Fremdspra-

chenlerners und seinen Strategien, mit der Klassifikation, den Einflussfak-

toren, den Methoden zur Erhebung und mit der pädagogischen Fragestel-

lung der Vermittlung dieser Strategien.

Im folgenden sollen zu jedem Bereich überblicksartig Ergebnisse vorge-

stellt werden. Hierbei dienen vor allem die Ausführungen von Mißler

(1999) und Cyr (1998) als Grundlage, die sich intensiv mit Lernstrategien

beschäftigt haben.

2.2.2.1 Erfolgreiche Fremdsprachenlerner und ihre Strategien

Ausgangspunkt dieses Forschungsbereichs sind in der Mitte der 70er Jah-

re des 20. Jahrhunderts durchgeführte Untersuchungen zum “good lan-

guage learner“. Dabei wurde der Fokus auf Persönlichkeitscharakteristika

und Lernstrategien gelenkt, hinsichtlich derer sich erfolgreiche von weni-

ger erfolgreichen Lernern unterscheiden lassen. (vgl. Mißler 1999: 4).

Mißler (1999: 110ff.) und Cyr (1998:15ff.) nennen die Studien von Stern

(1975) und Rubin (1975), bei denen sich zum Beispiel folgende Eigen-

schaften und Strategien eines guten Sprachenlerners finden:

13

• die Bereitschaft zu experimentieren und zu raten;

• das Achten auf die Form der Sprache, um diese zu einem geordne-

ten System zu entwickeln, welches nach und nach modifiziert wird;

• das Achten auf den sprachlichen Inhalt und die Suche nach Bedeu-

tung oder

• das Ergreifen jeder Gelegenheit, die neue Sprache zu üben.

2.2.2.2 Klassifikation der Lernstrategien

Dieses Gebiet ist in der Literatur sehr intensiv behandelt worden, d.h. es

liegen umfangreiche Strategienlisten und Klassifikationsschemata vor.

Mißler (1999: 123ff.) stellt sechs Klassifikationsansätze vor, die sich bei

verschiedenen Autoren finden. Dazu gehören:

• Nützlichkeit der Strategien für verschiedene Sprachfertigkeiten (z.B.

Wortschatz, Grammatik, Hören, Lesen).

Es wird hier zwischen vorbereitenden und steuernden Lerntechni-

ken unterschieden.

• Unterscheidung verschiedener Funktionen von Strategien für den

Prozess der Informationsverarbeitung (z.B. Wiederholungsstrate-

gien, Elaborationstrategien, affektive und motivationale Strategien).

• Unterscheidung anhand der Ausrichtung auf bestimmte Ziele (z.B.

auf den Erwerb sprachlicher Mittel bezogene Strategien, fertigkeits-

bezogene Strategien, soziale Strategien).

• Unterscheidung zwischen kognitiven und metakognitiven Lernstra-

tegien.

• Unterscheidung zwischen direkten (z.B. Gedächtnisstrategien oder

kognitive Strategien) und indirekten Lernstrategien (z.B. metakogni-

tive, affektive und soziale Strategien).

• Unterscheidung verschiedener Hierarchieebenen (z.B. Strategien

und Techniken).

14

Mißler weist darauf hin, dass durch die unterschiedlichen Klassifikations-

kriterien ein und dieselbe Strategie bei verschiedenen Autoren anders ka-

tegorisiert wird, je nachdem wo bei diesen der Schwerpunkt liegt. Durch

die Vielzahl von Klassifikationsversuchen wird somit ein Vergleich ver-

schiedener Untersuchungen erschwert. (vgl. Mißler 1999: 122 u. 124).

Cyr (1998: 42) hält in diesem Zusammenhang fest, dass es schwierig ist,

die einzelnen Strategien bei verschiedenen Klassifizierungen voneinander

abzugrenzen:

(...) dans toute définition des stratégies, la frontière exacte entre une stratégie et une autre n’est pas toujours facile à établir.

2.2.2.3 Vermittlung von Strategiewissen

Mit diesem Bereich ist das übergeordnete Ziel eines aktiven, autonomen

Sprachenlerners eng verknüpft. Daher haben sich vor allem in den letzten

Jahren zahlreiche Autoren diesem Gebiet der Strategievermittlung zuge-

wandt. Mißler (1999: 139) nennt folgende wichtige Teilbereiche, die von

verschiedenen Autoren untersucht wurden:

• die Thematisierung von Lernstrategien und persönlich bevorzugten

Lernstilen;

• das Kennenlernen und Ausprobieren einer Vielfalt von Lernstrate-

gien;

• die Fähigkeit zur Beurteilung von Lernaufgaben im Hinblick auf ihre

Anforderungen und Auswahl geeigneter Strategien;

• die zunehmend selbständigere Organisation und Kontrolle des ei-

genen Lernens;

• die Bewertung des eigenen Lernens unter Berücksichtigung eines

Feedbacks von außen.

15

Mißler (1999: 141ff.) stellt außerdem Konsequenzen einer erfolgreichen

Strategievermittlung zusammen. Dazu gehören unter anderem: Selbstän-

digkeit und Mündigkeit des Lerners, Vorbereitung auf lebenslanges Ler-

nen, Individualisierung der Lernprozesse und Motivationssteigerung.

Cyr (1998: 135ff.) beschreibt 3 Etappen, die für ihn bei der Strategienver-

mittlung eine entscheidende Rolle spielen:

(...) observer d’abord les stratégies des apprenants, inté-grer ensuite la question des stratégies dans son ensei-gnement quotidien et, enfin, évaluer avec les élèves la rentabilité des stratégies (…).

2.2.2.4 Methoden zur Erhebung von Lernstrategien

Mißler (1999: 189) hält fest, dass keine Erhebungsmethode prinzipiell gut

oder schlecht ist. Vielmehr kommt es darauf an, „für jede Fragestellung die

optimale Methode bzw. Kombination von Methoden auszuwählen“.

Sie unterscheidet zwei Arten von Methoden: Beobachtung einerseits und

Erhebung verbaler Daten andererseits (vgl. Mißler 1999: 147). Die Be-

obachtung beschränkt sich auf offenes verbales und nonverbales Verhal-

ten von Probanden, das von einer außenstehenden Person notiert oder

auf Video aufgezeichnet wird. Dabei dominiert die Außenperspektive. Bei

Methoden zur Erhebung verbaler Daten spielt dagegen vor allem die In-

nenperspektive eine Rolle spielt, d.h. auch verdeckte (nicht beobachtbare)

Strategien sollen mit ihrer Hilfe erfasst werden. Zu letzteren Methoden

zählen das “Laute Denken“, Tagebücher, Interviews und Fragebögen.

Hierbei kann noch einmal differenziert werden zwischen introspektiven

Verfahren, die sich auf den „Moment der Aufgabenlösung“ beziehen und

retrospektiven Methoden, bei denen die Daten erst „nach Beendigung ei-

ner konkreten Problemlösung“ erhoben werden. Das Laute Denken zählt

zu der ersten Gruppe, Tagebücher, Interviews und Fragebögen zu zweiter

(vgl. Mißler 1999: 147).

16

2.2.2.5 Einflussfaktoren von Lernstrategien

Es gibt eine Reihe von Variablen, die den Einsatz bzw. den Gebrauch von

Lernstrategien beeinflussen. Was jedoch die genaue Auswirkung dieser

Faktoren auf die Strategienwahl bzw. den Lernerfolg betrifft, so gibt es

bisher nur sehr wenige Studien, die sich mit diesen Zusammenhängen

befasst haben (vgl. Cyr 1998: 101). Somit ist es schwierig, aussagekräfti-

ge Angaben für die Praxis zu machen.

Mißler (1999: 156ff.) und Cyr (1998: 81ff.) nennen als mögliche Variablen,

die sich bei verschiedenen Autoren finden, folgende:

• demographische Variablen wie Alter, Geschlecht, kultureller Hin-

tergrund des Lerners;

• Persönlichkeitsvariablen wie Lernstile, kognitive Stile, Risikobe-

reitschaft, Intelligenz bzw. Begabung, Fremdsprachen zu lernen;

• Motivationale Variablen wie Erwartungen bezüglich der eigenen

Leistungen;

• Affektive Variablen wie Angst vor Fehlern, Einstellungen gegen-

über sich selbst, dem Lehrer bzw. den Mitschülern;

• Merkmale der Lernsituation wie Lernkontext, Art der Aufgabe,

Erwartungen des Lehrers, Unterrichtsklima.

Mißler hat sich in ihrer Untersuchung außerdem noch intensiv mit dem

Einfluss des Vorwissens und der Vorerfahrungen auf Lernstrategien be-

schäftigt. Sie geht davon aus, dass zwischen allen sechs Variablengrup-

pen Interaktionen bestehen (vgl. Mißler 1999: 156).

17

Zusammenfassung

Lernstrategien stellen einen wesentlichen Bereich bei der Erforschung des

Fremdsprachenlernens dar. Die Forschungsgebiete sind sehr vielfältig,

besonders im Bereich der Klassifikation liegt umfangreiche Literatur vor.

Im Rahmen der Diskussion des autonomen Sprachlernens kommt dem

Forschungsgebiet “Vermittlung von Lernstrategien“ eine besondere Be-

deutung zu. Lernstrategien steuern als kognitive Fertigkeiten nicht nur

entscheidend den Spracherwerb, sondern fördern auch Selbständigkeit

und Effektivität im Lernprozess, sowie lebenslanges Sprachenlernen.

2.2.3 Aktuelle Ergebnisse der Wibe

Die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung zum Thema werden in

einem eigenständigen Kapitel kurz vorgestellt. Sie beziehen sich auf den

Fremdsprachenfrühbeginn, und sind deshalb interessant für den Hauptteil

der Arbeit, in dem am Beispiel einer dritten Klasse Strategien und Reflexi-

onsprozesse im frühen Französischunterricht näher untersucht werden.

Die wissenschaftliche Begleitung des Fremdsprachenfrühbeginns (WiBe)

arbeitet an einer empirischen Fachdidaktik für die Grundschule. Ihre Auf-

gaben sind neben der Evaluierung der Bildungsplankonzeption und der

Konzeption zur Leistungsförderung- und- forderung die Entwicklung von

Grundlagen zur Unterrichtsgestaltung (vgl. Werlen 2003b: 3). Bei ihrer

empirischen Arbeit stehen die Lernprozesse der Kinder im Mittelpunkt und

die Kernfrage: „Wie gehen Kinder mit dem fremdsprachlichen Lehrangebot

im instiutionalisierten Rahmen der Schule um?“ (vgl. Werlen 2003b: 3f).

Die WiBe kann durch ihre Untersuchungen und Beobachtungen im Klas-

senzimmer darlegen, dass neben der Interaktion die Reflexion maßge-

bend bei den beobachtbaren Lernprozessen beteiligt ist. Sie verlangt da-

her, dass Reflexion als weiteres Kernkonzept dem Bildungsplan hinzuzu-

fügen ist (vgl. Werlen 2003b: 5 und Haunss 2003). Darüber hinaus fordert

die Wibe die Förderung von Reflexion und Strategien für den Spracher-

werb (vgl. Werlen 2003a: 15).

18

Bei den Ausführungen der WiBe wird deutlich, dass Reflexion und Strate-

gien in sehr engem Zusammenhang stehen. Insbesondere hat sich Manz

mit diesem Thema beschäftigt, indem sie am Beispiel des frühen Eng-

lischunterrichts untersucht hat, wie Kinder reflektierend in, durch und für

die Interaktion lernen. Dabei betont sie die Bedeutung der Lernstrategien.

