philosophy and science

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Philofophie und Naturwiffenfchaft Author(s): Moritz Schlick Source: Erkenntnis, 4. Bd. (1934), pp. 379-396 Published by: Springer Stable URL: http://www.jstor.org/stable/20011726 Accessed: 27/04/2009 04:25 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of JSTOR's Terms and Conditions of Use, available at http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp. JSTOR's Terms and Conditions of Use provides, in part, that unless you have obtained prior permission, you may not download an entire issue of a journal or multiple copies of articles, and you may use content in the JSTOR archive only for your personal, non-commercial use. Please contact the publisher regarding any further use of this work. Publisher contact information may be obtained at http://www.jstor.org/action/showPublisher?publisherCode=springer. Each copy of any part of a JSTOR transmission must contain the same copyright notice that appears on the screen or printed page of such transmission. JSTOR is a not-for-profit organization founded in 1995 to build trusted digital archives for scholarship. We work with the scholarly community to preserve their work and the materials they rely upon, and to build a common research platform that promotes the discovery and use of these resources. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. Springer is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Erkenntnis. http://www.jstor.org

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Philofophie und NaturwiffenfchaftAuthor(s): Moritz SchlickSource: Erkenntnis, 4. Bd. (1934), pp. 379-396Published by: SpringerStable URL: http://www.jstor.org/stable/20011726Accessed: 27/04/2009 04:25

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Page 2: Philosophy And Science

(379)

Philofophie und Naturwiffenfchaft Von

Moritz Schlick (Wien)

Die nachfolgenden Ausf?hrungen Hellen den (nachtr?glich rekon

ftruierten) Inhalt eines Vortrages dar, der im Jahre 1929 an der

Univerfit?t Wien als Einleitung in einen volkst?mlichen Zyklus

?Das Weltbild der Naturwiffenfchaft" gehalten wurde. Die Uni?

verfit?t hatte die Abficht, jenen Zyklus in Buchform zu ver?ffent?

lichen; das Manufkript wurde 1930 in Druck gegeben und fogleich

gefetzt und korrigiert. Nachdem der Vortrag nebft mehreren an?

deren einige Jahre im Satz geftanden hatte, mu?te infolge widriger Umft?nde auf die Herausgabe des Buches verzichtet werden.

Dem Zweck, den die Betrachtungen in ihrem erften Rahmen ver?

folgten, k?nnen fie vielleicht auch hier und jetzt noch dienen;

deshalb wird der Vortrag in der ?Erkenntnis" abgedruckt, obgleich feine Grundgedanken den Leiern diefer Zeitfchrift nicht neu fein

d?rften. Es erfchien dem Verfaffer geraten, die kleine Arbeit in

ihrer urfpr?nglichen Form zu laffen; er fah alfo davon ab, die

damals gew?hlten Formulierungen durch folche zu erfetzen, deren

er fich heute bedienen w?rde, wenn er das Thema neu zu be?

handeln h?tte.

Man ipricht oft von dem ?Weltbilde", das die Naturwiffenichaft

von der Wirklichkeit entwirft. Ein Bild ill zum Anfchauen da; das

Weltbild dient der Weltanfchauung. Weltanichauung aber ift, wie

man allgemein zu iagen pflegt, Sache der Philoiophie. Damit icheint

dann das Verh?ltnis der Naturwiffenichaft zur Philoiophie ange?

geben zu ?ein: die eine liefert ein Bild der Welt, die andere ben?tzt

es (vermutlich zuiammen mit den von anderen Wiffenichaften ent?

worfenen Bildern) zum Aufbau einer Weltanfchauung. Nach diefer allgemeinen Anficht w?ren alfo die Ergebniffe der

Wiffenichaft das Material, aus dem der Philofoph fein Syftem baut.

Meift f?gt man noch hinzu, da? ihm dies Material doch nicht ganz

fertig geliefert werde, fondern da? er es zuerft bearbeiten muffe, indem er das wiffenichaftliche Verfahren und feine Fundamente

felbft noch einer Kritik unterzieht. Ungef?hr fo wird in den Lehr

26 Erkenntnis IV

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38o Moritz Schlick

b?chern der Philofophie ihre Aufgabe gew?hnlich dargeftellt; die Kritik der Grundlagen wird der ?Erkenntnistheorie" zugewiefen, die Errichtung des Syftems den ?brigen ?philofophifchen Difzipli

nen", welche ichlie?lich in die ?Metaphyfik" einm?nden. Dort

werde dann aus den Ergebniffen der Einzelforfchung die Welt

anfchauung gewonnen und damit das eigentliche Ziel alles Philo

fophierens erreicht.

Nach diefer Meinung fiele der Philofophie die ?u?erft dankbare

Aufgabe zu, die Einheit aller wiffenfchaftlichen Erkenntnis wieder

herzuftellen, die in der neueren Zeit durch die ftets fortichreitende

Spezialifierung der Forfchung immer mehr verloren zu gehen fcheint.

Den ungeheuren Stoff, der durch immer neue Entdeckungen unferem

Erkenntnisftreben dargeboten wird, auch nur ann?hernd zu ?ber

fchauen, ift heute keinem einzelnen mehr m?glich. Ein Literatur

forfcher wei? im allgemeinen wenig von der Chemie, ein Hiftoriker

der italieniichen Renaiffance wenig vom alten ?gypten, ein Kenner

der Ornithologie wenig von der Protozoenkunde, obwohl doch bei?

des Gebiete der Zoologie find. Der kleinere und fchulmeifterliche

Geift freut fich ?ber diefe immer weiter getriebene Teilung und

Aufrichtung von Scheidew?nden, weil fie ieinem Bed?rfnis nach Zer?

kleinerung des Stoffes entfpricht, und triumphierend erfindet er

immer ?neue Wiffenfdiaften"; der echte Forfcher und tiefere Menfch

aber leidet unter der Zerfplitterung des Wiffens und der Verengung der Horizonte. Denn Erkenntnis ift ihrem Wefen nach Verein?

heitlichung und Verbindung, nicht Spaltung und Trennung, fie mu?

daher ftets einer gefchloffenen Gefamtauffaffung zuftreben, und

vermag fie eine folche in den Einzelwiffenfchaften nicht zu finden, fo ?ucht fie fich dar?ber hinaus zur Philofophie, zur Metaphyfik zu

erheben, die mit dem Verfprechen einer Weltanfchauung lockt.

Tr?fe die gefchilderte Anficht vom Wefen der Philofophie das

Richtige, fo w?rde meine Aufgabe darin beftehen, den Anteil zu

befehreiben, den die Naturwiffenfchaften und ihre Refultate an der

Gewinnung einer Weltanfchauung haben; und in der Tat kann man

das, was ich fagen m?chte, in diefem Sinne deuten. Dennoch m?chte

ich eine andere Formulierung und Interpretation vorziehen, weil ich

die befchriebene landl?ufige Auffaffung f?r zu oberfl?chlich halte.

Sie fcheint mir weder fachlich noch hiftorifch begr?ndet zu fein und

nicht in die Tiefe der Schwierigkeiten vorzudringen, durch welche

die Philofophie in der neueren Zeit fich felbft zum Problem wurde

und immer wieder nach ihrer eigenen Berechtigung und ihrem

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Philofophie und Naturwiffenfchaft 381

eigenen Wefen fragen mu?te. Der richtige Kern, den jene Auf?

faffung enth?lt, liegt in betr?chtlicher Tiefe und mu? erft blo??

gelegt werden.

