peter ritter von tunner 1809—1897 ein …€¦ · schen frischhütten, um ein möglichst...

12
Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein eisenhüttenmännisches Lebensbild Hans Jörg KÖSTLER HERKUNFT UND AUSBILDUNG Bergbau und Hochofen in Salla am Ostabhang der Stubalpe sowie das Hammerwerk im benachbar ten Obergraden bei Köflach im späteren weststeiri schen Kohlenrevier waren seit 1809 Eigentum von Peter Tunner d. Ä., dem sein Stiefvater Sebastian Kliegel die genannten Anlagen übergeben hatte; es steht daher außer Zweifel, daß der am 10. Mai dessel ben Jahres in Deutschfeistritz (nördlich von Graz) geborene Peter Tunner d. J. als Sohn des nunmehri gen Eigentümers Erschmelzung und Verarbeitung von Eisen schon als Kind kennengelernt hat. Die Werke in Salla und in Obergraden gingen auf Joseph und Matthäus (III) Tunner zurück, deren Vater Mat thäus (II) - der Großvater von Peter Tunner d. Ä. - im Jahre 1763 nach Deutschfeistritz geheiratet hatte; durch diese Ehe wurde er auch Miteigentümer eines Hammerwerkes der alteingesessenen Gewerkenfa milie Großauer. Matthäus (II), ein gelernter Nagel schmied, stammte aus Neuhaus bei Trautenfels im steirischen Ennstal, wo sein Vater Matthäus (I) eben falls als Nagelschmied tätig gewesen war. Die schlechte Wirtschaftslage im österreichischen Kaiserstaat bei Übernahme des Kliegel’schen bzw. früher Tunner’schen Montanbesitzes durch Peter Tunner d. Ä. (Bild 1) und technische Probleme mit dem Hochofen in Salla führten 1823 zu Konkurs und Verlust des bereits angeschlagenen Betriebes. Trotz dem genoß der gescheiterte Gewerke in Fachkreisen den besten Ruf, so daß ihm das Fürst Schwarzenber- gische Oberverwesamt Murau noch 1823 die Leitung von Bergbau und Hochofen in Turrach anvertraute. Die Familie Tunner übersiedelte daher in das vom fürstlichen Eisenwerk geprägte Turrach, und schon im nächsten Jahre begann unter Verweser Tunner d. Ä. der (längst fällige) Hochofenneubau (Bild 2), den Peter Tunner d. J. als nun fünfzehnjähriger Knabe - nach Schulbesuch in Piber (bei Köflach) und in Graz - von Anfang an mitverfolgen konnte. Der junge Tunner hielt sich aber nicht nur in Turrach auf, sondern arbeitete auch in anderen Schwarzenbergi- Bild 1: Peter Tunner d. Ä., um 1840. Ölgemälde vonJosef Ernst Tunner im Besitz von Kommerzialrat Herbert Tunner in Köflach.

Upload: duongdan

Post on 17-Sep-2018

217 views

Category:

Documents


0 download

TRANSCRIPT

Page 1: Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein …€¦ · schen Frischhütten, um ein möglichst umfassendes Wissen vor allem in der Stahlerzeugung zu erwer ... lernen, nachdem der junge

Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein eisenhüttenmännisches Lebensbild

Hans Jörg KÖSTLER

HERKUNFT UND AUSBILDUNG

Bergbau und Hochofen in Salla am Ostabhang der Stubalpe sowie das Hammerwerk im benachbar­ten Obergraden bei Köflach im späteren weststeiri­schen Kohlenrevier waren seit 1809 Eigentum von Peter Tunner d. Ä., dem sein Stiefvater Sebastian Kliegel die genannten Anlagen übergeben hatte; es steht daher außer Zweifel, daß der am 10. Mai dessel­ben Jahres in Deutschfeistritz (nördlich von Graz) geborene Peter Tunner d. J. als Sohn des nunmehri­gen Eigentümers Erschmelzung und Verarbeitung von Eisen schon als Kind kennengelernt hat. Die Werke in Salla und in Obergraden gingen auf Joseph und Matthäus (III) Tunner zurück, deren Vater Mat­thäus (II) - der Großvater von Peter Tunner d. Ä. - im Jahre 1763 nach Deutschfeistritz geheiratet hatte; durch diese Ehe wurde er auch Miteigentümer eines Hammerwerkes der alteingesessenen Gewerkenfa­milie Großauer. Matthäus (II), ein gelernter Nagel­schmied, stammte aus Neuhaus bei Trautenfels im steirischen Ennstal, wo sein Vater Matthäus (I) eben­falls als Nagelschmied tätig gewesen war.

Die schlechte Wirtschaftslage im österreichischen Kaiserstaat bei Übernahme des Kliegel’schen bzw. früher Tunner’schen Montanbesitzes durch Peter Tunner d. Ä. (Bild 1) und technische Probleme mit dem Hochofen in Salla führten 1823 zu Konkurs und Verlust des bereits angeschlagenen Betriebes. Trotz­dem genoß der gescheiterte Gewerke in Fachkreisen den besten Ruf, so daß ihm das Fürst Schwarzenber- gische Oberverwesamt Murau noch 1823 die Leitung von Bergbau und Hochofen in Turrach anvertraute. Die Familie Tunner übersiedelte daher in das vom fürstlichen Eisenwerk geprägte Turrach, und schon im nächsten Jahre begann unter Verweser Tunner d. Ä. der (längst fällige) Hochofenneubau (Bild 2),

den Peter Tunner d. J. als nun fünfzehnjähriger Knabe - nach Schulbesuch in Piber (bei Köflach) und in Graz - von Anfang an mitverfolgen konnte. Der junge Tunner hielt sich aber nicht nur in Turrach auf, sondern arbeitete auch in anderen Schwarzenbergi-

Bild 1: Peter Tunner d. Ä., um 1840. Ölgemälde von Josef Ernst Tunner im Besitz von Kommerzialrat Herbert Tunner in Köflach.

