quo vadis, notarzt?; quo vadis, preclinical emergency physician?;
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Anaesthesist 2014 · 63:294–302DOI 10.1007/s00101-014-2309-8Eingegangen: 7. Dezember 2013Überarbeitet: 23. Januar 2014Angenommen: 3. Februar 2014Online publiziert: 6. März 2014© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
T. Luiz · J. Jung · S. FlickDeutsches Zentrum für Notfallmedizin und Informationstechnologie – DENIT, Fraunhofer IESE, Kaiserslautern
Quo vadis, Notarzt?Ergebnisse einer Befragung der Notarztstandorte in Rheinland-Pfalz
Der Notarztdienst in Rheinland-Pfalz ist überwiegend klinikgebunden. Trotz einer nominell ausreichenden Zahl zum Notarztdienst qualifizierter Ärzten bereitet die Dienstplanbeset-zung besonders Kliniken mit boden-gebundenem Notarztsystem erheb-liche Schwierigkeiten. Die personel-len Probleme sind vielschichtig und zumindest teilweise Epiphänomen eines allgemein schwierigen „Perso-nalmarkts“.
Hintergrund und Fragestellung
Seit einigen Jahren stellt die Sicherstellung des Notarztdienstes in einigen Flächen-bundesländern eine zunehmende Her-ausforderung dar [1, 7, 10, 11]. So konnten in Rheinland-Pfalz die bodengebundenen Notarztstandorte im Zeitraum 2009–2010 3,9% des Vorhaltesolls [7] und in Sach-sen im Jahr 2012 2,9% des Vorhaltesolls aus personellen Gründen nicht abdecken [10]. Weiterführende, systematische Ana-lysen zur organisatorischen und zur per-sonellen Struktur der Standorte sind nicht verfügbar.
Studie
Ziele
Die vorliegende Studie hatte zum Ziel:Fverlässliche Daten zur organisato-
rischen und zur personellen Struktur aller rheinland-pfälzischen Notarzt-standorte zu gewinnen,
Feine Einschätzung der gegenwärtigen und zukünftigen Personalsituation durch die Standortverantwortlichen zu erhalten,
Fergriffene Maßnahmen zur Verbesse-rung der Personalsituation zu analy-sieren.
Damit sollte den Beteiligten eine bessere Entscheidungsgrundlage für weitere ge-zielte Maßnahmen verschafft werden.
Studiendesign und Untersuchungsmethoden
Im Sommer 2012 wurde das Deutsche Zentrum für Notfallmedizin und Infor-mationstechnologie (DENIT) am Fraun-hofer-Institut für Experimentelles Soft-ware Engineering (Fraunhofer IESE) von der rheinland-pfälzischen Landesregie-rung mit einer Strukturanalyse des Not-arztdienstes beauftragt. Ein zentraler Teil der Analyse bestand in einer Befragung der Notarztstandorte zur Personalsitua-tion.
Nach Abstimmung beim „Runden Tisch Notarzt“, einem unter Leitung der Staatssekretärinnen des Innen- und So-zialministeriums stehenden Arbeitskreis, dem Vertreter der Landesärztekammer, der ärztlichen Leiter Rettungsdienst, der notfallmedizinischen Zentren, der ärzt-lichen Leiter Notarztstandorte, der kas-senärztlichen Vereinigung, des Land-kreistags, der Krankenhausgesellschaft, des DENIT und der Kostenträger an-gehören, wurde im Oktober 2012 an al-le rheinland-pfälzischen Notarztstandor-te ein Fragebogen versendet. Bei klinik-gebundenen Standorten war der Adressat die Geschäftsführung, die diese Fragen in Zusammenarbeit mit den ärztlichen Lei-tern des Notarztdienstes beantwortete. Bei Standorten mit anderen Organisations-strukturen ging das Schreiben an den ärzt-
lichen Standortleiter oder die korrespon-dierende administrative Stelle. Die Fra-gebogen waren von einem Schreiben der Staatssekretärinnen der genannten Minis-terien begleitet, in dem die Gründe und Ziele der Befragung erläutert wurden und um Teilnahme an der Untersuchung ge-beten wurde. Bei fehlender Rückmeldung von Standorten erfolgten bis zu 2 Erinne-rungen mit der Bitte um Teilnahme.
Der Fragebogen umfasste 53 Fragen und beinhaltete folgende Themenbereiche:FAnzahl und Typ der vorgehaltenen
Rettungsmittel,FCharakterisierung der Standortärzte,FEinschätzung der gegenwärtigen und
zukünftigen Personalsituation im Notarztdienst,
FRekrutierungsmaßnahmen und -auf-wand,
Fals ursächlich angesehene Faktoren für einen Mangel an Notärzten,
Fergriffene Gegenmaßnahmen,FFolgen der Notarztstellung für den
Standort,FAufgaben des ärztlichen Leiters Not-
arztstandort,
Tab. 1 Anzahl erfasster Rettungsmittel
Rettungsmit-teltyp
Anzahl (n) Rettungs-mittel
Davon 24 h/7 Ta-ge besetzt
Notarzteinsatz-fahrzeug (NEF)
70 60
Rettungshub-schrauber (RTH)a
5 0
Intensivtrans-portwagen (ITW)
5 4
aEinschließlich eines RTH der Luxemburg Air Rescue, der von der integrierten Leitstelle in Trier disponiert wird.
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Originalien
FAus-, Fort- und Weiterbildung,Frechtliche Aspekte der Notarztgestel-
lung,FVergütung der Notärzte.
Vierzehn Fragen waren offen gestellt, z. B. die Frage nach der Anzahl an Notärzten am Standort. Insgesamt 39 Fragen be-inhalteten eine Antwortauswahl („mul-tiple choice“), z. B. die Beurteilung der als ursächlich angesehenen Faktoren für einen Notarztmangel. Zusätzlich bestand die Möglichkeit, mithilfe des Freitextes ergänzende Angaben zu machen. In der vorliegenden Arbeit werden die wichtigs-ten Ergebnisse zusammengefasst.
Datenschutz
Im Rahmen der Befragung wurden keine personenbezogenen Daten erfragt oder verarbeitet. Die Auswertung der Ergeb-nisse erfolgte in Bezug auf die Standorte pseudonymisiert.
Statistik
Die Darstellung der Ergebnisse erfolgt rein deskriptiv. Angegeben sind absolu-te Häufigkeiten, relative Anteile, Median-werte sowie Minima und Maxima.
Ergebnisse
Der Rücklauf der ausgesendeten Fragebo-gen betrug 94,8% (74 aus 78).
Anzahl der RettungsmittelInsgesamt werden an den teilnehmenden Standorten 80 arztbesetzte Rettungsmittel vorgehalten, davon an 6 Standorten mehr als ein Rettungsmittel (.Tab. 1).
