programm-magazin viva ginastera

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Programm-Magazin Nr. 6 Saison 15/16 Viva Ginastera DONNERSTAG, 31. MÄRZ 2016 FREITAG, 1. APRIL 2016 Entdecker- konzert Ginastera 100 am 31. März 2016 ab 16.00 Uhr, Eintritt frei

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Page 1: Programm-Magazin Viva Ginastera

Programm-Magazin Nr. 6 Saison 15/16

VivaGinastera

DONNERSTAG, 31. MÄRZ 2016FREITAG, 1. APRIL 2016

Entdecker-

konzert

Ginastera 100

am 31. März 2016

ab 16.00 Uhr,

Eintritt frei

Page 2: Programm-Magazin Viva Ginastera

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Page 3: Programm-Magazin Viva Ginastera

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Sinfoniekonzert ‹Viva Ginastera›

2 Programm Entdeckerkonzert

‹Ginastera 100›

3 Programm Sinfoniekonzert

‹Viva Ginastera›

4 Interview mit

Xavier de Maistre

8 Alberto Ginastera:

Harfenkonzert

12 Georgina Ginastera

über ihren Vater

14 Alberto Ginastera:

4 Danzas de la Estancia

18 Johannes Brahms:

Sinfonie Nr. 2 D-Dur

Intermezzo

22 Vorlaut – Eine Serie

von Alain Claude Sulzer

24 Orchester-Geschichte(n),

Teil 6

26 Yolena Orea Sánchez und Andrés Gabetta

im Gespräch

Vorschau

31 Vorschau

32 Agenda

Liebes Konzertpublikum

W ir kennen alle die Tangos von Astor Piazzolla, aber wer spricht heute noch von Alberto Ginastera? In Argentinien

wurde er als Komponist, der aus dem Arbeitermilieu von Buenos Aires kam, gefeiert. Ginastera brachte die Musik der Gauchos in die Opernhäuser und Kon-zertsäle. Doch mit dem politischen Aufstieg der Fa-milie Peron geriet er immer stärker mit dem System in Konflikt. Ginastera emigrierte nach Amerika und übersiedelte später nach Genf, wo er 1983 starb. Sein musikalischer Nachlass befindet sich heute in der Paul Sacher Stiftung. Am 11. April hätte er seinen 100. Geburtstag gefeiert. Wir möchten dieses Jubiläum zum Anlass nehmen, Ihnen unter dem Motto ‹Viva Ginastera› diesen hochinteressanten Künstler nicht nur in unserem Sinfoniekonzert, sondern auch im Rahmen unseres 2. Entdeckerkonzerts und in unse-rem neuen Programm-Magazin näher vorzustellen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch.

Dr. Hans-Georg HofmannLeiter Künstlerische Planung

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EntdeckerkonzertGinastera 100

DONNERSTAG, 31. MÄRZ 2016

ab 16.00 Uhr, Hans Huber-Saal, Stadtcasino Basel

16.00 UhrAlberto Ginastera (1916–1983)

Streichquartett Nr. 1, op. 20 (1948)Sonate für Gitarre, op. 47 (1976)

Andrés Gabetta, ViolineYi-Fang Huang, ViolineCornel Anderes, Viola

Yolena Orea Sánchez, VioloncelloStephan Schmidt, Gitarre

Dr. Hans-Georg Hofmann, Moderation

17.00 UhrPodiumsgespräch

‹Ginastera und sein musikalisches Erbe›

Cecilia Scalisi, Musikjournalistin aus Buenos AiresXavier de Maistre, Harfenist

Dr. Felix Meyer, Direktor Paul Sacher StiftungDr. Hans-Georg Hofmann, Moderation

Eintritt frei

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Sinfoniekonzert SOBViva Ginastera

DONNERSTAG, 31. MÄRZ 2016 FREITAG, 1. APRIL 2016

19.30 Uhr, Musiksaal Stadtcasino Basel18.15 Uhr: Englischsprachige Einführung durch Jessica Horsley

18.45 Uhr: Deutschsprachige Einführung durch Benjamin Herzog

Alberto Ginastera (1916–1983)4 Danzas de la Estancia, op. 8 (1941)

1. Los trabajadores agrícolas 2. Danza del trigo 3. Los peones de hacienda 4. Danza final (malambo)

Alberto Ginastera Konzert für Harfe und Orchester, op. 25 (1956)

1. Allegro giusto 2. Molto moderato 3. Liberamente capriccioso – Vivace

Pause

Johannes Brahms (1833–1897) Sinfonie Nr. 2 D-Dur, op. 73 (1877)

1. Allegro non troppo 2. Adagio non troppo

3. Allegretto grazioso (quasi Andantino) 4. Allegro con spirito

Konzertende ca. 21.30 Uhr

Sinfonieorchester BaselXavier de Maistre, Harfe

Dennis Russell Davies, Leitung

Page 6: Programm-Magazin Viva Ginastera

4

Mit dem Harfenkonzert von Alberto Ginastera waren Sie im Januar auf Tournee in Asien zu hören. Dort haben Sie unter anderem auch in der Suntory Hall in Tokio gespielt, einem Konzertsaal so gross wie die Berliner Philharmonie. Wurde Ihre Harfe da verstärkt?

Die Harfe hat viel mehr Power, als man glaubt. Wenn ich solo spiele, wird die Harfe in der Regel nie verstärkt. Bei manchen Stücken aber, wie etwa beim Konzert von Ginastera oder bei anderen gros-sen romantischen Konzerten, wo das Orchester gross besetzt ist oder wo massives Schlagzeug be-teiligt ist, da ist die Harfe verstärkt.

Asien gilt immer noch als neuer Markt für die klassische Musik. An welchem Punkt steht Asien dort, auf welchem Weg befindet sich der Kontinent im Vergleich zu Europa?

In Japan ist Klassik schon seit vierzig Jahren ein grosses Thema. Da ist viel Interesse zu spüren vom Publikum, der Presse und von den Veranstal-tern. Die Leute bekommen in Japan alles zu hören bis zu den Wiener oder Berliner Philharmonikern. Das Publikum ist entsprechend auch sehr gebildet.

Benjamin Herzog: Sie spielen ein Instrument, das zu den grösseren in der Musikwelt zählt. Wie transportieren Sie das?

Xavier de Maistre: Anfangs habe ich meine Harfe immer im Auto transportiert, in einem grossen Kombi. Mittlerweile lasse ich das Instrument in einer Kiste per Lastwagen verschicken. Wenn ich in Übersee spiele oder etwa in Lappland oder Chi-na, dann tue ich das auf fremden Instrumenten, auf Orchesterharfen meist. Genau so, wie viele Pianisten ja auch nicht immer ihr eigenes Instru-ment spielen können. Ich habe dann ein paar Stunden Zeit vor dem Auftritt, die jeweiligen Har-fen zu spielen und so kennenzulernen.

Und haben Sie mit diesen fremden Harfen gute Erfahrun-gen gemacht?

Ja. Die neue Generation von Harfenisten passt meist recht gut auf ihre Instrumente auf. Da ist vieles im Vergleich zu früher viel besser gewor-den; was die Besaitung betrifft, die Regulierung und so weiter.

Interview mit Xavier de Maistre

«Mehr Power, als man glaubt»von Benjamin Herzog

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Während des Studiums hat man mir immer ge-sagt, als Harfenist könne man keine Solokarriere machen. Das Beste, was man erreichen könne, sei eine anständige Stelle in einem Orchester. Wien hat mich damals sehr glücklich und stolz gemacht. Ich dachte aber auch: jetzt kommt nichts mehr. Jetzt geht es für die nächsten vierzig Jahre so wei-ter. Darum habe ich immer wieder Möglichkeiten für Soloauftritte gesucht. Ich habe auch versucht, neue Konzepte für die Harfe zu finden, das Instru-ment attraktiver zu machen. Und ich glaube, das ist mir gelungen. Ich bin jemand, der nicht sehr gerne wartet. Im Orchester aber wartet man zu achtzig Prozent und zählt Takte. Ich will nicht warten, sondern ein Leben führen, das meinem Temperament entspricht.