Zun?chft einmal: es ill im Grunde gar nicht wahr, da? ?die Wiffenfchaft" in zahlreiche Einzeldifziplinen zerfallen ift. Die Grenzen zwifchen ihnen find nur feheinbar und verfehwinden, fo?

bald man den Unterfchied beachtet zwifchen den Wiffenfchaften

felbft und dem Betriebe der Wiffenfchaften. Die Trennungen be?

ftehen nur innerhalb des Betriebes, fie liegen in den praktifchen Methoden und Veranftaltungen des Forfehens, alfo in den Ver?

haltungsweifen des Menfchen der Wiffenfchaft gegen?ber. Diefe

felbft aber ill das Syftem der Erkenntnis, das zufammenh?ngende Ganze der wahren S?tze ?ber die Wirklichkeit. Da gibt es keine

willk?rlichen Teilungen, fondern die Wahrheiten find von Natur

miteinander verkn?pft, indem fie auseinander ableitbar find oder

fich auf diefelben Gegenft?nde beziehen. Und jeder Fortfehritt der

Erkenntnis (dies ill gerade das Wefen der Erkenntnis) f?hrt zu

einer weiteren Verbindung wahrer S?tze untereinander, zu einem

engeren Zufammenhang, alfo gerade zum Gegenteil der Zerfplitte

rung. Die echte Wiffenfchaft, das Syftem der Erkenntnis, kann alfo

durch den Fortfehritt nur immer einheitlicher werden, und ift auch

tatf?chlich immer mehr zu einer Einheit geworden; die verfchiedenen

Erkenntnisgebiete find heute viel mehr aufeinander reduziert, als es

jemals fr?her der Fall geweien ift. Und dies, obgleich, nein, weil

die Zahl der wiffenichaftliehen Inftitute immer gr??er, der For

fehungsbetrieb immer mannigfaltiger wurde. Die durch die Einzel?

difziplinen entdeckten Wahrheiten verhalten lieh zueinander nun

nicht etwa fo, da? fie, jede f?r lieh, nur relativ w?ren, nur einfeitige Anflehten b?ten und erft durch alle ?brigen Anfichten erg?nzt wer?

den m??ten, um wirklich wahr zu werden. Eine folche von man?

chen Philofophen (wie etwa Bradley) vertretene Meinung ent?

h?lt einen fchweren Verflo? gegen die Logik. (Der Fehler, den fie

begeht, ill etwa der, da? fie glaubt, an Stelle des Satzes ?es ill ziem?

lieh kalt" fagen zu d?rfen: ?es ill nicht ganz wahr, da? es kalt ift, aber ziemlich wahr.") Sondern jeder Satz, bei deffen Gewinnung keine Irrt?mer oder Fehler unterlaufen find, ill f?r fich felbft voll?

kommen wahr, er ill ein Teil der ganzen Wahrheit, nicht blo? eine

Ann?herung an fie oder ein Afpekt von ihr. (Enth?lt er aber einen

Fehler, fo ill er eben einfach falfch und wiederum kein Afpekt der

Wahrheit.) Dadurch, da? die Erkenntnis von einzelnen wahren

26*

Page 5: Philosophy And Science

3%2 Moritz Schlick

S?tzen zu immer allgemeineren auffteigt, fchlie?en fich die Teile von

felbft zu einem Ganzen zufammen. Es find nicht Fragmente, fon?

dern Teile eines Organismus. Daf?r, da? die Einzeldifziplinen durch das Allgemeinerwerden ihrer S?tze und die Erweiterung ihrer

Gebiete zuletzt miteinander verfchmelzen, findet man in der Natur?

wiffenfchaft allbekannte Beifpiele. So find die in phyfikalifchen Lehrb?chern oft noch nebeneinander aufgez?hlten Lehren der

Mechanik, Akuftik, W?rmelehre, Optik und des Elektromagnetis? mus im Prinzip l?ngft miteinander vereinigt: die Akuftik ift ein Teil der Mechanik geworden, die Optik ein Teil der Elektrizit?tslehre, die W?rmelehre ift teils in die Elektrodynamik, teils in die Mechanik

?bergegangen, und die Verfchmelzung diefer beiden letzten Difzipli nen ift, wenn auch gegenw?rtig nicht ganz vollzogen, gewi? eine

Sache der n?ehften Zukunft.

Aber weiterhin hat die Phyfik die Chemie bereits fall vollft?ndig in fich aufgenommen, eine Trennung dieier Wiffenfchaften von der

Biologie und Phyfiologie ift fchon ganz undurchf?hrbar, durch die

letztere wird die Verbindung mit der Pfychologie hergeftellt, und

diefe wieder fchl?gt die Br?cke zur Gefchichte und zu den Geiftes

wiffenfchaften ?berhaupt. So ill die Wiffenfchaft eine Einheit. Sie ill kein Mofaik, kein

Hain, in dem verfchiedene Baumarten nebeneinander ftehen, fon?

dern ein Baum mit vielen Zweigen und Bl?ttern. Sie gibt die Er?

kenntnis der Einen Welt, die auch nicht in verfchiedene Wirklich?

keiten auseinanderf?llt ? z. B. nicht in ein Reich der Natur und ein

Reich des Geiftes; denn der durch diefe Worte bezeichnete Unter?

fchied ill nicht ein Unterfchied im Wefen der Sache, fondern wieder

nur eine Verfchiedenheit des Foridmngsbetriebes, n?mlich der

Verfahrungsweifen der iogenannten Geiftes- und Naturwiffenichaf

ten. Je h?her der Standpunkt, von dem man die Dinge betrachtet, um io mehr erkennt man alle Scheidew?nde zwiichen den Wiffen

ichaften als zuf?llig und unweientlich, um io deutlicher offenbart

fich der Zufammenhang im Syftem der Wahrheit.

Bei diefer Sachlage (die hier nur fkizziert, nicht wirklich begr?ndet werden konnte) erhebt fich die Frage: Wenn die Wiffenfchaften

fchon von felbft durch ihre eigene Arbeit zu einer Einheit zu

fammwachfen, wie kann es da noch einer neuen Wiffenfchaft, der

Philofophie, bed?rfen, um nachtr?glich zufammenzufchmieden, was

fchon von Natur gar nicht getrennt war? Und weiter: Wollte

etwa die Philofophie das von der Wiffenfchaft entworfene einheit

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Philofophie und Naturwiffenfchaft 383

liehe Weltbild nur benutzen, um darauf die Weltanfchauung als

etwas Neues zu erbauen ? woher nimmt fie das Material zu diefem

Geb?ude? Stammt es aus dem Weltbilde felbft, weshalb konnte dann

die einheitliche Wiffenfchaft es nicht fchon vollkommen auswerten?