Kinder übernehmen mit ihnen die Initiative in der Interaktion, signalisieren

der Lehrkraft ihre Unsicherheiten und Vermutungen, sichern ihr Verstehen

ab oder kommunizieren ihr Nicht-Verstehen (vgl. Manz 2003b: 16). Manz

hat u.a. folgende Lernkategoriearten entwickelt: Nachsprechen, deutsche

Übersetzung, gegenseitige Korrekturen, Anzeigen von Nichtverstehen

(vgl. Manz 2003b: 26ff.).

Allgemein misst die WiBe den Sprachlernstrategien eine große Bedeutung

bei, wenn sie diese als „Kern der Sprachlernkompetenz“ bezeichnet (Wer-

len 2003a: 15) und auf die Aussagen in den Bildungstandards verweist, in

denen es heißt, dass die Entwicklung von Strategien in den einzelnen Fä-

higkeitsbereichen bei der Rezeption, Produktion und Interaktion einen

zentralen Stellenwert einnimmt. Weiter steht dort geschrieben:

Sie sind eigenständige Kompetenzen und stellen gleich-zeitig den Prozess und die Basis für die Weiterentwick-lung der sprachlichen Aktivitäten und Fähigkeiten dar. Um zu verstehen (Rezeption), zu sprechen oder zu schreiben (Produktion) oder zu interagieren (Interaktion) wenden die Kinder in unterschiedlichen Interaktionssituationen ein un-terschiedliches Set an Strategien an.

(Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg Bil-dungsstandards für Französisch Grundschule: 83)

Ähnlich bedeutungsvoll stuft Manz die Reflexionsprozesse ein, die sie als

„ständigen Motor im Spracherwerbsprozess“ bezeichnet, der für jegliche

Art von Progression verantwortlich ist (vgl. Manz 2003b: 18).

Nach Aussagen der WiBe werden Strategien und Reflexion „in verschie-

densten Ausprägungen gebraucht“. Beim Sprachelernen ist der Gebrauch

von Strategien „keine altersabhängige Größe, sondern eine Konstante des

Spracherwerbs und eine von der Qualität der Lehrprozesse abhängige

Größe (Haunss 2003).

19

Zusammenfassung

Trotz der getrennten Betrachtung der Begriffe Lernstrategie und Sprachre-

flexion bzw. Sprachbewusstsein wird deutlich, dass sie inhaltlich nah bei-

einander liegen. Bei beiden spielen Eigeninitiative und kognitive Dimensi-

on eine maßgebliche Rolle und beiden kommt eine Schlüsselfunktion bei

der sprachlichen Entwicklung zu, da sie letztlich zur Kompetenzerweite-

rung beim Sprachelernen führen.

In der Literatur stößt man gelegentlich sogar auf Kategorien, die beide

Begriffe beinhalten. So findet sich bei Mißler (1999: 127) die Kategorie der

„auf die Sprachreflexion bezogenen Strategien“.

Für die spätere Untersuchung soll unter (Sprach)Reflexion das bewusste

und explizite Nachdenken verstanden werden, bei dem der Fokus auf for-

male und kommunikative Aspekte der Sprache gelegt wird, während bei

Lernstrategien die Definition der kognitiven Lernstrategien gelten soll, mit

dem Schwerpunkt auf der inhaltlichen Ebene.

3 Untersuchung von Reflexionsprozessen und Lernstrategiearten im Spracherwerb Französisch der Grundschule

Nach der Einordnung des Themas werden in diesem Kapitel zunächst

Schwerpunkt und Zielsetzung der Arbeit festgelegt sowie Aspekte für

mögliche Hypothesenbildungen genannt. Außerdem wird allgemein das

methodische Vorgehen erklärt und begründet. Anschließend werden

grundlegende Informationen bezüglich der Untersuchung gegeben. Hierzu

gehören nähere Angaben über die Untersuchungsklasse, über die geleis-

tete Vorarbeit sowie über die Methode der Interaktionsanalyse.

20

3.1 Zielsetzung und methodologische Überlegungen

Abgesehen von den Untersuchungen von Manz gibt es keine weiteren

Untersuchungen zu Lernstrategien und Reflexionen im Fremdsprachenun-

terricht in der Grundschule. Von den im Eingangskapitel angesprochenen

Teilaspekten des Themas soll in der vorliegenden Arbeit der Schwerpunkt

auf die Reflexions- und Lernstrategiearten gelegt werden. Diese können

anhand der vorliegenden Videoaufzeichnungen besonders gut untersucht

werden. Außerdem liegt das übergeordnete Ziel dieser Arbeit darin, sich

mit den Lernprozessen der Kinder zu beschäftigen, und über diese Lern-

prozesse kann gerade die Untersuchung der Lernstrategie- bzw. Reflexi-

onsarten in besonderem Maße Aufschluss geben.

Exemplarisch wurde für die Untersuchung eine dritte Französischklasse

ausgewählt, in der die Kinder bereits einen Basiswortschatz erworben ha-

ben. Das Datenmaterial (die Videoaufzeichnungen) wurde der Verfasserin

von der Falkenhausenschule zur Verfügung gestellt.

Die Lernprozesse der Kinder sollen auf dem theoretischen Hintergrund

des interaktionistischen Ansatzes analysiert werden. Dieser Interaktionisti-

sche Ansatz fasst Spracherwerb auf als Wechselspiel zwischen organisch

verfügbarer Lernfähigkeit und von außen wirksamen sprachlichen und so-

zialen Faktoren sowie den Eigenschaften von Lernenden (vgl. Wode 1993

nach Ortner 1998: 163). Nach Auffassung der Wibe ist Interaktion neben

Reflexion das Kernkonzept für die Sprachdidaktik in der GS (vgl. Werlen

2003b: 12). Auch Manz (2003a: 16) unterstreicht die Bedeutung von Inter-

aktionen im Fremdsprachenunterricht. Durch diese werden, wie sie erklärt,

authentische Kommunikationssituationen geschaffen, in denen die Kinder

dann ihre Lernstrategien entwickeln können. Henrici (1995: 5), ebenfalls

Vertreter des interaktionistischen Ansatzes, hält fest:

Da der Gebrauch von Fremdsprachen in Interaktionen stattfindet, können Sprachlernprozesse nur dann ange-messen analysiert werden, wenn Grundlage und Aus-gangspunkt der empirischen Untersuchungen real ablau-fende Interaktionen sind.

21

Edmondson und House (1993: 226) sehen die interaktionelle Perspektive

als notwendig an, wenn man Lernstrategien nicht nur charakterisieren,

sondern auch erklären will.

Als übergeordnetes Ziel soll mit dieser Arbeit gezeigt werden, dass Kinder

schon im Grundschulalter reflexiv und mit Hilfe von Lernstrategien mit

Sprache umgehen, und somit Lernprozesse stattfinden.

Als Teilziel soll der Frage nachgegangen werden, welches beim unter-

suchten Spracherwerb des Französischen die häufig vorkommenden Ar-

ten von Reflexionen und Lernstrategien beim Lernprozess sind. Diese

werden dann in der Analyse näher erklärt und untersucht.

Im Einzelnen sollen auch Aussagen getroffen werden über die Vorkom-

menshäufigkeit der einzelnen Kategorien. Im Anschluss werden daraus

Hypothesen abgeleitet, ob es sich um eher allgemeine oder individuelle

Kategorien handelt. Dabei sollen unter allgemeinen Kategorien diejenigen

verstanden werden, die von verschiedenen Schülern eingesetzt werden

und auch in anderen Klassen auftreten können. Um individuelle Katego-

rien handelt es sich dann, wenn bestimmte Lernstrategien vor allem von

einem Schüler verwendet werden, folglich, wenn dieser dafür eine indivi-

duelle Neigung entwickelt hat.

Vom methodologischen Ansatz her wird bei vorliegender Arbeit überwie-

gend empirisch– qualitativ vorgegangen. Empirisch, da die Untersuchung

auf Videoaufzeichnungen beruht und qualitativ, da die empirischen Daten

interpretiert und zur Gewinnung von Hypothesen genutzt werden. Die In-

teraktionsanalyse wurde dafür als Methode ausgewählt.

Als Basis für die Analyse dienen das Interaktionstypenraster nach

Schlemminger (2004) und die Definitionen der einzelnen Lernstrategie-

bzw. Reflexionsarten. Diese werden in einem eigenständigen Definitions-

kapitel festgelegt.

22

3.2 Hintergrundinformationen

3.2.1 Untersuchungsbeispiel 3.Klasse

Die vorliegende Untersuchung wurde in einer 3. Französischklasse am

Oberrhein durchgeführt, die sich aus 21 Schülern, 13 Jungen und 8 Mäd-

chen zusammensetzt. Die Klasse war seit 2001 Pilotklasse der WiBe, in

der in regelmäßigen Abständen gefilmt wurde. Mit dem Schuljahr

2003/2004 wurde der Fremdsprachenfrühbeginn flächendeckend in ganz

Baden-Württemberg ab Klasse 1 für die Fremdsprachen Französisch bzw.

Englisch eingeführt. Grundlage des Unterrichts sind die Bildungsstandards

für den Fremdsprachenfrühbeginn (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und

Sport Baden-Württemberg 2004: 81-94). In allen vier Grundschuljahren

stehen 2 Wochenstunden Fremdsprachenunterricht auf dem Stundenplan.

Dabei ist auch die Integration des Fremdsprachenunterrichts in andere

Fächer vorgesehen. Man spricht vom sogenannten bilingualen Lehren und

Lernen (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg

2004: 82).

Vom methodisch-didaktischen Aspekt betrachtet, folgt dieser Fremdspra-

chenfrühbeginn einem funktional-bilingualen Modell, das heißt, dass es

mit diesem Ansatz „um eine Art Zweisprachigkeitserziehung geht und ein

funktionaler Zusammenhang angenommen wird (...) vom Sachunterricht

hin zum Französischunterricht“ (Schlemminger 2004). Bei diesem Modell

ist Sprache nicht mehr nur Lehrgegenstand des Unterrichts, sondern wird

selbst zum Medium (vgl. auch Wode 1996: 22), um Inhalte und Elemente

eines Sachfaches zu vermitteln.

Das wesentliche Unterrichtsprinzip ist dabei das Prinzip der Immersion (Sprachbad). Darunter versteht man, dass „Fremdsprache alle Teilfunktio-

nen von Sprache übernimmt: Sie ist Teil der Interaktion, die konkret im

Klassenzimmer stattfindet (...), sie ist die Sprache, in der Inhalte vermittelt

und Unterrichtssituationen ausgehandelt werden“ (Werlen 2003b: 12). Die

Schüler werden also in die fremde Sprache “eingetaucht“. Beim immersi-

ven Lehren und Lernen ist die Sprache situationsbezogen und authentisch

23

und erlaubt den Schülern, da sie vor allem echter Mitteilung dient,

Sprachwissen aufzubauen (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport

Baden-Württemberg 2004: 86).

Die Kinder der dritten Klasse sind schon seit der ersten Klasse daran ge-

wöhnt, dass sie ab und zu im Unterricht gefilmt werden. Auch den Stil der

Lehrkraft kennen sie noch aus dem 1. Schuljahr. Was ihren Stand im 3.

Lernjahr angeht, so haben sie bereits in Klasse 1 und 2 grundlegende

Kompetenzen im rezeptiven, produktiven und im Bereich der mündlichen

Interaktion erworben. In den ersten beiden Lernjahren spielten vor allem

außersprachliche und übersprachliche Mittel, wie Zeigegesten, Mimik,

Gestik sowie Wort- und Satzmelodie und Akzentuierungen eine Rolle, um

sich verständlich zu machen. Oftmals übernahm die deutsche Sprache

noch stützende Funktion (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport

Baden-Württemberg 2004: 84). In ihrem Lernprozess machten die Schüler

dann zunehmend Forschritte. Dies erkennt man daran, dass sie verschie-

dene lernersprachliche Varianten der Zielsprache entwickeln, „in denen

alle zur Verfügung stehenden sprachlichen, übersprachlichen und au-

ßersprachlichen Mittel genutzt, ausprobiert und kombiniert werden“ (vgl.

Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2004: 84).

Dazu gehören unter anderem gemischtsprachliche Äußerungen, Überge-

neralisierung von erkannten Regelhaftigkeiten, Versuche zur kreativen

Wortbildung oder Rückfragen (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und

Sport Baden-Württemberg 2004: 87).

3.2.2 Vorarbeit

Der nachfolgenden Untersuchung in der dritten Klasse liegen als Aus-

gangspunkt Videoaufnahmen zugrunde, die im Zeitraum von September

2003 – Februar 2004 erstellt wurden. Durchschnittlich wurde alle vier Wo-

chen gefilmt, so dass insgesamt 6 Unterrichtsaufnahmen zu je 45 Minuten

vorliegen. Die einzelnen Stunden wurden nach den Richtlinien der WiBe

von der Verfasserin transkribiert, und finden sich im Anhang wieder (siehe

Anhang S. 64-125). Außerdem wurde dort eine Abkürzungsliste (siehe

Anhang S. 62/63) beigefügt, die die in den Transkriptionen verwendeten

24

Abkürzungen erklärt.2 Während des Transkribierens wurde eine Auswahl

charakteristischer Beispiele für die einzelnen Reflexions- und Lernstrate-

giearten getroffen. Diese dienen als Grundlage für die Interaktionsanalyse.

Für weitere Beispiele wird auf den Anhang verwiesen, wo die gesamte

Transkription zu finden ist.

3.2.3 Interaktionsanalyse

Da Strategiebildung und Reflexionsprozesse als Teile des Sprachlernpro-

zesses immer fest an Interaktionen gebunden sind, wurde für die nachfol-

gende Untersuchung eine Methode ausgewählt, die diese interaktionelle

Perspektive ausreichend berücksichtigt. Dies ist die Interaktionsanalyse

bzw. fremdsprachenerwerbsspezifische Diskursanalyse3, die in der

Sprachlehr- und Lernforschung, besonders im Rahmen der Interimsspra-

chenforschung, bereits eine lange Tradition vorweisen kann.

Henrici, der sich intensiv mit der Interaktionsanalyse als Forschungsan-

satz beschäftigt hat, bezeichnet sie als „interpretativ, fallorientiert und

hypothesengenerierend ausgerichtet“ (Henrici 2000b: 31 und Henrici

2000a: 107). Ihr Ziel besteht darin, vor allem aus der Perspektive der Ler-

nenden zu beschreiben und zu erklären, wie Gespräche organisiert sind

und wie der Verstehens- und Produktionsprozess beim Spracherwerb ab-

läuft (vgl. Henrici, 1995: 25).

Für die weitere Untersuchung dient Henricis Definition von Interaktion als

Bezug. Dieser versteht darunter „sprachliche und nichtsprachliche Hand-

lungen, die zwischen mindestens zwei Gesprächspartnern stattfinden und

mindestens einen Beitrag („turn“) der jeweiligen Partner umfassen, der

inhaltlich an den jeweils anderen gerichtet ist (...)“ (Henrici1995: 25).

Neben Henrici hat sich auch Schlemminger mit der Interaktionsanalyse

beschäftigt. Nach seinen Ausführungen dient diese Methode dazu, für die

2 Ergänzend ist noch auf den hohen Zeitaufwand für die einzelnen Transkriptionen hin-zuweisen. Für die schriftliche Fixierung von einer Minute auf dem Videoband wurden ca. 10 Minuten benötigt. Im zeitlichen Rahmen dieser Arbeit wäre es somit nicht möglich gewesen, noch mehr Datenmaterial auszuwerten und in die Analyse miteinzubeziehen. 3 von Henrici verwendeter Begriff (siehe Henrici 1995)

25

Unterrichtsabläufe sensibilisiert zu werden, die in Interaktion stattfinden-

den Lernprozesse besser zu verstehen und wissenserwerbsfördernde Se-

quenzen zu erkennen (vgl. Schlemminger 2004). Schlemminger hat eine

Typologie der sechs häufigsten Interaktionssequenzen im bilingualen Un-

terricht entwickelt, die überblicksartig in der nachfolgenden Tabelle darge-

stellt werden:

Tabelle 1: Übersicht über die häufigsten Interaktionstypen (verändert, nach Schlemminger 2004)

Begriff Interaktionsschema Funktion im Unterrichts-geschehen / Erwerbsprozess

1 Aufgaben-Lösungsabfolge (lehrerinitiiert) [Initiation + res-ponse + feedback (IRF) / Séquence interactive d’élicitation]

• Lehrerinitiative • Lernerreplik • Lehrer-Auswertung der

Angemessenheit der Schü-ler-Replik

• ev. lehrerinitiierte Wieder-holung durch den Lerner

• lehrerzentrierte Sequenz, mit dem Ziel der Organisation und Vermittlung von Wissen

2 Wissenser-werbsfördernde Sequenz (schülerinitiiert) [Knowledge ac-quisitional se-quence / sé-quence potentiel-lement acquisi-tionnelle (SPA)]

Typ A: Autostrukturierung • (nicht erfolgreicher) Ver-

such des Lerners, Wissen selbst zu strukturieren

• Stützung durch den Lehrer • selbstständiges Wieder-

aufgreifen durch den Lerner • ev. Lehrerbestätigung Typ B: Heterostrukturierung • Lehrerangebot an Stützung • Annahme des Angebots

durch den Lerner • Stützung durch den Lehrer • selbständiges Wieder-

aufgreifen durch den Lerner • ev. Lehrerbestätigung

• lernerinitiierte Sequenz, mit dem Ziel, dem Lerner bei der Organisation, Vermittlung und Aufnahme von Wissen zu un-terstützen

3 Korrektur-sequenz [Correc-tive sequence / séquence de cor-rection]

• Lerneräußerung mit inhalt-licher Fokalisierung

• lehrerinitiierte (oft formal orientierte) Intervention

• ev. lehrerinitiierte Wieder-holung durch den Lerner

• lernerinitiierte Sequenz, mit dem Ziel, formale / inhaltliche Aspekte klar zu stellen.

26

4 Bi-Fokussierung

[Bifocalisation / bifocalisation / double énoncia-tion

(es liegt kein einheitliches Schema vor)

• die Hauptaufmerksamkeit der beiden Sprecher liegt auf dem inhaltlichen Aspekt der Kom-munikation

• treten bei der Organisation, Koordination und Durchfüh-rung der Kommunikations-handlung Probleme auf, so wird auf diese eine periphere Aufmerksamkeit gerichtet.

5 Metasequenz

[Metalinguistic sequence / sé-quence méta-linguistique]

(es liegt kein einheitliches Schema vor)

• eindeutige Fokussierung auf den Kommunikationsablauf und/ oder den Handlungsab-lauf und den Problemen, die dort auftreten, mit dem Ziel, diese zu beseitigen

6 Begleitdiskurs [Accompanying discourse / sé-quence latérale]

(es liegt kein einheitliches Schema vor)

• Störung und Behinderung des Interaktionsablauf, so wie ihn der sog. pädagogische Ver-trag zwischen Lehrer und Schülern – implizit oder expli-zit – festlegt.

Auf diese Interaktionstypen wird bei der Interaktionsanalyse zurückgegrif-

fen, um die Verwendung der einzelnen Lernstrategien und Reflexionspro-

zesse in den Interaktionszusammenhang einzuordnen. Von diesen sechs

Typen kommen dabei vor allem die Aufgaben-Lösungsabfolge und die

wissenserwerbsfördernde Sequenz vor.

4 Definition der einzelnen Reflexions- und Lernstrategiearten

Im folgenden werden zunächst die am häufigsten vorkommenden Reflexi-

onsprozesse und Lernstrategien definiert und dann überblicksartig in einer

von der Verfasserin entwickelten Tabelle dargestellt. Bei der Kategorien-

bildung ist die Verfasserin heuristisch vorgegangen, d.h. sie hat durch ei-

gene Auswertung der Transkriptionen die nachfolgenden Kategorien fest-

gelegt.

Festzuhalten bleibt, dass es sich bei den hier vorgestellten Reflexionspro-

zessen bzw. Lernstrategien um Kategorien handelt, die exemplarisch an

27

einer dritten Klasse entwickelt wurden. Folglich kann es sich in den Tabel-

len um keine abgeschlossenen Kategorien handeln, die sich beliebig auf

andere Korpora übertragen lassen. In Abhängigkeit von verschiedenen

Faktoren wie Leistungstand, Altersstufe und Lehrstil mag es Abweichun-

gen geben, d.h. einige dieser Typen lassen sich bei anderen Klassen

mehr, weniger oder vielleicht gar nicht beobachten. Möglich sind neue Ty-

pen von Lernstrategien und Reflexionsprozessen, um die sich die nachfol-

gende Kategorisierung erweitern lässt.

Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf den kognitiven Lernstrategien liegt,

wurden Kommunikationsstrategien oder pragmatische Strategien, die z.B.

mit Hilfe von Gesten oder nonverbal das Verständnis absichern, nicht be-

rücksichtigt.

4.1 Reflexionsprozesse

Bei den Reflexionsprozessen wurden von der Verfasserin folgende Kate-

gorien festgelegt:

4.1.1 Hypothesenbildung

Diese Kategorie ist als Vorstufe zu den Reflexionen, d.h. zum expliziten

Nachdenken über Sprache zu verstehen. Die Lernenden stellen aufgrund

ihrer Vorerfahrungen Vermutungen über Regelmäßigkeiten in der Ziel-

sprache an, die dann im weiteren Lernprozess korrigiert oder erweitert

werden.

Verschiedene Untergruppen können dieser Kategorie zugeordnet werden.

Peltzer-Karpf (1998: 12) und Haunss (2003) nennen Übergeneralisie-

rungen als charakteristisch, bei denen „Regelhaftigkeiten der Zielsprache

erkannt und übertragen werden.“ Beide sprechen außerdem von kreati-ven Wortbildungsversuchen (vgl. Pelzer-Karpf 1998: 50 und Haunss

2003). Peltzer-Karpf (1998: 50) führt als weiteres Beispiel Worte der Mut-tersprache an, die zielsprachlich ausgesprochen werden.

28

4.1.2 Selbständiges Regelentdecken

Durch das selbständige Entdecken einer Regel, wird deutlich, dass der

Lerner über eine Struktur bewusst nachgedacht hat. Mithilfe der Reflexion

hat er sein bisheriges Konzept erweitert. Charakteristisch für diese Kate-

gorie ist der hohe Anteil an eigenem Lernen.

4.1.3 Reflexion durch direkte Schülerfragen

Bei dieser Kategorie zeigen die Lernenden durch das Stellen gezielter

Fragen, dass sie über eine bestimmte Sprachstruktur bewusst nachden-

ken. Direkte Fragen dokumentieren die vorhandene Lernbereitschaft und

dienen dazu, bisherige Hypothesen über die Regelmäßigkeiten der frem-

den Sprache auszubauen. Sie verlangen die direkte Rückmeldung der

Lehrkraft. Da die sprachliche Kompetenz noch nicht ausreicht, werden

diese Fragen in der Regel in der Muttersprache gestellt.

Auch Raabe (1998: 5) sieht Fragen als wichtig im Reflexionsprozess an.

Wenn Schüler Fragen zum Französischen stellen, so bedeutet dies für ihn

zwangsläufig, „dass sie über Sprache(n) im Lernkontext nachgedacht ha-

ben.