Page 2: Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein …€¦ · schen Frischhütten, um ein möglichst umfassendes Wissen vor allem in der Stahlerzeugung zu erwer ... lernen, nachdem der junge

Bild 2: Hochofen in Turrach um 1830; erbaut 1824- 26 von Peter Tunner d. Ä. und 1838 von Peter Tunner d. J. mit einem Winderhitzer ausgestattet. Reproduktion eines verschollenenAquarells F o l o in d e n S c h w a r z e n b e r g is c h e n A r c h iv e n in M u iau

schen Frischhütten, um ein möglichst umfassendes Wissen vor allem in der Stahlerzeugung zu erwer­ben. Schon 1827 vermochte der kaum achtzehnjäh­rige Tunner beim Eisenwerk der Gebrüder von Rosthorn in Frantschach (Kärnten) eine neue Frisch­methode einzuführen. Als Dank für diese erfolgrei­che Tätigkeit ermöglichten ihm die Gebrüder von Rosthorn das Studium am Wiener Polytechnischen Institut (1828-1830), das Tunner mit besten Zensu­ren absolvierte.

Nach zweijähriger Praxis in Salzburger und Tiro­ler Eisenwerken sowie in Neuberg a.d. Mürz (Steier­mark) übernahm Tunner die Leitung des Schwarzen­bergischen Hammerwerkes in Katsch (bei Murau). Seine auch dort vorbildliche Arbeit blieb nicht ver­borgen, denn mehrere Praktikanten - darunter auch ein Absolvent der Bergakademie Schemnitz - erwei­terten bei Tunner ihre Kenntnisse, und schließlich wurde sogar Erzherzog Johann auf den jungen Ver­weser der Katscher Frischhütte aufmerksam. Zu Beginn der dreißiger Jahre bemühte sich nämlich

Erzherzog Johann um die Besetzung einer Professur für Berg- und Hüttenkunde an der in Vordernberg zu schaffenden Montanlehranstalt, worüber P. W. Roth im Beitrag „150 Jahre Montanuniversität Leoben“ ausführlich berichtet. Tunner erhielt sein Ernennungs­dekret am 15. Mai 1835 und konnte dank der Groß­zügigkeit von Johann Adolf II Fürsten zu Schwarzen­berg schon Ende Juni 1835 aus dessen Diensten scheiden, um sich ausschließlich den Vorbereitun­gen auf sein Lehramt zu widmen.

Zunächst galt es für Tunner, Stand und Entwick­lung der Hüttentechnik - vor allem des Eisenwesens - in allen europäischen Industrieländern kennenzu­lernen, nachdem der junge Professor sofort nach seiner Berufung alle bedeutenden Eisenwerke in Kärnten und in der Steiermark besucht hatte. Tunner unternahm seine erste Studienreise von Oktober 1835 bis Dezember 1837; sie führte ihn nach Mähren, Preußisch-Schlesien (z.B. Königshütte und Gleiwitz), Böhmen (Pribram), Sachsen (Bergakademie Frei­berg), Preußen, Schweden (Bergschule in Falun),

Page 3: Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein …€¦ · schen Frischhütten, um ein möglichst umfassendes Wissen vor allem in der Stahlerzeugung zu erwer ... lernen, nachdem der junge

Bild 3: Peter Tunner d. J., um 1840. Ölgemälde von Josef Ernst Tunner im Besitz von Kommerzialrat Herbert Tunner in Köflach.

England (Sheffield, Birmingham, Cornwall und Swansea), Belgien, Frankreich und Württemberg. Bei der zweiten Reise (April - Juli 1838) besichtigte er Berg- und Hüttenwerke in Ungarn (Slowakei), wovon Schemnitz, Neusohl, Herrengrund und Schmölnitz genannt seien; die dritte Studienreise (August - Ok­tober 1838) umfaßte Oberitalien (Mailand und Bres­cia), Tirol (Jenbach, Pillersee und Kössen), Südost­bayern (Bergen und Achthal), Salzburg (Flachau und Werfen) und einige steirische Eisenwerke (Liezen und Rottenmann). Der nun neunundzwanzigjährige Tunner (Bild 3) hatte sich durch diese Reisen eine Gesamtschau des europäischen Montanwesens er­worben, wie sie auch heute nur die wenigsten Fach­leute vorweisen können.

Auftragsgemäß und wohl ebenso aus eigenem Antrieb brachte Tunner von seinen Studienreisen eine Vielzahl von Notizen, Zeichnungen und Pro­dukten mit. Als gleich wertvolle Frucht gelten sechs Druckschriften, die Tunner in den Jahren 1838/40 veröffentlichte und mit denen er die heimische Ei­senindustrie auf wichtige Fortschritte hinwies:

>- Über Anwendung der erhitzten Gebläseluft im Eisenhüttenwesen. Wien 1838;

>■ Über den gegenwärtigen Stand des Puddel- frischprozesses und dessen Verhalten zur in­nerösterreichischen Herdfrischerei. W ien 1838 ;

>- Über Rails- (Eisenbahnschienen) Fabrikation. Wien 1838;

>■ Beiträge zur Untersuchung der möglichen und zweckmäßigen Verbesserungen und Ab­änderungen der innerösterreichischen Herd­frischerei. Graz 1839;

>- Die Walzwerke als Stellvertreter der Häm­mer. Graz 1839;

>- Über Zustellung und Windführung beim Ge- brauche erhitzter Gebläseluft, vorzugsweise für jene Eisenhochöfen, welche zur Verfri- schung bestimmtes Roheisen produciren. Graz 1840.