Die Entscheidung, Solist zu werden, ging also einher mit der Entscheidung, das Repertoire für Harfe zu erweitern?

Der Mangel an Repertoire war sicher ein Grund, warum ich anfangs nur wenige Anfragen hatte und warum viele Harfenisten keine Solokarriere mach-ten. Das ist jetzt anders. Die Harfe steht im Ram-penlicht, und das eröffnet uns Harfenisten viele Möglichkeiten. Die Leute haben die Harfe wahrge-nommen, haben gemerkt, dass man mit einer Har-fe viel mehr machen kann, als man für möglich hielt. Dass die Harfe jetzt vermehrt in den Pro-grammen auftaucht, macht mich glücklich.

Sie spielen neben dem bestehenden Repertoire Arrange-ments für Ihr Instrument. Welche Musik eignet sich da besonders gut?

Gut eignet sich Musik für Klavier. Allerdings darf es dabei nicht zu viele schnelle Wiederholungen haben. Auch nicht zu viele tiefe Töne, denn in der Tiefe klingt die Harfe schnell mulmig. In den obe-ren Lagen hingegen, da kommt sie viel besser durch.

Sie haben auch Solokonzerte mit Orchester oder Musik für ganzes Orchester alleine in Ihrem Repertoire, etwa die Moldau von Smetana. Arrangieren Sie alles selbst?

Musik für Klavier oder Gitarre arrangiere ich selbst, ja. Bei den Konzerten von Vivaldi, da hat mir ein Arrangeur geholfen, und Smetanas Moldau

In Japan gibt es viele Konzerthäuser. Allein Tokio hat sechs Säle mit 2000 Plätzen, jede grosse Stadt hat zwei bis drei Konzerthäuser. Das ist schon ein-zigartig. In China ist klassische Musik etwas rela-tiv Neues. Da gab es vor zehn Jahren noch nichts. China holt stark auf, aber das Publikum ist noch wenig gebildet. Da ist ein grosser Nachholbedarf zu spüren. Die neue Generation in China will, dass ihre Kinder Musik lernen. Darum ist das Publi-kum dort in der Regel auch deutlich jünger.

Das Harfenkonzert von Ginastera verdankt sich einem Harfenisten aus dem Baskenland, Nicanor Zabaleta. Sie haben ihn noch persönlich kennengelernt.

Ja, ich habe Zabaleta am Ende seines Lebens bei einem Wettbewerb in Israel getroffen. Das war für mich ein wichtiges Ereignis, weil ich damals noch gar nicht wusste, ob ich Musiker werden will oder dem Wunsch meiner Eltern gemäss einen ande-ren Beruf wählen sollte. Nach diesem Wettbewerb ist Zabaleta zu mir gekommen und hat gesagt, es gebe schon viele gute Anwälte, aber nicht so viele Harfenisten. Das hat mich sehr ermutigt. Was mich an Zabaleta auch sehr beeindruckt hat, ist, wie er versucht hat, das Repertoire zu erweitern, und dass er es geschafft hat, Komponisten von un-serem Instrument zu überzeugen.

Werden in Ginasteras Harfenkonzert spezielle Spieltechni-ken gefordert?

Ja, Ginastera hat die Klangsprache der Harfe sehr erweitert. Zabaleta hat dafür mit dem Komponis-ten viel Zeit verbracht. Die Harfe wird hier wie ein Schlagzeug behandelt. Speziell ist auch, dass der Solist etwa mit den Fingernägeln spielt oder Glis-sandi mit dem Pedal erzeugt. Das heisst, man spielt die Saite an und tritt anschliessend das Pe-dal, womit sich die Tonhöhe verändert. Mit diesen Effekten lassen sich Klangfarben erzeugen, die man zu Ginasteras Zeiten nicht für möglich gehal-ten hat.

Sie haben als Orchestermitglied bei den Wiener Philhar-monikern gespielt – im Jahr 2010 dann fiel Ihre Entschei-dung, das Orchester zu verlassen. Der Solist de Maistre und der Orchestermusiker, wo liegen da die Unterschiede?

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Auch dort studieren bei mir nur Frauen. Aber ge-nerell hat sich schon viel getan. Heute spielen viel mehr Männer die Harfe als noch vor ein paar Jah-ren. Und manche gewinnen auch grosse Wettbe-werbe. Dass die Harfe ein weibliches Instrument sein soll, ist ein historisches Missverständnis.

Sie leben in Monaco, haben Sie dort Musiker als Nachbarn oder eher Rennfahrer?

Meine Nachbarschaft ist gemischt und vor allem sehr international. Meine Tochter geht in eine Schule, wo 54 verschiedene Nationalitäten unter-richtet werden. Die Entscheidung für Monaco hängt damit zusammen, dass ich gerne am Meer lebe. Hier kann ich mich am besten erholen.

Die Harfe sei ein «besonderer Leckerbissen des Orchesters» sagte Richard Strauss. Haben Sie sich je an diesem Lecker-bissen überessen?

Strauss sagte das und meinte, die Harfe sei eine Art Kirsche auf dem Kuchen. Zu seiner Zeit wurde die Harfe als Schmuck angesehen und nicht als Instrument. Dagegen habe ich gekämpft. Ich glau-be: mit Erfolg. ●

hatte schon ein tschechischer Harfenist um 1900 arrangiert. Wichtig ist beim Arrangement, dass man ein Gespür für Klangfarben hat. Ein Arrange-ment muss der Musik auch dienen. Es soll nicht bloss dem Spieler Spass machen.

Der polnische Komponist Krzysztof Penderecki sowie die finnische Komponistin Kaija Saariaho haben für Sie je ein Konzert geschrieben. Wie war da die Zusammenarbeit?

Mit Penderecki war es nicht ganz unproblema-tisch, eine schwierige Geburt. Saariahos Konzert werde ich im kommenden August in der Suntory Hall uraufführen und es später auch in Zürich mit dem Tonhalle-Orchester spielen. Die Idee zu dem Konzert kam von mir, und es ist mir zum Glück gelungen, Saariaho davon zu überzeugen. Sie kennt die Harfe gut. Das ist ein Instrument, das sie gerne auch sonst verwendet. Sie hat mir die Noten geschickt, und wir werden uns nächsten Monat für Korrekturen treffen.

Sie waren während Ihres Studiums der einzige Harfenist in einer sonst weiblichen Klasse. Wie sieht es in Ihrer Klasse an der Musikhochschule Hamburg aus, wo Sie seit 2001 unterrichten?

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arbeiten, der durch und durch diatonische Charakter des Instruments und andere seiner Eigenarten be-wirken, dass das Komponieren für Harfe schwieriger ist als das Komponieren für Klavier, Violine oder Kla-rinette.» Ginastera meisterte diese instrumenten-spezifischen Schwierigkeiten schliesslich ausser-ordentlich souverän und stützte sich dabei unter anderem auf die Errungenschaften von Carlos Salze-do, dem Pionier des modernen Harfenspiels. Durch neue Spieltechniken und Spezialeffekte (z.B. Klopfen auf dem Resonanzkörper, Pedalglissando, Anzupfen der Saiten mit den Fingernägeln) erweiterte er das Ausdrucksspektrum der Harfe beträchtlich. Und in

M it seinem 1956 in Angriff genommenen Harfenkonzert, op. 25, tat sich Alberto Ginastera schwer: Zweimal, 1958 und

1961, musste die geplante Uraufführung verschoben werden, da die Partitur noch nicht fertig war. Erst knapp neun Jahre nach der Auftragserteilung durch die Harfenistin Edna Phillips und ihren Ehemann Samuel R. Rosenbaum, im Dezember 1964, vermoch-te der Komponist sein Werk zu vollenden; doch da Phillips inzwischen ihre aktive Karriere beendet hatte, wurde die Uraufführung (am 18. Februar 1965 mit dem Philadelphia Orchestra unter der Leitung von Eugene Ormandy) nicht von ihr, sondern – mit ihrer Billigung – von Nicanor Zabaleta bestritten. Dieser hatte den Komponisten zuvor in Buenos Aires besucht, ihn zur Fertigstellung des Werks gedrängt und ihm wichtige harfentechnische Ratschläge ge-geben.