War es aber darin noch nicht enthalten, wie vermag die Philofophie denn aus der leeren Luft jene Erkenntniffe herabzuholen, die fie f?r

die Bildung der Weltanfchauung gebraucht? Es gibt doch wohl au?er

den wahren S?tzen ?ber die Welt nicht noch andere, die au?erhalb

des Bereichs jeder m?glichen Wiffenfchaft l?gen? Die Antwort auf folche Fragen kann ich wiederum hier nicht be?

gr?nden, fondern nur kurz formulieren. Sie lautet: Die Philoiophie ill tati?chlieh ?berhaupt keine Wiffenichaft, d. h. kein Syftem von

Erkenntniffen, fondern ein Tun, und zwar diejenige (die Seele alles

Forfchens bildende) T?tigkeit, durch welche der Sinn aller zur Er?

kenntnis n?tigen Begriffe erkl?rt wird. Sie befteht in den Akten

der Sinngebung oder Sinnfindung, die allen in unferen S?tzen auf?

tretenden Worten erft Bedeutung verleihen; nur Akte n?mlich, nicht

etwa S?tze k?nnen dies leiften, da jeder Satz wieder erl?uterungs?

bed?rftig w?re und es fo ins Unendliche fortgehen w?rde.

Zur hiftorifchen Beft?tigung diefer Auffaffung will ich nur an?

f?hren, da? in fr?hefter Zeit (eigentlich fogar bis ins fiebzehnte, achtzehnte Jahrhundert hinein) das Wort Philofophie zur Bezeich?

nung der theoretifehen Wiffenfchaft ?berhaupt verwendet wurde; es war das eben die Zeit, in der die Forfchung noch fall ganz damit

befch?ftigt war, die wiffenfchaftlichen Begriffe durch immer neue

Definitionsakte und Tatfaehenhinweife erft zu fchaffen, alfo einen

wiffenfchaftlichen Sinn der Worte herauszuarbeiten. Und wenn,

hauptf?chlich im neunzehnten Jahrhundert, Philofophie oft einfach

mit Erkenntnistheorie gleichgefetzt wurde, fo ill darin gleichfalls ein

unvollkommener Ausdruck des richtigen Gedankens zu erblicken, da? man fich in der Philofophie um die Kl?rung des Sinnes der

wiffenfchaftlichen Erkenntniffe bem?ht, alfo um die L?fung der

Frage, was wir mit unferen Urteilen eigentlich meinen. Metaphyfik freilich wird durch unfere Auffaffung unm?glich gemacht, aber

hierin liegt gerade eine weitere hiftorifche Beft?tigung, denn der

Mi?erfolg und endlofe Streit der Metaphyfiker erkl?rt fich eben aus

ihrem Irrtum, da? fie die Philofophie f?r ein Syftem von Erkennt?

niffen hielten und der Meinung waren, die Weltanfchauung ent?

liehe aus dem wiffenfchaftlichen Weltbilde durch Hinzuf?gung neuer ?

metaphyfifcher ?

S?tze, durch welche alle einzelwiffen

Page 7: Philosophy And Science

384 Moritz Schlick

fehaftliehen Wahrheiten in ein ?bergeordnetes, umfallendes Syftem

eingef?gt w?rden.

In Wahrheit ill es fo, da? der ?bergang vom Weltbilde zur

Weltanfchauung einfach dadurch gefchieht, da? man lieh nur den

Sinn des Weltbildes v?llig deutlich macht, da? man fich klar ver?

gegenw?rtigt, was mit ihm eigentlich gemeint ill ? ?hnlieh wie das

?Anfehauen" eines Kunftwerkes im Gegenfatz zur blo?en Wahr?

nehmung desfelben darin befteht, da? die einzelnen Farben und

Formen eine beftimmte Bedeutung annehmen, etwas darfteilen, dem

Befehauer etwas fagen. Anders ausgedr?ckt: das Weltbild wird

zur Weltanfchauung nicht durch Hinzuf?gung neuer Gedanken, fondern dadurch, da? man es ver fteht.

Das Verftehen in diefem Sinne ill die eigentliche Leiftung der?

jenigen T?tigkeit, welche Philofophie hei?t. Und fie ift nat?rlich nicht eine befondere T?tigkeit neben der wiffeniehaftliehen For?

fchung, fondern fie geh?rt zu ihr, ja fie ill gleiehfam ihre Seele. Wo

der wiffenfchaftliche Betrieb lieh um Bedeutung und Sinn der

Grundbegriffe und Ausfagen bem?ht, da ill er philofophifeh; der

Forfcher, der den Sinn jedes feiner Sehritte und Refultate wirklieh

verlieht, ill damit zugleich Philofoph. Alle gro?en Forfcher find

auch tatf?chlich wahrhaft philofophifche K?pfe gewefen.

Jetzt find wir gen?gend vorbereitet, um die Aufgabe, die unfer

Thema uns ftellt, richtig zu formulieren. ?ber Philofophie und

Naturwiffenfchaft nachdenken hei?t nicht, das Verh?ltnis zweier

Wiffenfchaften zueinander betrachten; es bedeutet nicht eine jener

beliebten, aber langweiligen Unterfuchungen der Art und Weife, wie zwei Difziplinen einander n?tzen und anregen, lieh gegenfeitig vorausfetzen und auch begrenzen; wir haben nicht davon zu

fprechen, was der Naturforfeher f?r den Philofophen tun mu?, oder

was die Philofophie f?r die Naturforfchung tun kann; fondern es

handelt lieh f?r uns um jenen eigent?mlichen Proze?, durch den die

wahre Bedeutung der naturwiffenfchaftlichen Begriffe entdeckt, und

von ihnen ausgehend die Weltanfchauung geformt wird. Diefen

Proze? felber haben wir hier nicht zu fehildern, fondern nur feine

Leiftung mit einigen Strichen zu eharakterifieren.

Und da ftelle ich nun die allgemeine Behauptung auf, da? inner?

halb der einheitlichen Wiffenichaft die iogenannten naturwiffen

fehaftlichen Begriffe ? oder vielmehr die Grundbegriffe unter

ihnen ? diejenigen find, durch deren Kl?rung die wefentlichen Z?ge

der Weltanichauung allein entftehen. Nach dieier Theie beftimmt

Page 8: Philosophy And Science

Philofophie und Naturwiffenfchaft 385

eben die Naturwiffenfchaft die Grundz?ge des Weltbildes, daher

fpielen ihre Begriffe die fundamentale Rolle, ihre Analyfe f?hrt am

tiefflen ins ?Wefen der Dinge", die Naturwiffenfchaft ift unter

allen Difziplinen am meiften philofophifch, ganz im Gegenfatz zu

der jetzt ?fter geh?rten Meinung, fie betrachte die Welt im Grunde

nur ?von au?en", und man muffe die entfeheidenden letzten Auf?

kl?rungen in ganz anderen Gefilden fuchen.

