praxisbeispiele zu klinischen studien mit medizinprodukten und deren anwendung: wundversorgung

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Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2012) 106, 347—353 Online verfügbar unter www.sciencedirect.com journal homepage: www.elsevier.de/zefq SCHWERPUNKT II Praxisbeispiele zu klinischen Studien mit Medizinprodukten und deren Anwendung: Wundversorgung Examples of practice: Clinical trials for medical devices and their application: Wound care Matthias Augustin Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf SCHLÜSSELWÖRTER chronische Wunden; klinische Forschung; Forschungsqualität; Methodik Zusammenfassung Hintergrund: Chronische Wunden zeigen definitionsgemäß über Monate keine Heilungsten- denz. Sie sind aus sozio-ökonomischer Sicht von großer Bedeutung, weil häufig, für die Patienten belastend und für das Gesundheitssystem teuer. Medizinprodukte spielen in der Versorgung chro- nischer Wunden eine größere Rolle als Arzneimittel. So wird praktisch jede Wunde mit einer Wundauflage versorgt. Klinische Versorgung und Forschung: Eine Wunde durchläuft verschiedene Phasen der Wund- heilung, die unterschiedliche Therapien und differenzierte Wundauflagen im Sinne einer ,,phasengerechten‘‘ Wundtherapie erfordern. Unter ,,moderner Wundversorgung‘‘ wird eine sektorenübergreifende, interdisziplinäre und interprofessionelle Vorgehensweise verstanden, die auf evidenz-basierte und qualitätsgesicherte Verfahren nach dem aktuellen wissenschaftli- chen Erkenntnisstand zurückgreift. Die klinische Forschung ist durch die große Vielfalt der Wundarten und -bedingungen, den starken Einfluss pathogenetischer Faktoren und Komplikationen, eine vielschichtige, oft manu- elle Therapie und lange Heilungsverläufe gekennzeichnet. Oft kommen am gleichen Patienten mehrere Maßnahmen intermediär zum Einsatz, die unterschiedlichen Zielsetzungen dienen und damit verschiedene Endpunkten darstellen. In der internationalen Forschung werden nach einer Analyse der EWMA (European Wound Management Association) nur wenige Studien den Quali- tätsanforderungen gerecht. Zielsetzung ist es daher, national und international konsentierte Standards der Methodik und Bewertung von Wundoutcomes zu erlangen, wie derzeit durch die EWMA und auch eine Bundeskonsensuskonferenz begonnen. Praxisbeispiel einer qualitativ hochwertigen Wundstudie: In einer beispielhaft genannten randomisierten Studie wurde die Hyperbare Sauerstofftherapie (HBST) als adjuvante Thera- pie des diabetischen Fußulcus im Vergleich zur Placebobehandlung überprüft (Löndahl et al., Korrespondenzadresse: University-Prof. Dr. Matthias Augustin, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Haus West 38 (W38), Martinistr. 52, 20246 Hamburg. Tel.: +(040) 7410-55428; Fax: +(040) 7410-55348. E-Mail: [email protected] 1865-9217/$ – see front matter http://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2012.05.015

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Page 1: Praxisbeispiele zu klinischen Studien mit Medizinprodukten und deren Anwendung: Wundversorgung

Z. Evid. Fortbild. Qual. Gesundh. wesen (ZEFQ) (2012) 106, 347—353

Online verfügbar unter www.sciencedirect.com

journa l homepage: www.e lsev ier .de /ze fq

SCHWERPUNKT II

Praxisbeispiele zu klinischen Studien mitMedizinprodukten und deren Anwendung:WundversorgungExamples of practice: Clinical trials for medical devices and their application:Wound care

Matthias Augustin ∗

Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

SCHLÜSSELWÖRTERchronische Wunden;klinische Forschung;Forschungsqualität;Methodik

ZusammenfassungHintergrund: Chronische Wunden zeigen definitionsgemäß über Monate keine Heilungsten-denz. Sie sind aus sozio-ökonomischer Sicht von großer Bedeutung, weil häufig, für die Patientenbelastend und für das Gesundheitssystem teuer. Medizinprodukte spielen in der Versorgung chro-nischer Wunden eine größere Rolle als Arzneimittel. So wird praktisch jede Wunde mit einerWundauflage versorgt.Klinische Versorgung und Forschung: Eine Wunde durchläuft verschiedene Phasen der Wund-heilung, die unterschiedliche Therapien und differenzierte Wundauflagen im Sinne einer,,phasengerechten‘‘ Wundtherapie erfordern. Unter ,,moderner Wundversorgung‘‘ wird einesektorenübergreifende, interdisziplinäre und interprofessionelle Vorgehensweise verstanden,die auf evidenz-basierte und qualitätsgesicherte Verfahren nach dem aktuellen wissenschaftli-chen Erkenntnisstand zurückgreift.