Diese Publikationen erschienen zu einer Zeit, als beim Steirischen Erzberg einige Hochöfen bereits modernisiert waren und Puddelverfahren sowie Schienenwalzen langsam Platz griffen, d.h. in einer Phase langsamen Aufschwunges, der Tunners Anre­gungen und Vergleiche mit ausländischen Vorgän­gen aber durchaus noch bedurfte. Als erfahrener Fachmann warnt er jedoch vor überhasteten Maß­nahmen; so tritt er als Befürworter des Puddelverfah- rens auf, doch sollte der Puddelstahl dem Frisch­herdstahl qualitativ mindestens gleichwertig sein, um den Ruf steirischer Hütten nicht zu gefährden. Tunner war sich im klaren, daß Walzwerke die Hämmer in vielen Bereichen ablösen werden - aber er sieht derzeit noch eine Gefahr in mangelhafter Verschweißung des gewalzten Puddel- oder Frisch- herdstahles.

Bedingungslos forderte Tunner jedoch die 1831/ 32 entwickelte Winderhitzung durch Gicht- bzw.

Page 4: Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein …€¦ · schen Frischhütten, um ein möglichst umfassendes Wissen vor allem in der Stahlerzeugung zu erwer ... lernen, nachdem der junge

Rauchgas für alle metallurgischen Öfen und geht in der Steiermark sogar mit gutem Beispiel voran: „Die E in führung des erhitzten W indes b e i d en E isen h och ­ö fen w a r e in er m ein er ersten E ingriffe in d ie P raxis u nserer inn erösterreich ischen Eisenindustrie, in dem ich m ich im Ja h r e 1 8 3 8 a n d e r E in führung dersel­ben z u Turrach beteiligte ‘. Ebenfalls auf Betreiben Tunners stattete die Vordernberger Radmeister- Communität ihren Hochofen 1841 mit einem Wind­erhitzer aus.

DIE VORDERNBERGER ZEIT

An der im November 1840 eröffneten Montan­lehranstalt in Vordernberg unterrichtete Tunner sowohl das Bergbaufach als auch das Hüttenfach. Trotz bergmännischer Publikationen in seinen Vor­dernberger Jahrbüchern und beispielhafter Exkur­sionen im jeweiligen Bergkurs widmete sich Tunner zusehends mehr der Eisenhüttenkunde, wie dies in den umfangreichen Berichten über Schienenwal­zung (1842) und Vergasung von Braunkohle für Puddelöfen (1842) sowie schließlich im „Wohlunter­richteten Hammermeister“ zum Ausdruck kommt.

Diese „Gemeinfaßliche Darstellung der Stab­eisen- und Stahlbereitung in Frischherden“, die 1846 als erste (Graz) und 1858 in wesentlich erweiterter zweiter Auflage (Freiberg/Sachsen) erschien, wollte keine theoretische Abhandlung, sondern eher eine Anleitung für den Frischer am Herd sein und in erster Linie der „Beförderung und Unterstützung von Indu­strie und Gewerbe“ dienen.

Aus eigener Erfahrung kannte Tunner den Wert von Studienreisen und Exkursionen; es war daher selbstverständlich, eine jährliche „Hauptexkursion“ in das Studienprogramm der Montanlehranstalt auf­zunehmen. Die wochenlangen Lehrfahrten - die erste fand 1841 statt - stellten an Professor und Studenten enorme physische und geistige Ansprü­che, denn anhand von Mitschriften und Diskussio­nen mußten alle Teilnehmer detaillierte Berichte abliefern, die Tunner bzw. später auch seine Mitar­beiter genau kontrollierten und teilweise veröffent­lichten. Da sich fast alle Exkursionsberichte nicht auf

das Beschreiben von Anlagen und Verfahren be­schränken, sondern auch kritische Passagen enthal­ten, brachten diese Stellungnahmen dem jeweiligen Werkseigentümer mitunter nennenswerte Vorteile.

DIE ERSTEN JAHRE IN LEOBEN

ZEMENTSTAHL - PUDDELSTAHL - ROHEISEN

Rege Publikationstätigkeit und vor allem mehre­re Initiativen bei Übernahme neuer metallurgischer Verfahren durch steirische Eisenwerke kennzeich­nen die anderthalb Jahrzehnte nach Verlegung der Lehranstalt von Vordernberg nach Leoben (1849). Am Beginn dieses von Tunner getragenen Technolo­gietransfers steht die Einführung der Zementstahl­produktion in der Hütte Eibiswald (Steiermark), die sodann anderen Stahlwerken als Vorbild diente. Namentlich schwedischer Zementstahl drängte seit den vierziger Jahren auf den österreichischen Markt, weil die heimischen Frischhütten weder qualitativ noch preislich mithalten konnten. Der durch Auf­kohlen weichen Stahles gewonnene Zementstahl bildete das optimale Ausgangsprodukt für Tiegel­gußstahl und Gärbstahl, die insbesondere zu hoch­beanspruchten W erkzeugen verarbeitet wurden. Als Beispiel für diesen Fertigungsweg seien die Zement­stahlerzeugung in Donawitz und die anschließende Umschmelzung zu Tiegelstahl in der Gußstahlhütte Kapfenberg genannt.

Ähnliche Erfolge waren Tunner in Neuberg bei Herstellung hochgekohlten Puddelstahls beschie- den, den man zu sog. Tyres (verschleißfesten Eisen­bahnradreifen) und zu Schienenköpfen auswalzte. Damit hatten sich der Fabrikation von Verbund­schienen (bisher weicher Puddelstahl als Fuß und Steg sowie - teurer - hochgekohlter Frischherdstahl als Kopf) neue, sofort genutzte Möglichkeiten er­schlossen, deren Bedeutung in einer Zeit ausge­dehnter Eisenbahnbauten nicht hoch genug einzu­schätzen war. Ebenfalls in den fünfziger Jahren widmete sich Tunner Brennstoff- und Energiefra­gen. So empfahl er 1852 Versuche zur Verwendung von roher und verkokter Braunkohle in Hochöfen,

Page 5: Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein …€¦ · schen Frischhütten, um ein möglichst umfassendes Wissen vor allem in der Stahlerzeugung zu erwer ... lernen, nachdem der junge

Bild 4: Titelblatt der Veröffentlichung von Peter Tunner über die Zukunft des österreichischen Eisenwesens, Wien 1869.

weil die Versorgung alpenländischer Roheisenpro­duzenten mit guter und kostengünstiger Holzkohle immer größere Schwierigkeiten bereitete.