Es waren sowohl äussere als auch innere, kompo-sitionstechnische Faktoren, die den Abschluss der Komposition verzögerten. Zum einen beanspruch-ten in jenen Jahren auch mehrere andere Aufträge, insbesondere das Grossprojekt der Oper Don Rodrigo, Ginasteras Aufmerksamkeit. Zum anderen aber wollte der Komponist in seinem ersten Instrumen-talkonzert die Ressourcen der Harfe voll und ganz ausschöpfen, was laut seiner eigenen Aussage eine besondere Herausforderung darstellte: «Die Mög-lichkeit, auf nur sieben Saiten mit zwölf Tönen zu

Alberto Ginastera: Konzert für Harfe und Orchester

Ein Klassiker des modernen Konzertrepertoires

von Felix Meyer, Paul Sacher Stiftung

KONZERT FÜR HARFE UND ORCHESTERBesetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 2 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Schlagzeug, Celesta, Streicher

Entstehung: 1956–1964

Widmung: Nicanor Zabaleta

Uraufführung: 1965, Philadelphia Orchestra, Nicanor Zabaleta: Harfe, Eugene Ormandy: Leitung

Dauer: ca. 25 min

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Alberto Ginastera, Harfenkonzert op. 25, 3. Satz, T. 84–96, Particell (loses Blatt 5 recto)

Alberto Ginastera, Harfenkonzert op. 25, Solokadenz (Einleitung zum 3. Satz), Particell (Notizbuch, S. [43])

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piersorte verwendet wurde. Es ist nicht auszuschlie-ssen, dass eine dieser beiden ‹Bruchstellen› in der Aufzeichnung den Moment markiert, in dem Ginas-tera seine Arbeit unterbrach, vielleicht weil er noch keine ganz klare Vorstellung vom Fortgang der Mu-sik hatte. Doch zwingend ist diese Schlussfolgerung nicht, da im Prinzip auch eine abgeschlossene, nicht erhaltene Erstfassung des Finales vorgelegen haben könnte, die später ersetzt wurde.

Auffallend an diesem Particell ist zudem, dass der Solopart an vielen Stellen wesentlich detaillierter ausgearbeitet ist als der oft nur rudimentär skizzier-te Orchestersatz: Offensichtlich konzipierte Ginaste-ra das Werk, wohl nicht zuletzt im Wissen um die heiklen Balanceprobleme beim Komponieren für Harfe und Orchester, ganz vom Soloinstrument aus und um dieses herum (Abb. S. 9, unten). Gerade die flüchtige Notation des Orchesterparts hatte jedoch zur Folge, dass vom Particell zur definitiven Partitur noch ein weiter Weg zurückzulegen war; denn um zum reich differenzierten Orchestersatz der endgülti-gen Fassung (samt ausgiebiger, im Particell nur punk-tuell angedeuteter Verwendung einer grossen Schlag-zeuggruppe) zu gelangen, bedurfte es einer weit grösseren kreativen Anstrengung als der blossen Übertragung der ‹Urschrift›. Es ist durchaus denkbar, dass auch dieser aufwendige nachträgliche Arbeits-gang die Entstehung von Ginasteras Harfenkonzert in die Länge zog.

Von den Geburtswehen ist der Komposition in ihrer vollendeten Form allerdings kaum etwas anzu-merken. Ganz im Gegenteil: Das hochvirtuose, far-benprächtige und kräftig durchpulste Werk wirkt wie aus einem Guss geformt, und obwohl es noch nicht ganz die Individualität einiger späterer Werke Ginasteras erreicht, trägt es eine starke persönliche Handschrift. Mit gutem Grund ist es zu einem der meistgespielten Werke des Komponisten und zu ei-nem Klassiker des modernen Konzertrepertoires geworden. ●

gewisser Weise ‹vermännlichte› er dabei das in der Tradition der Kunstmusik stark ‹weiblich› konno-tierte Instrument: dadurch etwa, dass er es gleich zu Beginn des eröffnenden Sonatensatzes in einem Malambo auftreten lässt – also jenem kompetitiven argentinischen Männertanz, der musikalisch durch den raschen Wechsel (bei Ginastera auch die Überla-gerung) verschiedener Dreiermetren (insbesondere 6∕8 und 3∕4) geprägt ist.

Überhaupt ist das dreisätzige Konzert, wie fast alle Werke Ginasteras, durch und durch von der argentini-schen Volksmusik geprägt. Allerdings verzichtete der Komponist auf das Zitieren konkreter Volksmelodien; vielmehr schuf er, unter Verwendung typischer melo-discher und rhythmischer Wendungen, eine Art ‹ima-ginäre Folklore› – und verhielt sich damit ganz im Sinne jenes ‹subjektiven Nationalismus›, den er selbst als charakteristisch für seine mittlere Schaffensperi-ode betrachtete (in Abgrenzung vom ‹objektiven Na-tionalismus› seiner Frühwerke). In dieser Hinsicht, ebenso wie in einigen kompositionstechnischen As-pekten, bewegte er sich unverkennbar in der Nachfol-ge Béla Bartóks, dessen Musik denn auch deutliche Spuren in seinem Harfenkonzert hinterlassen hat: etwa in den rhythmischen Irregularitäten und ra-schen Taktwechseln des Rondo-Finales, aber auch im langsamen Mittelsatz, der mit seinen mysteriösen Naturklängen und umgekehrten Punktierungen (kurz – lang) stark an Bartók und insbesondere an dessen Nachtmusiken erinnert.

Der Nachlass Ginasteras in der Paul Sacher Stif-tung enthält unter anderem das Particell und einen Klavierauszug des Harfenkonzerts, ausserdem die Partiturreinschrift, in der die letzte Revision des Werks von 1968/69 festgehalten ist. Von besonderem Interesse ist dabei das Particell, das eigentliche Ar-beitsmanuskript des Komponisten. Es ist zu einem grossen Teil in einem Notenheft aufgezeichnet, das die ersten beiden Sätze sowie die den dritten Satz einleitende Solokadenz enthält (Abb. S. 9, oben, wo ganz zu Beginn auch der von Ginastera in vielen Werken verwendete ‹Gitarrenakkord› – d.h. die Ton-folge der leeren Gitarrensaiten – erscheint, hier um einen Halbton tieftransponiert). Danach, ab dem Hauptteil dieses Finales, setzt sich die Aufzeichnung auf losen Blättern fort, wobei ab Blatt 4 eine neue Pa-

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Krankenhaus eingeliefert, wo er seitdem verwahrt blieb und sich ständigen Intensivtherapien unterzie-hen musste, bis mir dann Ende Mai klar wurde, wie ernst sein Zustand war. Ich erhielt einen verzweifel-ten Anruf von Aurora, die mir sagte, dass meinem Vater nur noch wenig Zeit zu leben bliebe und dass er mich sehen wolle. Ich machte mich sofort auf den Weg nach Genf, und als wir uns sahen, geschah etwas ganz Erstaunliches.