Die klinische Forschung ist durch die große Vielfalt der Wundarten und -bedingungen, denstarken Einfluss pathogenetischer Faktoren und Komplikationen, eine vielschichtige, oft manu-elle Therapie und lange Heilungsverläufe gekennzeichnet. Oft kommen am gleichen Patientenmehrere Maßnahmen intermediär zum Einsatz, die unterschiedlichen Zielsetzungen dienen unddamit verschiedene Endpunkten darstellen. In der internationalen Forschung werden nach einerAnalyse der EWMA (European Wound Management Association) nur wenige Studien den Quali-tätsanforderungen gerecht. Zielsetzung ist es daher, national und international konsentierteStandards der Methodik und Bewertung von Wundoutcomes zu erlangen, wie derzeit durch die

EWMA und auch eine Bundeskonsensuskonferenz begonnen.Praxisbeispiel einer qualitativ hochwertigen Wundstudie: In einer beispielhaft genanntenrandomisierten Studie wurde die Hyperbare Sauerstofftherapie (HBST) als adjuvante Thera-pie des diabetischen Fußulcus im Vergleich zur Placebobehandlung überprüft (Löndahl et al.,

∗ Korrespondenzadresse: University-Prof. Dr. Matthias Augustin, Direktor des Instituts für Versorgungsforschung in der Dermatologieund bei Pflegeberufen, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Haus West 38 (W38), Martinistr. 52, 20246 Hamburg.Tel.: +(040) 7410-55428; Fax: +(040) 7410-55348.E-Mail: [email protected]

1865-9217/$ – see front matterhttp://dx.doi.org/10.1016/j.zefq.2012.05.015

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348 M. Augustin

2010). Die Studie zeichnete sich durch eine sorgfältige Studienplanung, fundierte Rationaleund unabhängige Leitung aus. Die Endpunkte (klinisch und patientenberichtet) wurden präziseund eindeutig definiert, die Bewertung doppelt verblindet, die ITT- und PP-Analysen transpa-rent beschrieben. Die Berichterstattung nach Consort-Kriterien zeigt eine signifikant höhereWundheilungsrate in der HBST-Gruppe.Fazit und Ausblick: Wundtherapien sind äußerst komplexe Interventionen bei zugleich sehrvariablen klinischen Verhältnissen. Ein Teil der bislang fehlenden Qualität und Validität the-rapeutischer Studien mit Medizinprodukten ließe sich jedoch unter Beachtung der geltendenEmpfehlungen ohne nennenswerten Aufwand verbessern. Dabei gilt das Prinzip: Lieber weni-ger, aber gute Studien. Die Fokussierung auf Leitprodukte, die Priorisierung der Fragestellungensowie eine Arbeitsteilung in der Beforschung zentraler Wirkprinzipien auch zwischen den Her-stellern erhöhen die Forschungseffizienz.(Wie vom Gastherausgeber eingereicht)

KEY WORDSchronic wounds;clinical research;outcomes;research quality;methodology

SummaryBackground: According to definition, chronic wounds do not show any tendency for healingover months. From the socio-economic perspective they are of great importance due to theirfrequency, patient burden and costs for the health system. In wound care, medical devices playa crucial, even more important role than drugs as nearly every wound needs at least a dressing.Clinical care and research: A wound passes through several phases of wound healing, whichoften demand different therapies and differentiated wound dressings in the sense of a ‘‘phase-adapted’’ wound therapy. ‘‘Modern wound care’’ reflects a cross-sectoral, interdisciplinary andinterprofessional approach founded on evidence-based and quality-assured procedures accor-ding to the most recent medical knowledge.

Clinical research on chronic wounds is characterised by a great variety of wound types andconditions, the strong impact of pathogenetic factors and complications, a multifaceted, fre-quently still manual therapy and long periods of healing.