4.1.4 Reflexion durch Entdecken eines Widerspruchs

Diese Kategorie steht in engem Zusammenhang mit der Reflexion durch

direkte Fragen, da ebenfalls bisherige Konzepte und Hypothesen über

Sprache überprüft werden. Die Lerner stoßen an einer bestimmten Stelle

auf einen Widerspruch zu ihren vorhandenen Annahmen über Sprache

und ihr Funktionieren. Durch Nachdenken wird ihnen dieser Widerspruch

bewusst und sie erwarten eine Rückmeldung durch die Lehrkraft.

29

Tabelle 2: Übersicht über Reflexionsprozesse

Kategorie Beschreibung 1) Hypothesenbildung

• Vorstufe zu den Reflexionen • Vermutungen über Regelmäßigkei-

ten in der Zielsprache

2) Selbständiges Regelentde-cken

• hoher Anteil an eigenem Lernen • Erweiterung des bisherigen Kon-

zepts • Rückgriff auf die Muttersprache

3) Reflexion durch direkte Schü-lerfragen

• Stellen gezielter Fragen über be-stimmte formalsprachliche Struktur

• zeigt vorhandene Lernbereitschaft • verlangt nach Feedback des Leh-

rers • Ausbau bisheriger Hypothesen • Rückgriff auf die Muttersprache

4) Reflexion durch Entdecken eines Widerspruchs

• Überprüfen bisheriger Konzepte und Hypothesen

• verlangt nach Feedback des Leh-rers

• Rückgriff auf die Muttersprache

4.2 Lernstrategien

Bei den Lernstrategien wurde zwischen folgenden Kategorien unterschie-

den:

4.2.1 Schülerinitiiertes Nachsprechen

Beim Nachsprechen handelt es sich um eine Strategie, die vermutlich dem

Worteinprägen dient. Der Lerner wiederholt selbständig eine vom Lehrer

bzw. den Mitschülern gemachte Äußerung. Dadurch wird eine Übungs-

möglichkeit geschaffen, um mit dem neuen fremdsprachlichen Ausdruck

vertraut zu werden und diesen zu verinnerlichen.

Recht oft findet man bei den Transkriptionen das lehrerinitiierte Nach-

sprechen. Dieser Typ soll jedoch vom Nachsprechen als Lernstrategie

klar abgegrenzt werden, da hier die Initiative nicht vom Schüler selbst

ausgeht, sondern der Lehrer explizit zum Wiederholen auffordert. Somit

handelt es sich in diesem Fall um eine Lehrstrategie.

30

In der Literatur findet sich das von Schülern initiierte Nachsprechen bei

verschiedenen Autoren wieder. Peltzer- Karpf (1998: 50) spricht von ei-

nem „Echoeffekt, der Übungsmöglichkeit schafft“. Manz (2003b: 27ff.) be-

zeichnet das Nachsprechen als „Memorierungshilfe“ und „interaktive Stra-

tegie zur Absicherung des Verständnisses“, die sich damit zu einer allge-

meinen Lernstrategie weiterentwickelt.

4.2.2 Schülerinitiierte Übersetzung

Diese Kategorie tritt bei den Transkriptionen, ebenso wie das lernerinitiier-

te Nachsprechen, häufig auf. Es handelt sich hierbei um eine Strategie,

die der Verständnisabsicherung dient. Dabei können zwei Aspekte unter-

schieden werden: Zum einen die Absicherung des eigenen Verständnis-

ses, d.h. der Lerner will durch Übersetzung einer zuvor gehörten Äuße-

rung sichergehen, ob er den Inhalt verstanden hat. Zum anderen kann die

Übersetzung zur Absicherung des Verständnisses der Mitschüler einge-

setzt werden. In diesem Fall käme dann die soziale Komponente zum

Tragen. Aus den Transkriptionsbeispielen geht jedoch nicht immer eindeu-

tig hervor, um welchen Aspekt es sich im Einzelnen handelt. Oftmals kann

es sich um beide gleichzeitig handeln. Häufig kann beobachtet werden,

dass der Lerner mit der Übersetzung um Feedback des Lehrers bittet. In

vielen Fällen geht der Lehrer verbal oder auch nonverbal, z. B. durch

Kopfnicken, direkt darauf ein und gibt so Rückmeldung und Bestätigung.

In engem Zusammenhang mit Übersetzung steht der Begriff Sprachwech-

sel oder “code- switching mit seinen verschiedenen Funktionen“ (vgl. Sen-

kel 2004). Bei dieser Arbeit soll jedoch Übersetzung nur unter dem Blick-

winkel Lernstrategie betrachtet werden.

Manz (2003b: 30f.) bezeichnet die Übersetzung als weitere Variante „zur

Absicherung des Verständnisses“ und als Hilfe „beim Memorieren der

Wörter.

31

4.2.3 Direktes Fragen in der Muttersprache

Das Stellen direkter Fragen zählt als weitere Strategie zur Absicherung

des Verständnisses. Meistens zeigt der Lerner damit an, dass er Proble-

me auf der Inhaltsebene hat und verlangt somit vom Lehrer eine Rück-

meldung.

Auch bei Manz findet sich die Nennung dieser Strategie. Sie bezeichnet

diese als „Anzeigen von Nicht- Verstehen“ (Manz 2003b: 26), die für den

Aushandlungsprozess von Bedeutung wichtig ist. (Manz 2003b: 24).

4.2.4 Vergleichendes Sprachspiel mit beiden Sprachen

Auch diese Kategorie dient dem Worteinprägen beim Spracherwerb. Mit-

hilfe eines ähnlich klingenden Wortes aus der Muttersprache stellt sich der

Lerner eine Lern- und Merkhilfe zum fremdsprachlichen Wort her. Durch

dieses spielerische Vergleichen kann sicherlich den neugelernten Aus-

druck besser behalten.

Tabelle 3 :Übersicht über häufig auftretende Lernstrategiearten

Kategorie Beschreibung 1) Schülerinitiiertes Nachspre-chen

• Strategie zum Worteinprägen im Spracherwerb

• Selbständiges Wiederholen (von Lehrer- bzw. Mitschüleraussagen)

• Echoeffekt, der Übungsmöglichkeit schafft

• Memorierungshilfe

2) Schülerinitiierte Übersetzung • Strategie zur Absicherung des ei-genen Verständnisses bzw. des Verständnisses der Mitschüler (so-ziale Komponente)

• Bitte um Feedback

32

3) Direktes Fragen in der Mutter-sprache

• Strategie zur Absicherung/ Rück-versicherung/ Vergewisserung

• zeigt Nichtverstehen an • für Aushandlungsprozess von Be-

deutung wichtig • verlangt Feedback des Lehrers • Rückgriff auf die Muttersprache

4) Vergleichendes Sprachspiel mit beiden Sprachen

• Strategie zum Worteinprägen im Spracherwerb

• Merk- und -Memorierungshilfe • Rückgriff auf die Muttersprache

Sowohl bei den Reflexionsprozessen als auch bei den Lernstrategiearten

kommt die Kategorie der direkten schülerinitiierten Fragen vor. Bei den

Reflexionsprozessen bezieht sich diese Kategorie auf formalsprachliche

Aspekte, während sie bei den Lernstrategiearten eher den inhaltlichen As-

pekt fokussiert.

5 Analysebeispiele

Auf der Grundlage der eben festgelegten Definitionen werden die einzel-

nen Reflexionsprozesse bzw. Lernstrategien nun an ausgewählten Bei-

spielen analysiert und gezeigt, dass bei den Kindern Lernprozesse statt-

finden. Auch die Ergebnisse anderer Autoren werden dabei miteinbezo-

gen. Im Mittelpunkt der Analyse soll der Schüler stehen, wobei es auch

wichtig ist, die Lehrerperspektive in die Analyse miteinzubeziehen, da die

Interaktionsprozesse immer aus Initiieren und Reagieren bestehen.

Zunächst werden die jeweiligen Beispiele in den Kontext der Unterrichts-

stunde eingeordnet. Danach folgt die detaillierte Analyse der Interaktions-

schritte unter Einbezug der Interaktionstypen nach Schlemminger (2004).

In einem dritten Schritt soll dann das beschriebene Interaktionsphänomen

genauer kategorisiert werden, indem aus den Analyseergebnissen Hypo-

thesen entwickelt werden. Bei dieser Hypothesenbildung ist zu beachten,

dass immer ein großes Maß an Interpretationsarbeit von Seiten des Aus-

wertenden miteinfließt. Man kann die Gedankengänge der Lerner nicht

33

direkt nachvollziehen, sondern kann nur von den Äußerungen der Kinder

auf mögliche Lernprozesse schließen (vgl. Manz 2003b: 15). Der ablau-

fende Prozess, der den Äußerungen vorausgeht, ist dabei als weit kompli-

zierter anzusehen.

5.1 Reflexionsprozesse

5.1.1 Hypothesenbildung

Ausschnitt 1 (4. Aufnahme, Anhang S. 92)

Minute 12 Zeile Lehrer Schüler

1 2

o.k. (::) qu’est-ce que c’est° (::) NS2°

3 S2 l’anorak^ 4 5 6 7 8 9 10

l’anorak° (::) ou parce que c’est plus long (::) un anorak (::) c’est jusque ici (::) mais ça (::) c’est plus long (::) alors (::) qu’est-ce que c’est°

S17 Mantel ES Mantel S1 <leise> [man]teau (::)[man]teau

11 lève la main ! 12 13

S20 le(::) le mantle (deutsche Aussprache) vielleicht°

14 presque^ (::) le [man]teau^ 15 S20 ah (::) [man]teau^ 16 le [man]teau^ 17 S20 [man]teau^

Kontext der Unterrichtsstunde:

Die Lehrerin führt in dieser Stunde – es ist kurz vor Weihnachten- Wort-

schatz rund um den “père Noël“ ein, den sie anschließend in einem Lied

festigt. Für die Phase des vorliegenden Beispiels ist die Klasse vor der

Tafel zum Stuhlkreis zusammengekommen. In einem Säckchen befinden

sich verschiedene, von der Lehrerin selbst hergestellte Körperteile bzw.

Kleidungstücke vom Weihnachtsmann. Nacheinander ziehen verschiede-

ne Schüler ein Teil und legen es in die Kreismitte, so dass sich im Verlauf

dieser Erarbeitungsphase ein immer vollständigeres Bild des “père Noël“

ergibt.

34

Analyse der Interaktionsschritte:

Der Interaktionsablauf Z.1-17 ist ein Beispiel für den Interaktionstyp wis-

senserwerbsfördernde Sequenz (siehe Tabelle 1, S. 25/26). Die Lehre-

rin ergreift mit einer Frage die Initiative. Sie möchte von S2 wissen, was

das soeben aus dem Säckchen gezogene Teil darstellt (Z.1/2). Der Schü-

ler S2 antwortet, indem er auf ein ihm schon in der Zielsprache bekanntes

Wort zurückgreift (Z.3), das er vermutlich im Rahmen der Unterrichtsein-

heit “les vêtements“ bereits kennengelernt hat. Die Lehrerin gibt mit einer

Hilfestellung (Z.4-8) Rückmeldung, indem sie eine Erklärung bezüglich der

Länge des Anoraks und des aus dem Sack gezogenen Kleidungsstücks

abgibt (Z.6/7:“ça c’est plus long“). Mehrere Schüler unterbreiten Vorschlä-

ge (Z.6-9). S1 nennt das französische Wort, an das er sich wahrscheinlich

noch aus einer früheren Stunde erinnert hat. Er sagt dies jedoch so leise,

dass es der Lehrerin vermutlich entgangen ist. Sie ruft nun S20 (Z.11) auf,

der das Wort auf Französisch auch nicht sofort weiß. Er stellt eine Vermu-

tung an, wie das Wort seiner Meinung nach heißen könnte (Z.12/13 “le

mantle vielleicht“). Dabei verwendet er den ihm bekannten männlichen

Artikel “le“, greift auf den Wortstamm des deutschen Wortes “Mantel“ zu-

rück und hängt das für die französische Sprache typische Suffix “-le“ an.