Allgemeine Struktur des NotarztdienstesEs sind 65 Standorte (87,8%) klinikge-bunden. Verschiedenen anderen Organi-sationsformen, z. B. Notarztvereinen so-wie einer Arztpraxis, können 9 Standorte (12,2%) zugeordnet werden.
An den Standorten tätige ÄrzteVon insgesamt 5507 Ärzten besitzen 1743 die Notarztqualifikation (d. h. mindestens Fachkunde im Rettungsdienst). Hiervon sind 1098 aktive Notärzte. Im Median ver-
fügen je Standort 6 Ärzte über die Not-arztqualifikation; hiervon sind 5 notärzt-lich tätig. Insgesamt bestehen jedoch gro-ße Spannweiten (.Tab. 2).
Aktive NotärzteUnter den aktiven Notärzten sind 75,7% Fachärzte, 28,4% weiblichen Geschlechts und 22,6% älter als 50 Jahre. Lediglich über die Fachkunde Rettungsdienst ver-
Zusammenfassung · Abstract
Anaesthesist 2014 · 63:294–302 DOI 10.1007/s00101-014-2309-8© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
T. Luiz · J. Jung · S. FlickQuo vadis, Notarzt? Ergebnisse einer Befragung der Notarztstandorte in Rheinland-Pfalz
ZusammenfassungHintergrund. Die Aufrechterhaltung des Notarztdienstes ist in Flächenländern schwie-rig geworden. Die genauen Umstände sind jedoch bislang nicht bekannt.Methoden. Im Auftrag der Landesregierung wurden Ende 2012 bei den Verantwortlichen der rheinland-pfälzischen Notarztstandorte mithilfe eines 53 Fragen umfassenden Frage-bogens strukturelle und personelle Gegeben-heiten des Standorts erfragt.Ergebnisse. Es antworteten74 Standorte (94,8%); davon waren 87,8% klinikgebunden. Die Rekrutierung von Notärzten bezeichne-ten 62% der Studienteilnehmer als schwierig oder sehr schwierig; mit weiterzunehmenden Schwierigkeiten rechnen 92%. Auf Honorar-ärzte greifen 43% der Antwortenden zurück. Unter den Notärzten sind nur 28,4% Frauen; der Fachrichtung Anästhesiologie entstam-men 56,1%. Für Personalprobleme ursächlich angeführte Faktoren sind: geringe Vergütung
(59,5%), Mehrbedarf an Ärzten (56,8%), Des-interesse anderer Abteilungen (50%), fehlen-de Attraktivität für die Karriere (45,9%) und altersbedingtes Ausscheiden (40%). Wichtigs-te Gegenmaßnahmen bestehen in der Kos-tenübernahme und Freistellung für die Not-arztaus- und Notarztfortbildung sowie in einer höheren Vergütung.Schlussfolgerung. Die geschilderten Pro-bleme sind vielschichtiger Natur. Sie erfor-dern neben finanziellen Anreizen v. a. eine generelle Aufwertung der Notarzttätigkeit. Weiterführende Untersuchungen bei den be-troffenen Ärzten sind notwendig. Besonderer Aufmerksamkeit bedarf die geringe Beteili-gung von Ärztinnen am Notarztdienst.
SchlüsselwörterNotfallmedizin · Rettungsdienst · Einstellung des Gesundheitspersonals · „Manpower“ im Gesundheitssystem · Fragebogen
Quo vadis, preclinical emergency physician? Results of a survey of emergency medical services in Rhineland-Palatinate (Germany)
AbstractBackground. The provision of physician-staffed emergency medical services (EMS) has become difficult in German territorial states. However, the precise details are so far unknown.Methods. On behalf of the State Govern-ment of Rhineland-Palatinate (4 million in-habitants), in 2012 a written survey investi-gating personnel and structural settings was conducted at all emergency medical services (EMS) stations. The questionnaire comprised 53 items (14 open and 39 multiple choice questions).Results. Of the 78 stations 74 responded (94.8%), 87.8% of the responders were affil-iated to a hospital, 62% reported problems in recruiting physicians for the EMS, 92% ex-pected problems to further increase and 43% have to hire external fee-based physicians. Women are considerably underrepresent-ed (28.4%), while anesthetists are overrep-resented (56.1%). The main reasons for the
shortage of doctors were given as low sala-ries (59.5%), increased demand for doctors (56.8%), disinterest of other hospital depart-ments (50%), lack of opportunity for career advancement (45.9%) and demographic fac-tors (40%). The main countermeasures were given as assuming costs for education and training of prospective emergency physicians and higher salaries.Conclusion. The described problems are complex. Besides financial incentives, they necessitate greater general appreciation of the preclinical work of emergency physicians. Further studies including the emergency physicians concerned are necessary. The low percentage of female emergency physicians requires special consideration.
KeywordsEmergency medicine · Emergency medical services · Attitude of health personnel · Health manpower · Questionnaires
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fügen 35,1%, über die Zusatzbezeichnung 64,9%, davon 36,9% auch über die Fach-kunde (.Tab. 3, .Abb. 1).
Die Mehrheit der Notärzte (56,1%) ent-stammt der Anästhesie, mit großem Ab-stand gefolgt von der inneren Medizin (22,4%) und der Chirurgie, einschließ-lich Unfallchirurgie (17,6%) und sonsti-gen Disziplinen (zusammen 4,5%).
RekrutierungsmethodenAlle Standorte nutzen mehrere Wege zur Rekrutierung von Notärzten. Insge-samt konnten 11 unterschiedliche Rek-rutierungskombinationen ermittelt wer-den. Die führende Methode ist die Ver-pflichtung im Rahmen eines Arbeitsver-trags (78,4%). Daneben besteht jedoch eine Vielzahl weiterer Optionen, beson-ders die Inanspruchnahme von Vermitt-lungsagenturen. Die unter „sonstige We-ge“ subsumierten Methoden waren aller-
dings nur in Ausnahmen durch konkre-te Angaben belegt, z. B. Ansprechen ehe-maliger Mitarbeiter der Klinik. Stellenan-zeigen in Printmedien und auf der Home-page einer Klinik spielen nur eine unter-geordnete Rolle (.Abb. 2).
BeschäftigungsmodelleMit 48% ist die notärztliche Tätigkeit bei knapp der Hälfte der Standorte Dienstauf-gabe von Klinikärzten, allerdings nur noch bei 19 Standorten (25,7%) ausschließliches Beschäftigungsmodell. Auch auf Hono-rarärzte greifen 32 Standorte (43,2%) zu-rück, 17 (23%) ausschließlich auf Hono-rarärzte. An 14 Standorten (18,8%) wird die Notarzttätigkeit als Nebentätigkeit charakterisiert. Eine Mehrzahl von Be-schäftigungsmodellen nutzen 43 Standor-te (58,1%) mit insgesamt 14 unterschiedli-chen Kombinationen.