In many instances, several treatments are applied intermediately in the same patient, whichserve different purposes and thus require different study endpoints.

An analysis of the European Wound Management Association (EWMA) revealed that, on aninternational level, only few of the published clinical trials on chronic wounds meet the basicquality requirements. Accordingly, it is the objective to establish national and internationalconsensus on standards of the methodology and interpretation of wound outcomes, such as themost recent EWMA activities and the German national consensus conference started in 2012.Example of a high-quality clinical wound study: As an example of a high quality randomisedstudy on chronic wounds, hyperbaric oxygen treatment (HBOT) was evaluated as adjuvanttreatment for diabetic foot ulcers compared to placebo (Löndahl et al., 2010). This trial ischaracterised by a diligent study design, a substantiated study rationale and an independentsteering committee. Precise and reliable definitions for the end points were selected, theirevaluation performed in a double-blinded manner, and the ITT and PP analyses were de-scribed transparently. Outcomes included both clinical and patient-reported parameters.Reporting according to the consort criteria revealed a significantly higher healing rate in theHBOT group.Conclusion and perspectives: Chronic wound therapy is a complex intervention with highlyvariable clinical conditions. Parts of missing quality and validity in therapeutic studies on chro-nic wounds, however, might be improved without noteworthy efforts if existing guidance isfollowed. This includes the motto: ‘‘better fewer but better conducted studies’’. Clinical re-search should focus on key principles and products, and it should prioritise research questions.Research on central principles of action in wound products between companies could furtherincrease global research efficiency.

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(As supplied by publisher)

intergrund

edizinprodukte spielen in der Versorgung chronischer Wun-en eine große Rolle. Praktisch jede Wunde wird mitiner Wundauflage, meist auch mit einem Sekundärver-

and oder einer Bandage versorgt. Bei vielen Wundenommen ferner spezielle medizintechnische Maßnahmenum Einsatz. Insgesamt ist deswegen bei Wunden das

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erordnungsaufkommen für Medizinprodukte höher als fürrzneimittel.

linische Merkmale chronischer Wunden

on besonderer Bedeutung ist der Einsatz von Medizinpro-ukten bei chronischen Wunden. Im Gegensatz zu akuten,.B. traumatischen oder postoperativen Wunden, zeigen

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Praxisbeispiele zu klinischen Studien mit Medizinprodukten

chronische Wunden definitionsgemäß auch über Wochenoder sogar Monate keine Heilungstendenz. Ein weiteresMerkmal chronischer Wunden besteht darin, dass sie auf demBoden pathologischer Gewebebedingungen entstehen unddamit zum Management auch die sachgerechte Diagnostikund Diagnosestellung aller pathogenetisch wichtigen Beglei-terkrankungen gehört.

Chronische Wunden sind aus sozio-ökonomischer Sichtvon großer Bedeutung, da sie häufig, für die Patienten undihre Angehörigen sehr belastend und für das Gesundheitssys-tem teuer sind. Die Häufigkeit (Ein-Jahres-Prävalenz) allerchronischen Wunden in Deutschland liegt nach aktuellenAuswertungen von GKV-Daten bei etwa 2%, die mittlerenjährlichen Gesamtkosten des Ulcus cruris (direkte und indi-rekte Kosten) belaufen sich auf etwa 10.000 D pro Patient[1,2].

Häufigste Entitäten chronischer Wunden sind dieGeschwüre des Unterschenkels (Ulcus cruris), die diabe-tischen und ischämischen Fußwunden sowie die Druckge-schwüre (Dekubitus).

Chronische Wunden einer Entität weisen eine hoheVariabilität ihrer klinischen Merkmale, Gewebepatholo-gie und Kausalfaktoren auf. Allein das Ulcus cruris kanndurch eine Vielzahl unterschiedlicher Grunderkrankungenbedingt und durch eine größere Zahl unterscheidbarer klini-scher Zustände charakterisiert sein (Abb. 1). Eine einzelneWunde durchläuft verschiedene Phasen der Wundheilung,die oftmals unterschiedliche Therapien und Wundauflagenerfordern.

Therapie und Versorgung chronischer Wunden

Sowohl die Grunderkrankungen als auch die individuelleWundkondition entscheiden über die Auswahl der Wund-therapeutika und die Dauer ihres Einsatzes (Abb. 1). Einwesentliches Kriterium der Therapiewahl ist die jewei-

lige Wundphase, so dass von der Notwendigkeit einer,,phasengerechten‘‘ Wundtherapie gesprochen wird.