Den Rechtsgrund f?r die foeben aufgeftellte Behauptung habe

ich jetzt auszuf?hren. Er liegt, kurz gefprochen, darin, da? die

naturwiffenfehaftliche Methode (wir wiffen ja, da? es fich um eine

Methode handelt) an die Bearbeitung der Begriffe bei weitem die h?chften Anforderungen Hellt und dadurch den Proze? der Ent?

deckung des letzten Sinnes unferer Ausfagen ?ber die Wirklichkeit

am meiften gef?rdert hat. Da? keine andere Methode auch nur an?

n?hernd zur gleichen Verfeinerung der Begriffe f?hrt, erkennt man

?u?erlich daran, da? es der Naturwiffenfchaft allein vorbehalten ift, das Stadium der ?Exaktheit" zu erreichen, was ja nur bedeutet, da?

die Form ihrer Begriffe durch die Mathematik beftimmt wird; und

diefe wiederum ill ja keineswegs eine eigene Wiffenfchaft von

irgendwelchen geheimnisvollen ?idealen Gegenft?nden", fondern gar nichts anderes, als die durch einen gefchickten Symbolismus vervoll?

kommnete Methode der Logik. Ich wei? wohl, da? die logifche Verfeinerung, die Exaktheit der

naturwiffenfchaftlichen Grundbegriffe, von vielen keineswegs als

ausreichendes Symptom derjenigen Eigenfchaften angefehen wird, auf die es hier ankommt; da? es dies aber wirklich ift, k?nnte erft

durch eine erkenntnistheoretifehe Analyfe dargetan werden, f?r die

hier kein Platz ift. Deshalb deute ich auf einige andere Umft?nde

hin, an denen fich die weltanfchauung-bildende Kraft der natur?

wiffenfchaftlichen Methode, d. h. die philofophifche Bedeutung des von ihr gefchaffenen Weltbildes, augenf?llig zeigt.

Der erfte ift die hiftorifche Tatiache, da? die gro?en Wandlungen der Weltaniehauung in der Geiftesgeichichte, die gro?en ?nderungen in der geiftigen Einftellung des Menichen zur Welt, fich immer ab

geipielt haben im Anichlu? an und bedingt durch tiefdringende oder weitreichende Naturerkenntniffe, die dem Naturbilde ihrer Zeit die

charakteriftifchen Z?ge gaben. Wir brauchen uns nur daran zu er?

innern, welchen ungeheuren Einflu? auf die Gem?ter der Menfchen

der ?bergang vom Ptolem?ifchen zum Copernikanifchen Kosmos

hatte: diefe aftronomifche Errungenfehaft, die den Menichen aus dem

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386 Moritz Schlick

Zentrum der Welt hinauswies und im Geiftesleben auf der Erde io

gewaltige Erfch?tterungen erzeugte, da? wir fie heute eigentlich ihrer Urfache gar nicht mehr f?r angemeffen halten. Wir brauchen

nur zu erinnern an den weltanfchaulichen Aufruhr, den die bio?

logifche Entwicklungslehre im vorigen Jahrhundert im Gefolge

hatte, wo etwa der Name Darwin f?rmlich die Rolle eines Streit?

rufes fpielte ? und auch das war eine rein naturwiffenfchaftliche

Theorie.

Vielleicht betrachtet man derartige Beifpiele nicht als beweis?

kr?ftig, indem man fagt, in diefen und ?hnlichen F?llen h?tten

naturwiffenichaftliche Gedankenbildungen eben zu Unrecht einen

beherrfchenden Einflu? auf die Weltanfchauung lieh angema?t; dem

Weifen fei es klar, da? es f?r das Wiehtigfte am Wefen der Welt

gleichg?ltig fei, ob die Erde im Mittelpunkt des r?umlichen Kosmos

liehe oder nicht, ob der Menfch ein Glied in der Entwicklungsreihe der Tiere bilde oder nicht. Ohne die Triftigkeit diefes Bedenkens

zu unterfuchen, wollen wir doch um feinetwillen auf die Anf?hrung weiterer Beifpiele jener Art verzichten und ftatt deffen ft?rkeres

Gefch?tz auffahren. Dabei verlaffen wir zun?chft nicht das Gebiet

der hiftorifchen Tatfachen.

Wir richten den Blick auf die Syfteme der gro?en Denker und

fehen zu, welchen Anl?ffen und welcher geiftigen Atmofph?re ihre

fruchtbaren Ideen den Urfprung verdanken. Da finden wir, da?

die abendl?ndifche Philofophie nicht nur ?berhaupt mit der Natur?

betrachtung anhebt, fondern da? jeder enticheidende Fortichritt,

jede bedeutiame Wendung in ihr immer geichah im Zuiammenhang mit der Naturerkl?rung und in der Atmoiph?re mathematiicher

Exaktheit, und da? fie auch nur aus dieiem Zuiammenhang und

dieier Atmoiph?re zu begreifen find.

In der ?berragenden Geilalt Pia tos ift es durchaus ein wef entlicher

Zug, da? er Mathematiker war. Der Geift, in dem er philofophierte und feine Sch?ler zu philofophieren anleitete, ift deutlich genug ge?

kennzeichnet durch die ber?hmte Warnung ?ber die Pforte feiner

Akademie: f?r?delc ayeco[iSTQr?Toc s?g?tcd. Er war vielleicht kein ge?

ringerer Mathematiker als D e m o k r i t, fein Zeitgenoffe, deffen

Weltauffaffung fo ganz andere Z?ge tr?gt und an den eine ganz

andere Entwicklung fich anfchlie?t. Der Gegeniatz Plato ?

D e m o k r i t ent?pricht einem gewiffen fundamentalen Gegenf?tze, der lieh in den verfehiedenften Formen bis in die Weltanfehauungen der Gegenwart hineinzieht und durch die vieldeutigen Termini

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Philofophie und Naturwiffenfchaft 387

Idealismus und Realismus nur unvollkommen gekennzeichnet wird.

Es ift h?chft bemerkenswert, da? beide, nicht etwa nur der mate

rialiftiiche Demokritismus, das Siegel desfelben Geiftes exakter For?

fchung und mathematifcher Schulung tragen. Es ift bekannt, welches Verdienft Ariftoteles um die Natur

forfchung hat, und es d?rfte allgemein zugeftanden werden, da? das

Mittelalter im gro?en ganzen auf die Anwendung der A r i ft o -

tel ifchen Prinzipien fich beichr?nkt und keine originellen Fort

fchritte aufzuweifen hat, weil es vor felbft?ndiger Naturbetrachtung und damit vor der Neubildung naturwiffenfchaftlicher Begriffe zur?ckfcheute. Das Wiedererwachen felbft?ndiger philofophifcher

T?tigkeit in der neueren Zeit und die Entftehung der modernen

Naturwiffenfchaft gehen nicht blo? Hand in Hand, fie find nicht blo? verfchiedene ?u?erungen einer und derfelben Grundeinftellung, fondern fie find letzten Endes ?berhaupt ein und derfelbe Proze?.

Die Namen der gro?en Philofophen jener geniuserf?llten Zeit find

aus der Gefchichte der Naturwiffenfchaft, die Namen der gro?en Naturforfcher aus der Gefchichte der Philofophie nicht wegzu?

denken. Es gab keine Trennung philofophifcher und naturwiffen?

fchaftlicher Probleme. Man denke an die gewaltigen Namen des 16.

und 17. Jahrhunderts! Descartes, den man nach Francis

Bacon nicht mit Unrecht den Vater der neueren Philofophie nennt, war der Erfinder der Analytifchen Geometrie; und wenn ein

Student der Philofophie fein gr??tes Buch auffchl?gt, fo ift er er

ftaunt, zu finden, da? es ebenfogut ein naturwiffenfchaftliches wie

ein philofophifches Werk ift. Von fich felbft aber fagt Descar?

tes: ?Omnia apud me mathematica fiunt". ? Bei Spinoza ift

der mathematifeh-naturwiffenfchaftliche Geift als treibende Kraft

und auch als Quelle feines Philofophierens fo offenkundig, da? man

ihn fchon aus der Form feines Stiles ablefen k?nnte, auch wenn er

nichts ?ber den Begriff der Wahricheinlichkeit und ?ber den Regen?

bogen geichrieben h?tte. Von ieinen Briefen handelt der vierte Teil

von phyfikaliichen Experimenten, zum Teil auch eigenen. ?