Einschätzung der PersonalsituationEs geben 46 Standorte (62,1%) an, dass es ihnen schwer oder sehr schwerfällt, Not-ärzte zu gewinnen. Bezogen auf die bo-dengebundenen Standorte bewerten 46 (66,7%) die Situation als schwer oder sehr schwer; bei den 5 Luftrettungsstandorten war es kein einziger. An 3 von 4 Standor-ten hat sich der Rekrutierungsaufwand in den letzten 3 Jahren erhöht. Während im-merhin noch 80% der Standorte während der Regelarbeitszeit den Notarztdienst mit eigenem Personal abdecken können, sinkt dieser Anteil außerhalb der Regelarbeits-zeit auf nur noch 54,5%.
Mit einer schwierigen oder sehr schwie-rigen zukünftigen Entwicklung rechnen 68 Standorte (92%) (.Tab. 4). Unter den bodengebundenen Standorten sind 67 (97%) dieser Auffassung, unter den Luft-rettungszentren lediglich einer (20%).
Einschätzung der Ursachen der PersonalengpässeFür ursächlich halten 44 Standor-te (59,5%) eine unattraktive Vergütung, 42 Standorte (56,8%) den Mehrbedarf an Ärzten für andere klinische Aufgaben. Mit über 40% der Nennungen wurden weiter-hin ein ungenügendes Interesse anderer Abteilungen, die geringe Attraktivität des Notarztdienstes für die klinische Karriere und das altersbedingte Ausscheiden von Notärzten angeführt (.Abb. 3).
Tab. 2 Charakterisierung der an den Standorten tätigen Ärzte
Summe (über alle Standorte)
Me-dian
Mini-mum
Maxi-mum
Anteil (%) der Notärzte am Standort
Anzahl (n) der Ärzte am Standorta 5507 43 2 1144 100
Anzahl (n) der eigenen Ärzte mit Not-arztqualifikation
1743 6 0b 222 31,6
– Davon nur Fachkunde Rettungsdienst 823 8 0b 113 47,2
– Davon nur Zusatzbezeichnung Not-fallmedizin
477 6 0b 125 27,4
– Davon Fachkunde und Zusatzbezeich-nung
443 6 0b 27 25,4
Anzahl aktive Notärzte 1098 5 1 53 63,0(19,9 aller Ärzte an den Standorten)
aDiese Frage wurde nur von 69 der 74 Standorte beantwortet.bDie Angabe „0“ resultiert aus Standorten, die ausschließlich externe Honorarärzte als Notärzte rekrutieren. Bei diesem Personalmodell ist es methodologisch bedingt nicht möglich, eine konkrete Anzahl der Notärzte anzugeben.
Tab. 3 Charakterisierung der aktiven Notärzte
Summe Median Mini-mum
Maxi-mum
Anteil (%) an den Notärzten
Aktive Notärzte, davon 1098 5 1 53 100
– Nur Fachkunde Rettungsdienst 381a 4 1 14 35,1
– Nur Zusatzbezeichnung 304a 5 1 53 28,0
– Fachkunde und Zusatzbezeichnung 399a 6 1 21 36,9
Anzahl (n) der
– Fachärzte 833 9 1 42 75,5
– Frauen 312 4 0 18 28,4
– >50-Jährigen 236b 3 0 10 22,6aBerechnungsgrundlage sind Angaben von Standorten mit insgesamt 1084 Ärzten.bBerechnungsgrundlage sind Angaben von Standorten mit insgesamt 1046 Ärzten.
Tab. 4 Einschätzung der Schwierigkeit, Notärzte zu gewinnen
Aktuell Zukünftige Entwicklung
Anzahl (n) Anteil (%) Anzahl (n) Anteil (%)
Sehr schwer 18 24,3 39 52,7
Schwer 28 37,8 29 39,2
Mittel 22 29,7 6 8,1
Leicht 2 2,7 0 0
Sehr leicht 4 5,4 0 0
Summe 74 100 74 100
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Originalien
Ergriffene Maßnahmen zur Verbesserung der PersonalsituationAn der Spitze der Maßnahmen stehen die Kostenübernahme bzw. die Freistellung für den Notarztkurs (61 Standorte, 82,4%, bzw. 55 Standorte, 74,3%), gefolgt von einer höheren Vergütung (44 Standorte, 59,4%) und der Kostenübernahme von Fortbildungsveranstaltungen (41 Stand-orte, 55,4%). Mit einigem Abstand fol-
gen die Freistellung für das Einsatzprak-tikum und eine höhere Anzahl an Wei-terbildungsstellen für Notärzte. Flexible Arbeitszeit- und Beschäftigungsmodel-le werden deutlich seltener genannt. Bei den angegebenen „zusätzlichen Leistun-gen“ handelte es sich in der Mehrzahl der Fälle um eine bessere räumliche Unter-bringung oder eine Entlastung von an-deren kli nischen Tätigkeiten. Mindes-
tens 5 verschiedene Maßnahmen ergrif-fen 34 Standorte (46%; .Abb. 4).
Ausbildung von NotärztenEs bilden 56 Standorte (75,7%) Notärz-te aus; hierbei kann in 55 Fällen auch das Einsatzpraktikum absolviert werden. Im Fall der Gewährung einer Aufwandsent-schädigung würden 36 Standorte (64,3%
78,4
50
24,3
8,1
4
2,7
0 20 40 60 80 100
Dienstaufgabe
Sonstige
Vermittlungsagentur
Kontakte zu anderen …
Hilfsorganisation
Homepage
Printmedien
Verbundmodell
Anteil der Nennungen (%)
Rekr
utie
rung
sweg
12,2
29,7
Abb. 2 8 Rekrutierungswege
40,5
19,4
3,2
49,2
18,1
0,0
10,0
20,0
30,0
40,0
50,0
60,0
<40 41–50 51–60 >60
Ant
eil (
%)
Alter (Jahre)
Notärzte RlpKlinikärzte Bund
26,8
5,9
36,9
Abb. 1 8 Altersverteilung der aktiven Notärzte in Rheinland-Pfalz (Rlp) und bundesweit tätiger Klinikärzte. (Daten auf Bundesebene; modifiziert nach [12])
der ausbildenden Standorte) mehr Not-ärzte als bislang ausbilden.