Relevante therapeutische Prinzipien, die regelhaft inder Wundversorgung zum Einsatz kommen, sind die

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Abbildung 1 Determinanten bei der Auswahl loka

eren Anwendung: Wundversorgung 349

undauflagen und Wundverbände, physikalische Verfahren,perative Verfahren, topische Wirkstoffe, Systemthera-ien und psychosoziale Maßnahmen. Neben der primärenundversorgung sind Begleiterscheinungen wie Schmer-

en, Infektionen und Geruchsbildungen zu behandeln. Deseiteren gehören die Pflegeversorgung sowie individuellotwendige Heilmittel (z.B. Lymphtherapie, Physiotherapie)um Standard des Wundmanagements.

Die zweckmäßige Versorgung chronischer Wundenmfasst somit routinemäßig ärztliche, pflegerische undeitere therapeutische Maßnahmen [3].

Für die Überlegenheit der interdisziplinären und inter-rofessionellen Versorgung nach qualitätsgesicherten Leit-inien spricht eine Vielzahl internationaler Studien [3].ementsprechend entwickeln sich auch in Deutschlandunehmend Wundnetze und andere Formen der Koopera-ion zwischen den beteiligten Versorgern. Unter ,,modernerundversorgung‘‘ wird in diesem Sinne die evidenz-basiertend qualitätsgesicherte kooperative Versorgung chronischerunden auf dem Boden des aktuellen wissenschaftlichenrkenntnisstandes verstanden. Eine sektorenübergreifendenterdisziplinäre und interprofessionelle Vorgehensweiseird der Komplexität chronischer Wunden am bestenerecht.

linische Forschung bei chronischen Wunden:esonderheiten und Herausforderungen

u den Herausforderungen in der vergleichenden klinischenorschung bei Medizinprodukten (Tabelle 1) gehört bei chro-ischen Wunden die vorgenannte Komplexität der Wund-ntitäten, die Vielzahl der beteiligten Versorger, die sehreterogenen Ausgangsbedingungen (z.B. fehlende Homoge-ität der Kausalfaktoren zwischen Vergleichsgruppen) sowieer hohe Anteil an Patienten, die von mehreren Personenersorgt werden müssen (z.B. verschiedene Personen, die

anuell Verbände anlegen). In kontrollierten Studien ist

erner die Definition der zweckmäßigen Vergleichstherapiechwierig, da hier bundesweit erhebliche Unterschiede der,best local practice‘‘ bestehen.

ler Wundtherapeutika an chronischen Wunden.

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350

Tabelle 1 Herausforderungen der klinischen Wundfor-schung mit Medizinprodukten.

• Komplexe Wundentitäten mit komplexen Interventionen• International heterogene regulatorische Anforderungen

(meist MPs)• Hohe Kosten der Studien• Nicht standardisierte Vergleichstherapien (,,best local

standard‘‘)• Multiple Begleittherapien• Oft Äquivalenz-Fragestellungen (neue Wundauflagen)• Selektierte Studienpopulationen• Outcomes: Wahl der Parameter, Interpretation• Qualität der Studiendurchführung in nicht-spezialisierten

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Zentren• Reporting: Fehlende wundspezifische Standards

In der bisherigen internationalen klinischen Forschung anhronischen Wunden werden nach einer Analyse der EWMAEuropean Wound Management Association) nur wenige Stu-ien den Qualitätsanforderungen gerecht [4]. Über einenroßteil der methodischen Probleme wird - obwohl fürie Interpretation der Ergebnisse essenziell - nicht einmalerichtet. Auch in einer Cochrane-Metaanalyse zu Wundauf-agen bei Ulcus cruris venosum weist ein Großteil selbst deringeschlossenen Studien Mängel in der Berichterstattungnd Kontrolle von Confoundern auf (British Medical Journal007).