Papa schien in diesen Tagen wieder aufzuleben, neue Kraft und Hoffnung zu schöpfen und das Gefühl zu haben, dass er nur einen lästigen Albtraum durch-lebte, aus dem er bald, mitten im Frühling, mit er-frischten Sinnen erwachen würde. Er versuchte in diesen Wochen, sich einzureden, dass er an irgend-einem versteckten Ort seines Wesens die Kraft finden würde, sich selbst zu heilen, dass etwas falsch lief, aber dass es unmöglich war, mit nur 67 Jahren auf das Le-ben zu verzichten. Er sprach davon, eine vierte Oper zu komponieren – im Auftrag des spanischen Königs-hauses; sie sollte mit den Instrumenten der Paläste aufgeführt werden. Er fragte mich, was ich von die-sem Stoff hielte, doch obwohl ich ihn eher für ein Ora-torium als für eine Oper geeignet fand, liess er sich seinen Enthusiasmus nicht nehmen und überarbeite-te die Handlung, sodass ich nicht anders konnte, als seine Willenskraft einfach nur zu bewundern. Er

A m 29. April 1983 brachte das Orquesta Nacio-nal de España in Madrid zum ersten Mal das Cellokonzert Nr. 2 auf die Bühne. Es war sei-

ner [Alberto Ginasteras] zweiten Ehefrau, der argen-tinischen Cellistin Aurora Nátola gewidmet, die auch den Solopart interpretierte. Zu dieser Zeit ging es meinem Vater bereits sehr schlecht, doch dank einer ärztlichen Erlaubnis war es ihm möglich, der Urauf-führung dieses Opus 50 beizuwohnen, in das er sich lange Zeit so sehr vertieft hatte. Der bewegende Ap-plaus des Publikums verschaffte ihm die letzte grosse Genugtuung seines Musikerlebens. Kaum war das Konzert beendet, wurde er schnellstens ins Genfer

Georgina Ginastera über ihren Vater

Von Vater zu Tochteraus dem Spanischen übersetzt

von Sophia Simon

ALBERTO GINASTERAAlberto Ginastera wurde am 11. April 1916 in Buenos Aires geboren und starb am 25. Juni 1983 in Genf, wo er die letzten zehn Jahre seines Lebens verbracht hatte. Seine sterblichen Überreste ruhen auf dem Schweizerischen Friedhof von Plainpalais neben dem Grab von Ernest Ansermet und nur wenige Me-ter von der Ruhestätte seines berühmten Lands-mannes Jorge Luis Borges.

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Alberto Ginastera (3. September 1980)

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sprach von Konzerten und den Projekten in den Ver-einigten Staaten, die er nach seiner Genesung in An-griff nehmen würde, davon, wieder zu unterrichten. Er versteifte sich auf die Idee, eine Wohnung in Buenos Aires zu kaufen und so die Verbindung mit Argenti-nien, der Familie und den Freunden, die ihm so sehr fehlten, wieder zu stärken. Je mehr Tage nach unse-rem Treffen vergingen, desto mehr potenzierten sich seine Wünsche, und zwar mit einer der artigen Eu-phorie, dass ich einen Moment lang dachte, sein glü-hender Lebenswille könne zu einem Wunder führen.

Jeden Morgen suchte ich ihn auf, und wir führten nicht enden wollende Gespräche, in denen er über die Zukunft und die Vergangenheit, aber niemals über diese unerbittliche Gegenwart sprach, die er mit aller Kraft ausblendete, um daran glauben zu können, dass seine Geschichte nicht in diesem tristen Kran-kenhauszimmer enden würde. Lieber wandte er sich, bei all dieser Ungewissheit, die ihm das Schicksal auf dem Weg in seine letzte Schlacht bereitete, einer lichten, glücklichen Zukunft zu, in der ihm all die Din-ge wieder erreichbar schienen, denen er so schmerz-lich nachtrauerte.

Nie klagte er über körperliche Schmerzen, jedoch schien durch all seine Äusserungen das existenzielle Leid hindurch, das ihm, wie jedem menschlichen Wesen an dieser Schwelle zwischen den Welten, die unbeschreibliche Einsamkeit angesichts des Unbe-kannten bereitete, und in einem unserer Gespräche übergab er mir schliesslich mit einem nüchternen Satz, dessen wahre Dimension ich erst viel später er-fasste, das wertvollste seiner Ideale. Er sagte zu mir: «Georgina, mein Werk gehört dir.» Und diese Worte umfassten nicht nur die Musik, die mein Vater fähig war zu erschaffen, und die mich bis zum heutigen Tag als Zeugin seines Genies begleitet, sondern auch den tieferen Sinn, aus dem mein Vater auf diese Erde gekommen war. ●

Auszug aus dem Buch De padre a Hija von Cecilia Scalisi, Editorial Sudamericana (2012)

Die Musikjournalistin Cecilia Scalisi wird am Entdeckerkonzert ‹Ginastera 100› am Donnerstag, 31. März, um 17.00 Uhr, im Stadtcasino Basel an einem Podiumsgespräch zu Gast sein. Der Eintritt ist frei.

4 DANZAS DE LA ESTANCIABesetzung: 3 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, Pauken, Schlagzeug, Klavier, Streicher

Entstehung: 1941

Uraufführung: 12. Mai 1943 in Buenos Aires, Orchester des Teatro Colon unter der Leitung von Ferruccio Calusio

Dauer: ca. 12 min

Alberto Ginastera: 4 Danzas de la Estancia

A lberto Ginasteras Ballett Estancia – der Komponist schrieb es in seinen Zwanzi-gern – kündigte die Ankunft einer neu-

en, wichtigen künstlerischen Stimme an. Ginas-tera kombinierte die unregelmässigen Rhythmen argentinischer Tänze mit den expressiven Melo-dien im Stile traditioneller Lieder und verwob die Klänge seines Heimatlandes nahtlos in eine inter-nationale Form.

Die Entstehung des Stücks war jedoch von Schwierigkeiten geprägt. Nach dem Erfolg von Ginasteras erstem Ballett Panambí gab Lincoln Kirstein für seine American Ballet Caravan ein neues Werk in Auftrag, woraufhin Ginastera mit der Arbeit an Estancia begann. Da sich die Ballet Caravan jedoch auflöste, wurde das Stück damals nicht aufgeführt. Ginastera schuf mit der Auswahl von vier Tänzen eine Orchester-Suite, die 1943 im Teatro Colón in Buenos Aires ihre Welt premiere hatte. Die 4 Danzas de la Estancia wurden ganz rasch zu einem Hauptbestandteil des Orchester-Repertoires. Das komplette Ballett wurde erst 1952 aufgeführt. ●

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Der Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel, Dennis Russell Davies

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geheuer» und warum die Warnung vor der Traurig-keit der Sinfonie? Brahms, der skrupulöse Meister, hatte sich gerade erst ein Jahr zuvor nach jahrelang gescheiterten Ansätzen zur Vollendung seiner 1. Sin-fonie durchgerungen. Zu lange hatte der Schatten Beethovens auf ihm gelastet. Nun schien das Eis ge-brochen. Dem Ringen um den heroischen Tonfall Beethovens in der Ersten folgte die entspannte und zügige Komposition der Zweiten. Und gerade des-halb mussten schon bald Selbstzweifel aufkommen: «Sie wird jedenfalls gehörig durchfallen, und die Leu-te werden meinen, diesmal hätte ich mir’s leicht ge-macht», schrieb Brahms an Simrock im September 1877. Die Warnung vor der Melancholie im eingangs angeführten Zitat muss also zugleich als Aufforde-rung verstanden werden, das Werk nicht zu ober-flächlich zu beurteilen. Und tatsächlich sind (selbst im für Brahms so untypisch ausgelassen wirkenden Finalsatz) nicht nur höchst kunstvolle Ausarbeitung, sondern auch emotionale Brechungen unter der idyl-lischen Oberfläche verborgen. Konsequenter noch

« Die neue Symphonie ist so melancholisch, dass Sie es nicht aushalten. Ich habe noch nie so was Trauriges, Molliges geschrieben: die

Partitur muss mit Trauerrand erscheinen. Ich habe genug gewarnt.» – Meint Brahms mit diesen seinem Verleger Fritz Simrock gegenüber geäusserten Wor-ten wirklich seine 2. Sinfonie? Handelt es sich nicht eher um eine treffende Charakterisierung seiner 3. oder 4. Sinfonie? Nein, Brahms spricht hier allen Ernstes von seiner Zweiten. Oder, genauer genom-men, eben nicht ‹allen Ernstes›, denn der für seinen spröden Charakter bekannte Brahms verwirrte seine Briefpartner nur zu gern mit bitterer Ironie, insbe-sondere wenn es um sehr ernste oder persönliche Angelegenheiten ging. Auf den ersten Blick scheint die weitgehend im Sommer 1877 im kärntnerischen Pörtschach am Wörthersee komponierte D-Dur-Sin-fonie nämlich alles andere als melancholisch zu sein, vermeint man in ihr doch die Natureindrücke, die ihr Komponist auf seinen zahlreichen Spaziergängen empfing, und eine gänzlich heitere Stimmung heraus-zuhören. Viel besser passt daher auch die Beschrei-bung, die Theodor Billroth an seinen Freund Brahms richtete: «Das ist ja lauter blauer Himmel, Quellen-rieseln, Sonnenschein und kühler grüner Schatten! Eine glückliche wonnige Stimmung geht durch das Ganze und alles trägt so den Stempel der Vollendung und des mühelosen Ausströmens abgeklärter Ge-danken und warmer Empfindung.» Und auch Brahms selbst schrieb in der Korrespondenz mit Simrock später vom «lieblichen Ungeheuer».