Ärztlicher Leiter NotarztstandortÜber einen im Landesrettungsdienst-gesetz geforderten ärztlichen Leiter des Notarztstandortes verfügen 69 Standor-te (93,2%). Diese Funktion wird an 24 der 69 Standorte (34,8%) vom ärzt lichen Direktor oder einem Chefarzt wahr-genommen, in 35 Fällen (50,7%) von einem Oberarzt und in 12 Fällen (17,4%)
von einem Facharzt. Die Aufgaben be-stehen vornehmlich in der Erstellung des Notarztdienstplans und der fachlichen Supervision (je 53 Standorte, 76,8%) so-wie der Aus- und Fortbildung der Not-ärzte (45 Standorte, 65,2%). Weitere Auf-gaben liegen in der Ausbildung von Ret-tungsfachpersonal (20 Standorte, 29%) sowie sonstigen, vornehmlich nur loka-len Aufgaben (13 Standorte, 18,8%). In 8 Fällen (13%) erfolgt eine teilweise Frei-stellung für diese Funktion, in einem Fall
(1,4%) eine komplette Freistellung, in den übrigen Fällen keine Freistellung.
Auswirkungen der Notarztstellung für den StandortDie Notarztstandorte sehen in der Stellung der Notärzte sowohl gewichtige Vor- aber auch Nachteile. Beinahe 80% sehen den Notarztdienst als einen für ihr Ansehen förderlichen Faktor an. Zirka 70% betonen Vorteile für die innerklinische Notfallver-sorgung. Beinahe 40% sehen Vorteile für die Personalakquise. Weitere positive As-pekte spielen eine untergeordnete Rolle. Bei den als nachteilig angesehenen Fakto-ren dominieren an 3 von 4 Standorten die Einschätzung einer finanziellen Unterde-ckung sowie der fehlenden Verfügbarkeit der Notärzte für andere klinische Tätig-keiten. Auch der Aufwand für die Ausbil-dung stellt an fast der Hälfte der Standor-te einen belastenden Faktor dar. An einem Drittel der Standorte werden Probleme bei Dienstausfällen unter dem Aspekt der Haftbarkeit gesehen (.Abb. 5). Gleich-zeitig sind nur 30 Standorten (40,5%) die einschlägigen Rechtsgrundlagen und Unterlagen (Rettungsdienstgesetz und -plan, Notarztvertrag, Vereinbarung über Notarzteinsatzpauschalen) bekannt.
VergütungNur noch 22 Standorte (29,8%) vergüten die Notärzte ausschließlich gemäß den aktuellen Tarifverträgen. In den letzten 3 Jahren mussten 38 Standorte (51,4%) die Vergütung überdurchschnittlich erhöhen (d. h. über den Tarifabschlüssen).
Diskussion
Interpretation der Ergebnisse
Mit dieser Untersuchung liegen erstmals detaillierte, und bei einem Beteiligungs-grad von 95% verlässliche Daten auf Ebe-ne eines Bundeslands zur strukturell-per-sonellen Situation des Notarztdienstes vor. Diese wird aktuell von beinahe zwei Drit-tel der Standorte negativ bewertet, und beinahe jeder Standort erwartet künftig eine schwierige oder sehr schwierige wei-tere Entwicklung hinsichtlich der Akquise und Stellung von Notärzten. Diese subjek-tive Einschätzung wird von einer Fülle an Daten begleitet, die wichtige Erkenntnisse
59,5
50
40
20,3
17,6
9,5
0 10 20 30 40 50 60 70
Unattraktive Vergütung
Mehrbedarf an Ärzten für andere Aufgaben …
Ungenügendes Interesse anderer Abteilungen
Geringe Attraktivität für Karriere
Altersbedingtes Ausscheiden
Arbeitszeitgesetz
Höhere zeitliche Einsatzbelastung
Zu hohe Anforderungen in der WBO
Unattraktivität des Standorts
Zu wenig Weiterbildungsplätze
Anteil der Nennungen (%)
Urs
ache
n
45,9
13,5
24,3
56,8
Abb. 3 8 Von den Standorten angegebene Ursachen für Personalprobleme. (Antwortauswahl, Mehr-fachantwort möglich, Nennung der 10 am häufigsten angegebenen Gründe). WBO Weiterbildungs-ordnung
82,4
59,4
37,8
27,1
19
16,3
0 20 40 60 80 100
Kostenübernahme NA-Kurs
Freistellung für NA-Kurs
Höhere Vergütung
Kostenübernahme Fortbildungen
Freistellung für Einsatzpraktikum
Mehr Weiterbildungsstellen für NÄ
Flexible Arbeitszeitmodelle
Flexible Beschäftigungsmodelle
Zusätzliche Leistungen
Eigene Fortbildungsangebote
Anteil der Nennungen (%)
Maß
nahm
en
16,2
33,8
55,4
74,3
Abb. 4 8 Zur Lösung der Personalprobleme ergriffene Maßnahmen. (Mehrfachantwort möglich, Nen-nung der 10 häufigsten Gründe – alle weiteren Gründe wurden von deutlicher weniger als 10% der Standorte benannt). NA Notarzt, NÄ Notärzte
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Originalien
zu Ursachen, Rahmenbedingungen und Lösungsansätzen liefern.
Der Notarztdienst in Rheinland-Pfalz ist mit einem Anteil von 88% weitestge-hend an Kliniken gebunden. Andere Or-ganisationsformen wie Notarztvereine sind lediglich lokal von Bedeutung. Nie-dergelassene Ärzte sind nur noch ganz vereinzelt notärztlich tätig. Ihre verstärk-te Einbindung ist bei deutlich gestiegenen Einsatzfrequenzen nicht mehr realistisch. Die Ergebnisse spiegeln somit vorwiegend die Situation an rheinland-pfäl zischen Kliniken und damit zumindest teilweise auch deren grundsätzliche Situation wi-der. Ähnliche Strukturen liegen auch in Sachsen vor; hier werden 90% der Not-arztdienste von klinikgebundenen Stand-orten geleistet [10].
Die erhobenen Daten zeigen, dass das „klassische“ Modell, nach dem eine Kli-nik den Notarztdienst ausschließlich mit ihren eigenen Ärzten leistet, massiv an Bedeutung verloren hat und einer kaum mehr überschaubaren Kombination von Rekrutierung-, Beschäftigungs- und Ge-stellungsmodellen gewichen ist.
Notarztstandorte und Kliniken sind in eine starke Abhängigkeitssituation von Vermittlungsagenturen und Honorar-ärzten geraten, deren Problematik und Konsequenzen erheblich sind: Eine fach-liche Supervision ist de facto vielerorts nur sehr eingeschränkt möglich. Vor al-lem bei kurzfristigem oder einmaligem
Einsatz können organisatorische und/oder medikolegale Probleme aus fehlen-der Kenntnis regional vorgehaltener Me-dizingeräte, Standardarbeitsanweisungen („standard operating procedures“, SOP), Notfallmedikamente und medizinischer Infrastruktur (Eignung von Zielkliniken, Fahrzeiten etc.) resultieren. Die Teilnah-me an regionalen Fortbildungsveranstal-tungen ist bei Honorarärzten in der Praxis nur selten gegeben. Dies ist insbesonde-re bei Themen, bei denen die Zusammen-arbeit mit anderen Beteiligten besondere Bedeutung hat (z. B. Reanimation, techni-sche Rettung, Schnittstelle zur Luftrettung etc.), von Nachteil.