Leibniz, vielleicht der bedeutendfte Denker, den die Welt ge iehen hat, Philoioph, Hiftoriker, Jurift, Mathematiker und Phy?

fiker, der fich mit Newton in den Ruhm der Erfindung der

Differentialrechnung teilt, legt in allen feinen Schriften, von der

Theodizee und Monadologie bis zur Mathesis universalis wie kein

anderer daf?r Zeugnis ab, da? die philofophifche T?tigkeit den Geift der Exaktheit zum Vater und die Naturbetrachtung zur Mutter

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388 Moritz Schlick

hat. ? Und dann Kant! Der ganze Kern feiner Philofophie

liegt ? wenn dies auch manchmal (und zuweilen aus blo?er

Neuerungsiucht und Freude am Paradoxen) beilritten wurde ? in

der Kritik der reinen Vernunft, alfo in feiner Erkenntnistheorie.

Und feine Erkenntnistheorie ill durchaus nichts anderes als ein

gigantifcher Verfuch, die Begriffe der Newton fehen Natur?

wiffenfchaft zu kl?ren, der wahren Bedeutung von Raum, Zeit,

Subftanz, Kaufalit?t auf den Grund zu kommen und von da aus

den Grundri? einer Weltanfchauung zu zeichnen. Von Kants

gro?en naturwiffenfehaftlichen Schriften find die ?ber die Ent?

ftehung des Sonnenfyftems (?Naturgefchichte und Theorie des

Himmels") und jene ungl?ckliehe ?ber das Ma? der lebendigen Kraft noch allgemein bekannt; weniger bekannt ift, da? er bis zu

feinem 46. Jahre 14 naturwiffenfchaftliche Arbeiten ver?ffentlicht

hat, denen nur 11 philofophifche gegen?berftehen. Noch k?rzlich

las ich bei dem englifehen Mathematiker und Philoiophen Whitehead (Science and the Modern World) die Behauptung,

da? Kant notwendig ein gro?er Phyfiker geworden w?re, wenn nicht

das philoiophiiehe Bem?hen ieine Energie ganz in Anipruch ge? nommen h?tte. Ich k?nnte mich dieier Behauptung kaum *an

ichlie?en ? aber wie dem auch fei, es ill ficher, da? die Kant fehe

Philofophie ohne den mathematifch-naturwiffenfchaftliehen Hinter?

grund im Geifte ihres Urhebers nicht h?tte entftehen k?nnen.

Ich will nicht mehr Namen h?ufen, und vom 19. Jahrhundert

fpreche ich erft fp?ter, weil die Dinge dort feheinbar anders liegen; doch kann ich auch f?r diefe Zeit unter den Philofophen einftweilen

den Mediziner L o t z e und die Phyfiker Feehner und Mach

erw?hnen.

Es gibt gar keine Gegenbeifpiele. George Berkeley, deffen

Philofophie eine epochemachende hiftorifche Bedeutung hat, war

zwar feines Zeichens ein Bifchof, aber auch der Verfaffer einer

naturwiffenfehaftlichen Geift atmenden Schrift ?ber die Theorie des

Sehens, und diefe letzte ill fieherlieh mehr eharakteriftifch f?r feine

geiftige Geftalt als feine Theologie. ? Man k?nnte nun etwa auf

Hume hinweifen, der in den Naturwiffenfchaften nichts, als Hifto

riker aber Bedeutendes geleiftet hat. Jedoch gerade fein Beifpiel

zeigt die Richtigkeit unferer Auffaffung ?u?erft fchlagend. Denn

fein Philofophieren kn?pft nirgends, aber auch in gar keinem

Punkte, an gefchiehtliche Begriffe, an die Methode der Hiftorie an;

nicht von dort aus gelangt er zu feiner Weltanichauung. Als Kri

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Philofophie und Naturwiffenfchaft 389

tiker der Begriffe der Kaufalit?t und des Ich unterfucht er nicht

etwa eine Kauialit?t des hiftoriichen Geichehens (von der damals

nicht die Rede war), nicht einen Begriff des hiftorifchen Individuums, fondern er verdankt alle feine Beifpiele und den Stoff feines Nach?

denkens der Phyfik und der Pfychologie, alfo den beiden Difzipli nen, die gleichfam die ?u?ere und die innere Natur mit fcharfen

Begriffen zu faffen fuchen. Auch er, der Hiftoriker, holte alfo alle

Impulfe feiner Philofophie aus der naturwiffenfchaftlichen Methode.

Aus dem Altertum ill Sokrates als Feind von Spekulationen ?ber die Natur ber?hmt. Aber an Sinn f?r das Mathematifche

fehlte es diefem au?erordentlichen Geilte nicht, ja feine Unzufrie?

denheit mit der Naturphilofophie erkl?rt fich gerade daraus, da? es

damals keine M?glichkeit gab, die kosmologifchen Fragen mit exak?

ten Begriffen zu behandeln. Er fetzte fich die Aufgabe, die Natur

des Menfchen mit Hilfe folcher Begriffe zu erkennen, und gab da?

durch die ungeheuren Anregungen, welche in die Jahrhunderte fort?

wirkten.

Beenden wir die hiftorifche ?berfchau. Es ift leicht, alle Ein? w?nde gegen unfere Thefe von der ganz eigenartigen dominieren?

den - Bedeutung der Naturwiffenfchaft f?r die Weltanfchauung

vorauszufehen. Ich bin bereit, ihnen zu begegnen. Man wird nicht fagen, da? es bei den angef?hrten Beifpielen

gro?er Denker fich um das halb zuf?llige Parallelgehen zweier Be?

gabungen, der philofophifchen und der exakt-naturwiffenfchaftliehen

handle, oder wenn auch um eine notwendige Union, fo doch nur um

eine Perfonalunion in der Perf?nlichkeit des Philofophen ? denn

die Analyfe der gro?en Syfteme zeigt unwiderfprechlich den innigen inneren Zufammenhang zwifchen der Bildung naturwiffenfchaft

licher Begriffe und der philofophifchen T?tigkeit ?; aber man wird

vielleicht fagen, und es ift fchon gefagt worden, da? au?er jenem inneren Zufammenhang noch andere, vielleicht noch innigere be?

ftehen, aber folche, die erft in einem fehr fp?ten Entwicklungs ftadium der Wiffenfchaften aufgedeckt werden k?nnten. Diefes

Stadium fei jetzt erreicht, und der Anichlu? der Philoiophie an die

mathematiieh-naturwiffenichaftliche Grundlage, der fr?her aller?

dings der allein m?gliche war, muffe nun erg?nzt werden durch den

Anichlu? an die Kulturwiffenfchaften oder Geifteswiffenichaften.