Eine weitere Herausforderung der klinischen Wundfor-chung liegt darin, dass Wundtherapeutika für unterschiedli-he Zielsetzungen und nur in bestimmten Phasen notwendigein können (Abb. 2). Dementsprechend gibt es eine Viel-

ahl von Endpunkten, die aus versorgender Sicht sinnvollind, dabei aber nicht dem ,,Goldstandard‘‘ der komplettenundheilung entsprechen. Wichtige derartige Endpunkte

ind z.B. die Schmerzreduktion, Verbesserung der Mobilität,

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bbildung 2 Differenzielle Therapieziele im Verlaufe der Wundhe

M. Augustin

eseitigung von Infektionen oder Herstellung eines trans-lantatreifen Granulationsgewebes.

Eine weitere Herausforderung der Outcomesforschungei chronischen Wunden liegt auch darin, dass dieerschiedenen Wundheilungsstadien bekanntlich eine pha-enspezifische Versorgung benötigen. Bei Bewertung desndpunktes ,,komplette Wundheilung‘‘ wird somit nichtur der Effekt des Prüfpräparates bewertet, sondern auchie der anderen im Zuge der Therapiekette eingesetztenerfahren. Zeitgleich liegt häufig eine Kombination ver-chiedener notwendiger Maßnahmen vor, die nicht immerm Prüfprotokoll vorausgesehen werden können. Manuelleertigkeiten und wechselnde Therapeuten erhöhen hierie Varianz. Allein die notwendige Anlage eines manuel-en Kompressionsverbandes bei venösen Ulcera auf der zuntersuchenden Wundauflage erhöht die Vielfalt der Ein-ussfaktoren (Abb. 3). Die methodische Herausforderung

iegt somit in der Bewertung einer äußerst komplexen Inter-ention bei zugleich sehr variablen klinischen Verhältnissen,ie zudem einen unvorhersehbaren, durch Komorbidität undomplikationen beeinflussten Verlauf zeigen.

Ein unnötiger Mangel vieler klinischer Wundstudien liegtn der unzureichenden Kontrolle und Berichterstattung überiese Einflussfaktoren, Begleiterkrankungen und klinischenusgangsmerkmale der Wunden bei Studienbeginn.

Zusammengefasst spricht dieser Hintergrund dafür, kli-ische Studien bei chronischen Wunden mit bestmöglichtandardisierten und detaillierten Protokollen, erfahre-en Prüfpersonen, sorgfältig gefertigtem Studiendesign undenügender statistischer Größe durchzuführen. Der Umgangit den komplexen Einflussgrößen und die Interpretation

on Ergebnissen bei diesen multiplen Wechselwirkungen istedoch keineswegs geklärt.

Aus klinischer Sicht wird es dabei auch weiterhin nötigein, entsprechend dem erwarteten Nutzen eines Wundthe-apeutikums unterschiedliche Endpunkte aus verschiedenenundheilungsphasen und für verschiedene Nutzenmerkmale

ilung als potentielle Endpunkte der klinischen Studien.

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Praxisbeispiele zu klinischen Studien mit Medizinprodukten und deren Anwendung: Wundversorgung 351

Abbildung 3 Einflussfaktoren auf den Verlauf einer

einzusetzen. Von besonderer Bedeutung in der Wahl derEndpunkte sind die Patienten-relevanten Nutzen. Es hat sichin zahlreichen Studien gezeigt, dass das potentielle Nutzen-spektrum der Wundtherapie aus Patientensicht sehr breit ist(Tabelle 2, [8]). Das Erreichen oder Verfehlen entsprechen-der Nutzenziele aus Patientensicht kann daher maßgeblichin die Bewertung der Wundtherapeutika hineinreichen. Sowird ein klinisch längerfristig hochwirksames, jedoch kurz-fristig mit zunehmenden Wundschmerzen einhergehendesMedizinprodukt vom Patienten weder toleriert noch regel-mäßig eingesetzt.

Tabelle 2 Potentielle Nutzen der Wundtherapie aus Pati-entensicht, gemessen mit dem Patient Benefit Index (PBI) fürWunden [9].