Eine wichtige Erkenntnis ist, dass nur noch weniger als ein Drittel der ca. 5500 an den Standorten (und damit primär an den Kliniken) tätigen Ärzte über die Qua-lifikation zum Notarzt verfügen. Mitte 2013 gab die Landesärztekammer Rhein-land-Pfalz an, dass von den in Kliniken tä-tigen Ärzten 935 über die Fachkunde Ret-tungsdienst und 1060 über die Zusatzbe-zeichnung Notfallmedizin verfügen [6]. Diese Zahlen korrespondieren mit den vorgestellten Ergebnissen, wenn berück-sichtigt wird, dass in der vorliegenden Untersuchung 5 Standorte diese Detailfra-ge nicht beantworteten.
Als Notärzte aktiv sind jedoch nur noch weniger als zwei Drittel der formal Qualifizierten und nur noch jeder Fünfte der an den Standorten Tätigen. Zwar sind
drei Viertel der aktiven Notärzte Fach-ärzte. Dennoch verfügen, beinahe 8 Jah-re nach der 2005 erfolgten Änderung des Rettungsdienstgesetzes und mehr als 12 Jahre nach Einführung der Zusatzbe-zeichnung Notfallmedizin durch die Lan-desärztekammer immer noch mehr als ein Drittel der Notärzte lediglich über die Fachkunde. Diese hätte gemäß dem Ret-tungsdienstgesetz von 2005 ursprünglich lediglich bis Ende 2013 im Rahmen einer Übergangsregelung als fachliche Legiti-mation von „Altnotärzten“ Bestand ha-ben sollen. Eine dann eingetretene Zu-gangssperre dieser Kollegen zum Not-arztdienst hätte jedoch faktisch Anfang des Jahres 2014 zu einer massiven Ein-schränkung der notärztlichen Versorgung geführt. Deswegen wurde Mitte 2013 trotz grundsätzlicher Anerkennung der Forde-rung nach einer möglichst hohen Qualifi-kation der Notärzte das Rettungsdienstge-setz erneut geändert [6, 8]; hierdurch kön-nen auch Ärzte ohne Zusatzbezeichnung weiterhin Notarztdienst leisten.
Die Gründe für die fehlende Bereit-schaft von Notärzten, diese Zusatzbe-zeichnung zu erwerben, konnten im Rah-men der vorliegenden Untersuchung nicht erhoben werden. Ungeachtet der bereits vollzogenen Gesetzesänderung sollten die Ursachen für diese Zurückhal-tung jedoch näher analysiert und mit al-lem Nachdruck darauf hingewirkt wer-den, dass möglichst viele Kollegen den-noch die Zusatzbezeichnung erwerben. Diese Forderung ist u. a. vor dem Hinter-grund zu sehen, dass heute die Mehrzahl der Patienten höheren Altersgruppen an-gehört und an einer Multimorbidität lei-det, mit entsprechend komplexeren, grö-ßere klinische Erfahrung fordernden Ent-scheidungsprozessen [9, 13].
Anlass zu Bedenken muss auch der geringe Frauenanteil unter den Notärzten geben, der mit nur 28,4% deutlich niedri-ger liegt als der Anteil an Ärztinnen an all-gemeinen Krankenhäusern in Rheinland-Pfalz (43,0%; [16]). Angesichts eines mit 61% noch deutlich höheren Frauenanteils unter den derzeitigen Medizinstudieren-den [14] ist evident, dass die Gewinnung einer ausreichenden Zahl von Ärztinnen für den Notarztdienst für die Zukunft des Rettungswesens von elementarer Bedeu-tung ist. Die Ursachen dieser Beobach-
39,2
70,3
79,7
79,7
0 10 20 30 40 50 60 70 80 90
Persönliche Motivation
Personalakquise
Innerklinische Versorgung
Patientenakquise
Ansehen der Klinik/Abteilung
Aufwand zur Dienstbesetzung
Haftung bei Nichtbesetzung
Aufwand für Ausbildung
Keine Verfügbarkeit für andere Tätigkeit
Finanzielle Unterdeckung
Anteil (%)
Vor-
bzw
. Nac
htei
le
74,3
74,3
44,6
33,8
4,1
4
Abb. 5 8 Einschätzung der Standorte hinsichtlich der Folgen der Stellung von Notärzten. Rot Nachtei-le, grün Vorteile. Dargestellt sind jeweils die 5 am häufigsten genannten Angaben
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tung bedürfen daher dringend weiterge-hender Untersuchungen. Dabei sollten insbesondere die Ärztinnen selbst und de-ren spezifische Bedürfnisse (z. B. Sicher-heitsempfinden im Einsatz, Vereinbarkeit des Notarztdienstes mit der Familie) be-fragt werden.
Die Altersverteilung der Notärzte ist gegenüber den in deutschen Kliniken tä-tigen Ärzten deutlich in Richtung jünge-rer Altersgruppen verschoben [2]. Das al-tersbedingte Ausscheiden war mit 40% auch einer der am häufigsten genannten Gründe für die Personalprobleme. Ange-sichts der stetigen Zunahme des Alters-durchschnitts der Ärzteschaft [2, 14] ist evident, dass diese Problematik noch zu-nehmen wird.
Mit 56% stellt die Anästhesie über die Hälfte der rheinland-pfälzischen Notärzte im Vergleich zu 22,4% Notärzten aus der inneren Medizin und 17,1% aus der Chi-rurgie. Generelle Daten zum personellen Anteil der einzelnen Fachrichtungen an den rheinland-pfälzischen Kliniken liegen den Autoren nicht vor. Auf Bundesebene stehen jedoch 15.113 Ärzten für Anästhesie 18.983 Internisten und 14.423 Chirurgen gegenüber [15]. Angesichts eines Fach-arztanteils von 75% in der vorliegenden Studie kann somit festgehalten werden, dass Internisten und Chirurgen unter den Notärzten in Rheinland-Pfalz weit unter-durchschnittlich repräsentiert sind.