Diefe, in der neueren Zeit m?chtig emporgebl?ht, feien fich nun

ihrer Eigenart v?llig bewu?t geworden und erh?ben mit Recht den

Anfpruch, in der Weltanfchauung ein Wort mitzufprechen, ja fogar

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390 Moritz Schlick

das enticheidende Wort, denn dieie Diiziplinen konzentrierten fich

gerade auf denjenigen Punkt der Welt, an dem allein ihr innerftes

Weien fich offenbart, n?mlich auf den menichlichen Geift. In fich

felbft fehe er die Welt, wie fie wirklieh an fich felber ift, und die Wiffenfchaften vom Menichlichen ieien es daher, die uns den

Schl?ffel zum letzten Weltverft?ndnis reichen muffen. ? Noch ehe

dieie prinzipielle Forderung aufgeftellt war, habe etwa das Beiipiel

Hegels ichon gezeigt, wie ein philo?ophi?ches Syftem und eine

Weltaniehauung auf der Balis hiftorifcher Begriffe fich erbaue ?

mit dem 19. Jahrhundert emanzipiere lieh daher die Philofophie von der Einfeitigkeit der Naturerkenntnis. In unferer Zeit fei nun

die Theorie der geifteswiffenfchaftlichen Erkenntnis fo weit ent?

wickelt, da? fie f?r uniere Weltaniehauung eine Rolle ipielen k?nne, die etwa derjenigen der Newton ichen Naturerkenntnis f?r das

Kant iche Syftem ebenb?rtig fei.

Dieie Gedanken icheinen mir unzutreffend, und meine Gr?nde

daf?r mu? ich kurz entwickeln.

1. Zun?chft ift es irref?hrend (wie wir fchon wiffen), von geiftes wiffenfchaftlieher und naturwiffenfehaftlicher Erkenntnis als von

zwei Arten des Erkennens zu fprechen. Es gibt nur eine Erkenntnis; und man kann h?chftens fragen, ob wir ?ber dieie eine durch die

Analyie des geifteswiffenichaftlichen Verfahrens ganz neue Auf

fchl?ffe erhalten, und zwar tiefere als durch Zergliederung der

naturwiffenichaftlichen Begriffsbildung. Ich vermag kein Anzeichen

daf?r zu finden, da? dies der Fall w?re. Bei der Naturerkenntnis

gefchieht ein iolcher Fortichritt in der Zergliederung der Grund?

lagen immer durch die Entfaltung der Wiffenfchaft felber. Sie ge?

langt im Laufe der Entwicklung von felbft an gewiffe Punkte, wo

ein weiteres Fortichreiten nicht m?glich ift ohne eine tiefe Befinnung ?ber die wahre Bedeutung der Grundbegriffe, alfo nicht ohne die

philofophifche T?tigkeit; und gerade an der Phyfik unferer Zeit erleben wir, wie dadurch eine vertiefte Auffaffung uralter Beftand

ft?cke jeder Weltanfchauung ?

Subftanz, Raum, Zeit, Kaufalit?t ?

errungen wird. In den hiftorifchen Diiziplinen findet man dazu

keine Parallele. Es gibt keine erfolgreiche Erkenntniskritik, die nicht

mit einer ?nderung des Antlitzes der Wiffenichaft Hand in Hand

ginge, aber in den hiftorifchen Diiziplinen find io prinzipielle Revo?

lutionen nicht zu finden und nicht zu erwarten. Wir fehen zwar,

da? fehr viel ?ber die Grundbegriffe der Geifteswiffenfehaften dis

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Philofophie und Naturwiffenfchaft 391

kutiert und auch fehr viel Richtiges geiagt wird ? aber von einer

gro?en Umw?lzung von weltaniehaulicher Tragweite kann nicht

wohl die Rede iein. Auch ein ganz moderner Geichichtsichreiber

kann, wenn er ieine Aufgabe gut l?fen will, nicht prinzipiell anders

verfahren als etwa Macaulay oder Montesquieu oder felbft

Thukydides. Wie k?nnte es auch anders fein, da es auf dieiem

Gebiete nach dem Worte Rankes letzten Endes doch einzig und

allein darauf ankommt, m?glichft getreu darzuftellen, ?wie es

eigentlich gewefen ift"? Zur Befchreibung der Schickfale der Menfch

heit und alles Menfchlichen wird man ftets nur diejenigen Begriffe verwenden k?nnen, die auch zur Befchreibung des gerade gegen?

w?rtigen ?u?erlichen und geiftigen Zuftandes zur Verf?gung ftehen; ihre Verwendung f?r hiftorifche Zwecke bringt kein prinzipiell

neues Moment hinzu. Damit kommen wir zum zweiten Punkt.

2. Die eben erw?hnten, zur Befchreibung alles Menfchlichen n?ti?

gen Begriffe find n?mlich gar keine hiftorifchen, keine fpezififch geifteswiffenfchaftlichen. Es find zum gr??ten Teil folche, die fchon

im Leben und Treiben des Alltags gebraucht werden, aber alle

laffen fich, wenn man fich auf ihre wahre Bedeutung befinnt, letz?

ten Endes auf naturwiffenfchaftliche zur?ckf?hren, und zwar die

der ?u?erlichen Befchreibung ichlie?lich auf phyfikalifche, die der

geiftigen Befchreibung zuletzt auf pfychologifche. Mit anderen Wor?

ten, die Geifteswiffenfchaften oder Kulturwiffenfchaften haben

?berhaupt keine eigenen prinzipiellen Grundbegriffe, fondern fie

entnehmen diefe anderen Erkenntnisftufen; fie felbft haben es nur

mit daraus abgeleiteten komplizierteren Gebilden zu tun (ganz ?hn?

lich wie etwa die Meteorologie keine eigenen fpezififchen Funda?

mentalbegriffe hat, fondern alle aus der Phyfik entlehnt). In der

Tat: fofern uns die geifteswiffenfchaftlichen Methoden tiefe Ein?

blicke in das Wefen des Menfchen und damit der Welt gew?hren

(und wir danken ihnen wirklich oft folche Einblicke), gefchieht das ?berall durch die Pfychologie, die in ihnen enthalten ift, und deren

fich alle gefchichtlichen Difziplinen von jeher bewu?t bedient und zu deren F?rderung fie beigetragen haben. Die Pfychologie, welche

die Gefetze des Seelenlebens aus dem Verhalten des Menfchen ?

fei es in der Gefchichte, fei es im Laboratorium ? zu erkennen

ftrebt, mu? in unferem Zufammenhang, wie fchon bemerkt, durch? aus als Naturwiffenfchaft angefprochen werden. Aus ihr (lammen

die Begriffe, welche die Kulturwiffenfchaften der Philofophie dar?

reichen m?chten.

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392 Moritz Schlick

3. Wilhelm Windelband und Heinrich Rick er t, die lieh um die Abgrenzung der Ziele der naturwiffenfehaftlichen

Diiziplinen von denen der kulturwiffenichaftlichen gewiffe Ver

dienfte erworben haben, wiefen mit Recht darauf hin, da? es dem

Hiftoriker ftets um die Feftftellung einmaliger Tatfachen zu tun fei, w?hrend der Naturforfcher fich nur f?r allgemeine Gefetze inter

eifiere.