1. Wundschluss2. Wundheilungsgeschwindigkeit3. Schmerzreduktion4. Geruchsminderung5. Mobilität6. Fähigkeit zu Rollen/Funktionen7. Schlafqualität8. Weniger Nebenwirkungen9. Weniger Risiken der Therapie10. Mehr Autonomie11. Weniger Therapieaufwand12. Geringere Frequenz von Verbandwechseln

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schlecht heilenden Wunde (nach Moffatt et al.).

ualitätskriterien und Standards in derlinischen Wundforschung

ur Wahrung der methodischen Standards wurde auf euro-äischer Ebene ein Konsensuspapier mit Empfehlungen zurlanung, Durchführung, Analyse und Berichterstattung vonundstudien erstellt [4].In Deutschland wurde im Februar 2012 eine laufende bun-

esweite Konsensuskonferenz zur Entwicklung von Kriteriener Ergebnismessung und Nutzenbewertung bei chronischenunden eingesetzt. Unter Beteiligung u.a. der medizi-ischen Fachgesellschaften, Pflegeverbände, gesetzlichenrankenkassen und Patientenorganisationen sollen die inter-ationalen Empfehlungen weiterentwickelt und ergänzterden. Ziel ist es ferner, konsentierte Standards derewertung von Wundoutcomes für den Einsatz in kli-ischen Studien, Registerforschung, Versorgungsforschungowie in besonderen Versorgungsformen chronischer Wun-en zu erlangen.

raxisbeispiel einer qualitativ hochwertigenlinischen Wundstudie

rotz der oben genannten Herausforderungen und Hinder-isse einer qualitativ hochwertigen klinischen Wundfor-chung gibt es inzwischen zahlreiche Beispiele von Studien,ie sowohl methodisch akzeptabel als auch für die Versor-

ung von Nutzen sind.

Beispielhaft sei die Studie von Löndahl et al., publiziertm J Diabetes Care 2010 [5], zur hyperbaren Sauer-tofftherapie (HBST) bei diabetischen Ulcera, genannt.

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In dieser randomisierten, doppelt verblindeten, placebo-kontrollierten Studie wurde die HBST als adjuvante Therapiedes diabetischen Fuß Ulcus im Vergleich zur topischenStandardtherapie hinsichtlich klinischer Wirksamkeit (End-punkte: Abheilung des Ulcus) überprüft. Sekundärkriterienwaren die Rate an Major-Amputationen sowie die Mortali-tät.

Diese Studie zeichnet sich durch eine sorgfältige Studien-planung, ein durch Studien abgeleitetes Rational [6] sowieeine unabhängige Lenkung der Durchführung und Organisa-tion mittels eines Steering Komitees aus. Die eingesetzteMethodik wurde in Vorstudien geprüft und publiziert, dieMethodik aus einem vorausgehenden Cochrane Review abge-leitet und das Studienvorhaben unter www.clinicaltrials.govregistriert.

Für den primären Endpunkt ,,Abheilung‘‘ wurde einepräzise und zuverlässige Definition gewählt und dieBewertung des primären Endpunktes doppelt verblindet.Neben den klinischen Endpunkten wurden auch pati-entenberichtete Endpunkte einbezogen. Die statistischePlanung und Auswertung wurde in einem Studienprotokollà priori festgelegt, die Analysen sowohl nach der ,,per-protocol-Analyse‘‘ als auch der ,,intent-to-treat-Analyse‘‘vorgenommen.

Als Placebomaßnahme wurde eine täuschend ähnlicheProzedur eingesetzt, die lediglich anstelle von Sauerstoffnormale Luft auf die Wunden brachte.

Im Ergebnis fand sich eine signifikant höhere Rate angeheilten Wunden in der Gruppe der mit HBST behandel-ten Patienten versus Placebo. Sowohl die PP- als auch dieITT-Analyse und die ,,number needed to treat‘‘ unterschie-den sich signifikant zwischen den Gruppen zu Gunsten derHBST.

Die Berichterstattung in der Publikation entspricht for-mal den Consort-Kriterien, die von der EWMA geforderteBerichterstattung über Einflussfaktoren auf die Wundheilungist ausführlich, der Baselinevergleich zwischen den Grup-pen sorgfältig und ohne Hinweis auf Strukturungleichheitenzwischen den Behandlungsarmen.

Fazit und Ausblick

Ein Teil der bislang fehlenden Qualität und Validitättherapeutischer Studien bei chronischen Wunden mit Medi-zinprodukten ließe sich unter Beachtung der geltendenEmpfehlungen ohne nennenswerten Aufwand verbessern

Tabelle 3 Lösungsansätze für die hochwertige klinischeForschung bei chronischen Wunden.