«Lieblich» – das scheint doch überhaupt den Stimmungsgehalt dieser hellen, liedhaften Sinfonie ganz vortrefflich auf den Punkt zu bringen! Kein Wunder, dass das Werk schon bald als Brahms’ ‹Pas-torale› bezeichnet wurde. Warum also doch das «Un-

Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 2 D-DurLiebliches Ungeheuer

von Julius Heile

SINFONIE NR. 2 D-DURBesetzung: 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba, Pauken, Streicher

Entstehung: 1877

Uraufführung: 30. Dezember 1877 in Wien unter der Leitung von Hans Richter

Dauer: ca. 45 min

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später im Dreiachteltakt variiert. Wenn aber ein Satz dieser Sinfonie beispielhaft für ihren heiteren Tonfall herhalten müsste, so ist es der 4. Satz, dessen aus dem Dreitonmotiv entwickeltes Thema in einen wahren Freudentaumel gestürzt wird. Kurz vor Eintritt der Reprise lässt eine Stelle aufhorchen: Diese absteigen-den Quarten sollte Gustav Mahler später zum Kern und Ausgangspunkt seiner 1. Sinfonie machen! Die Steigerungen in der Coda unter Verwendung des Dreitonmotivs lassen dann aber erkennen, welches die Urzelle der vorliegenden Sinfonie ist, und dass sie bis in ihren Finalsatz relevant bleibt. Über das Or-chester hinausdröhnende Blechbläserskalen und das im schmetternden Hörnerklang erstrahlende Seiten-thema beenden die Sinfonie im Triumph.

Als das Werk am 30. Dezember 1877 im Wiener Musikverein uraufgeführt wurde, sollten sich alle Befürchtungen des Komponisten als unnötig erwei-sen: Die Sinfonie war einer der grössten Erfolge in Brahms’ Laufbahn, und tatsächlich war ihm hier der Geniestreich gelungen, einem intellektuell bis ins letzte Detail sorgfältig durchkonstruierten Werk gleichzeitig einen äusserlich so spontanen und un-beschwerten Anstrich zu verleihen. ●

als in seiner Ersten verfolgte Brahms hier das Prinzip, aus einem einzigen Motivkern heraus alle Gedanken der Sinfonie in ständiger Variierung wachsen zu las-sen – jenes Prinzip, das Schönberg später als «entwi-ckelnde Variation» enthusiastisch bewundern sollte. Wer den ersten Takt der Sinfonie verpasst, dem fehlt – so kann man deshalb sagen – ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis des gesamten Werks.

Dem von den Hörnern, also den ‹Natur›-Instru-menten schlechthin, vorgestellten Hauptthema des 1. Satzes ist nämlich eine beinahe unscheinbare Drei-tonfigur in den Bässen vorgeschaltet, die man sich (als eine Art Urzelle des Werks) gut merken sollte. Sie findet sich – in Grundform oder Umkehrung – in fast jedem Thema und Motiv der Sinfonie wieder. Den Cel-li, die bereits im 1. Satz das an Brahms’ berühmtes Lied Guten Abend, gute Nacht erinnernde Seitenthema vor-trugen, ist die berührende Kantilene im 2. Satz anver-traut, der man ihre kunstvolle Machart mit gegenläu-fig aufwärts gerichtetem Kontrapunkt kaum anmerkt. Der 3. Satz – kein Scherzo, sondern ein kurzes Inter-mezzo – ist formal ganz bemerkenswert gebaut: Die Oboenmelodie im wiegenden Dreivierteltakt wird in den Zwischenspielen zuerst im raschen Zweiertakt,

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übrig geblieben. Goliath dagegen, für dessen kopf-loses Ende sich insbesondere Caravaggio interessier-te, war ein grober Klotz. In bewährter Bud-Spencer-Manier schwafelte er davon, Davids Fleisch «den Vögeln unter dem Himmel und den Tieren auf dem Felde» zu geben. Er war ein Kerl von der etwas be-schränkten Art wie sie in Thomas Meyers liebens- und lesenswerten Roman Rechnung über meine Duka-ten im Zentrum stehen und denen Meyers Sympathie in hohem Mass gehört. Von den ‹Langen Kerls›, die er im ganzen Land bei Nacht und Nebel unter gros-sem logistischen Aufwand und meist mit Gewalt kidnappen liess, um sie dem 6. Infanterieregiment zuzuführen, war der Preussenkönig Friedrich Wil-helm geradezu besessen. Während feinere Geister Gemälde sammelten, galt des ‹Soldatenkönigs› Lei-denschaft ‹seinen› Riesen, für deren Festnahme und Ausbildung er die Staatskasse gnadenlos ausplünder-te. Regelrecht vernarrt in die Vorstellung, Hundert-schaften Langer Kerls zu besitzen, dachte er – so je-denfalls stellt es Thomas Meyer dar – von morgens bis abends an nichts anderes als seine Sammel-Goli-aths, denen, einmal gefangen, nichts anderes übrig blieb, als auf einen David zu warten, der sie befreien würde – was niemals geschah.

Gegen Goliath war David zweifellos ein Feingeist von der Art Rousseaus oder Voltaires, wie ihn Fried-rich Wilhelms Sohn Friedrich der Grosse später hofie-ren sollte. Ein Rousseau, der nicht nur komponierte

V iele Menschen heissen David, keiner heisst Goliath. Den Siegreichen gehört die Welt. Goliath unterlag mit dem ganzen Gewicht

seiner Kraft und Grösse. Dabei war der Mann vom Stamme der Philister gewiss ein ehrenwerter Krieger, den das Schicksal dazu bestimmte, im Dienst seiner Herren von einem schlauen Wicht mit einer Stein-schleuder niedergestreckt zu werden, wonach dieser ihm – mit dem eigenen Schwert! – auch noch den Kopf abschlug. So kennt man ihn: besiegt, bedau-ernswert, doch nicht bedauert. Sein Ende ist von un-schlagbarer Symbolkraft, denn wer gibt dem schwa-chen, aber cleveren David nicht den Vorzug vor dem tumben Rambo, der nichts als seine Muskeln ins Feld zu führen weiss? «Sechs Ellen und eine Hand-breit» hohe Männer «mit Schwert, Spiess und Schild (...), mit einem ehernen Helm auf dem Haupt und einem schuppendichten Panzer an» gelten wenig in einer Welt, die kluge Knaben bevorzugt, wie David einer war, der den staatstreuen Riesen übrigens – zu dessen Ehrenrettung sei es gesagt – nicht völlig un-eigennützig herausforderte. Wer Goliath bezwang, den wollte «der König sehr reich machen und ihm seine Tochter geben und (...) seines Vaters Haus frei-machen in Israel».

David war «bräunlich. Mit schönen Augen und guter Gestalt», wie Goliath verächtlich meinte. Von seiner Hautfarbe ist auf den überlebensgrossen weis-sen Skulpturen Michelangelos und Berninis nichts

Vorlaut – Eine SerieEine Lanze für Goliath

von Alain Claude Sulzer

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lische Trance versetzte, die jede weitere Verfolgung Paminas und Papagenos glücklich verhinderte?

Weshalb vertraute David nicht der Musik? War-um nahm er die Steine statt der Harfe? Warum spannte er die Schleuder statt der Saiten? Hätte David Goliath mit seiner Harfe besiegt wie Orpheus einst den Tod, wäre ihm ein Ehrenplatz als Schutz-patron der Musiker sicher. ●

(wie Rousseau es tat), sondern auch die Harfe schlug; womit wir bei dem anderen Instrument sind, das David nebst der Schleuder mit so viel Meisterschaft beherrschte, dass er selbst Könige damit in seinen Bann schlug. Warum nicht Goliath?