Nun werden aber die gro?en und kleinen Z?ge der Weltaniehau?

ung immer nur beftimmt durch die allgemeinen Z?ge des Weltbildes,

durch die Ge?etze des Geichehens. Denn nur bei Allgemeinbegriffen entlieht ?berhaupt die Frage nach der eigentlichen Bedeutung der

Worte und dem eigentlichen Sinn der S?tze, die dann durch die

erkl?renden, finngebenden Akte der Philofophie beantwortet wird.

Ein einzelnes Datum, irgendein Individuum, und fei es die bedeu

tendfte hiftorifehe Perf?nlichkeit, kann in der Weltaniehauung nie?

mals vorkommen; nur durch die allgemeinen Ge?etze, die fich in ihm

zeigen, kann es f?r fie irgendeine Bedeutung haben. Weltanfchauung hat es eben nur mit dem ?Wefen" zu tun, und das Wefen des

einzelnen wird dadurch angegeben, da? man die allgemeinen Ge?

?etze aufzeigt, denen es gehorcht. Hieraus folgt fofort, da? allein

die Naturwiffenfchaften das Material liefern, durch deffen Deutung

Weltaniehauung entlieht. Die geifteswiffeniehaftliche Methode macht

bei der individuellen Vielgeftaltigkeit der Welt felbft halt, ihr Ziel

liegt in der dem Allgemeinen entgegengeietzten Richtung. Nun find

zwar viele im Gegenfatz zu R i ck e r t der Meinung, da? es den

hiftorifchen Diiziplinen doch um die Aufftellung allgemeiner Ge?

?etze zu tun w?re, und ich bin weit davon entfernt, dies zu leug? nen. Aber es zeigt fich fofort, da? jene Diiziplinen in dem Augen?

blick, wo fie iolehes leiften wollen, lieh der naturwiffenichaftlichen

Denkweife innerhalb ihres eigenen Bereiches bedienen muffen. Sie

muffen die gefehichtliehen Vorg?nge als Naturprozeffe anfehen und

muffen fie als ein Gewirr von Urfachen und Wirkungen zu ver?

liehen fuchen und die Schickfale der V?lker etwa aus den phyfifchen Einfl?ffen von Klima und Landichaft und den pfychifchen Ein?

wirkungen ihrer F?hrer ableiten. So n?hern fich auch umgekehrt die Naturwiffenfchaften in ihren mehr befehreibenden Teilen (z. B.

Geographie) dem hiftorifchen Verfahren, fo da? auch praktifeh eine Trennung der Methoden undurchf?hrbar wird. Hier mu? man

meines Erachtens Driefch v?llig recht geben, wenn er meint

(?Theoretifche M?glichkeiten der Gefehiehtsphilofophie und ihre Er

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Philofophie und Naturwiffenfchaft 393

f?llung" in ?Geift und Gefellfehaft", Bd. I der Auffatzreihe, Kurt

B r e y f i g gewidmet, Breslau 1927), es g?be ?nicht eine der Natur?

lehre befonders eigene Methode, fondern ihre ,Methode' ift die des

fogenannten Denkens ?berhaupt: klare Begriffe, fcharfe Analyfe,

Wideripruchsfreiheit, Gewiffenhaftigkeit bei jedem Schritt."

4. Windelband und R i c k e r t haben ihre oben erw?hnten

Gedankeng?nge durch die richtige Bemerkung erg?nzt, da? die

kulturwiffenfehaftlichen Diiziplinen nat?rlich nicht irgendwelche

v?llig beliebigen Daten ermitteln und beichreiben wollen, iondern

aus der unerich?pflichen F?lle w?hlen fie nur folche Einzelheiten

aus, die, vom menfehliehen Standpunkt aus betrachtet, wertvoll find,

oder, was dasfelbe ift, eine Kulturbedeutung befitzen. Warum das?

Weil der Menfch fich f?r jene Einzeldaten felbft, f?r die blo?en Fakten an fich, ?berhaupt gar nicht intereffiert; er ich?tzt fie viel?

mehr nur, weil ihre Kenntnis ihm die M?glichkeit gibt, die Erleb?

niffe der Menichen fr?herer Epochen nachzuerleben, an ihnen inner?

lich teilzunehmen, die Vergangenheit in feiner eigenen Seele wieder

lebendig zu machen. Hinter dem feheinbar letzten Zweck des

geiileswiffenfehaftliehen Forfchers, der Befchreibung des Einzelnen, fteht in Wahrheit noch ein allerletzter Zweck: die Bereicherung der

Seele durch unmittelbares Nacherleben vergangener gro?er Gedan?

ken und Gef?hle. Mit anderen Worten: dem letzten Sinne nach

find die Geifteswiffenfehaften gar nicht rein theoretifch, d. h. auf

reine Erkenntnis eingeftellt, fondern fie dienen in letzter Linie dem

Erleben. W?hrend der wahre Zweck der Naturwiffenfchaften nur

die Befriedigung des Erkenntnistriebes ill (denn es bedarf wohl

keines Wortes dar?ber, da? fie nicht etwa um der Technik willen da

find, die vielmehr blo? eine nachtr?gliche Anwendung darfteilt), ift

die Wahrheit f?r die Kulturwiffenfehaften Mittel zum Zweck, frei?

lieh ein ganz unentbehrliches und erhabenes Mittel. Darin liegt bei?

leibe nicht irgendeine Zur?ekfetzung der geiileswiffenfehaftliehen

Diiziplinen, eher das Gegenteil. Denn es ill ja gerade ihre Sch?n?

heit und Macht und ihr unwiderftehlicher Reiz, da? fie lieh nur mit

dem Menichlichen im Dienfte des Menichlichen beieh?ftigen. Aber damit n?hern fie lieh der k?nftlerifehen und entfernen fie lieh von

der philofophifchen T?tigkeit. Die letztere kann in ihnen nur dort

anfetzen, wo fie mit der Erkenntnisgewinnung, der Aufdeckung wirklicher Zufammenh?nge befch?ftigt find, und dort verwenden

fie, wie eben hervorgehoben, diefelbe Methode wie die Naturwiffen?

fchaften, die aber in diefen zu einem ungleich feineren Infiniment

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394 Moritz Schlick

entwickelt ift ? und zwar durch die philoiophiiche Kl?rung der

Begriffe fo entwickelt ift. Der Weg der Philofophie f?hrt alfo, wenn man ihn auch bei den Begriffen der geifteswiffenichaftlichen

Difziplinen beginnen l??t, doch immer erft durch die naturwiffen

fchaftlichen hindurch. Von welcher Seite man die Sache alio auch

betrachten mag: es bleibt dabei, da? es das iogenannte natur

wiffenfchaftliche Weltbild ift, durch deffen Deutung die Welt?

anfchauung entfteht.