Das Hypothesenbilden, mit der sich der Schüler in dieser Situation wei-

terhilft, lässt darauf schließen, dass dieser Aussage ein reflexiver, wenn

auch nur teilweise bewusster Prozess über die Lexikbildung des Französi-

schen vorausgegangen ist. Der Lerner zeigt dadurch, dass er bereits ein

gewisses Sprachgefühl für das Französische entwickelt hat und Vorerfah-

rungen vermutlich vergangener Lernjahre in den Sprachbildungsprozess

einbringen kann. Wahrscheinlich hat er das Suffix “-le“ schon öfter be-

wusst wahrgenommen. Wichtig in dieser Lernsequenz ist die Stützstrate-

gie der Lehrkraft (Z.14): Sie spricht ihm das gesuchte Wort vor und hilft

somit dem Lerner, seine Vermutung zu korrigieren (Z.15).

35

5.1.2 Selbständiges Regelentdecken

Ausschnitt 2 (3. Aufnahme, Anhang S. 86)

18:10 Zeile Lehrer Schüler 5 6 7

écoutez très bien^ (::) vingt (::) vingt [et] un (::) trente (::) trente [et] un (::) quarante (::) alors°

8 S17 quarante (::) et un^ 9 10

quarante et un^ (::) oui^ (::) qua-rante [et] un^ (::) et (::) ici°NS19

11 12 13 14 15 16

S19 ich wollt nur sagen bei denen ersten Zahlen von de-nen Zehnern tut man aus-sprechen mit dem et noch drin und dann die andere Zahlen tut man ohne et dann^

17 18

super t’as bien fait attention^ hein°

Kontext der Unterrichtsstunde:

Ziel dieser Unterrichtsstunde ist die Erarbeitung des Zehnerübergangs bei

den Zahlen bis 60. In der ersten Unterrichtsphase wiederholt die Lehrerin

zunächst spielerisch die Zehnerzahlen bis 60. Daran schließt sich die

Phase an, in der die Kinder die Zehnerübergänge kennenlernen. Die Leh-

rerin lässt die Kinder der Reihe nach an ihren Plätzen aufsteigend durch-

zählen und entwickelt so gemeinsam mit den Kindern die Zehnerübergän-

ge zwischen 20 und 70. Dem vorliegenden Transkriptionsbeispiel geht die

nicht korrekte Antwort eines Schülers voraus, der zur Zahl 41 “quarante-

un“ sagt.

Analyse der Interaktionsschritte:

Bei dem vorliegenden Transkriptionsausschnitt wiederholt die Lehrerin die

Übergänge ab 20, indem sie das “et“ bei “vingt et un“ und “trente et un“

besonders betont (Z.6/7). Sie setzt einen Impuls (Z.7 “quarante alors“), mit

dem sie die Schüler dazu bringen will, analog die Reihe fortzuführen. S17

gibt die richtige Antwort “quarante et un“ (Z.8). Die Lehrerin bestätigt die

Antwort (Z.9) und wiederholt diese noch einmal, indem sie das “et“ bei

“quarante et un“ stark betont (Z.10). Sie fährt mit dem Unterricht fort (Z.10

36

“et ici“) und ruft S19 auf. Dieser formuliert in seinen eigenen Worten die

Regel beim Zehnerübergang, wobei er auf seine Muttersprache zurück-

greift: „Ich wollt nur sagen bei denen ersten Zahlen von denen Zehnern tut

man aussprechen mit dem “et “ noch drin und dann die andere Zahlen tut

man ohne “et “dann (Z.11-16). Da das Mündliche im frühen Französisch-

unterricht Vorrang hat, argumentiert der Schüler hier über die Aussprache

(... “tut man aussprechen mit dem “et“...). Formal korrekt würde diese Re-

gel jedoch folgendermaßen lauten: Bei den Zehnerübergängen der Zahlen

von 20 bis 69 wird der Einer mit “et“ angeschlossen, die Einer 2 bis 9 ohne

“et“. Die Lehrerin gibt nach der Regelformulierung positive Rückmeldung

(Z.17 “super t’as bien fait attention“).

An diesem Transkriptionsbeispiel wird deutlich, dass es sich bei dieser

Interaktionssequenz um eine wissenserwerbsfördernde Sequenz (siehe

Tabelle 1, S. 25/26) für den S19 handelt, da er selbständig, ohne direkte

Aufforderung durch den Lehrer, die Regel formuliert. Damit zeigt er, dass

er erkannt hat, dass nur bei der ersten Zahl nach dem Zehner ein “et“ vor-

kommt, bei den weiteren Zahlen nicht. Dem Vorgang des Regelformulie-

rens ist sicherlich eine Reflexion vorausgegangen, bei der der Schüler

über die Analogie beim Zehnerübergang nachgedacht hat. Durch den Re-

flexionsprozess hat er eigenständig etwas entwickelt und hat dadurch sein

Wissen auf dem grammatikalischen Gebiet des Zehnerübergangs erwei-

tert.

Nach Manz bilden Reflexionsprozesse einen „ständigen Motor im Sprach-

erwerbsprozess“, der für jegliche Art von Progression verantwortlich ist

(Manz 2003b: 18). Diese Aussage trifft beim selbständigen Regelentde-cken in besonderem Maße zu.

37

5.1.3 Reflexion durch direkte Schülerfragen

Ausschnitt 3 (3. Aufnahme, Anhang S. 86)

22 :00 Zeile Lehrer Schüler 1 2 3

(Unruhe) S7 was ist dann mit der sieb-zig°

4 (..?..) 5 6 7

(S7 bekommt keine Antwort, wie-derholt deshalb die Frage) S7 und die siebzig°

8 on commence ça une autre fois^ 9 10

S17 das mache ma’ ein anderes Mal^

11 12 13 14 15 16

après la soixante-neuf ça devient très compliqué^ (flüstert) nach der neunundsechzig wird’s ganz schwierig^ tu le sais° tu le sais° (LK spricht einen Schüler an, K0) c’est combien°

17 S? welche Zahl kommt dann° 18 S? soixante-dix 19 20

mais ça on va pas faire tout de suite

21 S17 da kommt keine siebzig° 22 23 24 25 26

doch il avait raison mais on va pas le faire maintenant (::) wir hören hier auf mit den Zahlen ok° bis dahin die müssen wir erst mal richtig können

Kontext der Unterrichtsstunde:

Das vorliegende Beispiel stammt ebenso wie Beispiel 2 aus der Unter-

richtsstunde über die Zehnerübergänge der Zahlen bis 60.

Wir befinden uns immer noch in der Phase, in der die Lehrerin mit den

Schülern die Zehnerübergänge erarbeitet. Zuvor wurde die Regel von ei-

nem Schüler formuliert, dass nur bei der ersten Zahl nach dem Zehner ein

“et“ vorkommt. Es folgen die Zahlen zwischen 50 und 60 und zwischen 60

und 70. Bei 69 will die Lehrerin den Vorgang abbrechen.

38

Analyse der Interaktionsschritte:

Zu Beginn dieser Interaktionssequenz stellt S7 eine direkte Frage (Z.2/3).

Er möchte wissen, “was dann mit der siebzig ist“. Da er diese Frage noch

nicht auf französisch stellen kann, greift er dabei auf seine Muttersprache

zurück. Zunächst bekommt er keine Antwort von der Lehrerin und wieder-

holt deshalb seine Frage (Z.7: “Und die siebzig?“). Die Lehrerin hat in die-

ser Stunde offensichtlich noch nicht vor, auf die Zahl 70 einzugehen. Also

erklärt sie auf französisch, dass dieses Thema ein anderes Mal bespro-

chen wird (Z.8: “on commence ça un autre jour“.). S17 will vermutlich si-

chergehen, ob er diese Aussage richtig verstanden hat und übersetzt sie

ins Deutsche (Z.9/10: “das mache ma ein anderes Mal“.). Weiterhin erklärt

die Lehrerin zunächst auf französisch, dann noch auf deutsch, dass es

nach der 69 komplizierter wird (Z.11-14). Sie spricht dann aber doch einen

Schüler an (Z.14-16). Dieser nennt die richtige Antwort (Z.18: “soixante-dix

“), was die Lehrerin jedoch nicht direkt bestätigt. Sie erklärt nur, dass dies

nicht Thema für die momentane Stunde sei (Z. 19/20: “mais ça on va pas

faire tout de suite“). Bei S17 führt diese Antwort zu Missverständnissen. Er

hat wahrscheinlich eine klare Rückmeldung erwartet und vergewissert sich

nun mit einer Frage, die er in seiner Muttersprache stellt, ob die Antwort

70 falsch ist (Z.21: “da kommt keine siebzig?“). Daraufhin gibt die Lehrerin

deutlich zu verstehen, dass die Antwort richtig war (Z.22: “doch il avait rai-

son...“). Sie begründet weiter, dass sie mit den Zahlen hier aufhören

möchte, weil sie die bisherigen erst richtig können müssen (Z.22-26).

Man kann diese Sequenz als wissenserwerbsfördernd bezeichnen. S7

ergreift selbst die Initiative und möchte vermutlich aus eigenem Antrieb

sein Wissen erweitern. Er hat die Strukturen und Regelmäßigkeiten bei

den Zahlen zwischen 20 und 69 verfolgt, und denkt nun darüber nach, wie

es weiter gehen könnte. Da er sich selbst nicht sicher ist stellt er die Fra-

ge. Auch bei anderen Klassenkameraden trägt diese Sequenz dazu bei,

sich mit dem Sachverhalt auseinanderzusetzen. So stellt sich noch ein

anderer Schüler die Frage, welche Zahl dann kommt (Z.17) und auch S17

bringt sich mit ein (Z.21: “da kommt keine siebzig?“). Durch die anfangs

39

von S7 gestellte Frage ergibt sich eine eigene Dynamik von Seiten der

Schüler, die mehr wissen möchten als vom Lehrer eigentlich geplant war.

Nach Raabe (1998: 5) zeigen Fragen zum Französischen an, dass Schü-

ler über Sprache im Lernkontext nachgedacht haben. Man kann daher

davon ausgehen, dass hinter einer direkten Frage ein reflexiver Vorgang

steht.

Ein weiteres Beispiel zu dieser Kategorie Reflexion durch direkte Schü-lerfragen findet sich in der 4. Aufnahme, Minute 16, Z.13/14 (siehe An-

hang S. 95). Auch hier zeigt sich, dass sich der Schüler in einem Reflexi-

onsprozess befindet und bewusst über eine Struktur nachdenkt, als er die

Frage stellt.