Warum liess David ihn nicht nach seiner Harfe tan-zen wie Papageno den Monostatos und seine Vasallen, die er mit seinen Zauberglöckchen in eine psychede-

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Beispiele von wahrhaften Riesenorchestern bekannt. So wurde Händels Messias anlässlich der Hundert-Jahr-Feier seines Geburtstages in der Westminster Abbey von einem Orchester mit 251 Spielern beglei-tet. Allein die Anzahl der Violinen soll die Zahl 90 überschritten haben.

Der wortmächtigste Theoretiker des Orchesters war zugleich der grösste Freund von Riesenbeset-zungen: Hector Berlioz (1803–1869). Der französische Komponist hat mit seiner Instrumentationslehre (Traité d’instrumentation et d’orchestration modernes, Paris 1844) ein Kompendium geschaffen, das in wei-ten Teilen bis heute Gültigkeit besitzt. Noch Richard Strauss berief sich darauf und setzte sich im frühen 20. Jahrhundert für die Verbreitung dieses Standard-werks ein. Berlioz’ Verständnis des Orchesters ist ausserordentlich aktuell. Er versteht es als «ein gros-ses Instrument». (Ganz in diesem Sinne nannte Ri-chard Wagner die Sächsische Staatskapelle Dresden eine «Wunderharfe».) Berlioz organisierte das Or-chester für seine Messe des Morts ganz neu, indem er es durch vier kleinere Orchester von Blasinstrumen-ten ergänzte, die er quadrophon an den Ecken des grossen Klangkörpers aufstellte. Obwohl gerade die-ses riesenhafte Requiem gelegentlich im Freien auf-geführt wird, war sein Schöpfer davon überzeugt, dass es «keine Musik im Freien» geben könne, weil eine solche aus akustischen Gründen wirkungslos bleiben müsse.

Auf dem Höhepunkt seines Buches schwelgt Berlioz förmlich in Fantasien über sein Wunsch-Or-

W as ist eigentlich ein Orchester? Die alten Griechen setzten diesen Begriff gleich mit der Bühne, mit dem Raum zwischen

dem Publikum und dem Spielhaus. Noch im 18. Jahr-hundert bezeichneten deutsche Musikgelehrte als Orchester den «Platz, wo die Musicanten sitzen» (Universal-Lexicon, 1740). Heute verstehen wir darun-ter nicht mehr einen Raum, sondern ein grösseres Ensemble von Musikerinnen und Musikern – ein Verständnis des Begriffs Orchester, welches auf das französische Barockzeitalter zurückgeht. Und wir nehmen ein Orchester nicht mehr als Addition von einzelnen Instrumenten wahr, sondern als ‹Klang-körper›, als Kollektiv, in welchem jeder Musizierende zugunsten des einheitlichen Ganzen darauf verzich-tet, mit Einzelaktionen wie zum Beispiel Improvisa-tionen seine persönliche Vision eines Werks darzu-stellen. Man möchte hier Aristoteles zitieren: «Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile».

Die Grösse eines Orchesters ist geschichtlich va-riabel und hängt nicht zuletzt von den räumlichen und finanziellen Gegebenheiten ab. In der Regel er-wartet man von einem Orchester chorische Beset-zung der Streicher und mindestens doppelte Bläser-besetzungen. Ein kammermusikalisches Ensemble von acht oder neun Spielern ist noch kein Orchester. Die definitorischen Grenzen zum Begriff Kammer-orchester sind dagegen fliessend. Ein heutiges Sinfo-nieorchester zählt in der Regel mindestens sechzig, meist neunzig oder hundert Mitglieder. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt. Aus der Geschichte sind

Orchester-Geschichte(n), Teil 6Das Orchester als Instrument

von Sigfried Schibli

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sollte. Doch er zweifelte nicht daran, dass die Wir-kung dieses Riesenapparats alles bisher Dagewesene weit übertreffen würde. «Seine Ruhe wäre majestä-tisch wie die Ruhe des Ozeans, seine Bewegungen würden an die Orkane in den Tropen, seine Ausbrü-che an das Getöse der Vulkane erinnern (…), sein Schweigen würde durch seine Feierlichkeit Furcht einflössen; und die widerspenstigen Naturen wür-den schaudern beim Anwachsen seines wie ein un-geheurer erhabener Brand sich prasselnd ausbreiten-den Crescendos.» ●

chester. Dieses solle aus 120 Violinen, 40 Bratschen, 45 Celli und 33 Kontrabässen bestehen, ergänzt durch eine Vielzahl von Blasinstrumenten, darunter 12 Fa-gotte und 16 Hörner sowie nicht weniger als 30 Har-fen und ebenso viele Klaviere. Wie ein Buchhalter des Visionären rechnet Berlioz aus, dass dieser Klangkör-per aus 467 Instrumentalisten bestehe, die man aus allen Pariser Orchestern zusammenziehen könne. Hinzu solle ein Chor von 360 Stimmen kommen.

Berlioz schwieg sich darüber aus, welche Musik dieser gigantische Klangkörper spielen und singen

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Händels Gedenkfeier in der Westminster Abbey, 1784

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Andrés Gabetta: Ich bin fürs Musikstudium nach Europa gekommen. Ich war 14 Jahre alt, als ich in Spanien ankam. Drei Jahre lang habe ich mit meiner Mutter und meiner kleinen Schwester Sol in Madrid gewohnt. Nach einem Aufenthalt in den USA bin ich dann nach Basel gekommen. Europa ist nach wie vor das Zentrum der klassischen Musik, hier hat diese Musik ihre Wurzeln, und Madrid beispielsweise ver-fügt mit der Escuela Superior de Música Reina Sofía über eine ausgezeichnete Musikhochschule. Nach Basel sind wir gezogen, weil unser Professor hierher kam, aber auch, weil es so nah an Frankreich und meine Mutter ja Französin ist. Nach einiger Zeit ver-liess dann auch der Rest meiner Familie, mein Vater und meine beiden anderen Geschwister, Argentini-en, um nach Europa zu kommen. Ich habe mich hier in Basel sofort wohlgefühlt und dann auch das Vor-spiel beim Sinfonieorchester Basel gemacht. Weil meine Familie ja jetzt hier ist, kehre ich nur noch alle drei bis vier Jahre für Besuche nach Argentinien zu-rück. Oder um Konzerte zu spielen.

Yolena Orea Sánchez: Auch ich bin für das Studium nach Europa gekommen. Schon als Kind habe ich davon ge-träumt, nach Europa zu gehen. Und als mein Cellolehrer nach Paris ging, hat es sich eben ergeben. Man könnte fast

Cristina Steinle: Ihr seid beide aus Südamerika. Yo-lena, du kommst aus Venezuela, Andrés, du bist in Argentinien aufgewachsen – wie ja auch der Kompo-nist Ginastera, der dieses Jahr 100 Jahre alt geworden wäre. Erzählt doch mal, weshalb ihr eure Heimat ver-lassen habt und nach Europa gekommen seid.

Yolena Orea Sánchez und Andrés Gabetta im Gespräch

«In Südamerika gibt es einfach überall Musik»

Yolena Orea Sánchez, Cellistin, und Andrés Gabetta, Violinist, beide im Sinfonieorchester Basel, unterhalten sich über ihre Heimat, ihre Liebe zu Basel und

lateinamerikanische Komponisten.

aufgezeichnet und übersetzt aus dem Französischen von Cristina Steinle

Yolena Orea begann ihre musikalische Ausbildung im Rahmen von ‹El Sistema› in Venezuela bei William Mo-lina am Instituto Universitario de Estudios Musicales von Caracas. Als Mitglied des berühmten Simon Boli-var Youth Orchestra hat sie Konzerte in den wichtigs-ten Sälen und Theatern Südamerikas und Europas gegeben. In Europa führte sie ihre Studien an der Académie de musique Tibor Varga in Sion und an der Hochschule für Musik der Stadt Basel bei Marcio Car-neiro und Rafael Rosenfeld weiter. Yolena Orea ist Preisträgerin des internationalen Cello-Wettbewerbs ‹Carlos Prieto› (Mexiko) und war Stipendiatin der re-nommierten Lyra Stiftung. Nach einem Praktikum im Tonhalle-Orchester Zürich gewann Yolena Orea eine Stelle im Orchestre philharmonique de Strasbourg, und seit 2009 ist sie festes Mitglied des Sinfonieor-chesters Basel.