Der Grund f?r die ausgezeichnete Stellung des iogenannten naturwiffenichaftlichen Denkens gegen?ber der Philofophie liegt alfo darin, da? es diejenigen Begriffe oder Denkmittel umfa?t, zu

denen jede theoretifche, d. h. rein verftandesm??ige, auf allgemeinfte Wahrheiten losfteuernde Betrachtung f?hren und mit denen fie

arbeiten mu?. Die Geifteswiffenfchaften find dadurch ausgezeichnet, da? bei ihnen noch die wertende, nicht erkenntnism??ige Betrach?

tung hinzukommt. Die wertende Betrachtung aber liefert kein Bild

der Welt (fie kann h?chftens ein vorhandenes werten), denn der

Verftand ift eben feinem Wefen nach das abbildende Verm?gen, nur

er kann das Bild zeichnen; und um es io genau zu zeichnen wie

m?glich, mu? er fich derjenigen Formen bedienen, welche man die

naturwiffenichaftlichen nennt, auf der h?chften Stufe der Allge? meinheit alfo der mathematifchen. Es ift deshalb auch ganz unfinnig, zu fagen, was man manchmal iagen h?rt, da? das naturwiffen

fchaftliche Weltbild einfeitig fei und deshalb vor dem Aufbau der

Weltanfchauung von anderen Seiten her erg?nzt werden m??te. Das

w?re fo, als wollte man fagen, eine Mufik, die nur aus T?nen be

ft?nde, fei eine einfeitige Mufik, oder eine Dichtung, die nur aus

Worten beftehe, fei eine einieitige Dichtung. Es gibt nicht eine

naturwiffenichaftliche und eine geifteswiffenfchaftliche Weltanfchau

ung, ja es gibt nicht einmal eine wiffenichaftliche und eine nicht

wiffenfchaftliche, iondern es gibt nur die Weltanichauung, und fie

entlieht durch philoiophiiche Deutung des Weltbildes, welches der

Verftand gezeichnet hat. Das Mittel, deffen er fich dabei bedient,

ift die Naturerkenntnis.

Die Begriffe der hiftorifchen Difziplinen erfreuen fich ? das er?

fcheint nach dem Gefagten felbftverft?ndlich ? zum ?berwiegenden Teile einer fehr gro?en Lebensn?he. Im allgemeinen kann jeder Gebildete ein hiftorifches Werk lefen, denn die darin vorkommenden

Begriffe find ihm aus dem Leben vertraut. Das naturwiffenfchaft

liche Denken hat demgegen?ber den Nachteil, da? feine Sprache

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Philofophie und Naturwiffenfchaft 39$

gerade dort, wo fie ihre gr??te Vollkommenheit erreicht, au?er?

ordentlich fchwer verft?ndlieh ift; um ein modernes Buch ?ber mathe?

matifche Phyfik lefen zu k?nnen, mu? man jahrelang eifrig Mathe?

matik ftudiert haben. Die dabei verwendeten Begriffe find ?beraus

lebensfern ? fo fern, da? der Laie fich unm?glich eine Vorftellung machen kann von der L?nge des Weges, die zur?ckgelegt werden

mu?te, um von den ihm vertrauten allt?glichen Begriffen etwa zu

denen der modernen Quantendynamik oder der allgemeinen Relati?

vit?tstheorie zu gelangen. Die K?hnheit diefer Begriffsbildungen l??t denn auch alles hinter fich, was die Phantafie oder die Speku? lation der Philofophen bis dahin erfonnen. Der hohe Gedankenflug

gro?er Dichtungen und Syfteme befteht, genau betrachtet, immer in

der Verwendung k?hner Gleichniffe: Poet und fpekulierender Philo

ioph dr?cken das, was fie ?agen wollen, mit Hilfe fehr entfernter

Bilder aus, bei denen dann das, was fie trotz dem gro?en Abftande

mit dem gemeinten Tatbeftand gemeinfam haben, doppelt ?ber

rafchend und erleuchtend wirkt. Aber das Bild felbft befteht immer aus Elementen, die dem anfchauliehen Erleben des Alltags entflam?

men und h?ehftens bizarre Kombinationen von folchen bilden (z. B.

Kentauren, Planeten als lebende Wefen ufw.). W?hrend hier die

Phantafie fich nur in einer Umordnung anfehaulicher Vorftellungen

bet?tigt, l?ft fich das exakt-naturwiffenfchaftliche Denken verm?ge einer vereinten Anftrengung der Phantafie und der logifchen Analyfe feheinbar vollft?ndig vom Gewohnten, Anfchauliehen los und ge?

langt zu jener m?rchenhaften Abftraktheit und Allgemeinheit der

Begriffe, welche die mathematifche Phyfik wohl f?r viele ab

fehreckend, f?r alle aber bewunderungsw?rdig macht. Wer nur den

Weg verfolgt, den etwa die Mechanik von Archimedes ?ber Galilei und Newton zu Einftein zur?ckgelegt hat, kann nicht genug ftaunen ?ber die erhabene Menge von Geift, die zur Bew?ltigung diefes

Weges n?tig war und die nun in den fertigen Begriffen der Wiffen? fchaft aufgeh?uft ift. Da demgegen?ber die hiftorifchen Diiziplinen

nur mit Vorftellungen arbeiten, die denen des t?glichen Lebens, der anichaulichen Natur ganz nahe bleiben, io kann man lagen, da? in den Grundbegriffen der Geifteswiffenfchaften viel mehr Natur, in denen der Naturwiffenfchaften viel mehr Geift Heckt.

Noch einmal erinnere ich daran, da? der Entwicklungsproze? der

naturwiffenfehaftlichen Begriffe zum nicht geringen Teile dadurch

fortfehreitet, da? eine immer tiefer dringende Kl?rung ftattfindet, eine immer klarere Befinnung auf den wahren Inhalt der Begriffe, 27 Erkenntnis IV

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396 Moritz Schlick

wie er aus ihrem Gebrauche fich erichlie?t ? mit anderen Worten,

da? es die philofophifche T?tigkeit ift, welcher die naturwiffen fchaftliche Erkenntnis ichlie?lich die Sch?nheit ihrer Reiultate ver?

dankt. Die Naturforfchung fpricht nicht von der Philofophie, fon?

dern tr?gt fie in fich felbft; fie handelt nicht von Kulturerrungen

fchaften, fondern ift felbft eine der gr??ten. Wenn ich zum Schl?ffe das Fazit unierer Betrachtung des Ver

h?ltniffes der philoiophiichen zur naturforfchenden T?tigkeit noch

einmal formulieren darf, fo m?chte ich als eigentliches Ergebnis die

Einficht hinftellen, da? jene beiden T?tigkeiten nicht irgendwie ?u?er?

lich zufammenkommen, fondern da? es in ihrem Wefen liegt, un?

trennbar zufammenzuflie?en. Der Naturforfcher mu? Philofoph

fein, um die Grundbegriffe feiner Wiffenfchaft zu verftehen und

weiterzubilden; und der Philofoph kann zur Weltanfchauung nicht

anders gelangen, als vom Weltbilde der Naturwiffenfchaften aus.

Da? die Philofophie ihre Weltanfchauung nicht durch freie, felb?

ft?ndige Spekulation erzeugt, fondern ganz und gar in den Erfah

rungswiffenfchaften lebt, das gereicht der Erhabenheit der Welt?

anfchauung wahrlich nicht zum Schaden; denn das der Erfahrung

nachgezeichnete Weltbild ift viel bunter, kunftvoller und reicher, als

als irgendein menfchlicher Verftand es erfinden, irgendeine menfch?

liche Phantafie es ausmalen k?nnte.