Natürlich wertete Tunner die Braunkohle im Hochofen nur als Notlösung bis zum Bau von Eisen­bahnen, die Koks bzw. verkokbare Kohle zu steiri­schen und kärntnerischen Hochöfen bringen soll­ten. Dieser Tunner’sche Plan kam 1869/74 in Prävali, Zeltweg und Schwechat sowie zwei Jahrzehnte später in Donawitz zur Ausführung, womit sich auch in Österreich das Koksroheisen durchsetzte, wie dies Tunner bereits seit langem unter gewissen Voraus­setzungen verlangt und z.B. in seiner herausfordern­

den Schrift „Die Zukunft des österreichischen Eisen­wesens“ (1869) dokumentiert hatte (Bild 4).

DAS BESSEMERVERFAHREN

Der Herausgeber der „Österreichischen Zeit­schrift für Berg- und Hüttenwesen“, Otto Freiherr v. Hingenau, erwarb sich durch Veröffentlichung aller ihm zugänglichen Nachrichten über eine von Henry Bessemer am 13. August 1856 vorgestellte Frischme­thode größte Verdienste um die Kenntnis des - später so bezeichneten - Bessemerverfahrens in Österreich. Schon am 6. Oktober 1856 berichtete O. Hingenau erstmals über Bessemers Erfindung, und wenige W ochen später brachte er einen Beitrag mit dem programmatischen Titel „Bessemer’s Fabrika­tion von Stabeisen und Stahl aus flüssigem Roheisen ohne Anwendung von Brennmaterial“. Im Berg- und Hüttenmännischen Jahrbuch für 1857 äußerte erst­mals Tunner seine grundsätzliche Ansicht über das neue Windfrischverfahren, d en n d as m eiste In ter­esse u n ter a llen R eform en u n d V erbesserungen d e r Je tz tz e it bietet unstreitig B essem ers F ab r ika tion von Stabeisen u n d Stahl. ... M ag im m erh in d ie p rak tisch e D urch führu n g von d e r H a n d scheitern , ... so ist h ierm it d och e in e völlig n eu e T atsache konstatiert, d ie n äm lich , d a ß d e r K oh len g eh a lt im E isen selbst a ls B ren n m ater ia l d ien en kan n . D iese S ach e ist so neu, d a ß d e r F a ch m a n n im ersten A u gen blicke stutzen u n d sich f r a g e n m uß, ist es w irklich m öglich? N ach sorg fältiger P rü fu n g a lle r d a r a u f B ezu g n eh ­m en d en E rschein un gen in d en bisherigen H ütten­p rozessen m u ß m indestens d ie M öglichkeit zu g e­stan d en w erden ; d a h e r d ie au s E n g lan d gem eld eten T atsachen um so w en ig er bezw eifelt w erden dü rfen . Es k a n n n ich t befrem den , w en n B essem ers P ro z eß in d e r P rax is n och a u f a llerle i Schw ierigkeiten stößt, d en n n a ch 1 -2 V ersuchsjahren ka n n e in G egen­s ta n d d e r Art w oh l n ich t z u r völligen R eife g eb ra ch t w erden . D a ß h ierd u rch a b e r fr ü h e r o d e r sp ä ter e in e g r o ß e R eform in d e r P raxis d es E isen frischw esens h erbeigefü hrt wird, b ezw eifle ich n ic h t“.

Obwohl Tunner die beiden Roheisenbegleitele­mente Silizium und Mangan als Wärmeträger nicht erwähnt, schätzte er das Windfrischen als neuen

Page 6: Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein …€¦ · schen Frischhütten, um ein möglichst umfassendes Wissen vor allem in der Stahlerzeugung zu erwer ... lernen, nachdem der junge

Weg der Stahlmetallurgie richtig ein, und dement­sprechend gestaltete sich sein Engagement für das „Bessemern“ schon zu einer Zeit, als L. Gruner, ein französischer Fachkollege, schrieb: „Man k a n n d a h er a p r io r i behaupten , d a ß du rch d en B essem er’sch en P roz eß au s g ew öh n lich em R oheisen n iem als gu te P rodu kte erzeugt w erden kön n en

Offenbar verlagerte sich der Schwerpunkt in Forschung und Anwendung des Windfrischens bald nach Schweden, wo 1858 die erste Charge Wind­frischstahl in einem feststehenden Konverter erbla- sen wurde. Tunner verfolgte die Entwicklung in Schweden - wie seine diesbezüglichen, damals äußerst aktuellen Publikationen belegen - genau und objektiv, so daß er im August 1859 einen bedeut­samen Schluß zu ziehen vermochte:

„Der G egenstand (d .h . d a s B essem erverfahren ) ist m ein es E rachten s f ü r Österreichs E isenw esen von so g ro ß er W ichtigkeit, d a ß ich du rch d ie vorliegende V eröffentlichung (ü b er Fortschritte in S chw eden ) e in e P flicht f ü r d a s V aterland z u erfü llen g lau be, u n d dieserw egen sehn lichst w ünsche, d a ß u nsere H och o fen bes itzer es n u n m eh r g le ich fa lls a ls d ie P flicht an sehen , d en selben en d lich in A n g r iff zu n eh m en “.

Die Bemühungen Tunners, in Österreich das „Flußstahl-Zeitalter“ einzuleiten, fielen dank seiner profunden Stellungnahmen auf fruchtbaren Boden. In den Jahren 1861/63 begann man nämlich bei den Eisenwerken in Turrach (Bild 5), Neuberg, Heft (Kärn­ten) und Graz mit dem Bau von Bessemerstahlwer­ken, wobei allerdings (auch bei Tunner) Unklarheit herrschte, ob dem feststehenden „Schwedischen“ oder dem kippbaren „Englischen“ Konverter der Vorzug zu geben sei. (Seit 1869 gab es in Österreich nur noch kippbare Frischgefäße, d.h. Konverter im heutigen Sinne).