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ropa. Als ich kam, war ich ganz alleine, ohne Familie. Aber zurück nach Venezuela gehe ich kaum mehr, weil die politi-sche Situation dort sehr schwierig ist. Für mich ist das Leben hier genau umgekehrt im Vergleich zum Leben in Venezuela.

sagen, nach Europa zu gehen, war für mich das Natürlichs-te der Welt. Dass ich nach Genf gekommen bin, war eher Zufall, denn ich hatte hier Bekannte. Ich wusste zwar nicht ganz genau wo Basel auf der Karte liegt, aber ich wollte unbedingt in dieser Stadt leben und studieren, denn die Celloklassen der Hochschule sind auch international sehr bekannt. Also habe ich den Zug nach Basel genommen und das Vorspiel an der Hochschule gemacht. Und wirklich, ob-wohl ich nicht genau wusste, wo ich war, habe ich sofort gefühlt, dass dies meine Stadt ist. Umso glücklicher war ich, als ich an der Hochschule aufgenommen wurde und mich hier niederlassen konnte. Während und nach meinem Stu-dium habe ich Praktika in verschiedenen Orchestern ge-macht: in Basel, in Zürich und in Strasbourg. Weil es mir aber in Basel so gefallen hatte, entschloss ich mich, hierher zurückzukommen. Glücklicherweise wurde ich dann im Sinfonieorchester Basel aufgenommen. Mein Traum, hier zu leben, zu arbeiten und eine Familie zu gründen ging also voll und ganz in Erfüllung! Nun bin ich seit 13 Jahren in Eu-

Yolena Orea Sánchez und Andrés Gabetta auf der Suche nach neuen Abenteuern

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Andrés Gabetta, wuchs als Sohn französisch-rus-sischer Eltern in Argentinien auf. Mit 14 Jahren kam er mit seiner Mutter und seiner Schwester nach Spani-en, wo er sein Musikstudium weiterführte. Seit 1998 ist er Mitglied des Sinfonieorchesters Basel und seit 2010 leitet er die von seiner Schwester Sol Gabetta gegründete ‹Cappella Gabetta›, die sich auf Program-me aus Barock und Frühklassik konzentriert. Ausser-dem führt Andrés Gabetta das Orchestre Baroque de Limoges unter der Leitung von Christophe Coin als Konzertmeister an.

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Musik – und dieser Reichtum begleitet mich jeden Tag. In Europa ist der Zugang zur Musik völlig anders. Beispiels-weise kann ein studierter venezolanischer Musiker genauso gut auch populäre Musik spielen, ohne dass er schräg ange-schaut wird – im Gegenteil! Das ist normal, und das machen alle. Es gibt auch keinen Unterschied des Respekts gegenüber den unterschiedlichen Komponisten, ob sie klassische oder populäre Musik komponieren. In der Schweiz ist alles ein bisschen regulierter und eingeschränkter.

Ein weiterer grosser Unterschied zwischen Südame-rika und Europa ist das Alter des Publikums. Wäh-rend das Publikum hier an klassischen Konzerten eher fortgeschrittenen Alters ist, so ist es in Südame-rika viel durchmischter. Ja, auch viele junge Leute besuchen klassische Konzerte. Warum dieser Unter-schied? Ich weiss es nicht. Vielleicht deshalb, weil es in Südamerika eher schwierig ist – oder zumindest war, als ich jung war –, an Partituren, an gute Instru-mente etc. zu kommen. Alles konzentrierte sich auf die USA und Europa. Und natürlich gab es noch kein Internet. Ich bin zwar in einer 3-Millionen-Stadt aufgewachsen, aber für meinen Violinunterricht musste ich dennoch alle zwei Wochen nach Buenos Aires fahren – 900 Kilometer hin, 900 Kilometer zu-rück! Also die Leute, die wirklich Musik machen möchten, müssen dafür auch Aufwand betreiben. Hier gibt es ein so grosses kulturelles Angebot, dass die jungen Leute vielleicht einfach zu wenig Interes-se haben, klassische Konzerte zu besuchen. Das hat mich ehrlich gesagt etwas schockiert.

Da gebe ich dir Recht. Es ist hier eben normal, dass ständig tolle Konzerte mit speziellen Solisten stattfinden.

Vielleicht ist es auch einfach unsere Zeit, dass die Jungen zu sehr mit Facebook beschäftigt sind ...

(lacht) Es gibt viele Privilegien hier, und die Leute können ohne Mühe an den unterschiedlichsten Veranstaltungen teilnehmen oder die unterschiedlichsten Dinge unterneh-men. In Venezuela hingegen ist alles, was man machen möchte, extrem mühsam. Jede Kleinigkeit wird da zum Abenteuer. Also braucht es für alles, was man unternimmt, viel mehr Passion. Hier ist im Supermarkt immer alles er-hältlich, es gibt keine Gewalt etc. – das ist ja alles wunder-

Die Situation in Argentinien ist ein bisschen anders. Südamerika ist ja bekanntlich riesig, und jedes Land hat so seine Eigenheiten. Argentinien ist ein Land europäischer Migranten; ein grosser Teil der Bevöl-kerung kommt aus Italien, Spanien, Deutschland, Frankreich, Portugal – ein bisschen von überall. Na-türlich ist es total anders als hier, denn es ist ein Cha-os! Korruption ist leider sehr verbreitet, und vieles funktioniert nicht wirklich gut. Aber was die Musik betrifft, so kann man ohne Probleme studieren, es gibt wunderbare Professoren und Professorinnen, Theater, Musiksäle und sehr schöne Produktionen. Aber man ist eben weit entfernt von diesem kulturel-len Zentrum in Europa. Und es ist schon so, da ist Basel aussergewöhnlich. Einerseits hat man auf-grund seiner Grösse nicht die Nachteile einer Gross-stadt, und andererseits bietet es kulturell doch er-staunlich viel. Und wenn man verreisen möchte oder für Konzerte unterwegs ist, so sind mehr oder weni-ger alle europäischen Grossstädte innerhalb von we-nigen Stunden mit dem Zug erreichbar. Klar, die Leu-te sind anders hier als in Argentinien, aber ich habe nun schon so lange hier gewohnt, dass ich zwar die Mentalität verstehe, wenn ich in Argentinien bin, je-doch oft Mühe habe, Dinge und Abläufe zu akzeptie-ren, die nicht funktionieren. Aber das ist wohl nor-mal. In Argentinien lässt es sich durchaus gut leben, es ist ein sympathisches Land, hat ein grosses musi-kalisches Bouquet und viele grossartige Musiker und Komponisten vorzuweisen, wie etwa Ginastera.

Ich bin auch nicht hierhergekommen, weil es in Venezuela keine Möglichkeit zu musizieren gegeben hätte. Im Gegen-teil, Venezuela verfügt über ein in vielen Teilen der Welt bewundertes Erziehungssystem! Mich hat vielmehr der persönliche Wunsch nach neuen Erfahrungen nach Europa gelockt; die Lust, eine andere Art zu leben kennenzulernen. Aber man hat in Südamerika durchaus die Chance, eine mu-sikalische Bildung zu erhalten. Auch wenn es nicht haupt-sächlich um die akademische Lehre und die klassische Musik geht, sondern vor allem um den Fakt, dass es überall Musik gibt! Man macht überall Musik, man tanzt und die Leute haben den Rhythmus einfach im Blut. Die südamerikani-schen Komponisten haben die Möglichkeit, aus einer Quel-le gewaltiger musikalischer Vielfalt zu schöpfen. Unsere Musik ist beeinflusst durch europäische und afrikanische

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In Basel aber denke ich, hätte man gute Chancen, auch an-dere Musik zu spielen, denn das Publikum ist doch ein biss-chen neugieriger als anderswo, so scheint mir. Ein gemisch-tes Programm von Bekanntem und Unbekanntem, wie es das Sinfonieorchester Basel häufig macht und wie es jetzt auch bei ‹Viva Ginastera› der Fall ist, sollte doch funktio-nieren. Das Publikum hier ist offen für solche Experimente.