5.1.4 Reflexion durch Entdecken eines Widerspruchs

Ausschnitt 4 (4. Aufnahme, Anhang S. 99)

Minute 30 Zeile Lehrer Schüler 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 36

c’est pas le chapeau^ (::) ce sont les (::) (assistiert beim Pfeile zei-chen) les deux (::) oui bien (::) c’est bien (wendet sich an Klasse) les bottes (::) les bottes noires (::) la cou-leur (::) c’est noir^ (::) ça c’est rouge^ (::) ça c’est noir^ (zeigt mit Finger auf die entsprechenden Farben im Bild) (::) quoi d’autre NS19°

(S? aus dem Hintergrund) le bot-tes (deutsche Aussprache) (::) bottés (::) bottes

Minute 31 1 2

S19 noires (spricht deutsch aus) steht da awer^

3 4

oui (::) mais c’est comme ça qu’on dit (::) [noir]

S19 kommt an die Tafel und nimmt weitere Wortkarte

40

Kontext der Unterrichtsstunde:

Ebenso wie Beispiel 1 ist dieses Beispiel der Unterrichtsstunde zum The-

ma “père Noël“ entnommen. Die Phase der Wortschatzeinführung, bei der

die Körperteile bzw. Kleidungstücke des Weihnachtsmannes zu einer Art

Puzzle in der Kreismitte zusammengefügt wurden, ist bereits abgeschlos-

sen. Außerdem wurde der neue Wortschatz schon in einem Lied zum

Themenkreis “père Noël“ gefestigt, und das fertige Bild des “père Noël“

hängt an der Tafel. Die Schüler sollen nun mit Pfeilen die Schriftbildkarten

den neu gelernten Körperteilen bzw. Kleidungsstücken zuordnen.

Analyse der Interaktionsschritte:

Der Interaktionsverlauf bei dieser Sequenz ist typisch für die Aufgaben-Lösungsabfolge (siehe Tabelle 1, S. 25/26). Die Lehrerin steuert dabei

sehr stark das Unterrichtsgeschehen. Sie wirkt initiierend durch das Stel-

len von Fragen z.B. Z.26/27 (“ce sont les“), wartet die Antwort der Schüler

ab (Z.27-29) und gibt Rückmeldung (Z.28/29: “oui bien, c’est bien“). An-

hand des Bildes vom “père Noël“ stellt sie durch Daraufzeigen die Farbun-

terschiede klar (Z.32/33: “ça c’est rouge- ça c’est noir“). S19 entgegnet

daraufhin, dass da aber noires steht, was er nach deutschen Aussprache-

regeln liest (Z.1/2). Die Lehrerin bestätigt dies mit “oui“ (Z.3) und erklärt

auf französisch, dass man das eben so ausspricht (Z.3/4 “mais c’est

comme ça qu’on dit noir“).

Der Einwand von S19 in Z.1/2 lässt auf einen Reflexionsprozess schlie-

ßen, bei dem sich der Schüler mit dem Unterschied zwischen Laut- und

Schriftbild im Französischen auseinandersetzt. Er ist naheliegend, dass er

dabei von seinen Vorerfahrungen aus dem Deutschen ausgeht, wo das

Schriftbild so ausgesprochen wird, wie es dasteht. Die Aussprache des

Lehres, der bei “noires“ zuvor das “e“ und das “s“ nicht gesprochen hat,

führt bei ihm offensichtlich zu Verunsicherung und einem Widerspruch. Mit

dem Einwand wendet er sich an die Lehrerin und verlangt eine Erklärung.

Im Hinblick auf Lernprozesse ist auch diese Kategorie Reflexion durch Entdecken eines Widerspruchs, ebenso wie die Kategorie Reflexion

durch direkte Schülerfragen, effektiv und wirkt sich positiv auf den Wis-

41

senserwerb aus. Der Lerner wird selbst aktiv. Er stößt auf einen Wider-

spruch zu seinen bisherigen Annahmen über Sprache und ihr Funktionie-

ren und möchte diesen geklärt haben. Die Lehrkraft könnte allerdings in

vorliegendem Beispiel diese vom Schüler ausgehende Dynamik noch

besser fördern, indem sie bei der Rückmeldung eine kurze Erklärung lie-

fert, warum die Endung “-es“ im Französischen nicht gesprochen wird.

Für die einzelnen Reflexionstypen liegen insgesamt nur sehr wenige Bei-

spiele vor. Um Hypothesen darüber zu bilden, ob es sich um eine eher

allgemeine oder individuelle Kategorieart handelt, müssten daher noch

weitere Beispiele ausgewertet werden.

5.2 Lernstrategien

5.2.1 Schülerinitiiertes Nachsprechen

Ausschnitt 5 (4. Aufnahme, Anhang S. 96)

Minute 19 Zeile Lehrer Schüler

9 10 11 12 13

j’ai perdu une (::) j’ai encore deux pompons^ (::) on va les mettre où° (::) on les met où° (::) NS16° (::) les deux pompons (::) on les met où°

S16 kommt vor

14 15

S17 Ja wo g’höre die hin° (::) er hat net drei Mütze^

16 17

sur le manteau (::) très bien (::) voilà^

S16 legt die zwei Teile richtig an

18 S17 auf den Strich! 19 super (::) pas grave^ 20 Unruhe 21 22 23

o.k.^ (::) maintenant j’ai (::) une chanson^

Schüler ziemlich unruhig S? pompon pompon S1 der hört net auf

42

Kontext der Unterrichtsstunde:

Beispiel 5 stammt wiederum wie Beispiel 1 und 4 aus der Unterrichtsstun-

de zum “père Noël“. Wir befinden uns am Ende der Erarbeitungsphase

des neuen Wortschatzes, bei der verschiedene Schüler nacheinander ein

Körperteil bzw. Kleidungsstück vom Weihnachtsmann aus einem Säck-

chen ziehen und in die Kreismitte legen. Das Bild vom “père Noël“ ist nun

fast vervollständigt.

Analyse der Interaktionsschritte:

Der Interaktionsverlauf in diesem Beispiel (Z.9-23) zählt auch zum Typ

Aufgaben-Lösungsabfolge (siehe Tabelle 1, S. 25/26), wofür die Lehrer-

zentrierung charakteristisch ist. Die Lehrerin initiiert durch Fragenstellen

(Z.10-13: “on va les mettre où? on les met où?“). S16 reagiert, in diesem

Fall, indem er die weißen Quasten (“pompons“) an das Bild anlegt (Z.16)

Daraufhin folgt die Lehrerrückmeldung, bei dem vorliegenden Transkripti-

onsausschnitt durch positive Verstärkung (Z.16/17: “très bien“). Für die

Lehrerin ist diese Phase nun abgeschlossen. Sie leitet als nächstes zu

einem Lied über (Z.21/22: “maintenant j’ai une chanson“). Ein Schüler

spricht noch unbeirrt das neu gelernte Wort „pompon“ vor sich hin (Z.22),

woraufhin sich S1 beklagt (Z.23: “der hört net auf“).

Als Lernstrategie ist dieses schülerinitiierte Nachsprechen positiv zu

bewerten, da die Initiative wieder vom Schüler selbst ausgeht. Wie man

bei diesem Transkriptionsbeispiel deutlich erkennen kann, schafft sich der

Schüler durch das Vorsichhinsprechen eine Übungsmöglichkeit, die ihm

beim Worteinprägen hilft. Es ist nicht der Lehrer, der bewusst zum Nach-

sprechen auffordert.

Insgesamt wurden zu der Kategorie schülerinitiiertes Nachsprechen sieben Beispiele in den Transkriptionen gefunden, wobei hier, wie schon

erwähnt, nur die Beispiele angeführt werden, bei denen der Schüler nicht

explizit vom Lehrer zum Nachsprechen aufgefordert wird. Betrachtet man

sich die einzelnen Beispiele näher (4. Aufnahme, Minute 10, Z.18; 4. Auf-

nahme, Minute 13, Z.11,14,18/19; 4. Aufnahme, Minute 15, Z.22; 6. Auf-

nahme, Minute 9, Z.22; 6. Aufnahme, Minute 26, Z.24; 6. Aufnahme, Minu-

43

te 28, Z.33), so kann man feststellen, dass diese Kategorienart von ver-

schiedenen und sogar von mehreren Schülern gleichzeitig angewandt

wird. Daraus könnte man folgern, dass es sich nicht um eine individuelle

Lernstrategienart handelt, die nur von einzelnen Schülern verwendet wird,

sondern dass hierbei eine allgemeine Lernstrategie vorliegt.

Auch Manz ist dieser Meinung. Sie bezeichnet das Nachsprechen als

„Memorierungshilfe“ und „interaktive Strategie zur Absicherung des Ver-

ständnisses“, die sich zu einer allgemeinen Lernstrategie weiterentwickelt

(vgl. Manz 2003b: 30).

5.2.2 Schülerinitiierte Übersetzung

Ausschnitt 6 (6. Aufnahme, Anhang S. 123/124)

Minute 37 Zeile Lehrer Schüler

1 S19 ist mit AB schon fertig 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13

j’ai quelque chose pour toi^ (::) NS19 (::) voilà le monstre (::) le grand monstre vert^ (hält weite-res AB hoch) (::) maintenant (::) tu (::) colores (::) tu colories (macht Geste anmalen) les (::) *toutes les(::) les morceaux (::) dans les couleurs (::) que (::) ce que tu as écrit (za vorheriges AB) (::) et après ça (::) tu découpes (macht Geste ausschneiden) (::) et tu le colles dans ton cahier^

S19 und dann dranklebe^

14 15 16 17

S19 ah (::) ähm (::) mir solle des ausschneide und ins Heft mache (::) und des da ° (za vor-heriges AB)

18 19

ça (::) tu laisses comme ça main-tenant^

20 21

S19 des solle mir nur so (::) behalte°

22 oui^ 23 o.k.^ (geht an Platz zurück)

44

Kontext der Unterrichtsstunde:

In dieser Unterrichtsstunde behandelt die Lehrerin die Geschichte “Va t’en

grand monstre vert“. In der ersten Phase werden als Wortschatz Körper-

teile erarbeitet und Farben wiederholt, anschließend folgt die TPR-Phase4,

in der die Schüler auf Anweisung der Lehrerin zeigen, dass sie verstanden

haben. Aufgabe dieser Phase ist es, die einzelnen Körperteile zum kom-

pletten “monstre vert“ zusammenzufügen. Gegen Ende der Stunde be-

kommt die Klasse zur Festigung ein Arbeitsblatt ausgeteilt. S19 hat dies

schnell erledigt und holt sich bei vorliegendem Beispiel einen neuen Ar-

beitsauftrag.

Analyse der Interaktionsschritte:

Der Interaktionsverlauf (Z.2-23) lässt sich nicht eindeutig einem Interakti-

onstyp von Tabelle 1 zuordnen. Die Lehrerin erklärt mit Hilfe von Gesten

(Z.4,7,12: “voilà le grand monstre vert“, “tu colories“, “tu découpes“) den

Arbeitsauftrag. Nach der letzten Erklärung “et tu le colles dans ton cahier “

(Z.13) übersetzt S19 spontan die letzten Anweisungen (Z.13-16: “und

dann dranklebe“, “mir solle des ausschneide und ins Heft mache“). An-

schließend stellt S19 auf deutsch die Frage, was er mit dem vorherigen

Arbeitsblatt machen soll (Z.16). Die Lehrerin erklärt auf französisch

(Z.18/19), dass er es lassen soll, wie es ist. Wieder übersetzt S19 die Äu-

ßerung der Lehrerin sinngemäß (Z.20/21: “des solle mir nur so behalten“).

Die Lehrerin bestätigt ihm daraufhin die Übersetzung mit “oui“(Z.22).

Bei diesem Transkriptionsbeispiel will S19 durch Übersetzen offensichtlich

sicherstellen, dass er die Aussagen der Lehrerin richtig verstanden hat. Er

setzt also die Übersetzung strategisch ein, um sein Verständnis abzusi-

chern. Der Einsatz dieser Strategie ist somit ein wichtiger Schritt um die

eigene fremdsprachliche Kompetenz, vor allem die Verstehenskompetenz

zu erweitern. Es ist daher auch wichtig, dass der Schüler von Lehrerseite

4 TPR = Total Physical Response Methode, die vom amerikanischen Psychologie-Professor James J Asher entwickelt wur-de. Der Lerner zeigt dabei nur durch körperliche Aktion (ohne zu sprechen), ob er etwas verstanden hat. (vergl. dazu Ortner 1998: 58f. und Bleyhl 2000: 31ff.)