Es ist nicht möglich, hier auf alle Leistungen Tunners und des verantwortlichen Personals bei Inbetriebnahme oben genannter Stahlwerke einzu­gehen; expressis verbis sei hervorgehoben, daß sich der allseits geschätzte Eisenhüttenmann Tunner nicht auf unverbindliche Ratschläge par distance eingelas­sen hat, sondern bei den ersten Bessemerchargen in Turrach (Oktober und November 1863), Heft (Juni

1864) und Neuberg (Februar 1865) anwesend war, nachdem man ihm die Leitung des jeweiligen Ver­suchsbetriebes und der ersten Chargen anvertraut hatte. Ohne Können und Erfolg der Stahlwerks­mannschaften im mindesten zu schmälern, gilt es dabei als unbestrittene Tatsache, daß die meisten österreichischen Bessemerhütten ohne Tunner nicht innerhalb kürzester Zeit zu reibungsloser Produk­tion gelangt wären.

Bedauerlicherweise stand den Erfolgen im Bes­semerverfahren ein deprimierender Eingriff in die Studienordnung der Leobener Bergakademie ge­genüber: die Aufhebung des seit 1852 bestehenden Vorbereitungskurses im Jahre 1866. Tunner überließ daraufhin mit Beginn des Studienjahres 1866/67 die Vorlesungen über Eisenhüttenkunde seinem Nach­folger Franz Kupelwieser und wirkte nun ohne Lehrverpflichtung bis 1874 als Bergakademie-Direk­tor. Diese Maßnahme bedeutete für Tunner aber keineswegs eine Abkehr vom Eisenwesen, dem er nach wie vor engstens verbunden blieb.

SIEMENS-MARTIN- UND THOMASVERFAHREN

Im „Denkbuch des österreichischen Berg- und Hüttenwesens“ anläßlich der Wiener Weltausstel­lung 1873 brachte der Tunner’sche Beitrag „Das Eisen-, Berg- und Hüttenwesen der Alpenländer“ einen aufschlußreichen Überblick über diesen Wirt­schaftszweig. Nach Erörterung des Frischherdstah­les, dessen Bedeutung gegenüber Tiegel- und Besse­merstahl bereits stark gesunken war, und des Pud- delstahles geht Tunner auf den Siemens-Martin-Stahl ein; in Österreich gab es zu Beginn der siebziger Jahre drei „Martinhütten“, nämlich in Wien-Florids­dorf, Neuberg und Graz, wovon erstere nicht mehr produzierte und die beiden anderen mit je einem Ofen schmolzen. Im Gegensatz zum Bessemerver­fahren beurteilte Tunner den Siemens-Martin-Pro- zeß lange sehr zurückhaltend und trat in dessen Anfangszeit mit nur einer einzigen diesbezüglichen Publikation hervor. Erst im „Denkbuch“ nimmt er zum neuen Herdofenverfahren Stellung: „Übrigens ist d a s P rodu kt des M artinprozesses w ed er du rch

7 66

Page 7: Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein …€¦ · schen Frischhütten, um ein möglichst umfassendes Wissen vor allem in der Stahlerzeugung zu erwer ... lernen, nachdem der junge

Bild 5: Bessemerstahlwerk in Turrach (Grundriß); rechts oben: Konverter zwischen zwei Kupolöfen. Aus­schnitt aus dem mit 20. Juni 1863 datierten Plan Nr. 270/p2 in den Schwarzenbergischen Archiven in Murau.

G leichartigkeit n och d u rch V erläßlichkeit ... o d e r d u rch B illigkeit d e r M anipu lationskosten irgendw ie im Vorteil g eg en ü b er d em B essem erp rozeß “-, er räumt aber abschließend auch dem Siemens-Martin-Ver­fahren einen Aufschwung ein, sobald man dem bis­lang großen Verschleiß des feuerfesten Materials begegnen kann. Im Jahre 1880 jedenfalls beurteilte Tunner das „Martinieren“ als Prozeß „von größter Wichtigkeit für die Entwicklung der Eisenproduk­tion“, wobei er die Möglichkeit hoher Schrottsätze und die Analysentreffsicherheit unterstrich.

Die Frage nach Entphosphorung des Roheisens beschäftigte natürlich auch Tunner, der schon 1871 die bemerkenswerte Ansicht vertrat, daß „d ie A b­sch eid u n g d es P hosphors in G egenw art e in er seh r basischen , s eh r e isen reich en Schlacke, w elch e z u r A u fn a h m e u n d zu m Festhalten d e r P hosphorsäu re a m m eisten g eeig n et ist, a m ausgiebigsten erfolgt“.

Acht Jahre danach - 1879 - stellte Sidney Gilchrist Thomas sein Entphosphorungsverfahren zur Stahl­erzeugung im „basischen Bessemerkonverter“ vor. Damit hatten phosphorreiche, bisher kaum brauch­bare Eisenerze schlagartig an Bedeutung gewonnen, und es stand mit Recht eine höchst nachteilige Aus­wirkung auf das alpenländische Eisenwesen zu b e­fürchten, dessen Spitzenstellung nicht zuletzt in phosphor- und schwefelarmen Erzen begründet lag. Tunner wußte schon Ende 1879 durch seine B e­kanntschaft mit „einem der tüchtigsten Eisenwerks- Directoren Deutschlands“ - wahrscheinlich mit sei­nem ehemaligen Schüler Jo sef Massenez in Hörde bei Dortmund - über das Thomasverfahren in seiner betriebsmäßigen Durchführung und über die Stahl­qualität Bescheid. Er zog daraus den Schluß, daß trotz eminenter Wichtigkeit des Thomasverfahrens „... du rch d en n eu en P rocess d e r E ntphosphorung

Page 8: Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein …€¦ · schen Frischhütten, um ein möglichst umfassendes Wissen vor allem in der Stahlerzeugung zu erwer ... lernen, nachdem der junge

d e r Wert re in er E isenerze f ü r d ie Erzeugung des eigentlichen Q ualitätseisens n icht verw ischt w erde“.