• Weniger, aber gute klinische Studien• Kontrollierte Studien• Standards in Studienplanung und —durchführung• Qualitätsgesicherte Studiendurchführung• Spezialisierte study/wound nurses• ,,Innovationsplattformen‘‘• Je nach Fragestellung RCTs plus Patientenregister• Arbeitsteilige Studien der Hersteller

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M. Augustin

Tabelle 3). Dabei gilt das Prinzip: Lieber weniger, aber gutetudien. Auch ist die Verschiebung der Aktivitäten von nichtontrollierten Anwendungsbeobachtungen mit marginalemutzen auf kontrollierte Studien zu empfehlen. Den vorge-annten Besonderheiten in der Wundforschung ist Rechnungu tragen.

Auch Medizinprodukte zur Anwendung bei Wunden soll-en in einer wissenschaftlichen ,,Beweiskette‘‘ auf ihrenutzen, ihre Unbedenklichkeit und ihre Wirtschaftlich-eit geprüft worden sein. Aus der Sicht der Forschungollten hier a) experimentelle, präklinische Studien, b) kli-ische Untersuchungen und c) versorgungswissenschaftlichenalysen mit Registerstudien durchgeführt werden. Wäh-end die präklinischen Studien experimentell bestätigteirkmodelle und Wirksamkeitsansätze liefern, erlauben

ie klinischen Studien die Bewertung der Wirksamkeitnter kontrollierten Bedingungen während die Versor-ungsforschung den Nutzen, die Risiken und die Kosten-utzen-Relationen unter Routinebedingungen prüft. Es stehtußer Frage, dass hierbei ein erhöhter Kostenaufwandntsteht. Aus diesem Grunde ist die Fokussierung aufeitprodukte, die Priorisierung der Fragestellungen durchie Fachgesellschaften sowie eine Arbeitsteilung in dereforschung zentraler Wirkprinzipien auch zwischen denerstellern wünschenswert. Die Überführung von Produkt-

nnovationen in die Versorgung würde über spezialisierte,Innovationsplattformen‘‘ und klinische Forschungseinrich-ungen verbessert. Dem etwaigen Mangel an Patienten füriese Forschung kann durch bessere Kooperation in dieersorgungsroutine und durch Wundnetze entgegengewirkterden.

Das Modell einer versorgungsnahen klinischen Forschungit nachfolgender Versorgungsforschung bei Wunden wird

n ersten universitären Zentren wie dem Comprehensiveound Center (CWC) des Universitätsklinikum Hamburgereits erfolgreich umgesetzt [7].

iteratur

1] Augustin M, Debus ES (Hrsg.): Moderne Wundversorgung im Span-nungsfeld zwischen Qualitätsanspruch, Zuständigkeiten undSparzwang. mhp Verlag, Wiesbaden 2009.

2] Purwins S, et al. Cost-of-illness of chronic leg ulcers in Germany.Int Wound J 2010;7(2):97—102.

3] Augustin M, Debus ES. Moderne Wundversorgung: Fazit— Nachbereitung — Ausblick. In: Augustin M, Debus ES,editors. Moderne Wundversorgung — im Spannungsfeld zwi-schen Qualitätsanspruch; Zuständigkeit und Sparzwang, 2.Band: Betaverlag & Marketinggesellschaft mbH Bonn; 2011.p. S.171—84.

4] Gottrup F, Apelqvist J, Price P. Outcomes in controlled and com-parative studies on non healing wounds — Recommendations toimprove the quality of evidence in wound management. J WoundCare 2010;19(6):237—68.

5] Löndahl M, et al. Hyperbaric Oxygen Therapy Facilitates Healing

of Chronic Foot Ulcers in Patients With Diabetes. Diabetes Care2010;33:998—1003.

6] Löndahl M, Katzman P, Nilsson A, et al. A prospective study:hyperbaric oxygen therapy in diabetics with chronic foot ulcers.J Wound Care 2006;15:457—9.

7] Herberger K, Debus ES, Diener H, Schmelzle R, Augustin M.Comprehensive Wound Center am Universitätsklinikum

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Zusammenfassung der Diskussion Teil 6 353

Hamburg-Eppendorf. Vernetzung von Routineversorgung,klinischer und experimenteller Forschung am HamburgerBeispiel. Gefässchirurgie 2010;15(4):262—4.

[8] Moffatt C, Vowden P, Augustin M. Schwer heilende Wunden- ein ganzheitlicher Ansatz. Editorial. EWMA position paper,May 2008; http://ewma.org/fileadmin/user upload/EWMA/

pdf/Position Documents/2008/German EWMA Hard2Heal 2008.pdf.