45

Rückmeldung bekommt, ob er den Inhalt einer Äußerung richtig erfasst

hat.

Zu der Kategorie schülerinitiierte Übersetzung findet man in den

Transkriptionen die meisten Beispiele (siehe auch 1. Aufnahme,

Z.270/271; 4. Aufnahme, Minute 15, Z.18/19; 4. Aufnahme, Minute 23,

Z.4-6; 4. Aufnahme, Minute 34, Z.7/8; 4. Aufnahme, Minute 37, Z. 6,8

u.17; 5. Aufnahme, Minute 8, Z.1; 5. Aufnahme, Minute 9, Z.1 u.5; 6. Auf-

nahme, Minute 5, Z.5; 6. Aufnahme, Minute 20, Z.12). Bei genauerer Be-

trachtung dieser Beispiele stellt man fest, das die Übersetzung nicht nur

der Absicherung des eigenen Verständnisses, sondern zusätzlich auch

der Absicherung des Verständnisses der Mitschüler dienen kann. Dies ist

bei vielen Erarbeitungsphasen der Fall, wo die Interaktion im gesamten

Klassenverband stattfindet. Manz (2003b: 31) sieht diese Strategieart

auch als „Memorierungshilfe“ für den Schüler an.

Weiterhin ist festzuhalten, dass es sich bei den Beispielen oftmals nur um

eine sinngemäße, nicht wortwörtliche Übersetzung handelt, durch die die

Schüler aber trotzdem zeigen können, dass sie verstanden haben. Bei

ungefähr der Hälfte der Beispiele gibt der Lehrer direkt Rückmeldung.

Beim Einsatz dieser Strategie ist auffällig, dass S17 besonders häufig auf

diese Kategorie zurückgreift. Jedoch lässt die große Anzahl der gefunde-

nen Beispiele und die Verwendung dieser Kategorie bei verschiedenen

Schülern vermuten, dass es sich auch hier wieder, wie schon beim schüle-

rinitiierten Nachsprechen, um eine allgemeine Lernstrategie handelt. Dies

schließt allerdings nicht aus, dass einzelne Schüler, wie z. B. S17 für die-

sen Typ eine individuelle Neigung entwickelt haben.

46

5.2.3 Direktes Fragen in der Muttersprache

Ausschnitt 7 (6. Aufnahme, Anhang S. 114/115)

Minute 8 Zeile Lehrer Schüler

1 2 3 4 5 6 7

(LK hebt linken Arm als Zeichen für Ruhe, hat Buch vor sich) pendant qu’on lit le livre (::) on écoute (Hand an Ohr) hein° (::) juste quand je pose les questions c’est à vous de parler^ (::) pas maintenant^

8 9 10 11 12

voilà (::) ça c’est l’histoire° (zeigt Buch vor sich) (::) qui s’appelle° (::)va t’en (::) [grand] monstre [vert]^ (::) ça (za Titelseite) (::) c’est le grand monstre vert^

13 S17 was heißt des auf deutsch° 14 15

(LK erklärt mit Mimik) ça c’est un monstre^

16 17 18 19

S20 geh(::) geh weg (::) ein (::) ein großes grünes Monster (::) ich kenn’ des (::) ich hab’s auf deutsch^

20 21 22 23

pscht (::) o.k. (::) et va t’en (::)ça veut dire (::) va t’en (::) va t’en^ (::) (macht vermutlich Handbewe-gung) uh^

24 S17 va t’en heißt weg^ 25 26

S? geh weg du blödes Monsch-ter^

27

bon (::) voilà (::)

Kontext der Unterrichtsstunde:

Dieses Beispiel wurde ebenfalls wie Beispiel 6 der Unterrichtsstunde zum

“grand monstre vert“ entnommen. Die Phase des Eröffnungsrituals ist be-

reits vorüber. Die Lehrerin hat die Kinder in den Kreis geholt. Es folgt nun

die Phase des Geschichtevorlesens und Wortschatzerarbeitens.

47

Analyse der Interaktionsschritte:

Der Interaktionsverlauf dieser Sequenz folgt dem Interaktionstyp Aufga-

ben-Lösungsabfolge, bei der der Lehrer im Mittelpunkt steht und Wissen

vermittelt. Die Lehrerin macht dies mit ihren Erklärungen (Z.3-7) bereits

deutlich: Die Schüler sollen gut zuhören, und gegebenfalls auf die von ihr

gestellten Fragen antworten. Sie beginnt das Buch vorzustellen und den

Titel zu nennen (Z.8-12). S17 unterbricht diese Immersionsphase, indem

er sich direkt mit einer Frage an die Lehrkraft wendet (Z.13: “was heißt des

auf deutsch?“). Da er noch nicht über genug sprachliche Mittel verfügt,

stellt er diese Frage auf deutsch. Die Lehrerin erklärt zunächst mimisch

(Z.15/16), was ein Monster ist. S20 ruft dazwischen (Z.16-19) und erklärt

die Bedeutung auf deutsch. Die Lehrerin greift daraufhin die Bedeutung

von “va t’en“ noch einmal auf französisch auf (Z.20-23), wieder unterstützt

mit Gesten. S17 zeigt nun durch die richtige Übersetzung “va t’en heißt

weg“ (Z.24), dass er verstanden hat, was ihm die Lehrerin schließlich mit

“bon voilà“ bestätigt (Z.27).

Direkte Fragen dienen, ebenso wie das Übersetzen, der Absicherung des

Verständnisses. S17 setzt hier eine direkte Frage ein und zeigt damit,

dass für ihn Erklärungsbedarf auf Inhaltsebene besteht. Er verlangt explizit

nach einer Rückmeldung von der Lehrerin. Bei diesem Beispiel wird deut-

lich, dass das direkte Fragen am Anfang eines Aushandlungsprozesses

von Bedeutung steht. Der Schüler zeigt dem Lehrer sein Nicht-Verstehen

an, und dieser führt ihn (gelegentlich auch in Interaktion mit anderen

Schülern) an die richtige Bedeutung heran.

Manz sieht dieses Anzeigen von Nicht-Verstehen, wofür die direkte Frage

unter anderem eingesetzt wird, als „wichtige, interaktive Strategie“ beim

Spracherwerb an. Sie stellt ihrer Meinung nach eine zentrale kommunika-

tive Kompetenz dar (vergl. Manz 2003b:26)

Insgesamt liegen zu dieser Kategorie sechs weitere Beispiele vor (siehe

auch 1. Aufnahme, Minute 6, Z.14; 1. Aufnahme, Z.342; 2. Aufnahme, Mi-

nute 25, Z. 4; 2. Aufnahme, Z.96-98; 2. Aufnahme, Z.172/173; 4. Aufnah-

me, Minute 41, Z.2/3, 5/6; 12/13). Nicht jedes Mal zeigen die Schüler

48

durch die direkte Frage ihr Nichtverstehen an. Manchmal wollen sie sich

auch einfach nur rückversichern bzw. absichern (siehe 2. Aufnahme, Mi-

nute 31, Z.172/173).

Da jeweils verschiedene Schüler bei den einzelnen Beispielen von dieser

Kategorie Gebrauch machen, liegt es nahe, auch hier von einer allgemei-

nen Lernstrategie zu sprechen.

5.2.4 Vergleichendes Sprachspiel mit beiden Sprachen

Ausschnitt 8 (4. Aufnahme, Anhang S. 99/100)

Minute 31 Zeile Lehrer Schüler

12 13

bon^ (::) qui a trouvé un autre° (::) on arrête de parler° (::) NS17°

14 15

S17 ich weiß awer net ob’s richtig isch^

16 tu essaies^ Minute 32

1 2 3

(S17 kommt vor und liest mit deutscher Aussprache) les pon-pons^

4 les pompons^ 5 S17 ha ja (::) Bonbons^ 6 7 8 9 10 11 12

oui mets- les (zeigt auf den Platz an der Tafel) (::) c’est quoi (::) les pompons (::) blancs° (::) les pompons blancs (::) c’est la couleur des pompons (::) c’est pas rouge (::) c’est pas noir (::) c’est blanc^

S17 malt Pfeil

13 14

S? le pompon Popo

Kontext der Unterrichtsstunde:

Dieses Beispiel stammt ebenfalls aus der Unterrichtsstunde zum “père

Noël“. Es handelt sich um eine Phase gegen Ende der Stunde in, der die

Schüler sich mit dem Schriftbild der neu gelernten Wörter auseinanderset-

zen. Das fertige Bild des “père Noël“ hängt an der Tafel und die Schüler

sollen nun mit Pfeilen die einzelnen Schriftbildkarten den entsprechenden

Teilen zuordnen.

49

Analyse der Interaktionsschritte:

Auch bei dieser Interaktionssequenz handelt es sich um den lehrer-

zentrierten und wissensvermittelnden Interaktionstyp, der Aufgaben-Lösungsabfolge, wobei diese hier zusätzlich auch eine Korrekturse-quenz enthält (Z.4). Die Lehrerin initiiert mit einer Frage (Z.12: “qui a trou-

vé un autre?“), worauf S17 antwortet. Er erklärt seine Unsicherheit

(Z.14/15: “ich weiß awer net ob’s richtig isch“) und liest in deutscher Aus-

sprache die Schriftbildkarte zu “les pompons“ vor (Z.2/3). Die Lehrerin gibt

Rückmeldung, indem sie das neue Wort noch einmal französisch korrekt

ausspricht (Z.4). S17 fallen dazu plötzlich „Bonbons“ ein (Z.5). Während

die Lehrerin die Pfeile an der Tafel einzeichnen lässt und noch auf die

Farbe eingeht (Z.6-12), beschäftigt sich ein weiterer Schüler mit dem Wort

“pompon“ (Z.13). Ihm fällt dazu das deutsche Wort “Popo“ ein (Z.14).

Offensichtlich handelt es sich bei diesem Transkriptionsausschnitt um eine

Strategie zum Worteinprägen. Die beiden Schüler greifen hier (Z. 5 u.14)

auf ein ihnen aus der Fremd- bzw. Muttersprache geläufiges Wort zurück,

das so ähnlich wie das neue Wort klingt, und bilden sich somit eine Art

Merkhilfe, um dieses besser behalten zu können. Ein solch vergleichen-des Sprachspiel kann daher im Wortschatzerwerb unterstützend wirken.

Zu dieser Kategorie liegen vier weitere Beispiele vor (siehe auch 2. Auf-

nahme, Minute 18, Z.3/4; 2. Aufnahme, Minute 27, Z.37; 3. Aufnahme,

Minute 1, Z.43; 4. Aufnahme, Minute 11, Z.12). Von dieser Kategorie

macht S17 noch zwei weitere Male Gebrauch. Dass hierbei eine Lernstra-

tegie vorliegt, wird durch folgende Aussagen noch deutlicher: “ah des kann ich mir merken wie Gummi“ bzw. “kann ich mir gut merken mit Otto“. Man könnte hier sogar vermuten, dass es sich um eine individuelle

Lernstrategie handelt. Bei insgesamt fünf Beispielen verwendet sie S17

dreimal.

50

5.3 Zusammenfassung der Ergebnisse

Ziel dieses Unterkapitels ist es, die Ergebnisse der analysierten Beispiele

zusammenzufassen und mögliche Erklärungsansätze zu finden. Daneben

sollen noch einige Anmerkungen bezüglich der Untersuchungsdurchfüh-

rung und der Auswertung gemacht werden.

Zunächst sollen einige allgemeine Ergebnisse festgehalten werden:

• Es hat sich bei allen Transkriptionen gezeigt, dass Reflexionspro-

zesse und der Einsatz von Lernstrategien immer fest an Interaktio-

nen gebunden sind. Sie können daher nur im Interaktionszusam-

menhang aussagekräftig analysiert werden.