Obwohl das „Thomasieren“ im Einklang mit Tunners Ansicht tatsächlich keine unmittelbare Bedrohung der heimischen Eisenindustrie darstellte, beschloß der Berg- und hüttenmännische Verein für Steiermark und Kärnten, der als Vorgänger der Eisenhütte Österreich gelten kann, unter seinem Obmann Tunner im Jänner 1880 die Entsendung einer Kommission zwecks Beurteilung „des derzeiti­gen Standes der Entphosphorung des Eisens im Bessemer-Converter“. Die sechsköpfige, von Tun­ner geleitete Kommission besuchte die Bessemer- bzw. Thomasstahlwerke in Meiderich, Ruhrort, Hörde, Dortmund, Kladno (Böhmen), Witkowitz (Mähren) und Trzynietz (Österreichisch-Schlesien), so daß man sich ein umfassendes Bild des soeben angelaufenen Thomasverfahrens machen konnte. Wie bereits Tunner im Vorjahre kam auch die Kom­mission zu dem Ergebnis, daß alle alpenländischen Eisenwerke mehr denn je auf „Qualitätsstahl“ be­dacht sein müssen, und empfahl, den Siemens-Mar- tin-Stahl als Gegengewicht zum Thomasverfahren zu forcieren. Diese Schlußfolgerung spiegelt sich im bald darauf begonnenen Ausbau des Siemens-Mar- tin-Stahlwerkes in Donawitz unter der 1881 gegrün­deten Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft wider, in deren Verwaltungsrat Tunner von 1881 bis 1892 wirkte.

DIE FORMGEBUNGSVERFAHREN

Tunner-Biographien erw ecken mitunter den Eindruck, der große Leobener Eisenhüttenmann hätte sich nur der Erzeugung von Roheisen und Stahl gewidmet. Das Tunner’sche Schriftenverzeichnis enthält aber viele Titel, die eine zeitweise intensive Beschäftigung auch mit Formgebungsfragen zeigen. Neben der bereits zitierten Arbeit über Walzwerke (1839) und dem viel beachteten, auch ins Englische übersetzten Buch „Über die Walzenkaliberirung für die Eisenfabrikation“ (Leipzig 1867 und New York 1869) seien folgende Publikationen aus dem Walz­werks- und Verformungsbereich genannt:

1854: Neue Verbesserungen beim Walzen der gro­ßen Bleche und der Drähte.

1859: Über Erzeugung und Verwendung des körni­gen Stabeisens, insbesondere die Darstellung von Rails mit harten Köpfen.

1860: Einfache Überheb-Vorrichtungen bei Walzge­rüsten.

1863: Walzvorrichtungen zur Erzeugung von keil­förmigem oder zugespitztem Eisen. Notizen über den patentierten Haswell’schen Preß- hammer.

1872: Über die neueren Vorrichtungen zum Vor- und Rückwärtswalzen.

1877: Über die Schienenfabrikation aus Bessemer­stahl in den Vereinigten Staaten von Nordame­rika.

1878: Über einige Neuerungen in der Einrichtung der Walzwerke.

1879: Eine amerikanische Verbesserung in der Draht­walzerei.

1885: Verwendung des Flußeisens für Kessel- und Schiffsbleche.

1890: Zum Mannesmann’schen Röhrenwalz-Verfah- ren.

DIE PHYSIKALISCHE CHEMIE

Auch ein zweites Fachgebiet, dem Tunner größ­tes Interesse entgegenbrachte, steht noch immer im Schatten der Veröffentlichungen vor allem über Stahl­erzeugung, nämlich der chemische und physika­lisch-chemische Bereich der Eisenmetallurgie. Am Beginn steht hier der 1838 publizierte Beitrag über die chemische Zusammensetzung von Frischschlac - ken, und vier Jahre später folgte eine profunde Darstellung der „Eisenprobe“ auf Schmelzverhalten und Eisengehalt von Erzen nach Professor Sefström, den Tunner während seiner ersten Studienreise im schwedischen Falun kennengelernt hatte.

Nach längerer Unterbrechung legte Tunner 1860 eine nahezu bahnbrechende Untersuchung der Vorgänge im Hochofen vor, w obei er nicht indirekte Schlüsse aufgrund von Gichtgasanalysen zog, son­dern anhand von Erz- und Gasproben sowie von

Page 9: Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein …€¦ · schen Frischhütten, um ein möglichst umfassendes Wissen vor allem in der Stahlerzeugung zu erwer ... lernen, nachdem der junge

Temperaturmessungen aus dem bzw. im Ofeninne­ren; die Versuche brachten teils völlig neue Erkennt­nisse über Lage und Ausdehnung der Reduktionszo­ne und über Ofenprofile. In eine ähnliche Richtung wies die kommentierte Übersetzung einer Arbeit über die „Entwicklung und Verwendung der Wärme in Eisenhochöfen von verschiedenen Dimensionen“ (1870), die der englische Hüttenmann und Eisen­werksbesitzer J. Lowthian Bell - ein Freund Tunners - in London publiziert hatte.

In den siebziger Jahren äußerte sich Tunner - wie oben angedeutet - mehrmals über die Phos- phorabscheidung aus Roheisen. Dabei betonte er in Übereinstimmung mit den späteren, weltweit beach­teten chemisch-physikalischen Berechnungen sei­nes ehemaligen Schülers Jo sef Gängl v. Ehrenwerth immer die Notwendigkeit basischer Schlacken - der letztlich entscheidende Schritt zum basisch zuge­stellten Konverter blieb ihm jedoch versagt.