Dies korrespondiert eng mit der Beo-bachtung, dass Standortverantwortliche das geringe Interesse anderer Abteilungen als eine wesentliche Ursache an der Per-sonalsituation im Notarztdienst anfüh-ren. Auch in Sachsen wird die Konzen-tration des Notarztdienstes auf eine ein-zige Fachabteilung beklagt, ohne dass je-doch weiterführende Angaben vorlie-gen [10]. Es ist evident, dass eine – ehe-mals für die betreffende Disziplin mögli-cherweise vorteilhafte, zumindest jedoch praktikable – Beschränkung des Notarzt-dienstes auf eine einzige Abteilung für di-ese heute eine enorme Herausforderung und immer häufiger auch eine Überforde-rung darstellt. Gleichzeitig gibt knapp die Hälfte der Standorte an, die Teilnahme am Notarztdienst sei im Hinblick auf die in-dividuelle Karriere als unattraktiv zu wer-ten. De facto steht die notärztliche Tätig-keit, die in keiner Weiterbildungsordnung
als Voraussetzung einer Gebietsbezeich-nung gefordert wird, in massiver Konkur-renz zu den (stetig steigenden) Anforde-rungen der „Weiterbildungskataloge“ und eröffnet zudem – von Ausnahmen in Zen-tren abgesehen – auch keinen Zugang zu Führungspositionen.
Noch etwas häufiger als diese Fakto-ren werden allerdings Vergütungsfragen und der gestiegene Bedarf an Ärzten für andere Aufgaben als Ursachen der Perso-nalproblematik benannt. Letzteres ist ge-rade für die Anästhesiologie von großer Bedeutung. Ihr Tätigkeitsfeld hat sich in den letzten Jahren besonders außerhalb des OP deutlich ausgeweitet (Intensiv-medizin, Schmerz- und Palliativmedizin, OP-Koordination, innerklinisches Not-fallmanagement). Diese Vielfalt an Auf-gaben konnte jedoch bereits 2009 an über der Hälfte der Kliniken nur noch durch den zusätzlichen Einsatz von Honorar-ärzten erfüllt werden [5]. Innerklinische Aufgabenfelder und Notarztdienst ste-hen somit in zunehmender Konkurrenz um die knapp gewordene Ressource „An-ästhesist“.
Jeder 4. bzw. 5. Standort nennt Arbeits-zeitgesetze bzw. die aus einer höheren zeitlichen Einsatzbelastung resultierenden arbeitsrechtlich-organisatorischen Konse-quenzen als Problembereich. Die hohen fachlichen Anforderungen der Weiterbil-dungsordnungen und die unzureichen-de Zahl an Weiterbildungsstellen wurden vornehmlich von kleineren Kliniken mit begrenzter Weiterbildungsermächtigung als Problempunkte genannt und stellen dort eine grundsätzliche, nicht auf den Notarztdienst begrenzte Limitierung dar.
Immerhin jeder 7. Standort – vor-nehmlich in ländlichen Bereichen – be-klagt eine zu geringe generelle Attraktivi-tät des Standorts. Diese Beobachtung geht mit einer generell geringen Bereitschaft angehender Ärzte – nicht nur in Rhein-land-Pfalz – einher, eine Tätigkeit in länd-lichen Räumen aufzunehmen [3, 12].
Unter den ergriffenen Maßnahmen stehen die finanzielle und arbeitszeitliche Entlastung bei der Absolvierung der Aus-bildung zum Notarzt an oberster Stel-le. Dies ist ein Indiz dafür, dass dort zu-mindest bislang unnötige Hürden für die Aufnahme einer notärztlichen Tätig-keit herrschten. Mehr als die Hälfte der
Standorte gibt zudem an, den Notarzt-dienst über- bzw. außertariflich zu vergü-ten, wobei unklar ist, wie die Vergütungs-höhe in der Vergangenheit bemessen war. Teilweise wird die übertarifliche Vergü-tung jedoch nur externen Notärzten ge-währt, wodurch ein standortinternes Ge-haltsgefälle mit erheblichem Konfliktpo-tenzial resultiert.
Zwar hat ein Drittel der Standorte die Zahl der Weiterbildungsstellen für den Notarztdienst erhöht. Allerdings würden 64% der ausbildenden Standorte noch mehr Notärzte ausbilden, wenn sie hier-für eine Aufwandsentschädigung erhiel-ten; dies ist eine Option, die die Verant-wortlichen angesichts der reell anfal-lenden Kosten in Höhe von einigen Tau-send Euro ernsthaft in Betracht ziehen sollten. Erstaunlicherweise werden Ver-bundweiterbildungsmodelle nur in Aus-nahmefällen genutzt, obwohl sie gerade für kleine Kliniken mit begrenzter Wei-terbildungsermächtigung von hohem In-teresse sein müssten.
Die angegebene stärkere finanzielle Förderung von Fortbildungsmaßnahmen sowie vermehrte eigene Fortbildungsver-anstaltungen der Standorte sind der At-traktivität und Qualität des Notarztdiens-tes gleichermaßen förderlich.
Insgesamt ist die Tatsache, dass beina-he die Hälfte der Standorte 5 oder mehr unterschiedliche Maßnahmen zur Perso-nalrekrutierung ergreifen musste, eben-so wie die enorme Vielfalt an Arbeitszeit- und Organisationsmodellen ein Beleg für die Vielschichtigkeit des Problems und des hohen organisatorischen sowie finan-ziellen Aufwands, den die Standorte leis-ten müssen. In Verbindung mit der fach-lichen Supervision lasten damit auf den ärztlichen Leitern Notarztstandort, die diese Funktion mehrheitlich zusätzlich zu ihren Aufgaben als klinischer Oberarzt, Chefarzt oder ärztlicher Direktor und oh-ne Freistellung wahrnehmen, eine hohe Belastung und Verantwortung.
Bewertung des Notarztdiensts
Auf der „Habenseite“ stehen ein erhöh-tes Ansehen der Klinik, eine verbesserte Patientenakquise und Vorteile in Bezug auf die innerklinische Notfallversorgung. Letzteres sollte dazu ermutigen, den Not-
300 | Der Anaesthesist 4 · 2014
Originalien
arztdienst nicht nur auf eine einzige Ab-teilung, häufig die Anästhesiologie, zu beschränken, sondern diese positiven Ef-fekte einer notärztlichen Tätigkeit auch in anderen Abteilungen zu nutzen. Auf den ersten Blick widersprüchlich ist der ho-he Anteil von beinahe 40% der Standor-te, die den Notarztdienst als für die Perso-nalakquise förderlich bewerten. Dies lässt sich allerdings dadurch erklären, dass ein – regional unterschiedlich hoher – Anteil junger Ärzte gezielt nach einer Stelle in einer Klinik bzw. Abteilung mit angebun-denem Notarztdienst sucht, besonders in Zentren mit zusätzlichen Leistungsange-boten wie Intensivtransport, Luftrettung oder notfallmedizinischer Betreuung von Großveranstaltungen. So berichtete in der vorliegenden Untersuchung auch keiner der 4 weitgehend anästhesiolo-gisch besetzten Luftrettungsstandorte über Probleme, Notärzte zu rekrutieren. Zudem stellt die Notfallmedizin bis heute einen starken Motivator für eine Weiter-bildung in der Anästhesiologie dar. Anäs-thesiologie und Notarztdienst stehen so-mit mehr, als dies bei anderen Diszipli-nen der Fall ist, in einer wechselseitigen Abhängigkeit. Ein stärkeres oder schwä-cheres Engagement der Anästhesiologie in der präklinischen Notfallmedizin hat damit stets auch spürbare Auswirkungen auf die Disziplin an sich.