• Sowohl hinter Reflexionsprozessen wie auch hinter dem Einsatz

von Lernstrategien stehen kognitive Vorgänge, die den Lernprozess

des Schülers positiv beeinflussen. Dieser kann durch deren An-

wendung seine sprachliche Kompetenz erweitern.

• Bei den einzelnen Reflexionsprozessen kann man davon ausge-

hen, dass es sich um Vorgänge handelt, die dem Schüler bewusst

sind. Bei den einzelnen Lernstrategiearten kann dies nicht so ein-

fach festgestellt werden.

Vergleicht man Reflexionsprozesse und Lernstrategiearten untereinander,

so fällt auf, dass das Vorkommen verschiedener Reflexionsprozesse und

Lernstrategiearten nicht gleich verteilt ist. Beide treten in jeder Unterrichts-

stunde mehr oder weniger häufig auf. Folgende Tabelle soll dies detaillier-

ter veranschaulichen:

51

Tabelle 4: Überblick über die Auftretenshäufigkeit der einzelnen Reflexionsprozesse und Lernstrategiearten

Aus dieser Tabelle lassen sich nun folgende Ergebnisse festhalten:

• Die schülerinitiierte Übersetzung ist die mit Abstand am häufigsten

auftretende Lernstrategie.

• Vergleicht man direkt die Auftretenshäufigkeit von Lernstrategien

und Reflexionsprozessen, so stellt man fest, dass zu den Reflexi-

onsprozessen insgesamt nur ganz wenige Beispiele vorliegen. Dies

könnte zum einen daran liegen, dass der Fremdsprachenunterricht

in dieser Klasse häufig nach dem Interaktionsschema Aufgaben-

Lösungsabfolge abläuft. Bei diesem Interaktionstyp steuert der Leh-

Auftretenshäufigkeit

Kategorie 1.Aufn. 2.Aufn. 3.Aufn. 4.Aufn. 5.Aufn. 6.Aufn. gesamt

Hypothesenbildung __ __ __ 1 __ __ 1

Selbständiges Re-gelentdecken

__ __ 1 __ __ __ 1

Reflexion durch direkte Schülerfra-gen

__ __ 1 1 __ __ 2

Reflexion durch Entdecken eines Widerspruchs

__ __ __ 1 __ __ 1

Schülerinitiiertes Nachsprechen

__ __ __ 4 __ 3 7

Schülerinitiierte Übersetzung

3 7 2 7 2 10 31

Direktes Fragen in der Muttersprache

2 3 __ 1 __ 1 7

Vergleichendes Sprachspiel mit beiden Sprachen

__ 2 1 2 __ __ 5

52

rer sehr stark, es gibt daher weniger Möglichkeiten für den Schüler

Eigeninitiative zu ergreifen. Diese ist jedoch bei den einzelnen Re-

flexionsprozessen besonders wichtig. Ein weiterer Grund könnte

darin liegen, dass die französische Sprache im Vergleich zur engli-

schen weniger Anlass zum bewussten Reflektieren über formale

Strukturen gibt, da es sich um eine “stumme Sprache“ handelt. Das

heißt: viele charakteristische Endungen, z. B. bei der Pluralbildung,

hört man im Mündlichen nicht.

• Die am häufigsten auftretenden Lernstrategiearten Übersetzung,

Nachsprechen und direkte Fragen, die zudem auch noch von ganz

verschiedenen Schülern eingesetzt werden (siehe Anhang), legen

den Schluss nahe, dass es sich hierbei um allgemeine Lernstrate-

gien handelt. Allgemeine Lernstrategie würde bedeuten, dass diese

Kategorie sicherlich auch in jeder anderen Klasse auftreten würde.

Umgekehrt lassen Kategorien, zu denen es nur wenige Beispiele

gibt und die zudem häufig vom selben Schüler gebraucht werden

(z. B. Vergleichendes Spielen in der Muttersprache), vermuten,

dass es sich hierbei um individuelle Kategorien handelt. Dies wären

also Kategorien, die in einer anderen Klasse nicht unbedingt vor-

kommen würden.

Als Gemeinsamkeiten zwischen Reflexionsprozessen und Lernstrategien

lassen sich folgende Punkte festhalten:

• Strategien und Reflexionen verlangen in den meisten Fällen das

Feedback der Lehrkraft.

• Der Rückgriff auf die Muttersprache ist bei allen Strategie- und Re-

flexionsarten sehr hoch, da die Schüler noch nicht über die sprach-

lich ausreichenden Mittel verfügen, um sich komplett in der Fremd-

sprache auszudrücken.

• Reflexionsprozesse und Lernstrategien treten häufiger innerhalb

wissenserwerbsfördernder Sequenzen auf, folglich innerhalb von

Interaktionsformen, die dem Lerner genug Spielraum für Eigenitiati-

ve lassen. Der Lehrer steuert dabei weniger stark das Unterrichts-

53

geschehen als bei der Aufgaben- Lösungsabfolge und nimmt sich

weitestgehend zurück.

Bezüglich der Methodenwahl kann man festhalten, dass bei der Diskurs-

analyse immer nur Aussagen über einen einzelnen Schüler getroffen wer-

den können und nur das von außen sichtbare Verhalten erfasst wird. Zur

Erzielung genauerer Ergebnisse müssten also noch andere Datenerhe-

bungen durchgeführt werden, z. B. Interviews, Tagebücher, um auch Zu-

gang zu den anderen Lernern zu bekommen, die von außen kaum am

Diskurs teilzunehmen scheinen (vgl. House 2000: 113). Dies war jedoch

im zeitlichen Rahmen dieser Arbeit nicht realisierbar.

Die empirische Basis der Untersuchung erscheint mit nur sechs ausgewer-

teten Stunden zunächst sehr klein, was zur Folge hat, dass sich die vor-

gestellten Kategoriensysteme sicherlich nicht auf beliebige weitere Klas-

sen übertragen lassen. Die Interaktionsanalyse hat jedoch gezeigt, dass

bereits auf der Grundlage einiger charakteristischer Beispiele wesentliche

Aussagen getroffen werden können.

6 Abschließende Bemerkungen

Ziel dieses Kapitels ist es, mögliche Fragestellungen für Nachfolgeunter-

suchungen zu entwickeln und kurz auf die didaktischen Konsequenzen

der Ergebnisse einzugehen.

Strategienbildung und Reflexionsprozesse wurden bei dieser Arbeit ex-

emplarisch an einer dritten Klasse untersucht. Interessant wäre es, weite-

re Untersuchungen in den restlichen Grundschulklassen durchzuführen

(Longitudinalstudien), um Aussagen darüber zu treffen, inwieweit dort die-

selben bzw. andere Kategoriearten vorkommen. Man könnte dabei fol-

genden Fragen nachgehen:

54

• Gibt es Unterschiede bei den Kategorien zwischen den einzelnen

Klassenstufen?

• Wenn ja, worin liegen diese Unterschiede und worin könnte die Ur-

sache liegen?

• Verändern sich die Strategien mit zunehmendem Alter?

Man könnte durch diese breiter angelegten Studien die bei der Zusam-

menfassung der Ergebnisse entwickelten Hypothesen über allgemeine

bzw. individuelle Kategorien fundierter belegen.

Ein weiterer Bereich für zukünftige Untersuchungen im Zusammenhang

mit Reflexionsprozessen und Lernstrategiearten wäre der der Geschlech-

terunterschiede, um somit Erkenntnisse zu gewinnen, inwiefern sich Re-

flexionsprozesse bzw. Lernstrategiearten zwischen Mädchen und Jungen

unterscheiden. Dabei wären z. B. folgende Fragen interessant:

• Gibt es Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, was die Auf-

tretenshäufigkeit von Lernstrategien und Reflexionsprozessen ins-

gesamt betrifft?

• Gibt es Unterschiede bezüglich der Häufigkeit innerhalb einzelner

Kategoriearten?

In der Zusammenfassung wurde festgehalten, dass Reflexionsprozesse

und Lernstrategien immer an Interaktion gebunden sind. Als didaktische

Konsequenz lässt sich daher folgern, dass die Qualität der Interaktion in

ganz entscheidender Weise diese Prozesse beeinflussen kann (vgl. Ed-

mondson/ House 1993: 226 und Haunss 2003). Es stellt sich also die Fra-

ge inwiefern bzw. durch welche Methoden und Mittel der Lehrer dazu bei-

tragen kann, dass er bei seinen Schülern Reflexionsprozesse und Lern-

strategienbildung fördert. Die vorliegenden Ergebnisse belegen, dass Re-

flexionsprozesse und Lernstrategien häufiger in Interaktionen auftreten,

die dem Schüler genug Spielraum für Eigeninitiative lassen. Für die Schü-

ler wäre es im Hinblick auf Reflexionsprozesse und Lernstrategienbildung

daher besonders förderlich, wenn der Lehrer bei seiner Unterrichtsgestal-

tung verstärkt für wissenserwerbsfördernde Sequenzen sorgt. Wie er dies

55

konkret umsetzen kann und welche weiteren Möglichkeiten dazu beste-

hen, wären ebenso mögliche Fragestellungen für nachfolgende Untersu-

chungen.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass Reflexionsprozessen und Lern-strategien eine zentrale Bedeutung bei der sprachlichen Entwicklung zu-

kommt. Wie die analysierten Transkriptionsbeispiele gezeigt haben, sind

sie bereits sehr früh am Fremdsprachenerwerb beteiligt. Sie helfen dem

Lerner, seine sprachliche Kompetenz zu erweitern und Fortschritte in der

Fremdsprache zu erzielen. Somit steuern sie in ganz entscheidender Wei-

se den Fremdsprachenerwerb und stellen einen entscheidenden Schritt

auf dem Weg zu lebenslanger Sprachlernkompetenz dar.

56

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61

Anhang

Abkürzungsliste......................................................................................62

1. Aufnahme (verändert, nach Senkel 2004).........................................64

2. Aufnahme (verändert, nach Senkel 2004).........................................77

3. Aufnahme (verändert, nach Senkel 2004).........................................84

4. Aufnahme.............................................................................................89

5. Aufnahme...........................................................................................104

6. Aufnahme...........................................................................................111

62

Liste der verwendeten Transkriptionszeichen und Abkür-

zungen

SJ Schuljahr

LJ Lernjahr

LK Lehrkraft

SuS Schüler und Schülerinnen

S einzelner Schüler

S1, S2 Schülernummer, jedes Kind wird in allen Transkripti-

onen unter einer Nummer geführt. Aus Anonymitätsgründen wird bei der

Bezeichnung nicht zwischen Schülerinnen und Schülern unterschieden

S? wenn SuS nicht im Bild sind, Aussagen nicht zuge-

ordnet werden können

NS1 LK spricht S1 mit Namen an

ES einige Schüler tun etwas gemeinsam oder sprechen

durcheinander

T Tonband

K Klasse

zB zeigt ein Bild

B Bild

zaB zeigt etwas auf einem Bild

za zeigt auf etwas Bestimmtes

HP Handpuppe

KM Kreismitte

63

< > Beschreibung der Sprechweise

( ) Beschreibung der Tätigkeit

( ? ) Unverständliches

[ ] starke Betonung

/..../ Kinder reden durcheinander, es kommen zeitgleich

mehrere Antworten, die aber nicht den einzelnen Schülern zugeordnet

werden können

! Nachdruck

° steigende Intonantion

^ fallende Intonation

* kennzeichnet eine falsche Form

KO Bildaufnahme ermöglicht keine genauen Angaben

(:) vokalische Dehnung

(::) (kurze oder lange) Pausen bzw. Wortabbrüche

/// Ende der Transkription