REISEN UND TÄTIGKEIT IN WISSENSCHAFT­LICHEN GREMIEN

Die Konkurrenz schwedischen Stahles auf allen Märkten veranlaßte Tunner 1857, die größeren Ei­senwerke Schwedens zu besichtigen und ihre Roh­stoffe, Einrichtungen, Verfahren usw. kritisch zu beleuchten. Unerwarteterweise kam Tunner zu kei­ner vorzüglichen Beurteilung der schwedischen Eisenindustrie, aber sein ausgezeichnet illustrierter Bericht führte zu einigen Änderungen in österreichi­schen Hütten, z.B. baute man in Heft gichtgasbeheiz­te Erzröstöfen, die als Schwedische Röstöfen be­kannt wurden (Bild 6). Weiters besuchte und beur­teilte Tunner mehrere Eisenwerke in Rußland -1 8 7 0 im Auftrag der russischen Regierung - und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika -1 8 7 6 im Auf­trag des k.k. Ackerbauministeriums als oberster Mon­tanbehörde - , doch kann auf die heute noch interes­santen Reiseberichte hier nur hingewiesen werden.

Das gleiche gilt für Tunners Berichte über das Berg- und Hüttenwesen bei den Welt-Industrie- Ausstellungen in London 1851 und 1862 (Plan eines kippbaren Bessemerkonverters!) sowie in Paris 1855

und 1867. Bei fast allen internationalen Ausstellun­gen wirkte Tunner in der jeweiligen Jury zur Beurtei­lung der montanistischen Exponate mit.

Bei Tunners USA-Reise, die 1876 anläßlich der „Centennial-Ausstellung“ in Philadelphia - 1776 Unabhängigkeitserklärung! — erfolgte, kam es auch zur Zusammenarbeit der sieben, damals führenden Eisenhüttenleute, darunter Hermann W edding (Deutschland), Richard Akerman (Schweden) und Tunner. Dieses von der Ausstellungsleitung nomi­nierte Gremium legte u.a. Einteilung und Bezeich­nung der Eisenwerkstoffe unter Berücksichtigung des Flußstahles (Bessem er- und Siemens-Martin- Stahl) neu fest.

Hatte sich Tunner noch bei seiner Vordernber- ger Antrittsrede über die Notwendigkeit einer Aus­bildung „montanistischer Unterbeamter“ skeptisch geäußert, so unterstützte er Mitte der sechziger Jahre die Gründung einer Häuerschule - der späteren Berg- und Hüttenschule - in Leoben mit größtem Nachdruck. 1876 übernahm Tunner sogar die Ob­mannstelle im Direktorium dieser bereits angesehe­nen Schule, der er ab 1870 als Obmann ihres Kurato­riums angehörte. Es war nicht zuletzt Tunners Auto­rität zuzuschreiben, daß namhafte Firmen und Ge­werken sowohl zur Erhaltung der Schule beigetra­gen als auch gut dotierte Stipendien gewährt haben.

Wie die Protokolle des Berg- und hüttenmänni­schen Vereines für Steiermark bzw. für Steiermark und Kärnten belegen, versäumte Tunner als Ob­mann dieser Institution nur wenige Sitzungen und hielt außerdem viele Vorträge, die sich meist mit Fortschritten im Eisenw esen beschäftigten. Als Ehrenobmann des Vereines sprach Tunner 1882 beim Herbstmeeting des Iron and Steel Institute in Wien über „Die Lage der Eisenindustrie in Steiermark und Kärnten“. Dabei setzte e r sich mit der soeben gegrün­deten Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft auseinander, in der er eine unumgängliche Notwen­digkeit für die wirtschaftliche Gesundung des heimi­schen Eisenwesens sah. Als Repräsentant des Gast­geberlandes scheute sich Tunner auch vor den eng­lischen Hüttenleuten nicht, im Interesse kontinen­taleuropäischer Stahlproduzenten Schutzzölle zu fordern.

Page 10: Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein …€¦ · schen Frischhütten, um ein möglichst umfassendes Wissen vor allem in der Stahlerzeugung zu erwer ... lernen, nachdem der junge

Bild 6: Technologietransfer durch Peter Tunner — ein Beispiel aus der Erzrösttechnik.Oberere Bild: Eisenerz-Röstofen in Dannemora (Schweden); Plan im Buch „Das Eisenhüttenwesen in Schweden“ von Peter Tunner, Freiberg 1858.Unteres Bild: Zwei „Schwedische“ Erzröstöfen (rechts hinten.) im Eisenwerk Heft in Kärnten, erbaut 1861/62. F oto u m 18 9 0 im B esitz v o n H J . K ö stler.

Page 11: Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein …€¦ · schen Frischhütten, um ein möglichst umfassendes Wissen vor allem in der Stahlerzeugung zu erwer ... lernen, nachdem der junge

EHRUNGEN UND LETZTE LEBENSJAHRE

Peter Tunner - seit 1864 Ritter von Tunner - war Ehrenmitglied zahlreicher wissenschaftlicher Gesell­schaften, u.a. des Vereines Deutscher Eisenhütten­leute (Düsseldorf), des Iron and Steel Institute (London), des American Institute of Mining Engi­neers (New York) und der Königlich-schwedischen Akademie der Wissenschaften (Stockholm). Das Iron and Steel Institute verlieh ihm als dem wohl namhaf­testen Vorkämpfer für das Bessemerverfahren die Goldene Bessemer-Medaille.

Hüttenberg, Vordernberg, Bleiberg und andere, mit dem Montanwesen eng verbundene Orte verlie­hen Tunner die Ehrenbürgerschaft. Der seinerzeit überaus aktive Berg- und hüttenmännische Verein für Steiermark und Kärnten dankte Tunner mit der Ernennung zum Ehrenobmann - eine Ehrung, die Tunner sehr schätzte, wie viele diesbezügliche Äußerungen bei Vereinssitzungen annehmen las­sen.