Auf der „Minusseite“ bleiben die fi-nanzielle Unterdeckung des Notarzt-dienstes, die Tatsache, dass die Besetzung des Notarztdienstes bei Personalengpäs-sen mit der Aufrechterhaltung anderer in-nerklinischer (Kern-)Aufgaben, z. B. Not-aufnahme oder OP, kollidiert, der hohe zeit liche und finanzielle Aufwand für die Ausbildung sowie befürchtete Haftungs-probleme im Fall unbesetzter Dienste. Im Rettungsdienstgesetz Rheinland-Pfalz werden die Kliniken verpflichtet, „im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit“ Not-ärzte zu stellen [8]. Bislang sind diesbe-züglich zwar keine Verfahren bekannt ge-worden. Die Tatsache, dass vielen Stand-orten die Rechtsvorschriften des Ret-tungsdienstes unbekannt sind, muss al-lerdings Anlass zu gezielten Aufklärungs-maßnahmen geben, z. B. Bereitstellen al-ler relevanten Unterlagen und Durchfüh-ren entsprechender Seminare durch die Rettungsdienstbehörden.
Übertragbarkeit der Ergebnisse
Die Ergebnisse beruhen ausschließlich auf Angaben bzw. Einschätzungen der Leitungsebene der Notarztstandorte über die Situation innerhalb ihres Verantwor-tungsbereichs. Einschätzungen von Not-ärzten selbst, insbesondere deren Moti-vation und Einstellungen zum Notarzt-dienst, oder Standorte außerhalb von Rheinland-Pfalz waren nicht Gegenstand der Studie. Es stellt sich daher die Frage, ob bzw. in welchem Maß die hier gewon-nenen Ergebnisse mit anderen Regionen verglichen werden können.
Eine direkte Übertragbarkeit scheidet naturgemäß aus. Interessanterweise kor-relieren jedoch wesentliche Kennzahlen der vorgestellten Untersuchung – unge-achtet unterschiedlicher methodischer Rahmenbedingungen (Bundesland vs. Deutschland, schriftliche Befragung kon-kreter Notarztstandorte vs. primär anony-misierte internetbasierte Umfrage unter Notärzten, Fokus auf der Personalsituati-on von Standorten vs. Fortbildungsnach-weise einzelner Notärzte) – sehr gut mit den Ergebnissen einer jüngst veröffentli-chten, bundesweiten Befragung zu spezi-fischen Fortbildungen von Notärzten, in der unter den ca. 2000 Teilnehmern ein Facharztanteil von ebenfalls 75%, ein An-teil an Anästhesisten von 59% sowie ein Anteil weiblicher Notärzte von 20% be-richtet wurde. Auch in jener Studie war der weitaus größte Teil der Notärzte An-gehöriger einer Klinik, wenn auch die dort angegebenen 78% etwas niedriger waren, als der hier beobachtete Anteil klinikge-bundener Standorte [4]. Insgesamt deu-tet dies darauf hin, dass die untersuchte Stichprobe im bundesweiten Vergleich keine „Ausnahmeposition“ repräsentiert.
Weiterführende Untersuchungen er-scheinen dringend geboten, auch mit Blick auf die zukünftige Bedeutung der Notfallmedizin für das Fach Anästhesio-logie und vice versa.
Fazit für die Praxis
Der Einsatz von Honorarärzten löst kurz-fristig Engpässe, schafft aber neue Her-ausforderungen. Sie müssen u. a. hinrei-chend in die regionalen Besonderheiten des Notarztdienstes eingewiesen wer-
den. Häufig benannte Probleme sind die unzureichende Refinanzierung des Not-arztdienstes, fehlende Freistellung für die Notarztausbildung, Desinteresse gro-ßer Fachabteilungen, geringe Anerken-nung und Aufstiegschancen sowie Un-kenntnis der Verantwortlichen hinsicht-lich der Rechtsgrundlagen. Ohne die ge-meinsame Bereitschaft aller Verantwort-lichen, den erkannten Problemen tragfä-hige Lösungen entgegenzusetzen, wird der klinikgebundene Notarztdienst mit-telfristig in der Fläche nicht aufrechtzu-erhalten sein. Wichtig sind v. a. eine stär-kere Beteiligung weiterer akutmedizi-nisch tätiger Disziplinen am Notarzt-dienst sowie die auskömmliche Vergü-tung und Refinanzierung des Notarzt-dienstes, einschließlich einer sog. Ausbil-dungspauschale für aus-/weiterbildende Standorte. Speziell die notärztliche Tätig-keit von Ärztinnen muss weitaus stärker gefördert werden. Weitergehende Unter-suchungen sollten sich direkt an die von der Thematik betroffenen Ärzte richten.
Korrespondenzadresse
Dr. T. LuizDeutsches Zentrum für Notfallmedizin und In - for mations technologie – DENIT, Fraunhofer IESEFraunhofer-Platz 1, 67663 [email protected]
Danksagung. Wir danken den Mitgliedern des „Run-den Tisches Notarzt“ für ihre Anregungen bei der Kon-zeption der Befragung und den teilnehmenden Not-arztstandorten für ihr Engagement bei der Beantwor-tung des Fragenkatalogs.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt. T. Luiz, J. Jung und S. Flick weisen auf folgende Beziehung hin: DENIT erhält eine antei-lige Förderung des Ministeriums des Innern, für Sport und Infrastruktur (ISIM) Rheinland-Pfalz.
Der Beitrag enthält keine Studien an Menschen oder Tieren.