Dieses Konzert ist für uns, oder zumindest für mich, sehr speziell, denn es ist immer etwas Besonderes, Musik aus dem eigenen Land zu spielen. Ein latein-amerikanisches Stück zu spielen, berührt einen per-sönlich natürlich schon sehr. Obwohl dieses Stück von Ginastera ja fast mehr an Bartók erinnert als an Südamerika! (lacht)

Ja, aber das ist ja auch das Interessante an den südameri-kanischen Komponisten. Sie haben sich natürlich sehr von den europäischen Komponisten inspirieren lassen, aber lassen jeweils auch die südamerikanische Wärme in ihre Kompositionen einfliessen. Und dieser andere Zugang zur klassischen Musik ist bestimmt sehr interessant zu hören für das Publikum hier.

Ja, jede Durchmischung bringt Reichtum – wie es ja übrigens auch in unserem Orchester ist. Wir haben Musikerinnen und Musiker aus der ganzen Welt ver-eint im Orchester. Für mich ist Musik wie ein Mosa-ik. Alle Stückchen zusammen machen erst das schö-ne Bild. Bei unserem Orchester, so finde ich, ist das der Fall, und das ist wirklich schön. ●

bar, aber mir scheint, die Leute sind dadurch etwas weni-ger aktiv. Aber vielleicht ist es auch das Bild, das den Jungen von der klassischen Welt gegeben wird: sehr seriös und fast etwas bourgeois. In Venezuela ist es häufig genau umgekehrt. Die Leute, die Musik machen oder Musik hören, leben oft in prekären Situationen und benötigen die Musik, um zu träumen und ihrer Realität etwas entfliehen zu kön-nen. Ja, um ihr Leben etwas farbiger zu machen, denn es ist oft fade, traurig oder von Gewalt geprägt. Die Musik ist farbig, fröhlich, und sie vermittelt Freiheit. Das ist es, was mich hier etwas erstaunt hatte – dieses Elitäre.

Naja, das Konzert ist ja offen für alle – aber die Jun-gen gehen dann doch lieber ins Kino als ins Konzert. Sie nutzen das Angebot kaum. Dabei war diese Musik doch auch mal Popmusik in der jeweiligen Epoche!

Was ich auch sehr interessant finde, ist, dass man hier nicht etwas häufiger Musik südamerikanischer Komponisten spielt. Denn in dieser Musik hat es viele Elemente der po-pulären Musik, und ich denke, dieser Mix könnte die Leute hier auch interessieren. Denn die südamerikanische Musik ist total anders, als was man hier sonst kennt – nur schon die Rhythmen. Es wäre bestimmt auch für das europäische Publikum spannend, Einblick in Kompositionen anderer Kulturkreise zu erhalten.

Das ist natürlich ein weltweites Problem, dass die Leute jene Stücke hören wollen, die sie bereits ken-nen. Es ist also immer schwierig, Musik aufzuführen, die dem Publikum neu ist.

Impressum

Sinfonieorchester Basel, Steinenberg 19, 4051 Basel, +41 ( 0 )61 205 00 95, [email protected], www.facebook.com/sinfonieorchesterbasel, twitter.com/symphonybasel

Geschäftsleitung : Franziskus Theurillat Leitung Künstlerische Planung : Dr. Hans-Georg Hofmann Konzeption und Redaktion Programm-Magazin : Simone Staehelin und Cristina Steinle Titelbild : Christian Aeberhard, Basel Korrektorat: Ulrich Hechtfischer Gestaltung : Neeser & Müller, Basel Druck : Schwabe AG, Basel/Muttenz Auflage : 7000 ExemplarePartner:

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Überzeugen Sie sich selbst von unserer Vielfalt.

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Page 33: Programm-Magazin Viva Ginastera

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Promenade: Beethoven-Septett

mini.musik: Bei der Olympiade

Die Promenaden-Konzerte im wunderschönen Saal des Gare du Nord richten sich auch besonders an Fa-milien mit Kindern – denn während des Konzerts ist für eine kostenlose Kinderbetreuung gesorgt. Mitglie-der des Sinfonieorchesters Basel spielen Ludwig van Beethovens Septett in Es-Dur, op. 20. Vor und nach dem Konzert besteht die Möglichkeit, in der Bar du Nord zu brunchen. Für Kinderbetreuung und Brunch wird um Anmeldung gebeten: +41 61 683 13 13.

SONNTAG, 10. APRIL 201611.00 Uhr, Gare du Nord

Hier geht es um Gold: In musikalischen Matches ge-winnen unsere Spitzenmusiker mit klingenden Re-korden eine Medaille nach der anderen. Bei mini.musik bieten sie exklusiv ein Olympiatraining für Klein und Gross an. Mit treffender Musik, gespielt auf Trompete, Violoncello, Klavier und Schlagzeug. Nach dem Konzert können die gespielten Instru-mente ausprobiert werden.

SAMSTAG, 16. APRIL 201614.30 Uhr, Unionsaal im Volkshaus Basel

Promenade im Gare du Nord Achtung, fertig, mini.musik!

Vorschau

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Foyer Theater Basel

Stadtcasino, Musiksaal

Stadtcasino, Musiksaal Eintritt frei

Stadtcasino, Hans Huber-Saal Eintritt frei

Stadtcasino, Musiksaal

Burghof Lörrach VVK: www.burghof.com

Gare du Nord

Hotel Euler, Basel everybody’s welcome!

Theater Basel VVK: Theaterkasse

Volkshaus Basel, Unionsaal

SO 20.03.1614.30

FR 25.03.1617.00

MI 30.03.1612.00

DO 31.03.16ab 16.00

DO 31.03.16FR 01.04.1619.30

SO 03.04.1618.00

SO 10.04.1611.00

MI 13.04.1618.30–20.00

FR 15.04.1619.30

SA 16.04.1614.30

Familienkonzert: Symphonic Circus Mitglieder des Orchestre philharmonique de Strasbourg / Weepers Circus

Chorkonzert Jacqueline Fontyn: Méditation matinale für Sprechstimme, Chor und Orchester (Uraufführung)Antonín Dvořák: Stabat mater für Soli, Chor und Orchester, op. 58SOB / Basler Gesangverein

Punkt 12: Offene OrchesterprobeSOB / Dennis Russell Davies

Entdeckerkonzert: Ginastera 100Mitglieder des SOB / Cecilia Scalisi / Hans-Georg Hofmann / Xavier de Maistre / Dr. Felix Meyer / Stephan Schmidt

Sinfoniekonzert SOB: Viva Ginastera Alberto Ginastera: 4 Danzas de la Estancia, op. 8Alberto Ginastera: Konzert für Harfe und Orchester, op. 25Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 2 D-Dur, op. 73SOB / Xavier de Maistre / Dennis Russell Davies

Zu Gast in Lörrach Ludwig van Beethoven: Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur, op. 73 Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 2 D-Dur, op. 73SOB / Ingolf Wunder / Dennis Russell Davies

Promenade: Beethoven-Septett Ludwig van Beethoven: Septett Es-Dur, op. 20Mitglieder des SOB

Mix & MingleSymphony Club – English speaking social eventTheme: Paul McCartney

Macbeth – PremiereOper in vier Akten von Giuseppe Verdi, Libretto von Francesco Maria Piave

mini.musik: Bei der Olympiade Mitglieder des SOB / Irena Müller-Brozovic / Norbert Steinwarz

Agenda

Vorverkauf ( falls nicht anders angegeben ) : Bider & Tanner, Ihr Kulturhaus in Basel, Aeschenvorstadt 2, 4010 Basel, 061 206 99 96 Detaillierte Informationen und Online-Verkauf : www.sinfonieorchesterbasel.ch

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