Tunners Lebensabend war von Schicksalsschlä­gen - Tod seiner Frau Maria, geb. Zahlbruckner (1881) und seiner Tochter Paula (1892) - und von schweren Krankheiten gekennzeichnet. Andererseits erlebte er im Jahre 1890 den Höhepunkt seiner vom Eisenwesen geprägten Laufbahn, nämlich die Feier zum fünfzigjährigen Bestand der Leobener Bergaka­demie. In diese Zeit fallen auch Tunners letzte Publi­kationen, die Phosphorverbindungen im Eisen, Kohlentrocknung, das bereits erwähnte Röhrenwal­zen und schließlich Schwefelabscheidung aus flüssi­gem Roheisen (1891) behandelten.

Peter Ritter von Tunner starb am 8. Juni 1897 in Leoben nach längerer Krankheit, die ihn aber nicht gehindert hatte, bis zuletzt mit dem Eisenhüttenwe­sen in reger Verbindung zu bleiben. Diesen beispiel­haften Grundsatz hatte Tunners ehemaliger Schüler und späterer Generaldirektor der Hüttenberger Ei­senwerks-Gesellschaft, Carl August R. v. Frey, schon 1874 bei der legendären Tunner-Feier in Leoben angesprochen:

„ Was T unner selbst erlernt, erfahren , erforscht u n d en tdeckt hat, was e r in österreich ischen w ie in

fr e m d e n W erken zu seh en G elegenheit hatte, w u rde

du rch se in e p u b liz istisch e Tätigkeit, w ie d u rch se in e M itteilsam keit sofort G em eingut, u n d n iem als h a t e r etw as von dem E rdachten , Erforschten, G esehenen, E ntdeckten u n d E rfu n d en en z u m G egen stan d spe­ku lativer G eheim tu erei g e m a c h t“.

ANMERKUNGEN

Franz CZEDIK-EYSENBERG: Die ersten Exkursionen Peter Tunners mit seinen Eleven. In: Berg- und Hüttenmännische Monatshefte 104 (1959), S. 234—242.Josef GÄNGL von EHRENWERTH: Peter Ritter von Tunner und seine Schule. In: Beitrag zur Geschichte der Technik und Industrie 6 (1914/15), S. 95-108.Hans Jörg KÖSTLER: Einführung und Beginn der Stahlerzeugung nach dem Bessemerverfahren in Öster­reich. In: Berg- und Hüttenmännische Monatshefte 122 (1977), S. 194-206.Hans Jörg KÖSTLER: Die Hochofenwerke in der Steiermark von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Wiederaufnahme der Roheisenerzeugung nach dem Zweiten Weltkrieg. In: Radex-Rundschau 1982, S. 789-852.Hans Jörg KÖSTLER: Das Schwarzenbergische Hammer­werk in Niedetwölz und seine Beziehungen zur Montan- Lehranstalt in Vordernberg. In: Schwarzenbergischer Alma- nach XXXVII (1985), S. 427^ 56.Hans Jörg KÖSTLER: Der Kärntner Metallurge Josef Gängl von Ehrenwerth 1843-1921. In: Carinthia 1 178/98 (1988), S. 411-419.Hans Jörg KÖSTLER und Wolf gang WIELAND: Peter Tunner der Ältere 1786—1844. Leobener Grüne Hefte, Sonderband Reihe „Steirische Eisenstraße“ Nr. 2. Leoben 1985.Hans Jörg KÖSTLER und Wolfgang WIELAND: Zum Beginn der Bessemerstahlerzeugung in Österreich im Schwarzen- bergischen Eisenwerk Turrach vor 125 Jahren. In: Berg- u. Hüttenmännische Monatshefte 133 (1988), S. 480^484. Hans Jörg KÖSTLER und Wolfgang WIELAND: Die Fürsten zu Schwarzenberg im Eisenwesen beim Steirischen Erzberg. In: Zeitschrift des Historischen Vereines für Steiermark 81 (1990).Franz KUPELWIESER: Geschichte der k.k. Berg-Akademie in Leoben. In: Denkschrift zur fünfzigjährigen Jubelfeier der k.k. Berg-Akademie in Leoben 1840-1890. Leoben 1890, S. 1-173.Paul KUPELWIESER: Aus den Erinnerungen eines alten Österreichers. Wien 1918.Helmut LACKNER: Peter Tunner 1809-1897. Ein Leben für das innerösterreichische Eisenwesen. In: Der Leobener

Page 12: Peter Ritter von Tunner 1809—1897 Ein …€¦ · schen Frischhütten, um ein möglichst umfassendes Wissen vor allem in der Stahlerzeugung zu erwer ... lernen, nachdem der junge

Strauß 8 ( 1980), S .2-15-296 (Mit ausführlichem Verzeichnis der Publikationen von P. Tunner).Paul W. ROTH: 150 Jahre Montanuniversität Leoben. Aus ihrer Geschichte. In dieser Festschrift.Rudolf SCHAUR: Streiflichter auf die Entwicklungs­geschichte der Hochöfen in Steiermark. In: Stahl und Eisen 49 (1929), S. 489-498.Wilhelm SCHUSTER: Die Erzbergbaue und Hütten der Österreichisch-Alpinen Montangesellschaft, ln: ÖAMG 1881-1931. Wien 1931, 2.Teil, S. 71-533-

30 Jahre THOMASVERFAHREN in Deutschland. In: Stahl und Eisen 29 (1909), S. 1465-1490.

TUNNER-Feier, abgehalten am 7. und 8. November 1874 in Leoben. Wien 1874.

Peter Ritter von TUNNER + 8.Juni 1897 (Nachruf). In: Berg- u. Hüttenmännisches Jahrbuch 4 5 (1 8 9 7 ), S. I-XXVI.

Richard WALZEL: Erzherzog Johann und das steirische Eisenhüttenw esen. In: Berg- und H üttenm ännische Monatshefte 104 (1959), S. 100-115.