Literatur
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2. Bundesärztekammer (o J) Stationär tätige Ärzt in-nen und Ärzte nach Gebietsbezeichnun gen und Altersgruppen am 31.12.2012. http://www.bun des aerztekammer.de/page.asp?his= 0.3.11372.11376. Zugegriffen: 19. Nov. 2013
301Der Anaesthesist 4 · 2014 |
3. Heinz A, Jacob R (2012) Medizinstudenten und ih-re Berufsperspektiven. In welcher Fachrichtung, wo und wie wollen sie arbeiten? Bundesgesund-heitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheits-schutz 55:245–253
4. Ilper H, Kunz T, Walcher F (2013) Demographie, Ausbildung und Erfahrung der Notärzte in Deutschland: www. notarztfragebogen.de. Dtsch Med Wochenschr 138:880–885
5. Landauer B (2011) Berufspolitische Herausforde-rungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Anaesth Intensivmed 52:562–568
6. Landtag Rheinland-Pfalz. 16. Wahlperiode. Druck-sache 16/2439 vom 12.06.2013
7. Luiz T, Lengen RH van, Wickenkamp A et al (2011) Verfügbarkeit bodengebundener Notarztstand-orte in Rheinland-Pfalz. Landesweites webbasier-tes Erfassungs-, Anzeige- und Auswerteinstru-ment. Anästhesist 60:421–426
8. Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruk-tur: Landesgesetz über den Rettungsdienst. http://isim.rlp.de/sicherheit/rettungsdienst/rettungs-dienstgesetz/. Zugegriffen: 19. Nov. 2013
9. Prückner S, Madler C (2009) Der demographische Wandel. Notfallmedizin für eine alternde Gesell-schaft. Notfall Rettungsmed 12:13–18
10. Sächsischer Landtag (2013) 5. Wahlperiode. Druck-sache 5/11569. http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=11569&dok_art=Drs&leg_per=5&pos_dok=-1. Zugegriffen: 19. Nov. 2013
11. Schäfer M, Molger S (2010) Steigende Kosten, Fehlalarm, Opt-out-Regelung: Wie viel Notarzt können wir uns leisten? Rettungsdienst 33:26–33
12. Siegert M, Leidinger E, Pitzius O et al (2010) Versor-gungsatlas Rheinland-Pfalz: Versorgungssurvey, Berufsmonitoring, Hochrechnungen. Kassenärztli-che Vereinigung Rheinland-Pfalz/Universität Trier. 4iMEDIA, Leipzig
13. Singner K, Heppner HJ (2012) Besonderheiten des älteren Notfallpatienten. Wie können mögliche Fehleinschätzungen präklinisch und in Notauf-nahmen vermieden werden? Notfall Rettungsmed 15:255–264
14. Statistisches Bundesamt: Gesellschaft und Staat: Bildung, Forschung, Kultur: Studierende Studien-fach Medizin Deutschland. https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/LangeReihen/Bildung/lrbil05.html. Zugegriffen: 19. Nov. 2013
15. Statistisches Bundesamt: Grunddaten der Kran-kenhäuser 2012. https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/Gesundheit/Krankenhaeuser/GrunddatenKrankenhaeu-ser2120611127004.pdf?__blob=publicationFile. Zugegriffen: 19. Nov. 2013
16. Statistisches Landesamt Rheinland-Pfalz: Gesund-heitsberichterstattung – Gesundheitsindikatoren. Themenfeld 8: Beschäftigte im Gesundheitswe-sen. Indikator 8.17: Ärztinnen und Ärzte in Kran-kenhäusern nach Geschlecht im Zeitvergleich. http://www.infothek.statistik.rlp.de/gbe/stdTabel-le.aspx?id=3618&stid=542&z_ma_id=-1&kmmid=1&kmaid=0&za=10&zs=1&dim=1&hm=1. Zuge-griffen: 19. Nov. 2013
J. Köbberling
Diagnoseirrtum, Diagnose-fehler, Befunderhebungsfehler
Bewertungen und Vermeidungs-strategien
Verlag Versicherungswirtschaft 2013, 1. Auf-lage, 181 S., (ISBN 3899527704), Taschenbuch, 39.00 EUR
Ärzte müssen sich
in Ihrer Berufsaus-
übung zuneh-
mend mit Vorwür-
fen über tatsäch-
liche oder ver-
meintliche Fehler
bei diagnostischen
Maßnahmen und
damit zusammen-
hängenden Haf-
tungsfragen befassen. Dies führt nicht selten
zu großer Verunsicherung. Aus verschiedenen
Gründen nehmen Verfahren, in denen Ärzten
oder Kliniken Behandlungsfehler vorgewor-
fen werden, deutlich zu. Medienberichte über
die moderne Medizin führen zu Fehleinschät-
zungen über das medizinisch Machbare und
zu einer steigenden Erwartungshaltung bei
Patienten. Die breiten Darstellungen von Leit-
linien, die von jedermann im Internet aufruf-
bar sind, können leicht zu einer Fehleinschät-
zung der Verbindlichkeit von medizinischen
Standards im Einzelfall führen. Komplikatio-
nen und Misserfolge werden ohne kritische
Hinterfragung auf Behandlungsfehler zurück-
geführt. Hinzu kommen steigende Erwartun-
gen an einen möglichen Schadenersatz, eine
gegenüber früher deutlich verminderte
Hemmschwelle für Klagen und in vielen Fäl-
len ein fehlendes Prozessrisiko durch be-
stehende Rechtsschutzversicherungen oder
Prozessfinanzierungen. Fast ein Viertel aller
Vorwürfe über Behandlungsfehler beziehen
sich auf Diagnosefehler. Den meisten Ärzten
sind die rechtlichen Aspekte, die sich im Zu-
sammenhang mit möglichen Diagnosefeh-
lern ergeben, nur unzureichend bekannt.
Mit dem vorliegenden Buch soll hier eine
Lücke geschlossen werden. Die beiden Kapitel
über „Diagnoseirrtum“ und „Diagnosefehler“
beginnen jeweils mit den Definitionen und
mit den wichtigen Fragen der Abgrenzung
voneinander. Während ein „noch verständ-
licher“ Diagnoseirrtum nicht zu einer Haftung
Buchbesprechungen
führt, ist ein nicht mehr verständlicher Dia-
gnosefehler haftungsbegründend, wenn er zu
einem Schaden bei dem Patienten führt. Die-
se in der Rechtsprechung entwickelten und in
das Patientenrechtegesetz vom Februar 2013
übernommenen Definitionen lassen jeweils
breite Deutungs- und Ermessensspielräume
zu. Dies war Anlass für die Erstellung der Fall-
sammlung aus Gutachten oder Bescheiden
der Gutachterkommission für ärztliche Be-
handlungsfehler und aus gerichtlichen Urtei-
len. Alle aufgeführten 54 Beispiele sind au-
thentisch und mit Aktenzeichen versehen.
Ausführlich wird in einem gesonderten
Kapitel auf die dritte Kategorie, den „Befund-
erhebungsfehler“ eingegangen, der dazu füh-
ren kann, dass ein einfacher Diagnosefehler
zu einem groben Behandlungsfehler mit Be-
weislastumkehr wird. Dieses komplizierte
Konstrukt mit mehrstufiger Beweiswürdigung
ist ebenfalls in das Patientenrechtegesetz auf-
genommen worden.
Das sehr kompakte Kompendium ist bei
der Abklärung von Behandlungsfehlern für
Juristen, Ärzte und Patienten ein unverzicht-
barer Ratgeber. Ärzte erhalten wertvolle Emp-
fehlungen für das richtige Verhalten bei Vor-
liegen eines vermeintlichen Behandlungsfeh-
lers.
M. Broglie (Wiesbaden)
302 | Der Anaesthesist 4 · 2014