[9] Augustin M, Blome C, et al. Benefit evaluation in the therapyof chronic wounds from the patients’ perspective - develop-ment and validation of a new method. Wound Repair Regen2012;20(1):8—14.

SCHWERPUNKT IIZusammenfassung der Diskussion Teil 6

Ina Kopp (AWMF-Institut für Medi-zinisches Wissensmanagement,Philipps-Universität, Marburg) weistdarauf hin, dass diverse, in der Wirk-weise teilweise unterschiedlicheProdukte zur Wundbehandlung ange-boten werden, deren grundsätzlicherNutzen aber kaum systematischuntersucht sei. Möglicherweise ist eineinzelnes Wirkprinzip mal erforscht,der Vergleich aber zwischen unter-schiedlichen Behandlungsstrategienfehlt gänzlich. So folgern trotzeinzelner publizierter Studien syste-matische Reviews zwangsläufig ,,Wirwissen nichts‘‘.Bei Wundschäumen hat man zudemdie Situation, dass mehrere ähnli-che Produkte auf dem Markt sind.Nach Augustin würden Äquivalenz-studien z.B. dann ökonomisch Sinnmachen, wenn ein Produkt deut-lich günstiger verfügbar wäre undder gleiche Nutzen nachgewiesenwürde. Das sich die Hersteller fürderartige Studien zusammenschließenwäre wichtig, erscheint aber eherunwahrscheinlich. Bislang entschei-det der Markt, ob sich ein weitererWundschaum durchsetzt, allerdingsweniger auf der Basis medizinischerGründe.Ralf Kiesslich (I. Medizinische Kli-

von der zunehmend konsequentenUmsetzung der Consort Kriterien einehöhere Transparenz der Studienqua-lität. Augustin schränkt jedoch ein,dass diese strengeren Anforderungenan die Paper eher sogar den Nicht-Publikations-Bias erhöhen. MancheStudienergebnisse werden nicht mehreingereicht. Zudem bilden die eherformellen Consort Kriterien auchnicht zwingend das ab, was der Klini-ker mit Blick auf die Wundversorgunginteressiert.Jürgen Wasem (Lehrstuhl fürMedizinmanagement, Universi-tät Duisburg-Essen, Essen) richtetsich an Windeler bzgl. der Ein-gangsfrage zur Bedeutung desÄquivalenznachweises. Was die rich-tige Fragestellung ist, hängt nachWasem vom regulativen Kontext ab.Wären z.B. nur Medizinprodukteerstattungsfähig, für die ein Zusatz-nutzen gegenüber Regelversorgungnachgewiesen ist, dann wären Nicht-unterlegenheitsstudien eher nichtausreichend. Das System ist abersehr komplex und wird beeinflusstdurch SGB V §§135 und 137, zukünf-tig auch vermutlich mehr durch einenÜbertrag des AMNOG auf Medizinpro-dukte.Windeler stellt klar, dass er nicht

dien sind durchaus sinnvoll, wenn dermedizinische Nutzen gleich bleibt,unter einem anderen Aspekt aber einVorteil entsteht, wie am Beispiel derNavigation diskutiert. Erwartet manaber von einem neuen Produkt einenechten medizinischen Fortschritt,dann sollte dieser auch in entspre-chend auf Überlegenheit angelegtenStudien nachgewiesen werden.Kiesslich erwartet durch dieeuropäische Harmonisierung derGesetzgebung eine Angleichungin den Studienstandards und eineVerbesserung des strukturiertenErkenntnisgewinns. Augustin über-blickt auch einzelne Länder derEU hinsichtlich Studien in derWundversorgung. Seine Wahrneh-mung ist, dass entgegen einerHarmonisierung länderspezifisch Stu-dienendpunkte ausgewählt werden,die den unterschiedlichen Vergü-tungskriterien der Länder Rechnungtragen.

Korrespondenzadresse:Dr. med. Steffen P. LuntzSprecher des KKS-NetzwerksLeiter des Koordinierungszentrumsfür Klinische Studien (KKS) Heidel-berg

nik, Universitätsmedizin, Mainz)erhofft sich in den Publikationen

auf die regulative EbeEingangsfrage abhob.

ne mit seinerÄquivalenzstu-

E-Mail: [email protected]